Die Streitverkündung im Zivilprozess

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1 Die Streitverkündung im Zivilprozess Die Streitverkündung im Zivilprozess Einen Zivilprozess sucht man sich nicht aus. Der Kläger kann immerhin entscheiden, ob er eine Klage erhebt oder nicht. Bis zur mündlichen Verhandlung kann er zudem die Klage auch ohne Einwilligung des Gegners jederzeit zurücknehmen. Dagegen muss sich ein Beklagter zwangsläufig mit einer gegen ihn erhobenen Klage auseinandersetzen, auch wenn er sich noch so im Recht befindet. Aber auch als unbeteiligter Dritter kann man in einen Zivilprozess involviert werden. Die Zivilprozessordnung (ZPO) regelt diese Möglichkeit unter der Überschrift „Streitverkündung“ in den §§ 72 bis 74. Prozessuales Dreiecksverhältnis Der Streitverkündung liegt eine Dreieckskonstellation zugrunde: Wenn eine Partei der Auffassung ist, sie habe im Falle des Unterliegens im Rechtsstreit ihrerseits einen Anspruch gegen einen Dritten, so kann sie diesem Dritten den „Streit verkünden“. Gleiches gilt, wenn eine Partei befürchtet, im Falle des Unterliegens ihrerseits von einem Dritten in Anspruch genommen werden zu können. „An einem streitigen Zivilrechtsverhältnis sind häufig nicht nur zwei Parteien beteiligt. Das Institut der Streitverkündung dient dazu, Dreieckskonstellationen etwa in einer Lieferkette Hersteller Händler Kunde prozessrechtlich abzubilden. Eine „Streitverkündung“ bedeutet nicht etwa – wie die Bezeichnung nahelegt , dass nunmehr gegen zwei Gegner gestritten werden soll. Sie dient vielmehr der Absicherung: Wer befürchtet, im aktuellen Rechtsstreit zu unterliegen, in diesem Fall sich aber bei einem Dritten schadlos halten zu können, muss Vorsorge treffen, will er nicht im Ergebnis beide Verfahren verlieren.

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Die Streitverkündung im Zivilprozess

Die Streitverkündung im Zivilprozess Einen Zivilprozess sucht man sich nicht aus. Der Kläger kann immerhin entscheiden, ob er eine Klage erhebt

oder nicht. Bis zur mündlichen Verhandlung kann er zudem die Klage auch ohne Einwilligung des Gegners

jederzeit zurücknehmen. Dagegen muss sich ein Beklagter zwangsläufig mit einer gegen ihn erhobenen Klage

auseinandersetzen, auch wenn er sich noch so im Recht befindet. Aber auch als unbeteiligter Dritter kann man in

einen Zivilprozess involviert werden. Die Zivilprozessordnung (ZPO) regelt diese Möglichkeit unter der Überschrift

„Streitverkündung“ in den §§ 72 bis 74.

Prozessuales Dreiecksverhältnis

Der Streitverkündung liegt eine Dreieckskonstellation zugrunde: Wenn eine Partei der Auffassung ist, sie habe im

Falle des Unterliegens im Rechtsstreit ihrerseits einen Anspruch gegen einen Dritten, so kann sie diesem Dritten

den „Streit verkünden“. Gleiches gilt, wenn eine Partei befürchtet, im Falle des Unterliegens ihrerseits von einem

Dritten in Anspruch genommen werden zu können. „An einem streitigen Zivilrechtsverhältnis sind häufig nicht nur

zwei Parteien beteiligt. Das Institut der Streitverkündung dient dazu, Dreieckskonstellationen etwa in einer

Lieferkette Hersteller – Händler – Kunde prozessrechtlich abzubilden.

Eine „Streitverkündung“ bedeutet nicht etwa – wie die Bezeichnung nahelegt –, dass nunmehr gegen zwei

Gegner gestritten werden soll. Sie dient vielmehr der Absicherung: Wer befürchtet, im aktuellen Rechtsstreit zu

unterliegen, in diesem Fall sich aber bei einem Dritten schadlos halten zu können, muss Vorsorge treffen, will er

nicht im Ergebnis beide Verfahren verlieren.

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Exemplarische Streitverkündung

Konkretes Beispiel: Ein Unternehmen klagt auf Vergütung aus einem Vertrag. Gegner ist eine Gesellschaft mit

beschränkter Haftung (GmbH). Ein wirksamer Vertrag – und damit ein vertraglicher Anspruch – besteht nur, wenn

die GmbH im konkreten Fall wirksam vertreten wurde. Dies ist, wenn nicht gerade der Geschäftsführer selbst

unterschrieben hat, nur der Fall, wenn der jeweilige Mitarbeiter der GmbH bevollmächtigt war. Wendet die

beklagte GmbH im Rechtsstreit ein, der jeweilige Mitarbeiter sei nicht bevollmächtigt gewesen, muss der Kläger

die seiner Meinung nach bestehende Vollmacht beweisen. Gelingt ihm dies nicht, besteht kein vertraglicher

Anspruch und der Kläger wird den Rechtsstreit gegen die GmbH verlieren. Der Kläger hätte dann – je nach den

Umständen des Einzelfalls – einen Anspruch gegen den handelnden Mitarbeiter persönlich. Wenn sich dieser

nämlich als ein Vertreter der GmbH ausgegeben hat, ohne über eine entsprechende Vollmacht zu verfügen, so

haftet er selbst als „Vertreter ohne Vertretungsmacht“ („falsus procurator“). Aus Sicht des Klägers liegt also eine

Alternativkonstellation vor: Entweder der Mitarbeiter war bevollmächtigt, dann haftet die GmbH; oder der

Mitarbeiter war nicht bevollmächtigt, dann haftet zwar nicht die GmbH, aber der Mitarbeiter persönlich. Immer

haftet aber nur entweder der eine oder der andere, sodass der Kläger nicht von Anfang an beide in Anspruch

nehmen kann.

Gefahr widersprüchlichen Entscheidungen

Verliert der Kläger das Verfahren gegen die GmbH mangels Bevollmächtigung des Mitarbeiters, so kann er im

Anschluss zwar einen zweiten Prozess gegen den Mitarbeiter führen. Der Mitarbeiter ist aber an das Ergebnis

des ersten Prozesses nicht gebunden, da er an diesem nicht beteiligt war. Er könnte also im zweiten Prozess

gegen den Kläger einwenden, er habe doch eine wirksame Vollmacht gehabt, sodass die GmbH hafte. Da das

erste Urteil nur im Verhältnis zwischen dem Kläger und der GmbH wirkt, wäre der Mitarbeiter an einem solchen

Vortrag nicht gehindert. Der Kläger könnte also den ersten Prozess verlieren, weil das Gericht eine

Bevollmächtigung des Mitarbeiters nicht für hinreichend nachgewiesen erachtet. Er könnte anschließend den

zweiten Prozess gegen den Mitarbeiter wiederum verlieren, weil ein anderes Gericht zu der Auffassung gelangt,

der Mitarbeiter habe doch eine wirksame Vollmacht besessen. Im Ergebnis würde der Kläger leer ausgehen,

obwohl von vornherein feststeht, dass entweder die GmbH oder der Mitarbeiter haften müssten.

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Prozessuale Absicherung

Um sich gegen ein ungerechtes Ergebnis aufgrund widersprechender Gerichtsentscheidungen abzusichern, kann

der Kläger bereits im ersten Prozess gegen die GmbH dem Mitarbeiter den „Streit verkünden“. Durch eine solche

Streitverkündung erhält der Mitarbeiter die Gelegenheit, sich seinerseits am Rechtsstreit zwischen dem Kläger

und der GmbH zu beteiligen. Er kann also dem Kläger “beitreten“, um ihn im Verfahren gegen die GmbH

unterstützen, etwa indem er Unterlagen vorlegt, aus denen sich seine Bevollmächtigung für die GmbH ergibt. Die

Konstellation ist für den Mitarbeiter pikant, da er den Kläger dann in einem Prozess gegen seinen eigenen

Arbeitgeber unterstützen müsste.

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Der Kläger erzielt aber in jedem Fall den gewünschten Effekt: Indem er dem Mitarbeiter die Gelegenheit gibt, sich

am Rechtsstreit zu beteiligen, schneidet er diesem den späteren Einwand ab, der jetzige Prozess des Klägers

gegen die GmbH sei falsch entschieden worden. Wenn also im ersten Prozess das Gericht zu der Auffassung

gelangt, der Mitarbeiter habe ohne Vollmacht gehandelt, so kann der Mitarbeiter nicht – jedenfalls nicht ohne

weiteres – im zweiten Prozess einwenden, er habe doch eine Vollmacht gehabt. Die Streitverkündung führt also

de facto zu einer Bindungswirkung des Streitverkündungsempfängers. Der Streitverkünder sichert sich ab, dass

er nicht beide Prozesse verliert und im Ergebnis leer ausgeht.

Wirkung der Streitverkündung

Grundsätzlich sind an das Urteil eines Zivilprozesses nur die Parteien – also Kläger und Beklagter – gebunden.

Die Besonderheit der „Streitverkündung“ liegt darin, dass ein Dritter an die Ergebnisse des Prozesses gebunden

wird. „Die Bindungswirkung erstreckt sich auf die tragenden Feststellungen des Ersturteils, das heißt auf dessen

tatsächliche und rechtliche Grundlagen“ erläutern die Richter Dr. Ernst Becht und Dirk Lennartz in den

„Prüfungsschwerpunkten im Zivilprozess“, einem Standardwerk für Rechtsreferendare. Die

Streitverkündungswirkung hat aber Grenzen: Sie kann nur so weit gehen, wie der Streitverkündungsempfänger in

der Lage ist, sich am ersten Rechtsstreit zu beteiligen. Eine Streitverkündung sollte möglichst früh ausgesprochen

werden, um dem Streitverkündungsempfänger Gelegenheit zu geben, das gesamte Verfahren zu verfolgen und

sich bei Bedarf einzuschalten. Tritt der Streitverkündungsempfänger einer Partei bei, kann er grundsätzlich alle

Prozesshandlungen vornehmen, die auch eine Partei vornehmen kann. Er darf sich gemäß § 67 ZPO aber nicht

in Widerspruch zu den Handlungen und Erklärungen der Hauptpartei setzen. Wenn er deshalb an gewissen

Erklärungen oder Handlungen gehindert ist, so kann er diese in einem Folgeprozess natürlich noch geltend

machen. Denn die Rechte des Streitverkündungsempfängers sollen im Ergebnis nicht beschnitten werden. Die

Streitverkündung will lediglich ein ungerechtes Ergebnis durch zwei inhaltlich widersprüchliche Entscheidungen in

zeitlich aufeinanderfolgenden Verfahren vermeiden.

Die Bindungswirkung tritt für den Dritten auch dann ein, wenn er sich nicht aktiv am Rechtsstreit beteiligt, also

nicht einer der beiden Parteien „beitritt“. Allein die Möglichkeit, sich am Verfahren zu beteiligen, rechtfertigt es

nach der Zivilprozessordnung, den Dritten an die Ergebnisse des Verfahrens zu binden. Entschließt er sich also

nach einer Streitverkündung in Kenntnis des laufenden Verfahrens dazu, sich nicht zu beteiligen, so hilft ihm dies

in einem späteren Verfahren nicht: Er ist gleichwohl an die Ergebnisse des Vorprozesses gebunden.

Reaktion auf Streitverkündung

Was ist zu tun, wenn man als unbeteiligter Dritter eine Streitverkündungsschrift erhält? Um sich einen Überblick

zu verschaffen, kann der Streitverkündungsempfänger zunächst Akteneinsicht beantragen. Auch wenn der

Streitverkünder dem Dritten sämtliche Schriftsätze und Verfügungen des Gerichts übermitteln muss, ergeben sich

doch manchmal aus der Gerichtsakte noch weitergehende Aspekte. Auf Basis dieser Informationen kann der

Dritte entscheiden, ob er dem Rechtsstreit beitritt oder nicht. „Regelmäßig empfiehlt sich ein Beitritt, schon um

über den weiteren Verlauf des Verfahrens umfänglich informiert zu sein“, rät der Stuttgarter Anwalt. Der

Streitverkündungsempfänger hat die Wahl, welcher Partei er beitritt. Er muss unter tatsächlichen und rechtlichen,

auch prozesstaktischen Gesichtspunkten überlegen, welcher Partei er zum Sieg verhelfen will.

Die Streitverkündung spielt in der Praxis, etwa in Bau- und Architektenprozessen, eine bedeutsame Rolle: Wenn

der Bauherr den Architekten in Anspruch nimmt, wird dieser oftmals dem aus seiner Sicht verantwortlichen

Handwerker den Streit verkünden. Wenn der Architekt den Haftungsprozess gegen den Bauherrn verlieren sollte,

so kann er – je nach den Umständen des Einzelfalls – in einem Folgeprozess Ersatzansprüche gegen den

inhaltlich verantwortlichen Handwerker geltend machen.

Ein weiterer wichtiger Fall sind kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche in einer „Lieferkette“: Macht ein

Endkunde gegenüber einem Händler Mängel der Kaufsache geltend, so sollte der Händler dem Großhändler oder

Hersteller, von dem er die Sache bezogen hat, den Streit verkünden. Der Händler kann dann im Falle einer

Verurteilung wegen Mängeln der Sache seinerseits beim Großhändler oder Hersteller Regress nehmen. Auch ein

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in Anspruch genommener Bürge sollte für den Fall der Verurteilung dem Hauptschuldner den Streit verkünden.

Denn wenn ein Bürge an den Gläubiger bezahlt, hat er seinerseits aus § 774 BGB einen Regressanspruch gegen

den Hauptschuldner, für den er sich verbürgt hat.

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