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WAS SIND DIE AUFGABEN EINER ZUKUNFTSWEISENDEN STADTENTWICKLUNG?

DIE STADT DER ZUKUNFT –GIBT ES DIE IDEALE STADT?

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Inhalt Vorwort 05

Thematische Zusammenfassung

der Dialogveranstaltung von plan A 06 – 07

Interview Eike Becker 08 – 13

Interview Daniel Niggli 14 – 19

Interview Christoph Lammerhuber 20 – 25

Interview Peter Tzeschlock 26 – 34

Impressum und Bildnachweise 42

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SEHR GEEHRTE LESER!Nachdem die 1. Grohe Dialogveranstaltung „Die Stadt der Zukunft – Gibt es dieideale Stadt?“ mit den drei vortragenden Architekten Sergei Tchoban (npstchoban voss Architektur und Städtebau) aus Berlin, Matthias Sauerbruch(Sauerbruch Hutton Architekten) aus Berlin, Piet Eckert (E2A Architekten) ausZürich und dem Stadtbaudirektor Wiens, Thomas Madreiter, im DeutschenArchitekturmuseum in Frankfurt a.M. im März 2015 auf derart großes Interesse

stieß (300 Teilnehmer), haben wir uns entschieden, die Veranstaltung zu dem gleichen Thema imKunstmuseum in Stuttgart im Oktober 2015 nochmals zu organisieren; allerdings mit Eike Becker(Eike Becker_Architekten) aus Berlin, Christoph Lammerhuber (pool Architektur) aus Wien und DanielNiggli (EM2N Architekten) aus Zürich in neuer Besetzung der Protagonisten.

Erneut weckte das Thema, wie sich unsere Städte zukünftig entwickeln werden bzw. sollten, dasInteresse der Gästeschaft (280 Teilnehmer). Mit einer thematischen Zusammenfassung haben wirdie Stimmung der Veranstaltung „eingefangen“ und das Gesagte möglichst authentischwiedergegeben. Des Weiteren haben wir mit unseren drei Protagonisten Interviews geführt, die ihrepersönliche Einstellung zu der Stadt der Zukunft widerspiegeln und die wir in dieser Broschüreveröffentlichen.

Architekten sind Teil eines interdisziplinären urbanen Gestaltungsprozesses. Um den Blickwinkel aufdie „Stadt der Zukunft“ zu erweitern, geben wir Ihnen zudem einen Einblick, wie derVorstandsvorsitzende von Drees & Sommer, Peter Tzeschlock, über die Stadt der Zukunft denkt.Drees & Sommer positioniert sich als eins der führenden Beratungs- und Planungsgesellschaften inder nationalen und internationalen Immobilienwirtschaft.

Wir danken allen Gesprächspartnern für die Dialoge und hoffen, dass diese auf Ihr Interesse stoßen.

Mit herzlichen Grüßen

Sabine GotthardtDirector Business DevelopmentArchitecture & Real Estate Central EuropeGrohe Deutschland Vertriebs GmbH

Beide thematischen Zusammenfassungen „Die Stadt der Zukunft – Gibt es die ideale Stadt?” -sowohl die der Veranstaltung im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt a.M. als auch der im Kunstmuseum Stuttgart – können Sie unter: www.grohe.de herunterladen.

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Es ist eine aufwühlende Zeit kurz vor Weihnachten 2015.Nach den Anschlägen in Paris, Terrorwarnstufe vier in Brüssel,einem abgesagten Fußballspiel in Hannover kann man dieNervosität spüren, wird deutlich, wie verwundbar unserewestliche Gesellschaft, unsere Städte sind. Gleichzeitig strö-men täglich tausende Flüchtlinge nach Europa, eine Entwick-lung, die sich lange abgezeichnet hat, uns jetzt dennochscheinbar unvorbereitet und mit voller Wucht trifft. Die Politikversucht der Überhitzung des Wohnungsmarktes in den gro-ßen Ballungszentren entgegenzusteuern. Doch wie viel Inno-vationsdruck besteht für private Projektentwickler, wenn ihnendie Zwei-, Drei- oder Vier-Raum-Wohnungen aus der Handgerissen werden? Die Frage „Wie wollen, wie können wir inZukunft wohnen?“ wird allerorten diskutiert. Aus größererPerspektive geht es um die Frage nach der Stadt der Zukunft.Wie sollte sie aussehen? Was sind die größten Herausforde-rungen? Zum zweiten Mal in diesem Jahr widmete sich eineVeranstaltung von Grohe diesem Thema. Ende Oktober, kurzvor Paris, im Kunstmuseum in Stuttgart. Auf dem Podiumdrei verschiedene Städte, drei Perspektiven: der ArchitektEike Becker aus Berlin, aus Zürich Daniel Niggli, Büro EM2N,sowie Christoph Lammerhuber, pool Architektur, Wien. DieModeration hatte Sabine Gotthardt, Leiterin Business Deve-lopment bei Grohe, die den Abend auch initiierte.

Das Schönste und das Hässlichste, das Beste und dasSchlechteste

Für Eike Becker sind Städte „das Schönste und das Häss-lichste, das Beste und das Schlechteste, das der Mensch jeerfunden hat“1. Zwei große Themen sind für seine eigeneArbeit essentiell: Wie können Nachbarschaften neu gedachtwerden? Wie kann allen die Teilhabe am urbanen Leben er-möglicht werden? Wenn immer mehr Menschen in die Städteziehen, bedeutet das, dass die Wohnungen kleiner werden.Doch bedingt das automatisch weniger Wohnqualität? Wound wie entsteht gutes, qualitätvolles Leben für viele in derStadt? Was können wir aus der Wohnung auslagern und ge-meinschaftlich nutzen? Wie entstehen durchmischte Quar-tiere für verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Bedürf-nissen? Und was passiert mit den Dörfern? KönnenHochhäuser als vertikale Dörfer gedacht werden?

Diese Fragen, die Becker umtreiben, spiegeln sich auch inseinen Projekten wider. Etwa in der Planung für „Zair“, einneues Quartier südöstlich des Stadtzentrums von Zagreb,Kroatien, dessen sieben differenzierte Bauten auf gut 10.000

Quadratmetern Hotel, Büros, Wohnungen und Läden ver-binden, Mischung und Dichte. Oder bei der Konversion einesBürohochhauses in Berlin in einen Wohnturm mit kleinenApartments und einer Sockelzone mit Gemeinschaftsräumenzum Kochen, Treffen, Wäschewaschen. Räume des Über-gangs, neue soziale Räume.

Hochhäuser bekommen für Becker mit dem Wachstum derStädte eine neue Relevanz. Dass ihre Anzahl in Deutschlandmit nur knapp 80 Gebäuden von mindestens 100 MeternHöhe – 31 davon stehen in Frankfurt am Main – sehr über-schaubar ausfällt, überrascht ihn nicht. Deutschland ist eineKonsensbildungsgesellschaft und die Vorteile gegenüberHochhäusern sind lang: dunkle Straßen, Fallwinde, die Hie-rarchisierung „ihr da oben, wir da unten“ etc. Neue Typolo-gien müssen entwickelt werden jenseits der Tristesse seelen-loser Schlafstädte der 1960er-Jahre oder von Hochhäusernals purer Ausdruck männlicher Eitelkeiten. Der Burj Khalifagilt mit seinen 828 Metern und 189 Etagen seit 2008 als dashöchste Gebäude der Welt. Doch ist das heute noch ange-messen, wenn allein 50 Prozent der Fläche für Erschließungund Infrastruktur benötigt werden?

More than scrambled eggs

Die Frage nach der Stadt ist für Daniel Niggli eine Frage nachder Perspektive. Die Schweiz wächst durch Zuwanderungum 100.000 Personen pro Jahr. Dennoch ist in Zürich dieVorstellung von Stadt immer noch an dem kleinen histori-schen Stadtzentrum orientiert. „Little Big City“. Auch wenndieser Slogan von Stadt, Kanton und Zürich Tourismus längstdurch „Zürich – World Class. Swiss Made.“ abgelöst wurde.Doch worum geht es in Zürich wirklich?

„The city as an egg.“ Die berühmte Analogie von CedricPrice differenziert zwischen „boiled egg“, „fried egg“ und„scrambled egg“ – antike Stadt, Industrialisierung, Moderne.Die moderne Stadt ist also ein Rührei, ohne klare Struktur.Zürich hingegen ist längst über den Status „scrambled egg“hinaus. Zürich ist polyzentrisch. Um die Stadt herum sindviele Gemeinden ungeplant gewachsen. Ungeplant, weil dieSchweiz föderalistisch ist. Es gibt keine oberste Behörde, diesagt, wie geplant werden soll. Die Frage nach der Zukunftder Stadt ist für Niggli daher keine Frage der Kernstadt, son-dern der Agglomeration. Wie kann aus einer Agglomerationeine „gute“ Stadt werden? Vor diesem Hintergrund hat dieArchitektengruppe „Krokodil“ die Zürcher Agglomeration

JENSEITS DES RÜHREIS ODER PERSPEKTIVENFÜR DIE STADT DER ZUKUNFT.EIN DISKUSSIONSABEND VON GROHE IM KUNSTMUSEUM IN STUTTGART.

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Glatttal untersucht. An diesem Beispiel der fortwährendenZersiedlung wollten sie die Potentiale einer konsequentenUrbanisierung aufzeigen. Die Emanzipation der Agglomera-tion gelingt demnach nur durch eine klare Definition vonLandschafts- und Siedlungsgebiet, das Einführen von stabilenGrenzen, Differenz, Heterogenität, Stadt mit unterschiedlichenMaßstäben. Nachzulesen in „Glatt! Manifest für eine Stadtim Werden“2. Wieso nun Krokodil? Benannt hat sich dieserZusammenschluss Zürcher Architektenkollegen, unter ande-rem Daniel Niggli, Mathias Müller, Roger Boltshauser, nacheinem Restaurant an der Zürcher Langstrasse.

Von der Theorie zur Praxis: In den 1970er-Jahren war dieToni-Molkerei in Zürich-West die modernste und größte inganz Europa. In den letzten Jahren ist in diesem Industrie-viertel ein neues Stück Stadt entstanden. Das Toni-Areal istseit Herbst 2014 Hochschul-Campus. Hier befinden sich dieZürcher Hochschule der Künste, vorher auf 39 Standorte ver-teilt, sowie Teile der Zürcher Hochschule für AngewandteWissenschaften. EM2N war für diesen Umbau verantwortlich.Die größte Herausforderung war für das Büro, das wahnsin-nige Raumprogramm zu integrieren. Weniger eine architek-tonische denn eine städtebauliche Aufgabe. EM2N entwi-ckelten eine Art inneren Urbanismus für das Gebäude. Alleinaufgrund seiner bloßen Größe musste dieses Haus der Stadtetwas zurückgeben. Das Toni-Areal wurde als offene Strukturgedacht. Von allen Seiten führen Wege in das Haus hinein,zentral ist die riesige ehemalige LKW-Rampe, die als öffent-licher Stadtraum und vertikaler Kulturboulevard interpretiertwurde. Auch die inneren Haupterschließungsbereiche sindöffentliche Räume. Eine Abfolge von Hallen, Plätzen, Luft-räumen und kaskadenartigen Treppen, verbunden mit Berei-chen für Ausstellungen, Veranstaltungen, Restaurants, Cafés,Läden etc., verortet die unterschiedlichen Nutzungen wieHäuser in einer Stadt.

Dort wird nur gewohnt

„Ich brauche kein Café im Erdgeschoss. Das regt das ersteObergeschoss auf.“ Dieses Zitat stammt nicht von ChristophLammerhuber selbst, sondern von seinem Untersuchungs-gegenstand. Lammerhuber von pool Architektur aus Wienlieferte den Gegenentwurf zur pluralistischen, dichten, durch-mischten Stadt von Eike Becker. Bei ihm wird einfach nurgewohnt. Er stellte an diesem Abend Auszüge aus seiner aktuellen Forschungsarbeit vor, die Weiterentwicklung dertransdanubischen Plattenbausiedung in Wien aus den 1960er-Jahren.

Anlass dieses Forschungsprojektes ist das 50-Jahr-Jubiläumdes Wohnbauprogramms der Stadt Wien. Während die Bau-ten der Gründerzeit inzwischen saniert und als das Nonplus-ultra der Urbanität gelten, wird, zum Teil aus ideologischenGründen, viel Kritik an den Stadtrandsiedlungen derNachkriegs moderne geübt. Schlafstädte, langweilig, seelen-los. Wien hat ca. 220.000 Wohnungen in seinem Besitz, ca.100.000 davon stammen aus den 1960er- und 1970er- Jahren. Sie bilden ein wichtiges Gegengewicht zum freien

Wohnungsmarkt. Ziel ist also auch die Verbesserung desRufs dieser Siedlungen, die nach einem Planungskonzeptdes Architekten und Stadtplaners Roland Rainer in einem da-mals neuen Montagebauverfahren entstanden sind. Es gingum die Verbesserung der Wohnverhältnisse der breitenMasse. Die Bedingungen in den Gründerzeitvierteln warenschlecht. Als Ideal galt die gegliederte, aufgelockerte Stadt.Um die Gründerzeitviertel sanieren zu können, wurden dieSiedlungen am Stadtrand und eingebettet in großzügige Park-anlagen geplant. Genauso wichtig wie Wohnbauprogrammewar das Möbelprogramm, Kredite für Möbel für Arbeiter inden Siedlungen, die gesamthafte Verbesserung der Lebens-welt von vielen.

Die von Christoph Lammerhuber und Manfred Schenekl 2014kuratierte Ausstellung „Guten Morgen Stadt!“ kokettiert mitihrer Verunglimpfung als reine Schlafstädte, zeigt die Sied-lungen als demokratisches, sozialpolitisches Projekt. Gleich-zeitig schlagen sie im Rahmen ihres Forschungsprojektessensibel Nachbesserungen vor, Fahrradstellplätze oder neueGemeinschaftsräume, Räume für Kultur und Freizeit. Das pri-cesche „scrambled egg“ und seine Weiterentwicklung, wennauch auf ganz andere Art und Weise als in Zürich. Es gehtnicht um die eine, richtige Lösung für die Stadt der Zukunft,das wurde an diesem Abend deutlich, sondern um das sobehutsame wie bestimmte Weiterdenken des Vorhandenen.

1 Vergleiche die Website von Eike Becker_Architekten http://www.eikebeckerarchitekten.com/profil/was-uns-antreibt.html

2 Glatt! Manifest für eine Stadt im Werden, herausgegeben von Sascha Roesler, Park Books, 2012

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Eike Becker studierte Architektur in Aachen, Paris und Stuttgart. Von 1997–1999 arbeitete er bei NormanFoster Associates und Richard Rogers Partnership. Anschließend gründete er zusammen mit drei Partnerndas Büro Becker Gewers Kühn & Kühn Architekten in Berlin. Von 1999–2015 war er Vorstandsvorsitzenderder KW Institute for Contemporary Art. Seit Dezember 1999 leitet Eike Becker gemeinsam mit Helge Schmidtdas Büro Eike Becker_Architekten in Berlin. Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rangunter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa.

EIKE BECKEREIKE BECKER_ARCHITEKTEN

„ARCHITEKTEN SIND IN SO EINER ENTSCHEIDENDEN POSITION, ABER SIE MISCHEN SICH ZU WENIG EIN!“

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Seit 2008 wird unter den Plänen von Norman Foster inAbu Dhabi Masdar City gebaut, deren Ziel lautet: keinKohlendioxid, kein Abfall, keine Autos. Sieht so dieZukunft unserer „idealen Städte“ aus?

Oh je, die ideale Stadt gibt es nicht. Und wenn es sie gäbe,wäre sie keine Retortenstadt in der Wüste. Großartige Städtesind superferente Städte: vielfältig, widersprüchlich, aufre-gend, inspirierend, roh und kultiviert zugleich, reich an Ge-schichten und mit lebendiger Gegenwart. Und sie haben in-klusive Institutionen. Mit einer pluralistisch konstituiertenVerfassung, innovativen Unternehmen, brillanter Architektur,kluger Stadtplanung, vielen kreativen Menschen, Toleranzund Rechtsstaatlichkeit, öffentlichen Plätzen für Flaneure,Passanten und Demonstranten. Eine großartige Stadt ist dasErgebnis von Milliarden und Milliarden mehr oder wenigerabgestimmten Entscheidungen von sehr, sehr vielen unter-schiedlichen Menschen. Und sie ist bald sogar auch CO2-neutral. Von all dem ist Masdar in der Trockenheit noch mei-lenweit entfernt. Aber der Anfang ist gemacht.

Was sind für Sie die wichtigsten Indikatoren für dienachhaltige Lebensqualität einer Stadt?

Prof. Klaus Humpert hat einmal gesagt: „Wenn die Städte inOrdnung sind, ist auch die Gesellschaft in Ordnung.“ Daskann man auch umdrehen: Wenn die Gesellschaft in Ordnungist, dann werden auch die Städte über kurz oder lang in Ord-nung sein. Stadt und Gesellschaft sind miteinander verwoben.Städte sind Abbilder ihrer Gesellschaften. Deutschland hat inden letzten beiden Jahrzehnten eine Phase großer Verände-rungen, ja Visionen erlebt. Die Reformen der letzten Jahrezeigen, dass diese Gesellschaft mit ihren inklusiven Institu-tionen, ihrer Offenheit und ihrem Mut auch zu größeren Pro-jekten fähig ist. Heute wissen wir so viel mehr über erfolg -reiche Städte und ihre Planung als noch in den 60er- und70er-Jahren. Auch wenn zunächst einfach ein Dach überdem Kopf gebraucht wird, es geht darüber hinaus um Ortefür die inklusive Gesellschaft. Um Plätze, die offen sind fürunterschiedliche Gruppen und Teilhabe ermöglichen. Es gehtum eine gesellschaftliche Vision, um die durchmischte, pluralistische, offene Gesellschaft. Es geht um die Grundlageund Konstituierung unserer Zivilisation in den Zeiten der großen Völkerwanderungen.

Berlin ist ein Beispiel für stetiges Einwohnerwachstum!

Langsam wächst die Erkenntnis, dass sich gerade die Spiel-regeln geändert haben und eine neue Epoche begonnen hat.Unsere Städte wandeln sich unter den ungläubig staunendenBlicken innerhalb weniger Jahre von kränkelnden undschrumpfenden Gebilden einer alternden Welt zu attraktivenWeltstars. Kaum zu glauben, aber bis 2008 war Berlin eineschrumpfende Stadt, noch 2009 war das Zu- und Abwande-rungssaldo für die Bundesrepublik negativ. Im GroßraumTokio leben schon heute fast 38 Millionen Menschen. Schwervorstellbar: halb Deutschland in einer einzigen Stadt. DieseMegacity ist 12 Mal so groß wie Berlin oder fast 60 Mal so

groß wie Frankfurt. Im Zuge der Urbanisierung werden nach„World Urbanization Prospects: The 2014 Revision“ viele Me-gastädte bis zum Jahr 2030 weiter deutlich wachsen: derBallungsraum Delhi von heute 25 auf etwa 36 Millionen Ein-wohner, der Shanghais von derzeit 23 auf 30 Millionen.

Wir in Deutschland haben keine Megacitys, unsereStädte sind recht bodenständig und bürgernah. Trotzdembesteht auch bei uns in Städten wie Berlin, München,Hamburg usw. Handlungsbedarf. Bezahlbarer Wohnraumist überall rar. Welche Schritte erachten Sie für die Um-gestaltung dieser A-Standorte in Deutschland für diewichtigsten?

Auch die Städte in Deutschland wachsen: Immer mehr Men-schen wollen in den Metropolregionen leben. Wie aus einerStudie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln hervorgeht,können Großstädte ab 500.000 Einwohnern mit deutlichemZuzug rechnen. Besonders stark soll die Bevölkerung imGroßraum München wachsen, und zwar um 24 Prozent auf3,3 Millionen im Jahr 2030. Berlin und Potsdam können zu-sammen mit einem Bevölkerungszuwachs von 15 Prozentrechnen und kommen auf über 4 Millionen Einwohner. Dassind gerade im Vergleich mit den internationalen Riesen vor-sichtige Vorhersagen. Aber wie kann städtisches Wachstumnachhaltig, nachbarschaftlich, durchmischt, integrativ, sozialverträglich, kostenangemessen, kurzfristig und auf der Höhedes aktuellen Kenntnisstandes bewältigt werden? Natürlichwerden die extrem hohen Ansprüche derzeit krass unter -laufen. Trotzdem muss gehandelt werden. Umgehend, prag-matisch, kenntnisreich, selbstbewusst. Die Ziele sind klar:dichter, schneller, zum Teil günstiger, nachhaltiger und klügerbauen. Auch wenn die neuen Kommunikationsmöglichkeitenviel daran verändern, wie wir zusammenfinden: Der Menschist für den Menschen die größte Faszination. Deshalb stelltsich heute die Frage: Wie können wir als Planer Menschenzusammenbringen? Wie können wir Begegnungen durch Ar-chitektur erleichtern? Es geht darum, Schwellen abzubauen,Hindernisse zu beseitigen, Räume zu schaffen, in denen zu-fällige Begegnungen erleichtert und aus Passanten Nachbarnwerden. Denn nur wer zusammenfindet, kann auch gemein-sam stark sein. Zurzeit beschäftigen wir uns mit zwei Kon-versionsprojekten, eines in Offenbach, das andere in Berlin.Ehemalige Bürohochhäuser bzw. -standorte, die zu Wohn-zwecken umgenutzt werden. In den oberen Etagen sind möb-lierte kleine Wohnungen mit 1,5 bis 3 Zimmern vorgesehen.Im großen Sockel dieser Hochhäuser planen wir einen zeit-genössischen Marktplatz, eine Kommunikationszone, in dersich Privatheit und Öffentlichkeit begegnen. Die Räume sindeine Mischung aus Platz und Wohnzimmer für die Nachbar-schaft, offen für das Quartier und für die Teilhabe. In diegroße marktartige Halle sind einzelne Räume eingestellt wieConcierge, Bibliothek, Kino, Wintergarten, Sonnenterrasse,Kaminzimmer, Küche für gemeinsames Kochen, ein Restau-rant, Café, Arbeitsräume und ein Waschsalon. Eine neueForm von Platz, auf dem ganz unterschiedliche Menschenzusammenkommen, zum miteinander Sprechen und zumBeobachten. Ein zeitgenössischer Raum des Sozialen, eine

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Bühne, die individuell bespielt und genutzt werden kann, einWohnzimmer zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen,ein Raum des Übergangs, viel Platz, der der ganzen Nach-barschaft gehört. Eine Mischung aus Hotellobby, Jugend-herberge, Schloss, Marktplatz und Favela. Eine Mischungaus innen und außen, privat und öffentlich.

Ist die Gesellschaft schon bereit für diese Art Wohnge-meinschaften? Müssen das die Menschen nicht ersteinmal lernen?

Ein Projektentwickler von einem großen Wohnungsbauerfragte mich kürzlich, welche Innovationen er hausintern über-haupt durchbringen kann, wenn ihnen jede noch so konven-tionelle Wohnung in München aus den Händen gerissenwird. Never change a winning horse ...Doch die Wohnbedürfnisse vieler Menschen haben sichschon längst verändert. Jetzt muss das Angebot diesemneuen Bedarf entsprechen. Kleinstwohnungen, Shared Livingin Form von Wohngemeinschaften, genossenschaftlichesWohnen und Mehrgenerationenwohnen werden deutlich anBedeutung gewinnen. Genau genommen geht es um nichtsweniger als die Neubestimmung von dem, wie gelebt, gewohnt, gefahren und gearbeitet wird: Wohnen-2-go.

Albert Speer äußerte neulich in einem Interview, dass inDeutschland nach wie vor viel zu viel gebaut wird.Gleichzeitig wird zunehmend Bestand abgerissen, hierin Berlin speziell auch Bauten von Architekturlegendenwie Oswald M. Ungers oder Gottfried Böhm. Dem Abrissvon Mietwohnungen folgt dann oft der Bau von Luxus-wohnungen. Hier in Berlin wird schon von einem Ver-schwinden der 80er-Jahre-Bauten aus dem städtebauli-chen Gedächtnis gesprochen. Wie beurteilen Sie diePraxis?

Ungefähr zehn Prozent der Bausubstanz in Berlin steht unterDenkmalschutz, also jedes zehnte Haus. Bevor ein Haus ab-gerissen wird, wird noch mal intensiv geprüft. Das wird mitt-lerweile in Deutschland sehr sorgfältig gemacht. Nur wenntatsäch liche Verbesserungen für viele erkennbar sind, wirdneugebaut.

Stimmen Sie Albert Speer zu, dass in Deutschland nachwie vor viel zu viel gebaut wird?

Es erscheint mir schlüssig, Bausubstanz immer wieder an dieveränderten gesellschaftlichen Bedürfnisse anzupassen. Letzt-lich geht es nicht um die Frage, ob viel oder wenig gebautwird, sondern ob wir das langfristig Richtige tun. Durch diederzeitig hohe Finanzkraft, die in unsere Städte fließt, bietetsich die Chance, unsere Städte an die Bedürfnisse der immermobiler verbundenen Gesellschaft anzupassen. Wir leben insuperferenten Zeiten, in denen Entscheidungsprozesse voneiner heterogenen, pluralistischen Gesellschaft getroffen werden.

Die Diskussion um Wohnhochhäuser ist wieder voll imGang, Berlin ist natürlich prädestiniert dafür. Was wirddie Hochhäuser der Gegenwart und Zukunft von denender 60er- und 70er-Jahre unterscheiden?

Ja, mit dem Wachstum kehrt auch die Idee der Wohnhoch-häuser in die deutschen Innenstädte zurück. Aber mit denseelenlosen Wohnmaschinen der Schlafstädte aus den 60er-/70er-Jahren haben diese neuen vertikalen Dörfer kaum etwasgemein. Wir sprechen hier von Hochhäusern einer neuenGeneration. Häuser für eine städtisch differenzierte Gesell-schaft mit neuen Bedürfnissen und veränderten Lebenssi-tuationen. Sie entstehen mitten in der Stadt, verkehrsgünstigerschlossen, städtebaulich sorgfältig in ihre Nachbarschafteingebunden und architektonisch anspruchsvoll geplant. Sie

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Z-zwo, Erweiterung Hauptverwaltung, ED. Züblin AG, Stuttgart

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erhalten sinnvollerweise einen Sockel, der öffentlichen Nut-zungen Platz bietet und vor Fallwinden schützt.Je höher die Ausnutzung des Grund und Bodens, desto ge-ringer kann der Kostendruck sein und desto größer ist derRaum für Alternativen. Für Nutzungen, die Menschen zu-sammenbringen, Gemeinschaft fördern und Nachbarschafterzeugen. Der Concierge als Organisator und Helfer für dasganze Quartier, der Waschsalon auch als Café, eine Küchezum Kochen mit Freunden, ein Fahrradwerkstattrestaurant,Gemüsegärten mit angeschlossener Fischzucht auf demDach. Alles sind attraktive Nachbarn, die die Lebensqualitätder Bewohner und ihren Zusammenhalt fördern. So kehrtdie durchmischte Stadt mit ihrem urbanen, dichten Lebenwieder zurück in die Zentren. Warum soll das nicht gehen?

Laut dem dänischen Stadtplaner Jan Gehl dokumentierenHochhäuser die Faulheit des Architekten auf die Fragenach Dichte. Sie bauen auch Hochhäuser, empfindenSie sich als faul?

Das Argument der großen Verdichtung ist nicht allein ent-scheidend für den Bau von freistehenden Hochhäusern.Große Dichte ist mit den blockartigen Strukturen des 19.Jahrhunderts sogar energieeffizienter und kostengünstigerzu erreichen. Wie so häufig bietet die Kombination unter-schiedlicher Systeme eine verbesserte Lösung. Es ist die Ver-bindung von Sockel und bis zu 30-geschossigem Hochhaus,von geschlossenem, definiertem Straßen- und Platzraum undder fließenden, offenen Raumstruktur darüber, die an be-stimmten Stellen in der Stadt eine Lösung sein kann. Hierkommen die Stärken der Moderne mit denen der gewachse-nen Stadt zusammen. Es entstehen klar definierte, urbaneStadträume mit Läden, Cafés, Restaurants und weiterer In-frastruktur im Erdgeschoss. Warum nicht auch Sportvereinen,Musikclubs oder Bürgerinitiativen die erdgeschossnahen Flächen günstig zur Verfügung stellen? Hochhäuser mögennicht die einzige Lösung sein, aber sie sind ein Werkzeug inder Werkzeugkiste unserer Stadtplanung. Jan Gehl stärkt dieFußgängerstadt, die sich jetzt als Modell und Erkenntnis im-mer mehr durchsetzt. Wenn man die Städte für den Fahrrad-und Fußgängerverkehr weiter öffnet und Autoverkehr redu-ziert, erhöht sich die Lebensqualität der Stadt. Da stimmeich Gehl ohne Einschränkung zu.

Warum übertragen wir nicht das Kopenhagener Modellauf deutsche Städte? Diese Stadt positioniert sich heuteals Fahrradhauptstadt und eine der lebenswertestenStädte weltweit?

Natürlich sind nahezu alle deutschen Stadtplaner in Kopen-hagen gewesen, viele sind beeinflusst von Jan Gehls Ideen.Auch ich bin begeistert von dem, was er rausgefunden hat,und weiß, dass seine Ansätze an vielen Stellen auf der Welt,auch in Berlin, Anwendung finden. Wir sind Stück für Stückdabei, die Städte radfahrertauglicher zu machen. Leider sehrviel zu langsam.

Welche deutsche Stadt hat für Sie die beste Ausgangs-position auf dem Weg zu einer menschlicheren Stadt?

Berlin ist die Stadt mit der geringsten sozialen Verholzung.Die Berliner Gesellschaft ist deutlich integrativer. In Berlinsehe ich zurzeit das größte Potential.

Zumindest nach dem Mauerfall, vorher war es ja eherbegrenzt.

Berlin hat sich aus einer verstümmelten, abgeschlagenen Si-tuation heraus kontinuierlich und bescheiden entwickelt. Tat-sächlich ist die Stadt international ein armer Winzling. Sie istin Wirklichkeit ein Dorf in der Mark Brandenburg. Aber vieleinteressieren sich hier für Kreativität, für innovative und neueLösungen und engagieren sich für eine offene, inklusive Kul-tur. Viele wollen eine gute Stadtgesellschaft zustande bekom-men. Ich mag diese Stadt gerade in ihrer unbeholfenen, suchenden, bescheidenen Form und wohne gerade deshalbsehr gerne hier.

Apropos Wohnen im Alter, wie bereiten Sie sich persönlichdarauf vor? Sind Sie überzeugt von Sharing-Modellenoder einer Alters-WG oder Ähnlichem?

Tatsächlich habe ich vor kurzem einige Altenheime, pardon„Seniorenresidenzen“, angeschaut. Für 2,6 Mio. Pflegebe-dürftige gibt es angeblich 13.000 Pflegeeinrichtungen inDeutschland. Die allermeisten draußen am Stadtrand, mitviel Abstandsgrün drum herum. Die Alten unter sich. Aufbe-wahrungsstätten, teuer für den Einzelnen und die Gesell-schaft, aber billig und ohne Ambition zusammengebaut. Einsschlechter als das andere. Es stinkt nach Urin, Reinigungs-mitteln und Essensresten. Dort finden sich in der Regel nurWillenlose und Bettlägerige, die sich kurz vor knapp einliefernlassen. Alles in Allem eine Schande für die Gesellschaft. EineHölle der Ignoranz, Gedankenfaulheit und des Zynismus.Auch hier könnte die Idee von der solidarischen, urbanen,durchmischten Gesellschaft weiterhelfen. Neue Formen desZusammenlebens werden zurzeit verstärkt ausprobiert: Mehr-generationenwohnen, Alten-WGs, Cohousing, Seniorenge-nossenschaften oder Wohnen für Hilfe sind nur einige Bei-spiele. Durchmischtes nachbarschaftliches Wohnen lässtMenschen leichter zusammenfinden und gemeinschaftlichleben.

Wohnungsbauinitiativen der städtischen Wohnbauge-sellschaften und Initiativen wie beispielsweise die SIWAlösen einen unglaublichen Druck aus, in relativ kurzerZeit viele Wohnungen in Berlin zu bauen und öffentlicheGebäude zu sanieren. Gefährdet diese Entwicklung mög-licherweise die Qualität?

Architekten sollten sich viel stärker in die gesellschaftlichenBelange und in die Planungsprozesse einmischen. Das Ganzekann viel effektiver angegangen werden. Diese 50er- bzw.60er-Jahre-Einstellung wie „Wir müssen, müssen, müssen… Masse, Masse, Masse schaffen“ reicht heute nicht aus.

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Wir können auf sehr unterschiedlichen Ebenen erfolgreichsein. Mit der Errichtung von Straßen, Plätzen und Häusernsollten wir uns aber nicht zufriedengeben. Ich spreche vonNachbarschaften. Nachbarschaften bauen. Dabei stehen dieDörfer für eine Art Urvorstellung, Gemeinschaft, Ruhe, Inti-mität, Nachbarschaftlichkeit, Natur, eine Welt, die noch inOrdnung ist, Kinderparadies, Generationensolidarität und Ein-fachheit. Was wäre, wenn wir Hochhäuser oder ganze Quar-tiere als Dörfer betrachten würden, mit eigenem Marktplatz,Gaststätte und vielem, was sonst ein Dorf bietet? Was wäre,wenn wir durch die Stadtgesellschaft mutierte Dörfer errichtenwürden? Großstädtische Dörfer, die Gemeinschaft bietenohne provinzielle Enge. Neue Dörfer mitten in der Stadt, be-wusst geformte Nachbarschaften, die aus Institutionen, Grup-pen und Einzelpersonen zusammengesetzt sind, die den an-deren etwas geben und sich integrativ verhalten? Stadtplanermeinen auch mit schlechter Architektur gute Städte und guteQuartiere bauen zu können. Eine Vorstellung, die mich immerganz nervös werden lässt. Wir brauchen an dieser Stelle grö-ßere Ambitionen und wir brauchen eine soziale Utopie, dieNachbarschaften neu denkt, die sich nicht damit begnügt,Häuser, Straßen und Plätze zu bauen, sondern die Gesellschaftbaut, indem sie Menschen zusammenbringt. Eine Wohnungs-baugesellschaft, die ganz schnell einmal 500 Wohnungenfertig stellen möchte, egal wie, denkt da zu kurz.

Im Rahmen der Urban-Living-Diskussion in Berlin indiesem Jahr wurden Zahlen benannt, die mich erstaunenließen: Berlin benötige in den kommenden Jahren jährlichmindestens 10.000 neue Wohnungen. Es wurde auchvon Massenwohnungsbau gesprochen. Das klingt un-menschlich!

Berlin hat in diesem Jahr 2015 100.000 Einwohner mehr be-kommen. Wie soll das bewältigt werden, ohne wesentlicheErkenntnisse über Bord zu werfen? Das weiß heute tatsäch-lich noch keiner! Ein wundervolles Beispiel für Inklusivität istdas Lloyd Hotel in Amsterdam. Das hat ein Ein-Sterne-, Drei,Vier-, Fünf-Sternezimmer. Im Erdgeschoss im Speisesaal bzw.Restaurant kommen alle zusammen. Das ist viel lustiger fürdie 5-Sterne-Gäste auch die 1-Sterne-Leute zu treffen. Solcheine integrative Gesellschaft ist für mich ein überzeugendesKonzept, genauso wie durchmischtes Wohnen in gemischtenQuartieren. Das gilt es umzusetzen.

Braucht die Stadt der Zukunft Ihrer Meinung nach mehrBürgerbeteiligung?

Wie sich unsere Städte weiterentwickeln, welcher Wille sichin baulicher Substanz manifestiert, geht viele an. Lange vorbeisind die Zeiten, in denen Grundstücksbesitzer und Bürger-meister allein entscheiden konnten. Denn die Stadt gehörtallen. Deshalb ist es für den langfristigen Erfolg entscheidend,dass sich unterschiedliche Gruppen engagieren und ausrei-chend Gelegenheit haben, sich einzubringen. Darum mussNeues immer wieder neu verhandelt werden. Offene, inklu-sive Gesellschaften gehen diesen Prozess aktiv an.

Für manche Ihrer Kollegen sind Bürgerbeteiligungeneine ganz grauenhafte Vorstellung, während Albert Speersich sehr für fachlich begleitete Bürgerbeteiligung ein-setzt.

Es ist offensichtlich, dass sich diese gesellschaftliche Dynamiknoch nicht ausreichend im politischen System wiederfindet.Wer kann nicht davon berichten, dass Lagerdenken und To-talopposition wesentliche Entscheidungen verzögert oderverhindert haben. Fast alles geht zum Verzagen langsam.Denn wenn nicht alle an Bord sind, verlässt das Schiff denHafen nicht. Doch nur der, der sich auf die wachsende Dy-namik und den deutlich erhöhten Abstimmungsbedarf ein-lässt und ihn zur Qualifizierung seines Vorhabens nutzt, kannin den diversifizierten Stadtgesellschaften erfolgreich sein.

Sehen Sie im offenen Planungswettbewerb Potentialefür eine höhere Baukultur?

Ganz offensichtlich sind es viele Architekten, die einen großenTeil ihrer Arbeitskraft, Lebensenergie und Finanzen mit un-glaublichem Idealismus in diese Art von Verfahren stecken.So viel Enthusiasmus, Hingabe und Hoffnung, die in derRegel enttäuscht wird. Es sind die Architekten, die die Haupt-last an der qualitätvollen Entwicklung unserer Städte tragen.Denn durch diese Verfahren werden unsere urbanen Zentrentatsächlich besser. Darauf sind viele in Deutschland stolz.Auch zu Recht. Aber unter unsinnig hohem Einsatz der Ar-chitekten und zu einem gigantischen Preis! Das in Deutsch-land praktizierte Wettbewerbswesen ist total ineffizient, nichtnachhaltig und brutal teuer für die Architekturbüros. DieseHaltung führt zur Selbstausbeutung des Berufsstandes. DieLast wird immer größer, denn die Anforderungen sind in denletzten Jahren enorm gestiegen. Der Aufwand für den Erhaltund die Entwicklung unserer Innenstädte kann nicht mehrallein von den Architekten getragen werden. Deutschland iststolz auf seine Wettbewerbskultur. Doch diese ist durch dieEntwicklungen der letzten Jahre zu einer Ausbeutungskulturmutiert. Wie bei „Deutschland sucht den Superstar“, aber dieKandidaten bezahlen die Sendung.

Herr Prof. Volker Staab spricht sogar von Glück. Weilniemand innerhalb von zwei Tagen 200 Entwürfe bewertenkann.

Ich habe es die teuerste Tombola der Welt genannt. Dasdeutsche Wettbewerbswesen ist ein Glücksspiel mit vielenTeilnehmern, die sehr teure Lose ziehen, und am Ende ge-winnen immer die anderen. Rein objektiv beste Lösungengibt es in der Regel für eine Aufgabe nicht. Je nach Vorliebedes Baudezernenten schlägt das Pendel ziemlich unvorher-sehbar für die Teilnehmer in die eine oder andere Richtungaus. Wie bei einer Tombola! Und die wird in der Regel kom-pliziert organisiert: Zunächst werden aufwändige, möglichstnichtssagende Ausschreibungen von Spezialisten erstellt.Aber die Beurteilungskriterien der Vorprüfung sind Schall undRauch, wenn die Jury zusammenkommt. Zwischenpräsen-tationen, bei denen die Juroren zumeist nicht anwesend sind

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und die Rückfragen von anderen beantwortet werden, ver-wirren nur und sollten nicht allzu ernst genommen werden.Die Juroren lesen die Ausschreibungen häufig nicht und ge-hen unvorbereitet in die Sitzungen, sind aber ja superklugund unglaublich Superman/Wonderwoman-schnell! Der Bau-herr ist in der ungewohnten Situation einer Jurysitzung häufigden Profis taktisch und sprachlich unterlegen. Die tatsächli-chen Beurteilungskriterien werden während der Jurysitzungspontan erarbeitet. Die Juryarchitekten diskutieren zwar wort-gewaltig wie ein Tiger, wollen es sich aber nicht mit denMächtigen verderben und stimmen am Ende lammfrommfür den Favoriten des Baudezernenten. Die Architekten be-mühen sich so intensiv um die Qualität unserer Städte undleisten diesbezüglich einen riesigen Beitrag. Für den archi-tektonischen Mehrwert, der geschaffen wird, sollten Inves-toren auch zahlen.

Viele Ihrer Kollegen orientieren sich heute schon eindeutigin Richtung Projektentwicklung, weil sie sagen, siewollen nicht warten, sondern selber aktiv mitbestim-men.

Ich kann jeden ermutigen, seine beruflichen Rollenzuschrei-bungen zu überprüfen und zu hinterfragen, wie heute hierBauen organisiert und strukturiert ist, und sich einzumischen.Größere Schritte hin zu besserem Bauen und zu besserenQuartieren sind aber nur im Zusammenwirken aller Beteiligtenzu schaffen. Die einzelnen am Bau Beteiligten müssen stärkerund frühzeitiger zusammenarbeiten und ihr jeweiliges Fach-wissen vorbehaltlos einander zur Verfügung stellen. WelcheSeefahrernation traut sich auf hohe See ohne Marineakade-mie? Welche Bergbaunation kilometertief unter die Erde ohneBergakademie? Welche wehrhafte Demokratie hat keine Mi-litärakademie? Es stellt sich die Frage, wie sich die Demokratieals Bauherr so ertüchtigen kann, dass sie ihren beim Bauentscheidenden Funktionen mit der erforderlichen Kompetenz

und Durchsetzungsfähigkeit nach innen und außen gerechtwerden kann. Auch Bauherrenaufgaben müssen von dafürausgebildeten, eigenen Führungskräften ausgefüllt werden.Die akademische Ausbildung dafür gibt es noch nicht. Packenwir das Thema bei den Wurzeln und gründen die dazugehö-rige Akademie! Die Akademie für demokratisches Bauen.Die wird dann auch in die verholzte Immobilienwirtschaftund in die Politik hineinwirken und tatsächlich einen Struk-tur- und Kulturwandel herbeiführen.

Wie sehen unsere Städte Ihrer Vorstellung nach in 20Jahren aus?

Ich bin kein Hellseher, aber das Energiethema werden wirvermutlich schon ziemlich weit verändert haben. Mobilitätwird vollkommen anders aussehen, wir werden das Gewichtviel stärker auf Fußgänger und Fahrradfahrer legen. Die Städtewerden durchmischter und viel verdichteter sein, als sie esheute sind. Die Gesellschaft wird differenzierter sein. Aberinsgesamt werden wir auf dem Weg zu einer integrativenGesellschaft deutlich weiter sein. Emanzipation wird aucheine große Rolle spielen, die Gesellschaft dann hoffentlichein stückweit femininer sein.

Welche Stadt ist Ihre Lieblingsstadt und weshalb?

Berlin, weil es eine offene Stadt ist, eine Stadt voller neugie-riger Ankömmlinge und mit einer unglaublichen Lebensqua-lität. Und eine Stadt im Werden. Und wer kann schon ohneHoffnung sein?

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yoo berlin (Am Zirkus), Wohn-, Büro- und Hotelbau, Berlin

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Daniel Niggli, 1970 in Olten in der Schweiz geboren, studierte Architektur an der ETH Zürich. Gemeinsam mitMathias Müller gründete er 1997 das Büro EM2N Architekten AG, das heute 70 Mitarbeitende mit Bau- undWettbewerbsprojekten im In- und Ausland beschäftigt. Zu ihren bedeutenden, kürzlich realisierten Projektengehören das Toni-Areal und „Im Viadukt“ – die Umnutzung der Viaduktbögen – in Zürich sowie das KeystoneBürogebäude in Prag. Nebst diversen Auszeichnungen erhielten Mathias Müller und Daniel Niggli den „SwissArt Award“ in Architektur. Sie waren Gastprofessoren an der EPF Lausanne (2005) und an der ETH Zürich(2009–2011). Daniel Niggli war Mitglied der Baukollegien in Berlin (2008–2012) und Zürich (2010–2014).

DANIEL NIGGLIEM2N ARCHITEKTEN AG

„DIE FRAGE NACH EINER AUSGEWOGENENSOZIALEN BALANCE IN DER STADT WIRDUNS BESCHÄFTIGEN MÜSSEN.“

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Mit 27 Jahren – und damit sehr jung – haben Sie sichmit Mathias Müller als Architekt selbstständig gemacht.Was hat Ihnen damals den Glauben verliehen, erfolgreichzu sein?

Der Erfolg war nicht unser vordergründiges Motiv. Der Antriebwar letztendlich, selber entscheiden zu können und nichtvon Entscheidungen anderer abhängig zu sein. Die Rahmen-bedingungen in der Schweiz sind für junge Architekten nichtschlecht. In der Zeit, als wir das Büro gründeten, gab es zu-dem einen Wandel im öffentlichen Submissionswesen. Dashat uns sehr geholfen, wir konnten relativ schnell offeneWettbewerbe gewinnen.

Aber dafür braucht man mit so jungen Jahren eine ge-wisse Portion Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen.

Ja klar, es war ja auch ein Risiko. Wenn es nicht geklappthätte, hätte ich mich zum Beispiel anstellen lassen können.Das ist ja das Schöne, als Architekt haben wir viele Optionen …

Wie lange bestehen Sie jetzt?

Seit Ende 1997, also circa 18 Jahre. 2018 werden wir unser20-Jahr-Jubiläum feiern.

Hat sich Ihre Auffassung von bzw. Ihre Haltung zu Architektur in den 18 Jahren verändert?

Ja, es haben sich Dinge verändert. Schon allein dadurch be-gründet, dass wir bereits seit einigen Jahren auf Projekte zu-rückschauen können, die wir gebaut haben. Jetzt könnenwir selbstkritisch beurteilen, was wir gut oder weniger gutfinden und welche Ideen und Konzepte tragfähig für weitereProjekte sind. Bei gewissen Projekten haben wir Fehler ge-macht, die wir heute so nicht wiederholen würden. Das wirdauch anderen Kollegen so ergehen, man baut sich im Laufeder Zeit eben einen gewissen Erfahrungsschatz auf.

Das ergeht ja allen Menschen so! Aus Erfahrung wirdman klug.

Ja. Aber bei Architektur ist es eine Grundbedingung, dasssie so stark mit dem Menschen und dem Lauf der Zeit ver-knüpft ist. Es ist tatsächlich keine autonome Kunstform. Ar-chitektur ist eine unglaublich stark im Leben verankerte Dis-ziplin. Wir bauen für die Menschen und nicht nur für unsselber.

Auf Ihrer Internetseite schreiben Sie, dass Ihre Architek-tur nicht kaltlassen sollte. Man sollte Ihre Architekturlieben oder hassen, sie könnte ruhig polarisieren. Ist dasIhr Anspruch, den Sie an Architektur haben? Dass Ar-chitektur grundsätzlich nicht gleichgültig lassen soll?

Ja, ich denke schon. Wir haben den Anspruch, dass wirArchi tektur machen und nicht einfach nur bauen wollen. Mit

dieser Haltung kann man durchaus schon anecken. Wir fin-den es interessant, wenn unsere Bauten Emotionen wecken,auch wenn diese negativ sind. Wir sind an einem Feedbackinteressiert und gehen nicht davon aus, dass das, was wirtun, von allen für gut befunden wird. Weil wir eben Stellungbeziehen. Wir sind keine Architekten mit einer ausgeprägtenSehnsucht nach wohltemperierter Gefälligkeit. Unsere Archi-tektur ist nicht gefällig! Das Statement auf der Internetseiteist ein relativ frühes Statement unseres Büros, ein eigentlichesHaltungsstatement. Natürlich könnten wir es heute andersformulieren, aber im Grunde genommen stehe ich immernoch dazu, dass Architektur über ein gutes Maß an Eigen-ständigkeit und Radikalität verfügen muss. Es gibt genug Ge-bautes, was ich als „nullachtfünfzehn“ bezeichnen würde.

Diejenigen, die den Widerstand leisten, sind das Leute,die Ihr Werk nicht verstehen?

Nein, das ist es nicht. Heute ist es ja sowieso so, dass wir ineiner Gesellschaft leben, in der alles sofort und ungefiltertkommentiert wird. Schauen Sie sich einmal Spiegel Onlineoder die sonstige Tagespresse an: Was die Leute da alles soschreiben, ist oft beängstigend. Ich kann gut damit leben,wenn Leute etwas nicht gut finden, beispielsweise eine Fas-sade oder was auch immer. Diese permanente Sofort-alles-kommentier-Mentalität interessiert mich aber nicht. Wir habenein Grundvertrauen in das, was wir tun, sehen uns dabeiaber überhaupt nicht als Avantgarde.

Als was positionieren Sie sich dann?

Wir sehen uns als ein Büro, das gute Architektur macht. Wirsehen uns aber nicht als ein Büro, das auf Teufel komm rausdie Grenzen sprengen und quasi alles auf den Kopf stellenmuss. Wir sind sehr stark im Leben verankert und damit anden vielfältigen Entwicklungen interessiert, die auf die Archi-tektur einwirken, um wiederum damit zu arbeiten. Aber nichtum das Neue quasi per se zu propagieren, sondern immeraus einer kritischen Haltung zum Bestehenden heraus, diedas, was bereits da ist, mit einbezieht. Wobei das keine Kritikan der Avantgarde sein soll, diese braucht es auch. Mit denneuen Medien oder grundsätzlich mit der umfassenden Me-diatisierung der Welt hat sie nur so einen unglaublich über-bewerteten Stellenwert bekommen.

Mussten Sie sich mit dieser Haltung schon des Öfterengegen die Vorgaben Ihrer Bauherren auflehnen?

Ja, das kam natürlich schon vor. Aber wir akquirieren fast 90Prozent unseres Auftragsbestandes über Wettbewerbe. Dasheißt, wir lernen die Bauherren in der Regel erst nach demWettbewerb kennen. Da steht das architektonische Projektschon im Vordergrund. Es gibt auch bei uns Wettbewerbe,bei denen wir bewusst gegen bestimmte Rahmenbedingun-gen verstoßen haben. Die Verrechtlichung des Wettbewerbs-wesens, das heißt die Gefahr, ausgeschlossen zu werden,hat in den letzten Jahren allerdings deutlich zugenommen.Sobald ein Projekt bei uns dann konkret auf dem Tisch liegt,

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gibt es natürlich intensive Diskussionen mit der Bauherrschaft.Ich betrachte das aber nicht als etwas Negatives, sonderneher als einen Diskurs, der zwingend stattfinden muss.

Welche Bauherren haben Sie?

Wir haben vorwiegend Schweizer Bauherren. Weil wir einklassisches Wettbewerbsbüro sind, ist das oft die öffentlicheHand. Das heißt natürlich auch, dass wir entsprechend keineFolgeaufträge erwarten und damit auch keine Stammbau-herrschaften aufbauen können. Für die Stadt Zürich bauenwir derzeitig ein Sportzentrum, das aus einem eingeladenenWettbewerbsverfahren heraus entstanden ist. Wir bauen auchfür den Bund oder aber private Bauträger, Genossenschaften,Banken, Unternehmen. In München arbeiten wir im Momentan einem Projekt mit der Bayerischen Hausbau auf dem Pau-laner-Areal, das derzeit aber in einem politischen Planfestset-zungsprozess steckt. Wir haben aber auch schon in Chinaoder in Prag gebaut.

Was war Ihr letzter Wettbewerbsgewinn?

Der letzte Wettbewerbsgewinn ist das Naturhistorische Mu-seum und Staatsarchiv in Basel, den wir jetzt gerade vor einpaar Wochen gewonnen haben. Das Projekt wird uns biscirca 2021 beschäftigen. Da gibt es einiges zu tun. Das Staats-archiv hat über die Jahre fast 17 Kilometer Laufmeter anAkten zusammengetragen und die Sammlung des Museumsumfasst acht Millionen Artefakte, die archiviert und ausgestelltwerden wollen.

Architektur und Städtebau sollten immer im Kontext ver-standen werden. Dennoch ist jeder architektonische Ent-wurf ein eigenständiges ästhetisches Produkt, welchessich in die städtebaulichen Struktur und Ordnung einfü-gen muss. Worin besteht hierin für Sie die besondereHerausforderung?

Für uns besteht die besondere Herausforderung darin, dasswir die Stadt als primäres Element betrachten. Im Vergleichzum einzelnen Haus hat sie eine ganz andere Lebens- undZeitperspektive. Bei jedem Projekt müssen wir uns als Archi-tekten immer wieder an der Stadt abarbeiten und uns bewusstsein, dass unsere Häuser eines Tages mit großer Wahrschein-lichkeit wieder verschwinden oder aber einer Umnutzungunterworfen werden. Die Stadt wird dann aber immer nochda sein. Wir sind ein Büro, das sich sehr stark mit der Stadtidentifiziert und mit jedem Projekt daran weiterbauen möchte.Und die Stadt als prädominanter Lebensraum hat massiv zu-genommen. Die Frage nach der Zukunft der Stadt ist deshalbextrem virulent, weil sich die Verstädterungsprozesse weltweitunglaublich beschleunigen. Uns interessiert deshalb auchweniger die traditionelle Kernstadt, sondern wie die Stadtsich an ihren Rändern weiter entwickeln wird.

Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Was wäre IhreWunschvorstellung?

Ich stelle mir vor, dass die Stadt der Zukunft weiterhin einproduktiver Katalysator für die unzähligen komplexen Dingesein wird, die unser Leben bestimmen. Dass die Stadt nicht

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Naturhistorisches Museum Basel und Staatsarchiv Basel-Stadt

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zu einem reinen Finanzkonstrukt mutiert und nach dem öko-nomischen Ausschlussprinzip agiert, sondern dass sie überdie Qualitäten zur Synthese von Widersprüchen verfügt. Dasssie Dinge zusammenbringen kann, die irgendwie nicht zu-sammenpassen, als eine Art Durchmischungsmaschine. DieTendenzen heute sind ja andere, die Stadt wird immer exklu-siver, einheitlicher und damit auch langweiliger. Nach derStadtflucht der 70er-Jahre ist das Zentrum wieder attraktivgeworden und hat sich zu einem begehrten Produkt entwi-ckelt, das sehr stark auf der finanziellen Ebene verhandeltwird. Uns muss es gelingen, die Stadt so zu denken, dass sieauch auf der sozialen Ebene funktioniert. Nur ist das natürlichnicht so einfach für uns als Architekten, wir sind in der Nah-rungskette ja eher „end of the pipe“. Als Umsetzungsemp-fänger sind wir oft nicht an den wirklich entscheidenden, oftökonomisch und politisch geprägten Prozessen beteiligt. Na-türlich dürfen wir unsere kritischen Kommentare in Form desarchitektonischen Projekts abgeben, aber schlussendlich ent-scheiden nicht wir, was wo und warum gebaut wird.

Ist das von Ihnen umgestaltete Toni-Areal in Zürich eingutes Beispiel für Ihr Stadtverständnis?

Ja, ich denke schon. Aber die positive Ausgangslage wurdenatürlich auch hier nicht durch uns geschaffen. Wir wareneinfach froh, dass es für diese riesige Liegenschaft kein pri-vates, sondern ein zu großen Teilen öffentliches Programmgab. Die wichtigste städtebauliche Entscheidung wurde durchdie intelligente Programmierung des Hauses früh vorwegge-nommen. Dass eine Kunsthochschule und weitere öffentliche

Programme hineinkommen, hat natürlich den Stellenwertdes Projektes für die Stadt massiv erhöht. Wenn dort Büro-oder Kommerzflächen entstanden wären, hätte das einenvöllig anderen Impuls für die Stadt bedeutet. Im Wettbewerbmussten wir dann eine sehr spezifische Lösung finden, umdieses spezielle Haus in seiner eher rauen Umgebung mitdem Programm zu verheiraten.

Sie haben auch die Bahn-Viaduktbögen in Zürich zu einer500 Meter langen Einkaufszeile umgestaltet.

Das Bahn-Viadukt war ein Wettbewerb, den wir für die Stadtgemacht haben. Es gab damals noch keinen Bauträger. Eswar schnell klar, dass es kein Bauträger sein kann, der aufmaximalen Renditen besteht. Letztlich kam dann die Stiftungfür preiswerten Wohn- und Gewerberaum (PWG) zum Zug,die ursprünglich von der Stadt gegründet wurde. Es handeltsich dabei um eine politisch alimentierte Stiftung, die keinenGewinn erwirtschaften muss und dadurch ganz andere Miet-zinskonditionen anbieten kann.

An welchen Stadtentwicklungen arbeiten Sie zurzeit?

Vor zwei Wochen wurde im Zellweger-Luwa-Areal in Uster – fürdas wir den städtebaulichen Masterplan erarbeitet haben –ein drittes Haus eröffnet, in diesem Fall von Herzog & de Meuron.Es handelt sich hier um ein ehemaliges Industrieareal, bei dem wirüber die präzise Festlegung der öffentlichen Freiräume, überdie Erschließung und über gewisse morphologische Vorgabendie städtebaulichen Leitplanken definiert haben.

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Toni-Areal, Ansicht Förrlibuckstrasse, Zürich

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Vor welchen zu lösenden Aufgaben steht Zürich, um fürdie Zukunft gerüstet zu sein?

Die Frage nach einer ausgewogenen sozialen Balance in derStadt wird uns beschäftigen müssen. Städte sind per Defini-tion Organismen, die ständigen Erneuerungszyklen unter-worfen sind. Aber es führt immer wieder zu Problemen, wennsich diese Prozesse zu stark in eine bestimmte Richtung ent-wickeln. Zum Beispiel wenn sich nur noch Reiche und Gut-verdienende die Stadt leisten können. Zürich gehörte vor 20oder 30 Jahren zu den sogenannten AAA-Städten: Arme, Arbeitslose und Alte. Heute beobachten wir das genaue Ge-genteil. Da sieht man, wie dynamisch solche Veränderungs-prozesse ablaufen. Zürich sollte jedoch eine lebenswerteStadt für viele und nicht für wenige bleiben. Ich denke, dasssich diese Frage im Moment in fast jeder Stadt in Europaverschärft stellt. In London führt das dazu, dass Polizistenoder Krankenschwestern drei bis vier Stunden hineinpendelnmüssen, damit sie im Zentrum ihrer Arbeit nachgehen unddie Stadt am Leben erhalten können. Das ist eine sehr unge-sunde Entwicklung. Diese Fragen spiegeln sich auch im span-nungsvollen Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie derStädte wider. Wir beschäftigen uns intensiv mit der Proble-matik der Zersiedlung beziehungsweise Ausdehnung derStadt, denn die Ressource Boden ist endlich. Die Wohnflä-chenanteile pro Person steigen bei uns noch immer an. Ver-bunden mit der neuen Attraktivität der Städte, verändertenWohnformen, Zuwanderung usw., erzeugt das einen un-glaublichen Flächendruck auf die Stadt und damit auch aufihre Ränder und den angrenzenden Landschaftsraum. DieKernstadt von Zürich ist ja relativ klein, heute hat sie knappüber 400.000 Einwohner. Um 1960 herum waren es 450.000Einwohner. Das heißt, es haben damals massiv mehr Men-schen auf deutlich weniger Fläche gelebt. Es fand dann eindoppelter Expansionsprozess statt: heraus aus der Stadt indie wachsenden Vororte des Mittelstandes plus eine massiveErhöhung der individuellen Wohnfläche. Wenn wir heute voninnerer Verdichtung sprechen, um beispielsweise den Natur-und Landschaftsraum zu schützen oder um zusätzlichenWohnraum zu schaffen, tangieren wir damit sehr individuelleAnsprüche wie die nach der maximalen Wohnfläche, der Be-zahlbarkeit von Wohnungen, einer ausgewogenen sozialenDurchmischung usw. Aber der Wunsch nach einer gutenBalance besteht natürlich nicht nur für das Thema des Woh-nens. Uns interessiert auch, was man in der Stadt der Zukunftüberhaupt noch machen darf. Die Frage nach der Vereinbar-keit von Arbeit, Produktion, Wohnen und Freizeit also. Nachden räumlichen Möglichkeiten fürs produzierende Gewerbe,Freiräumen für Experimente, den Nischen für die Subkulturusw. Das ist ein Thema, das uns schon lange interessiert unddas wir mit dem Begriff der „Stadtfabrik“ umschreiben. Indieser Vorstellung von Stadt sollen möglichst viele Dinge si-multan passieren können. Man soll in der Stadt arbeiten, for-schen, produzieren, wohnen, sich erholen und vergnügenkönnen. Dabei sind die Wege kurz und die Toleranzgrenzengrundsätzlich hoch. Wenn beispielsweise der Schreiner inseiner Werkstatt mitten im Quartier arbeitet, ist das trotz Lärmein Gewinn für das Stadtleben. Bislang ist es ja so, dass alles,

was stört, an die Ränder ausgelagert wurde. Das ist aber ir-gendwann nicht mehr möglich oder führt zu einer programm-atischen Verarmung der Städte. Die Bereitschaft zur Toleranzmuss sich proportional mit der Nachverdichtung entwickeln.Zu oft erfolgt diese Bereitschaft sonst nur nach dem Motto:Verdichten ist gut, solange es nicht vor meiner eigenen Haus-tür stattfindet.

Es gibt weltweit Studien, die aufzeigen, dass der Mobi-litätsbedarf einer Stadt mit einem Bruchteil der heutegenutzten Fahrzeuge bewältigt werden kann. WelcheMobilitätskonzepte sind Ihrer Meinung nach noch erfor-derlich?

Da kann ich nur spekulieren. Ich würde mir generell wün-schen, wenn man primär zuerst einmal die Wege bzw. dieMobilität minimieren könnte. Das tönt naiv, ich weiß. Aberdas unterstützt die Idee der Proximität von Arbeiten, Wohnenund Freizeit. Daneben sind sicherlich alternative Mobilitäts-konzepte zu fördern. Ich glaube, das Potential von Elektro-fahrrädern ist für Radien bis zu 10–15 km mit entsprechendenInfrastrukturen ziemlich groß. Auch die Entwicklung der fah-rerlosen Mobilität, beispielsweise des Google-Cars, interessiertuns natürlich. Wie können wir mit viel weniger Fahrzeugeneine effizientere und platzsparende Mobilität ermöglichen?Die Vorstellung, dass es eine Art von individuellem öffentli-chem Verkehr geben könnte, ist faszinierend. Grundsätzlichgilt: Jedes Auto weniger in der Stadt ist ein Gewinn für dieStadt. Es ist pervers, dass ein derart großer Anteil der Flächedes öffentlichen Raumes einer Stadt dem individuellen Auto-verkehr zukommt, der vielleicht zehn Prozent der gesamtenMobilität erbringt. Natürlich braucht es für eine autoarmeStadt ein absolut perfektes öffentliches Verkehrssystem, in-klusive einer optimalen Feinverteilung. Aber grundsätzlichkann ich mir eine Stadt der Zukunft ohne eine radikale Ver-änderung der Mobilitätskonzepte nicht vorstellen.

Das Thema Nachverdichtung in den Städten ist omni-präsent. Was ist im Rahmen dieser Diskussion Ihre Ein-stellung zu Hochhäusern?

Die Frage ist ja, wofür man das Hochhaus braucht. Als Typo-logie für die Lösung des generellen Wohnproblems oder alssinnvolles Nachverdichtungsinstrument? Bei Wohnhochhäu-sern gilt grundsätzlich: Je höher das Haus, desto mehr gehtdas Verhältnis zum und die Aktivierung des öffentlichenRaums verloren. Die klassische europäische Stadt mit ihrenBlockrandtypologien hat sehr gute Dichten von 2,0 bis 3,0oder mehr erreicht. Es gibt wenig städtische Bauformen, diediese Dichte in Kombination mit angemessenen öffentlichenRäumen bieten können. Nur besteht die moderne Stadt vonheute eben nicht nur aus Blockrandstrukturen, und deshalbwäre es für mich auch im Umkehrschluss falsch zu sagen,wir überziehen jetzt alles mit Blockrändern. Hier kommt dasHochhaus als eine mögliche Nachverdichtungstypologie insSpiel. Beim Nachverdichten wird es immer auch darum ge-hen, interessante Zeitschichten, räumliche Bruchstellen undMaßstabsdifferenzen zu erhalten oder gar zu akzentuieren,

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gewachsene Qualitäten zu bewahren und nicht alles immerkomplett neu zu überformen. Natürlich ist das Hochhaus da-rüber hinaus immer noch sehr ideologisch besetzt. In Zürichbeispielsweise ist das Hochhaus zurzeit baurechtlich keinVerdichtungsinstrument, da ich damit nicht mehr Ausnutzunggenerieren darf als mit der Regelbauweise. Das Hochhauserhält dadurch eine andere städtebauliche Bedeutung. Kannich damit mehr öffentliche Freifläche bei gleicher Dichteschaffen? Oder kann man es als sinnvollen städtebaulichenAkzent einsetzen? In Bezug auf die Attraktivität des öffentli-chen Raumes steht für mich das Wohnhochhaus jedochnicht als dominante Bauform im Vordergrund.

Als Architekt stehen Sie unter einem immer stärker wer-denden Zeit- und Kostendruck. Leiden Sie darunter?Oder konnten Sie sich bisher gut anpassen?

Nein, es ist nicht nur angenehm. Aber ich kann Ihnen sagen,dass es mit der öffentlichen Hand hier im Moment nochrecht gut läuft, weil immer noch ein hohes Qualitätsbewusst-sein vorhanden ist. Klar, auch die öffentliche Hand steht politisch unter Druck. Wir bauen ja auch viel für Genossen-schaften bzw. haben für sie gebaut. Da ist das Qualitätsbe-wusstsein generell hoch, da für sie das Bauen eine langfristigeInvestition darstellt und sie keine Rendite erwirtschaften müs-sen. Sie haben primär die Aufgabe, für ihre Mitglieder eineanständige Wohnung zu einem fairen Preis bereitzustellen. Schwieriger wird es tatsächlich dort, wo das Bauen Teil derglobalen Finanzindustrie geworden ist. Das heißt beispiels-weise, dass wir mit einem Developer für einen nicht bekann-ten Investor oder einen anonymen Investitionsfonds planen,und da ist das langfristige Denken nicht mehr so stark aus-geprägt. Es gibt manchmal auch keine eigentlichen Bauherrenmehr, sondern nur noch „Bauherrenvertreter“. Das sind oftschwierige Projekte, weil man da sehr viele architektonischeKompromisse eingehen muss. Das kann bis zu dem Punktgehen, wo wir uns zurückziehen müssen. Zum jetzigen Zeit-punkt ist das Bauen paradoxerweise eine der wenigen Anla-geformen, die noch Rendite abwerfen. Die SchweizerischeNationalbank hat aufgrund der Eurokrise Negativzinsen ein-geführt und man kann sich lebhaft vorstellen, wie der Druckauf die Anlageprodukte zunimmt, die überhaupt noch eineansprechende Rendite abwerfen. Man darf gespannt sein,was passiert, wenn die Zinsen wieder steigen – das kannsehr unschön werden. Ich persönlich wäre nicht unglücklich,wenn sich die bauliche Dynamik etwas normalisieren würde.

Was sagen Sie zum aktuellen Zustrom der Flüchtlinge?

Wir sind davon momentan noch etwas weniger betroffen alsDeutschland. Die Schweiz hat in den letzten Jahren ja durch-aus sehr hohe Einwanderungsbewegungen erlebt. Allerdingsaufgrund einer positiven Wirtschaftsentwicklung, die vorallem zu einer Zuwanderung von hochqualifizierten Menschengeführt hat. Nicht zuletzt aus Deutschland. Die Deutschenfühlen sich offenbar wohl hier – auch bei uns im Büro – undwollen gar nicht mehr zurück nach Deutschland.

Was das Flüchtlingsproblem betrifft: Wenn ich mir Syrienanschaue und sehe, wie viele Menschen die Türkei, Jordanienoder der Libanon aufgenommen haben, dann sollte das wohl -habende Europa das im Prinzip auch verkraften können. Indiesen Ländern existieren Flüchtlingslager mit bis zu 200.000Flüchtlingen! Das ist unglaublich. Bei den Menschen aus Syrien stehen unsere humanitären Verpflichtungen im Vor-dergrund. Angesichts von Zuständen wie in Aleppo halte iches für zynisch, in diesem Fall von Wirtschaftsflüchtlingen zusprechen. Das sind Menschen, die unter ganz widrigen Be-dingungen überleben. Der Flüchtlingsstrom stellt natürlichnicht nur Länder, Kommunen und Städte vor große Heraus-forderungen, sondern tatsächlich die Europäische Union alspolitisches Konstrukt. Im Moment haben wir meines Erach-tens jedoch eine Verpflichtung zu helfen. Wenn Europa dieMenschen nicht aufnehmen will oder kann, dann muss lokalgeholfen werden – mit Schutzzonen, Auffanginfrastrukturenaller Art und massiver finanzieller Unterstützung. Einfacheund schnelle Lösungen wird es wahrscheinlich nicht geben...

Haben Sie eine Lieblingsstadt?

Ich habe viele Lieblingsstädte. Es ist schön, dass es trotzaller Globalisierungstendenzen immer noch so viele unter-schiedliche Städte gibt. Ich liebe Tokio, für mich ist das wirk-lich eine faszinierende Stadt, die unglaublich kreativ mit Brü-chen umgeht, weil sie kein geschlossenes, sondern einoffenes System darstellt. Ich mag Barcelona, eine tolle undsehr lebendige Stadt. Ich mag Rom mit seiner allgegenwärtigenGeschichte und deren parallelen Zeitschichten. Ich mag Berlinund seine Großzügigkeit. Ich mag London mit seinen Brüchenund der Vielfalt von eigentlichen Städten in der Stadt. Inte-ressanterweise bevorzuge ich Städte, die eher chaotisch sind.Vielleicht mit Ausnahme von Barcelona. Oder auch Zürich,das zu den Städten mit der höchsten Lebensqualität zählt.

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Umnutzung Viaduktbögen, Zürich

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Christoph Lammerhuber wurde 1966 in Linz geboren. Er studierte Architektur an der Technischen Universitätin Wien. 1998 gründete er gemeinsam mit Axel Linemayr, Evelyn Rudnicki und Florian Wallnöfer die pool Architektur ZT GmbH in Wien. Das Büro forscht seitdem an zahlreichen Arbeiten zum Thema Stadt und Stadt-entwicklung. Christoph Lammerhuber hat Lehraufträge an der Technischen Universität Wien – Institut fürStädtebau, sowie an der Technischen Universität Graz – Institut für Wohnbau.

CHRISTOPH LAMMERHUBERPOOL ARCHITEKTUR ZT GMBH

„ES IST EINE ESSENTIELLE EIGENSCHAFTEINER STADT, DASS VERÄNDERUNGENMÖGLICH SIND UND DASS SIE NICHT FERTIG IST, SONDERN IMMER VERWANDLUNGSFÄHIG BLEIBT.“

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Ihr Büro ist in städtebaulichen Entwürfen und Strategienaktiv. Worin bestehen für Sie die aktuellen Herausforde-rungen im Städtebau?

Ich möchte mich zunächst einmal auf Wien beziehen, wowir überwiegend tätig sind. Eine gewichtige Herausforderungist, dass Wien derzeit relativ stark wächst. Wien ist ein relativlebhaftes Zentrum im Osten Österreichs, und insofern ist dieDiskussion über die Dichte und die Verdichtung sicher einHauptthema. Es gibt die unterschiedlichsten Tendenzen, wasdie Nachverdichtung, aber auch was die verdichtende Bau-weise im Neubaugebiet betrifft. Im gerade fertig gestelltenSonnwendviertel, am Gelände des ehemaligen Südbahnhofs,wurden zum Beispiel GFZ`s von 3,9 bis fast 4,0 erreicht. Dasist meiner Meinung nach eine vollkommen falsche Entwick-lung, denn das ist viel zu dicht. Eine hohe Dichte allein machtnoch lange keine gute Stadt aus. Es gibt Stadtmodelle ausden 60er-, 70er-Jahren, die das Gegenteil beweisen, wie un-sere Forschungen und Umfragen zeigen. Sie haben großteilsDichten von 1,0. Und so endet man wieder bei der Frage:Was ist Urbanität? Braucht jedes Erdgeschoss ein Lokal unddavor einen Gastgarten? Ist das Urbanität? Ich will die unter-schiedlichen Stadtmodelle gar nicht gegeneinander ausspie-len, Gründerzeit, Scheibenbauweise, Gartenstadt – sie allehabe unterschiedliche Qualitäten. Das heute vorrangigeThema ist doch: Was ist eine zuträgliche Dichte? Und wasist eigentlich Urbanität? Die zur reinen Gewinnmaximierungerrichtete Gründerzeit hat in Wien nicht nur 100 Jahre hintersich, sondern sie wurde auch um viele Millionen saniert. Erstso wurde sie lebenswert. Auch demografisch brachten die100 Jahre einen erheblichen Wandel. Stadt braucht Zeit. Dasheißt also, wenn eine Stadt nicht wandlungsfähig ist, unddas unterstelle ich jetzt zu dicht verbauten Gebieten, dannwird es problematisch. Es ist eine essentielle Eigenschafteiner Stadt, dass Veränderungen möglich sind, dass sie nichtabgeschlossen ist, sondern immer wandlungsfähig bleibt. InGebieten, in denen keine Veränderungen mehr möglich sind,sehe ich langfristig große Schwierigkeiten für eine lebens-werte Stadt.

Was wäre für Sie die „richtige Dichte“?

Wir haben eine Forschungsarbeit zum Dichtebegriff publiziertund sind u.a. zu dem Schluss gekommen, dass es die „rich-tige Dichte“ in dem Sinne nicht gibt. In städtebaulichen Be-langen behauptet man, es gebe eine Geschossflächendichte.Aber meines Erachtens kann man den Dichtebegriff nichtauf das reduzieren. Es wäre viel zu kurzsichtig zu sagen,allein die Geschossflächendichte sei eine städtebauliche Grö-ßenordnung. Es spielen Ereignisdichte, Bewohnerdichte undvieles andere mehr mit hinein. In Wien versucht man beflis-sen, wieder auf die Dichte der Gründerzeit zu kommen. Obdas richtig ist, werden wir in 30 Jahren sehen. Städte entwi-ckeln sich langsam – das ist das Schöne, aber auch dasSchwierige am Städtebau. Wenn ich mir heute das von uns2007 errichtete Kabelwerk anschaue, frage ich mich, ob eswirklich funktioniert, denn dort wohnen – verkürzt beschrie-ben – 3.000 Menschen auf sechs Hektar Grund! Es ist ein

Neubaugebiet, das in erster Linie von jungen Familien be-wohnt wird. Das heißt, hier wohnen viele junge Kinder, jungeVäter, junge Mütter. Heute, 2015, ziehen die ersten Kinder,die dort groß geworden sind, aus. Plötzlich ist die Verbindungzwischen den Familien nicht mehr so gegeben, da man sichnicht mehr in der Kinderkrippe trifft. Durch den Wegfall derSandkiste als Kommunikationsort hat diese Siedlung vorü-bergehend an Dynamik verloren. Ähnliche Entwicklungen,wenn auch in einer anderen Altersschicht, können wir auchin den 60er-Jahre-Siedlungen sehen. Das heißt, die Bewohnersind dort 1965–68 eingezogen und mittlerweile 70–75 Jahrealt. Von ihnen leben heute noch ca. 60 Prozent in den Sied-lungen. Es ist durch den hohen Pensionistenanteil sehr ruhigund jede Veränderung, jede Jungfamilie, die dort einziehtund plötzlich die Sandkiste wieder in Betrieb nimmt, ist einStörfaktor. „Meine Kinder waren viel ruhiger, sie waren bessererzogen“, sind gängige Kritikpunkte. In den 70ern war dieAltersstruktur ähnlich wie im Kabelwerk heute. Und um aufIhre Frage zurückzukommen: Der Dichtebegriff ist von Situa-tion zu Situation zu entscheiden. Werfen wir einen Blick aufdie im Süden Wiens liegende Hansson-Siedlung. Sobald dieU-Bahn-Linie U1 dorthin fährt, wird sich einiges ändern.

Wie heißt diese Siedlung?

Per-Albin-Hansson-Siedlung. Nach dem 2. Weltkrieg hat dassozialdemokratische Schweden großzügige materielle und finanzielle Hilfe geleistet, deshalb sind sowohl die Siedlungals auch Straßen und Plätze nach schwedischen Politikernbenannt. Die Siedlung umfasst circa 7.000 Wohnungen. Dererste Teil wurde 1945 gebaut, später folgten die SiedlungsteileNord und Ost, 1978 war die gesamte Siedlung fertig gestellt.Wir sind im Rahmen einer Studie beauftragt worden, den Zustand und etwaige Verbesserungspotentiale zu eruieren.Wie sich zeigt, sind diese Anpassungen an die heutige Zeitweniger durch bauliche oder materielle Neuerungen zu erreichen als vielmehr durch sozialräumliche Erneuerungen.

Im Internet schreiben Sie, ein wesentlicher Aspekt IhrerTätigkeit sei die ständige Suche nach zusätzlichen funk-tionalen und emotionalen Dimensionen. Wie ist Ihnendiese Suche bei Ihren städtebaulichen Entwicklungenbisher gelungen? Das sind ja schöne Worte, aber wiekann man das auf die Entwicklung übertragen?

Das ist ein guter Hinweis von Ihnen, wir sollten dieses State-ment wieder einmal diskutieren, da sich alles permanentwandelt. Die Erkenntnis, dass Gebäude wie auch Städte stetsoffen und niemals fertig sind, ist für mich ein großer Gewinn.Das Ziel ist also nicht, ein erhabenes, abgeschlossenes Kunst-werk zu schaffen, schon gar nicht im Städtebau, sondernEntwicklungen zu ermöglichen, die offen für Veränderungenbleiben.

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Ganz bewusst? Weil sich das so verändert, wie Sie dasgerade beschrieben haben?

Ja, denn das liegt in der Natur der Stadt, dass sie sich fort-laufend ändert. Es ist zum Beispiel eine massive Veränderung,wenn plötzlich ein Großteil der Menschen mit öffentlichenVerkehrsmitteln oder mit dem Fahrrad fährt.

Das heißt, man muss bei Stadtentwicklungen noch lang-fristiger denken als bei Gebäuden? Denn wenn Siesagen, Sie müssen den Stadtteil den neuen Gewohnheitenanpassen können, dann müssen Sie stets Umnutzungenmit einplanen?

Die Hochhausdiskussion gibt es in Wien wie in jeder anderenStadt auch. Im neuen Hochhauskonzept ist festgelegt, dassein Gebäude einen Mehrwert für die Stadt nachweisen muss.Dadurch stellt sich die Frage: Was hat die Umgebung davon,wenn ein Hochhaus mit einer bestimmten Höhe an einembestimmten Platz gebaut wird? Welchen Mehrwert hat dieStadt durch dieses Haus? Ähnlich verhält es sich mit allenInfrastrukturbauten, die die Stadt errichtet, wie zum BeispielU-Bahnen. So fährt die neue U2-Linie nach Aspern durchlandwirtschaftlich genutzte Gebiete. Für die Stadtentwicklungist es positiv, dass diese U-Bahn errichtet wurde, nur wiegehe ich damit um, dass der Land besitzende Gärtner, derdort den Grund für einen Euro gekauft hat, diesen nun aberum 300 Euro pro Quadratmeter verkaufen will? Die Gesell-

schaft entwickelt Stadtteile, und einige wenige bereichernsich daran. Dieses Problem wird seit den 60er-Jahren disku-tiert. Wir sollten zuerst an die Gesellschaft bzw. an die Kom-mune denken!

Was bedeutet Stadt der Zukunft für Sie? Was wird sichverändern? Wie werden wir anders leben als heute?Was ist die nachhaltig lebenswerte Stadt?

Ich hatte zuletzt ein Radiointerview, bei dem es um ähnlicheFragen ging, jedoch auf Wien bezogen. „Wohin wird sichWien entwickeln?“ Ich behaupte, weder Stadtplanung nochArchitektur haben die alleinige Gestaltungsmacht. Die Zukunftder Stadt wird in Wirklichkeit ganz woanders entschieden.Wie ist es um unsere Sozial- und Bildungspolitik beschaffen?Wie ist unser Umgang mit Flüchtlingen, Immigranten odersozial Benachteiligten? Usw.

Die Frage war nicht, wie viel Einfluss Sie denken ausübenzu können, sondern wie Ihre persönlichen Vorstellungenvon der lebenswerten Stadt der Zukunft sind?

Wien ist hier durchaus ein positives Beispiel. Ich habe keineScheu, das zu sagen. Wien ist überaus lebenswert. Ichkomme trotzdem wieder darauf zurück: Im Endeffekt hängtvieles vom politischen Klima ab. Denken Sie etwa daran, wiekurz die schwarz-blaue Bundesregierung in Österreich regierthat und doch innerhalb kürzester Zeit die Lebenssituation

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Projekt „geras“, 3 Wohnbauten in der Gerasdorfer Straße, Wien

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von vielen Menschen stark verändert hat. Allein durch dieTatsache, dass sie die Wohnbauförderungsmittel nicht mehrzweckgebunden hat. Das heißt, plötzlich ging in Wien dieWohnbauproduktion von 9.000 Wohnungen auf 3.000 proJahr zurück. Das ist ganz entscheidend: Der Wohnungsfehl-bestand von heute geht auf diese Zeit zurück.

Wie werden wir in 30 Jahren leben? Manche Ihrer Kolle-gen sagen: „Ich sehe die Zukunft der Stadt in einer au-tofreien Stadt.“ Wird es das geben?

Nein, das glaube ich nicht, aber es wird sicher autofreie Be-reiche geben. Es ist interessant zu beobachten, wie sich inWien das jeweilige Fahrverhalten gewandelt hat, die Aggres-sivität geht in erster Linie von den Radfahrern aus und wenigervon den Autofahrern. Meine Vision ist nicht die autofreieStadt, ich denke, man sollte sich eher auf die Straßenstruktu-ren konzentrieren. Was unsere Straßen am ehesten brauchen,sind Bäume. In Hitzezeiten ist eine Straße mit Bäumen umdrei Grad kühler. Weniger Boden zu versiegeln, ist sicher einThema. Ich zweifle an den großen Absolutlösungen, denndie Fantasie arbeitet in kleinen, ganz kleinen Schritten.

Was sind für Sie die größten auch von Ihnen erlebtenHindernisse einer zukunftsweisenden und erfolgreichenStadtplanung?

Ein großes Thema ist die Ohnmacht der Stadtplanung, diedaher rührt, dass sie sehr getrieben ist. In der Politik ist dasnicht anders, die handelnden Personen sind meist getriebenvon wirtschaftlichen Interessen, die von außen kommen. Dasbeste Beispiel liefert die Erste Bank mit ihrem Campus: Dortwerden ca. 600 Millionen Euro für die Zentrale einer Bank in-vestiert. Noch vor einem halben Jahr hieß es aus der Chef-etage der Bank, man verlege den Firmensitz nach Prag, wenndie Stadt keine steuerlichen Erleichterungen gewähre. Damuss ich mich schon fragen, ob sie vergessen haben, dasssich das Gebäude in Wien doch schon im Bau befindet. Ichmöchte nicht andauernd von den guten alten Zeiten schwär-men, aber zurückkommend auf die Hansson-Siedlung: Dorthat die Stadt nicht nur Stadtplanung betrieben, sondern dieUmsetzung war ein ganz klarer sozialpolitischer Wille. Undder fehlt heute oft! Damals hat man sich vor dem Bauen ge-fragt: Wie, weshalb, wieso, warum? Man hat Wohnungenmit ganz klaren Ansätzen geschaffen, die man im Vorfeldhinterfragt hat. Damals waren Ansätze vorhanden, die heuteMangelware sind.

Es muss alles schnell gehen, die architektonische Lösungmuss sofort her, ohne eigentlich mit allen Beteiligtenerst einmal wirklich zu überlegen: Was ist das richtigeKonzept für dieses Stückchen Land?

Auch Architekten sind Getriebene. Aber wie gesagt: Das gehtden Politikern zumeist auch nicht anders, da sie von irgend-welchen Wirtschaftsmagnaten angeschoben werden, dieglauben zu wissen, wie die Stadt funktioniert.

Einige Ihrer Kollegen aus der Schweiz und aus den Nie-derlanden behaupten, die Stadtentwicklung neige heutezu einer neuen Vernunft, denn der Trend in Europa geheweg von staatlich gesteuerten Stadtentwicklungen. Wür-den Sie das bestätigen, gehen wir hier besseren Zeitenentgegen?

Ich teile die Meinung nicht, dass eine Entstaatlichung bzw.ein Zurückziehen der Kommune etwas Besseres bewirkt. Ge-nau das Gegenteil ist der Fall. Nur ein starker Staat, einestarke Stadt denkt ein bisschen über die eigenen vier Wändehinaus.

Die Abkehr von staatlich gesteuerter Stadtentwicklungwürden Sie verneinen?

Ja, absolut. Wien hat 220.000 Wohnungen und diese imJahr 2008 nicht verkauft. Nachdem in den letzten 25 Jahrenbeinahe alle Substandardwohnungen saniert und damit demniedrigen Wohnungssegment entzogen wurden, drängenMenschen mit niedrigem Einkommen vermehrt in den städ-tischen Gemeindebau der 60er-Jahre. Und damit liegt jetztdie Schwierigkeit im Gemeindebau. Der kann das leisten,aber das muss moderiert werden. Nur, wer kann das mode-rieren? Keinesfalls ein Privatinvestor. Das kann nur die Stadt.Ich bin kein Freund der Entstaatlichung, im Gegenteil, ichbin dafür, dass man wieder verstaatlicht. Da geht es dannnicht nur um den schnellen Mammon von irgendwelchenBörsengurus. Bruno Kreisky hat damals gesagt, ein Arbeits-loser weniger sei ihm wesentlich lieber als eine Million Schil-ling Schulden. Er hatte Recht, denn langfristig kostet der Ar-beitslose viel mehr.

Konnten Sie Bauherren auch schon überzeugen und sa-gen: Das ist aus Sicht der Architekten die bessereLösung für den Ort, für die Menschen, für sonst was?

Absolut. Im vorhin erwähnten Kabelwerk haben wir vorge-schlagen, im elften Stock eine Waschküche einzurichten. Aufden ersten Blick klingt das natürlich blödsinnig, drei Woh-nungen in guter Lage für eine Waschküche zu opfern. Aufden zweiten Blick aber hat man eine Lebensqualität für 400Bewohner erhöht. Wenn man bedenkt, dass keine der Woh-nungen eine Waschmaschine eingebaut hat, hat man fürsehr viele Menschen einen Gemeinschaftsbereich in guterLage geschaffen. Wir Architekten behaupten vielfach zu wis-sen, wie die Welt funktioniert. Aber in Wahrheit kann manvieles erst im Nachhinein überprüfen, selbst wenn bestesWissen und Gewissen in der Planung steckt. Und ähnlichverhält es sich bei der Stadtplanung. Auch hier können wirerst in 50 Jahren wissen, ob unsere Entscheidungen richtigwaren. Das macht die Sache aber auch so spannend.

An welchen städtebaulichen Konzepten arbeiten Siederzeit?

An einer Forschungsarbeit – Aktionsplan 50er-, 60er- und70er-Jahre. Dabei geht es um die Siedlungen, die in diesem

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Zeitraum errichtet wurden. Das Budget, das im Zuge dersanften Stadterneuerung in die Gründerzeit investiert wurde,soll nun in die 60er- und 70er-Jahre verschoben werden. DieSanierung der Gründerzeit ist abgeschlossen. Wir versuchennun auf Anfrage der Stadt ein Regulativ zu schaffen, wieman in Zukunft vernünftig für alle Beteiligten in diese Sied-lungen investieren kann. Ein hochpolitisches Thema, das mirsehr nahe geht, da man sich als Architekt nicht von wichtigenpolitischen Fragen absentieren soll. Ich rede nicht von Partei-politik, sondern davon, Antworten zu finden für die Ärmstender Stadt. Wenn wir ein Obdachlosenheim bauen, dann istdas ein hochpolitisches Projekt. Die politische Oppositionsagt: „Das ist ein Wahnsinn: Für jene, die nichts arbeiten,gibt die Stadt so viel Geld aus?“ Das wiederum ist für michunbegreiflich. Es geht mir hier wirklich nicht um Parteipolitik,sondern um ein Statement der Stadt Wien, das Niveau unse-rer Sozialpolitik zu zeigen. Das ist gesellschaftspolitische Ver-antwortung. Es ist eine Form von Gerechtigkeit, die sich dieseStadt leistet.

Das ganze Flüchtlingsthema bereitet den MenschenAngst. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Was wir derzeit betreiben, ist fürchterlich. Wir haben hierwesentlich schlechtere Zeiten durchlebt und haben trotzdemgrößere Gastfreundschaft gezeigt. In Deutschland haben dieLeute teilweise Angst, dass Deutschland in fünf bis zehn Jahren nicht mehr Deutschland ist. Ja, Deutschland wird in

fünf bis zehn Jahren anders sein, ganz Europa wird sich ver-ändern. Ich sehe darin nichts Schlechtes. Wien war und isteine Stadt, in der verschiedenste Kulturen zusammenleben.

Nehmen Sie bei Städteplanungen oder Städteentwicklungan Wettbewerben teil? Oder sind das Direktvergaben?

Es ist in Österreich leider Praxis geworden, kaum mehr städte-bauliche Wettbewerbe auszuloben. In Wien gibt es jetzt ko-operative Verfahren: Man setzt sich mit dem Grundstücksei-gentümer, mit den bezirksverantwortlichen Politikern, mitAnrainern und zwei bis drei Architekten einige Tage zusam-men und diskutiert intensiv. Dies bildet die Basis für eine Flä-chenwidmung. Ob das zukunftsträchtig ist, weiß ich nicht.In Wien gibt es jedenfalls momentan kaum städtebaulicheWettbewerbe.

Sind Architekturwettbewerbe in anderen Bereichen fürSie ein Garant für Qualität? Sind Sie ein Bekenner vonWettbewerben?

Doch, durchaus. Ich kann es an einem Beispiel in Luzernfestmachen. Dort sind wir gegen vier oder fünf ortsansässigebeziehungsweise Züricher Büros angetreten. Die SchweizerInvestoren waren vollkommen überrascht, da wir die Vorga-ben ganz anders interpretiert hatten. Man kann Vorgabendurchaus unterschiedlich interpretieren. Es gibt nicht dieseeinzige Lösung. Insofern ist ein Wettbewerb bei allen Schwie-rigkeiten, die über den Aufwand entstehen, den man oftmalsumsonst betreibt, absolut notwendig.

In vielen Städten wird viel Wohnungsbau gebaut! Wiekönnen Sie als Architekt trotz enormen Zeit- und Kos-tendrucks eine hohe Qualität der Architektur sichern?

Wenn man den freifinanzierten Wohnbau mit dem geförder-ten Wohnbau in Wien vergleicht, dann hat der geförderteWohnbau meist ein wesentlich höheres Niveau als der freifi-nanzierte. Ich spreche jetzt nicht vom 1. Bezirk und vomHigh-End-Wohnen in Wien, das sich kaum jemand leistenkann. Wenn eine Genossenschaft eine Förderung der StadtWien in Anspruch nehmen will, muss sie hohe Standardsund Niveaus erfüllen. Damit bin ich wieder bei dem, was ichvorhin bereits angesprochen hatte: Ich glaube nicht, dassdie Entstaatlichung und der freie Markt unsere Probleme lösen. Der freie Markt macht genau das Gegenteil.

Profitmaximierung statt Qualitätsmaximierung?

Ja, am privaten Wohnungsmarkt trifft das zu.

Ist das nur in Wien oder ist das in ganz Österreich so?

Das vorhin angesprochene Verfahren zur Erlangung von För-dergeldern über Bauträgerwettbewerbe und den Grund-stücksbeirat gibt es nur in Wien. Das liegt sicher auch an derlangen sozialdemokratischen und wohnungspolitischen Tra-dition der Stadt.

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Projekt „hernalser“, Büro- und Wohnhaus am Hernalser Gürtel, Wien

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Sehen Sie Hochhäuser als Lösung für das Wohnproblem,das wir in vielen Städten in Zukunft haben werden?Werden Hochhäuser unsere Stadtbilder prägen?

Das glaube ich nicht, ein Hochhaus ist wie ein Gründerzeitbauoder ein Haus aus den 60er-Jahren ein Baustein der Stadt.Wie ein Werkzeug aus dem Werkzeugkasten.

Also ein Hochhaus als eine von vielen Möglichkeiten?

Genau. Wir haben in der Josefstädter Straße ein Gebäudegebaut, offiziell ist es ein Hochhaus, aber in Wirklichkeit istes nur 45 Meter hoch. In den obersten drei Geschossen be-finden sich Wohnungen, darunter sind Büros. Es ist insoferninteressant, sobald man auf der Dachterrasse steht, erkenntman, dass beinahe die einzigen Hochpunkte dieser Stadt dieKirchen sind. Die Kirche durfte immer schon höher bauen.Das Hochhaus löst nicht die Probleme einer Stadt, es istmanchmal aber vielleicht ein politisches Statement.

Aber es löst in vielen anderen Städten Probleme. SchauenSie viele der asiatischen Städte an.

Gut, was da in Asien passiert, hat mit Menschlichkeit undverantwortungsvoller Planung wenig zu tun. Aber auch inWien passiert städtebaulich gesehen viel Unfug. Zum Beispieldas Citygate: U-Bahn-Station, Einkaufszentrum und darüberein Hochhaus. Brauchen wir all diese Einkaufszentren? Odernehmen wir den neuen Hauptbahnhof her: Er ist kein Bahn-hof, er ist eine Shopping-Mall, und daneben entstehen Büro-hochhäuser. Wie vorhin bereits erwähnt, lösen Hochhäusernicht die Probleme einer Stadt, die Probleme sind viel kom-plexer.

Kommen wir auf die Mobilität in der Stadt der Zukunftzu sprechen: Es gibt weltweit verschiedene Studien, dieaufzeigen, dass der Mobilitätsbedarf einer Stadt miteinem Bruchteil der heute genutzten Fahrzeuge bewältigtwerden kann. Welche Mobilitätskonzepte sind Ihrer Mei-nung nach erforderlich?

Studien der soziologischen Institute zeigen: Das Hauptpro-blem ist, dass die Mobilität im Endeffekt eine Frage der Um-verteilung ist. Wer mobil ist, dem geht es besser. Sein Kindin andere Stadtteile zur Schule zu bringen, ist nur für vermö-gende Familien möglich. Kinder ärmerer Eltern gehen meistin eine Schule ums Eck. Mich interessieren weniger die tech-nologischen Entwicklungen als die gesellschaftspolitischenMöglichkeiten einer sich verändernden Mobilität.

Eine der größten Herausforderungen für die großenStädte ist der gegenwärtige Zustrom von Flüchtlingenaus den Krisengebieten der Welt. Welche Beobachtunghaben Sie hier im positiven und negativen Sinne ge-macht?

Ich bin positiv überrascht, was die Bevölkerung in den letztenWochen in Wien selbst organisiert hat. Ich bin auch positivüberrascht von der österreichischen Bundesbahn und auchvon der Polizei. Dass sich der Staat so zurücknimmt, findeich hingegen nicht positiv. Den Wunsch, dass in Europa jedesLand seine Quote erfüllen sollte, verstehe ich. Wie dies in dieTat umgesetzt und kontrolliert werden kann, kann ich nichtbeantworten, das ist eine ganz schwierige politische Diskus-sion. Es wird viel über Europa aussagen, wie wir uns hierzuverhalten. Die EU müsste viel stärker in Syrien oder in Afgha-nistan präsent sein. Jeder zweite Austrian-Airlines-Flug sollteeine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen nach Europa bringen.Wollen wir wirklich, dass diese armen Menschen zu Fußnach Europa gehen?

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Projekt „poolhaus“, Wohnhaus im Kabelwerk, Wien

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Peter Tzeschlock absolvierte ein Studium der Versorgungstechnik. In seiner beruflichen Laufbahn übernahmer früh Verantwortung für seine Projekte. 1996 startete er bei Drees & Sommer als verantwortlicher Geschäftsführer. Dabei entwickelte er maßgebliche Zukunftsthemen weiter. 2004 wurde er Sprecher der Ge-schäftsführung von Drees & Sommer Advanced Building Technologies. Im Juni 2008 wurde er in den Vorstandder Drees & Sommer AG berufen. In dieser Funktion konzentrierte er sich darauf, die Kernkompetenzen Im-mobilienberatung und Engineering im Unternehmen weiter auszubauen. Seit Januar 2013 verantwortet er diePosition des Vorstandsvorsitzenden der Unternehmensgruppe. Seit 1997 ist er Leiter der Fachgruppe Projekt-und Facility Management des Verbands Beratender Ingenieure (VBI). Parallel engagiert er sich seit 1999 mitLehraufträgen an verschiedenen Hochschulen. Seit 2010 vertritt er die Drees & Sommer AG im Zentralen Im-mobilien Ausschuss (ZIA) als Präsidiumsmitglied.

PETER TZESCHLOCKVORSTANDSVORSITZENDER DER DREES & SOMMER AG

„ICH BIN ÜBERZEUGT, DASS DIE STADT DER ZUKUNFT EINE GENERATIONS -ÜBERGREIFENDE STADT SEIN WIRD.“

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Wie war die EXPO REAL 2015 für Sie?

Die EXPO 2015 war sehr erfolgreich für uns, sie hat sicherunter dem sehr positiven wirtschaftlichen Umfeld gelebt, zu-mindest in Deutschland. Wir haben festgestellt, dass nahezualle Kunden, Auftraggeber, Unternehmen und Partnerfirmeneine sehr positive Einstellung zu 2015 und ebenfalls zu 2016haben. Wir beobachten große Investitionen für die Auftrags-bücher, was natürlich zu der guten Gesamtstimmung bei-trug.

Wie viele Mitarbeiter haben Sie national und internationalund was haben Sie 2014 für Umsätze erzielt?

Wir sind aktuell bei einer Größenordnung von 2.200 Mitar-beitern, 1.700 davon arbeiten in Deutschland und 500 imAusland. Das bedeutet, dass wir noch immer ein Unterneh-men mit deutschen Wurzeln und Headquarter in Stuttgartsind. Als deutsch werden wir auch an 14 internationalenStandorten im Ausland wahrgenommen, was uns einen un-geheuren Mehrwert verschafft. In 2014 haben wir 260 Mil-lionen Euro Umsatz erzielt und dabei gut verdient. Wir sindstolz darauf, Geld zu verdienen, denn wir sagen unseren Kun-den, dass nur erfolgreiche Unternehmen große Projekte nach-haltig begleiten können.

Wie hat sich Ihre Branche in den letzten Jahren strukturellentwickelt und in welche Richtung geht die Entwicklungin den nächsten Jahren?

Vor acht bis neun Jahren haben wir mit dem Thema „GreenBuilding“ eine massive Bewegung in Deutschland erlebt, diesich mittlerweile in ganz Europa oder sogar auf der ganzenWelt fortsetzt. Vor vier bis fünf Jahren wurden jedoch beiuns aus diesen Green Buildings die Blue Buildings. DennBlau ist die Farbe der Nachhaltigkeit, und Nachhaltigkeit istfür unsere Investoren mit Rendite gleichzusetzen. Das ist ex-trem wichtig, denn ein nachhaltiges Konzept funktioniert nur,wenn man mit dieser Immobilie Geld verdient, weil sonstdas Gebäude nicht lange in dieser Funktion bleiben wird.Deshalb haben wir das Rendite-Thema zu den Green-Buil-ding-Themen hinzugefügt und beides kombiniert, was füruns eine große Veränderung war. Außerdem gab es eine Ver-änderung durch die Blue Buildings. Wir haben festgestellt,dass die Industrialisierung im Planungs- und Bauwesen einezwingende Veränderung notwendig macht. Es wird bereitsseit vielen Jahren diskutiert, Vorfertigungsgrade auf Baustellenzu erhöhen. Wir haben daraufhin in unserem Unternehmenvor sechs Jahren begonnen, Fachkräfte aus der Automobil-industrie anzustellen, weil die im Thema Lean-Managementsehr große Erfolge vorweisen konnten. Wir übertragen dieseLean Management-Prozesse auf Planungs- und Bauprozesseund sehen darin ein immenses Potential. Obwohl wir bereitsdeutliche Verbesserungen erzielt haben, gibt es immer nochgigantische Optimierungspotentiale. Ganz wichtig: Wir wollennicht zurück zum Plattenbau nach dem Motto „Alles siehtgleich aus“, sondern wir wollen eine starke Architektur mitLean-Management-Prozessen unterstützen, eine höhere Vor-

fertigung erreichen und dadurch kostengünstiger und schnel-ler mit höherer Qualität bauen.

Vor welchen strategischen Herausforderungen steht IhrUnternehmen derzeit, national wie international?

Im Planungs- und Bauwesen werden wir eine digitale Trans-formation von gewaltigen Ausmaßen haben. Die Wettbe-werbsvorteile der Industrie 4.0 werden in Zukunft dermaßengigantisch sein, dass Unternehmen, die diese digitale Trans-formation zu nutzen wissen und in ihre Prozesse umsetzen,gewaltig davon profitieren, während andere verlieren werden.Das ist sicherlich eine der größten Herausforderungen füruns.

Und Sie zählen zu den Gewinnern?

Eindeutig ja. Wir haben die Potentiale einer Kosten- und Ter-minreduzierung erkannt, die wir für unsere Auftraggeber überdie Digitalisierung realisieren können. Entweder bauen wirzukünftig 10–20 Prozent billiger oder wir erhalten für dasgleiche Geld 10–20 Prozent mehr Qualität, was in der Regeldas Thema ist, um Rendite nachhaltig zu realisieren. Wirmüssen nicht billiger werden, sondern wir müssen besserwerden.

Die Branche wird generell immer hybrider, Dienstleis-tungen werden stärker gebündelt. Welche Vor- oderNachteile sehen Sie darin?

Diese Bündelung hat zunächst große Nachteile für alle kleinenUnternehmen, das muss man ganz offen ansprechen. Be-sonders in Deutschland erleben wir durch die HOAI, Hono-rarordnung für Architekten und Ingenieure, sowie die VOB,Teil A und B, eine besondere Kleinteilung der Verantwortlich-keit: Wer tut was in welcher Phase mit klaren Leistungsthe-men, die sich gegeneinander abgrenzen? Der klassische Auf-traggeber oder Bauherr hat das Problem, die Schnittstellenzu verantworten. Das bedeutet, wenn irgendetwas schiefgeht,muss er für diese Schnittstellen die Kosten tragen. Damitsind die Bauherren heutzutage nicht mehr einverstanden,was bedeutet: Die Schnittstellenverantwortung muss vonden Planern und ausführenden Firmen übernommen werden.Das führt jedoch zu komplett neuen Planungs- und Bauab-läufen.

Kommen wir auf das Thema Cradle to Cradle zu sprechen.Sagt man nicht, dass Ameisen eine enorme Effizienz imUmgang mit ihren Ressourcen entwickeln? Was kannder Mensch von dieser Spezies lernen und welchenAnsatz verfolgt Ihr Unternehmen?

Wir hatten vor zwei Jahren ein Symposium, das hieß: „SindAmeisen die besseren Menschen?“ Die Immobilienwirtschaftverbraucht etwa 50 Prozent der Rohstoffe weltweit. Das isteine gigantische Menge. Wir erleben bereits heute einenRohstoffkolonialismus sowie Rohstoffkriege. Wenn Sie heuteschauen, was in Afrika an chinesischen Geldern hineinfließt,

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nur um Rohstoffe zu sichern, oder welche Streitereien es be-reits heute um die Manganfelder in der Tiefsee gibt! Dadurchsehen wir, dass die Rohstoffpreisentwicklung mittel- bis lang-fristig eine gewaltige Explosion erfahren wird. Zurzeit erlebenwir sehr günstige Rohstoffpreise, unabhängig ob es sich umGold, Öl oder Erdgas handelt. Wir sind jedoch davon über-zeugt, dass für alle Materialien, die endlich sind und hoch-verbraucht werden, eine gewaltige Preissteigerung zu erwartenist. Unter dem Aspekt fühlen wir uns für die Immobilienwirt-schaft verantwortlich und sagen ganz klar: Wir müssen dieRohstoffthemen bewusster angehen. Bei Cradle to Cradlegeht es genau um das Thema, Rohstoffe zu verwenden, abersie nach dem Gebrauch wieder auf die gleiche Qualität rück-führen zu können. Dadurch wird Downcycling vermieden,wie wir es vom Recycling kennen, also dass ein hochwertigesMaterial zu einem minderwertigen Material verarbeitet wird.Stattdessen sollen, wenn eine Immobilie nach 20, 30, 35Jahren demontiert oder abgerissen wird, ihre Rohstoffe an-schließend einen Wert darstellen, der deutlich höher ist alsder, den Sie ursprünglich für die Investition getätigt haben.Heute schreiben wir Immobilien jährlich mit eineinhalb biszwei Prozent ab. Unser Traum ist, unsere Immobilien zukünftigzuschreiben zu können. Wenn wir sagen können, sie sindwie Rohstoffspeicher oder -bunker. Man speichert Rohstoffein einer Immobilie, die man in 20 oder 30 Jahren für einenviel, viel höheren Wert in den Rohstoffkreislauf rückführenkann. Das ist der Ansatz.

Jüngste Entwicklungen in der Immobilienbranche deutenauf eine neue Assetklasse am Markt hin: die Unter neh -mens immobilie. Welche Rolle spielt Corporate Real EstateIhrer Meinung nach in der Stadtentwicklung? Entstehthier eine neue Bautypologie, eine Nutzungsmischung?

In Deutschland beschäftigen wir uns schon lange mit demo-skopischen Entwicklungen. Wenn wir uns die Corporate RealEstate anschauen, müssen wir extrem unterscheiden, welcheLänder wir betrachten. In China oder Saudi-Arabien stehenwir vor vollkommen anderen Herausforderungen. In Deutsch-land wird der klassische Arbeitnehmer immer stärker um-worben. Das bedeutet, Unternehmen müssen durch ein Cor-porate Design und eine eigene Sprache den Mitarbeiternmehr als einen Arbeitsplatz mit einer attraktiven Vergütungbieten. Sie kennen alle den Begriff Work-Life-Balance. Dassind Themen, die werden diskutiert, aber in der Regel nichtrichtig gelebt. Bei uns heißt es übrigens Work-Life-Integration,weil wir sagen, dass die Integration zwischen Arbeit und Le-ben das Entscheidende ist und nicht die Balance. Work undLife sind nicht zu trennen. Die Stadt der Zukunft wird genaudiese Anforderungen erfüllen müssen. Wie kann sie sicher-stellen, dass ich dort, wo ich arbeite, ebenfalls leben kann?Wir erleben bereits, dass die Generation Y oder mittlerweileGeneration Z mit anderen Anforderungen auf uns zukommt.Während bei der älteren Generation die Existenzsicherungim Vordergrund stand, ist es heute das Erlebnis. Das giltebenfalls für den Beruf, der mit Erleben verbunden werdensoll. Das ist eine massive Herausforderung, insbesondereauch an die Städte der Zukunft.

Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach das Managementsolcher Unternehmensimmobilien für das Funktioniereneiner Stadt?

Anstatt des Managements würde ich es über die Betriebs-führung definieren. Wir vernetzen auf einmal Themen, dieklassischerweise nicht vernetzt sind. Das fängt bei der Mobi-lität an und geht über die Nutzung im Privaten oder im ge-schäftlichen Bereich bis in das private Umfeld. Wir erlebenheute in der Retail-Branche eine gewaltige Diskussion: On-line-Welt und Online-Shopping, wie verändern sich diese The-men? Das ist eine ganz normale Entwicklung, die wir durch-laufen. Darauf müssen die Städte reagieren. Es wird viel mehrShow Cases geben. Fest steht, dass sich Investitionen immerrechnen müssen. Kein Investor wird Geld ausgeben, wenner mit seinem Invest keine Rendite einfährt. Dadurch müssenProzesse so vernetzt werden, dass sie sich wechselseitig er-gänzen und voneinander profitieren, so dass am Ende überein gutes Management die Bewirtschaftung funktioniert.

Städte im 21. Jahrhundert stehen in einem Wettbewerbum Menschen, Kapital und Unternehmertum. Was müs-sen deutsche Städte im bauwirtschaftlichen Konzepttun beziehungsweise nicht tun, um diesem internationalenStandortwettbewerb gewachsen zu sein?

Von außen betrachtet, haben wir es in deutschen Städtenzunächst mit einem Infrastrukturproblem zu tun. VergleichenSie unsere Städte mit ihrem Verkehrschaos mit Städten wiebeispielsweise Basel oder Zürich, die ein vielfach besser funk-tionierendes Nahversorgungssystem haben. Die Menschenwerden zukünftig nicht akzeptieren, dass sie sich zwei bisdrei Stunden am Tag im Verkehr beschäftigen. Sie werdenkeine langen Anfahrten akzeptieren, die ihre private Zeit inAnspruch nehmen. Die Menschen benötigen eine Mobilität,die sie unterstützt, und nicht eine, die sie in Staus transportiert,womit sie am Tag etliche Stunden produktiver Zeit verlieren.Ob die produktive Zeit fürs Unternehmen oder für einen per-sönlich in seiner Freizeit eingesetzt wird, ist davon unabhän-gig. Wir versuchen beispielsweise Themen über Videokonfe-renzsysteme zu lösen, indem sich jeder an seinem Arbeitsplatzüber Videokonferenz einwählen kann. Natürlich sind sie nurein Ersatz für Treffen, weil emotionale Beziehungsthemenüber Videokonferenzen nicht übertragen werden können.Dennoch sind die Mitarbeiter nicht mehr bereit, am Tag vieroder fünf Stunden Reisezeit aufzuwenden. Die vier bis fünfStunden sind nicht der Entfernung geschuldet, sondern derVerspätung im Schienen-, Luft- oder Autoverkehr. Mit demAuto ist es inzwischen unmöglich, pünktlich zu Terminen zuerscheinen.

Arbeiten Sie bei Drees & Sommer mit Home Offices?

Ja, wir pflegen bei uns eine sehr liberale Arbeitskultur, die ei-nerseits sehr teamorientiert ist, andererseits jedem Mitarbeiterein Home Office genehmigt. Jeder stimmt das mit seinemdirekten Vorgesetzten ab, wann er wegen der Teamorientie-rung im Büro zu sein hat. Wir haben nur sehr wenige Sach-

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bearbeiterfunktionen, bei denen es gleich ist, wo die Arbeiterledigt wird. Wir unterstützen die Teamorientierung und spü-ren, wie wichtig es ist, sich zu treffen und zu sehen, zuspüren, zu riechen. Das ist ebenfalls der Anspruch an die Ar-beitsplätze der Zukunft: nicht das Arbeitsbüro, sondern viel-mehr die Kommunikation und die Meeting Points, wo mansich trifft und ohne Verabredung in Besprechung gehen kann.Das sind Themen, die vollkommen andere Strukturen im Pla-nungs- und Bauprozess erforderlich machen.

Zahlreiche schlecht gemanagte Großprojekte haben füreinen enormen Imageschaden der deutschen Bauwirt-schaft gesorgt. Wenn wir im eigenen Land nicht in derLage zu sein scheinen, Opernhäuser, Flughäfen oderBahnhöfe zu bauen, traut man es uns dann im Auslandzu? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? HabenSie durch solche Projekte Gegenwind bekommen odersogar Umsatzeinbrüche erlebt?

Umsatzeinbrüche haben wir nicht erlebt, sind aber im Auslanddarauf angesprochen worden. In der Regel waren es ironischeKommentare wie: „Schön, wenn der Musterschüler auchmal eine Fünf schreibt.“ Als wir mit einem russischen Groß-auftraggeber über sein großes Projekt gesprochen haben,fragte er: „Können Sie das wirklich? Ihr könnt doch nochnicht einmal Flughäfen bauen in Deutschland.“ Man gerät inein Gespräch, auf das man gut verzichten könnte. Wir redennatürlich auch in einer unglaublich internationalen Transparenzüber Projekte. Das ist dieses typische Deutsche, dass, wennetwas nicht läuft, man sich selbst und gegenseitig anklagendauf die Strafbank setzt. Das führt dazu, dass man sich seineigenes Image ramponiert, obwohl es gar nicht in dieser Di-mension sein müsste. Wir kennen im direkten Umkreis vonDeutschland andere Flughäfen, die Drei-, Vier-Jahres-Verzügehaben. Kein Mensch hat darüber gesprochen, dort ist deralte einfach länger im Betrieb geblieben. Was ich sagenmöchte, man kann sich auch gelegentlich etwas schlechtre-den. Auf der anderen Seite haben wir das Problem, dass nie-

mand fragt, warum so etwas passiert. Es wäre äußerst wich-tig, sich damit intensiv auseinanderzusetzen. Im Übrigen gabes von unserer Seite bereits 2008 Aussagen zu dem BerlinerFlughafen. Schon damals haben wir in einer Stufenbeauftra-gung mitgeteilt, dass dieses Projekt doppelt so lang dauernund deutlich mehr kosten wird. Das hat damals der FlughafenBerlin nicht sehen wollen, wir wurden letztendlich in diesemProjekt nicht weiter beauftragt. Wir durften ebenfalls nichtdarüber reden, weil wir eine Verschwiegenheitsverpflichtungunterschrieben haben. Bis die Piratenpartei in einem Unter-suchungsausschuss diese Unterlagen hervorgearbeitet undöffentlich gemacht hat. Unsere Ver schwiegen heitsver -pflichtung gilt ausschließlich für Informationen, die nicht öf-fentlich sind. Seit die Piratenpartei die Angelegenheit öffentlichgemacht hat, ist in vielen internationalen Zeitschriften wörtlichabgedruckt worden: „Drees & Sommer hat bereits im Jahr2008 die Problematik erkannt und darauf aufmerksam ge-macht“. Aber es wurde ignoriert! Man merkt eins: Man schafftsich Probleme selbst. Wir haben so schöne Beispiele wie dieEuropäische Zentralbank, ein Projekt mit 1,2 Milliarden EuroBausumme, das in Einzelvergaben realisiert und terminge-recht fertig gestellt wurde. Eine höchst anspruchs volle Ar-chitektur von Coop Himmelb(l)au. Keine Generalunterneh-mervergabe, sondern lauter Einzelbeauftragungen mithunderten von Firmen! Mit einem richtigen Auftraggeberund einem richtigen Team ist so etwas zu realisieren.

Drees & Sommer verfügt über ein breit aufgestelltesLeistungsspektrum: von der klassischen Projektsteuerungüber das Engineering bis hin zur Standort- und Infra-strukturberatung als wichtige Bausteine der Stadtent-wicklung. An welchen großen Infrastrukturentwicklungensind Sie gegenwärtig im Inland und Ausland beteiligt?

In Deutschland sind es vor allem Flughäfen, Windkraftanlagenund unterschiedlichste Stadtentwicklungen, die wir beraten.Beispielsweise die Neunutzung von Flughäfen, die stillgelegtwerden sollen. Das sind große Infrastrukturprojekte. Wir be-

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Drees & Sommer-Bürogebäude, Stuttgart

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gleiten die Firma TenneT bei der Verkabelung der Windkraft-anlagen der Ostsee mit einem sehr großen, 60 Mitarbeiterumfassenden Team, das permanent an diesem Projekt arbei-tet. Wir waren sehr intensiv bei der Schienenplanung in dasStuttgart-21-Projekt integriert. Wir sind an der NeubaustreckeKarlsruhe–Basel beteiligt. Darüber hinaus betreuen wir zahl-reiche Städteentwicklungen, zum Teil in Kombination mitKonversionsflächen. Das sind die berühmten ehemaligenamerikanischen oder französischen Kasernen in Innenstadt-lagen, die dazu führen, dass Städte komplett neue Gesichterbekommen, wenn sie neu gedacht werden und wirtschaftlicharbeiten müssen. Wir beteiligen uns an Städteentwicklungenin der Richtung, dass wir neue Gebiete für die Stadt mitent-wickeln, Konzepte aufbauen, Machbarkeitsstudien und Wirt-schaftlichkeitsberechnungen erstellen. Das sind sehr großeund spannende Projekte.

Welche Ihrer Auslandserfahrungen lassen sich auf denStandort Deutschland übertragen? Welche deutsche In-frastruktur wäre ebenfalls für das Ausland empfehlens-wert?

Einfacher ist sicherlich, wenn wir von Deutschland ins Aus-land transportieren, weil wir für eine Bauqualität stehen, diekein anderer auf der Welt so hat. Die Schweizer können wirnoch mit einbeziehen, mit ihnen stehen wir auf Augenhöhe.Ansonsten ist die deutsche Bauqualität einzigartig. Auch ausNachhaltigkeitsgesichtspunkten sind wir weltweit führend.Darauf sind wir sehr stolz. Lediglich in Planungsabläufen und-prozessen schneiden wir im internationalen Vergleich nichtso gut ab. Zum Beispiel sind wir in Bezug auf das ThemaBuilding Information Modeling noch nicht so weit. Hier istsogar Drees & Sommer Russland weiter als Drees & SommerDeutschland. In St. Petersburg ist unser Kompetenzzentrumim Bereich Building Information Modeling; dort haben wirdamit bereits mehr Großprojekte abgewickelt als hier inDeutschland. In Deutschland hat man es ein wenig verschla-fen, diese Planungsprozesse zu modifizieren, anzupassenund zu industrialisieren. Eine Begründung liegt darin, dasses durch kleingliedrige Regelwerke und durch die fehlendenGroßunternehmen nicht so gut funktioniert hat. Das Problembei uns ist, dass kleine Büros sich unheimlich schwertun,ihre eigenen Mitarbeiter darin auszubilden und mitzunehmen.Den BIM-Spezialisten mit zehn Jahren Erfahrung gibt es ebennoch nicht. Den muss jedes Büro selbst produzieren undausbilden. Große internationale Unternehmen haben da ak-tuell einen Vorsprung. In vielen Ländern wird BIM-gerechtePlanung vorgeschrieben. In den letzten zwei Jahren gibt esallerdings auch in Deutschland Anstrengungen, von denenich behaupte, dass wir wahnsinnig aufgeholt haben und mitder deutschen Qualität bald überholen werden. Ich bin über-zeugt davon, dass wir europaweit wieder eine Führungsrolleübernehmen können. Es ist nicht zu spät. Es sind die Digita-lisierungsprozesse, die immense Veränderungen bringen undPotentiale heben können und für alle Planungs- und Baube-teiligten enorme Vorteile haben.

Wie gelingt es Ihnen, den Bauherrn und den Investorvom Mehrwert einer Immobilie zu überzeugen? Zunächstsind Investitionen in Planung, Materialien und Produkteerforderlich, die sich erst langfristig als wirtschaftlichvorteilhaft erweisen.

Wir berechnen alles, weil ab einer gewissen Komplexität dasEinschätzen nicht mehr gelingt. Der gesunde, erfahrene Men-schenverstand, der aus dem Bauch heraus ein Thema entwi-ckelt, ist bei solch komplexen Zusammenhängen nicht funk-tional. Das müssen belastbare Modelle sein. Wir müssenunterscheiden: Arbeiten wir für Eigeninvestoren, die beispiels-weise für sich ein Headquarter bauen und das Geld aus ihrenUnternehmensgewinnen nehmen und es investieren, findenwir unter ihnen glücklicherweise immer wieder Auftraggeber,die bereit sind, sich auf Neues einzulassen, indem sie bei-spielsweise in ein Cradle-to-Cradle-Projekt investieren. Hierkommt eine bestimmte Haltung oder auch die Bedeutungvon Nachhaltigkeit für das jeweilige Unternehmen zum Tragenund steht im Vordergrund, weniger das Eins-zu-eins-Rechnendes Projektes. Nachhaltigkeit spiegelt sich ja nicht nur in einerEffizienzsteigerung oder in kaufmännischen Zahlen wider,sondern beinhaltet auch Werte, die man den Mitarbeitern inseinem Unternehmen mitgeben kann. Es macht besondersviel Spaß, mit Bauherren zu arbeiten, die eine Verantwortungder Gesellschaft und ihren Mitarbeitern gegenüber haben,die mehr als nur auf die Rendite schauen. Andererseits gibtes Bauherren, die Geld investieren – manchmal das von In-vestoren, Fonds oder Aktiengesellschaften – und die wie-derum eine Rendite erwarten. Investitionen also nur dann,wenn die Rendite gesichert ist. Wir haben schnell gemerkt,dass Green Force und Ähnliches sofort eine höhere Renditeerzielt, auch wenn man anfänglich mehr Geld investiert; so-lange man sauber nachweisen kann, gut dokumentiert unddie Mehrwerte nach außen herausstellt. Wichtig ist, das Wort„Mehrwert“ stets gleichzusetzen mit „verbindlich messbar“,nicht mit „gefühlsmäßig gefällt mir“ oder „das fasziniertmich“, weil das nicht überzeugt und wir es so auch nichttransportieren können. Warum sollte der Investor begeistertsein, wenn wir begeistert sind? Das bedeutet, es müssenverbindliche Mehrwerte aufgezeigt werden, die messbareKriterien erfüllen und die man überwachen kann.

Welche Ausbildung haben Sie?

Ich komme aus der Heizungs-, Klima- und Lüftungstechnik,habe zunächst eine Lehre als Technischer Zeichner gemacht,habe aber dann sehr schnell erkannt, dass man sich ohneStudium nicht verwirklichen kann. Daraufhin habe ich in Ess-lingen Versorgungstechnik studiert. Hausklimatisierung istein interessantes Thema, bei mir stand bereits im Studiumder Nutzer im Mittelpunkt: Wie viel Unzufriedenheitsquotenhat man mit einem vollklimatisierten Gebäude? Wie bekommtman Raumklimatechniken hin, Akustik, Schall, Feuchtigkeit,Temperatur, Wind, Strömungsgeschwindigkeit? Wie kannman sicherstellen, dass sich die Menschen wohlfühlen? Dakam die nächste Überlegung schnell dazu: Wie muss derRaum aussehen, damit die Leute sich wohlfühlen? Denn das

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richtige Raumklima hilft nicht, wenn die Raumausstattungnicht passt: Farben, Helligkeit, offene Systeme. Wir nennendas heutzutage Workplace Performance, unser WorkplaceConsulting stellt ein sehr großes Geschäftsfeld dar. Das istder Unterschied zur Architektur: Wir entwickeln die Gebäudevon innen nach außen und fragen uns, was der Nutzerbraucht. Ihn betrachten wir unter verschiedenen Gesichts-punkten: Fühlt er sich wohl, hat er in dem jeweiligen Gebäudeeine hohe Produktivität, ist das Gebäude flexibel auf ihn zu-geschnitten usw.? Das bedeutet, wir entwickeln die Häuservon innen nach außen. Wir definieren die Anforderungenund briefen den Architekten, was das Haus können soll. Wirfreuen uns, hier Architekten zu haben, die die Sprache soumsetzen, dass die Einmaligkeit der Immobilie betont wird.

Seit wann sind Sie bei Drees & Sommer?

Seit 20 Jahren. In der Drees & Sommer-Gruppe wurde vonProf. Dr. Hans Sommer sehr früh erkannt, dass das ThemaBaumanagement und Baukompetenz massiv von der Haus-technik abhängt, denn die Häuser, die nicht funktionieren,funktionieren nicht, weil die Statik ein Problem hat oder dieFassade nicht dicht ist. Sie funktionieren deshalb nicht, weilArbeitsbedingungen im Haus nicht erbracht werden können,sie beispielsweise überhitzen oder zu kalt sind und Zuger-scheinungen auftreten. Damit fühlen sich die Leute in diesenGebäuden nicht mehr wohl. Als ich studiert habe, war dasSick-Building-Syndrom ein extrem großes Thema. Wenn wirheute sehen, wohin wir uns entwickelt haben, ist diese Rich-tung durchaus positiv zu bewerten.

Sie müssen ja eine Mischung unterschiedlicher Ausbil-dungen bei Ihnen im Unternehmen vereinen?

Ja, eine absolute Mischung, kein Einzelner allein kann diesekomplexen Dinge berechnen. Wir benötigen Experten in dertechnischen Gebäudeausrichtung, Profis in der Statik, Bau-ingenieure, um die Abwicklungsprozesse zu realisieren, Land-

schaftsarchitekten, die die Umwelt gestalten, usw. Kurzum:Wir benötigen Profis aus den verschiedenen Bereichen. Esist sicherlich eine unserer größten Stärken, dass wir sie hieralle in unserem Unternehmen beschäftigen. Wir können nurim Team arbeiten. Interessant ist außerdem, dass diese Teamsauf Augenhöhe arbeiten. Da ist der Architekt nicht dominanterals der Haustechniker oder der Statiker, sondern sie sitzenzusammen und haben eine gemeinsame Aufgabe zu lösen.Da macht nicht der eine einen Wurf und die anderen müssenzusehen, wie sie mit dem Problem klarkommen. Stattdessenwird von Anbeginn alles gemeinsam entwickelt. Das machtunheimlich viel Spaß.

Das Bewusstsein für die Stärke eines interdisziplinärenArbeitens ist allerdings noch nicht bei allen angekom-men.

Das ist richtig. Aber große Architektur bekommen Sie meinerÜberzeugung nach nicht mehr hin, indem Sie ausschließlichdie Fassade und die Kontur anschauen, sondern sie entstehtdort, wo das gesamte Gebäude ganzheitlich und integral be-trachtet wird. Besonders wichtig ist für uns, dass der Nutzerim Mittelpunkt steht. Da kommen wir wieder zur Stadtent-wicklung zurück: Die Leute müssen sich wohlfühlen. Es gehtnicht darum, wie schön es aussieht und wie wirtschaftlich esgebaut ist. Letztendlich wird Architektur für Menschen ge-macht, unabhängig von der Bautypologie.

Wird die Zukunft eher im Digitalen als im Analogen ent-schieden? Ihr Ansatz lautet Digital Blue. Welchen Mehr-wert erzeugt ein derartiger Ansatz für die Gebäudeent-wicklung und welchen für die Stadt- und Standortent-wicklung?

Den Kampf gewinnt immer analog. Letztendlich muss dasHaus gebaut, betoniert und über Handwerker zusammenge-setzt werden. Die Stadt funktioniert ebenfalls analog. Es sindMenschen, die sich bewegen, die nicht über irgendwelche

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experimenta, Heilbronn

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Beamer-Techniken transportiert werden. Der Mensch ticktanalog. Wir haben einen Vorteil durch die Digitalisierung: Wirkönnen Varianten, Szenarien und Sensitivitäten viel bessererkennen, wir können verschiedene Modelle durchspielen,die wir in der Vergangenheit im analogen Modell nur sehraufwändig oder kostenintensiv veranschaulichen konnten.Wir bekommen heute Entscheidungsprozesse viel stabilergeregelt, weil wir in der digitalen Simulation nahezu Realitätendarstellen können. Überraschungseffekte, die durch die Um-setzung auftreten, sind minimal. Wir können Komplikationenim digitalen Prozess lösen und müssen das nicht mehr kos-tenintensiv auf der Baustelle tun. „Build it twice“ ist unserMotto. Wir bauen zweimal: einmal digital und anschließendreal, und wir wissen alle, dass das teuerste Bauen die Ände-rungen vor Ort sind. Da fließen Zeit und gewaltige Kosten hi-nein, und das ohne Mehrwert. Wenn wir dieses „zweimalbauen“ ernst nehmen, bauen wir die Immobilie zunächstkomplett digital und können Optimierungsansätze im digitalenProzess durchführen und Fehler beseitigen. Nach Abschlussgehen wir das reale Bauen an. Wir brauchen etwas mehrZeit in der Planung, können das jedoch im Bauen sehr gutwieder hereinholen, in der Regel sogar den Gesamtprozessdeutlich beschleunigen. Auf diese Art können wir kostenef-fektiver arbeiten.

Man sagt, die Städte von morgen bestünden bereits unddie Zukunft läge im Bestand. Welchen Ansatz verfolgtIhr Unternehmen, um in diesem Zusammenhang mehrSensibilität für bestehende Gebäude zu entwickeln undChancen in deren Revitalisierung zu sehen? Hat in Hin -blick auf die Kosten der Bestandsbau gegenüber demNeubau das Nachsehen? Sollten nicht auch Lebenszy-kluskosten und das Thema der „grauen Energie“ in dieWirtschaftlichkeitsbetrachtung mit einbezogen werden?

Man kann Lebenszykluskosten nur in die Wirtschaftlichkeits-betrachtung mit einbeziehen, wenn sie sich monetär auswir-ken. Die graue Energie, die heutzutage oft nicht kostenmäßigbewertet, aber notwendig ist, ist für mich wieder ein Nach-haltigkeitsgesichtspunkt. Es gibt bei uns ein großes Geschäfts-feld, das heißt „Optimieren im Bestand“. Wir erzielen inDeutschland circa 60 Prozent unseres Umsatzes nicht mitNeubauten, sondern mit Bestandsgebäuden. Das ist eine ge-waltige Zahl. Nun müssen wir zwei Dinge betrachten, wennwir von den Bestandsimmobilien reden, die in guten Innen-stadtlagen liegen. Oftmals lassen sich ein Abriss und ein Neu-bau, auch wirtschaftlich gesehen, gar nicht darstellen. Nicht,weil die Abrisskosten zu hoch sind. Man würde für diese Flä-che niemals wieder eine Genehmigung bekommen. Bedingtdurch Bebauungsplanänderungen dürften Sie in der Regeldie Fläche vielleicht mit 60 oder 70 Prozent nachbebauen,und damit wird es sehr schnell unwirtschaftlich. Das bedeutet,ein Bestandsgebäude zu repositionieren und neu am Marktzu platzieren, so dass es mit jeder Neubauimmobilie in glei-cher Top-Lage sowie gleicher Flächenzahl mithält, ist eineHerausforderung. Wir haben bereits einige Projekte im Sinneder Rendite wirtschaftlich optimiert, obwohl sie teurer warenals ein Abriss und Neubau. Allerdings hätten wir den Neubau

nicht auf die Fläche bekommen, und damit wäre die Renditenicht darstellbar gewesen. Das Thema „Optimieren im Be-stand“ ist für uns deshalb ein äußerst wichtiges. Es ist einsehr, sehr großer Markt, und er rentiert sich, da sehr schnellRenditen zu erzielen sind. Wir wissen sehr genau, dass dievielen Immobilien, die heute vermietet sind, aber nicht mehrdem Zeitgeist entsprechen, modernisiert werden müssen,teilweise sogar während der Nutzung. Wir haben Modelleentwickelt, mit denen wir von einem Gebäude ein Drittel derStockwerke leerziehen – eventuell einen Mieterwechsel nut-zen und nicht nachvermieten – und das Gebäude über Etap-pen sanieren. Ein schönes Referenzprojekt ist der HVB Towerim Arabellapark in München. Bei ihm geht es um eine kom-plette Revitalisierung des Gebäudes. Dafür haben wir dieMachbarkeitsstudie durchgeführt und begleiten das gesamteProjekt. In diesem Gebäude werden nachher 20 Prozent mehrMitarbeiter arbeiten können als vorher, mit einem deutlichenZeitgeist. Wir haben die vollständige Fassade unter Denk-malschutz gehabt; diese hat heute nur noch ein Drittel desEnergiebedarfs, weil sie inzwischen eine Hightech-Fassadeist, aber genauso aussieht wie vorher, so dass niemand er-kennt, dass es überhaupt eine neue Fassade ist. Ein schönesBeispiel, dass immobilienwirtschaftlich unter Renditegesichts-punkten saniert werden kann. Das Ergebnis ist eine unterDenkmalschutz stehende hochmoderne Hochhausimmobilie,die in der Nutzung keinem Neubau nachsteht.

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Roche „Bau 1“, Basel

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Sie sind sehr aktiv bei der Zertifizierung von Neubauten.Sind Bestandsbauten bei der Zertifizierung anspruchsvollerals Neubauten?

Anspruchsvoller in der Hinsicht, da Sie in der Regel eine hö-here Dokumentationssuche haben, bis Sie über die notwen-digen Informationen verfügen. Wenn ich einen Neubau be-treue, begleiten wir die Projekte und definieren bereits amAnfang bei der Architektenbeauftragung, welche Informatio-nen wir in der Dokumentation benötigen. Denn man musssich vorstellen: Wenn ich eine Zertifizierung durchführe, lebeich von Flächenberechnungen, Größen, Oberflächen, Ener-gieverbrauch usw. Diese ganzen Themen benötige ich, diesemuss ich mir beim Bestandsgebäude teilweise erst mühsamzusammensuchen. Wir haben beispielsweise den PotsdamerPlatz als Bestandsquartier zertifiziert. Das war durchaus einKampf, denn wir mussten uns erst einmal in die verschie-densten Pläne und digitalen Unterlagen hineinarbeiten. Fürdie Europäische Zentralbank haben wir über 50.000 Plänegebraucht, um das Haus zu realisieren. Wenn Sie ein Projektin der Größenordnung als Bestandsgebäude in zehn Jahrenzertifizieren möchten, müssten Sie zunächst an diese Planin-formationsmengen herankommen. Das ist heute einfacher,da sie inzwischen digital vorliegen. Von den Gebäuden, dieaber vor 15 Jahren gebaut worden sind, sind viele Datenausschließlich analog vorhanden, wenn sie denn überhauptvorhanden sind. Oft sind Materialbeschriebe gar nicht dabei.Das bedeutet, die Recherche, dieses Detektivspielen, um andie Informationen heranzukommen, ist deutlich aufwändiger.Wenn man die Informationen dann einmal hat, ist der An-spruch selbst nicht dramatisch. Darin unterscheiden sichNeubau und Bestandsgebäude kaum. Beim Bestandsge-bäude kann ich zwar auf viele Themen keinen Einfluss mehrnehmen, während ich das bei einem Neubau bereits in einersehr frühen Planungsphase tun kann.

Was stellt Sie vor größere Herausforderungen, LEEDoder das DGNB?

Das DGNB ist sicher anspruchsvoller, weil es etwas komplexerist. Herausforderung heißt dabei nicht schwieriger, sondernes ist einfach ein umfassenderer Blickwinkel, den man abde-cken muss. Wobei es vom Größenaufwand praktisch keinUnterschied ist, ob ich LEED oder DGNB mache. Wir deckenaußer LEED und DGNB auch das australische Label GreenStar, das britische BREEAM und das französische HQE ab.

Würden Sie persönlich dafür plädieren, dass es weltweitein einheitliches Zertifizierungssystem gibt? Wenn es sowäre, für welches würden Sie sich aus heutiger Sichtentscheiden?

Das ist schwierig. Wenn es nach uns ginge, dann würdenwir uns für das DGNB entscheiden, da wir eine deutscheFirma sind und auch Gründungsmitglied der Deutschen Ge-sellschaft für Nachhaltiges Bauen sind. Wenn wir allerdingseinen Kunden haben, der verstärkt Projekte im anglophonenBereich hat, dann benötigt er eine Zertifizierung, mit der erseine Investoren am besten bedienen kann. Es geht nichtdarum, was wir möchten, sondern es geht uns um die besteBeratung und Empfehlung, die wir dem Kunden für ein be-stimmtes Projekt in einem bestimmten Land geben können.Ich glaube nicht, dass es ein einheitliches System gebenwird, weil die nationalen Besonderheiten zu berücksichtigensind. Wenn wir beispielsweise in Dubai für ein Projekt dortvor Ort im Umkreis von 300 Kilometern Baumaterial anfahrensollen, dann stellen wir fest, dass es dort nichts als Sand gibt.Holz würde man dort nicht bekommen. Deswegen sind solcheAnforderungen regional nicht umsetzbar. Eine Region, aufdie das zugeschnitten ist, wird stets einen gewaltigen Vorteilgegenüber einer Region haben, auf die dieses System nichtzugeschnitten ist. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Folglichbenötigt man einen länderspezifischen Abgleich, und dastun die länderspezifischen Zertifizierungssysteme in der Regel.

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Drees & Sommer-Bürogebäude, Stuttgart

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Nach welchen Kriterien entscheiden Sie sich für Archi-tekten?

Wir suchen die Architekten nicht aus, führen aber für unsereKunden sehr viele Architektenwettbewerbe durch. Besondersinteressiert sind wir an Architekten, die eine integrale Denk-weise haben, für die ebenfalls das Engineering ein wichtigerBestandteil ihres Konzeptes ist. Wir arbeiten also besondersgerne mit Architekten zusammen, die beispielsweise im Buil-ding Information Modeling eine Optimierung ihrer Planungs-prozesse sehen. Teilweise suchen wir aber auch die Zusam-menarbeit mit Architekten, die sich zwar nicht mit BIMbeschäftigen, die aber mit ihrer Architektursprache begeistern.

Was ist Ihre persönliche Vision von der Stadt der Zukunft?Wie werden wir in einigen Jahrzehnten leben?

Ich bin überzeugt, dass die Stadt der Zukunft eine generati-onsübergreifende Stadt sein wird. Die Stadt muss für alleGenerationen lebenswert sein, für den 85-Jährigen genausowie für das 5-jährige Kind. Das ist etwas, was heute nochnicht funktioniert. Und damit ist es ein Thema, auf das wirheute noch nicht stolz sein können. Die Städte von heutesind kein Mehrgenerationenmodell. Das Mehrgenerationen-modell gab es vor vielen Jahrhunderten auf dem Bauernhof,wo die Großmutter oder die Urgroßmutter auf das Enkelkindoder das Urenkelkind aufpasste. Das waren Modelle, diefunktioniert haben. Solche Modelle – nicht eins zu eins, abervon der Idee her – müssen wir in die Stadt der Zukunft inte-grieren. Wir werden Themen wie Urban Farming massiv un-terstützen, denn wir benötigen wieder Anbauflächen – undwenn es auf den Flachdächern der Stadt ist –, die ein völliganderes Grünthema eröffnen. Die Luftqualität wird sich inden Städten auf eine Qualität erhöhen müssen, die einerdörflichen Lage entspricht. Damit müssen sich die Mobilitätund die gesamte Verbrennungstechnologie massiv verändern.Deswegen sehen wir in E-mobility beziehungsweise in Brenn-stoffzellen die Lösung der Zukunft, von der man sagen kann,dass sie dieses Bild verändern wird. Zwischen Leben undArbeiten wird es keine Grenzen mehr geben. Das bedeutet,ich arbeite an dem Ort, an dem ich lebe und andersherum:Ich lebe dort, wo ich arbeite. Technologisch benötigen wirdazu Hightech. Wir müssen uns bewusst machen, dass dieStadt der Zukunft nicht mit Verzichtsmodellen funktionierenwird. Alle, die meinen, sie könnten neue Städtekonzepte aufVerzicht aufbauen, werden scheitern. Da stimme ich mitHerrn Professor Braungart überein, der das Cradle-to-Cradle-Konzept maßgeblich entwickelt hat, denn er ist der Überzeu-gung, dass intelligente Verschwendung erforderlich ist. DieLeute müssen mehr haben in der Stadt als außerhalb derStadt – dann wird das Stadtleben funktionieren. Des Weiterenmuss die Stadt der Zukunft die Sozialkassen komplett entlas-ten. Wir können uns nicht leisten, dass 65-Jährige aufhörenzu arbeiten und dann noch 20 bis 30 Jahre Rentner sind.Das heißt 20 bis 30 Jahre nicht erwerbstätig, aber mögli-cherweise pflegebedürftig. Es gibt also unglaublich viel zuverbessern. Nicht im Hauruck-Verfahren, aber angefangenwerden kann in einzelnen Bereichen, in denen man umge-

hend eine Mehrwertgenerierung erfahren wird. Beispielsweisein einzelnen Quartieren, die man umgestaltet. Von daher istdie Stadt der Zukunft bereits heute Realität.

Welche Stadt verfolgt Ihrer Meinung nach die Heraus-forderung der Zukunft in vorbildlicher Weise?

Das Züricher Konzept gefällt mir beispielsweise sehr gut. Mankann sich über Zürich streiten, weil die Stadt extrem teuerist. Aber das Verkehrskonzept, also das Nahverkehrssystem,ist dort genial gelöst. Wir haben in Zürich 80 Mitarbeiter, lediglich drei Leute besitzen ein Auto, alle anderen wollenkeines. Sie haben diese sogenannten Jobtickets und diese E-Mobility, die sie kostenlos – beispielsweise das Car-Sha-ring – mitnutzen dürfen. In Deutschland haben wir eine 90-bis 95-prozentige Nutzungsquote von Geschäftsfahrzeugen,während es in der Schweiz vielleicht fünf Prozent sind. Manbraucht kein Auto. Wenn man am Wochenende einmal weg-fahren möchte, shared man sich eines und leiht es aus. DieKosten übernimmt die Firma anstelle eines Geschäftsfahr-zeugs. Wenn ich mir Deutschland ansehe, gibt es keine ein-zige Stadt, in der wir ein annähernd ähnliches Konzept haben.Es gibt sicher Städte wie Freiburg und andere, die sich bereitssehr lange dem Green-Building-Konzept verschrieben unddas sehr vorbildlich umgesetzt haben. Ich weiß, dass sichfast alle Städte mit dem Thema beschäftigen, es jedoch vonden Haushaltskassen abhängt. Je größer der Verschuldungs-grad, desto weniger Kapazität bleibt für die Stadt der Zukunftübrig. Deswegen bin ich der Überzeugung, dass diese The-men mit einer übergeordneten Struktur und finanzieller Un-terstützung organisiert werden müssen und nicht den Städtenallein überlassen werden dürfen. Ansonsten bekommen wirdas Problem, dass lediglich die wirtschaftlich starken Regio-nen die Städte der Zukunft produzieren und dadurch nochwirtschaftlicher und stärker werden, während die übrigenRegionen, die bereits heute hochverschuldet sind, sich nochhöher verschulden müssen. Deswegen ist es wichtig, dassStadtquartierentwicklungen über Renditen angestoßen wer-den. Wir müssen das städtebauliche Recht so weit unter-stützen, dass die Investoren unterstützt werden, dass siebereit sind zu realisieren – natürlich im Sinne einer ganzheit-lichen Entwicklung. Es geht nicht darum, dass der Investormehr Geld verdienen soll, das wäre der falsche Ansatz. Ermuss jedoch soweit unterstützt werden, dass er dieses Ge-samtkonzept durchführt, denn letztendlich wird das Geld vonihnen freigesetzt und nicht von der Kommune oder der öf-fentlichen Hand. Letztere können das ein oder andere steu-erlich ein wenig pushen, damit es schneller realisiert werdenkann, aber letztendlich kommt das Geld für die Stadt der Zu-kunft von Privatinvestoren und ihnen muss man ein interes-santes wirtschaftliches Umfeld bieten.

Haben Sie eine Lieblingsstadt?

Ich bin gerne in Stuttgart und fühle mich sehr wohl hier.Wenn ich es mir aussuchen könnte, wären Hamburg oderMünchen die zwei Städte in Deutschland, wo ich mir jederzeitvorstellen könnte, hinzuziehen und zu leben.

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HerausgeberGROHE Deutschland Vertriebs GmbHZur Porta 9D - 32457 Porta Westfalica

Konzept und RealisationSabine GotthardtDirector Business Development Architecture & Real Estate Central EuropeGROHE Deutschland Vertriebs GmbHTelefon 08153 984756Mobil 0175 5881228E-Mail [email protected]

Mitarbeit im TeamBusiness Development Architecture & Real Estate

Sylvia Wengler, Key Account Managerin NordNadine Steves, Junior Managerin

Fotos: S. 1: istock.com

S. 2 und 3: Kunstmuseum Stuttgart, © Frank Kleinbach, Stuttgart

S. 4: Foto: Brigida González, © Kunstmuseum Stuttgart

S. 8: Eike Becker, © Foto URBAN RUTHS BERLIN / GERMANY

S. 10: Z-Zwo, Erweiterung Hauptverwaltung, ED. Züblin AG, Stuttgart, © Eike Becker_Architekten, Berlin

S. 13: yoo berlin (Am Zirkus), Wohn-, Büro- und Hotelbau, Berlin© Eike Becker_Architekten, Berlin

S. 14: Daniel Niggli, © Foto Maurice Haas, Zürich

S. 16: Naturhistorisches Museum Basel und Staatsarchiv Basel-Stadt, © EM2N, Zürich

S. 17: Toni-Areal Ansicht Förrlibuckstrasse, Zürich, © Filip Dujardin, Gent

S. 19: Umnutzung Viaduktbögen, Zürich, © Antje Quiram, Stuttgart

S. 20: Christoph Lammerhuber, © Privat

S. 22: Projekt „geras“, 3 Wohnbauten in der Gerasdorfer Strasse, Wien,

© Hertha Hurnaus, Wien

S. 24: Projekt „hernalser“, Büro- und Wohnhaus am Hernalser Gürtel, Wien© Hertha Hurnaus, Wien

S. 25: Projekt „poolhaus“, Wohnhaus im Kabelwerk, Wien, ©Hertha Hurnaus, Wien

S. 26: Peter Tzeschlock, © Drees & Sommer AG

S. 29: Drees & Sommer-Bürogebäude, Stuttgart, © Drees & Sommer AG

S. 31: experimenta Heilbronn, © Sauerbruch Hutton, Berlin

S. 32: Roche „Bau 1“, Basel, © Herzog & de Meuron

S. 33: Drees & Sommer-Bürogebäude, Stuttgart, © Drees & Sommer AG

S. 34 ff: Grohe Dialogveranstaltung im Kunstmuseum Stuttgart, © Frank Kleinbach, Stuttgart

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In der Dokumentation „Was Architektur heute leisten muss: Interkulturell – International – Interdisziplinär“ äußern sich 16 international renommierte Architekten wie Wolf D. Prix, Christoph Ingenhoven, Hadi Teherani, Dietmar Eberle oder Jürgen Mayer H. zu den Herausfor-derungen an die Architektur in Gegenwart und Zukunft. 167 Seiten, 16 Interviews

In „Baukultur im Wertewandel“ wird die Einstellung von 26 renommierten Persönlichkeiten der Bau- und Immobilienbranche zum Thema Nachhaltigkeit do-kumentiert. Es gewährt einen Einblick in die kontroverse Stimmungslage einer heterogenen Branche. 212 Seiten, 26 Interviews

oder bestellen Sie gerne Ihre persönlichen Exemplare unter [email protected]

Hier geht es zum Download der Dokumentationen

In „Lässt sich mit SLOW ARCHITECTURE ein neuer Um-gang mit Stadt und Landschaft erreichen?“ kommen mit Martin Rauch von LEHM TON ERDE aus Ös-terreich und Armando Ruinelli von Ruinelli Associati Architetti aus der Schweiz zwei sehr renommierte Vertreter von SLOW ARCHITECTURE zu Wort. Desweiteren umfasst die Broschüre eine inhaltliche Zusammenfassung eines durch GROHE orga-nisierten SLOW ARCHITECTURE Dialoges in der Kunst-sammlung Nordrhein Westfalen im Sep. 2014. 20 Seiten

„Absorbing Modernity 1914-2014“ lautete das Thema der 14. Architektur-Biennale in Venedig, das der Bien-nale-Chef 2014, der international renommierte nieder-ländische Architekt Rem Koolhaas allen Länderpavillons verordnet hatte. Mit den Generalkommissaren des deut-schen Pavillons 2014 - Professor Alex Lehnerer und Sav-vas Ciriacidis, mit dem Generalkommissar des deutschen Pavillons 2012 - Professor Muck Petzet und mit dem re-nommierten Architekten und Biennale Kenner - Professor Klaus Kada sind wir der Frage nachgegangen. 28 Seiten

Die „Zukunft der Stadt“ wird international zunehmend diskutiert. Zwar haben wir in Deutschland nicht die Probleme wie beispielsweise Asien oder Lateinamerika mit ihren Megacities. Dennoch beschäftigen sich auch unsere Städte mit der Frage, was eine Stadt mit Blick in Richtung Zukunft lebenswert macht. Die Architektur steht hier in einer ganz besonderen Verantwortung. Unsere 4 renommierten Protagonisten (Sergei Tchoban, Prof. Matthias Sauerbruch, Thomas Madreiter und Piet Eckert) präsentierten ihre Einstellung zu o.b. Thema eindrucksvoll. 52 Seiten

trends thesen typologienDie Dialogreihe von GROHE 2015

WAS SIND DIE AUFGABEN EINER ZUKUNFTSWEISENDEN STADTENTWICKLUNG?

DIE STADT DER ZUKUNFT –GIBT ES DIE IDEALE STADT?

LITERATURTIPPS VON GROHE

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