Die schönsten Geschichten zum Fest Dammel, Gesine · INHALT Hanna Johansen, Muss man Weihnachten...

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Insel Verlag Leseprobe Dammel, Gesine Die Katze unterm Weihnachtsbaum Die schönsten Geschichten zum Fest Herausgegeben von Gesine Dammel © Insel Verlag insel taschenbuch 4603 978-3-458-36303-3

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Insel VerlagLeseprobe

Dammel, GesineDie Katze unterm Weihnachtsbaum

Die schönsten Geschichten zum FestHerausgegeben von Gesine Dammel

© Insel Verlaginsel taschenbuch 4603

978-3-458-36303-3

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Weihnachtszeit,Winterzeit…welch spannende Zeit fürKatzen! Die Verlockungen sind groß: Überall glitzertund funkelt, raschelt und knistert es. Aus der Küche duf-tet es verführerisch, der reichgeschmückte Weihnachts-baum lädt zum Spielen ein, und allerlei bunte Paketeund Kartons müssen auf ihren Inhalt untersucht wer-den. Doch nicht jede Entdeckungstour der Stubentigerendet im Chaos! So manche Katze hat auch schon dasWeihnachtsfest ihrer Familie gerettet …

Diehier versammelten, zumGroßteilerstmals veröffent-lichten Geschichten erzählen vom gemeinsamen Weih-nachtsfest von Katzen und Menschen. Mit Texten vonVince Ebert, KarenDuve, Katharina Greve, Hanna Johan-sen,TatjanaKruse,Volker Reiche, Andrea Schacht, HerradSchenk u.v.a.

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Die Katze unterm WeihnachtsbaumDie schönsten Geschichten zum Fest

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Die schönsten Geschichten zum Fest

Ausgewählt von Gesine Dammel

Insel Verlag

Die Katze untermWeihnachtsbaum

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Erste Auflage 2017insel taschenbuch 4603

© Insel Verlag Berlin 2017Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlagesreproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch VerlagUmschlaggestaltung: zeromedia.net, München

Umschlagfoto: Getty Images, MünchenSatz: Satz-Offizin Hümmer GmbH,Waldbüttelbrunn

Druck: CPI – Ebner & Spiegel, UlmPrinted in Germany

ISBN 978-3-458-36303-3

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INHALT

Hanna Johansen, Muss man Weihnachten feiern? 9

Hermien Stellmacher, Alle Jahre nieder 17

Andrea Schacht, Die Katze, die im Christbaum saß 30

Tatjana Kruse, Die Klingeling-Todeskralle schlägtwieder zu! 66

Herrad Schenk,Weihnachten mit Frau Schmittke 74

Katharina Greve, Der Katzenbaum 84

Ilke S. Prick, Ich, Mathilde und der ganze Rest 88

Vince Ebert, Neueste Erkenntnisse derSchnurr-Forschung 101

Volker Reiche, SMS 108

Karen Duve,Weihnachten mit Thomas Müller 135

Bärbel Reetz, Gans ohne Blümchen 145

Michaela Prinzinger, Das Weihnachtsessen 158

Barbara Bronnen, Scheidung 166

Susanne Schaber, Auf schwankendem BodenVenedig, braungrau getigert 175

Quellenverzeichnis 182

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HANNA JOHANSEN

Muss man Weihnachten feiern?

Lieber nicht, würde ich sagen.Warumnicht? Das ist einleidiges Kapitel. Am liebsten würde ichmich dazu über-haupt nicht äußern. Aber manchmal kommt man umleidige Kapitel nicht herum. Also: Unruhe, Feuer undschlechte Luft, würde ich sagen, wenn ich es kurz ma-chen müsste. Aber das wäre wohl doch zu kurz.

Versuchen wir es einmal so:

Was es wirklich bedeutet,Weihnachten zu feiern, lerntman erst mit den Jahren. Jetzt bin ich so weit, dass ichdieAlarmsignalenicht nur frühgenugerkenne, sondernauch lange genug aushalte. Es ist nicht so, dass man so-fort handeln müsste. Aber Timing will gelernt sein, be-sonders in diesem Fall. Ungewohnte Gerüche, Tannen-nadeln auf dem Fußboden, ab und zu offenes Feuer aufdem Tisch. Offenes Feuer! Wenn das kein Alarmsignalist. Bisher haben sie immer geschafft, es rechtzeitig zulöschen, bevor größeres Unheil geschehen konnte, abersein Geruch bleibt trotzdem in der Wohnung hängen.Wochenlang. Und eher einGestank als einGeruch, wennSie mich fragen.

Es hat natürlich keinen Sinn, gleich beim ersten Anzei-chendavonzulaufen.DieAnfänge sind imGrunde erträg-lich, so unangenehmeinemauch dieseDuftnoten indieNase stechen. Manmuss allerdings aufpassen in der Kü-

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che. Mama achtet in dieser Zeit nicht darauf, wo sie hin-tritt. Vor allem muss man die Nähe des Backofens mei-den, aber auch Abstand wahren zu andern Hitzequellen,die es nur zu dieser Zeit gibt. Bleche, die zumAuskühlenam Schrank lehnen, sollte man unbedingt großräumigumgehen. Aber das lernt man schnell.

Am schlimmsten bleibt die offene Flamme – ein Leicht-sinn, der gar nicht zu meiner Familie passt. Aber was indieser Zeit mit ihnen passiert, spottet sowieso jeder Be-schreibung. Soll ich es trotzdem versuchen? Lieber nicht,es würde zu lange dauern.

Also kurz, das Leben im Hause wird gefährlicher. Aberdraußen vor der Tür ist es dann meistens so ungemüt-lich, dass unsereins es sich gut überlegt. Weihnachtenkann Formen annehmen, die man seinem schlimmstenFeind nicht wünscht. UnseremHund, Sie kennen ihn ja,platsch, platsch, platsch, demmacht das alles nichts aus.Der schüttelt einem schließlich auch sein nasses Fell insGesicht.Warum? Weil er unsensibel ist, ein Hund eben.

Weihnachten muss offenbar sein. Ich habe auch nichtsdagegen. Sollen sie es doch feiern. Aber ich möchte da-mit lieber nichts zu tun haben.

Warum, frage ichmich nur, muss die Sache ausgerechnetim Winter stattfinden? Es gibt doch viel bessere Jahres-zeiten. ImSommer zumBeispielwürde es vielwenigerstö-ren. Ich könnte diese grässliche Zeit dannmühelos drau-ßen verbringen. Und man könnte auf die vielen Kerzen

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verzichten, weil es von selber warm genug wäre. Auchdie Schwierigkeitenmit dem elektrischen Licht würdennicht so ins Gewicht fallen, wennes draußenhell genugwäre. Fragen Sie mich nicht warum, aber das Licht gehtin der Vorweihnachtszeit so oft aus, dass sie es notdürf-tig durch stinkende Kerzen ersetzen müssen, weil sie alsMenschen im Dunkeln nun mal so gut wie blind sind.Dabei sind Kerzen, sowohl was die Wärme als auch wasdas Licht betrifft, eine so klägliche Notlösung, dass siemir leidtut, meine Familie. Kein Pelz und schlechte Au-gen und dann auch noch die Vorweihnachtszeit – einWunder, wie sie das aushalten. Es zehrt natürlich an ih-ren Nerven. Man merkt es an allen Ecken und Enden.Aber davon zu sprechen würde uns jetzt zu lange auf-halten.

Ungefähr vier Wochen dauert das Ganze, das lernt manmit den Jahren, und so lange muss man durchhalten.

Vergleichsweise harmlos fängt es an. Eine Kerze. Dar-über regt man sich bloß beim ersten Mal auf.Wenn esnur dabei bliebe. Aber die Sache nimmt ihren Lauf, zweiKerzen, drei Kerzen, unaufhaltsambis zumdicken Ende.Wenn es wirklich bedrohlich wird, merkt man das dar-an, dass sie nicht nur Tannenzweigehereinholen, als wä-ren sie Vögel, die ein Nest bauen wollen, sondern miteinem ganzen Baum kommen. Dann muss man gehen.Man kann noch bis zum Dunkelwerden warten, wennes allzu ungemütlich ist draußen, aber das ist dann derallerletzte Augenblick zur Flucht. Kein guter Moment,was die Jahreszeit betrifft, das brauche ich niemandem

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zu erklären, denn irgendwann in diesen vier Wochenhat es natürlich geschneit – keine schöne Sache an sich,obwohl ich als Kind immer Freude gehabt habe an denersten fröhlich herunterflatternden Schneeflocken. Aberschlimmwird dasWetter erst, wennes auf Weihnachtenzugeht und alles wieder schmilzt und sich in einen eis-kalten widerlich nassen und klebrigen Matsch verwan-delt, deroft nicht nur nass undkalt ist, sondern zu allemÜberfluss auch noch an den Füßen brennt.

Kannmir mal jemand erklären, wozu dieser Matsch gutsein soll? Oft denke ich darüber nach, warum es so wasgibt. Ich denke natürlich auch darüber nach, warum esHunde gibt, aber das ist doch eine weniger grundsätz-liche Frage. Sie lässt sich wohl mit unterschiedlichen In-teressen erklären. Aber hat irgendeine Seele auf dieserWelt ein Interesse an halbgeschmolzenem Schnee?

Ich lasse die Fragehier offen, Siehaben ja selber Verstandgenug, um sie zu beantworten.

ZumGlück gibt es trockene Plätze, auch imWinter, aberbisman sie erreichthat,mussmaneiniges ertragen.Undso warm, wie man es gern hätte, sind sie auch nicht.

Zurück zum Timing. Natürlich habe ich Jahre gebraucht,um das alles zu lernen.

Ach, als ich kleinwar, da hat mir das Fest besser gefallen.Lauter neue glitzernde Dinge in ständiger Bewegung,das gefällt einemKindnatürlich.Es gab jedeMenge Spie-

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le: Man konnte die Kugeln fangen. Man konnte hinauf-springen und ohne weiteres den Baum umwerfen, andem sie aufgehängt waren. Das war aufregend, aber ichmöchte es trotzdem nicht noch mal erleben. Ich warauch viel zu erschrocken, um es noch einmal zu versu-chen. Auf einmalwar dieHölle los. Allehabengekreischtund sind auf den umgefallenen Baum losgesprungen,als wollten sie ihm helfen. Dann wurde es schrecklichhell, und Papa stand, ehe jemand damit rechnen konn-te, mit einem Eimer Wasser da und goss ihn über denBaum. Ach du Schreck, dachte ich. Ich sage Ihnen, dasWasser spritzte durchs ganze Zimmer. Die Vorhängebrannten aber nochweiter, so dass er mit einem zweitenEimer kam.Der wurde über die Vorhänge gegossen, unddann war es für einen Augenblick ganz dunkel. Als dasDeckenlicht anging, schrien die Großen: Meine Schall-platten sindnass!MeineBücher sindnass!Mein Sowiesogeht nicht mehr. Es sah aus, als ginge so ziemlich über-haupt nichts mehr, und sie begannen sich darüber zustreiten, ob das ganze Wasser notwendig gewesen war.Die einen sagten Ja, die andern Nein.

Manchmal streiten sie sich heute noch darüber, undnicht nur dann, wenn wieder mal Weihnachten ist.

WennSiemich fragen: Ichbin immerdagegen, dassmanWasser verwendet. Ich denke, dass sich die Probleme desLebens auch ohne Wasser lösen lassen.

Nie wieder, habe ich mir damals geschworen und michjedes Mal rechtzeitig davongemacht.

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Und ausgerechnet dieses Jahr passiert es: Ich liege auf derHeizung. Sie fangenmit demMöbelrücken an, einweite-rer Vorbote des Allerschlimmsten. Ich muss eingeschla-fen sein. Ichmuss geträumt haben. Meine Ohrenmüssenallzu vertrauensselig geworden sein. Jedenfalls habensie mir nichts gemeldet. Kurz, ich habe den letzten Mo-ment verpasst.DieTüren sind zuundbleiben zu.Dasma-chen sie doch sonst nicht? He, was soll der Unsinn?

Als endlich wieder jemand die Haustür aufmacht, Papa,und schonmit demschrecklichenBaum,derkaumdurchdie Tür passt, will ich die Gelegenheit benutzen, um zuentwischen, aber da ist sie schon wieder zu, die Tür.Schreien hilft nichts. Sie lassen mich nicht raus.

Noch einmal, was soll der Unsinn?

Ich habe hier Unsinn gesagt, fürchte aber, es ist kein Un-sinn imeigentlichen Sinn. Ganz imGegenteil, sie tun esmit Absicht, und dass mir diese Absicht sinnlos vor-kommt, ändert nichts daran. Sie wollen, dass ich dabeibin, sagen sie, beim schönsten Fest des Jahres.

Ich überlege, was sich tun lässt. Den Baum noch einmalumwerfen? Ein starkes Mittel, ohne Zweifel. Aber derSchreck von damals sitzt mir noch so in den Knochen,dass ich zu zittern anfange, wenn ich nur daran denke.

Alle versammeln sich, es wird heiß, die Geräusche wer-denunangenehm, die Aufregung nimmt zu, was ich aus-gesprochen schlecht vertrage. Dass sie jede Menge Pa-

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pier auf den Teppich werfen, macht die Sache nicht bes-ser. Papier ist lustig, das gebe ich zu, es knistert und hatnichts gegen Verfolgungsjagden. Aber ich bin kein Kindmehr.Wirklich lebendige Beute ist doch eine ganz ande-re Herausforderung.

Mama rennt zwischen Küche und Stube hin und her.Und endlich bleibt die Tür offen. Nicht die nach drau-ßen, leider, aber wenigstens die in die Küche.

Aaah!, sage ich mir.

Welch köstliche, frische, von keinem Kerzenqualm ver-pestete Luft! Du kannst durchatmen, Ilsebill.

Und jetzt kommt’s. Dennwas sehe ich in der Küche? Ge-nauer: Was rieche ich? Etwas Wunderbares, das mir alldie Jahre, indenen ichdas Fest imFreienverbrachthabe,verborgen geblieben ist. Ich habe doch etwas versäumt.Ich habe ja nicht gewusst, dass zu Weihnachten nichtnur Bäume, Kerzen und ungezählte Gegenstände ohneerkennbaren Sinn aufgestellt und hingelegt oder ver-steckt werden, sondern auch ein herrlicher duftenderLachs. Das ist eine wirklich schöne Sitte, ihn einmalim Jahr nicht imKühlschrank zu verstecken, sondernof-fen auf einemTeller ausgebreitet auf den Küchentisch zustellen, während sie drinnen ihre Stimmen zu einer Artvon Gesang erheben. Nun gut, Menschen können nichtsingen, das ist bekannt, aber, das ist auch bekannt, ohneToleranz gegenüber den Schwächen des andern gibt eskeine Freundschaft. Sollen sie sich an ihrem sogenann-

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ten Gesang freuen. Ich freue mich unterdessen auf demKüchentisch.

Weihnachten feiern ist wohl doch keine so dumme Sa-che, wie ich immer dachte.

Von allem Möglichen war bis jetzt die Rede, aber nunwird es Zeit, dasswir zu einer wichtigen Sache kommen,vielleicht der wichtigstenüberhaupt, derHauptsache ge-wissermaßen. Es geht ums Essen.

Manche sagen sogar, die Liebe geht durch den Magen.Was halten Sie davon? Ich würde sagen: nicht immer.Und die Kater würden das wohl wieder ganz anders se-hen.Denen ist die Liebe so – aber redenwir nicht davon.Ich bin nicht dagegen, die Liebe hat ihre guten Seiten,und wenn es sein muss, muss es natürlich sein. Undwann es sein muss, entscheide ich. Daran gibt es nichtszu rütteln.

Aber unsereins hat dochmeistens genug anderes zu tun.Nicht nur das Jagen.Manmuss auch darauf achten, dassgenug Zeit für die Ruhepausenübrigbleibt, die vielleichtnicht dasWichtigste, wohl aber das Schönste sind imLe-ben.

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HERMIEN STELLMACHER

Alle Jahre nieder

Es dämmerte bereits, als ich das Haus verließ. Den gan-zenTagüberhatte ein SturmdunkleWolkenvor sichher-getrieben, doch nun hatte der Wind sich gelegt. Es rochnach Schnee und Kohleheizung, und am Himmel blin-zelten einzelne Sterne.Eswar schonTradition,dasswir uns amHeiligenAbend

umdiese Zeit trafen. IndenWohnungen strebte die Hek-tik ihremHöhepunkt entgegen, parallel dazu wurde dieStimmung immerschlechter.VoneinemFest der Liebekei-ne Spur.Aus der Kneipe nebenan drangen Musikfetzen. Die

Lämpchender Festbeleuchtung flackerten in grellen Far-ben. AnderWandnebendemEingang lehnten zwei Rau-cher, die sich über Weihnachten unterhielten.»Ich sag dir mal eins«, nuschelte der eine, »wenn sie

mich nur aus Pflichtgefühl beschenken, können sie esgleich behalten.« Er zog ein letztesMal an seiner Zigaret-te,warfdenglimmendenStummelaufdie Straßeund tratsie aus. »Miregal«, brummteder andere. »Ichnehme,waskommt.«So in etwa handhabte ich es auch.Vor allem, wenn es

sich um essbare Präsente handelte. Ich überließ die bei-den ihrer Diskussion und setzte meinen Weg fort.Meine Freundehocktenbereits gemütlich beisammen

auf einer großen, dicken Pappe nebendenAltpapiercon-tainern.»Dabei glaubte ich, dieses Jahr auf alles vorbereitet zu

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sein«, maulte Jonny, als ichmich zu ihnen setzte. »Aberwer rechnet damit, dass sie sämtliche Junge einladen?« Ersah aufgebracht in die Runde. »Wenn sie einzeln auftau-chen, kannman das schonmal aushalten. Aber der gan-ze Wurf auf einmal …«»Im Rudel machen sie pausenlos Lärm und wollen

spielen. Aber wehe, dir rutscht die Kralle mal aus, weilsie dich am Schwanz ziehen«, sagte Lilly. »Ich mag sieam liebsten, wenn sie ganz klein sind. Dann schreien siezwar ab und an, aber man kann es sich in ihren kleinenBettchen gemütlich machen.«»Von wegen!« Jonny machte eine wegwerfende Pfo-

tenbewegung. »Sobald sie mich da drin entdecken, flie-ge ich im hohen Bogen aus dem Zimmer.«»Wir erwarten zwar keine Störenfriede, aber bei uns

wurde auf-ge-räumt …« Kralle betonte jede einzelne Sil-be, als würde sie von einer Krankheit sprechen, die einenBesuch beim Tierarzt unvermeidbar machte. »Das gan-ze Altpapier samt Schlafschachtel wurde entsorgt. Nurweil so ein alter Onkel für eine Nacht kommt.« Sie sahmich von der Seite an. »Und Fritz? Wie ist die Lage beidir?«Ich dachte andie Streitereien,mit denender Tag ange-

fangen hatte. Meine Zweibeiner, Kurt und Ellen, wie siesichnannten, hattenmich vonder Bettdecke gescheucht,bevor ich mich auch nur ansatzweise zusammenrollenkonnte. Beim Frühstück hatten siemir nichtmal ein Fit-zelchen Schinken gegeben, und als ich ein Nickerchenmachen wollte, zogen sie den Staubsauger durch dieWohnung, stellten alles Mögliche umund fauchten sichan wie schlechtgelaunte Fremdkatzen.

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Ich mochte meine Zweibeiner sehr. Wirklich. Dochkaum hatten sie so einen Deko-Kratzbaum gekauft, wardie sorgsameErziehung, die ich ihnenüber Jahrehinweghatte angedeihen lassen, wie weggeblasen. Auch diesesJahr wünschte ichmir, sie in einer Pension für Problem-personal abgeben zu können, bis der ganze Spuk vor-über war.»Die Stimmung könnte besser sein«, sagte ich. »Aber

der Besucherandrang hält sich in Grenzen. Sie habennur einen alten Freund eingeladen, einen gewissen Ach-Herrje.« Jedenfalls sprachen sie am Telefon so mit ihm:Ach-Herrje. Ich freue mich schon, dich nach all den Jahrenwiederzusehen.»Ich überlege mir gerade, ob ich den heutigen Abend

mit einer Maus-Einlage auflockere«, sagte Lilly. »Diesekomische Tante ist wieder da. Wenn ich dran denke,wie sie letztes Jahr kreischend in den Baum gesprungenund mit dem ganzen Gestrüpp zwischen den Geschen-ken am Boden gelandet ist …« Sie kicherte.»Aber danach haben sie dir die leckeren Häppchen ge-

strichen«, erinnerte sie Jonny. »Du warst noch tagelangschlecht gelaunt.«»Auchwieder wahr«, sagte Lilly. »Dannvielleicht doch

lieber etwas Harmloseres. Schließlich sind Häppchendas einzige,wofür diese Tage gut sind.« Sie leckte sich be-sonnen die Schnauze.Bei der Erwähnung der Leckereien kammir eine Idee.

»Wie wäre es, wenn wir dieses Jahr ein eigenes Fest mitBüfett organisieren? Gleich hier.« Unser Treffpunkt warheute richtig wohnlich, weil einige Zweibeiner sich nichtdie Mühe gemacht hatten, die größeren Kartons zu zer-

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schneiden, sondern sie einfach neben die Container ab-gestellt hatten.»Und wie stellst du dir das vor? Mal schnell bei Fein-

kost-Schultz eine Bestellung durch die Tür maunzenund dann auf die Lieferung warten?« Jonny sah michan, als hätte ich einen gemeinsamen Ausflug auf demStaubsauger vorgeschlagen. »Dieser Köterfreund ver-schließt neuerdings sogar seine Mülltonnen.«Ich schüttelte den Kopf. »Ichmeine, dass jeder von zu

Hause etwas mitgehen lassen könnte und wir uns dieBeute hier teilen.«»Die Idee ist gar nicht dumm«,meldete sichLilly nach

kurzem Schweigen. »Bei uns gibt es heute Lachs. Dakann ich leicht ein Stück abzweigen.«»Na siehste«, sagte ich. »Bei uns gibt es sicherlich auch

was Feines.« Schließlich kamdieser Ach-Herrje zu Besuch.»Wie wäre es mit Fondue-Fleisch? Meine Zweibeiner

schneidenes immererst ganz zumSchluss.Wenn ihr ver-steht, was ich meine …« Jonny grinste hinterhältig.Nur Kralle stierte auf den Parkplatz, als wäre dort eine

Rattenparty im Gange. Ich stupste sie an. »Und? Wasgibt es bei euch heute Abend?«»Nichts«, sagte sie.»Wie?Machendeine Zweibeiner anWeihnachtenDiät,

obwohl ihr Besuch bekommt?« Lilly konnte es nicht fas-sen.»Seit einiger Zeit essen sie vegan.«»Ve-was?« Meine Menschen kochten oft und gern,

aber diesesGericht warmir nochnicht untergekommen.»Vegan«, wiederholte Kralle. »Da kommt nichts von

Tieren in den Napf.«

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