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AKADEMIE FORSCHUNG 20 AKADEMIE AKTUELL 01 MAI 2003 KUNST-GESCHICHTE Herkules und DIE TAPISSERIE IM VORTRAGS- SAAL DER AKADEMIE – EINE ANTWERPENER ARBEIT FÜR DEN HERZOG VON BAYERN

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Herkules und D I E T A P I S S E R I E I M V O R T R A G S -S A A L D E R A K A D E M I E – E I N E A N T W E R P E N E R A R B E I T F Ü R D E N H E R Z O G V O N B A Y E R N

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die Lernäische Hydra

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Abb.1: Michiel de Bos, Kampf des Herkules gegen die Lernäische Hydra,Teppich. Vortragssaal der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

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Die Stirnwand unseresVortragssaales schmücktein Wandteppich (Abb. 1)

von prächtiger Erscheinung. Erwird festlich gerahmt von einerBordüre, welche auf blauem Grundin weißer Tönung zwischen Rankenund Arabesken Fabelwesen undBlattmasken zeigt. „Grotesce“nannte man auf Italienisch solchenfabulierenden Zierrat, der sich seitder Entdeckung der NeronischenDomus Aurea rasch verbreitete, imNorden der Alpen, vor allem vonAntwerpen aus.

Eine in Verse gefasste Inschriftumschreibt das Thema des in derMitte prangenden Bildes.„Indefessa Gerens Redivivis BellaColubris – Argolis Ad LernaeTunditur Hydra Vadum“ – „MitHilfe ihrer sich immer erneuerndenKöpfe unermüdlich Kriege füh-rend, wird die Argivische Hydra beidem Sumpf von Lerna zerschmet-tert“. Dargestellt ist der Sieg desHerkules über die LernäischeHydra, die zweite der dem Heldenvon Eurystheus auferlegten Taten.Als plastische Gestalten in weiß-bräunlicher Tönung heben sich dieKriegenden von der blauen Flächedes Gewebes ab. Noch ist derKampf zwischen dem Heros undder Schlange nicht entschieden.Drei Phasen des Geschehens sindim Bilde dramatisch zusammenge-zogen.

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Abb. 2: Albrecht Dürer, Apokalypse.Das Weib mit der Sonne umkleidetund der siebenköpfige Drache.Holzschnitt

In der Mitte erblickt man dieHydra, ein ebenso erschreckendeswie wunderliches Monstrum. Dieliterarischen Beschreibungen derHydra aus der Antike sagen wenigüber deren äußere Gestalt. „Siehatte einen riesigen Körper mitneun Köpfen“ (Bibliothek desApollodor). „Sie war derart giftig,dass sie die Menschen durch ihrenAtem tötete“ (Hyginus Mythogra-phus). Die Hydra war ein Fabel-wesen, ein Phantasma. Auf demTeppich ist sie von kompositerErscheinung. Hauptsächlich siehtsie aus wie ein Drache, dessenSchwanz sich um das Bein desHerkules windet. „Die Hydra wandsich um einen seiner Füße“ (Biblio-thek des Apollodor). Dann aber istsie auch ein Krustentier. Auf ihremRücken trägt sie Platten aus Schild-patt. Ihre Beine erinnern an einenKrebs. Krebse traten als Hilfstrup-pen der lernäischen Hydra auf undsind auch auf dem Teppich zuerkennen. Die Hydra gleicht des-

wegen in Teilen einem riesenhaftenKrebs. Wichtigstes Merkmal desUntiers sind natürlich die vielenKöpfe; man zählt zehn, von denenHerkules zwei zerschmettert hat,einer liegt abgeschlagen auf demBoden. „Aber er konnte nichtserreichen mit seiner Keule, denn soschnell wie ein Kopf zerschmettertwar, wuchsen zwei nach“ (Biblio-thek des Apollodor). Vorne siehtman zwei solche aus einem Halsnachgewachsene Köpfe. Die viel-köpfige Hydra erscheint schon aufgriechischen Vasenbildern. DieHydra unseres Teppichs aber folgteinem biblischen Vorbild: dem Drachen der Apokalypse mitden sieben gekrönten Häuptern(Offenbarung 12, 3-4), wie er aufdem Holzschnitt Dürers erscheint(Abb. 2). Hier werden erstmals reli-

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giöse, konfessionelle Untertöne derDarstellung vernehmlich.

Links erblickt man Herkules. Ererscheint in heroischer Nacktheitnur mit dem Fell des NemeischenLöwen bekleidet, welches seinenvon Muskeln starrenden Körper ingroßem Bogen umschwingt. DasLöwenhaupt dient dem Heroen alsHelm. Im Ausfallschritt hat er sichvor der Hydra aufgebaut, mit bei-den Händen seine Keule umfasst,um den nächsten Schlangenkopf zuzerschmettern. Vergeblich, derAusgang des Kampfes scheintoffen. Doch nun erhalten der Heroswie die Hydra Hilfe von außen.

Herkules‘ Urfeindin Juno dachtesich eine List aus, um den Herosvom Kampf abzulenken und ent-sandte einen riesigen Krebs, der

den Helden ins Bein beißen sollte.Doch Herkules ließ sich nicht beir-ren, sondern zertrat den Störenfried(vgl. Bibliothek des Apollodor).Tatsächlich sehen wir rings um denrechten Fuß des Herkules dreiKrebse. Aber das Tier, auf dasHerkules tritt, ist kein Krebs, son-dern eine Schildkröte. Hier ist zumVergleich jener Stich heranzuzie-hen, der dem Karton unseresTeppichs zugrunde liegt (Abb. 3).Auf diesem Stich zertritt Herkulesunzweifelhaft einen Taschenkrebs,und aus dem Hintergrund naht einganzer Heerzug von weiterenKrebsen. Der merkwürdigeAustausch des „Cancer“ gegen die„Testudo“ verlangt nach einerinhaltlichen Erklärung. In derEmblematik wie in der Tier-Allegorese wird die Schildkrötewegen ihrer Bedachtsamkeit und

Häuslichkeit gepriesen, hier abertritt sie in einer eindeutig negativenRolle auf. Nun gibt es eine gegen-läufige Auslegung, nach welcherdie unter dem Panzer ihres Schild-patts auf der Erde – im Schlamm –dahinkriechende Schildkröte einvon der Last seiner Sünden nieder-gedrücktes Tier sei. Der Kirchen-vater Hieronymus sagt sogar, „dieSchildkröte symbolisiere dieSünden der Ketzer, welche inSchlamm und Kot ihren Irrtümernopfern“. Zum zweiten Mal wird aufunserem Teppichbild ein konfessio-neller Unterton vernehmlich.

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Abb. 3: Cornelis Cort nach FransFloris, Herkules zerschmettert dieLernäische Hydra. Kupferstich

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Auch Herkules holt sich Hilfe. Er befand sich in Begleitung desJolaus, eines Sohnes seinesZwillingsbruders Iphikles. Dieserlegt Feuer im nahen Wald, brenntdie Wunden an den Hälsen derHydra aus und unterbindet dadurchdas Nachwachsen der Köpfe. DerTeppich zeigt ihn im eiligen Schritt,den brennenden Stock auf dieWunde richtend. Die Flammezischt, Dampf und Rauch steigenauf. Mit Feuer und Schwert wirddie Hydra besiegt.

Unser Behang ist Teil einer Folgevon 13 Teppichen mit Taten desHerkules, die Herzog Albrecht V.(1550 –1579) über seineKunstagenten Hans und MarxFugger in Antwerpen in Auftraggab. Am 6.1.1565 fragte HansFugger an, ob „man historais, ver-tura, wildtnüssen mit Thierenhaben wolte“. Noch lag das Themanicht fest. Schon am 21.1. schriebMarx Fugger an den Herzog, erhabe Antwerpen mitgeteilt, „dase.g. den forze herculis jn ain gros-sen saal wolt machen lasen mitgeweltige figuren ... doch ohne sey-den ... allein von 2 Farben ... ohnedj Schattierung“. Also Herkules inmonumentaler Gestalt, doch in derbilligen Ausführung. Die Wirkmar-ken zeigen, dass Hans Fugger denAuftrag an die Werkstatt desMichiel de Bos vergab. Eine pas-sende Vorlage fand sich am Ort.Frans Floris hatte kurz zuvor für dieHerkules-Kammer im Haus desZoll-Einnehmers Jongelinck zehnBilder mit Taten des Herkulesgemalt. Sie sind mit einer Aus-nahme verloren, aber durch dasGeschäft des Hieronymus Cock,der eine florierende Presse fürReproduktionsgraphik unterhielt,in Stichen des Cornelis Cort (1533–1578) überliefert (vgl. Abb. 3).Hier bediente sich Michiel de Bos.

Hinter der höfischen Teppichfolgesteht also die frühkapitalistischorganisierte Antwerpener „Bild-Industrie“ für die auflagenstarkeVerbreitung von Stichen und Vor-lagen.

Bleibt die Frage nach der Rolle deraus Antwerpen gelieferten Teppi-che am Hof des BayerischenHerzogs. Bestimmt waren sie fürden großen Saal des DachauerSchlosses, dessen Ausstattung derHerzog seit 1564 betrieb. Untereiner Kassettendecke mit denWittelsbachischen Wappen siehtman dort einen gemalten Fries mitder Darstellung der olympischenGötter. Unmittelbar darunter hin-gen die Teppiche mit den Taten desHerkules. Für diese Taten wirdHerkules einst unter die Olympi-schen Götter versetzt werden. Friesund Teppiche sind also Teil einesoffenbar im Januar 1565 festgeleg-ten Programms, dessen nicht direktdargestelltes, aber impliziertesHauptziel die „Apotheose desHerkules“ war.

Darüber hinaus sind dynastischeund politisch/konfessionelleLesarten nicht auszuschließen.Herkules galt als mythologischeIdentifikationsfigur für denFürsten, welcher große Taten voll-bringt und sein Land vom Bösensäubert. Die Wahl der Farben Weißund Blau hat heraldische Bedeu-tung. Hinzu kamen die zugehörigenWappenteppiche, welche das baye-rische und das österreichischeWappen zeigten, die von einemLöwen gehalten wurden und so aufdas Wittelsbachische Wappentier,auf Herzog Albrecht und seineFrau, die Habsburgerin ErzherzoginAnna, verwiesen. Der Herkules-Zyklus für den Saal im SchlossDachau war also Wittelsbachischgefärbt, wobei zu erinnern ist, dassnach Aventin die BayerischenHerzöge von einem sagenhaften„Hercules Alemannus“ abstammensollten.

Die Ausstattung des DachauerSaales fiel in die Jahre als Albrechtnach dem Ende des Tridentinums1563 die Niederkämpfung desProtestantismus in seinem Terri-torium entschieden vorantrieb, denprotestantischen Adel beugte, dieAufsicht über die UniversitätIngolstadt verschärfte. Die Wahlder „forze Herculis“ als Thema fürdie Teppiche im neuen Saal inDachau, auch deren rüde Darstel-lung durch „geweltige Figuren“,dürfte diesem politischen Programmentsprechen. Der Kampf gegen dielernäische Hydra, deren Köpfe sichwie die protestantischen Ketzerimmer neu erheben, der tödlicheTritt auf die Schildkröte, die sichim Schlamm der Häretiker suhlt, sie sind mythologische Gleichnissefür die antiprotestantischenMaßregeln des Herzogs. Albrecht V.wird auf den Teppichen als einchristlicher Herkules gefeiert, dersein Land von Gift und Schmutzder Ketzer säubert.

Man sieht: Der Teppich mit Her-kules und der lernäischen Hydra,der unserem Vortragssaal seindräuendes Gespränge leiht, ist sounschuldig nicht, sondern weistzurück auf ein glanzvolles aberauch finsteres Kapitel BayerischerGeschichte.

Der Autor dankt Martin Hose füreine Korrektur bei der Überset-zung des elegischen Distichonsmit der Umschreibung desBildthemas.

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