Die Transformation des Marburger Bundes: Vom Berufsverband zur Berufsgewerkschaft

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Die Transformation des Marburger Bundes

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Samuel Greef

Die Transformation des Marburger Bundes

Vom Berufsverband zur Berufsgewerkschaft

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ISBN 978-3-531-19573-5 ISBN 978-3-531-19574-2 (eBook)DOI 10.1007/978-3-531-19574-2

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Samuel GreefUniversität Kassel, Deutschland

Dissertation an der Universität Kassel, Fachbereich Gesellschaft swissenschaft en

Tag der Disputation: 3. Februar 2012

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Geleitwort

Das vorliegende Buch ist eine Fallstudie über den Wandel der kollektiven Ar-beitsbeziehungen in den deutschen Krankenhäusern. Dort gibt es zwar traditio-nell divergierende Gewerkschaften. Doch zugleich gab es über viele Jahrzehnte hinweg eine übergreifende, alle Beschäftigtengruppen vertretende DGB-Gewerkschaft, die auf Arbeitnehmerseite eine monopolistische Verhandlungspo-sition besaß. Das war vor 2001 die ÖTV und danach ver.di. Seit 2005 ist dieses Verhandlungsmandat durch die Krankenhausärzte und deren Vertretung, den Marburger Bund, aufgekündigt worden. In einem konflikthaften Prozess erfolgte in vergleichsweise kurzer Zeit die Transformation des Marburger Bundes vom Berufsverband zur Berufsgewerkschaft.

Der Verlust des ver.di-Monopols, alle Beschäftigtengruppen im Kranken-haus unabhängig vom Status gleichermaßen zu vertreten, reiht sich in eine Ent-wicklung ein, in der die Handlungsspielräume der DGB-Gewerkschaften sich eher einengten als erweiterten. Manche sehen in dieser Entwicklung, die durch die Stichworte von der Überbietungs- und Unterbietungskonkurrenz, durch Spar-tengewerkschaften, durch zurückgehende Mitgliederzahlen auf der negativen Seite geprägt sind, auch schon die Vorboten für das Ende des deutschen Gewerk-schaftsmodells massenintegrativer Großgewerkschaften und den Beginn eines neuen pluralistischen Zeitalters, in dem es weniger um Einfluss-, sondern mehr um die Mitgliederlogik geht. Befürchtet wird der Aufstieg einer neuen Überbie-tungskonkurrenz, die auf dem Prinzip der exklusiven Solidarität basierend nicht mehr auf das Gesamtsystem rekurriert, sondern lediglich auf organisationale und mitgliederbezogene Interessenlagen.

Herr Greef leistet mit seiner Fallstudie einerseits einen Beitrag zur Debatte über den Wandel des deutschen Gewerkschaftsmodells und erklärt, wie es zu veränderten Handlungsmustern und Strukturen in der kollektiven Tarifvertrags-politik im Krankenhausbereich gekommen ist. Dabei spielt die als unzureichend wahrgenommene Politik von ver.di ebenso eine Rolle wie die zögerliche und zurückhaltende Politik seitens der Verbandsspitze des Marburger Bundes gegen-über den Interessen der jungen Assistenzärzte. Andererseits liefert diese Arbeit wichtige Erkenntnisse für die Debatte zu den Folgen des Wandels staatlicher oder ehemals staatlicher Daseinsvorsorge. Hierzu folgendes: Seit Mitte der 1990er Jahre sind die Krankenhäuser mit den Folgen der Ökonomisierung des

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6 Geleitwort

Gesundheitswesens konfrontiert. Gewissermaßen als Initialzündung ist das Gesundheitsstrukturgesetz vom Januar 1993 zu sehen. Dieses beinhaltet die De-ckelung des Krankenhausbudgets und die Einführung der so genannten Fallpau-schalen, also der Vergütung eines Behandlungsfalls durch eine Pauschale und nicht nach den tatsächlich entstandenen Kosten. Diese Vorgaben erhöhen den ökonomischen Druck auf die Krankenhäuser mit einschneidenden finanziellen Auswirkungen auf die Ärzteschaft. Rationalisierung und Einsparungen konzent-rieren sich in den Krankenhäusern in starkem Maße auf die Personalkosten, denn diese umfassen rund 60 Prozent der Ausgaben. Begleitet werden diese Prozesse auch von einer Verbetrieblichung der Tarifpolitik, indem sich private Kliniken aus den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes zugunsten von Haus- oder Kon-zerntarifverträgen verabschieden. Das gleichzeitige Zusammentreffen von Ge-haltsdeckelung und administrativem Effizienzdruck förderte das Empfinden der Ärzte, von einem Statusverlust betroffen zu sein. Der sichtbarste Ausdruck der Ökonomisierung im Sinne branchenstruktureller Veränderungen ist der Rück-gang an Krankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft, deren Anteil bis heute auf nur noch ein Drittel aller deutschen Krankenhäuser schrumpfte.

Durch das Konzept der Gelegenheitsstruktur, dass beispielsweise in der so-zialen Bewegungsforschung der 1980er Jahre genutzt wurde, sucht Greef der komplexen Konstellation der Transformation vom Berufsverband zur eigenstän-digen Tariforganisation Rechnung zu tragen. Gelegenheitsstruktur, Ressourcen-mobilisierungspotenzial und Gelegenheitsfenster sind die drei kategorialen Grundbegriffe, die er zur Analyse des Prozesses der Transformation heranzieht. Die Arbeit ist eine politikwissenschaftliche Studie, die sich im Kern eigenständi-ger empirischer Forschungsarbeit auf zwei Fragen konzentriert. Erstens: „Was ist Motiv und Anlass für den Wandel des Marburger Bundes zur eigenständigen Berufsgewerkschaft und welche Merkmale zeichnen den Transformationsprozess aus?“. Die zweite Frage lautet: „Inwieweit ist die Transformation des Marburger Bundes abgeschlossen und welche Perspektiven ergeben sich für die Arbeitsbe-ziehungen im Krankenhaussektor?“.

Mit seiner Studie zum Marburger Bund ist Herrn Greef eine vorbildliche Fallstudie gelungen. Warum dies? Weil er uns mit seinem Buch sowohl neue und intensivere Einblicke in die veränderten Strukturen der Daseinsvorsorge wie auch ein tieferes Verständnis der Bedeutung der Mitgliederlogik für gewerk-schaftliches Handeln ermöglicht. Der besonderer Reiz dieses Buches besteht darin, dass Samuel Greef seine strukturellen Überlegungen zum Wandel einer Branche verbindet mit einer organisationssoziologischen und politisch-soziologischen Analyse der handelnden Akteure, ihrer Ressourcen, Ideen, Stra-tegien aber eben auch ihres konkreten Handelns sowie dessen Auswirkungen auf die strategischen Möglichkeiten der jeweiligen Organisationen.

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Geleitwort 7

Samuel Greef legt mit seiner Dissertation eine materialreiche, intelligente und außerordentlich systematische Studie zum Wandel des deutschen Gewerk-schaftsmodells in der Gesundheitsbranche vor. Er befasst sich nicht nur mit ob-jektiven ökonomischen und verfahrensgetriebenen Strukturen; er sucht auch Erkenntnisse der Berufs- und Professionsforschung für die eigene Arbeit frucht-bar zu machen. Man kann von einer sehr gelungenen und gut zu lesenden Studie sprechen, die den bisherigen Stand der Forschung zum Thema deutlich übertrifft. Zugleich räumt Herr Greef mit einigen Vergröberungen, die sich vor allem in der öffentlichen Debatte eingeschlichen haben, auf. Großartig ist seine visualisieren-de, systematisierende und synthetisierende Leistung, ja die Architektur des Ge-samttextes.

Potsdam, den 29.03.2012 Wolfgang Schroeder

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Danksagung

Die vorliegende Publikation meiner Dissertationsschrift bildet den Abschluss einer dreijährigen, arbeitsreichen Phase. Daher möchte ich mich an dieser Stelle bei all jenen bedanken, die mich in dieser Zeit bei meiner Arbeit unterstützt ha-ben und mir vielfach während des gesamten Entstehungsprozesses mit Rat und Tat zur Seite standen. An erster Stelle gilt mein Dank den Interviewpartnern, die mir bereitwillig Rede und Antwort standen. Ohne ihre Kooperation und Offen-heit für meine Fragen wäre diese Studie nicht möglich gewesen. Meinem Dok-torvater Prof. Dr. Wolfgang Schroeder danke ich nicht nur für die engagierte wissenschaftliche Betreuung meiner Dissertation, sondern auch, weil ich ohne ihn wohl nie in der Gewerkschaftsforschung gelandet wäre. Auch PD Dr. Rudolf Speth, der sich kurzfristig dazu bereit erklärt hat, den Part des Zweitgutachters zu übernehmen, bin ich dafür sehr dankbar.

Mein besonderer Dank gilt meiner ehemaligen Kollegin und Projektpartne-rin Viktoria Kalass. Sie stand für theoretische und inhaltliche Debatten immer bereitwillig zur Verfügung. Darüber hinaus hat die Lesbarkeit dieser Buchveröf-fentlichung dank ihres Lektorats erheblich zugenommen. Auch die Teilnehmer unseres Forschungskolloquiums am Fachgebiet Politisches System der BRD an der Universität Kassel möchte ich nicht unerwähnt lassen. Die Diskussionen und Anregungen haben mich beim Schreiben dieser Arbeit von Beginn an hilfreich begleitet. Für die tatkräftige Unterstützung bei der Überarbeitung und ihre kon-struktiven Anmerkungen schulde ich weiterhin Nicole Soost und Josua Greef ein herzliches Dankeschön.

Nicht zuletzt soll auch die Hans-Böckler-Stiftung genannt werden. Sie hat zwei Jahre lang unser Projekt über das Phänomen des Auftretens von Berufsge-werkschaften unterstützt. Die Projektarbeit regte eine weiter- und tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Marburger Bund an und inspirierte damit letztlich die vorliegende Dissertationsschrift.

Kassel, den 04.04.2012 Samuel Greef

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Inhalt 1 Einleitung ..................................................................................................... 15

1.1 Forschungsstand ................................................................................... 20 1.1.1 Forschungsstand Marburger Bund ............................................. 22

1.2 Fragestellung und Thesen ..................................................................... 24 1.3 Methodisches Vorgehen ....................................................................... 26

1.3.1 Fallauswahl ................................................................................ 29 1.3.2 Forschungsmethode ................................................................... 31

1.4 Theoretischer Rahmen .......................................................................... 33 1.4.1 Transformation .......................................................................... 35 1.4.2 Political opportunity structure (POS) ........................................ 39 1.4.3 Resource Mobilization Theory (RMT) ...................................... 44 1.4.4 Window of opportunity (WOO) ................................................ 45 1.4.5 Konzeption und Spezifizierung der Gelegenheitsstruktur ......... 46

1.5 Kapitelübersicht .................................................................................... 49

2 Organisationsumwelt des Marburger Bundes: Strukturen und Konstellationen im Wandel ........................................................................ 51 2.1 Globale Umwelt: Arbeitsbeziehungen, Staatstätigkeit und

Gesetzgebung........................................................................................ 52 2.1.1 Einordnung des Phänomens in den Wandel der

Arbeitsbeziehungen ................................................................... 52 2.1.2 Wandel der Staatstätigkeit – Modernisierung des Staates ......... 57 2.1.3 Krankenhausgesetzgebung ........................................................ 59

2.2 Branche: Krankenhauslandschaft im Wandel ....................................... 78 2.2.1 Krankenhausbranche im Überblick ........................................... 78 2.2.2 Privatisierung............................................................................. 86 2.2.3 Beschäftigtenentwicklung ......................................................... 95 2.2.4 Ärztemangel .............................................................................. 98

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12 Inhalt

2.3 Akteurslandschaft: Vielfalt und Konstellationen ................................ 106 2.3.1 Konkurrenz- und Konfliktformen ............................................ 106 2.3.2 Berufsverbände und Kammern ................................................ 113 2.3.3 Gewerkschaftliche Akteure ..................................................... 125 2.3.4 Organisationen auf Arbeitgeberseite ....................................... 129

2.4 Bedeutung des Umweltwandels für Ärzte und Marburger Bund ........ 131

3 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel ............................. 135 3.1 Entwicklung der ärztlichen Profession ............................................... 136

3.1.1 Wissenschaftliche Ausrichtung vom 17. bis 19. Jahrhundert .. 137 3.1.2 Zentralisierung, Standeseinheit und staatliche Unterstützung . 139 3.1.3 Weimarer Republik bis zur Gründung der Bundesrepublik .... 142

3.2 Ärztliche Ausbildung .......................................................................... 145 3.2.1 Studium ................................................................................... 146 3.2.2 Facharztweiterbildung ............................................................. 148

3.3 Berufsprofil ......................................................................................... 153 3.3.1 Krankenhaus- und Arzthierarchie ............................................ 153 3.3.2 Feminisierung des Arztberufes ................................................ 162 3.3.3 Arbeitszeit und Einkommen .................................................... 166 3.3.4 Arbeitsbelastung und Veränderungen im Aufgabenprofil ....... 176

3.4 Ärztliche Profession heute .................................................................. 181

4 Marburger Bund: Historie und Struktur ............................................... 191 4.1 Eckpunkte der historischen Entwicklung ............................................ 192

4.1.1 Gründungskontext ................................................................... 193 4.1.2 Gründung zwischen Ärztekammer, Berufsverband und

Gewerkschaft ........................................................................... 195 4.1.3 Organisation(sstrukturen) im Wandel ..................................... 199

4.2 Organisationsstruktur .......................................................................... 203 4.2.1 Formale Struktur von Bundesverband und Landesverbänden . 203 4.2.2 Organe, Gremien, Haupt- und Ehrenamtlichkeit ..................... 208

4.3 Mitgliedschaft ..................................................................................... 220 4.3.1 Mitgliederdefinition und -entwicklung .................................... 221 4.3.2 Mitgliederstruktur .................................................................... 225

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Inhalt 13

4.4 Aufgaben und Funktionen .................................................................. 231 4.4.1 Berufspolitik und Dienstleistungen ......................................... 232 4.4.2 Mitbestimmung ....................................................................... 234 4.4.3 Tarifpolitik .............................................................................. 236 4.4.4 Entwicklung der tarifpolitischen Beteiligung .......................... 241

5 Transformation: Marburger Bund im Wandel ...................................... 253

5.1 Auf dem Weg zur Berufsgewerkschaft ............................................... 253 5.1.1 Vorläufer des Streiks 2005 und Aufkommen ärztlicher

Forderungen ............................................................................ 254 5.1.2 Widerstand und Kontroverse im Marburger Bund .................. 263 5.1.3 Trennung von Ver.di ............................................................... 269 5.1.4 Durchsetzung der Forderungen – Der Streik 2005/ 2006 ........ 276 5.1.5 Erste eigenständige Tarifverträge . ......................................... 281 5.1.6 Diskussion um die Gesundheitsgewerkschaft ......................... 290

5.2 Zwischen Berufsverband und Berufsgewerkschaft ............................. 293 5.2.1 Strukturwandel ........................................................................ 295 5.2.2 Kulturwandel ........................................................................... 295

6 Schlussbetrachtung: Transformation des Marburger Bundes ............. 299

6.1 Vergangenheit: Gelegenheitsstruktur und Transformation ................. 300 6.1.1 Gelegenheitsstruktur ................................................................ 300 6.1.2 Ressourcenmobilisierung ........................................................ 305 6.1.3 Gelegenheitsfenster ................................................................. 307 6.1.4 Transformation als Bottom-Up-Prozess .................................. 309

6.2 Gegenwart: Gewerkschaftlicher Standesverband ............................... 315 6.3 Zukunft: Eine Frage des Umgangs ..................................................... 316

7 Literaturverzeichnis .................................................................................. 321

8 Anhang ....................................................................................................... 345

8.1 Abkürzungsverzeichnis ....................................................................... 346 8.2 Interviewliste ...................................................................................... 348 8.3 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ................................................ 349

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1 Einleitung

„Sie müssen sich eines hinter die Ohren schreiben [...] TdL – also die Ta-rifgemeinschaft deutscher Länder – und VKA – die kommunalen Träger – werden niemals mit dem Marburger Bund separate Tarifverhandlungen führen, nie. Und zweitens, es wird Ihnen Hauptgeschäftsführer Ehl nie gelingen, mehr als 30 Ärzte auf die Straße zu bekommen“.1

Diese deutlichen Worte fand 2004 Frank Ulrich Montgomery, der damalige Vorsitzende des ärztlichen Berufsverbandes Marburger Bund. Vorausgegangen war die Frage seines neuen Hauptgeschäftsführers Armin Ehl, warum der Ver-band keine eigenen Tarifverträge habe. Montgomery, der zu diesem Zeitpunkt dem Marburger Bund bereits 15 Jahre lang vorstand, war offenbar fest davon überzeugt, dass dem Verband in der Tarifpolitik enge Grenzen gesetzt seien. Niemals würden die Arbeitgeber den Marburger Bund als Verhandlungspartner akzeptieren und die Ärzte wären nie für einen Streik zu mobilisieren.

Rückblickend zeigt die darauf folgende Entwicklung jedoch, dass Montgo-mery sich mit beiden Annahmen geirrt hatte. Bereits ein Jahr später verhandelte der Marburger Bund als Berufsgewerkschaft sowohl mit der Tarifgemeinschaft der deutschen Länder (TdL) als auch mit der Vereinigung der kommunalen Ar-beitgeberverbände (VKA) über arztspezifische Tarifverträge in öffentlichen Krankenhäusern. Offenbar war es in dieser kurzen Zeit zu Veränderungen ge-kommen, in deren Folge nicht nur TdL und VKA zu Verhandlungen bereit wa-ren. Darüber hinaus trat der Marburger Bund mit einem zuvor nicht gekannten Selbstbewusstsein auf. Der eine oder andere mag die Krankenhausärzte2 und ihren Verband für wahnsinnig gehalten haben, als diese 2005 mit einer Forde-rung nach 30 Prozent mehr Lohn in die Tarifverhandlungen gingen. Die Deut-sche Krankenhausgesellschaft als Interessenvertretung der Klinikbetreiber nann-te die Forderung „völlig abwegig“ (DKG 2005). Die Vereinigung der kommuna-len Arbeitgeberverbände forderte den Marburger Bund „zur Vernunft auf“, die Forderungen seien „völlig überzogen“ (VKA 2006). Die Ärztegewerkschaft ließ sich indes nicht beirren und rief ihre Mitglieder auf, den Forderungen mit Ar-beitsniederlegungen und Protesten den nötigen Nachdruck zu verleihen. Diese widerlegten eindrücklich die zweite Annahme Montgomerys. Wiederholt konn-ten im Folgenden bundesweit tausende Ärzte für Proteste und Streiks mobilisiert werden. Offensiv traten die Krankenhausärzte für ihre Forderungen nach einer 30-prozentigen Lohnerhöhung und besseren Arbeitsbedingungen ein. 1 Frank Ulrich Montgomery zit. n. Interview MB (17) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. 2 Sofern nicht geschlechtsspezifische Unterschiede herausgestellt werden sollen, wird zur besseren Lesbarkeit in dieser Arbeit ausschließlich die männliche Form verwandt. In diesen Fällen ist auch immer die weibliche Form impliziert.

S. Greef, Die Transformation des Marburger Bundes, DOI 10.1007/978-3-531-19574-2_1,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

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16 Einleitung

Die Arbeitskämpfe trafen in der Öffentlichkeit und in den Medien auf große Resonanz. „Der größte Ärztestreik der Geschichte“ titelte die FAZ (2006) und sprach von einem „beispiellosen Massenstreik“ mit bis zu 12.000 beteiligten Ärzten. Neu und deshalb offensichtlich erwähnenswert war der Arbeitskampf der Ärzte, weil diese Berufsgruppe bis dato nicht zu den klassischen Streikakteuren zählte. Darin mag auch der Grund für Montgomerys Fehleinschätzung gelegen haben. Er hatte die Streikbereitschaft der Krankenhausärzte massiv unterschätzt. Aber nicht nur deshalb weckten die Ärztestreiks öffentliches und mediales Inte-resse. Mindestens ebenso viel Aufsehen wie die streikenden Ärzte erregte, dass sich der Marburger Bund hinter die ärztlichen Proteste stellte. Als klassischer Berufsverband dürfte der Marburger Bund bis dahin allenfalls versierten Be-obachtern des Gesundheitswesens ein Begriff gewesen sein. Denn als Gewerk-schaft hatte der Verband zuvor nicht von sich reden gemacht. Für die Tarifpolitik im Krankenhaus spielte vielmehr die dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) angehörende Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) die Hauptrolle. Mit dem neuen gewerkschaftlichen Selbstverständnis des Marburger Bundes folgte daher eine Zäsur in den Arbeitsbeziehungen im Krankenhaussektor, die auch die Frage nach den Auswirkungen auf das gesamte Gewerkschaftsmodell aufwirft.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte sich das Prinzip der Ein-heits- und Branchengewerkschaft als ein Strukturmerkmal des deutschen Mo-dells der industriellen Beziehungen durch. Parteipolitische und weltanschauliche Neutralität (Einheitsprinzip) sowie die umfassende Organisation aller Beschäf-tigten eines Industriesektors beziehungsweise einer Branche (Branchen- oder Industrieverbandsprinzip) – unabhängig von Beruf, Qualifikation und Status – kennzeichnen seitdem die Gewerkschaften im DGB (vgl. Hassel 2003: 104f.).3 Seit ihrer Gründung verhandeln diese als maßgebliche Akteure auf Arbeitneh-merseite die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen. Dabei richten sie ihre bran-chenbezogene Tarifpolitik an solidarischen Gesichtspunkten aus. Ihre dominante Position prägte unhinterfragt das deutsche Modell der Arbeitsbeziehungen über Jahrzehnte hinweg. Heute scheint dieses Modell mit dem Aufkommen berufsge-werkschaftlicher Konkurrenz jedoch zur Disposition zu stehen.

In den letzten zehn Jahren entschlossen sich einzelne Berufsorganisationen, aus dem Schatten der DGB-Branchengewerkschaften zu treten. Diese kleinen, berufsständisch orientierten Verbände forderten eine eigenständige tarifpolitische Zuständigkeit für ihre Mitglieder, verbunden mit hohen Lohnzuwächsen. Mit der

3 Das Einheits- und Industrieverbandsprinzip sollte nicht nur Konkurrenz zwischen den Arbeitneh-mern, sondern darüber hinaus die organisationale Aufspaltung der Interessenvertretung verhindern. Diese Zersplitterung der Arbeiterschaft in der Weimarer Republik wurde als Grund für die „kollekti-ve Ohnmacht“ der Gewerkschaften gegenüber der Machtergreifung Hitlers angesehen (Schönhoven 2003: 50).

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Einleitung 17

in ihren berufsspezifischen Tarifverträgen festgeschriebenen Entgelthöhe über-boten sie das bestehende Lohnniveau in den Branchentarifverträgen der DGB-Gewerkschaften. Vor diesem Hintergrund wird auch von einer Überbietungskon-kurrenz durch Berufsgewerkschaften gesprochen. Allen voran gelang es der Vereinigung Cockpit (VC) im Jahr 2001 einen eigenständigen Tarifvertrag für Piloten bei der Lufthansa abzuschließen. Der Marburger Bund (MB) folgte dem Beispiel der VC und setzte 2006 einen Krankenhausärztetarif durch. Zuletzt erkämpfte 2008 die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) einen Spartentarifvertrag für Lokführer bei der Deutschen Bahn.

Verwunderlich war nicht nur, dass diese drei Berufsorganisationen plötzlich aus scheinbar etablierten Akteurs- und Verhandlungskonstellationen ausbrachen, sondern auch, dass ihnen dieser Schritt gelingen konnte. Denn ihre Forderung nach tarifpolitischer Eigenständigkeit und ihre Anerkennung als Tarifakteur mussten sie sowohl gegenüber der bis dato quasi allein zuständigen DGB-Gewerkschaft als auch gegenüber den Arbeitgebern durchsetzen (vgl. Schroeder/ Greef 2008: 346f.). Das große öffentliche Interesse am Marburger Bund sowie der GDL ließ sich nicht zuletzt auf die dafür notwendigen, langwierigen Arbeits-kämpfe zurückführen. Die Arbeitgeber lehnten die hohen Lohnforderungen der Berufsverbände entschieden ab und waren zunächst auch grundsätzlich nicht bereit, diese als Verhandlungspartner zu akzeptieren. Ebenso bemühten sie die Arbeitsgerichte, um die Streiks der Lokführer und Ärzte unterbinden zu lassen.4 Harsche Kritik am Vorgehen der Berufsgewerkschaften brachten auch die DGB-Gewerkschaften vor. Diese würden die berufliche Macht ihrer Mitglieder nutzen, um auf Kosten der anderen Beschäftigtengruppen ihre partikularen Interessen durchzusetzen. Die berufsgewerkschaftliche Überbietungskonkurrenz spalte nicht nur die solidarische Interessenvertretung durch umfassende Einheits- und Branchengewerkschaften, sondern gefährde auch den Frieden innerhalb der Be-legschaft. Denn die Gültigkeit unterschiedlicher Tarifverträge im gleichen Un-ternehmen breche mit dem Prinzip der Tarifeinheit.5 Damit einher ginge „eine Zersplitterung der Tariflandschaft mit negativen Auswirkungen für Beschäftigte 4 Die betroffenen Arbeitgeber versuchten in vielen Fällen, die angekündigten Arbeitskämpfe der Berufsgewerkschaften kurzfristig durch die Arbeitsgerichte mit Hilfe einstweiliger Verfügungen untersagen zu lassen. Ein Vorgehen, das wiederholt von Erfolg gekrönt war. So untersagten etwa die Arbeitsgerichte Düsseldorf, Mainz und Chemnitz 2007 wiederholt (Warn-)Streiks der GDL vollstän-dig oder schränkten diese ein (vgl. FAZ 2007). Aufgrund einer Entscheidung des LAG Köln musst der Marburger Bund 2005 einen angekündigten Warnstreik widerrufen (vgl. Krankenhausgesellschaft NRW 2005). Zuletzt verbot im August 2011 das Arbeitsgericht Frankfurt und das Landesarbeitsge-richt Hessen den Streik der GdF (vgl. taz 2011). 5 Umgangssprachlich fand das Prinzip der Tarifeinheit seinen Ausdruck in der Formel Ein Betrieb – ein Tarifvertrag (– eine Gewerkschaft). Zu den seit mehreren Jahren diskutierten Auswirkungen und dem Umgang mit dem Prinzip der Tarifeinheit sei vertiefend auf Reichold (2007), Hunold (2007), Franzen (2008) und Boemke (2009) verwiesen.

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18 Einleitung

und Unternehmen“ (Sommer 2010). Diese Argumente griffen die Arbeitgeber ebenfalls auf und kritisierten, dass „Belegschaften gespalten und die notwendige Solidargemeinschaft eines Betriebes durch einzelne Funktionseliten und Berufs-gruppen gesprengt“ würden (BDA 2010: 2).

Die lautstark von Arbeitgeber- wie DGB-Gewerkschaftsseite vorgetragene Kritik erweckt den Eindruck, dass mit der berufsgewerkschaftlichen Konkurrenz zukünftig das gesamte System der Arbeitsbeziehungen in Gefahr gerät. Wort-reich malen sie das Ende des deutschen Arbeitsfriedens an die Wand. Das Phä-nomen der Etablierung einzelner Berufsverbände als eigenständige, berufsbezo-gene Spartengewerkschaften werde als Beispiel allerorten Schule machen. Damit kehrten englische Verhältnisse6 ein, „mit dauernden Tarifauseinandersetzungen für einzelne Berufsgruppe“ (ebd. 2010: 3). Diese werde sich letztlich negativ auf den Standort Deutschland auswirken. Arbeitgeber und DGB befürchten, dass Deutschland auf dem Weg in eine Streikrepublik sei (vgl. Sommer 2010; BDA 2010; Gertz 2010).

Obwohl die Branchengewerkschaften bereits seit Jahrzehnten verschiedenen Herausforderungen und Problemen gegenüberstehen, bedrohte bisher keine die-ser Entwicklung ihre dominante Position im deutschen Modell der industriellen Beziehungen. Heute scheint, darauf weisen die Zukunftsprognosen von BDA und DGB hin, ihre herausgehobene Stellung jedoch zur Disposition zu stehen. Unter diesem Blickwinkel ist der bisher wissenschaftlich erst in groben Zügen untersuchte Wandel innerhalb der industriellen Beziehungen durch das Auftreten von Berufsgewerkschaften von großer Bedeutung. Denn es geht nicht allein um die Entwicklung der Einheits- und Branchengewerkschaften, sondern darüber hinaus um die zukünftige Gestalt der Arbeitsbeziehungen im deutschen Modell. Daher ist es notwendig, das Forschungsinteresse auf die Hintergründe und Be-dingungen zu richten, die das Phänomen der Vergewerkschaftung von Berufs-verbänden erklären können.

Der Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung liegt im Wandel der Arbeitsbeziehungen im Krankenhaussektor. Auch wenn die Krankenhausbranche nicht zu den Kernsektoren des Deutschen Modells (verarbeitende, exportorien-tierte Industrie) gehört, sind die dort vorzufindenden Veränderungen für das gesamte System der Arbeitsbeziehungen von Interesse. Denn der Wandel der Akteurskonstellation im Krankenhaussektor legt nicht zuletzt Schwächen des deutschen Gewerkschaftsmodells offen. Hier konnte sich der Marburger Bund

6 Mit den Ausdrücken englische Verhältnisse oder the British disease wird auf die Industriellen Beziehungen im Großbritannien der 1960er- und 70er-Jahren angespielt. In diesen Zeitrahmen fällt ein erhebliches Arbeitskampfaufkommen (mit vielen wilden Streiks) und eine zersplitterte Land-schaft der Arbeitnehmerinteressenvertretung mit hunderten einzelnen Berufsgewerkschaften (vgl. bspw. Wrigley 2002: 40ff.).

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Einleitung 19

2006 als eigenständiger Tarifakteur etablieren. Noch im Jahr zuvor hatte ver.di (Dielmann 2005b: 1855) angesichts der laufenden, konfliktreichen Tarifverhand-lungen zum neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) klargestellt:

„Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst werden von ver.di geführt. Sie vertritt alle Be-schäftigten, auch Ärztinnen und Ärzte, die sich gewerkschaftlich organisiert haben. Darüber hinaus handelt ver.di in Vollmacht auch für den MB.“

Im Laufe des Jahres 2005 entschied jedoch die 108. Hauptversammlung des Marburger Bundes in Berlin, den Schwerpunkt der Verbandsarbeit um eine ei-genständige Tarifpolitik zu erweitern. Die Delegierten lehnten das unter Feder-führung von ver.di verhandelte Tarifergebnis ab, widerriefen die „Verhandlungs-vollmacht […] für die Gewerkschaft ver.di […] mit sofortiger Wirkung“ und forderten die Arbeitgeber zu Verhandlungen über einen „eigenständigen Ärzteta-rif“ auf.7 Vor dieser Entscheidung zur Trennung von ver.di, vertrat der Marbur-ger Bund hauptsächlich die berufspolitischen und -ständischen Interessen der Krankenhausärzte. Er war also mitnichten ein neuer Akteur. Vielmehr war er seit seiner Gründung 1948 als berufsverbandliche Interessenvertretung bei den Kran-kenhausärzten anerkannt. Gleichzeitig musste er sich in der tarifpolitischen Are-na seit Jahrzehnten der dominanten DGB-Gewerkschaft (zunächst der ÖTV und anschließend ver.di) unterordnen. Diese verhandelte die Tarifverträge für alle Beschäftigten im Krankenhaus einschließlich der Ärzte.

Heute dagegen erscheint es für viele junge Ärzte selbstverständlich, dass der Marburger Bund als Ärztegewerkschaft ihre tarifpolitischen Interessen eigen-ständig und arztspezifisch vertritt. Mit welchen Schwierigkeiten es verbunden war, den heutigen Status Quo durchzusetzen, ist einem Großteil dieser Ärzte nicht (mehr) präsent.8 Dabei liegt die Entscheidung der 108. Hauptversammlung am 10. September 2005 erst wenige Jahre zurück. Diesen Tag bezeichnet der damalige Vorsitzende des Bundesverbandes Frank Ulrich Montgomery rückbli-ckend als „historisches Datum für den Marburger Bund“9. Im Zuge der Trennung von ver.di veränderte sich nicht nur der Verband. Mit der eigenständigen tarifpo-litischen Gestaltungsmacht des Marburger Bundes entstand nicht zuletzt eine gewerkschaftliche Konkurrenzsituation. Diese verändert Aushandlungs-, Ak-teurs- sowie Konfliktkonstellationen und stellt damit das etablierte System der Arbeitsbeziehungen im Krankenhaussektor in Frage. Um dieser Entwicklung zu verstehen, müssen der Wandel des Ärzteverbandes und dessen Hintergründe analysiert werden. 7 Beschlüsse Nr. 1 und 2 der 108. Hauptversammlung (Marburger Bund 2005b). 8 Vgl. Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt. 9 Zitiert nach: Marburger Bund-Pressekonferenz am 12.09.2005 zur 108. MB-Hauptversammlung (Marburger Bund 2005b).

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20 Einleitung

Der Fokus dieser politikwissenschaftlichen Studie liegt auf der Transformation des ehemals berufsständisch orientierten Ärzteverbandes Marburger Bund zum eigenständigen Tarifakteur – und damit zur Berufsgewerkschaft. Im Folgenden wird der Transformationsprozess im Spannungsfeld zwischen Krankenhausärz-ten, Verband und Umwelt betrachtet. Die Kündigung der tarifpolitischen Voll-macht für ver.di fiel mit vielfältigen Entwicklungen zusammen. Die Kranken-hausärzte fühlten sich mit ihren spezifischen Interessen in den Verhandlungen zum TVöD durch ver.di nicht mehr vertreten. Gleichzeitig sind weitreichende Branchenveränderungen festzustellen. Diese lassen sich nicht zuletzt auf einen Wandel der Staatstätigkeit zurückführen. Die Gesetzesreformen im Kranken-haussektor zeugen von staatlichen Bestrebungen, Kosten zu senken und Wettbe-werb zu etablieren. Die dadurch induzierten Ökonomisierungsprozesse wirken auf die Beschäftigten und deren Arbeitsbedingungen zurück. Die Ärzte sehen darüber hinaus ihr Berufsprofil, ihren Professionsstatus und ihren Berufsstand in Gefahr. Diese spezifischen Faktoren und Bedingungen müssen identifiziert und berücksichtigt werden. Sie sind Teil der Gelegenheitsstruktur für eine erfolgrei-che Vergewerkschaftung. Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, in einer umfassenden Einzelfallstudie die Ausgangspunkte und den Verlauf der Trans-formation des Marburger Bundes vor dem Hintergrund der Gelegenheitsstruktur zu rekonstruieren und zu erklären.

1.1 Forschungsstand

Das Konzept der Gelegenheitsstruktur brachten Wolfgang Schroeder und Samuel Greef (Schroeder/ Greef 2008) in die wissenschaftliche Bearbeitung der Überbie-tungskonkurrenz ein.10 Sie unternahmen einen strukturellen Vergleich der Hauptbeispiele für das Phänomen gewerkschaftlicher Überbietungskonkurrenz (Marburger Bund, Vereinigung Cockpit, GDL). Dieser liefert erste systematisier-te Einblicke in die Gemeinsamkeiten der drei Fälle.11 Schroeder und Greef sind der Auffassung, dass die Transformation von Berufsverbänden zu eigenständigen Gewerkschaften nicht einseitig durch rationales Handeln des Verbandes zu erklä-ren ist. Vielmehr müssen Umweltbedingungen und insbesondere deren Wandel mit berücksichtigt werden. Sie erklären, warum Berufsverbände den mit Kosten

10 Die Bearbeitung des Gesamtphänomens steht immer noch am Anfang. Obwohl die Vereinigung Cockpit bereits 2001 ihren ersten eigenständigen Tarifvertrag erstreiken konnte, wird das Thema in den Sozial- und Rechtswissenschaften verstärkt erst seit dem Arbeitskampf des Marburger Bundes 2005/ 2006, hauptsächlich aber seit den Streiks der GDL, diskutiert. So finden sich ein Großteil der ersten Analysen in Beiträgen und Artikeln aus dem Jahr 2008. 11 Eine vertiefende Darstellung von zwei Fällen findet sich des Weiteren bei Greef (2009).

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Forschungsstand 21

und Aufwendungen verbundene Schritt in die tarifpolitische Eigenständigkeit wagten und warum sie dabei erfolgreich seien konnten.

Keller (2008a, 2008b) untersucht ebenfalls die Bedingungen, Hintergründen und Folgen der Überbietungskonkurrenz. Für die Ziele der Berufsgewerkschaf-ten stellt er heraus, dass neben der tarifpolitischen Eigenständigkeit zugleich die Bestandssicherung der Organisation eine Rolle spielt (Keller 2008b: 166). Lesch (2008a, b) dagegen analysiert neben den Bedingungen die Folgen des Entstehens von Spartengewerkschaften. Aus ökonomischer Perspektive fragt Lesch nach den Auswirkungen auf das Flächentarifvertragssystem und nach den Vor- und Nachteilen unterschiedlicher gewerkschaftlicher Wettbewerbskonstellationen aus Arbeitgebersicht. Als einen Erklärungsfaktor für das Entstehen von Spartenge-werkschaften führt er die negative Einkommensentwicklung an. Diese hätten die DGB-Gewerkschaften beispielsweise durch Sanierungstarifverträge mit zu ver-antworten. Ebenso spiele die ver.di-Gründung eine Rolle (Lesch 2008b: 315ff.). Müller-Jentsch (2008: 62) weist ebenfalls auf die negativen Implikationen dieser Groß-Fusion in Bezug auf die Integration bestimmter Berufsgruppen und Sonderinteressen hin. In die gleiche Richtung argumentieren Müller und Wilke (2008). Sie fragen nach der Passfähigkeit zwischen einer für überwunden ge-glaubten, tatsächlich jedoch ihrer Ansicht nach weiterhin bedeutenden Beruf-lichkeit und der solidarischen Tarifpolitik von Multi-Branchengewerkschaften. Überblicksdarstellungen liefern Bispinck und Dribbusch (Bispinck/ Dribbusch 2008; Dribbusch 2009, 2010). Sie grenzen die Überbietungskonkurrenz durch Berufsverbände zunächst zur Unterbietungskonkurrenz vor allem durch Christli-che Gewerkschaften ab. Anschließend zeigen sie die unterschiedlichen tarifpoli-tischen Herausforderungen auf, die sich für den DGB aus dieser Abgrenzung ergeben.

Es mangelt jedoch weitgehend an qualitativ-empirischen Untersuchungen des Phänomens berufsgewerkschaftlicher Überbietungskonkurrenz. Bislang ist hier lediglich auf die von Schroeder, Kalass und Greef verfasste Studie „Berufs-gewerkschaften in der Offensive. Vom Wandel des deutschen Gewerkschafts-modells“ (Schroeder et al. 2011) und eine vorangehende Machbarkeitsstudie (dies. 2008) zu verweisen. Mit ihrer Untersuchung nehmen Schroeder et al. eine vergleichende Perspektive ein und fragen nach den Ursachen und Bedingungen wie nach den Folgen erfolgreicher, berufsgewerkschaftlicher Überbietungskon-kurrenz. Grundlage der vergleichenden Studie sind Einzelfallstudien zu vier Verbänden (GDL, MB, VDI und VAA). Der Vergleich zeigt, dass die bisherigen Beispiele erfolgreicher Überbietungskonkurrenz auf ähnliche Bedingungen und Entwicklungen in der Verbandsumwelt zurückzuführen sind. Ihr Auftreten ist vorwiegend im ehemaligen staatlichen beziehungsweise staatsnahen Bereich zu verorten. Zugleich stellt sich die Vergewerkschaftung als voraussetzungsvoller

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22 Einleitung

Prozess dar. Dieser erfolgt nicht nur unter bestimmten Umweltbedingungen, sondern erfordert nicht unerhebliche (Macht-)Ressourcen. Diese Erkenntnisse sprechen dafür, dass sich das Phänomen nicht ohne weiteres einfach auf andere Branchen und Berufsgruppe ausweiten wird (vgl. dies. 2011: 262ff., 267-272).

1.1.1 Forschungsstand Marburger Bund Die Forschungen zum Marburger Bund beschränken sich auf wenige Teilberei-che (vgl. Schroeder et al. 2011: 104f.). An erster Stelle sind historische Abhand-lungen zu nennen, die sich mit der Geschichte des Verbandes beschäftigen. Im Auftrag und unter Mitwirkung des Marburger Bundes entstanden zwei Studien zum 30sten sowie zum 50sten Verbandsjubiläum. 1985 erschien Kurt Gelsners12 Monographie „Der Marburger Bund. Chronik der organisierten Krankenhausärz-te“. Er liefert eine auf Zeitzeugeninterviews und Verbandsdokumenten basieren-de, umfangreiche geschichtliche Darstellung des Verbandes und seiner Arbeit. Die Monographie ist nach zeitperiodischen Themenschwerpunkten gegliedert und innerhalb dieser Schwerpunktsetzungen chronologisch aufgebaut. Gelsner (1985: 12) verfasste die „Geschichte einer Berufsorganisation“, in deren Ent-wicklung sich wiederholt Aspekte eines gewerkschaftlichen Selbstverständnisses des Verbandes vorfinden lassen. Dies beginnt mit der Entscheidung in den 1940er-Jahren die Option für eine Körperschaft zugunsten der Tariffähigkeit fallen zu lassen. Für die 1950er- und 60er-Jahren weist der Autor eine intensive Beschäftigung des Marburger Bundes mit Tariffragen im Zusammenhang mit dem BAT nach. In den 1970er-Jahren schließlich sammelte der Verband erste Erfahrungen mit Arbeitskämpfen. Letztendlich zeichnete Gelsner (1985: 9) da-mit bereits Mitte der 1980er-Jahre ein Bild des Marburger Bund „als berufspoli-tischer Verband und Gewerkschaft“.

Aufbauend auf dem Werk von Gelsner brachten Thomas Rottschäfer13 und Uwe Preusker14 zum 50jährigen Verbandsbestehen den Sammelband „50 Jahre Marburger Bund. Eine Chronik“ heraus. Den Hauptteil des Bandes nimmt eine 12 Gelsner war Journalist und studierter Geschichtswissenschaftler. Er war mehr als 14 Jahre lang Schriftleiter der vom Marburger Bund herausgegebenen Zeitschrift „Der angestellte Arzt“ sowie Pressesprecher des Verbandes. Zuvor war Gelsner als Chefredakteur verschiedener weiterer Zeitun-gen tätig gewesen (Münchner Merkur, Münchner Magazin und Feuerreiter) (vgl. Nachruf auf Kurt Gelsner von Karsten Vilmar im Deutschen Ärzteblatt, 1999, 96, 23, S. 1592). 13 Rottschäfer ist Geschichts- und Politikwissenschaftler. Als Journalist war er in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Marburger Bundes engagiert (vgl. Bucheinband). 14 Preusker ist Volkswirt und Politikwissenschaftler. Er war Pressesprecher, stellvertretender Haupt-geschäftsführer des Marburger Bundes und Mitherausgeber der marburger bund – Ärztliche Nach-richten. Zuvor war er als Journalist Ressortleiter Gesundheitspolitik bei den Zeitungen Arzt heute und der Ärzte Zeitung sowie Chefredakteur von Klinik Management Aktuell (vgl. Bucheinband; Profil auf caritas-ac.de).

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Forschungsstand 23

chronologische Darstellung der Verbandgeschichte ein. Bis in die 1980er-Jahre ist diese in weiten Teilen ein stark verdichteter und verkürzter Zusammenschnitt von Gelsners Chronik, die von den Herausgebern allerdings bis ins Jahr 1997 fortgeschrieben wird. Der zweite Teil des Sammelbandes umfasst neun einzelne thematische Abrisse. In diesen schildern ehemalige Vorsitzenden des Verbandes ihre Sicht auf Themen wie Jungärzte, ärztlicher Nachwuchs, Interessenvertretung in der DDR oder die Ostausdehnung des Verbandes nach der Wiedervereinigung.

Über diese beiden historisch orientierten Darstellungen aus dem direkten Umfeld des Marburger Bundes hinaus findet sich kaum Literatur zum Verband. Insbesondere dezidierte Untersuchungen zur neueren Geschichte und Entwick-lung mit Blick auf dessen Weg in die tarifpolitische Eigenständigkeit liegen nicht vor. Sehr wohl existieren vereinzelt sozial- und politikwissenschaftliche Unter-suchungen über Teilaspekte des Marburger Bundes und seiner Geschichte. Her-vorzuheben ist die von Martens (2008) vorgelegte deskriptive Untersuchung des Ärztestreiks 2005/ 2006. Diesen interpretiert er als Indiz für einen neuen Bewe-gungsimpuls in der Interessenvertretung der Ärzte nach einer „langen Phase der fortschreitenden Erosion“ (ebd.: 11). Er kommt zu dem Schluss, dass „höchst unterschiedliche Bedingungen“ zur Transformation des Ärzteverbandes beige-tragen haben (ebd.: 49), verbleibt in seiner Studie aber auf einer beschreibenden und wenig analytischen Darstellungsebene. Dennoch weist Martens (ebd.: 33) darauf hin, dass der Ausgangspunkt der Streiks der Assistenzärzte nicht im Mar-burger Bund lag:

„Vermutlich aus dieser Konstellation heraus – in der zunächst einmal außerhalb des Marburger Bundes zustande gekommene Bewegung von Assistenz- und Fachärzten, die angesichts höchst widersprüchlicher Handlungsbedingungen ihre eigenen Interessen in einer sehr spezifischen, symbolisch zuspitzenden Form artikulieren, für innerverbandliche Auseinandersetzungen im MB bedeutsam wird - erklärt sich letztlich das Ausscheiden des MB aus der Tarifgemein-schaft.“

Nicht behandelt wird jedoch die Relevanz der zunächst unabhängig vom Mar-burger Bund stattfindenden Streiks der Assistenzärzte als Katalysator und Auslö-sefaktor für die Transformation des Verbandes. Weiterhin bleibt die Frage nach dem innerverbandlichen Prozess, der letztendlich zum Entschluss des Verbandes führte, den Weg in die tarifpolitische Eigenständigkeit zu gehen, unbeantwortet. Martens (ebd.: 32) schreibt selbst:

„Erklärungsbedürftig bleibt aber immer noch Frage, wie es dazu gekommen ist, dass der Mar-burger Bund sich an die Spitze einer Streikbewegung gesetzt hat, die zunächst einmal vor al-lem auf Initiative von Assistenz- und jungen Fachärzten zustande gekommen ist“.

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24 Einleitung

Diese Fragen ebenso wie die Rolle von Assistenzärzten, Mitgliedschaft, Funkti-onären und Landesverbänden sind in der Literatur bisher nicht beleuchtet wor-den. Ebenfalls nur am Rande gestreift wurde die Frage, wie die unterschiedlichen Hierarchieebenen der Ärzteschaft mit dem Streik umgegangen sind.

Zwar wurden bereits Studien und Artikel veröffentlicht, die auch den Orga-nisationswandel des Marburger Bund und seine Bedingungen aufgreifen (Schroeder et al. 2008, 2011; Greef 2009, 2010b; Schroeder/ Greef 2008). Dort war der Ärzteverband jedoch immer nur ein Fallbeispiel unter anderen in einem auf eine vergleichende Perspektive ausgelegten Ensemble. Zum einen konnte daher Tiefe und Umfang der Untersuchung der Einzelfälle nur begrenzten Cha-rakter haben, denn Vergleiche nötigen aus Effizienz- und Darstellungskriterien „stets [zu; d. Verf.] Abstraktionen von der Wirklichkeitsnähe der einzelnen Or-ganisation“ (Edruweit 2004: 280). Zum anderen lag das Haupterkenntnisinteres-se der Studien von Schroeder et al. auf der Identifikation von Gemeinsamkeiten im Auftreten berufsgewerkschaftlicher Konkurrenz. Untersucht wurden die Be-dingungen und Voraussetzungen der Vergewerkschaftung und welche Zukunfts-aussichten sich daraus für das deutsche Modell der Arbeitsbeziehungen ableiten lassen. Der Verlauf des Transformationsprozesses des Marburger Bundes vom Berufsverband zur Berufsgewerkschaft wurde daher nicht umfassen rekonstru-iert, erklärt und gedeutet. 1.2 Fragestellung und Thesen

Die vorliegende Studie befasst sich mit dem Strukturwandel der Arbeitsbezie-hungen im Krankenhaussektor.15 Im Zentrum dieses Wandels steht die Trans-formation des Marburger Bundes zum eigenständigen Tarifakteur. Um diese einordnen und erklären zu können, schließt die Arbeit am Forschungsstand zur Überbietungskonkurrenz an. Sie baut insbesondere auf den strukturellen Er-kenntnissen und Erklärungen der Untersuchung von Schroeder, Kalass und Greef (2011) auf. Diese leistet einen wichtigen Beitrag zur Identifikation derjenigen Faktoren und Bedingungen, die für den erfolgreichen Transformationsprozess eines Berufsverbandes zur Berufsgewerkschaft relevant sind. Sie analysiert je-doch weder den Verlauf der Einzelprozesse noch die Zusammenhänge und Ver- 15 Aufgrund der besonderen Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen (der Dritte Weg) im konfessionel-len Bereich, bezieht sich die vorliegende Studie ausschließlich auf den in öffentlicher, privater und nicht-kirchlich freigemeinnütziger Trägerschaft befindlichen Teil der Krankenhausbranche. An einzelnen Stellen wird zwar auf Spezifika des konfessionellen Bereichs hingewiesen, für eine umfas-sende Darstellung sei aber insbesondere auf Jakobi (2007) verwiesen. Er hat neben dem Schwerpunkt der konfessionellen Mitbestimmung auch die kirchliche Tarifpolitik im Krankenhaussektor in die Untersuchung mit aufgenommen.

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Fragestellung und Thesen 25

knüpfungen zwischen den Faktoren und Bedingungen. Diese Perspektiven auf den Wandel des Marburger Bundes stehen im Mittelpunkt der vorliegenden Ar-beit. Um den Wandlungsprozess erfassen und deuten zu können, werden zwei zentrale Fragestellungen bearbeitet: 1. Was ist Motiv und Anlass für den Wandel des Marburger Bundes zur eigen-

ständigen Berufsgewerkschaft und welche Merkmale zeichnen den Trans-formationsprozess aus?

Im Wesentlichen wird nach den auslösenden Faktoren, dem Verlauf des Organi-sationswandels sowie den Interdependenzen zwischen den Hintergründen, Be-dingungen und Strukturen, die den Wandel ermöglichten, gefragt. Aus dem bis-herigen Forschungsstand und eigenen Vorarbeiten ergibt sich, dass Veränderun-gen in Branche, Beruf und Akteurslandschaft als Gelegenheitsstruktur herange-zogen werden müssen. Hinzu kommen notwendige Ressourcen und deren Mobil-isierungsfähigkeit als Prämissen für die Entscheidung des Verbandes, den Weg in die Eigenständigkeit zu beschreiten. Diese Entscheidung erfolgte, anders als etwa im Fall der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, aufgrund eines ba-sisgetriebenen Bottom-Up-Prozesses. Daraus ergibt sich die nachstehende Ar-beitsthese:

These 1: Bei der Transformation des Marburger Bundes handelte es sich nicht um eine von der Verbandsführung geplante, Top-Down initiierte Form der Organisationsentwicklung. Sie wurde vielmehr in einem Bottom-Up-Prozess durchgesetzt und basierte auf dem Zusammenspiel von Gelegen-heit, Ressourcen sowie Mobilisierungsfähigkeit.

Über die Frage nach Ursache, Verlauf und Erklärungsfaktoren hinaus ist zu-gleich die weitere Entwicklungsperspektive von Interesse. 2. Inwieweit ist die Transformation des Marburger Bundes abgeschlossen und

welche Perspektiven ergeben sich für die Arbeitsbeziehungen im Kranken-haussektor?

Der zweite Teil der Fragestellung bezieht sich auf den Stand der Transformation sowie auf die Auswirkungen und Herausforderungen, die sich aus dem Organisa-tionswandel für den Verband und die Arbeitsbeziehungen ergeben. Intern steht der Marburger Bund vor der Aufgabe, zwischen berufs- und tarifpolitischer Inte-ressenorientierung in der Mitgliedschaft zu vermitteln. Ebenso gewinnt die In-tegration der unterschiedlichen Hierarchieebenen der Ärzteschaft an Bedeutung.

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26 Einleitung

Extern sind die Auswirkungen auf die unterschiedlichen Berufs- und Beschäftig-tengruppen sowie mögliche Konsequenzen für das Tarif- und Arbeitsbezie-hungssystem in der Krankenhausbranche von Interesse. Die Konkurrenz- und Konfliktkonstellationen im Krankenhaussektor haben sich langfristig verändert. Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht davon auszugehen, dass sich der Marburger Bund aus der Tarifpolitik zurückziehen oder seine Position schwächer wird. Dennoch erwächst aus dem aktuellen Verhältnis zwischen den Akteuren nicht zwangsläufig eine dauerhafte Konkurrenz. Vielmehr eröffnen gerade die Kons-tellationen im Krankenhaussektor Perspektiven für neue Formen der Zusammen-arbeit und Kooperation. Für die zweite Fragestellung leitet sich daraus die fol-gende Arbeitsthese ab:

These 2: Die Transformation stellt den Marburger Bund intern vor neue Aufgaben, so dass diese noch nicht abgeschlossen scheint. Er hat sich je-doch erfolgreich als Tarifakteur etabliert, weshalb die neue Akteurskonstel-lation im Krankenhaussektor nicht einfach reversibel ist. Sie stellt neue Herausforderungen, bietet aber gleichermaßen neue Chancen.

Diese für die vorliegende Studie erkenntnisleitenden Thesen werden im Folgen-den kritisch hinterfragt. Zunächst wird jedoch das Untersuchungsdesign vorge-stellt, die Fallauswahl erläutert sowie das Konzept der Einzelfallstudie und die genutzten Methoden dargestellt. 1.3 Methodisches Vorgehen

Im Folgenden werden der genutzte Ansatz und das mit ihm verknüpfte methodi-sche Vorgehen konkretisiert. Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Einzelfallstudie zur Transformation des Marburger Bundes vom Berufsverband zur Berufsgewerkschaft. Die soziale Einheit, die Gegenstand der Untersuchung ist, umfasst die Organisation Marburger Bund als kollektiven Akteur.16 Die Stu-die dient der „rationale[n] Rekonstruktion der Wirklichkeit“ und der „wissen-schaftlichen Rekonstruktion von Handlungsmustern“ – im vorliegenden Fall bezogen auf den Verbandswandel des Marburger Bundes (Lamnek 2010: 284f.). Aufgrund des Erkenntnisinteresses ist die Untersuchung nach der Typologie von Stake (2005: 445) zwischen einer intrinsic und der instrumental case study ange-siedelt. Auf der einen Seite ist der Fall der Ärztegewerkschaft an sich von Inte- 16 Auch wenn es sich beim Marburger Bund um einen Kollektivakteur und um ein Organisationsge-füge aus Bundesverband und Landesverbänden handelt, wird ein einzelner Fall einer Transformation untersucht.

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Methodisches Vorgehen 27

resse. Auf der anderen Seite soll vermittelt durch diesen Fall das Phänomen der Vergewerkschaftung von Berufsverbänden generell beleuchtet werden. Bezogen auf die vier möglichen Typen von Einzelfallstudien, die Lamnek (2010: 293-298) hinsichtlich Forschungsfrage und Untersuchungseinheit unterscheidet,17 lässt sich diese Untersuchung in zwei Kategorien verorten. Denn die Forschungs-fragen (vgl. Kapitel 1.2), die an den Marburger Bund als soziales Aggregat ge-richtet werden, berücksichtigen sowohl die Binnenstruktur der Organisation als auch deren Außenkontakte (Umweltbezug).

Der Forschungsansatz der „(single) case study“ hat in den Sozialwissen-schaften eine „lange Tradition“ – dennoch ist die Einzelfallanalyse mit dem zunehmenden Stellenwert quantitativen angelegter, empirischer Forschungen „in den Hintergrund geraten“ (Lamnek 2010: 272). Zu ihrem Nischendasein hat zusätzlich die Zunahme vergleichender qualitativer Studien beigetragen.

„[…] quantitative analysis [are] […] also essential for the development of social science; for example, in understanding the degree to which certain phenomena are present in a given group or how they vary across cases. The advantage of large samples is breadth, while their problem is one of depth. For the case study, the situation is the reverse” (Flyvbjerg 2004: 432).

Der eingeschränkten Generalisierbarkeit der Ergebnisse und Erkenntnisse dieser Studie, die mit der Wahl des Forschungsansatzes einer Einzelfalluntersuchung einhergeht, ist sich der Autor bewusst (vgl. bspw. Reinecker 1995: 279ff.).18 Trotz dieses Nachteils gegenüber einem quantifizierenden oder qualitativ ver-gleichenden Forschungsprozess hält der Autor den gewählten Ansatz mit Blick auf Untersuchungsgegenstand und Phänomen für notwendig und erkenntnisbrin-gend. Dies scheint besonders im Bereich eines Forschungsfeldes wie der tarifpo-litischen Überbietungskonkurrenz zuzutreffen, in dem es bislang keine tiefgrei-fenden empirischen Untersuchungen zu einzelnen Akteure gibt. Eine profunde Einzelfalluntersuchung kann überhaupt erst die relevanten Faktoren zur Analyse und Erklärung des Phänomens der Vergewerkschaftung deutlich herausarbeiten. „A major strength of case studies is their realism and the richness of data and insights they can provide” (Schermerhorn et al. 2008: 28; vgl. auch Lamnek 2010: 277). Die vorliegende Arbeit legt damit einen Grundstein im Feld empiri-scher Untersuchungen zum Phänomen tarifpolitischer Überbietungskonkurrenz, auf dem weiterführende Forschungen aufbauen können. 17 Lemnek (2010: 294) unterscheidet hinsichtlich der Forschungsfrage „Binnenstruktur“ und „Au-ßenkontakte“ und mit Blick auf die Untersuchungseinheit „Einzelperson“ und „Soziales Aggregat“. 18 Einschränkend kommt Flyvbjerg (2004: 425) in seinem Artikel „Five misunderstandings about case-study research“ zu dem Schluss: „One can often generalize on the basis of a single case, and the case study may be central to scientific development via generalization as supplement or alternative to other methods. But formal generalization is overvalued as a source of scientific development, where-as ‘the force of example’ is underestimated.”

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28 Einleitung

Darüber hinaus sind Einzelfallstudien trotz eingeschränkter Generalisierbarkeit dienlich, um Hypothesen oder Theorien generieren und formulieren zu können. Insbesondere können sie aber zum Nachweis der Plausibilität oder zur Überprü-fung von Hypothesen herangezogen werden (vgl. Behnke et al. 2010: 84ff.; Stake 2005: 448; George/ Bennett 2005: 20f.). Fallstudien können damit eine „analytische Verallgemeinerung“ durch „theoretische Aussagen“ ermöglichen (Groser 1992: 39). Unter Einbeziehung des Forschungsstandes, der einzelne, vergleichende Arbeiten zur Transformation von Berufsverbänden zu Berufsge-werkschaften aufweist, ergeben sich somit aufschlussreiche Anknüpfungspunkte. Mit der vorliegenden Arbeit sollen die in vergleichender Perspektive erworbenen Erkenntnisse über ähnliche Umweltbedingungen und notwendige Verbandsres-sourcen anhand der fundierten Einzelfallanalyse des Marburger Bundes in ihren konkreten Wirkungen auf und ihre Relevanz für die Transformation des Verban-des spezifiziert werden. Diese Einzelfallstudie ermöglicht die „Identifikation und Klärung von Kausalbeziehungen“ und klärt die „relative Bedeutung möglicher Ursachen und das Ausmaß der Folgen bestimmter Prozesse“ (Lamnek 2010: 285). „Fallanalysen stellen eine entscheidende Hilfe dar bei der Suche nach rele-vanten Einflussfaktoren und bei der Interpretation von Zusammenhängen“ (Mayring 2002: 42). In Vergleichsuntersuchungen, die notwendigerweise vom konkreten Fall abstrahieren, können diese Zusammenhänge oftmals nur angedeu-tet werden. Grundlegend ist ein ganzheitlicher Ansatz, der das Untersuchungsob-jekt realitätsnah abzubilden versucht. Damit kann eine Einzelfallstudie des Mar-burger Bundes als Grundlage für nachfolgende vergleichende Analysen dienen. Sie leistet somit über die Beschreibung, Analyse und Erklärung der Vergewerk-schaftung eines Berufsverbandes hinaus einen wichtigen Beitrag zur weiteren Forschung.

Die Einzelfallanalyse oder -studie ist zunächst ein Forschungsansatz und keine konkrete Methode, die gleichzeitig eine dezidierte Technik der Datenerhe-bung beinhaltet (vgl. Lamnek 2010: 272). Stake (2005: 443) betont: „Case study is not a methodological choice but a choice of what is to be studied. […] By whatever methods, we choose to study the case.” Für eine möglichst umfassende Darstellung und unter Berücksichtigung der ganzheitlichen Zielsetzung des An-satzes wird vielmehr sogar ein Mix benötigt, der unterschiedliche Methoden kombiniert, um einen Einzelfall adäquat zu analysieren (vgl. Brüsemeister 2008: 55). Andere Methoden reduzieren den Untersuchungsgegenstand zur Analyse auf wenige, spezielle Faktoren und Variablen. Die Einzelfallstudie will im Gegen-satz dazu „möglichst viele [relevante; d. Verf.] Dimensionen und Variablen“ des zu untersuchenden Objekts einbinden (Lamnek 2010: 273). Welche Faktoren für den Marburger Bund als Untersuchungsgegenstand in dieser Studie als relevant zu bezeichnen und damit zu berücksichtigen sind, ergibt sich im Besonderen aus

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Methodisches Vorgehen 29

den zur Analyse genutzten Theorieansätzen (Gelegenheitsstruktur basierende auf den Konzepten political opportunity structure, resource mobilization theory und window of opportunity; vgl. Kapitel 1.4) sowie aus der Aufarbeitung des For-schungsstandes (vgl. Kapitel 1.1).

Das zugrunde gelegte Theoriekonzept der Gelegenheitsstruktur dient als Konstrukt, um die relevanten Parameter und Faktoren, die für das Auftreten von berufsgewerkschaftlicher Konkurrenz von Bedeutung sind, identifizieren und einordnen zu können. Bezogen auf den Untersuchungsgegenstand der Fallstudie geht es um die Analyse der Transformation des berufsständisch orientierten Be-rufsverbandes Marburger Bund zur tarifpolitisch eigenständig agierenden Be-rufsgewerkschaft. „Case studies examine the operation of causal mechanisms in individual cases in detail“ (George/ Bennett 2005: 21). Die für den Teilbereich der Transformation angewandte Methode ist die Prozessanalyse (process-tracing).

„Die Prozessanalyse analysiert die Anreize, denen die Akteure folgen; die Entscheidungspro-zesse; die Schritte, die dann folgen; und die verschiedenen Einflüsse auf das Verhalten der Ak-teure“ (Dür 2007: 289).

Sie ist damit „a method of within-case analysis to evaluate causal processes” (Falleti 2006). Dabei geht es nicht im Sinne einer statistischen Analyse darum, abhängige und unabhängige Variablen zu testen und kausale Effekte abzuleiten. Die Prozessanalyse dient vielmehr dazu kausale Mechanismen herauszuarbeiten. Auf diesem Weg soll erklärt werden, wie und warum bestimmte Faktoren und Einflüsse letztendlich so auf Akteure wirken, dass ein bestimmter Effekt, eine Handlung oder eine Entscheidung zustande kommt (vgl. George/ Bennett 2005: 206; Falleti 2006). Die Methode „investigate[s] and explain[s] the decision pro-cess [Herv. d. Verf.] by which various initial conditions are translated into out-comes“ (George/ McKeown 1985: 35). Da die Prozessanalyse gerade auf die kausalen Zwischenschritte zwischen den bedingenden Faktoren und den Ergeb-nis abzielt, ist sie geeignet, „different causal paths that lead to a similar outcome in different cases“ zu analysieren (George/ Bennett 2005: 215). „Ihr Ziel ist die Rekonstruktion von Entwicklungsprozessen“ (Trampusch 2009: 29). Die Pro-zessanalyse erscheint daher als angebrachte Methode, um den Transformations-prozess des Marburger Bundes zu rekonstruieren, seine Spezifika herauszuarbei-ten und seinen Verlauf zu erklären. 1.3.1 Fallauswahl

Diese Studie setzt sich nicht zufällig mit der Ärztegewerkschaft Marburger Bund als Fall auseinander. „Perhaps the most unusual aspect of case study in the social

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30 Einleitung

science […] is the selection of cases to study“ (Stake 2005: 450). Die Wahl die-ses Untersuchungsgegenstandes ist wohl begründet und soll daher im Folgenden kurz skizziert werden. Sie erfolgte sowohl aus Erkenntnisinteresse, forschungs-praktischen Gründen als auch mit Blick auf das zugrundeliegende Phänomen der Vergewerkschaftung von Berufsverbänden.

„When the objective is to achieve the greatest possible amount of information on a given prob-lem or phenomenon, a representative case or a random sample may not be the most appropriate strategy. […] In addition, from both an understanding-oriented and an action-oriented perspec-tive, it is often more important to clarify the deeper causes behind a given problem and its con-sequences than to describe the symptoms of the problem and how frequently they occur” (Flyvbjerg 2004: 425).

Für diese Studie wurde aus den vier Fällen tarifpolitischer Überbietungskonkur-renz19 der Marburger Bund als Untersuchungsobjekt ausgewählt. Er bietet sich unter anderem an, weil an seinem Beispiel mehr als nur die Gründe und Bedin-gungen für die Transformation eines Berufsverbandes zur Gewerkschaft analy-siert werden können. Bei der spezifischen Konstellation dieses Transformations-prozesses handelte es sich um eine Bottom-Up-Bewegung. In Bezug auf diese Verlaufsrichtung stellt der Marburger Bund einen besonderen Fall dar, der eine Untersuchung interessant erscheinen lässt. Zugleich ist er ein prägnanter Fall, der im Gegensatz zur Vereinigung Cockpit ähnlich viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit hervorgerufen hat wie die GDL. Er ist bezogen auf die erfolgrei-che Vergewerkschaftung aber weder in der Vorreiterrolle (Vereinigung Cockpit) noch stellt der Marburger Bund den aktuellsten Fall dar (Gewerkschaft Deut-scher Lokomotivführer).

Der Marburger Bund wurde des Weiteren als Untersuchungsgegenstand gewählt, weil er für das Phänomen der Vergewerkschaftung von Berufsverbän-den in bestimmten Aspekten als ein prototypischer Fall gelten kann. Mit den Krankenhausärzten organisiert er eine hochqualifizierte Berufsgruppe mit großer Primärmacht (vergleichbar den Piloten in der Vereinigung Cockpit). Der Ärzte-verband ist keine Neugründung. Er verfügt über eine lange Tradition und einen hohen Organisationsgrad (wie sich beides ebenfalls bei der Vereinigung Cockpit und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer nachweisen lässt). Damit

19 Unter tarifpolitischer Überbietungskonkurrenz werden die vier Fälle Vereinigung Cockpit (VC) (Eigenständiger Tarifvertrag/ bzw. Anerkennung als Tarifpartner 2001), Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO) (2002), Marburger Bund (MB) (2006) und Gewerkschaft Deutscher Lokomotiv-führer (GDL) (2007) verstanden. Verschiedentlich (bspw. Lesch 2008: 307; Keller 2008: 364) wer-den die Gewerkschaft für Flugsicherung (GdF) und des Verbandes medizinischer Fachberufe (VmF) ebenfalls unter dieser Kategorie genannt. Im Gegensatz zu den vier erstgenannten besetzen diese beiden Gewerkschaften jedoch tarifpolitische Nischen, in denen keine direkte Konkurrenz zu DGB-Gewerkschaften besteht (vgl. Kapitel 2.3.1).

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Methodisches Vorgehen 31

passt der Fall des Marburger Bundes ins Konzept des paradigmatic case. Er kann genutzt werden um exemplarisch die generellen Charakteristika des Phä-nomens berufsgewerkschaftlicher Überbietungskonkurrenz herauszuarbeiten („cases that highlight more general characteristics“; Flyvbjerg 2004: 427).20

Zugleich haben die bereits vorliegenden vergleichenden Darstellungen des Phänomens (vgl. dazu Kapitel 1.1 zum Forschungsstand) deutlich gemacht, dass ein wissenschaftlicher Zugang zum Marburger Bund, wie er für eine breite und tiefgehende Einzelfallstudie notwendig ist, möglich ist. Dies unterscheidet ihn von der Vereinigung Cockpit, wo es sich als äußerst schwierig erwies, Datenma-terial zu erheben und Interviewzugängen herzustellen.21 Sowohl bezogen auf das zu analysierende Phänomen und das spezifische Erkenntnissinteresse als auch aus forschungspraktischen Gründen kann damit der Marburger Bund als ange-messener Untersuchungsgegenstand für diese Fallstudie gelten. „My choice would be to choose that case from which we feel we can learn the most. That may mean taking the one most accessible […]” (Stake 2005: 451).

1.3.2 Forschungsmethode

Die Wahl der genutzten Methoden zur Analyse des Marburger Bundes und sei-nes Transformationsprozesses richtete sich nach dem Untersuchungsgegenstand: Als Verband stellt der Marburger Bund ein Kollektivorganisation dar. In Poli-tikwissenschaft und Soziologie werden, der Systemtheorie und dem Systeman-satz folgend, Organisationen durch Organisationsvariablen22 und Organisations-umwelt23 beschrieben (vgl. Edruweit 2004: 97; Easton 1957: 384-387). Die Me-thodenwahl erfolgte mit dem Ziel einer möglichst breiten Erfassung aller unter diese beiden Dimensionen fallenden Faktoren.

Zwei Methoden wurden vorrangig eingesetzt: Dabei handelt es sich zu-nächst um eine dokumentenbasierte Inhaltsanalyse sowie um halboffene, leitfa-dengestützte Experteninterviews. Für die Dokumentenanalyse wurde eine große Bandbreite an Materialien herangezogen. Zu den relevanten verbandseigenen Veröffentlichungen und Schriften zählen die Beschlussprotokolle der Hauptver-sammlung, die Satzungen des Bundverbandes und der Landesverbände, die Streikordnung sowie die abgeschlossenen Tarifverträge von Marburger Bund 20 Ähnliches meint Bryman (2004: 51) mit „exemplifying case“. Hier erfolgt die Fallauswahl „be-cause they will provide a suitable context for certain research questions to be answered. As such, they allow the researcher to examine key social processes.“ 21 Diese Zugangsschwierigkeiten offenbarten sich in zuvor durchgeführten Studien (Schroeder et al. 2008; Greef 2009). 22 Ziele, Instrumente, Bedingungen, Strukturen, Funktionen sowie Verhalten. 23 Die Organisation ist über In- und Outputs sowie gegenseitige Einflussfaktoren mit ihrer Umwelt verbunden.

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32 Einleitung

und ver.di. Hinzu kommen Verbandsveröffentlichungen wie die Marburger Bund Zeitung, die beiden durch die Organisation herausgegebenen Verbands-chroniken und sonstige Printmedien, der MB-Newsletter sowie die Veröffentli-chungen auf den Webseiten des Verbandes.

Neben diesen schriftlichen Quellen, die oftmals eher auf die formale, offizi-elle Struktur-, Verfahrens- und Funktionsbeschreibung abzielen, wurden zur Eruierung der Organisationswirklichkeit qualitative Interviews geführt. Diese waren als halboffene, leitfadengestützte Experteninterviews angelegt.24 Die leit-fadengestützte Interviewführung sollte sicherstellen, dass alle für relevant erach-teten Punkte angesprochen werden. Die halboffene Konzeption der Gesprächs-führung sollte indes genug Raum für darüber hinausgehende Einblicke in die Wirklichkeit organisationalen Handelns des Marburger Bund schaffen (vgl. Liebold/ Trinczek 2002: 39). Bezugnehmend auf die Fragestellung dieser Arbeit, dienten die Interviews insbesondere der Rekonstruktion des Transformationspro-zesses, seiner Bedingungen, Hintergründe und Auswirkungen. Die Auswahl der Gesprächspartner erfolgte organisationsstrukturell aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Organisationsebenen (Bundes-, Landes- und Bezirksebene) und verschiedenen Statusgruppen (Ehrenamt, hauptamtliches Personal). Funkti-onal wurden Interviewpartner wegen ihrer Funktion im Verlauf des Transforma-tionsprozesses und für die gewerkschaftliche Arbeit des Verbandes (Nicht-/ Mitglieder, Verbandsvorstand, Tarifkommission) aufgenommen. Zuletzt sollte die Auswahl der Gesprächspartner die unterschiedlichen Hierarchieebenen in-nerhalb der Ärzteschaft abdecken (Assistenz-, Fach-, Oberärzte, Studenten). Die Wahlkriterien für die Interviewpartner zielten darauf ab, möglichst umfassende Erkenntnisse über die Organisation und ihren Transformationsprozess aus ver-schiedenen Blickwinkeln zu erhalten. Ergänzt wurden die Interviews durch eine teilnehmende Beobachtung an einer Hauptversammlung des Marburger Bundes.

„The case to be studied is a complex entity located in a milieu or situation embedded in a num-ber of contexts or backgrounds. Historical context is almost always of interest, but so are cul-tural and physical contexts. Other contexts often of interest are the social, economic, political, ethical, and aesthetic” (Stake 2005: 449).

Um die Organisationsumwelt in ihrer Gesamtbedeutung erfassen zu können, wurden umfassende Daten zur Entwicklung des Krankenhaussektors, der Ärzte-schaft, des Arztberufes sowie der Entlohnungs- und Tarifentwicklung hinzuge-zogen. Darüber hinaus wurden im Bereich der Verbandsumwelt bei weiteren relevanten Organisationen Experteninterviews durchgeführt. Zu den Interview-

24 Experte im Sinne eines in den „Funktionskontext eingebundenen[n] Akeur[s, der] zum Gegenstand der Betrachtung“ wird (Meuser/ Nagel 1997: 485).

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Theoretischer Rahmen 33

partner zählten Repräsentanten der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und mit Bezug auf die Vergewerkschaftung des Marburger Bundes sowohl ver.di-Vertreter als auch ein ehemaliger Vorsitzende der DAG. Nicht zuletzt wurde die journalistische Berichterstattung im Umfeld des Ärztestreiks 2005/ 2006 berücksichtigt und einbezogen.

Der untersuchte Zeitrahmen umfasst im engeren die Entwicklung seit Be-ginn der 1990er-Jahre. Der Schwerpunkt liegt auf der Transformationsphase des Marburger Bundes von den ersten Ärztestreiks 2004 bis zu den eigenständigen Tarifverträgen 2006. In diesem Zeitraum wandelte sich die Organisation vom Berufsverband zur Berufsgewerkschaft.

1.4 Theoretischer Rahmen

Der abrupte oder umfassende Wandel von Organisationen im Allgemeinen und mit ihm die Transformation des Marburger Bundes im Speziellen stellen erklä-rungsbedürftige Phänomene dar (vgl. bspw. Hannan/ Freeman 1989: 66ff.). Denn Organisationsstrukturen sind in der Regel durch Trägheit gekennzeichnet. Etab-lierte Verfahrensweisen und Routinen sind Merkmale institutionalisierter, sozia-ler Zusammenschlüsse. Organisationen und ihre Mitglieder neigen dazu, den Status Quo weitestgehend aufrecht zu erhalten (beispielsweise um Risiken oder Kosten zu vermeiden). Diese Trägheit steht dem Wandel von Organisationen und ihren Strukturen entgegen. Für die Entwicklung eines Verbandes folgt daraus, dass im Normalfall „umfassender Organisationswandel als unwahrscheinlich“ gelten muss (Kirchner et al. 2008: 8). Einmal getroffenen Entscheidungen in Bezug auf die Organisationsausrichtungen werden nicht ohne weiteres revidiert und begrenzen somit die Handlungsmöglichkeiten.

Die Beschränkung organisationaler Wandlungsfähigkeit durch Trägheit drückt sich in dem Konzept der Pfadabhängigkeit aus. Dessen Erklärungsgehalt weist über die Erkenntnis, dass die geschichtliche Entwicklung bedeutend ist („history matters“) hinaus (Duschek 2010: 227). Denn eine vermeintliche Pfad-abhängigkeit kann nicht als alleinige Erklärungsvariable für Trägheit oder das Ausbleiben von Veränderungen innerhalb einer Organisation verantwortlich gemacht werden. Pfadabhängigkeit ist demnach nicht mit „einer anhaltenden Inflexibilität gleichzusetzen“ (ebd.). Organisationen sind nur (bis) zu einem gewissen Grad wandlungsresistent. Auch unter den Bedingungen der Pfadabhän-gigkeit ist es möglich, dass sie sich weiterentwickeln oder wandeln. Die Charak-terisierung unterschiedlicher Typen von Veränderungen führt zu einer differen-zierten Betrachtung innerhalb der Pfadabhängigkeitsforschung. In der Theorie der Pfadkreation beendet ein radikaler Umbruch den alten Zustand und schafft

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34 Einleitung

den Ausgangspunkt für einen neuen (Entwicklungs-)Pfad (vgl. bspw. Garud/ Karnoe 2001). Eine Abweichung von einem erwarteten Pfad muss jedoch nicht zwingend mit einem vollständigen Bruch und damit einem Ende des vorherigen Organisationstyps einhergehen. Duschek (2010: 240f.) verweist in diesem Zu-sammenhang auf die Pfadextension. Durch diese wird die Pfadabhängigkeit nicht völlig durchbrochen, sondern auf dem Pfad aufbauend, in inkrementeller Art eine neue Richtung (im Sinne einer Variation) eingeschlagen.

Mit Verweis auf das Konzept der Pfadabhängigkeiten wird der Wandel von Verbänden zwar erklärungsbedürftig, kann aber dennoch auf unterschiedliche Art erfolgen. Organisationssoziologisch muss dabei der Organisationswandel von der Organisationsentwicklung abgegrenzt werden. Letztere ist ein Unterfall des ersteren. Prägend für den Veränderungsprozess durch Organisationsentwick-lung ist die zielgerichtete und damit geplante Weiterentwicklung des Verbandes. Diese zielt auf eine Verbesserung ab, etwa darauf die Organisation effizienter und effektiver zu gestalten. Der Anstoß für die Weiterentwicklung wird, aufbau-end auf Lernprozessen und praktischen Erfahrungen von Betroffenen und Betei-ligten, innerhalb der Organisation induziert25 (vgl. Edruweit 2004: 259f.). Orga-nisationsentwicklung oder Organisationales Lernen vollzieht sich in einem evo-lutionären Prozess, in dessen Verlauf der Verband weiterentwickelt aber nicht transformiert wird. Damit folgt Organisationsentwicklung weitestgehend dem Konzept der Pfadabhängigkeit, was der Logik der Akteure entspricht, aus deren Initiative heraus die Weiterentwicklung angestoßen und durchgeführt wird.

Organisationswandel dagegen ist konzeptionell weiter gefasst. Das bezieht sich zum einen auf die treibenden Kräfte hinter dem Wandlungsprozess. Diese können sowohl von innerhalb als auch von außerhalb des Verbandes kommen. Sie können eine Reaktion auf Umweltveränderungen darstellen oder durch diese erzwungen werden. Zum anderen unterscheidet sich Organisationswandel vor allem im Umfang der durch ihn angestoßenen Veränderungen im Organisations-gefüge. Endruweit (ebd.: 259) charakterisiert organisationalen Wandel als „eine solche Veränderung in den Variablen einer Organisation, dass diese am Ende des Prozesses ein anderer Typ von Organisation ist als am Beginn.“ Die mit dem Organisationswandel verbundenen Umwälzungen in der Organisation sind viel-fältiger, umfassender und betreffen einen großen Teil der Strukturen, Ziele, Funktionen sowie Instrumente eines Verbandes. Diese große Bandbreite an mög-lichen Ausprägungen von Veränderungsprozessen und Ergebnissen macht es erforderlich, organisationalen Wandel weiter zu spezifizieren. Streeck und The-len (2005: 19-31) etwa unterscheiden fünf Typen institutionellen Wandels:

25 Der Prozess der Organisationsentwicklung wird dann durchaus auch von externen Beratern unter-stützt.

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Theoretischer Rahmen 35

Displacement: Die institutionelle Ordnung wird durch einen Ersetzungspro-zess umgestaltet. Eine alte Institution wird durch eine neue abgelöst (Nach-folge).

Layering: Eine bestehende Institution wird durch die Aufschichtung neuer Funktionen/ Ziele/ Instrumente in einem evolutionären Prozess erweitert. Es handelt sich um einen Ausdifferenzierungsprozess (Differenzierung/ Erwei-terung).

Drift: Eine bestehende Institution weicht, ebenfalls in einem evolutionären Prozess, immer weiter von ihrer ursprünglichen Ausgestaltung ab (Ver-schiebung).

Exhaustion: Eine Institution überlebt sich und verschwindet, weil sie nicht mehr benötigt wird oder sie zu einem der anderen Typen von Wandel nicht fähig ist (Aufzehrung).

Conversion: Eine bestehende Institution wird neu gestaltet. Die alte Institu-tion bleibt dabei bestehen wird aber neu ausgerichtet (Neuausrichtung/ Transformation).

Diese Typologie kann in doppelter Hinsicht für die vorliegende Analyse frucht-bar gemacht werden. Die erste Ebene betrifft die Institution der Arbeitsbezie-hungen. Welchen Typ von Wandel löst das Auftreten berufsgewerkschaftlicher Akteure im deutschen System der industriellen Beziehungen aus? Die zweite Ebene bezieht sich auf den Marburger Bund. Aus organisationssoziologischer Sicht handelt es sich bei einer Organisation um einen Untertyp von Institution. Unter dieser Prämisse kann die Transformation des Berufsverbandes zur Ärzte-gewerkschaft ebenfalls in die von Streeck und Thelen identifizierte Typologie institutionellen Wandels eingeordnet werden. 1.4.1 Transformation

Zunächst kann festgehalten werden, dass die Struktur- und Funktionsverände-rungen im Marburger Bund in den Bereich des Organisationswandels und nicht der -entwicklung fallen. Der Wandlungsprozess wurde durch Veränderungen in der Organisationsumwelt induziert und nicht von der Verbandsführung initiiert und geplant, wie noch zu zeigen sein wird. Umfang sowie Auswirkungen des Wandels betreffen den Verband und seine Strukturen in so umfassender Art und Weise, dass von einer Veränderung des Organisationstyps gesprochen werden kann. In der vorliegenden Studie wird für den Organisationswandel des Marbur-ger Bundes der Begriff der Transformation, als Ausdruck dieses typverändern-den Charakters des Wandlungsprozesses, genutzt. Angeknüpft werden kann mit der Wahl dieser Begrifflichkeit zusätzlich an die Prozesstypologie sozialen

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36 Einleitung

Wandels von Boudon. Denn beim Typus des Transformationsprozesses sind sowohl das Interaktionssystem (im hier untersuchten Fall die Kollektivorganisa-tion Marburger Bund) als auch die das System umgebende Umwelt von Verän-derungen und Wandlungsprozessen betroffen (vgl. Boudon 1980: 113-168). Mit Bezug auf die Typologie von Streeck und Thelen muss, wie die Arbeit zeigen wird, daher von einer Conversion gesprochen werden, da weder Layering noch Drift die Art des Veränderungsprozesses adäquat beschreiben. „Different from layering and drift, here institutions are not so much amended or allowed to decay as they are redirected to new goals, functions, or purposes“ (Streeck/ Thelen 2005: 26).

Was jedoch alle drei Typen gemeinsam haben ist ein schrittweiser Verlauf der Veränderungen. Dies gilt obwohl Umfang und Tiefe der Veränderungen im Fall von Transformation und Conversion im Ergebnis eher revolutionären als evolutionären Charakter haben. Deutlich wird dennoch, dass Transformation als Prozess dargestellt werden muss. Ein Verband kann und wird nicht quasi über Nacht einen neuen Typ von Organisation verkörpern. Der prozesshafte Charakter der Transformation des Marburger Bundes vom Berufsverband zur Berufsge-werkschaft drückt sich im beschreibenden Begriff der Vergewerkschaftung aus. Damit besteht die Grundannahme, dass es sich bei Berufsverbänden und Berufs-gewerkschaften um zwei voneinander abgrenzbare, genuin unterschiedliche Organisationstypen handelt. Gleichermaßen wird impliziert, dass es sich bei der Transformation des Marburger Bundes tatsächlich um einen umfassenden Typ-wandel der Organisation handelt. Dieser sollte sich in veränderten Strukturen, Zielen und Funktionen widerspiegeln und mit neuen oder verschobenen Schwer-punkten in der Verbandsarbeit einhergehen. Ebenso kann es notwendig sein, dass bestehende Instrumente erweitert oder neue definiert werden müssen. Berufsverband und Berufsgewerkschaft Eine Gewerkschaftscharakterisierung kann anhand der von Franz Neumann (1978) spezifizierten drei Dimensionen gewerkschaftlicher Funktionen (Ar-beitsmarktakteur, politischer Verband und Solidarorganisation) und der von Goetz Briefs in den 1920er-Jahren aufgestellten Definition von Gewerkschaften erfolgen.

„Unter Gewerkschaften verstehen wir die freie, der Absicht nach dauernde, im Innenverhältnis solidarische, nach außen kartellarische Interessenverbindung auf abhängiges Einkommen ge-stellter Sozialgruppen“ (Briefs 1965: 545).

Gewerkschaften unterscheiden sich von Berufsverbänden primär durch ihre Aus-richtung auf abhängiges Einkommen. Als Arbeitsmarktakteur ist ihr primäres Ziel der Abschluss von Tarifverträgen. Das Instrument des Tarifvertrages steht

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Theoretischer Rahmen 37

nur denjenigen Organisationen offen, die als tariffähig gelten. Gewerkschaftssta-tus und Tariffähigkeit stehen daher in untrennbarem Zusammenhang. Das Tarif-vertragsgesetz legt fest: „Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern“ (§2 Abs. 1). Nur Gewerk-schaften, als Kollektivakteure, die abhängig Beschäftigte vertreten, können auf Arbeitnehmerseite Tarifverträge abschließen – ein Berufsverband demnach nicht. Gleichwohl fällt die Klärung der Frage, wann ein Verband als Gewerkschaft zählt, nicht leicht. In Deutschland gibt es keine Instanz, die im Vorhinein einen Gewerkschaftsstatus anerkennen oder ablehnen kann. Eine Gewerkschaft ent-steht zunächst per Proklamation. Wenn sich aber eine Organisation zwar Ge-werkschaft nennt aber keine Tarifpolitik betreibt, unterscheidet sie sich in keiner Weise von einer Nicht-Gewerkschaft. Der Begriff Gewerkschaft als Organisati-onstyp bezeichnet in dieser Arbeit demnach immer eine tariffähige Gewerk-schaft. Die Tariffähigkeit erfordert sowohl den Willen Tarifverträge abzuschlie-ßen als auch die nötige Mächtigkeit diese durchzusetzen.26 Ein Berufsverband unterscheidet sich demnach von einer Berufsgewerkschaft dadurch, dass er keine Tarifverträge abschließt. Warum er dies nicht tut oder ob er es könnte spielt keine Rolle.

Mit Blick auf den Wandel von Organisationen ist es sinnvoll, diese Abgren-zung weiter einzuschränken. Dies soll über das Kriterium des maßgeblichen Aufgabenbereichs eines Verbandes erfolgen. Ebenfalls als Berufsverband wird in der vorliegenden Studie ein Verband bezeichnet, der zwar Tarifverträge mit unterschreibt, aber keinen maßgeblichen Einfluss auf die Inhalte des Vertrages hat und der darüber hinaus einen eindeutigen Schwerpunkt der Verbandsarbeit in nicht gewerkschaftlichen Feldern aufweist.27 Die dargestellten Kriterien zur

26 Auf die Problematik, dass der Abschluss arbeitgebergefälliger Tarifverträge als Kriterium für Mächtigkeit ausreichend ist (so viel zeigen die Verfahren zur Unterbietungskonkurrenz durch Christ-licher Gewerkschaften, die vor allen Instanzen deutscher Arbeitsgerichte ausgefochten wurden) und nichts mit Durchsetzungsfähigkeit zu tun hat, soll an dieser Stelle nur hingewiesen werden. Weitere Voraussetzungen für eine Gewerkschaft sind, neben Freiwilligkeit und Dauerhaftigkeit, des Weiteren insbesondere Gegnerfreiheit (keine Arbeitgeber in der Mitgliedschaft) und Unabhängigkeit (nicht von Arbeitgeberseite oder Dritten finanziert, Unabhängig von Staat oder anderen Organisationen) sowie zum Abschluss von Tarifverträgen die satzungsgemäße Zuständigkeit (Organisationsbereich). 27 Gleichfalls wird in der Definition von wirtschafts- und sozialberuflichen Verbänden (Berufsver-bänden) von Ludwig Heyde deutlich, dass die Relevanz der Tarifpolitik als Unterscheidungskatego-rie zwischen Berufsverband und Berufsgewerkschaft herangezogen werden sollte. Denn diese erfolgt gerade in (relativer) Abgrenzung zu gewerkschaftlichen Funktionen: „Unter wirtschafts- und sozial-beruflichen Verbänden sollen hier in erster Linie Organisationen verstanden werden, die den Schwerpunkt ihrer Aufgabe nicht in der allgemeinen Wirtschafts- oder Sozialpolitik haben, sondern in der Standespolitik bestimmter Berufe [Herv. i. O.; d. Verf.] [...]. Beschlüsse zu wirtschafts- oder sozialpolitischen Fragen aber, die über das engere Verbandsinteresse hinausgehen, werden von den Berufsvereinen selbst in der Regel nicht gefaßt. Andererseits halten sich die [...] Verbände von gewerkschaftlicher Arbeit fern“ (Heyde 1959: 623f.).

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38 Einleitung

Abgrenzung zwischen Berufsverband und Berufsgewerkschaft machen es mög-lich, die Frage nach der Transformation des Marburger Bundes zu stellen.28

Zunächst spricht jedoch das Konzept der Pfadabhängigkeit, mit der impli-zierten Trägheit von Organisationen und ihren Strukturen, gegen den abrupten Wandel eines Verbandes. Der theoretisch-konzeptionelle Zugriff, mit dem in der vorliegenden Arbeit die Transformation des Marburger Bundes vom berufsstän-disch orientierten Standesverband zur Berufsgewerkschaft erklärt und gedeutet wird, erfolgt durch das Theoriekonstrukt der Gelegenheitsstruktur. Dieses wurde vom Autor zusammen mit Wolfgang Schroeder 2008 in die Debatte um das Phä-nomen der Vergewerkschaftung von Berufsverbänden eingebracht (vgl. Schroe-der/ Greef 2008; Schroeder et al. 2011). Ausgangspunkt war dabei die Erkennt-nis, dass sich der Organisationswandel nicht allein durch den rational choice-Ansatz erklären lässt. Dieser kann zweifelsohne herangezogen werden, um die letztendliche strategische Entscheidung des Verbandes beziehungsweise der Führungsebene für den Organisationswandel zu erklären. Er zeigt hingegen nicht auf, welche Faktoren zu dieser Entscheidung führten und warum sie genau zu diesem bestimmten Zeitpunkt erfolgte. Genauso wenig lässt er Rückschlüsse auf die Erfolgsbedingungen oder den Auslöser der Transformation zu (vgl. Tarrow 2003: 72). Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es eines anderen Zugangs. Im Gegensatz zu den in der Pfadabhängigkeitsforschung herangezogenen critical junctions, die abrupte Brüche aufzeigen von denen ausgehend der Pfad verlassen wird, steht für Transformationen des Zusammenspiels unterschiedlicher Wand-lungsprozesse im Mittelpunkt. „Rather than abrupt and discontinuous, they find transformative change often to result from an accumulation of gradual and in-cremental change“ (Streeck/ Thelen 2005: 18).

„Political actors […] encounter constraints and are presented with opportunities configured by the institutional arrangements and the prevailing patterns political power which are the ines-capable context of political action” (Rootes 1999: 75).

Strategische Entscheidungen sind immer von der Umwelt – ihren Bedingungen und die sie institutionell konstruierenden Akteure – abhängig oder zumindest

28 Zum Thema Tariffähigkeit, Tarifautonomie und Streikfähigkeit von Berufsgewerkschaften gibt es diverse juristische Abhandlungen. Hier sei beispielsweise auf Waas (2008) und Weisemann (2007) verwiesen, die neben der Frage der Verhältnismäßigkeit von Streiks durch Berufsgewerkschaften, die Tariffähigkeit von Spartengewerkschaften aufgreifen. Sie betrachten die Bedeutung des Phänomens für die Tarifeinheit und stellten sie in den Kontext anderer Entwicklungen im Tarif- und Arbeits-kampfrecht wie dem Auftreten von Arbeitgeberverbänden ohne Tarifbindung. Abhandlungen zu einzelnen dieser Aspekte finden sich darüber hinaus bei Reuter (2007) zum Thema Tarifautonomie von Spartengewerkschaften oder bei Greiner (2007) zum Streik der Lokführer.

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Theoretischer Rahmen 39

durch diese beeinflusst.29 Dabei muss nicht nur die Wahrscheinlichkeit von Er-folg und Misserfolg gegen die möglichen Gewinne und potenziellen Verluste abgewägt, sondern zugleich Reaktionen anderer Akteure und Auswirkungen auf weitere Bereiche der Verbandsarbeit einkalkuliert werden. Mit anderen Worten muss die strukturelle Dimension des individuellen und kollektiven Handelns beachtet werden. Denn dieses Handeln kann als „kollektive Antwort auf eine günstige politische Gelegenheitsstruktur“ verstanden werden (Tarrow 1991: 647).

Es ist also nicht allein die Frage, ob und warum sich ein Akteur für eine be-stimmte Handlungsmöglichkeit entscheidet. Seine Handlungsalternativen werden in erheblichem Maße durch die Verbandsumwelt, das ihn umgebende Institutio-nensystem und seine eigenen Möglichkeiten und Ressourcen bestimmt und vor-strukturiert – sie sind mithin kontextabhängig. Bei der Transformation von Be-rufsverbänden ist daher nicht nur zu klären, warum sich ein Verband zu einem bestimmten Zeitpunkt für den Weg einer Vergewerkschaftung entschieden hat. Von besonderem Interesse ist vielmehr, was sich – bezogen auf die Verbands-umwelt – verändert hat, so dass diese Handlungsoption, die theoretisch immer bestanden hat, praktisch relevant werden konnte. Mit anderen Worten: Warum trat die Durchsetzung tarifpolitischer Eigenständigkeit auf die Agenda des Mar-burger Bundes? Und wie kam es dazu, dass diese Handlungsoption ergriffen wurde? Daran schließt zugleich die Frage an, wer die treibenden Kräfte des Wandels waren und wie sich die Entscheidung für den Organisationswandel innerhalb des Verbandes durchgesetzt hat.

Im Folgenden wird der verwendete Ansatz der Gelegenheitsstruktur syste-matisiert. Dazu werden die drei zugrundeliegenden Theoriekonzepte political opportunity structure, Ressourcenmobilisierungstheorie und window of opportunity vorgestellt. Anschließend wird die Verknüpfung der Theorien erör-tert.

1.4.2 Political opportunity structure (POS)

Einen der Ausgangspunkte des verwendeten Theoriekonstrukts bildet das Kon-zept der political opportunity structure (POS). Die politischen Gelegenheits-struktur wurde in den 1970er-Jahren von Eisinger (1973) entwickelt,30 um das Auftreten und den Erfolg von Protestbewegungen31 erklären zu können. Dieses

29 Vgl. bspw. Laughlin (1991) zur Relevanz von umweltbedingten Störungen als Auslöser für organi-sationalen Wandel und Transformation. 30 Eisinger spricht an den meisten Stellen seiner Studie dennoch nur von opportunity structure. 31 Seine Forschungsfrage war, warum Ende der 1960er-Jahre in einigen Städte Proteste und Aufstän-de mit Bezug auf die Rassenfrage und Armut auftraten, in anderen Städten dagegen nicht.

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40 Einleitung

Konzept wurde von anderen Autoren aufgegriffen und erweitert. Zunächst von Tilly (1977: 1-11), der auf dieser Basis die Aufstände im England des 18. Jahrhunderts untersucht:

„Opportunity concerns the relationship between a group and the world around it. Changes in the relationship sometimes threaten the group's interests. They sometimes provide new chances to act on those interests.”

Tilly hält das bis dato genutzt “mobilization model” für unterkomplex, weil die-ses Umweltfaktoren nicht hinreichend berücksichtige. „It [the mobilization mod-el; d. Verf.] deals only with the capacity to act, not with the immediate incentive or opportunity to act“ (Tilly 1977: 4-1). Mit dem POS-Ansatz sollten diese An-reizstrukturen in der Umwelt nun in adäquater Weise berücksichtigt werden. In den folgenden Jahren wird das Konzept der POS umfassend zur Analyse derjeni-gen Bedingungen angewandt, die Auswirkungen auf den Erfolg oder Misserfolg von Sozialen Bewegungen haben (vgl. McAdam et al. 1996, Meyer 2004, Kitschelt 1986 oder Tarrow 2003). Von Tarrow (1994: 85) stammt die seither oft genutzte Definition des POS-Konzepts:

„By political opportunity structure, I mean consistent – but not necessarily formal or permanent – dimensions of the political environment that provide incentives for people to undertake col-lective action by affecting their expectations for success or failure.“32

Der Begriff des Politischen bezieht Tarrow dabei nicht so sehr auf die strukturel-le Komponente des Ansatzes,33 sondern auf die Gelegenheiten für kollektives Handeln (collective action). Die Strukturen können demnach sowohl politischer als auch nichtpolitischer Natur sein. Genau entgegengesetzt nutzt McAdam (1996) das Konzept. Er zielt auf politische Strukturen ab, während das kollektive Handeln politisch ebenso wie nichtpolitisch orientiert sein kann. Bengtsson (2008: 9), der das Konzept anwendet, um die politischen Einflussmöglichkeiten von Migrantenorganisationen auf politische Integration zu untersuchen, bezieht dagegen den Begriff des Politischen weder auf Struktur noch Gelegenheit. Poli-tisch meint bei ihm ausschließlich, dass kollektives Handeln direkte oder indirek-te politische Auswirkungen hat. Damit wird die political opportunity structure,

32 In der zweiten Auflage ihrer Monographie veränderte Tarrow (2003: 76f) ihre Definition dahinge-hend, dass sie nur noch von „political opportunity“ sprach. Den Begriff der Struktur, der eher auf einen längeren Zeithorizont verweist, vermied sie, da „most opportunities and constraints are situational“. Außerdem habe der Begriff bei einigen Kritikern für Verwirrung gesorgt, weil sie fälschlicherweise davon ausgingen, dass im POS-Ansatz Strukturen auch dann als Anreize für Han-deln dienten, wenn sie von den Akteuren nicht wahrgenommen würden (vgl. ebd.: 221). 33 Tilly (2004: 3) etwa fragte nach „shifting political conditions that made social movements possi-ble.“

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Theoretischer Rahmen 41

als Analyseraster bezogen auf die Bedingungen des zu erklärenden Phänomens, eigentlich zur opportunity structure.

Auch der Begriff der Gelegenheit wird nicht einheitlich verwendet. Tarrow bezieht diesen ausschließlich auf solche Gelegenheiten, die Anreize zum Han-deln bieten. Dies tun sie, indem sie die Wahrscheinlichkeit für Erfolg oder Miss-erfolg kollektiven Handelns und damit den outcome der Handlung verändern. Bengtsson (2008: 9) hält diese Definition indes für zu eng. Denn diese schließe vorab solche Gelegenheiten aus, die nicht das Ergebnis (im Sinne eines Wech-sels zwischen Erfolg oder Misserfolg) verändern, sehr wohl aber individuelle oder kollektive Kosten-Nutzen-Relationen beeinflussen.

Die dritte Dimension des POS-Ansatzes wird durch den Begriff der Struktur vorgegeben. Hierunter versteht Tarrow jede Art von politischen Institutionen und politischen Akteuren. Während Autoren wie McAdam (1996: 25f.) kulturelle und soziale Strukturen (wie Klasse oder Gender) bewusst nicht mit unter den Ansatz der politischen Gelegenheitsstruktur fassen34, werden diese von Bengtsson (2008: 11f.) mit aufgenommen. Sein Hauptargument besteht darin, dass bei der Betrachtung von Migrantenverbänden, kulturelle und soziale Struk-turen (wie Ethnizität) für das Entstehen der Verbände und ihre Handlungskon-texte von entscheidender Bedeutung sind. Dasselbe Argument trifft für diese Arbeit auf die Struktur des Berufs zu. Der Beruf zählt zu den Organisations-grundlagen des Marburger Bundes und stellt den Referenzpunkt für dessen Han-deln dar.

Kriesi et al. (1995: 192f.) gehen davon ausgehen, dass „konjunkturelle“ und „lineare“ Akteure35 unterschiedlich auf Gelegenheitsstrukturen reagieren. Wäh-rend konjunkturelle Akteure auf Gelegenheitsstrukturen nicht nur schnell rea-gierten, sondern auf sie angewiesen seien, würden lineare Akteure deutlich ge-ringer durch Gelegenheitsstrukturen beeinflusst. Ihr Handeln werde weniger durch Gelegenheitsstrukturen im Sinne von Handlungszwängen bestimmt. Ent-scheidend sei für diese vielmehr, dass Gelegenheitsstrukturen (neue) Handlungs-optionen eröffnen. Ob diese Handlungsmöglichkeiten ergriffen werden, stelle sich für lineare Akteure vor allem als strategische Frage. Bei historisch gewach-senen, in ihrer Organisationsdomäne etablierten Verbänden mit ausgebildeten Organisationsstrukturen, wie dem Marburger Bund, handelt es in diesem Sinne eher um lineare Akteure.

34 Tarrow (2003: 108ff.) fasst kulturelle und soziale Strukturen stattdessen als Aspekte auf, die mit Blick auf die Akteuren nur in Bezug auf Framing-Prozesse eine Rolle spielen. 35 Im konkreten Fall beziehen Kriesi et al. (1995) sich auf Soziale Bewegungen. Als Beispiel für konjunkturelle Bewegungen nennt Rucht (1998: 323f.) die Frauenbewegung, die auf „grassroots mobilisations“ setzt. Lineare Bewegungen, wie die Umweltbewegung, bildet dagegen „strong and durable organisations“ aus.

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42 Einleitung

Eine Unterteilung in konjunkturell und linear nimmt Rootes (1999) ebenfalls vor, allerdings für die strukturelle Dimension der POS. Er differenziert diese nach dem Grad ihrer Variabilität. Umweltfaktoren können relativ starr oder eher vari-abel sein. Mit Blick auf die sozialen und kulturellen Strukturen, die er wie Bengtsson als Teil der POS auffasst, attestiert Rootes (1999: 83), dass diese „appear both relatively stable and changing“. Den Grund für diese Doppeldeu-tigkeit sieht er in dem inkrementellen und evolutionären Charakter von Verände-rung in kulturellen und sozialen Bereichen. Dieser führe dazu, dass Strukturen kurz- und mittelfristig stabil, in langer Sicht aber durchaus variabel erscheinen. Dem stimmt auch Rucht zu, wenn er von „situativen Bedingungen jenseits des Komplexes politischer Gelegenheitsstrukturen“ spricht [Herv. i. O.; d. Verf.]“ (Rucht 1998: 123). Damit teilt sich die strukturelle Dimension in stabile sowie konjunkturelle Strukturen.

Mit Bezug auf ein Gelegenheitsfenster spielen die konjunkturellen Struktu-ren eine wichtige Rolle, da sie durch ihren Wandel das Öffnen und Schließen des Fensters maßgeblich bestimmen (vgl. Kapitel 1.4.4 zum window of opportunity). Gleichwohl sind auch die stabilen Strukturelemente bedeutsam, selbst wenn diese nicht einen plötzlichen Wandel im Akteurshandeln erklären. Nicht von Veränderung betroffene Strukturen können dennoch positiv oder negativ auf Handlungsoptionen wirken oder eine notwendige Bedingung dafür darstellen, dass eine Handlungsmöglichkeit überhaupt besteht. Daher müssen diese eben-falls zur Gelegenheitsstruktur gezählt werden (vgl. Tarrow 2003: 71).

Dieser Querschnitt zeigt, dass der Ansatz der politischen Gelegenheitsstruk-tur ein oft genutztes Instrument ist und von den verschiedenen Autoren sehr unterschiedlich ausgelegt wird. Hinzu kommen Kritikpunkte am Konzept, die berücksichtigt werden müssen. Etwa von Gamson und Meyer (1996: 275):

„It [die POS; d. Verf.] threatens to become an all-encompassing fudge factor for all the condi-tions and circumstances that form the context for collective action. Used to explain so much, it may ultimately explain nothing at all.“

Sie kritisieren am POS-Konzept, dass durch die Einbeziehung der gesamte Um-welt eigentlich alles erklärt werden könne und damit tatsächlich nichts erklärt würde (vgl. auch Goodwin/ Jasper 2004: 6f.; Meyer 2004: 126). McAdam (1996) relativiert diesen Standpunkt.36 Er argumentiert stattdessen, dass die politische Gelegenheitsstruktur zwar die gesamte Umwelt einbeziehe, aber damit vor allem Variablen bereitstelle, die dann in der Analyse durch die Erweiterung um Fra-ming-Prozesse und Mobilisierung nutzbar gemacht werden könnten. Die POS allein reicht also nicht aus, um alle Bedingungen in Bezug auf die Existenz,

36 Zur Kritik am POS-Ansatz und konzeptionellen Antworten vgl. insb. auch Koopmans 1999.

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Theoretischer Rahmen 43

Erfolg oder Misserfolg von Sozialen Bewegungen abzubilden. Damit ist die separate Betrachtung weiterer – nicht an die Akteursumwelt gebundener – Be-dingungen erforderlich, was gleichfalls widerlegt, dass das POS-Konzept alles erklärt.

Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf den Erkenntnisgewinn. Die Nut-zung der POS als Theoriekonzept würde in einigen Fällen nicht mehr Erkennt-nisse liefern als die generelle Feststellung, dass die Umwelt von Bedeutung ist (vgl. Bengtsson 2008: 3). Dieser Einwand mag für ein rein exploratives Vorge-hen zutreffend sein. In denjenigen Fällen dagegen, in denen bereits Kenntnisse über den Untersuchungsgegenstand vorliegen, kann eine Spezifizierung der rele-vanten Umweltfaktoren vorgenommen werden. So können diese gezielt auf Ver-änderungen hin untersucht werden. Hierbei muss allerdings auf ein weiteres Problem hingewiesen werden. Bei der Analyse der als relevant zu bezeichnenden Umweltfaktoren ist zu hinterfragen, inwieweit diese unabhängig von dem unter-suchten Fall sind. Sonst besteht die Gefahr, dass mit der identifizierte Gelegen-heitsstruktur nicht mehr gelingt, als „post hoc attempts to put structural boxes around the (suitably simplified) characteristics of the […] empirical cases“ (Rootes 1999: 76). Für den hier untersuchten Fall der Transformation eines Be-rufsverbandes zu einer Berufsgewerkschaft haben Schroeder, Kalass und Greef (2011) sowie Schroeder und Greef (2008) gezeigt, dass für die Hauptrepräsen-tanten des Phänomens der Vergewerkschaftung vergleichbare Umweltbedingun-gen von Bedeutung waren.

Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff der Gelegenheit sehr weit inter-pretiert. Unter diesen weiten Rahmen fällt alles, was die Wahl einer möglichen Entscheidungsoption positiv beeinflusst. Dies ist dann der Fall, wenn sich die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Umsetzung einer Entscheidung erhöht, wenn sich eine alternative Entscheidungsoption oder Nichtentscheiden verteuern oder wenn sich überhaupt erst eine (neue) Entscheidungsoption eröffnet. Damit kann das Konzept hinreichende Bedingungen für die Vergewerkschaftung der untersuchten Fälle aufzeigen. Gleichwohl muss Einschränkend darauf hingewie-sen werden, dass keine generalisierbaren, notwendigen Bedingungen für die Transformation von Verbänden zu Tarifakteuren herausgearbeitet werden kön-nen.

Das Konzept der politischen Gelegenheitsstruktur ist zwar gut geeignet, um zu erklären, welchen Einfluss Umweltbedingungen und die den Akteur umge-benden Strukturen auf seine Entscheidungsmöglichkeiten haben. Die POS-Theorie mit ihrem Fokus auf Struktur und Umwelt ist jedoch nur bedingt geeig-net, wenn es darum geht, die auf den Akteur bezogenen Voraussetzungen für dessen Handeln herauszuarbeiten. Daher wird die Ressourcenmobilisierungsthe-orie in die Theoriekonstruktion dieser Arbeit integriert.

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44 Einleitung

1.4.3 Resource Mobilization Theory (RMT)

Die Resource Mobilization Theory (Ressourcenmobilisierungstheorie; RMT) stellt das ältere Gegenstück zum Ansatz der Gelegenheitsstruktur dar. Diese zielte ebenfalls darauf ab, Entstehung und Verlauf von Sozialen Bewegungen zu erklären. Beiden Ansätzen ist gemein, dass sie Zusammenhänge zwischen be-stimmten Faktoren und Anreizen herstellen (vgl. Tarrow 1991: 651). Während die Gelegenheitsstruktur organisationsexterne Faktoren aufgreift, bezieht sich der Ansatz der Ressourcenmobilisierung auf die verbandsinternen Faktoren.

Zunächst benötigt eine Organisation Ressourcen, um handeln zu können. Die RMT knüpft dabei an dem von Olsons (1971) formulierten Kollektivgut-problem an. Akteure sind in ihren Entscheidungen nicht völlig frei. Selbst wenn sich aus der sie umgebenden Struktur bestimmten Entscheidungsmöglichkeiten ergeben, bleibt die Frage, ob diese ergriffen werden können. Dies ist stark davon abhängig, ob der Akteur die nötigen Ressourcen besitzt, um die Kosten seines Handelns tragen zu können. Die Ressourcen können dabei materieller (Geld, Sachleistungen, Human-Resources) wie immaterieller Natur (Organisationser-fahrung, Strategien, moralische oder kulturelle Ressourcen) sein.37 Das Vorhan-densein von Ressourcen im Verband impliziert gleichwohl nicht, dass diese dem Verband ohne weiteres tatsächlich zur Verfügung stehen. Ein nicht unerheblicher Teil der Ressourcen kann zunächst direkt an die Mitglieder gebunden sein. Die Mobilisation dieser Ressourcen wird damit zu einer entscheidenden Aufgabe des Verbandes.

„But the simple availability of resources is not sufficient; coordination and strategic effort is typically required in order to convert available pools of individually held resources into collec-tive resources and to utilize those resources in collective action” (Edwards/ McCarthy 2004: 116).

Die zweite, mindestens genauso wichtige Ebene bilden daher die Strategien zur Mobilisierung der zwar vorhandenen, aber nicht unmittelbar abrufbaren Res-sourcen. Dabei können zwei Arten der Mobilisierung unterschieden werden: Consensus und Action mobilization (vgl. Klandermans 1984: 586). Schwierigkei-ten ergeben sich beispielsweise aus dem Spannungsverhältnis von Mitglieder- und Einflusslogik, auf das strategische Antworten gefunden werden müssen, um Ressourcen mobilisieren zu können.

37 Für eine differenzierte Analyse der Typen von Ressourcen vgl. bspw. Edwards/ McCarthy 2004: 125-135.

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Theoretischer Rahmen 45

„These include mobilizing supporters, neutralizing and/or transform mass and elite public into sympathizers, achieving change in targets. Dilemmas occur in the choice of tactics, since what may achieve one aim may conflict with behavior aimed at achieving another. Moreover, tactics are influenced by interorganizational competition and cooperation” (McCarthy/ Zald 1977: 1217).

Eine aktive Mobilisierung der eigenen Mitglieder und ihrer Ressourcen, wie sie bei einer Gewerkschaft im Streikfall unabdingbar ist, sollte unter einer mitglie-derlogischen Ausrichtung der Verbandsstrategie besser funktionieren als bei einer Dominanz der einflusslogischen Perspektive. Andersherum dürfte unter dem Primat der Einflusslogik eine konsensuale Mobilisierung der Verbandsum-welt, also der Versuch diese von der Richtigkeit und Notwendigkeit des eigenen Handelns zu überzeugen und für Verständnis oder gar Unterstützung zu werben, bessere Aussichten auf Erfolg haben. Ersichtlich wird nicht nur ein Spannungs-verhältnis unterschiedlicher Mobilisierungsstrategien, sondern darüber hinaus der Umweltbezug der Ressourcen(mobilisierung).

McCarthy und Zald (1977: 1217) weisen ebenfalls darauf hin, dass die Ver-bandsumwelt eine Rolle spielt. Diese kann direkt einen Teil der Ressourcen stellen und zusätzlich indirekt die Ressourcenausstattung und die Mobilisie-rungsfähigkeit der Ressourcen beeinflussen. Hier wird die Verknüpfungsmöglichkeit zwischen POS und RMT deutlich.

„Scholars have tended to study only one aspect [...] – for example, the effect of expanding po-litical opportunities or the organizational dynamics of collective action. The challenge, of course, is to sketch the relationships between these factors” (McAdam et al. 1996: 7).

Ressourcen(mobilisierung) und Gelegenheitsstrukturen bedingen einander und müssen daher zusammen berücksichtigt werden. Da es darum geht, die Bedin-gungen und Faktoren herauszuarbeiten, die eine erfolgreiche Transformation des Marburger Bundes ermöglichten, muss zusätzlich eine dritte Dimension berück-sichtigt werden. Es gibt ein bestimmtes (wahrgenommenes) Zeitfenster des Han-delns. In diesem Zeitfenster treffen die Umweltbedingungen als Gelegenheits-struktur mit den vorhandenen Ressourcen des Akteurs und deren Mobilisierungs-fähigkeit so zusammen, dass die Gesamtkonstellation als positiv für die Erfolgs-aussichten einer Handlungsmöglichkeit eingeschätzt wird. In der Forschung wird dieses Handlungsfenster als window of opportunity bezeichnet. 1.4.4 Window of opportunity (WOO)

Das Konzept des window of opportunity (Gelegenheitsfenster) wurde von King-don 1984 im Zuge seines multiple streams model zur Erklärung für agenda-

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46 Einleitung

setting im policy-making-process eingeführt.38 Das multiple streams model geht, dem POS-Ansatz ähnlich, davon aus, dass unabhängige aber aufeinander bezo-gene Prozessebenen oder Streams existieren.39 Diese Streams sind dauerhaft existent und verändern sich beständig. Daher hängt es von deren jeweiliger Konstellation ab, ob zu einem gegebenen Zeitpunkt aus einem issue eine policy werden kann oder nicht. Das windows of opportunity beschreibt nun einen Zeit-punkt oder ein Zeitfenster, in dem die Streams sich decken oder kompatibel sind. Nach Kingdon kann dieses window of opportunity genutzt werden, um ein The-ma erfolgreich auf die politische Agenda zu setzen – sofern die Existenz des Gelegenheitsfensters von den Akteuren wahrgenommen wird. „The policy win-dow is an opportunity for advocates of proposals to push their pet solutions, or to push attention to their special problems“ (Kingdon 1995: 165). 1.4.5 Konzeption und Spezifizierung der Gelegenheitsstruktur

Mit dem Konzept der Gelegenheitsstruktur sollen die drei zuvor dargestellten Ansätze – politische Gelegenheitsstruktur, Ressourcenmobilisierungstheorie und Gelegenheitsfenster – in einem systematischen Ansatz zur Erklärung der Trans-formation von Berufsverbänden zu Gewerkschaften zusammengefasst werden. Bei dieser Übertragung der Konzepte sind einige Anpassungen notwendig. Der Grundgedanke ist, dass die Gelegenheitsstruktur die Bedingungen und Faktoren für eine erfolgreiche Transformation abbildet.40 Opportunity structure Für den mit der opportunity structure erfassten Bereich der Verbandsumwelt bedeutet dies, dass die notwendige Bedingung für die Gelegenheitsstruktur nur dann vorliegt, wenn die relevanten Faktoren positiv wirken. Zur Veranschauli-chung sei auf das Schaubild zur Gelegenheitsstruktur von Tilly (1977: 4-2) ver-wiesen:

38 Aus diesem Grund wird das WOO von Kingdon und anderen auch als Policy Window bezeichnet. 39 Im Modell von Kingdon sind dies drei Streams: The stream of problems, the stream of policies und the stream of politics. 40 Das Konstrukt der Gelegenheitsstruktur ist nicht geeignet, um notwendige und hinreichende Be-dingungen zu unterscheiden. Es handelt sich bei Bedingungen zunächst nur um positiv – auf die Entscheidung für eine eigenständige Tarifpolitik und die Erfolgschancen ihrer Durchsetzung – wir-kende Faktoren. Darüber hinaus können allenfalls begründete Vermutungen, jedoch keine verbindli-chen Aussagen getroffen werden, ob einzelne Bedingungen zwingend notwendig sind oder nicht doch durch andere ersetzt werden könnten.

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Theoretischer Rahmen 47

Abbildung 1: "opportunity model" nach Tilly

Quelle: Tilly 1977: 4-2. Unter der Gelegenheit, um die es in der vorliegenden Arbeit geht, wird die Transformation des Marburger Bundes zum eigenständigen Tarifakteur verstan-den. Damit geht es um die Frage, welche Bedingungen die Entscheidung zu dieser Transformation beeinflusst haben. Auf Seiten der Gelegenheitsstruktur41 können dafür mit Blick auf den Marburger Bund vier Komplexe identifiziert werden, die zu berücksichtigen sind: 1. Gesetzgebung (Kapitel 2.1): Zum einen sind Veränderungen der Branche

direkte Resultate aus gesetzlichen Vorgaben. Zum anderen sind Handlungs-optionen immer mit der Frage nach rechtlichen Möglichkeiten verknüpft.

2. Branche (Kapitel 2.2): Die Krankenhauslandschaft als Branche, in der sich die angestellten Ärzte bewegen, stellt eine umfassende Umweltstruktur dar, deren Veränderungen Berücksichtigung finden müssen.

3. Akteurskonstellation/ Verbandslandschaft (Kapitel 2.3): Andere Organisati-onen, die im Umfeld von Branche oder Beruf als Konkurrenten oder Koope-rationspartner auftreten können, sind für die Handlungsoptionen des Mar-burger Bundes von entscheidender Bedeutung. Das betrifft neben anderen Berufsverbände und Gewerkschaften gleichermaßen die Arbeitgeber.

4. Beruf (Kapitel 3): Die strukturelle Dimension des Berufs ist nicht nur für das individuelle Mitglied des Marburger Bundes von Interesse. Für den Marbur-ger Bund als Berufsverband stellt der Beruf die Organisationsgrundlage dar.

Ressourcenmobilisierungstheorie Die Beschränkung auf eine positive Konstellation gilt genauso für die unter der Ressourcenmobilisierungstheorie gefassten, verbandsbezogenen Faktoren für eine Transformation. Die notwendige Bedingung für die Gelegenheitsstruktur liegt ausschließlich dann vor, wenn ausreichende Ressourcen vorhanden sind 41 Das Konzept der Gelegenheitsstruktur wird in dieser Arbeit auf die Transformation eines Berufs-verbandes zum Tarifakteur angewandt. Daher unterscheiden sich die zu berücksichtigenden Dimen-sionen von den konkreten Faktoren wie sie von Tarrow (2003) oder McAdam (1996) für Soziale Bewegungen herausgearbeitet wurden. Nach Bengtsson (2008: 13) lassen sich diese vier beziehugnsweise fünf Aspekte unter die drei Dimensionen „openness of the institutionalized politicial sytem“, „actor constellations“ und „repressiveness of the state“ zusammenfassen.

Kollektives Handeln

Gelegenheit/ Bedrohung Repression

Macht

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48 Einleitung

und diese mobilisiert werden können. Zur schematischen Darstellung der Mobil -sierungstheorie bildet ebenfalls ein Abbildung von Tilly (1977: 4-1) den Aus-gangspunkt: Abbildung 2: "mobilization model" nach Tilly

Quelle: Tilly 1977: 4-1. Die im Fall des Marburger Bundes zu berücksichtigen Variablen auf Seiten der Ressourcen und ihre Mobilisierung lassen sich unter die folgenden drei Katego-rien fassen: 1. Verbandsgeschichte (Kapitel 4.1): Etablierte Akteure haben einen Ressour-

cenvorsprung vor neu gegründeten Organisationen. Zum einen durch eine gewachsene Mitgliederbasis und zum anderen durch Handlungsroutinen so-wie erlerntem Wissen.

2. Organisationsstruktur (Kapitel 4.2): Einerseits können bestehende Organisa-tionsstrukturen, im Sinne der Pfadabhängigkeit, ein Hindernis für Organisa-tionswandel sein. Andererseits erleichtern etablierte Strukturen die Mobili-sierung von Ressourcen und bieten einen stabilen Untergrund für die Hand-lungsfähigkeit einer Organisation.

3. Mitgliedschaft (Kapitel 4.3): Die Ärzte als Mitglieder stellen die entschei-dende Organisationsressource dar. Die Durchsetzungsfähigkeit einer Orga-nisation basiert auf der Übersetzbarkeit individueller (im Fall der Ärzte ar-beitsmarkt- und arbeitsplatzbezogener Macht) in verbandliche Vetomacht.

Window of opportunity Nur wenn die äußeren Gegebenheiten und vorhandene, mobilisierbare Ressour-cen für kollektives Handeln (Transformation) zusammentreffen – und damit beide im Sinne positiver Anreize für eine Entscheidung zur Transformation und einen erfolgreichen Verlauf wirken – liegt ein Gelegenheitsfenster vor. Zusam-menfassend kann das Theoriekonstrukt das dieser Arbeit zu Grunde liegt wie folgt vereinfacht dargestellt werden:42

42 Eine stärker an Tilly orientierte, verlaufs- und abhängigkeitsorientierte Darstellung findet sich in Kapitel 6.1.

Organisation

Kollektives Handeln Mobilisation

Interesse

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Kapitelübersicht 49

Abbildung 3: Gelegenheitsstrukturelles Theoriekonstrukt dieser Arbeit

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schroeder et al. 2011: 39. Die letzte notwendige Bedingung, die den Dreiklang aus POS, RMT und WOO zu einer Gelegenheitsstruktur werden lässt – wie sie im Folgenden in dieser Ar-beit verstanden wird – ist, dass das Gelegenheitsfenster schließlich als solches erkannt und genutzt wird.43 Teil der Gelegenheitsstruktur sind daher ausdrück-lich der Auslöser, der die Transformation des Verbandes initiiert, sowie der Transformationsprozess (vgl. Kapitel 5.1). Der Anstoß für organisationalen Wandel kann dabei exogen oder endogen erfolgen. Die Relevanz der Umwelt (exogen) ist mit Verweis auf die Gelegenheitsstruktur evident. Welche Rolle die Organisationsmitglieder (endogen) über die Beteiligung am Wandlungsprozess hinaus als auslösende Elemente gespielt haben, wird untersucht werden. Genauso ob und wie exogene und endogene Faktoren zusammenspielen oder voneinander abhängig sind (vgl. Edruweit 2004: 262f.). 1.5 Kapitelübersicht

Die empirische Analyse beginnt im zweiten Kapitel mit der Organisationsum-welt des Marburger Bundes. Zunächst wird das Phänomen der Berufsgewerk-schaften zum Wandel der Arbeitsbeziehungen und zum Wandel der Staatstätig-keit in Bezug gesetzt. Die Gesetzgebung und ihre Auswirkungen auf die Kran-kenhausbranche werden anschließend berücksichtigt. Die Branche, ihre grundle-genden Strukturen und Daten sowie die für die Beschäftigten relevanten Wand-lungsphänomene bilden die zweite untersuchte Umweltebene. Auf der dritten Ebene werden schließlich die Akteurskonstellationen analysiert.

43 Ressourcen vorhanden und mobilisierbar + positiv wirkende opportunity structure = Gelegenheits-fenster + Erkennen und Nutzen des Fensters = Gelegenheitsstruktur (die erfolgreiches Handeln erklären kann).

Gelegenheitsfenster

Politische Gelegenheitsstruktur (Verbandsumwelt)

Ressourcenmobilisierungspotenzial (Verband)

Historische Strukturen Ressourcen

Konjunkturelle Strukturen Mobilisierungsfähigkeit

Aus

löse

r

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50 Einleitung

Es folgt in Kapitel 3 die Betrachtung des Arztberufes. Der Beruf des angestellten Arztes stellt nicht nur die Mitgliedschaftsgrundlage des Marburger Bund im Sinne seiner Organisationsdomäne dar, sondern ist aus der Machtperspektive auch für einen erheblichen Teil seiner Verbandsressourcen verantwortlich. Daher werden die ärztliche Berufsausbildung und -weiterbildung, die Hierarchieebenen im Krankenhaus, die Arbeitsmarktsituation der Ärzteschaft sowie insbesondere die Veränderung des ärztlichen Berufsstandes und seines Status beleuchtet.

Das vierte Kapitel richtet den Fokus auf den Marburger Bund als Organisa-tion der angestellten Ärzte. Es werden Entstehungsgeschichte und Entwicklung des Verbandes beleuchtet und die gewachsene Organisationsstruktur charakteri-siert. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Aufgaben und Funktionen des Verbandes und der Frage, wie sich diese im Verlauf der Verbandsentwicklung verändert haben. Daneben wird der Mitgliedschaft als entscheidende Organisati-onsressource sowie ihrer Struktur und Entwicklung ausreichend Platz einge-räumt.

In Kapitel 5 folgen schließlich die Darstellung und Analyse des Transfor-mationsprozesses des Marburger Bundes, seiner Bedingungen und Hintergründe. Dabei werden neben Auslösefaktoren, Beginn und Verlauf des Prozesses zu-gleich die Ergebnisse, (Miss-)Erfolge und Reaktionen auf den Weg in die tarif-politische Eigenständigkeit berücksichtigt. Daran schließt sich eine Einschätzung an, inwieweit die Transformation als abgeschlossen zu betrachten ist und wo der Marburger Bund derzeit zwischen Berufsverband und Berufsgewerkschaft zu verorten ist.

Kapitel 6 beinhaltet die Schlussbetrachtung. Diese baut auf den Erkenntnis-sen auf, die sich aus der Analyse von Organisationsumwelt, Beruf, Marburger Bund und seiner Transformation ergeben. Ausgehend von den aufgezeigten Wandlungsprozessen erfolgt eine Übertragung des Gelegenheitsstrukturansatzes auf die Transformationsbedingungen und -hintergründe des Marburger Bundes. Die einzelnen Bedingungen und Faktoren werden dabei in Bezug auf ihre Wech-selwirkungen im Transformationsprozess analysiert. Abschließend wird nach den Perspektiven für Gegenwart und Zukunft der Arbeitsbeziehungen im Kran-kenhaussektor gefragt.

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2 Organisationsumwelt des Marburger Bundes: Strukturen und Konstellationen im Wandel

Die Verbandsumwelt bildet den entscheidenden Rahmen, innerhalb dessen sich eine Organisation mit ihren Zielen, Funktionen und Instrumenten bewegt. Sie beeinflusst Akteurskonstellationen, Ressourcenverfügbarkeit und bietet Hand-lungsanreize oder schränkt Handlungsmöglichkeiten ein. Damit beinhaltet die Organisationsumwelt gewichtige Faktoren für die Organisations- und Konflikt-fähigkeit kollektiver Interessen. Dies zeigt sich auch mit Blick auf die Kranken-hausärzteschaft und den Marburger Bund. Im Folgenden steht daher die Analyse derjenigen Umweltbedingungen sowie ihrer Wandlungsprozesse im Mittelpunkt, die für Ärzte und MB relevant sind.44

Zugrunde liegt zunächst eine breite Definition von Organisationsumwelt: „Organisationsumwelt im soziologischen Sinne sind alle sozialen Phänomene, mit denen die Organisation in ein- oder gegenseitigen Einflussbeziehungen steht“ (Edruweit 2004: 219).45 Diese breite Umweltdefinition wird durch die für den untersuchten Transformationsprozess relevanten Faktoren eingegrenzt. Die Identifikation der relevanten Faktoren erfolgt auf Basis des dargestellten For-schungstandes zum Phänomen und der Systematisierung der Verbandsumwelt in drei Ebenen in der Organisationsforschung (vgl. Preisendörfer 2011: 74ff.; Kapi-tel 1.1). Die relevanten Umweltfaktoren werden in den folgenden Kapiteln unter den Kategorien der globalen Umwelt, der Krankenhausbranche und der Akteurs-konstellation behandelt.

44 Ein Großteil an Literatur zur Krankenhausbranche bleibt daher unbeachtet. Diese beschäftigt sich insbesondere mit betriebs- und wirtschaftswissenschaftlichen Bereichen wie Management, Qualitäts-kontrolle, Krankenhausorganisation und Abrechnungswesen. Im Hinblick auf den Untersuchungsge-genstand dieser Arbeit relevante Literatur, nicht zuletzt Studien zur Entwicklung der Arbeitsbedin-gungen, liegt nur vereinzelt vor. 45 Die in System- wie Organisationstheorie diskutierten Schwierigkeiten einer klaren Festlegung von Organisationsumwelt und Organisationsgrenzen sollen hier nicht vertieft werden (vgl. bspw. Endruweit 2004: 217).

S. Greef, Die Transformation des Marburger Bundes, DOI 10.1007/978-3-531-19574-2_2,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

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52 Organisationsumwelt des Marburger Bundes: Strukturen und Konstellationen im Wandel

2.1 Globale Umwelt: Arbeitsbeziehungen, Staatstätigkeit und Gesetzgebung

Auf der globalen Umweltebene soll zunächst das Phänomen der Berufsgewerk-schaften in die Krisensymptome der Arbeitsbeziehungen als einem wichtigen Bezugspunkt eingeordnet werden. Da sich das Phänomen insbesondere auf ehe-mals staatliche beziehungsweise staatsnahe Sektoren beschränkt, wird anschlie-ßend der Wandel der Staatstätigkeit als zweiter Referenzpunkt aufgegriffen. Dieser spiegelt sich insbesondere in der Ausgestaltung der Gesetzgebung wider, die abschließend mit ihren Auswirkungen analysiert wird. 2.1.1 Einordnung des Phänomens in den Wandel der Arbeitsbeziehungen

Seit den 1990er-Jahren sind die Branchengewerkschaften von einem massiven Mitgliederrückgang46 (Mitgliederkrise) betroffen. Als Gründe dafür werden Arbeitsmarkt- und Strukturveränderung angeführt und auf einen sozialen Wandel verwiesen, der sich nicht zuletzt in einer gesellschaftlichen Individualisierung ausdrückt. Der Mitgliederrückgang und die Schwierigkeiten neue Arbeitnehmer-gruppen47 zu erreichen, schwächen die Branchengewerkschaften nicht nur in ihrer Funktion als Solidarorganisation. Mit den Mitgliedern schwinden zugleich materielle Ressourcen (Mitgliedsbeiträge), Streikmacht und Repräsentativität (vgl. bspw. Ebbinghaus/ Göbel i.E.). Infolge der Mitgliederentwicklung finden sich die DGB-Gewerkschaften in einer Durchsetzungskrise wieder, was sich in erfolglosen Streiks48 und der Abnahme der Branchen-/ Flächentarifbindung49 ausdrückt (vgl. bspw. Streeck/ Rehder 2003). Die Dezentralisierung, Verbetrieb-

46 Vor der Wende erreichten die DGB-Gewerkschaften mit 7,9 Millionen Mitgliedern 1990 ihren Höchststand. Mit der Wiedervereinigung kamen weitere 3,9 Millionen Mitglieder hinzu. Seither sinken die Mitgliederzahlen. Bereits 2000 rangierte der DGB-Mitgliederstand unter dem Höchststand von 1990. Weitere elf Jahre später, kamen die DGB-Gewerkschaften nur mehr auf knapp 6,16 Milli-onen Mitglieder (2011) (vgl. DGB 2012). 47 Bspw. (weibliche) Arbeitnehmer im Dienstleistungsbereich, prekär Beschäftigte, Leih- und Zeitar-beitnehmer. 48 Die IG Metall musste 2003 einen Streik, der zur Durchsetzung der 35-Stunden-Woche in der ostdeutschen Stahlindustrie führen sollte, erfolglos abbrechen (vgl. Bispinck 2003: 9-17). 49 Die Tarifbindung der Beschäftigten in Westdeutschland ist von 76 Prozent im Jahr 1998 auf 63 Prozent im Jahr 2010 gesunken (-13 Prozent), in Ostdeutschland sogar von 63 Prozent auf 50 Prozent (-13 Prozent). Das gleiche Bild zeigt sich bei der Flächentarifbindung. Diese verringerte sich zwi-schen 1995 und 2010 in Westdeutschland um 16 Prozentpunkte (von 72 auf 56 Prozent). In Ost-deutschland nahm die Bindung an den Flächentarif zwischen 1996 und 2010 um 17 Prozentpunkte (von 56 auf 37 Prozent) ab (vgl. IAB Betriebspanel 1995 bis 2010; vgl. auch WSI 2011: Tab. 1.9, 1.10).

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Globale Umwelt: Arbeitsbeziehungen, Staatstätigkeit und Gesetzgebung 53

lichung und Flexibilisierung der Tarifpolitik50 (mit einer zunehmenden Verbrei-tung von Öffnungsklauseln) (vgl. bspw. Schnabel 2008), wird weiterhin durch die Gegnerkrise verstärkt. Diese drückt sich sowohl in fehlender Verpflichtungs-fähigkeit der Arbeitgeberverbände gegenüber ihren Mitgliedern als auch in der Ausweitung von Verbandsmitgliedschaften ohne Tarifbindung (OT)51 aus (vgl. bspw. Silvia 2010: 175-178; Haipeter 2010: 211). Während diese Herausforde-rungen die Arbeitsmarktfunktion der Gewerkschaften schwächen, ist gleichzeitig deren politische Gestaltungsfunktion gefährdet. Diese Einbettungskrise manifes-tiert sich in einer abnehmenden Bindung der DGB-Gewerkschaften an die Sozi-aldemokratie. Das ehemals als privilegierte Partnerschaft charakterisierte Ver-hältnis zwischen DGB und SPD weicht zunehmend einer ad hoc, themen- und zielorientierten Kooperationsstrategie (vgl. bspw. Schroeder 2008).52 Trotz die-ser Krisensymptome konnten die DGB-Gewerkschaften ihre dominante Rolle in den Arbeitsbeziehungen aufrecht erhalten. In der jüngsten Vergangenheit fordern jedoch vetostarke Berufsgewerkschaften, die vormals insbesondere berufs- und standespolitische Aufgaben wahrnahmen, diese tarifpolitische Vormachtstellung heraus.

Das Phänomen der Vergewerkschaftung von Berufsverbänden kann als wei-tere Krise des deutschen Gewerkschaftsmodells aufgefasst werden. Diese muss von der Mitgliederkrise unterschieden werden.53 Sie hebt sich vor allem dadurch 50 Die Anzahl an Firmentarifverträgen ist von 9.000 im Jahr 1990 auf 37.275 im Jahr 2010 angestie-gen. Damit hat sich ihr Anteil an allen gültigen Tarifverträgen von 26,4 auf 50,4 Prozent annähernd verdoppelt. Gleichzeitig stieg die Zahl der Unternehmen mit Firmen-Tarifverträgen von 2.100 in West- und 450 in Ostdeutschland auf 7.278 bzw. 2.452 an (vgl. BMA Tarifregister 1990 bis 2010; vgl. auch WSI 2011: Tab. 1.3, 1.4). 51 Der Organisationsgrad tarifgebundener Mitgliedsfirmen von Gesamtmetall ist in Westdeutschland von 42,6 Prozent 1991 auf 18,5 Prozent 2010 und in Ostdeutschland von 55,6 auf 4,6 Prozent gesun-ken. Zeitgleich verringerte sich der Anteil der durch Tarifbindung erfassten Beschäftigten von 71,6 auf 50,4 Prozent in West- und von 65,7 auf 15,7 Prozent in Ostdeutschland. Die Einführung der OT-Mitgliedschaft hat diesen Trend nicht abgeschwächt, Gesamtmetall aber seit der Einführung im Jahr 2005 zu einem Mitgliederzuwachs von 34,8 Prozent (2010) verholfen. Damit liegt Gesamtmetall wieder fast auf dem Mitgliederniveau von 1999 (vgl. Gesamtmetall 2011; eigene Berechnungen, vgl. auch Greef 2010a: 514f.). 52 Ein Indikator der Entkopplung zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie ist die sinkende Zahl gewerkschaftlich organisierter Abgeordneter. Während von 1976 bis 1990 der Anteil gewerk-schaftlich organisierter Abgeordneter bei der SPD in allen vier Wahlperioden bei über 97 Prozent lag, rangiert er heute nur noch bei knapp 77 Prozent (17. Wahlperiode 2009) (vgl. Schindler 1999: 723; Deutscher Bundestag 2010b: Kap. 3.12). Ein weiteres Indiz ist das Wahlverhalten von Gewerk-schaftsmitgliedern. 1965 bis 1980 entschieden sich bei Bundestagswahlen zwischen 63 und 67 Pro-zent aller Gewerkschaftsmitglieder für die SPD. Bei der Bundestagswahl 2009 waren es nur noch 34 Prozent (vgl. Falter/ Schoen 1999: 461; Forschungsgruppe Wahlen 2009). 53 Die Mitgliederkrise bezieht sich vorwiegend auf den Mitgliederrückgang und die sich in der Mit-gliedschaft nicht widerspiegelnde Ausdifferenzierung von Beschäftigungsformen und Erwerbsstatus. Die lange Zeit unhinterfragte Ausrichtung der Gewerkschaften am männlichen Arbeiter (bezie-hungsweise am Normalarbeitsverhältnis) ist ein Synonym für diese Krise.

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54 Organisationsumwelt des Marburger Bundes: Strukturen und Konstellationen im Wandel

ab, dass sie Beschäftigtengruppen betrifft, die zum Großteil nie Mitglied der DGB-Gewerkschaften geworden sind. Die neue Krise steht daher zunächst für eine Verschärfung von Integrationsdefiziten, denen sich die DGB-Gewerkschaften bereits seit ihrer Gründung gegenübersehen. Die Integrationsde-fizite können in drei Dimensionen unterteilt werden (vgl. Abbildung 4; Schroeder et al. 2011: 30-33):

Politische Integrationsdefizite: Weltanschauliche, parteiliche sowie religiö-

se Integrationsdefizite zeigten sich etwa gegenüber kommunistischen und konfessionellen Strömungen. Diese führten einerseits Mitte der 1950er-Jahre zur Gründung des Christlichen Gewerkschaftsbundes (CGB) (vgl. Hassel 2003: 105). Andererseits bewirkten sie früh einen bewusst betriebenen Ausschluss kommunistischer Kräfte aus dem DGB (vgl. Schroeder 1992).

Soziale Integrationsdefizite: Migranten und Frauen sind in den DGB-Gewerkschaften unterrepräsentiert. Dieser Umstand erklärt sich nicht zu-letzt durch schwierige Organisationsbedingungen im Dienstleitungsbereich und im Umfeld niedrigqualifizierter beziehungsweise prekärer Arbeit (vgl. Ebbinghaus 2003: 192f.).

Berufliche Integrationsdefizite: Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand ist die defizitäre Integration bestimmter Beschäftigtengruppen, Berufsgrup-pen und hochqualifizierten Arbeitnehmern hervorzuheben. So organisierten sich etwa die Beamten seit den 1950er-Jahren mehrheitlich im Deutschen Beamtenbund (dbb) (vgl. Hassel 2003: 105). Am deutlichsten drückten sich die beruflichen Integrationsdefizite der Einheitsgewerkschaften in der Gründung der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) im Jahr 1949 aus (vgl. bspw. Fehrmann/ Metzner 1981: 104ff.). Die dadurch entstandene Organisationskonkurrenz deutete Kluth (1965) bereits in den 1960er-Jahren als Zeichen für die Gefahr einer erneuten Zersplitterung der Arbeitnehmer-schaft wie zur Zeit der Weimarer Republik (vgl. bspw. Schneider 1987: 412-441).

Demnach führten sowohl die politischen wie die beruflichen Integrationsdefizite zur Gründung von alternativen Organisationen. Infolgedessen entwickelte sich eine ausdifferenzierte Landschaft von Arbeitnehmerorganisationen, die durch unterschiedliche Gewerkschaften und weitere Organisationstypen gekennzeich-net ist. Diese etablierten sich neben den DGB-Gewerkschaften und übernehmen seither vielfach komplementäre Aufgaben und Funktionen. Bisher war diese Vielfalt nicht zahlenmäßig erfasst und damit zugleich die Relevanz der neben den dominierenden DGB-Gewerkschaften stehenden Organisationen nicht er-

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Globale Umwelt: Arbeitsbeziehungen, Staatstätigkeit und Gesetzgebung 55

sichtlich. Schroeder, Kalass und Greef (2011) haben in ihrer Studie zur Erwerb-stätigenverbandslandschaft insgesamt 561 Organisationen ausgemacht, die im weitesten Sinne Erwerbstätigeninteressen54 vertreten. Neben den 64 Gewerk-schaften, die den drei Dachverbänden DGB, dbb und CGB angehören, existieren demnach bereits 14 unabhängige Einzelgewerkschaften (ebd.: 47). Jedoch schie-nen in der Forschung die dominanten DGB-Gewerkschaften lange Zeit als die einzigen (relevanten) Akteure auf Arbeitnehmerseite.

Die bestehenden und in der Folgezeit nicht aufgearbeiteten Integrationsdefi-zite gegenüber bestimmten Berufen führten zwar zu einer pluralen Vertretungs-landschaft, schlugen sich jedoch nicht in manifesten Konkurrenzformen nieder. Die betroffenen Berufsgruppen organisierten sich in alternativen, neben den Gewerkschaften stehenden Berufsverbänden, die vornehmlich berufspolitische und berufsständische Aufgaben übernahmen. In der tarifpolitischen Arena blie-ben die Branchengewerkschaften weiterhin die dominanten Akteure. Denn die berufs(ständisch)orientierten Verbände entwickelten sich nicht zu tarifpolitischen Konkurrenzorganisationen, obwohl einige von ihnen eine tarifpolitische Interes-senvertretung von Anfang an zu ihren Aufgaben zählten. Deren Integration ins deutsche Modell war in einigen Fällen auch der Existenz der DAG geschuldet (vgl. Schroeder et al. 2011: 31). Beispiele hierfür sind die Vereinigung Cockpit und der Marburger Bund. Die Piloten und Ärzte sowie deren Organisationen fanden sich in der solidarorientierten und (fach)arbeiterschaftlich geprägten Welt der Branchengewerkschaften nicht wieder. Diesen erschien die arbeitnehmer- und statusorientierte Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG)55 als angemes-senerer Partner. „[…] für uns [die DAG] ist nicht die Branchenzugehörigkeit das primäre Organisationsprinzip, sondern wir richten uns stärker an den beruflichen Ausrichtungen aus.“56 Zuvor hatten die Verbände erkennen müssen, dass eine eigenständige tarifpolitische Vertretung ihrer Berufsklientel nicht möglich wäre. 54 Im weitesten Sinne umfasst dabei alle Organisationen, die Interessen von Arbeitnehmern, Arbei-tern, Beamten und freien Berufen vertreten. 55 Schon das die DAG 1949 nicht den Schritt zur Vereinigung unter dem DGB mitging, gründete sich auf das „Sonderbewusstsein vieler Angestellter […], auf das besondere Angestelltenrecht und auf die Sonderinteressen der Angestellten“ (Schneider 2000: 264). 56 Interview DAG (1) Bundesebene vom 26.03.2010. Die zu Beginn strikte Ausrichtung an Berufs-gruppen wurde erst in den 1960er-Jahren durch die Schaffung von drei berufsgruppenübergreifenden Bereichen (Private Dienste, öffentliche Dienste und Industrie) in einer dem Industrieverbandsprinzip ähnlichen Organisationsstruktur aufgeweicht (vgl. Fehrmann/ Metzner 1981: 162). „Wenn man dann aber mal wirklich im Detail guckt, bleiben aber eigentlich nur noch drei Berufsgruppen übrig, die wirklich als eigenständige Berufsgruppe vertreten waren. Das waren die Meister beziehungsweise Werkmeister, die technischen Angestellten und die kaufmännischen Angestellte. Das waren die Berufsgruppen, die unabhängig von ihrer Branchenzugehörigkeit organisiert waren. Dann gab es noch die Berufsgruppe des Öffentlichen Dienstes, die Berufsgruppe Banken und die Berufsgruppe Versicherungen. Da haben wir aber alle von der Sekretärin an aufwärts gemeinsam organisiert“ (Interview DAG (2) Bundesebene vom 25.05.2010).

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Ihr tarifpolitischer Anspruch scheiterte zumeist am Widerstand sowohl der DGB-Gewerkschaften wie auch der Arbeitgeber. Unter diesen Umständen zogen sie eine Kooperation mit der DAG der Abtretung aller Kompetenzen an die ÖTV vor. Da die DAG aber wiederum mit der ÖTV zusammen, beziehungsweise im Nachgang verhandelte, entwickelte sich aus der vorhandenen organisationspoliti-schen Konkurrenz allenfalls eine latente Tarifkonkurrenz. Die Integrationsdefizi-te (die sich auf der Mikroebene manifestierten) wurden vermittelt über die DAG (auf der Mesoebene) aufgefangen und zeitigten daher lange Zeit keine Auswir-kungen auf das deutsche Modell der Arbeitsbeziehungen (auf der Makroebene) (vgl. Abbildung 4). Abbildung 4: Integrationsdefizite der Branchengewerkschaften

Quelle: Eigene Darstellung; vgl. Schroeder et al. 2011: 31. Diese Situation veränderte sich 2001, als die Vereinigung Cockpit sich von der DAG trennte und offen als manifeste, tarifpolitische Konkurrenz auftrat. Die Integrationsdefizite der Branchengewerkschaften haben sich seither in einzelnen Bereichen zu einer manifesten Integrationskrise mit Auswirkungen auf der Mak-roebene des deutschen Gewerkschaftsmodells ausgeweitet. Diese Krise drückt sich in der Transformation von Berufsverbänden zu Berufsgewerkschaften aus. Deren Auftreten lässt sich aber keinesfalls allein über Integrationsdefizite erklä-ren. Ebenso sind nicht alle Wirtschaftsbereiche gleichermaßen betroffen. So scheinen die Kernbereiche des Deutschen Modells (exportorientierter Sektor, Großindustrie) weiterhin stabil (vgl. Schroeder et al. 2011: 21f.). Vorzufinden sind Berufsgewerkschaften bislang vielmehr in staatlichen beziehungsweise

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Berufsverbände

Kommunistische, christli-che Orientierungen

Frauen, Mig-ranten

Bestimmte Berufsgruppen, Hochqualifi-zierte

Modell Deutschland; deutsches Gewerkschaftsmodell

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Einheits- und Branchengewerkschaften

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Globale Umwelt: Arbeitsbeziehungen, Staatstätigkeit und Gesetzgebung 57

staatsnahen Sektoren, in denen sich die ökonomischen und gesetzlichen Rah-menbedingungen stark gewandelt haben (vgl. Schroeder/ Greef 2008: 349f.). Die Veränderungen lassen sich nicht zuletzt auf den Wandel der Staatstätigkeit zu-rückführen. 2.1.2 Wandel der Staatstätigkeit – Modernisierung des Staates

Den zweiten wichtigen Bezugspunkt für das Phänomen der Berufsgewerkschaf-ten bildet der Wandel der Staatstätigkeit. Dem Staat werden unterschiedliche Funktionen zugeschrieben. Diesen staatlichen Funktionen lassen sich konkrete Aufgaben oder Tätigkeitsfelder zuordnen (vgl. Benz 2001: 183). Bereits seit den 1980er-Jahren und verstärkt durch die Kosten der deutschen Wiedervereinigung seit den 1990ern, verändert sich die Ausgestaltung dieser öffentlichen Aufgaben (vgl. Bogumil 1997: 23). Dies bezieht sich nicht nur auf das Spektrum staatlicher Tätigkeiten (Aufgabenspektrum),57 sondern insbesondere darauf, mit welchen Mitteln und von wem diese Aufgaben erfüllt werden (Aufgabenerledigung) (vgl. ders. 2001).58

Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit relevanten Staatsaufgaben fallen in den Bereich der öffentlichen Daseinsfürsorge. Denn diesem Bereich kann die Krankenhausbranche zugeordnet werden. Die Wandlungsprozesse im Kranken-haussektor wiederum bilden für die Ärzte und den Marburger Bund einen wich-tigen Handlungsrahmen. Löser-Priester (2003) formuliert die These, dass die Veränderungen in der Krankenhausbranche nicht allein durch gesundheitspoliti-sche Entwicklungen und Entscheidungen erklärt werden können. Diese müssten vielmehr, bezogen auf neue Steuerungskonzepte und eine neue Aufgabenteilung zwischen öffentlichen und privaten Dienstleistungserbringern, im „Kontext einer umfassenden Modernisierung des öffentlichen Sektors“ diskutiert werden (ebd.: 16f.). Für das Konzept einer Modernisierung des Staates muss im Krankenhaus-bereich insbesondere die angespannte Lage der Haushalte von Bund und Ländern berücksichtigt werden.59 Staatliche Aufgaben umzugestalten, kann in dem Zu-sammenhang als Versuch verstanden werden, die Effizienz zu steigern und damit

57 Ein Teil der Staatsaufgaben wird im Zuge der Globalisierung und Europäisierung internationali-siert. Dies betrifft etwa Tätigkeitsfelder, die zwar einem Funktionsbereich des Nationalstaates zuge-ordnet, aber nicht mehr von diesem allein bearbeitet werden können (beispielsweise Friedenssiche-rung oder globale Umweltprobleme. Darüber hinaus werden vermehrt weitere nationalstaatliche Regelungskompetenzen ausgelagert und auf die Ebene der EU übertragen (vgl. Benz 2001: 231ff.). 58 Benz (2001: 231) weist darauf hin, dass der Strukturwandel des Staates eine Veränderungen in der Staatstätigkeit und weniger eine Rückzug aus Aufgabenbereichen oder einen Abbau von Staatsaufga-ben darstellt. 59 In anderen Bereichen bildet auch die Europäisierung einen entscheidenden Hintergrund, wenn beispielsweise Vorgaben zur Liberalisierung umgesetzt werden müssen.

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Kosten zu senken. Der mit dieser Zielsetzung verbundene Wandel der Staatstä-tigkeit betrifft dabei zwei Ebenen:

Politisch-ideologisch geht es um die Frage, welche Ziele und Aufgaben der Staat überhaupt wahrnehmen soll, und damit um die „Reichweite staatlicher Politik“ (Naschold/ Bogumil 1998: 75). Die konkrete Ausgestaltung dieser Ebe-ne lässt sich unterschiedlichen Staatskonzeptionen, wie etwa der neoliberalen oder der sozialdemokratischen Position, zuordnen (vgl. ebd.). Die Steuerungs- und Regelungsmechanismen variieren damit zwischen Staat, Markt und Gesell-schaft. Jedes Konzept entspricht einer unterschiedlichen „Mischung aus staatli-cher Regulation, marktwirtschaftlichen Wettbewerbselementen und zivilgesell-schaftlicher Selbstregulation“ (Jakobi 2007: 85). Diskutiert werden unter ande-rem die Möglichkeiten, öffentliche Aufgaben auf den dritten Sektor und auf die Privatwirtschaft zu übertragen. Infolgedessen werden die Tätigkeiten des Staates anhand ihrer möglichen Übertragbarkeit typisiert. Von staatlichen Kernaufga-ben, die von diesem erfüllt sowie finanziert werden und nicht übertragbar sind, lassen sich die staatlichen Gewährleistungs- und Ergänzungsaufgaben abgren-zen. Bei beiden Typen sind eine Übertragung und damit ein Rückzug des Staates aus der direkten Erbringung öffentlicher Aufgaben möglich. Stattdessen koordi-niert und gewährleistet der Staat, dass diese Tätigkeiten von Dritten ausgeführt werden. Beide Aufgabentypen können noch einmal dahingehend unterschieden werden, ob sie weiterhin durch staatliche Mittel oder privat finanziert werden (vgl. Benz 2001: 186; Bogumil 2001). Hier wird der schlanke Staat (lean mana-gement) als Leitbild herangezogen.60 Im Zuge der Verschlankung des Staates wurden Branchen liberalisiert, während gleichzeitig große Teile der öffentlichen Hand privatisiert wurden. Von diesem Wandel der Staatstätigkeit ist nicht zuletzt der Bereich der Daseinsvorsorge und mit diesem das Gesundheitswesen und die Krankenhausbranche betroffen. Der Modernisierungsdruck wirkt auf einzelne Kliniken, auf die Krankenhauslandschaft, vor allem aber auf die Beschäftigten.

Auf der administrativ-organisatorischen Ebene geht es bei dem Wandel der Staatstätigkeit darum, in welcher Form Aufgaben erbracht werden. Die Moderni-sierung auf dieser Ebene wird seit den 1990er-Jahren unter dem Stichwort des New Public Management (NPM; Neues Steuerungsmodell – NSM) gefasst. Sie zielt nach Jann (2006: 39) darauf ab:

60 Jann (2006: 43f.) weist darauf hin, dass bereits Mitte der 1990er-Jahre das Konzept des „schlanken Staates“ durch das Leitbild des „aktivierenden Staates“ ersetzt oder zumindest erweitert wurde. Obwohl damit ein Wandel in der genutzten Begrifflichkeit von „Public Management“ zu „Public Governance“ einherging, würde dies gleichwohl nicht bedeuten, dass immer ein konzeptioneller Wandel dahintersteht (ebd.: 46).

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Globale Umwelt: Arbeitsbeziehungen, Staatstätigkeit und Gesetzgebung 59

„[...] durch intentionale Modifikationen der Funktionsbedingungen, Strukturen und Normen des öffentlichen Sektors […] Verwaltungshandeln zu verändern und damit im Endergebnis veränderte Politikinhalte und -wirkungen zu erzielen.“

Es geht um die „Einführung einer marktgesteuerten, kundenorientierten öffentli-chen Dienstleistungsproduktion“ unter dem Leitbild der Effizienz (Bogumil 1997: 22). Dazu wird auf Steuerungselementen zurückgegriffen, die sonst im Bereich der freien Wirtschaft angewandt werden. Im Zuge dessen fanden Marktmechanismen wie stärkerer Wettbewerb, die Schaffung von Anreizstruktu-ren und die Einführung betriebswirtschaftlicher Konzeptionen Eingang in das Steuerungsrepertoire des deutschen Staates.61 Es folgte eine „Ökonomisierung und Managerialisierung […] unter dem Vorzeichen von mehr Markt, Wettbe-werb, Unternehmertum und Kundschaft“ (König 1998: 169). Diese Entwicklung lässt sich auch in der Krankenhausbranche nachvollziehen. Der negativ konno-tierte Begriff Ökonomisierung wird im Folgenden nicht mit Wirtschaftlichkeit gleichgesetzt. Er richtet sich daher nicht generell gegen eine Umgestaltung mit dem Ziel einer effizienteren, qualitativ hochwertigen Leistungserbringung. Be-zogen auf den Krankenhaussektor steht Ökonomisierung für eine Entwicklung, in der betriebswirtschaftliche Kalküle immer mehr die Deutungshoheit über medizinische Aspekte gewinnen. Das primäre Ziel wird darin gesehen, das Be-triebsergebnis zu verbessern und nicht gleiche oder bessere Leistungen bei weni-ger Kosten zu erbringen (vgl. Braun 2009: 118).

Ausschlaggebend für die Veränderungen in der Krankenhauslandschaft sind Reformen der gesetzlichen Rahmenbedingungen vor dem Hintergrund der „pre-kären Haushaltslage der öffentlichen Hand“ (Löser-Priester 2003: 15). Immer wieder wird in diesem Zusammenhang auf die Finanznot der Länder verwiesen. Mit Blick auf die Krankenhausbranche geht es darüber hinaus um die Sanierung der Finanzlage der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Diese finanzpoli-tische Komponente zeigt sich deutlich in der Entwicklung der Krankenhausge-setzgebung, die nachfolgend dargestellt wird.

2.1.3 Krankenhausgesetzgebung

Der Wandel der Staatstätigkeit zeigt sich an den für den Krankenhaussektor relevanten Gesetzesreformen. In den letzten Jahrzehnten hat der Gesetzgeber mit dem Ziel der Kostendämpfung seine Steuerungskompetenzen verstärkt genutzt und den Krankenhaussektor an Wettbewerbs- und Effizienzkriterien ausgerichtet.

61 Auf die damit einhergehende Governance-Debatte (bspw. in der Frage des Übergangs von hierar-chischen, zentralistischen zu stärker komplexen Steuerungsformen) soll nicht weiter eingegangen werden.

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Dies verändert nicht nur „Interessenlagen einzelner Akteure und stattet sie mit Handlungsressourcen aus“ (Gerlinger 2009: 36). Einher gehen gleichzeitig weit-eichende Auswirkungen auf die Beschäftigten und deren Arbeitsbedingungen. Der Staat spielt in seiner föderalen Gestalt auch darüber hinaus nicht nur in Form der Kommunen oder Länder als öffentliche Träger von Krankenhäusern eine Rolle.62 Die Länder sind gleichermaßen als Instanz der Krankenhausplanung und in ihrer Funktion als Investitionsträger von zentraler Bedeutung für die nicht von ihnen selbst getragenen Krankenhäuser. Sie entscheiden durch die (Nicht-)Aufnahme von Krankenhäusern in die Bedarfsplanung über den Zugang zur hauptsächlichen Einnahmequelle: der Abrechnungsmöglichkeit von Leistungen gegenüber der GKV. Des Weiteren bestimmen sie durch Vergabe oder Zurück-haltung von Investitionsmittel über einen Teil der materiellen Ausstattung der Kliniken.

Den umfassendsten Einfluss indes üben Bund und Länder durch ihre Ge-setzgebungskompetenz aus. Sie bestimmen den Rahmen, in dem die Kranken-häuser agieren und Leistungen erbringen können. Die Reformen und Gesetzge-bungsprozesse, die für die Krankenhausbranche noch heute wegen ihrer normati-ven Grundsatzentscheidungen relevant sind, reichen bis in die 1970er-Jahre zu-rück.63 Seit dieser Zeit führte die „Krise des Gesundheitswesens“ zu einer „gan-zen Palette von Maßnahmen und Instrumenten zur Kostendämpfung“ mit vielfäl-tigen Auswirkungen auf Branche und Beschäftigte (Löser-Priester 2003: 55). Dabei traten neben den intendierten Wirkungen, aufgrund von trial and error geprägten Reformkonzepten, unerwünschte Nebenwirkungen mit teils erhebli-chen und dauerhafte Folgen auf (vgl. Simon 2008a: 15). Die Gesetzgebung im Krankenhaussektor orientiert sich seit den 1970er-Jahren weniger an gesund-heitspolitischen Erwägungen. Vielmehr wird sie im Zuge des Wandels der Staatstätigkeit von „haushalts- und wirtschaftspolitischen Zielen überlagert“ (Löser-Priester 2003: 94). Einzelne gesetzliche Maßnahmen verfolgen daher „kein originäres krankenhauspolitisches Ziel, sondern ein Ziel der Sozialversi-cherungspolitik des Bundes“ (Simon 2008a: 42).

Die für den Krankenhaussektor relevanten Gesetze und Reformen (vgl. Ta-belle 1) waren zunächst auf die Konsolidierung der Finanzierung von Kranken-häusern fokussiert (Krankenhausfinanzierungsgesetze der 1970er- bis Ende der 1980er-Jahre). Seit den 1990er-Jahren wird dagegen die Struktur der Kranken-hauslandschaft und der inneren Organisation der Kliniken grundlegend neu ge-staltet.

62 Der Bund selbst ist lediglich Träger von Bundeswehrkrankenhäusern (vgl. Fußnote 125) 63 Für frühere Reformvorhaben (1956–1965) vgl. Reuchter 1999.

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Tabelle 1: Für den Krankenhaussektor relevante Gesetze (1972–2009) Jahr Gesetz Für Krankenhaussektor relevanter InhaltKrankenhausfinanzierungsgesetze 1972 Krankenhausfinanzie-

rungsgesetz (KHG) Einführung der dualen Finanzierung: - Investitionen sind öffentliche Aufgabe - Selbstkostendeckungsprinzip: GKV deckt mit Pflegesätzen die Selbstkosten der Krankenhäuser (Festlegung nach BPflV 1973)

1975 Haushaltsstrukturgesetz (HStruktG)

Kürzung des Bundesanteils an der Investitionsförderung von 30 auf 20 Prozent

1977 Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG) Scheitert im Bundesrat

- Krankenhausträger und Krankenkassen stärker an der Kranken-hausplanung der Länder zu beteiligen - Pflegesätze von Krankenhäusern und Krankenkassen verhandeln zu lassen

1978 Gesetzesentwurf zur Novellierung des KHG Scheitert im Bundesrat

- Zusammenarbeit der Länder mit Krankenhausträgern und Kran-kenkassen bei der Krankenhausplanung - Durch Länder zustimmungspflichtige von Krankenhäusern und Krankenkassen verhandelte Pflegesätze

1981 Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz (KHKG)

- Beteiligung der Krankenkassen und Krankenhäuser an der Be-darfsplanung der Länder - Änderung der Investitionsförderung - Pflegesätze werden verhandelt

1984 Krankenhaus-Neuordnungsgesetz

Anpassung des Selbstkostendeckungsprinzips: Finanzierung der Selbstkosten zum Zeitpunkt der prospektiven Budgetverhandlun-gen für das nächste Kalenderjahr; kein Ausgleich von Gewin-nen/Verlusten; erhöhter Anreiz wirtschaftlicher Betriebsführung

Strukturgesetze 1993 Gesundheitsstrukturge-

setz (GSG) Einführung des Grundsatzes der Beitragsstabilität (Kopplung der Krankenhausbudgetentwicklung an die Einnahmeentwicklung der GKV); Einführung integrierter Versorgung

1997 1. und 2. GKV-Neuordnungsgesetz (1. NOG/ 2. NOG)

Weiterführung der Budgetdeckelung und Verschärfung: Aufhe-bung der Pflegepersonalregelung; Begrenzung der Berücksichti-gung der Gehaltserhöhungen durch Tarifverträgen auf ein Drittel

1999 GKV-Gesundheitsreformgesetz (GKV-GRG)

Verschärfung der Budgetbegrenzung - BAT-Tariferhöhungen der Gehälter werden für Budgeterhöhun-gen zu 50 Prozent berücksichtigt; allerdings nur, wenn dies zur Erfüllung des Versorgungsvertrages notwendig ist

2002 Fallpauschalengesetz (FPG)

Einführung der Abrechnung nach diagnosebezogenen Fallgruppen (anstelle der tatsächlich entstandenen Kosten)

2003 GKV-Modernisierungs-gesetz (GMG)

Einführung von MVZ und einer ambulanten Versorgung durch Krankenhäuser; Förderung der integrierten Versorgung

2007 GKV-Wettbewerbsstärkungs-gesetz (GKV-WSG)

Pauschale Budgetkürzung um 1 Prozent

2009 Krankenhausfinanzie-rungsreformgesetz (KHRG)

Berücksichtigung der Tariflohnsteigerungen für 2008/09 zu 50 Prozent

Quellen: Tuschen/ Trefz 2004: 18-46; Das Krankenhaus 2009: 425; Krankenhaus-Report 2010: Krankenhauspolitische Chronik; Aktualisierte Darstellung nach: Schroeder et al. 2011: 113.

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Die Inhalte der Gesetzgebung sowie deren Auswirkungen auf Branche und Ar-beitsbedingungen werden im Folgenden beleuchtet.64 Im Fokus stehen dabei Gesetze, die für den Krankenhaussektor65 (Struktur und Finanzierung) relevante Inhalte regeln.66 Um die derzeitige Situation der Krankenhäuser zu verstehen, müssen die 1972 erfolgten Veränderungen in der Krankenhausfinanzierung als Ausgangspunkt für die nachfolgende Entwicklung berücksichtigt werden. Das in den 1970er-Jahren entstehende Finanzierungssystem wird „formal bis heute praktiziert“, allerdings „wurde sein inhaltlicher Kern [...] Zug um Zug ausge-höhlt“ (Böhm/ Henkel 2009: 85). 1970er und 1980er-Jahre: Finanzierungsgesetze Im Vergleich zum vorhergehenden Jahrzehnt nahmen die Ausgaben der Gesetz-lichen Krankenversicherung in den 1970er-Jahren überdurchschnittlich stark zu. Was für die Gesamtleistungen der GKV galt, traf in noch stärkerem Maße auf den Teilbereich der stationären Versorgung zu. Im ersten Jahrzehnt der Bundes-republik sank der Anteil an den Gesamtausgaben, der GKV der für die Kranken-hauspflege aufgewendet wurde, um 1,3 Prozentpunkte (1949-1961) (vgl. Reuchter 1999: 259). Danach stiegen die Kosten stark an, so dass von einer Kos-tenexplosion der GKV-Ausgaben gesprochen wurden. Zwischen 1960 und 1970 erhöhten sich die Kosten für die stationäre Versorgung um 284 Prozent.67 Weite-ren 10 Jahren später waren die Ausgaben noch einmal um 323 Prozent angestie-gen. Erst von 1980 auf 1990 verringerte sich die Zuwachsrate auf 75 Prozent. In der Folge wuchs der Anteil der Krankenhausbehandlung an den GKV-Gesamtausgaben zwischen 1960 und 1990 von 17,5 auf 34,4 Prozent an (vgl. DKG 2008: 47).

Gleichwohl argumentieren Braun et al. (1999), dass die Metapher der Kos-tenexplosion nicht zutreffend wäre. Der Begriff erwecke fälschlicherweise den Eindruck einer „dramatischen, aus der Kontrolle geratenen“ Entwicklung und suggeriere eine „akute Bedrohung, die unverzügliches Handeln erfordert“ (ebd.: 21). Relativiert werden die hohen absoluten GKV-Ausgaben beispielsweise, 64 Weitere offene Fragen in Bezug auf die Auswirkungen, beispielsweise auf die Versorgungsqualität oder auf Anreize für Risikoselektion und Leistungsverlagerung, bleiben weitgehend unberücksichtigt. Hier sei auf die DRG-Folgeforschung verwiesen (bspw. Braun et al. 2010; DRG Begleitforschung durch iGES). 65 Die Gesetzgebung zur Arbeitszeit wird an späterer Stelle beim Arztberuf separat aufgegriffen (vgl. Kapitel 3.3.3) 66 Darstellende Abhandlungen der relevanten Gesetze und Reformen finden sich vielfach in der einschlägigen Fachliteratur zur Krankenhausversorgung (bspw. Tuschen/ Quaas 1998; Tuschen/ Trefz 2004; Klauber et al. 2010). Im Fokus stehen zumeist die Auswirkungen auf Branche, Manage-ment und Versorgung. Die Folgen für die Beschäftigten werden dagegen kaum behandelt (vgl. Fuß-note 141). 67 Die Kosten für die stationäre Versorgung stiegen von 800 auf 3.072 Millionen Euro.

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wenn sie zur Entwicklung des Bruttoinlandproduktes (BIP) ins Verhältnis gesetzt werden (vgl. auch Löser-Priester 2003: 59, 62). Gemessen am BIP-Anteil erhöh-te sich die Krankenhausausgaben zwischen 1970 und 1990 nur moderat von 1,7 auf 2,7 Prozent68 (vgl. DKG 2008: 52). Trotzdem setzte sich der Begriff Kosten-explosion fest. Das ist im Wesentlichen der Entwicklung der Einnahmeseite der GKV-Finanzen geschuldet. Kontinuierlich ansteigende Beitragssätze verfestigten die Wahrnehmung einer stetigen Kostenzunahme (vgl. Löser-Priester 2003: 65). Der durchschnittliche Beitragssatz zur GKV stieg zwischen 1970 und 1990 von 8,2 auf 12,5 Prozent (vgl. DKG 2008: 53).

Bedarfsdeckung: Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG – 1972) und Bundespflegesatzverordnung (BPflV – 1973) 1972 wurde mit dem „Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze“ (Krankenhausfinanzierungsge-setz – KHG)69 die Finanzierung des Krankenhaussektors grundlegend neu struk-turiert. Als Teil der Daseinsvorsorge erfolgte die Orientierung am Grundsatz der Bedarfsdeckung. Die Sicherstellung der Versorgung mit Krankenhausleistungen oblag damit im Sinne der Staatstätigkeit der öffentlichen Hand. Mit dem KHG sollte sowohl die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Krankenhäuser als auch die bedarfsgerechte Versorgung sichergestellt werden.70 Dazu wurde das Finanzie-rungsmodell von der monistischen auf die duale Finanzierung umgestellt.71 Zu-vor waren allein die Länder für die Krankenhausversorgung zuständig gewesen (vgl. bspw. Tuschen/ Quaas 1998: 4f.). Die neu eingeführte Dualität bedeutete, dass die Investitionskosten (Vorhaltekosten) zukünftig durch eine Mischfinanzie-rung von Bund und Ländern übernommen wurden. Während der Bund die Mittel für Neu- und Umbauten sowie An- und Wiederbeschaffung festsetzte und zur Verfügung stellte, bestimmten die Länder die restlichen Bedarfe, die dann der Bund zu einem Drittel mitfinanzierte (vgl. Löser-Priester 2003: 97). Die Einfüh-rung dieser staatlich finanzierten Investitionsförderung der Krankenhäuser war

68 Der Ausgabenanteil für die Krankenhauspflege stieg von 1960 bis 1990 sogar nur von 0,5 auf 1,8 Prozent. 69 Gesetz vom 29.06.1972 BGBl. I S. 1009 (Nr. 60). 70 „Zweck des Gesetzes ist die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser, um eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäu-sern zu gewährleisten und zu sozial tragbaren Pflegesätzen beizutragen“ (§1 Abs. 1 KHG 1972). Deutlich wurde eine Zielhierarchie, die der bedarfsgerechten Versorgung den Primat einräumte und dieser die beiden wirtschaftlichen Aspekte unterordnete (vgl. Simon 2008a: 41). 71 „Die Krankenhäuser werden dadurch wirtschaftlich gesichert, daß 1. ihre Investitionskosten im Wege öffentlicher Förderung übernommen werden und sie 2. leistungsgerechte Erlöse aus den Pfle-gesätzen, die nach Maßgabe dieses Gesetzes auch Investitionskosten enthalten können, sowie Vergü-tungen für vor- und nachstationäre Behandlung und für ambulantes Operieren erhalten“ (§4 KHG 1972).

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nur bei gleichzeitiger Übernahme der Krankenhausbedarfsplanung72 durch die Länder möglich. Damit oblag diesen die Durchführungspflicht: Sie setzten die Bedarfe fest und planten ihre Umsetzung und Finanzierung (vgl. ebd.: 98; Tuschen/ Quaas 1998: 6). Des Weiteren sollten die laufenden Kosten (Benutzer-kosten) der Krankenhäuser für Behandlung und Betrieb – dazu zählen etwa sämt-liche Verbrauchsgüter – über die Pflegesatzregelung von den Krankenkassen finanziert werden. Durch die Trennung von Investitions- und Betriebskosten sollten den Krankenhäusern die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt und gleichzeitig „sozial tragbare“ Pflegesätze sichergestellt werden (ebd.: 6f.; vgl. auch Nagel 2007: 149). Die Umschichtung der Finanzierung entpuppte sich jedoch als einer der Gründe für die steigenden Ausgaben der GKV73 (vgl. Löser-Priester 2003: 96, 102).

Elementar für die Regelung der Kostenübernahme des laufenden Betriebs war das Selbstkostendeckungsprinzip. Die „Verordnung zur Regelung der Kran-kenhauspflegesätze“ (Bundespflegesatzverordnung – BPflV) von 1973 legte die Anwendung einheitlicher, vollpauschalisierter Pflegesätze74 fest. Diese wurden nach Verhandlungen zwischen Kostenträgern und Krankenkassen durch die Länder festgesetzt. Ziel war die Deckung der Selbstkosten eines „sparsam wirt-schaftenden, leistungsfähigen Krankenhauses“ mit „wirtschaftliche[r] Betriebs-führung“ bei „rationelle[r] Versorgung“ (§17 Abs. 1 KHG). Dennoch wurde wirtschaftlich rationales Verhalten nicht belohnt. Durch den mit dem Selbstkos-tendeckungsprinzip einher gehenden Gewinn- und Verlustausgleich hatten so-wohl schlechtes Wirtschaften als auch wirtschaftliche Erfolge keine Konsequen-zen. Überschüsse wurden eingezogen, während eine Unterdeckung ausgeglichen wurde (vgl. Tuschen/ Quaas 1998: 8; Löser-Priester 2003: 101). Zu den weiteren Strukturveränderungen gehörte die neu geschaffene Möglichkeit, dass Kranken-häuser neben der stationären Versorgung teilweise ambulante Leistungen anbie-ten konnten. Dazu zählte beispielsweise die Möglichkeit, Tages- und Nachtklini-ken einzurichten (vgl. Löser-Priester 2003: 96f.). Damit entstanden erste Ansätze einer Konkurrenz zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten.

Die umfassende Reform der Krankenhausgesetzgebung war nur vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher, ökonomischer und politischer Rah-

72 Die öffentliche Förderung eines Krankenhauses ist abhängig davon, ob dieses im Krankenhausbe-darfsplan des Landes aufgenommen ist. 73 Ein weiterer Grund ist die „seit Ende der 1970er Jahre zu beobachtende ›Politik der Verschiebe-bahnhöfe‹, durch die Finanzierungslasten von anderen Sozialversicherungszweigen, dem Bundes-haushalt oder den Länderhaushalten auf die GKV verschoben wurden“ (Simon 2008a: 45). 74 Zuvor gab es unterschiedliche Pflegesätze für die verschiedenen „Pflegeklassen“. Während die Sätze in der „Sozialversicherten-Klasse“ preisgebunden waren, konnten die Pflegesätze der anderen Kassen frei festgelegt werden. Dies führte insbesondere bei Privatpatienten zu hohen Sätzen (vgl. Löser-Priester 2003: 100).

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menbedingungen möglich. Aus ökonomischer Sicht verbesserte sich die Lage der GKV auf der Ausgabenseite, weil die Arbeitgeber die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in den ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit übernehmen mussten. Die Einnahmeseite wurde zeitgleich durch die Ausweitung der Versi-cherungspflicht und die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze75 gestärkt (vgl. Tuschen/ Quaas 1998: 9). Gesellschaftlich war die Notwendigkeit von Re-formen im Krankenhauswesen erkannt worden. Gleichzeitig stellten sich mit der Bildung der großen Koalition 1966 und der 1969 folgenden sozial-liberalen Koa-lition auch politisch günstige Kräfteverhältnisse ein (vgl. Löser-Priester 2003: 95f.). Mit der Wirtschaftskrise 1973/74 änderte sich diese Situation. Die Folge war nicht nur eine steigende Arbeitslosenquote und damit eine Belastung der Einnahmeseite der Sozialstaatsleistungen.76 Zeitgleich mit den Einnahmeausfäl-len erhöhten sich die Ausgaben für Leistungen wie Arbeitslosengeld und Sozial-hilfen77 (vgl. Löser-Priester 2003: 102f.). Die insgesamt empfangenen monetären Sozialleistungen der privaten Haushalte stiegen 1970 bis 1975 von 94.460 auf 195.590 Millionen DM. Der Anteil der Sozialleistungen am Bruttoinlandspro-dukt nahm somit binnen fünf Jahren von 14 auf 19,1 Prozent zu. Der von der Sozialversicherung zu tragende Anteil an den Gesamtleistungen erhöhte sich ebenfalls von 63,5 auf 66,1 Prozent (vgl. BMAS 2009).

Von der Bedarfsdeckung zur Kostendämpfung: Haushaltsstrukturgesetz (HStruktG – 1975) und Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz (KVKG – 1981) Aus heutiger Perspektive zeigt sich, dass die Reform von 1972 wesentlichen Anteil an der vielfach beklagten „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen und in der Krankenhausbranche hatte. Die deutliche Erhöhung der Krankenhausausga-ben resultierte unter anderem aus Sanierungs- und Modernisierungsmaßnah-men78, die – nach der neuen Gesetzgebung – über die Pflegesätze und damit

75 1970 lag die Beitragsbemessungsgrenze der Krankenversicherung bei 1.200 DM im Monat, 1975 bei 2.100 DM im Monat (BMG 2010: 9). 76 1970 bis 1973 lag die Arbeitslosenquote bei rund einem Prozent. Zwischen 1974 und 1977 stieg sie auf durchschnittlich 4,8 Prozent (vgl. Statistisches Bundesamt 2011a). 77 Die empfangenen monetären Sozialleistungen der privaten Haushalte stiegen 1974 um 15,7 und 1975 um 24,2 Prozent an. Von 1970 bis 1973 waren sie durchschnittlich nur um 12 Prozent jährlich gestiegen (vgl. BMAS 2009). 78 Die zunehmenden Ausgaben im Krankenhaussektor fielen mit der (kostspieligen) Technisierung der Medizin am Ende der 1960 und Anfang der 1970er-Jahre zusammen. Erschwerend kam hinzu, dass eine ökonomisch sinnvolle Aufteilung der notwendigen Geräte (bspw. EKG oder Computerto-mographen) auf Krankenhäuser der Maximalversorgung nicht stattfand. Stattdessen schafften viele Fachgebiete eigene Geräte an. Dies belastete den Etat und führte zu einer Überversorgung mit techni-schen Geräten (vgl. Löser-Priester 2003: 72f.).

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durch die GKV finanziert wurden.79 Eigentlich wären diese Investitionskosten von den Ländern zu tragen gewesen. Deren Investitionstätigkeiten kennzeichnete jedoch eine chronische Unterfinanzierung, die mit der Haushaltslage begründet wurde (vgl. Simon 2008a: 42). Vor diesem Hintergrund ging das KHG in letzter Konsequenz mit einer „systematischen Umverteilung von Finanzierungslasten von den öffentlichen Haushalten und Privatpatienten auf die GKV“ einher (Löser-Priester 2003: 104; vgl. auch 65; Malzahn/ Wehner 2010: 122). Um die Ausgabenentwicklung auszugleichen, wurden die Beitragssätze zur GKV konti-nuierlich erhöht. Von 1970 bis 1976 stieg der Beitragssatz um 3,1 Prozentpunkte von 8,2 auf 11,3 Prozent (vgl. Sachverständigenrat 2010).80

Um diese Kostenentwicklung einzudämmen, wurde 1975 das „Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur“ (Haushaltsstrukturgesetze – HStruktG)81 verabschiedet. Mit dem HStruktG verringerte sich der Bundesanteil an den In-vestitionsförderungsausgaben der Länder von 30 auf 20 Prozent. In der Folge weigerten sich die Länder, notwendige Investitionen zu tätigen oder schoben die Anträge auf.82 Die nicht erfolgten Investitionen resultierten in höheren Betriebs-kosten, die wiederum über die Pflegesätze abgerechnet wurden und damit die GKV-Ausgaben erhöhten (vgl. Tuschen/ Quaas 1998: 10; Löser-Priester 2003: 106; Malzahn/ Wehner 2010: 122). Zugleich verschob sich die Ausgabenstruktur innerhalb der GKV. Die Kosten für die stationäre Versorgung nahmen einen immer größer werdenden Posten ein. Ihr Anteil an den Gesamtleistungsausgaben wuchs von 17,5 Prozent im Jahr 1960 auf 30,1 Prozent in 1974 an (vgl. Tuschen/ Quaas 1998: 9).

Die Zuspitzung der Haushaltslage der GKV sowie die Finanzierung- und Ausgabenentwicklung der Krankenhäuser veranlassten den Gesetzgeber, einen neuerlichen Versuch der Kostenreduzierung zu starten.83 Dazu wurde 1977 das 79 Simon (2008a: 42) weist darauf hin, dass „dringende Investitionen mangels anderer Finanzie-rungsmöglichkeiten durch Kürzung der Personalkosten und Stellenabbau“ finanziert würden. 80 Die Höhe der Anstiege von 1975 (ein Prozentpunkt) und 1976 (0,8 Prozentpunkte) haben sich bisher nicht wiederholt. Zwar stieg 1976 bis 1990 der Beitragssatz weiter an, hier aber nur um 1,2 Prozentpunkte (von 11,3 auf 12,5 Prozent). Die durchschnittliche jährliche Veränderung lag von 1976 bis 2009 bei 0,24 Prozentpunkten (vgl. Sachverständigenrat 2010). 81 Gesetz vom 18.12.1975 BGBl. I S. 3091 (Nr. 144). 82 Von 1994 bis 2008 sank die Gesamt-, Pauschal- und Einzelförderung von Krankenhäusern durch die Länder zwischen 14 Prozent (Pauschalförderung) und 33 Prozent (Einzelförderung) ab. Gleiches gilt für die Höhe der Investitionsfinanzierung (Anteil Fördermittel der Länder an Gesamtausgaben für Krankenhausbehandlung), die von rund 10,2 Prozent im Jahr 1991 auf 4,3 Prozent im Jahr 2007 zurückging (Malzahn/ Wehner 2010: 110f.). Die Deutsche Krankenhausgesellschaft beklagte 2007 einen Investitionsstau in der Höhe von insgesamt 50 Milliarden Euro (vgl. Mörsch/ Derix 2010: 731, 735). 83 Simon (2008a: 42) weist darauf hin, dass für den Bund „allein aus eigenen haushaltspolitischen Interessen heraus die finanziellen Interessen der GKV Vorrang gegenüber denen der Krankenhäuser haben.“

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„Gesetz zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung in der gesetzlichen Krankenversicherung“ (Krankenversicherungs-Kosten-dämpfungsgesetz – KVKG)84 beschlossen. Das Gesetz zielte verstärkt auf den Personalbereich, der mit über 70 Prozent den Großteil der Krankenhauskosten ausmachte. Im Ergebnis versuchten die Kliniken mit allen Mitteln Personal ab-zubauen. So wurden beispielsweise veraltete Personalschlüssel angewandt oder die Auszubildenden im Pflegebereich im Stellenplan nur zu einem Drittel einge-rechnet. Die Hauptmaßnahmen bestanden im Outsourcing nicht medizinisch-pflegerischer Bereiche wie Reinigung und Wäscherei sowie Küchen und Werk-stätten (vgl. Löser-Priester 2003: 104f; Simon 1997: 39f.).

Mit dem Versuch die Krankenhausfinanzierung zu novellieren, war der „grundlegende programmatische Wandel“ des Leitmotivs der krankenhauspoliti-schen Gesetzgebung „von der Bedarfsdeckung zur Kostendämpfung“ verbunden (Löser-Priester 2003: 105). Der erste Versuch mit dem KVKG von 1977, die Planungskompetenz von den Ländern auf die Krankenkassen-Landesverbände auszuweiten, scheiterte jedoch am Widerstand der Länder im Bundesrat. Die Länder lehnten eine erneute Erhöhung ihres Anteils an den Investitionskosten ab.85 Zudem weigerten sie sich, ihre Kompetenz zur Festsetzung der Pflegesätze zugunsten freier Vereinbarungen zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern aufzugeben (vgl. ebd.: 106f.). Nach der Ablehnung durch den Bundesrat unter-nahm der Bund 1978 mit dem „Gesetzesentwurf zur Novellierung des KHG“ einen zweiten Versuch. Dazu kam der Bund den Ländern entgegen. Der neue Entwurf sah eine Zusammenarbeit zwischen Ländern, Krankenkassen und Kran-kenhausträgern bei der Krankenhausplanung vor. Außerdem hätten die zwischen Kassen und Kliniken verhandelten Pflegesätze der Zustimmung der Länder be-durft. Letztendlich scheitert aber auch diese Reform im Bundesrat (vgl. Tuschen/ Quaas 1998: 11). Eine Novellierung des KHG erfolgte erst 1981 mit dem „Ge-setz zur Änderung des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäu-ser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze“ (Krankenhaus-Kosten-dämpfungsgesetz - KHKG).86 Das Gesetz etablierte schließlich die Zusammenar-beit der Länder mit Kassen und Trägern bei der Krankenhausplanung. Zusätzlich wurde die Investitionsförderung novelliert. Für kleine Bedarfe wurden Festbeträ-ge eingeführt und die Krankenhäuser zur Zuteilung pauschaler Fördermittel in vier Versorgungsstufen eingeteilt (vgl. ebd.: 12). Ebenfalls beschlossen wurde, dass die Pflegesätze in Verhandlungen zwischen Krankenhäusern und Kranken-kassen festgelegt werden und der Genehmigungspflicht durch die Länder unter-

84 Gesetz vom 27.06.1977 BGBl. I S. 1069 (Nr. 39). 85 Als Beteiligungshöhe waren 10 Prozent für Neubauten und 5 Prozent für Wiederbeschaffungskos-ten vorgesehen (vgl. Tuschen/ Quaas 1998: 11). 86 Gesetz vom 22.12.1981 BGBl. I S. 1588 (Nr. 59).

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liegen sollten. Weiterhin sah das Gesetz ursprünglich vor, Anreize für eine wirt-schaftlich rationelle Betriebsführung zu schaffen. Der Gewinn- und Verlustaus-gleich sollte so geändert werden, dass erzielte Überschüsse beim jeweiligen Krankenhaus verbleiben. Beide Änderungen traten allerdings nicht in Kraft. Die erforderlich gewesene neue Bundespflegesatzverordnung kam aufgrund des Endes der sozial-liberalen Koalition nicht mehr zustande (vgl. Löser-Priester 2003: 109f.).

Die nachfolgende christlich-liberale Koalition führte die Reform des KHG weiter fort. Zunächst mit dem „Gesetz zur Neuordnung der Krankenhausfinan-zierung“ (Krankenhaus-Neuordnungsgesetz - KHNG)87 1984 und anschließend mit der 1986 erfolgten Neufassung der Bundespflegesatzverordnung. Das KHNG konnte erst nach erheblichen Änderungen an der von den Bundesländern abge-lehnten ersten Fassung durchgesetzt werden. Mit der Gesetzesreform sollte die Finanzierungsfrage durch eine strukturelle, föderative Umgestaltung gelöst wer-den. Die Mischfinanzierung wurde für Bund und Länder kostenneutral beendet. Der Bund zog sich aus der Finanzierung von Investitionen zurück und übernahm zum Ausgleich der nun von den Ländern zu tragenden Kosten höhere Anteile beim Wohngeld und anderen Geldleistungsgesetzen (vgl. Tuschen/ Quaas 1998: 14). Die duale Finanzierung wurde gleichzeitig aufgeweicht, indem Krankenhäu-ser und Krankenkassen über den Pflegesatz abzurechnende Investitionsverträge schließen konnten. Sie konnten darüber hinaus die Pflegesätze ab sofort selbst verhandeln. Diese mussten zwar durch das Land genehmigt werden, dessen Be-fugnisse beschränkten sich jedoch auf eine Rechtmäßigkeitsprüfung (vgl. ebd.). Neben einer größeren Freiheit der Länder bei der Ausgestaltung der Kranken-hausförderung wurde der Grundsatz der Trägervielfalt festgeschrieben: „Bei der Durchführung des Gesetzes ist die Vielfalt der Krankenhausträger zu beachten. Dabei ist nach Maßgabe des Landesrechts insbesondere die wirtschaftliche Si-cherung freigemeinnütziger und privater Krankenhäuser zu gewährleisten“ (§1 Abs. 2 KHG).

Mit der Modifizierung des Selbstkostendeckungsprinzips und der Zulassung neuer Entgeltformen für das Vergütungssystem erfolgten zwei richtungsweisen-de Änderungen. Der Gewinn- und Verlustausgleich wurde abgeschafft. Stattdes-sen konnten lediglich die im Voraus zu kalkulierenden „Selbstkosten eines spar-sam wirtschaftenden und leistungsfähigen Krankenhauses“ abgerechnet werden (Tuschen/ Quaas 1998: 15, vgl. auch 63f.). Die Endabrechnung dieses prospektiv verhandelten Krankenhausbudgets erfolgte ein bis zwei Jahre im Nachhinein anhand der tatsächlichen Entwicklung. Da die Vorausschätzung zu hoch oder zu niedrig ausfallen konnte, wurde es nun möglich, nachträglich Gewinn oder Ver-

87 Gesetz vom 20.12.1984 BGBl. I S. 1716 (Nr. 56).

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lust zu erwirtschaften (vgl. Simon 2008a: 29). Mit diesem Schritt wurden die Anreize für eine wirtschaftlich rationelle Betriebsführung erhöht. Die Umsetzung der neuen Vorgaben erfolgte mit der Bundespflegesatzverordnung 1986. Die Verordnung ermöglichte die Einführung neuer Entgeltformen, wozu Fallpau-schalen oder Budgetierung gehörten. So wurde bereits 1986 ein flexibles Budget für die allgemeinen Krankenhausleistungen etabliert,88 das aber durch kranken-hausindividuelle Sonderentgelte für kostenintensive Leistungen erhöht werden konnte (vgl. Tuschen/ Quaas 1998: 63ff.).

Obwohl die Gesetzesänderungen in ihrer angestrebten Wirkung (Kosten-dämpfung, Strukturwandel) zunächst wenig erfolgreich waren, ging dennoch „eine langfristig wirksame und grundlegende Veränderung“ mit ihnen einher (Braun et al. 2010: 57). Mit den Gesetzen und Reformen der 1970er- und 1980er-Jahren wurden erste Schritte in Richtung eines stärker von Wettbewerb und Markt geprägten Krankenhaussektors gemacht. Vor dem Hintergrund der Ausgabenentwicklung im Krankenhaussektor sowie der Einnahmen- und Haus-haltslage von GKV und Ländern unterlagen die Reformvorhaben in beiden Jahr-zehnten den Gesichtspunkten der Rationalisierung von Ressourcen und der Kos-tendämpfung. Die Abschaffung des Gewinn- und Verlustausgleichs sowie die Einführung eines Budgetrahmens weichten das Selbstkostendeckungsprinzip auf. Gleichzeit wurden erste Anreizstrukturen für eine wirtschaftlich-rationelle Be-triebsführung geschaffen. Mit den Rahmenbedingungen veränderten sich daher auch die Handlungslogiken der betroffenen Akteure.

Die 1990er- und 2000er-Jahre: Strukturgesetze Die Kostendämpfungspolitik der 1970er- und 1980er-Jahre zeichnete sich durch eine vorrübergehende Wirkung ihrer Maßnahmen aus. Im Gesamttrend vergrö-ßerte sich der Abstand zwischen GKV-Einnahmen und Leistungsausgaben trotz steigender Beitragssätze weiter. Simon (1997: 6) weist einschränkend darauf hin, dass die Steigerungen der GKV-Ausgaben im Krankenhaussektor proportional zur Entwicklung des Bruttosozialproduktes (BSP) verliefen. Der Anteil der GKV-Krankenhausausgaben am BSP lag kontinuierlich bei etwa drei Prozent. Die (steigenden) Haushaltsdefizite der GKV seien auf sinkende Einnahmen im Zuge der zunehmenden Arbeitslosigkeit und „unterproportionale Lohn- und Gehaltsentwicklung [...] [sowie] „sozialpolitische Interventionen zurückzufüh-ren“, die GKV-Mittel zur „Konsolidierung anderer Versicherungszweige, und letztendlich des Bundeshaushaltes“ heranzogen (ebd.).89

88 Die Pflegesätze waren Abschlagszahlungen auf das Budget. 89 Nach Schätzungen des BMG waren fünf Milliarden DM des 1995 bestehenden GKV-Defizits von insgesamt sieben Milliarden DM allein auf das 1989 zur Konsolidierung der Arbeitslosenversiche-rung verabschiedete Rentenreformgesetz (RRG) zurückzuführen (vgl. Simon 1997: 6).

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Aufgrund dieser defizitären Ausgangslage wurden in den 1990er-Jahren „inner-halb kurzer Zeit tiefgreifende Veränderungen beschlossen“ (Tuschen/ Quaas 1998: 15). Ziel der strukturellen Umgestaltung war es, „nicht mehr ständig mit kurzatmigen Kostendämpfungsbemühungen“ reagieren zu müssen (ebd.). Ent-sprechend weitreichend waren die Eingriffe des Gesetzgebers in die Rahmenbe-dingungen der Krankenhäuser. Diese gingen „in ihrer Bedeutung und in ihren Auswirkungen auf die stationäre Versorgung [...] weit über die bisherigen kran-kenhauspolitischen Interventionen“ hinaus (Simon 1997: 5). Sukzessive kam es zu „wettbewerbszentrierten Strukturreformen“, die rückblickend als Paradig-menwechsel in der Gesundheitspolitik beschrieben werden (Gerlinger 2009: 49). An deren Anfang stand das Gesundheitsstrukturgesetz von 1993.

Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) 1993 Mit dem „Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung“ (Gesundheitsstrukturgesetz – GSG)90 sollte die Finanzie-rungsstruktur der Krankenhäuser grundsätzlich umgestaltet werden. Langfristig wollte der Gesetzgeber die duale Finanzierung wieder durch eine monistische Form ablösen. Bisher war dieses Anliegen, wegen der von den Krankenkassen zu tragenden Mehrbelastungen, politisch nicht durchsetzbar gewesen (vgl. Löser-Priester 2003: 114). Dies änderte sich mit der finanziell zunehmend prekären Lage der GKV. Im Jahr 1992 wurde mit 10 Milliarden DM das bis dato höchste Defizit erwartet. Gleichzeitig wurde von 1992 auf 1993 mit einem Plus von 0,51 Prozentpunkten der größte Anstieg des Beitragssatzes innerhalb eines Jahres seit 1976 verzeichnet (Tuschen/ Quaas 1998: 16; Sachverständigenrat 2010).91 Vor diesem Hintergrund verabschiedeten CDU/ CSU, SPD und FDP nach langwieri-gen Verhandlungen gemeinsam das GSG, das zahlreiche strukturelle Verände-rungen mit sich brachte (vgl. Simon 2008a: 11). Das bereits bestehende Konzept eines Krankenhausbudgets wurde – zunächst als zeitlich befristet geplant (1993 bis 1995) – durch eine echte Budgetierung ersetzt. Diese wurde an der Leitlinie der GKV-Beitragssatzstabilität ausgerichtet.92 Mit dieser Sofortbremse sollte die Steigerungsrate der Leistungsausgaben (und damit das Budget) auf die Zuwachs-rate der Einnahmeseite (beitragspflichtige Krankenkassenmitglieder) begrenzt werden. Ziel war es, kurzfristig die Kostensteigerungen solange abzubremsen, bis die strukturelle Umorganisation greifen konnte. Durch die Veranlassung, „Ressourcen effizienter einzusetzen [...] [, sollte] eine dauerhafte finanzielle

90 Gesetz vom 21.12.1992 BGBl. I S. 2266 (Nr. 59). 91 Der Beitragssatz stieg in den alten Bundesländern von 12,74 auf 13,4 Prozent. 92 Zur Kritik an der technischen Umsetzung der Budgetdeckelung und den Schwierigkeiten der Kopplung von Budgetentwicklung und beitragspflichtigen Einnahmen vgl. bspw. Simon 2008a: 28-35.

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Entlastung der Gesetzlichen Krankenversicherung“ erreicht werden (Simon 1997: 3). Neben der Stabilisierung des Beitragssatzes sollte der Übergang vom flexiblen zum festen Budget die Anreize für Effizienzsteigerungen und wirt-schaftliche Betriebsführung erhöhen: Kostensenkungen schlugen sich im Folge-jahr nicht automatisch in Budgetkürzungen nieder, so dass ein Krankenhaus Gewinn erwirtschaften konnte (vgl. Tuschen/ Quaas 1998: 16, 20f., 23).93 Die Einführung der Budgetdeckelung war daher gleichzeitig der Startschuss für eine Ökonomisierung des Krankenhausmanagements. In der ersten Phase von 1993 bis 1995 gab es jedoch zahlreiche Ausnahmeregelungen, so dass zunächst ein „Deckel mit Löchern“ geschaffen worden war (Simon 2008a: 11). Kostensteige-rungen aufgrund von Tarifabschlüssen waren etwa von der Deckelung ausge-nommen. Genauso bestand durch die geltende Pflegepersonalregelung (PPR) ein Anspruch auf die Finanzierung personeller Mehrbedarfe in der Pflege. In der Folge waren deutlich stärkere Anstiege bei Budget und Krankenhauskosten zu verzeichnen als geplant (vgl. Simon 1997: 26f.; 2008a: 11).

Aus der Vielzahl an Maßnahmen und Veränderungen,94 die das GSG bein-haltete, sind zwei besonders hervorzuheben: Die Aufhebung des Selbstkostende-ckungsprinzips und die Umstellungen im Entgeltsystem. Beide Aspekte gehörten letztendlich zusammen, denn das neue Abrechnungssystem bedeutete das Ende vollpauschalisierter Pflegesätze zugunsten der Einführung von leistungsbezoge-nen Sonderentgelten95 und Fallpauschalen. Diese wurden mit dem GSG in einem Übergangssystem eingeführt. Vergütungsrelevant waren die Fallpauschalen nur für 20 bis 25 Prozent der im Krankenhaus erbrachten Leistungen.96 Der Großteil der Leistungen wurde weiterhin über die Basispflegesätze abgerechnet (vgl. Böhm/ Henkel 2009: 86). Diese wurden jedoch nicht mehr klinikindividuell, sondern auf der Landesebene verhandelt (vgl. Löser-Priester 2003: 116, 125). Damit entstanden landesweit gültige Preise für Behandlungsfälle, mit denen jedoch zunächst noch kein festgelegter Leistungsumfang verbunden war (vgl. Tuschen/ Quaas 1998: 25). Die Einführung des neuen Entgeltsystems wurde mit der Pflegesatzverordnung von 1996 verbindlich. Allerdings war es den Kliniken freigestellt, bereits ein Jahr früher auf das neue System umzustellen. Im Gegen-

93 Andererseits war es aufgrund der Budgetdeckelung nicht möglich, durch eine Ausweitung der Leistungen, beispielsweise über eine Erhöhung der Fallzahlen, höhere Einnahmen zu generieren (Simon 1997: 26). 94 Für eine detaillierte Betrachtung vgl. bspw. Tuschen/ Quaas 1998: 17ff. oder Löser-Priester 2003: 116f.. 95 Darunter fallen die Kosten von Im- und Transplantaten, andere OP-Kosten sowie Ausgaben für Labordienste und Medikamente (vgl. Löser-Priester 2003: 125). 96 Vorgesehen waren mindestens 40 Fallpauschalen und rund 160 pauschalisierte Sonderentgelte (vgl. Tuschen/ Quaas 1998: 19). Alleine diese geringe Anzahl macht den Unterschied zum 2002 einge-führten Fallpauschalensystem nach DRG deutlich (vgl. Fußnote 103).

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zug wurde für diese Krankenhäuser die Budgetbegrenzung auf die Jahre 1993 und 1994 eingeschränkt.

Die Einführung leistungsbezogener Entgelte mit einem landesweit gültigen Preissystem bedeutete für die Krankenhäuser, dass die tatsächlich anfallenden Selbstkosten für die Abrechnung nur noch eine untergeordnete Rolle spielten. Die vereinbarten Fallpauschalen stellten ein Entgelt dar, das alle Leistungen, die im Rahmen der Behandlung eines Patienten anfielen, abzudecken hatte (vgl. Löser-Priester 2003: 125). Es handelte sich jedoch noch um ein Mischsystem, das sowohl auf den voraussichtlichen krankenhausspezifischen Selbstkosten als auch einer auf Fällen basierenden pauschalen Vergütung bestand (vgl. Simon 1997: 14). Die Fallpauschale war fixiert und damit unabhängig von der realen Dauer und dem Umfang der notwendigen Behandlungsleistungen jedes Einzel-falles. Das Selbstkostendeckungsprinzip für die anfallenden Betriebskosten war damit aufgehoben worden. Gedeckt werden sollten nur noch die Selbstkosten bei sparsamer und wirtschaftlicher Betriebsführung (vgl. Löser-Priester 2003: 118). Mit dem neuen Entgeltsystem wurden erste Wettbewerbselemente in der Kran-kenhausbranche eingeführt. Leistungen, Ausgaben, Effizienz und Wirtschaft-lichkeit sollten vergleichbar werden. „Das Krankenhaus muß sich auch an den Leistungen und Pflegesätzen vergleichbarer Krankenhäuser messen lassen“ (Tuschen/ Quaas 1998: 20). „Auf diese Weise soll[te] eine Kohärenz zwischen dem gesundheitspolitischen Globalziel der Kostendämpfung und den individuel-len Handlungsrationalitäten der Akteure bei der Erbringung, Finanzierung und Inanspruchnahme von Leistungen hergestellt werden“ (Gerlinger 2009: 34). Im Ergebnis führten Budgetdeckelung und Fallpauschalensystem unter anderem zur Verkürzung der Verweildauer und einem Abbau von Kapazitäten (Krankenhaus-betten)97 (vgl. Kapitel 2; Simon 1997: 3).

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Gesundheitsstrukturgesetzes war die Aufnahme der Integrierten Versorgung (IV) in die Krankenhausgesetzgebung. Durch die Einführung vor- und nachstationärer Behandlung im Krankenhaus wurde die vormals strikte Trennung zwischen stationärer und ambulanter Patien-tenversorgung aufgeweicht (vgl. Simon 1997: 11f.). Auf der einen Seite erwei-terten sich so die Versorgungsmöglichkeiten der Krankenhäuser. Auf der ande-ren Seite barg die Integrierte Versorgung Potenzial für innerärztliche Konflikte. Denn sie ermöglichte einen stärkeren Wettbewerb zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern. Dieser kann wiederum die Heterogenität und die bestehende Konfliktlinie innerhalb der Ärzteschaft hervorheben. Für die Kran-kenhäuser wirkt sich das konsequente Anbieten sowohl stationärer als auch am- 97 Beispielsweise versuchten die Länder durch den Bettenabbau ihre Ausgaben zu verringern. Durch ihre Zuständigkeit für die Investitionsförderung erfolgte über den Rückbau an dieser Stelle eine finanzielle Entlastung (vgl. Simon 1997: 7).

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bulanter Versorgungsleistungen organisatorisch, strukturell, räumlich und perso-nell aus (vgl. Fack-Asmuth 1993: 76). Im Personalbereich würde eine kontinu-ierliche Arbeitsverdichtung für das ärztliche Personal wie für das Pflegepersonal drohen, falls keine zusätzlichen Stellen geschaffen würden. Bisher wird das Konzept allerdings nur schleppend umgesetzt.98

Weiterführung: Anpassende Gesetzgebung 1996 bis 2000 Ursprünglich war angekündigt worden, die Krankenhausbudgetdeckelung Ende 1995 auslaufen zu lassen. Dazu kam es jedoch nicht. Stattdessen verlängerte die Bundesregierung die bestehenden Maßnahmen und verschärfte die Anwen-dungsbedingungen. Bisher bestehende Ausnahmeregelungen wie die Pflegeper-sonalregelung wurden aufgehoben oder zusammengestrichen. Das Erste und „Zweite Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung“ (1./2. GKV-Neuordnungsgesetz – 1./ 2. NOG)99 legte 1997 fest, dass die Kostenerhöhung durch Tarifverträge nur noch zu einem Drittel statt vollständig finanziert wurden (vgl. Simon 2008a: 12). Weiterhin verschärfte sich die Deckelung durch eine jährliche Pauschalkürzung der Krankenhausbudgets in Höhe von einem Prozent in den Jahren 1997 bis 1999 (vgl. Simon 1997: 6).

Die Klinikträger versuchten diese Budgetkürzungen durch eine Reduktion der Personalkosten aufzufangen. Dazu wurden beispielsweise Reinigungskräften oder Laborpersonal outgesourct. Ab 1996 setzte zudem ein erheblicher Personal-abbau ein, der insbesondere die Pflegekräfte traf (vgl. Simon 2008a: 12).100 Ge-tragen wurden diese Veränderungsprozesse durch ein „sukzessives Vordringen ökonomischer Denk- und Handlungsmuster im Krankenhaus [...] in Bereiche [...], die bislang in der Regel relativ frei von ökonomischen Erwägungen [...] am Stand der Wissenschaft und dem medizinisch Notwendigen“ orientiert waren (Simon 1997: 25). 1999/ 2000 erfolgte mit dem „Gesetz zur Reform der gesetzli-chen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000“ (GKV-Gesundheitsreformgesetz – GKV-GRG)101 eine zweite Stufe der Verschärfung. Kostensteigerungen aufgrund von Tariferhöhungen im BAT wurden jetzt zwar zur Hälfte auf das Budget ange- 98 Simon (1997: 12) führt aus, dass von 1993 bis 1995 die Zahl der Krankenhäuser die vor- und nachstationäre Versorgungen anboten zwar von 6 auf 38 Prozent angestiegen war, die erbrachten Leistungen wirtschaftlich aber weder für die Krankenhäuser noch in den Ausgaben der GKV eine signifikante Größe darstellten. 99 1. NOG: Gesetz vom 23.06.1997 BGBl. I S. 1518 (Nr. 42). 2. NOG: Gesetz vom 23.06.1997 BGBl. I S. 1520 (Nr. 42). 100 Eine Begleitforschung zur Umsetzung der weitreichenden Änderungen in der Krankenhausfinan-zierung fand nur in den Jahren 1996 bis 1998 statt. Hierbei wurden die Auswirkungen auf Beschäf-tigte und Qualität allerdings ausgeblendet und ausschließlich ökonomische Aspekte untersucht (vgl. Simon 2008a: 9). 101 Gesetz vom 22.12.1999 BGBl. I S. 2626 (Nr. 59).

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rechnet. Der generelle Anspruch auf diesen Ausgleich wurde aber gestrichen. Vielmehr wurde die Erhöhung des Budgets nur gewährt, wenn dies zur Erfüllung des Versorgungsvertrages erforderlich erschien (vgl. Simon 2008a: 12).

Fallpauschalengesetz (FPG) 2002 bis Krankenhausfinanzierungsreformgesetz (KHRG) 2009 Während in den Jahren 1993 bis 2000 die Budgetdeckelung maßgeblicher Inhalt der Gesetzesreformen gewesen war, erfolgte anschließend ein nicht minder aus-wirkungsreicher Reformprozess der Krankenhausfinanzierung. Dieser griff die bereits im GSG 1993 in Form einer Einschränkung der Selbstkostendeckung begonnen Änderungen im Abrechnungssystem und den Grundsatzbeschluss zur Einführung eines Fallpauschalsystems aus dem GKV-Gesundheitsreformgesetz von 1999/ 2000 auf. Die endgültige Abkehr vom Selbstkostendeckungsprinzip und einer auf Tagessätzen beruhenden Abrechnung der Krankenhausleistungen gegenüber den Krankenkassen wurde 2002 auf den Weg gebracht. Mit dem „Ge-setz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalsystems für Kranken-häuser“ (Fallpauschalengesetz – FPG)102 entstanden die Diagnosis Related Groups (DRG).103 Damit wurden die Tagessätze durch Fallpauschalen abgelöst. Diese Änderung übersetzte sich in eine diagnosebezogene, pauschalierte Vergü-tung jeden Behandlungsfalls.104 Um bei der Umsetzung dieses Vorhabens nicht mit dem Risiko unkalkulierbarer Ausgabensteigerungen konfrontiert zu werden, wurde die Budgetierung weiter aufrecht erhalten (vgl. Simon 2008a: 13).

Gleichzeitig verschärfte sich das Konfliktpotenzial zwischen niedergelasse-nen Fachärzten und Krankenhäusern weiter. Das „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG)105 von 2003 förderte die bereits bestehenden Möglichkeiten der Integrierten Ver-sorgung (IV) und führte zudem das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) als weitere Möglichkeit einer ambulant medizinischen Versorgung ein. Damit wurde das Leistungsspektrum der Krankenhäuser im Bereich ambulanter Opera-tionen und Versorgung ausgebaut. Eine umfassende Nutzung der neuen Mög-

102 Gesetz vom 23.04.2002 BGBl. I S. 1412 (Nr. 27). 103 Als an das deutsche Gesundheitssystem angepasste Umsetzung des australischen DRG-Systems (AR-DRG) auch als German Diagnosis Related Groups – G-DRG – bezeichnet (vgl. Braun et al. 2010: 33). Im Jahr 2010 gab es 1.200 DRG-Fallpauschalen und 143 Zusatzentgelte (vgl. GKV Spitzenverband 2009). 104 Ausgenommen sind bisher psychiatrische und psychosomatische Kliniken und Leistungen. 105 Gesetz vom 14.11.2003 BGBl. I S. 2190 (Nr. 55).

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Globale Umwelt: Arbeitsbeziehungen, Staatstätigkeit und Gesetzgebung 75

lichkeiten würde zu Lasten der niedergelassenen Ärzte gehen, die daher eine Umsetzung ablehnen.106

„Die Abhängigkeit der nachgeschalteten Leistungserbringer […] von ihren vorgeschalteten Zuweisern […] verhindert […] eine wirksame Konkurrenz im Sinne eines Wettbewerbs um Kunden“ (Wohlgemuth 2007).

Die niedergelassenen Ärzte sind für die Überweisung von Patienten ins Kran-kenhaus zuständig und die Klinken in Teilen von diesen abhängig und damit auf gutes Verhältnis angewiesen.107 Dementsprechend werden die neuen Leistungs-möglichkeiten durch die Krankenhäuser nur schleppend angenommen.108 Bisher blieb der innerärztliche Konflikt daher beschränkt.

Die Wettbewerbseinführung zwischen Krankenhäusern im Rahmen des FPG begann mit einer freiwilligen Umstiegsphase im Januar 2003, gefolgt von dem verpflichtenden Umstieg ab Januar 2004. Um den Wandel zu erleichtern, waren die freiwillige Umsetzungshase und das erste Jahr des verpflichtenden Umstiegs als budget- und kostenneutrale Einführungsphasen konzipiert (vgl. Braun et al. 2010: 34). Die an der freiwilligen Umstiegsphase teilnehmenden Optionskrankenhäuser waren zusätzlich von dem im Beitragssatzsicherungsge-setz für 2003 festgelegten Aussetzen der Budgeterhöhung (Nullrunde) ausge-nommen (vgl. Simon 2008a: 13). An diese Einführung der Fallpauschalen schloss sich ab Januar 2005 die Konvergenzphase an, in der bis zum Jahr 2009 die unterschiedlichen Krankenhausbudgets auf ein „landeseinheitliches Preisni-veau“ angeglichen werden sollten (Nagel 2007: 93).109 Mit dem Landesbasis-fallwert (LBFW) wurde ein Orientierungswert geschaffen, um die Leistung eines Krankenhauses fallbezogen mit dem aller anderen Kliniken im Bundesland ver-gleichen zu können. Damit lassen sich Gewinner und Verlierer – effizient und kostengünstig arbeitende Kliniken oder überdurchschnittlich teure Krankenhäu-

106 So heißt es beispielsweise im Krankenhaus Barometer 2008: „Die Vertragsärzte haben durch ihre Interessenvertretungen und diversen Gerichtsverfahren sehr deutlich gemacht, dass sie die ambulante Leistungserbringung durch Krankenhäuser nicht wünschen“ (Blum et al. 2008: 20). 107 „Da Krankenhäuser im gewissen Rahmen abhängig von den zuweisenden Vertragsärzten sind, werden sie dann keinen Antrag auf § 116b-Leistungen stellen, wenn die Vertragsärzte mit dem erforderlichen Nachdruck intervenieren und die Krankenhäuser in einem intensiven Wettbewerb zu anderen Häusern stehen“ (Blum et al. 2008: 20). 108 Über ein geeignetes Leistungsspektrum verfügten laut Krankenhaus Barometer 2008 und 2009 etwa 44 Prozent aller Kliniken. Während in der Umfrage 2008 noch 77 Prozent dieser Krankenhäuser angaben, einen Antrag auf die Erlaubnis zur Erbringung ambulanter Leistungen gestellt zu haben oder noch stellen zu wollen, sank dieser Wert innerhalb von nur einem Jahr auf 56 Prozent ab (Blum et al. 2008: 19; Blum/ Offermanns 2009: 47). 109 In der Zeit der Konvergenzphase erfolgte von 2004 bis 2006 die Budgetveränderung in der vorge-sehenen Höhe der Veränderungsrate der Einnahmen. 2007 und 2008 erfuhr das Budget dagegen wieder pauschale Kürzungen (vgl. Simon 2008a: 13).

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ser – identifizieren. Die Budgetverteilung wird anschließend anhand dieses Ver-gleichsmaßstabes angepasst, so dass wirtschaftliche Krankenhäuser Budgetantei-le hinzugewinnen und unter dem Durchschnitt liegende Klinken einen Teil ihres Budgets verlieren (vgl. Leclerque/ Friedrich 2010: 306f.).110 In der Konvergenz-phase war der Budgetverlust begrenzt, um Anreize für betroffene Klinken zu schaffen, sich möglichst schnell dem LBFW anzunähern. Aufgrund einer nicht wie erwartet verlaufenden Entwicklung der Angleichung wurde die Konvergenz-phase mit dem „Gesetz zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfi-nanzierung ab dem Jahr 2009“ (Krankenhausfinanzierungsreformgesetz – KHRG)111 um ein Jahr verlängert (vgl. Braun et al. 2010: 38).112 Mit der Kran-kenhausreform 2009 erwies sich gleichzeitig die Hoffnung der Deutschen Kran-kenhausgesellschaft sowie der Gewerkschaften, dass die Budgetdeckelung wie gefordert wegfallen könnte, als vergebens.113 Statt eines Wegfalls der Budgetbe-schränkung gab es allenfalls eine zeitlich begrenzte Öffnung der Deckelung, nachdem mit dem „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG)114 in den Jahren 2007 und 2008 sogar eine 1-prozentige pauschale Budgetkürzung verbunden gewesen war.

Auswirkungen der Krankenhausgesetzgebung Die dargestellten Reformen des Krankenhauswesens haben dieses in seinen Grundzügen verändert. Bandelow (2007: 272) betont, dass die Strukturgesetze mit ihren Kostendämpfungsmaßnahmen nicht nur die Konkurrenz innerhalb der Ärzteschaft erhöhen.115 Vielmehr modifizieren sie auch die Machtkonstellation in der Gesundheitspolitik. Zunächst hätten sich „die ärztlichen Standesorganisa-tionen als ein nicht unbedeutender Machtfaktor im politischen System der Bun-desrepublik Deutschland etabliert“ (Gerst 1997: 230). Als Beleg für ihre erfolg- 110 Simon (2008a: 14) weist auf Probleme in der Einführungsphase hin, die dazu führten, dass kleine Spezialkliniken für ihre effizienten Leistungen belohnt wurden (ohne dass dafür von ihrer Seite Verbesserung oder Anstrengungen notwendig waren), während Universitätskliniken (aufgrund der Nichtberücksichtigung der von diesen durchzuführenden kostenintensiven Leistungen) bestraft wurden. 111 Gesetz vom 17.03.2009 BGBl. I S. 534 (Nr. 15). 112 Für die weiteren Inhalte des KHRG vgl. bspw. Visarius/ Lehr 2010: 293f.. 113 Für die Standpunkte in der vorangegangenen öffentliche Debatte im Jahr 2008 vgl. bspw. Simon 2008a: 8. 114 Gesetz vom 26.03.2007 BGBl. I S. 378 (Nr. 11). 115 Budgetierungsfragen führen zu konkurrierenden Interessen zwischen niedergelassenen und ange-stellten Ärzten. Darüber hinaus kommt es zwischen den Facharztgruppen „zu einer erheblichen Verschärfung innerärztlicher Verteilungskonflikte“, wenn durch ein Gesamtbudget für Vertragsärzte, Einkommenszuwächse für die eine Gruppe immer mit Einkommenseinbußen für eine andere Gruppe einhergehen (Gerlinger 2009: 41). Dies wiederum hat Auswirkungen auf die Attraktivität der Fach-arztniederlassung und damit auf Ärzte und ihre Weiterbildung im Krankenhaus.

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reiche Vetomacht erinnert Gerst an die 1961 gescheiterte Krankenversicherungs-reform. Auch Rauskolb (1976: 12) ging Mitte der 1970er-Jahre noch von der These aus, dass die Ärzte und ihre Verbände das Gesundheitswesen entscheidend beeinflussen und aufgrund ihrer Interessen Fehlentwicklungen und Reformstaus mit verursachten (vgl. ebd.: 12).116 Diese Vetoposition haben die Ärzte und ihre Organisationen offenbar eingebüßt. Obwohl bei den Strukturgesetzen 1993 alle Ärzteverbände „erbitterten Widerstand“ leisteten, konnten sie sich nicht mehr länger als „unüberwindliche Blockademacht“ gerieren wie noch in den 1960er-Jahren (Bandelow 2007: 272).

Die Budgetdeckelung verfolgt das Ziel, die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung zu senken oder zumindest die Steigerungsraten an die Entwicklung der Einnahmeseite anzupassen.117 Dies soll Anreize für eine kos-tengünstigere Leistungserbringung durch Bettenabbau, die Verkürzung der Ver-weildauer, eine effizientere Arbeitsorganisation und transparente Abläufe schaf-fen (vgl. Braun et al. 2010: 39). Die Einführung des Fallpauschalsystems dage-gen zielte zunächst unmittelbar auf die Verteilung der Ausgaben. Im Zentrum steht die Umverteilung der Mittel zwischen den Krankenhäusern anhand von Wirtschaftlichkeitskriterien. Durch die Möglichkeit, Gewinn oder Verlust zu erwirtschaften, sollte ein Markt geschaffen und Wettbewerb initiiert werden. Letztlich könnten Effizienz- und Wirtschaftlichkeitszuwächse mittelbar dann wiederum zu einer Ausgabenreduktion beitragen.

Obwohl durch die phasenweise Einführung des DRG-Systems die Geset-zesänderungen erst verspätet ihre volle ökonomische (Druck-)Wirkung entfalte-ten, setzte der Strukturwandel in den Krankenhäusern frühzeitig ein. Dafür spricht etwa, dass trotz der Budgetdeckelung viele Kliniken ein negatives Be-triebsergebnis verhindern konnten. Was von Befürwortern als „Beleg für die These verwendet [wird] [...], die Deckelung sei offenbar doch nicht so drama-tisch“, ist laut Simon (2008a: 14) unter den gegebenen Umständen nur auf Kos-ten der Beschäftigten erreichbar gewesen.118 Die Strukturreformen wirken auf

116 Hintergrund dafür sei unter anderem das „fehlende ärztliche Problembewußtsein für gesundheits-politische Reformen“ (Rauskolb 1976: 269). Dessen Fehlen begründet sie mit „vorwiegend standes-egoistischen Positionen“. Auf deren Grundlage würden die Ärzte die soziale Zielsetzung von Refor-men vernachlässigen und sich allein um die Absicherung ihrer historisch erlangten Privilegien sorgen (ebd.: 271). Eine grundsätzliche Gemeinwohlorientierung der Ärzteschaft aufgrund ihres Berufes stellt die Autorin in Abrede. 117 An dieser Stelle sei auf die Analysen zu den Folgen der Budgetdeckelung von Simon (1997, 2008a) verwiesen. Er zeigt auf Basis von Literaturanalysen, Experteninterviews sowie statistischen Daten auf, dass die Deckelung kein geeignetes Mittel darstellt, um das eigentliche Ziel der Beitrags-satzstabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zu erreichen (vgl. Simon 2008a: 16-25, 48f.). 118 Aus diesem Grund könnte ein ausgeglichenes oder gewinnbringendes Betriebsergebnis nicht als Indikator für eine hohe Wirtschaftlichkeit in der Leistungserbringung herangezogen werden (Simon 2008a: 15).

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diese unmittelbar und unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des jeweili-gen Krankenhauses. Kliniken, die es schaffen, in die Gewinnzone zu wechseln, werden für ihre rigide Personalpolitik belohnt, während sich für Kliniken in der Verlustzone der Kostendruck durch die Umverteilung weiter verschärft. Damit sind der gesamte Krankenhaussektor und letztlich auch die Beschäftigten umfas-send von den Gesetzesreformen betroffen.

2.2 Branche: Krankenhauslandschaft im Wandel

Die Branche und ihre Wandlungsphänomene bilden als organizational domain119 die zweite wichtige Umweltebene, innerhalb der sich eine Organisation bewegt (vgl. Preisendörfer 2011: 74). Für das Handeln von Marburger Bund und Ärzte-schaft können hier einige der maßgeblichen Umweltfaktoren vorgefunden wer-den. Nicht zuletzt aufgrund des Wandels der Staatstätigkeit und den resultieren-den, im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Gesetzesreformen lassen sich erhebliche Branchenveränderungen konstatieren. Deren Auswirkungen auf Be-schäftigte und Arbeitsbedingungen müssen als Faktoren herangezogen werden, um das Verhalten und die Entscheidungen der Akteure zu analysieren. Sie stellen nicht nur den Hintergrund dar, vor dem sich Entscheidungen von Akteuren voll-ziehen, sondern sie sind als Umweltstrukturen elementarer Resonanzboden für verbandliches Handeln. Sie sind sowohl Ziel als auch Auslöse-, Einfluss- und Bedingungsfaktoren für Handlungs- und Entscheidungsprozesse. Die Untersu-chung der Krankenhausbranche umfasst deren grundlegenden Strukturen und Kennzahlen sowie drei herauszustellende Einzelveränderungen: Die zunehmende Privatisierung von Kliniken, die Beschäftigtenentwicklung im Zeitverlauf und den Ärztemangel. 2.2.1 Krankenhausbranche im Überblick Sozio-ökonomisch bilden die Krankenhäuser eine bedeutende Branche. Zugleich sind sie elementarer Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die Gesund-heitsausgaben in der Bundesrepublik beliefen sich im Jahr 2009 auf 278,4 Milli-arden Euro und kamen damit auf einen Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 11,7 Prozent.120 Mehr als ein Viertel dieser Kosten – insgesamt 71 Milliarden Euro –

119 Synonym zum im Neo-Institutionalismus gebräuchlichen Begriff des organisationalen Feldes. 120 Ihr Anteil stieg zuletzt um 0,9 Prozentpunkte zum Vorjahr an. Der Durchschnitt von 2002 bis 2008 lag bei 9,8 Prozent (vgl. Statistisches Bundesamt 2011e; BMAS 2012: Tab. 1.2). Damit lag Deutschland 2009 in der OECD an der vierten Stelle hinter Frankreich (11,8 Prozent), den Nieder-landen (12 Prozent) und den USA (17,4 Prozent) (vgl. OECD 2011b).

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Branche: Krankenhauslandschaft im Wandel 79

entfielen auf die Krankenhäuser.121 Diese sind in Deutschland, neben den Vor-sorge- und Rehabilitationseinrichtungen, für die stationäre Versorgung der Be-völkerung zuständig. In der Krankenhausbranche mit ihren 2.064 Klinikeinrich-tungen waren 2010 insgesamt 1.112.959 Personen beschäftigt, die 18 Millionen Fälle bearbeiteten. Etwa jeder 32. abhängig Beschäftigte ist in der stationären Versorgung der Krankenhäuser tätig. Aber nur 13,4 Prozent der Krankenhausbe-schäftigten sind Ärzte (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 11, Tab. 1.2; BMAS 2012: Tab. 2.5). Die bereinigten Kosten der Krankenhäuser beliefen sich 2010 auf 69,7 Milliarden Euro. Damit sind diese, trotz aller gesetzlichen Versuche der Kostendeckelung und -reduktion (vgl. Kapitel 2.1 zur Gesetzgebung) seit 2000 um 35 Prozent, seit 1991 sogar um 86,1 Prozent, gestiegen (vgl. Statistisches Bundesamt 2011c: 8, Tab. 1.1; 2011e).122

Die Branche erweist sich strukturell als ausgesprochen heterogen. 21 Pro-zent der Krankenhäuser haben weniger als 50 Betten und beschäftigen im Durch-schnitt weniger als vier Ärzte. Dem gegenüber stehen 11,7 Prozent der Kliniken, die jeweils über 500 und mehr Betten verfügen und durchschnittlich etwa 325 Ärzte angestellt haben (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 36, Tab. 2.5.1). Ein weiteres Kennzeichen der Heterogenität ist die im Krankenhausfinanzierungsge-setz (§1 Abs. 2 KHG) festgeschriebene Trägervielfalt, die sich in Form von drei unterschiedlichen Trägerformen manifestiert.123 Zunächst sind die öffentlichen Krankenhäuser zu nennen.124 Als Träger dieser Häuser treten neben Bund, Län-

121 In der älteren Literatur wird zunächst zwischen Akut- und Sonderkrankenhäusern unterschieden (vgl. Nagel 2007: 140). In der Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamtes bilden dagegen Allgemeine Krankenhäuser und Sonstige Krankenhäuser die ersten beiden Kategorien. Unter Sonsti-ge Krankenhäuser fallen Kliniken, „mit ausschließlich psychiatrischen, psychotherapeutischen oder psychiatrischen, psychotherapeutischen und neurologischen Betten sowie reine Tages- oder Nacht-kliniken“ (Statistisches Bundesamt 2011c: 3). Eine dritte Kategorie bilden die Bundeswehrkranken-häuser. Diese werden jedoch, außer in den Bereichen, wo sie auch für Zivilpatienten Leistungen erbringen, nicht in die Statistik aufgenommen. Die Sonstigen Krankenhäuser machten 2010 mit 306 von 2.064 Kliniken einen Anteil von 14,8 Prozent aus, beschäftigten aber nur 5.710 von 134.079 Ärzten (4,3 Prozent) (vgl. ebd.: 24, Tab. 2.3.1.1). In der vorliegenden Arbeit wird der Einfachheit halber deshalb darauf verzichtet, die Krankenhauslandschaft gesondert nach Krankenhaustypen zu betrachten. Des Weiteren sei für die Definition des Krankenhauses auf §2 Abs. 1 KHG sowie §107 Abs. 1 SGB V verwiesen (vgl. auch Wörz 2008: 138). 122 Im internationalen Vergleich liegen die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen pro Kopf den-noch im unteren Drittel. In Luxemburg oder den USA sind die Ausgaben etwa doppelt so hoch wie in Deutschland oder sogar noch höher (vgl. Simon 2008a: 23f.). Bezogen auf die gesamten Gesund-heitsausgaben pro Kopf lag Deutschland 2009 dagegen im oberen Drittel (vgl. OECD 2011c). Hin-tergrund dieser Diskrepanz ist auch die unterschiedliche Gewichtung zwischen stationärer und ambu-lanter Versorgung in den einzelnen nationalen Gesundheitssystem, die eine Interpretation von direk-ten Vergleichen einzelner Werte stark erschwert (vgl. Nagel 2007: 144f.; Simon 2008a: 23). 123 Zur Geschichte der drei Trägerformen vgl. bspw. Wörz 2008: 143-149. 124 Öffentliches Krankenhaus bezieht sich in dieser Unterteilung ausschließlich auf die Art des Trä-gers. Öffentliche Krankenhäuser können von ihrer Rechtsform her sowohl in öffentlich-rechtlicher

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dern, Bezirken, Kommunen/ Gemeinden und Kreisen (Gebietskörperschaften)125 außerdem Arbeitsgemeinschaften oder Zweckverbände öffentlicher Körperschaf-ten sowie Sozialversicherungsträger (Berufsgenossenschaften, Landesversiche-rungsanstalten, Bundesknappschaft) auf. Daneben gibt es Kliniken in freige-meinnütziger und privater Trägerschaft (gewerbliche Unternehmen).126 Die Trä-ger freigemeinnütziger Krankenhäuser sind die katholische und evangelische Kirche sowie die freien Wohlfahrtsverbände, Stiftungen und Vereine (vgl. Reschke 2010: 149f.; Nagel 2007: 138; Wörz 2008: 141f.).127 Im Bereich der privaten Kliniken gehören weniger die kleinen, von einzelnen oder wenigen Ärzten betriebenen Spezialkliniken, als vor allem die großen Kapitalgesellschaf-ten wie Asklepios oder Helios als Träger ganzer Krankenhausketten zu den be-deutenden Akteuren.

Entwicklung der Kennzahlen Eine rückläufige Gesamtzahl an Kliniken kennzeichnet die Krankenhausland-schaft. Von 1991 bis 2010128 sank die Anzahl der Krankenhäuser um 14,4 Pro-zent (von 2.411 auf 2.064).129 Der Rückgang selbst verläuft bislang relativ kon-stant und kontinuierlich (vgl. Tabelle 2). Der kontinuierliche Rückgang an Kran-kenhäusern lässt darauf schließen, dass nicht einzelne, konkrete Gesetzesrefor-men für die Entwicklung verantwortlich zu machen sind. Eine Ausnahme stellen die Jahre 2003 bis 2006 dar. Sie fallen durch stetig höhere prozentuale Rückgän-ge im Vergleich zu den Vor- und Folgejahren auf. Diese liegen im Zeitraum der Druck auf die Krankenhäuser ausübenden DRG-Einführung (vgl. Kapitel 2.1.3).

(rechtlich unselbstständig oder rechtlich selbstständig) Form als auch in privatrechtlicher Form betrieben werden (vgl. Kapitel 2.2.2). 125 Der Bund selbst ist nur Träger von Bundeswehrkrankenhäusern, die generell eine Sonderstellung einnehmen und nicht der Sicherstellung der Krankenhausversorgung der Bevölkerung dienen (vgl. Simon 2008a: 42). 126 Die freigemeinnützige Trägerschaft eines Krankenhauses ist nicht in allen Fällen mit einer Non-Profit-Orientierung gleichzusetzen. Es gibt freigemeinnützige Kliniken mit Gewinnorientierung (vgl. Wörz 2008: 142). 127 Einen Überblick über die Literatur zu den Unterschieden zwischen den drei Trägerformen liefert bspw. Wörz 2008: 157-172. 128 In den gewählten Zeitraum fallen die maßgeblichen Reformen der Krankenhausgesetzgebung, die auf die Ärzteschaft und damit den Marburger Bund wirken. Vergleichbare Daten für die Jahre vor 1991 liegen nur in begrenztem Umfang vor, da die auf der Grundlage der Krankenhausstatistik-Verordnung (KHStatV) erhobenen Daten – auf Basis einer bundeslandübergreifenden einheitlichen Vollerhebung – erst seit 1990 erhoben werden (für weiterführende Informationen vgl. Statistisches Bundesamt o.J.). 129 Das entspricht einer durchschnittlichen Verringerung der Krankenhausanzahl um jährlich 0,8 Prozent.

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Branche: Krankenhauslandschaft im Wandel 81

Tabelle 2: Entwicklung der Krankenhausstatistik (1991–2010) Jahr Krankenhäuser Betten Fallzahlen

Anzahl Veränderung* Anzahl Veränderung* Anzahl Veränderung* 1991 2.411 - 665.565 - 14.576.613 - 1992 2.381 - 1,2 646.995 - 2,8 14.974.845 + 2,7 1993 2.354 - 1,1 628.658 - 2,8 15.191.174 + 1,4 1994 2.337 - 0,7 618.176 - 1,7 15.497.702 + 2,0 1995 2.325 - 0,5 609.123 - 1,5 15.931.168 + 2,8 1996 2.269 - 2,4 593.743 - 2,5 16.165.019 + 1,5 1997 2.258 - 0,5 580.425 - 2,2 16.429.031 + 1,6 1998 2.263 + 0,2 571.629 - 1,5 16.847.477 + 2,5 1999 2.252 - 0,5 565.268 - 1,1 17.092.707 + 1,5 2000 2.242 - 0,4 559.651 - 1,0 17.262.929 + 1,0 2001 2.240 - 0,1 552.680 - 1,2 17.325.083 + 0,4 2002 2.221 - 0,8 547.284 - 1,0 17.432.272 + 0,6 2003 2.197 - 1,1 541.901 - 1,0 17.295.910 - 0,8 2004 2.166 - 1,4 531.333 - 2,0 16.801.649 - 2,9 2005 2.139 - 1,2 523.824 - 1,4 16.539.398 - 1,6 2006 2.104 - 1,6 510.767 - 2,5 16.832.883 + 1,8 2007 2.087 - 0,8 506.954 - 0,7 17.178.573 + 2,1 2008 2.083 - 0,2 503.360 - 0,7 17.519.579 + 2,0 2009 2.084 + 0,0 503.341 - 0,0 17.817.180 + 1,7 2010 2.064 - 1,0 502.749 - 0,1 18.032.903 + 1,2

* Veränderung zum Vorjahr in Prozent. Quelle: Statistisches Bundesamt 2011b: 10, Tab. 1.1; Eigene Berechnungen.

Der Rückgang um 347 Kliniken in den letzten 19 Jahren kann indes nicht auf tatsächliche Schließungen von Krankennhäusern zurückgeführt werden (vgl. Simon 2008a: 18). Echte Krankenhausschließlungen spielen allenfalls eine un-tergeordnete Rolle.130 Das häufig konstatierte „Kliniksterben“131 vermittelt ein verzerrtes Bild der Realität. Eine weitaus wichtigere Rolle bei der Entwicklung der Krankenhauszahlen spielen offensichtlich Fusionen von Kliniken. Simon (ebd.: 19) verweist in diesem Zusammenhang auf den Selbsterhaltungstrieb von Organisationen. Dieser führt dazu, dass unter existenziellem Druck die Siche-rung der eigenen Überlebensfähigkeit an erster Stelle steht. Bedrohte Kranken-häuser versuchen ihr Überleben zu sichern, in dem sie fusionieren. Denn von den „tatsächlich als eigenständige Einrichtungen vom Markt verschwundenen Klini-ken existieren viele [...] am alten Standort unter dem Dach einer Krankenhaus-kette unselbständig weiter“ (Braun 2009: 120). Ganz ähnlich sieht dies die Deut-sche Krankenhausgesellschaft (DKG): 130 Wenn es tatsächlich zu einer Schließung kommt, geht diese mit einer großen öffentlichen Auf-merksamkeit einher (wie Demonstrationen gegen Kündigungen). 131 Die Frankfurter Rundschau titelte am 26.09.2008 „Kliniksterben erwünscht“, der Focus am 31.05.2008 „Kliniksterben bedroht Gesundheitswesen“.

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„Darunter sind eine ganze Menge Fusionen. Zum Teil aber auch Umwidmungen in Pflegehei-me. Die waren auch vorher eher wenig Krankenhaus. [...] Zusammenschluss freigemeinnützi-ger Träger unter einem Verband. Es gibt auch Schließungen, der Anteil ist aber nicht bekannt – und von größeren Krankenhäusern hat man noch nicht gehört, dass sie geschlossen worden wä-ren. Es sind eher Zusammenschlüsse, die Kliniken bleiben erhalten, firmieren aber dann oft un-ter einem Dach.“132

Gleichwohl können diese Einschätzungen nur bedingt mit belastbaren Zahlen belegt werden. Das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) stellte in seiner reprä-sentativen Umfrage des Krankenhaus-Barometers 2007 fest, dass seit der ver-bindlichen Einführung des DRG-Systems im Jahr 2004 insgesamt neun Prozent der Kliniken fusioniert haben. In der letzten Umfrage 2010 erhöhte sich dieser Wert auf 16 Prozent (Blum et al. 2010: 113). Eine Beurteilung dieser Fusionen und ihrer Auswirkungen auf die Anzahl der Krankenhäuser ist indes kaum mög-lich, weil es an entsprechenden Daten mangelt. Stattdessen kann lediglich kon-statiert werden, dass Fusionen zwar zunehmen, in den meisten Fällen aber nicht mit der Schließung eines Standortes einhergehen. Der Rückgang in der Zahl der Krankenhäuser seit 2004 liegt nur bei 4,7 Prozent im Vergleich zu 16 Prozent der Krankenhäuser, die angaben in diesem Zeitraum fusioniert zu haben.

Zeitgleich mit der Zahl der Krankenhäuser reduziert sich die Anzahl der aufgestellten Betten. Deren Rückgang fällt im Verhältnis zur Anzahl der Klinken sogar fast doppelt so groß aus. Seit 1991 wurden 162.816 Betten abgebaut, was einer Absenkung um 24,5 Prozent entspricht.133 Interessant ist die abweichende Entwicklung im Jahr 2009, als sich die Zahl der Betten nur marginal nach unten verändert hat und die Anzahl der Krankenhäuser sogar leicht zugenommen hat (vgl. Tabelle 2). Daraus abzuleiten, dass der Rückgang der Krankenhaus- und Bettenzahl die Talsohle erreicht hat, ist mit Blick auf die europäische Entwick-lung wohl verfrüht. Die Reduktion der Bettenzahl erklärt sich zum Teil über das Vorgehen der Länder bei der Krankenhausplanung. Diese nutzen ihre Planungs-hoheit, um den Bettenabbau voranzutreiben und damit den Landeshaushalt zu entlasten. Da die Länder für die Investitionsförderung zuständig sind und deren Umfang unter anderem von der Bettenausstattung abhängen, besteht hier ein großer Anreiz für einen Abbau von Planbetten. Für die Krankenhäuser erhöhen sich mit der Streichung von Investitionen die wirtschaftlichen Risiken (vgl. Simon 1997: 7). Dennoch können nicht allein die Länder für den Rückbau von Krankenhäusern und Betten verantwortlich gemacht werden. Denn beide Ent-wicklungen sind kein Nebenprodukt der Gesundheitspolitik, sondern erklärtes Ziel der Gesetzesreformen im Krankenhausbereich.

132 Interview DKG (2) vom 15.07.2009, Krankenhausfinanzierung. 133 Dies entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Rückgang von 1,5 Prozent.

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„Ausgehend von der These einer tendenziell universellen Überversorgung [...] gilt seit Beginn der 1990er Jahre der Leitsatz ‚Je-weniger-desto-besser‘“ (Braun et al. 2009: 62). Um die Überversorgung zu belegen, wird auf den europäischen Vergleich verwiesen. Herangezogen wird etwa die Bettendichte (Verhältnis der Bettenanzahl zur Bevölkerungszahl). Die nationalen Unterschiede in der struktu-rellen Gestaltung der Gesundheitsversorgung implizieren jedoch, dass die Bet-tendichte keine adäquate Vergleichsdimension darstellt.134 Der Vergleich wird hier dennoch aufgegriffen, weil er trotz des bereits erfolgten Bettenrückgangs weiterhin als vermeintliches Argument für eine Fortführung des Abbaus heran-gezogen werden kann. Denn in der Bettendichte rangiert Deutschland in Europa weiterhin an erster Stelle. Während es in der Bundesrepublik 2008 pro 100.000 Einwohner 820 Krankenhausbetten gab, lag der EU 27 Durchschnitt bei 562 Betten. Großbritannien lag zum Vergleich mit 337 Betten am unteren Ende der Skala (vgl. Abbildung 5).135 Zurückzuführen ist dies auf den in den anderen europäischen Staaten ebenfalls stattfindenden Abbau von Krankenhausbetten. Dieser startete zugleich auf einem zum Teil erheblich niedrigeren Niveau (vgl. Geissler et al. 2010: 37). Simon (2008a: 18) weist darauf hin, dass die Gesetzge-bungsreformen seit 1991 trotz des bestehenden Ziels, Überkapazitäten abzubau-en, dabei in historischer Perspektive nicht sehr erfolgreich waren. Im Zeitraum von 1975 bis 1989 sei die Anzahl der Krankenhäuser stärker zurückgegangen als seit Beginn der 1990er-Jahre.136

Die rückläufige Krankenhaus- und Bettenanzahl fällt mit einer gegenläufi-gen Entwicklung bei den Fallzahlen zusammen. Während im Zeitraum von 19 Jahren (1991-2010) die Zahl der Krankenhäuser um 14,4 Prozent und die der Betten um 24,5 Prozent zurückgingen, stiegen die Fallzahlen von etwa 14,6 auf über 18 Millionen und damit um 23,7 Prozent.137 Weniger Krankenhäuser mit weniger Betten bearbeiten immer mehr Krankheitsfälle. Der starke Anstieg der Fallzahlen bei gleichzeitigem Bettenabbau ist dabei nicht oder kaum über eine Erhöhung der Bettenauslastung erreicht worden.138 Denn die Auslastung ist von 1991 bis 2005 vielmehr von 84,1 auf 74,9 Prozent zurückgegangen und erst in den letzten vier Jahren wieder leicht auf 77,4 Prozent angestiegen. Stattdessen ist

134 So dürfte etwa eine umfangreiche ambulante Versorgung mit weniger stationären Betten einher-gehen. 135 Im Vergleich der OECD-Länder lag Deutschland 2009 mit 8,2 Betten je 1.000 Einwohner auf Platz drei hinter Korea (8,3) und Japan (13,7) (vgl. OECD 2011a). 136 Simon (2008a: 19) führt dies auf den seit den 1990er-Jahren betriebene Kurs einer Verknappung der finanziellen Ressourcen durch die Budgetdeckelung zurück (vgl. Kapitel 2.1.3). Dieser setzt die Krankenhäuser existenziell weniger unter Druck als dies etwa eine Nicht-Berücksichtigung im Kran-kenhausplan würde. 137 Dies entspricht einem durchschnittlichen Anstieg um 1,1 Prozent pro Jahr. 138 Für den internationalen Vergleich vgl. bspw. Geissler et al. 2010: 30ff..

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die durchschnittliche Verweildauer eines Patienten im Krankenhaus drastisch reduziert worden. Diese lag 2010 bei 7,9 Tagen, während sie 1991 noch 14 Tage betrug. Damit hat sie sich im Laufe von 19 Jahren um 43,6 Prozent verringert (vgl. Tabelle 3).139

Tabelle 3: Entwicklung von Verweildauer und Bettenauslastung (1991–2010) Jahr Verweildauer Bettenauslastung

Durchschnittlich in Tagen

Veränderung zum Vorjahr in %

Durchschnittlich in %

Veränderung zum Vorjahr in %

1991 14,0 - 84,1 -1992 13,3 - 5,0 83,9 - 0,2 1993 12,6 - 5,3 83,1 - 0,8 1994 12,0 - 4,8 82,5 - 0,6 1995 11,5 - 4,2 82,1 - 0,4 1996 10,8 - 6,1 80,6 - 1,5 1997 10,5 - 2,8 81,1 + 0,5 1998 10,2 - 2,9 82,3 + 1,2 1999 9,9 - 2,9 82,2 - 0,1 2000 9,7 - 2,0 81,9 - 0,3 2001 9,4 - 3,1 81,1 - 0,8 2002 9,2 - 2,1 80,1 - 1,0 2003 8,9 - 3,3 77,6 - 2,5 2004 8,7 - 2,2 75,5 - 2,1 2005 8,7 0,0 74,9 - 0,6 2006 8,5 - 2,3 76,3 + 1,4 2007 8,3 - 2,4 77,2 + 0,9 2008 8,1 - 2,4 77,4 + 0,2 2009 8,0 - 1,2 77,5 + 0,1 2010 7,9 - 1,3 77,4 - 0,1

Quelle: Statistisches Bundesamt 2011b: 10, Tab. 1.1; Eigene Berechnungen. Die kontinuierliche Senkung der Verweildauer ist kein deutsches Spezifikum, sondern kann ebenfalls in den anderen europäischen Staaten beobachten werden. Die durchschnittliche Verweildauer in Europa ist von 2000 bis 2009 von 8 auf 7,5 Tage gefallen. Es lässt sich jedoch eine breite Streuung zwischen den Mit-gliedsstaaten feststellen. Während Norwegen mit 4,8 Tagen im Jahr 2008 den niedrigsten Wert aufwies lag Finnland mit 12,4 Tagen an der Spitze (vgl. Europäische Kommission 2011a).

Der Vergleich deutet darauf hin, dass weder die Reduktion der Verweildau-er noch die der Krankenhausbetten an ihrem Ende angelangt ist. Dabei muss indes wie bei der Bettenzahl berücksichtigt werden, dass ein internationaler Ver-gleich der Verweildauer mit Einschränkungen in Bezug auf seine Aussagekraft 139 Dies entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Rückgang um 3 Prozent.

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behaftet ist. Stationäre und ambulante Versorgung sind in den Nationalstaaten unterschiedlich in die Struktur der jeweiligen Gesundheitssysteme integriert. Ein stärker ambulant ausgerichtetes Nachsorgesystem dürfte mit einer verkürzten stationären Verweildauer einhergehen. Hinzu kommt eine uneinheitliche Defini-tionen der Verweildauer in den einzelnen Staaten (vgl. Nagel 2007: 144f.; Simon 2008a: 23). Abbildung 5: Krankenhausbetten im europäischen Vergleich (1997–2008)

Quelle: Europäische Kommission 2011b. Bedeutung der Entwicklung für die Beschäftigten Die Entwicklung der Kennzahlen des Krankenhaussektors zeigt auf, in welchem Umfang die Wandlungs- und Veränderungsprozesse in der Branche wirken.140 Insbesondere das Zusammenspiel aus Liegezeit-, Fallzahlen- und Personalent-wicklung deutet auf die gleichzeitig einhergehenden Auswirkungen auf die Ar-beitsbedingungen hin.141 Die Verkürzung der Verweildauer,142 durch gesteigerte

140 Diese quantitativen Merkmale können für sich allein aber nur bedingt als Indikatoren für eine Ökonomisierung oder negative Entwicklung herangezogen werden, wie Braun (2009: 125) kritisch anmerkt. 141 Ohne qualitative Untersuchungen lassen sich daher zunächst nur Tendenzen in Bezug auf die Auswirkungen der Entwicklung darstellen. Bislang fehlen umfassende empirische Begleitforschun-gen zur Entwicklung der Versorgungsqualität. Die vorhandene Literatur beschäftigt sich, wenn sie über eine reine Auflistung und Darstellung von Entwicklungen und Gesetzesreformen hinausgehen, vornehmlich mit den Auswirkungen auf die Einnahmen- und Ausgabenseite von GKV und Kranken-haus. Rückwirkungen auf Beschäftigte und Arbeitsbedingungen werden hingegen zumeist ausge-klammert. Eine Ausnahme bildet, neben kürzeren Artikeln und Analysen, die aktuelle sowohl quali-tativ wie quantitativ angelegte, empirische Studie „Pauschalpatienten, Kurzlieger und Draufzahler“ aus dem Bereich der Public Health Forschung von Braun et al. (2010). Diese beschäftigt sich mit den Auswirkungen der DRG-Einführung auf Versorgungsqualität, Berufsgruppen, Arbeitsbedingungen

EU27; 561,9EU15; 534,8

Frankfreich ; 684,8

Deutschland; 821,3

GB; 336,7

Finnland; 653,8

Norwegen; 354300

400

500

600

700

800

900

1.000

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008

Bet

ten

pro

100.

000

Ein

woh

nern

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Effizienz sowie mit dem Ziel, die realen Kosten im Rahmen der Fallpauschalen niedrig zu halten, wirkt auf die Patienten und die Berufsgruppen die diese umset-zen müssen.143 Hinzu kommen die stark ansteigenden Fallzahlen, aus ökonomi-scher Sicht „ein deutliches Zeichen einer Effizienzsteigerung“ (Augurzky et al. 2009: 8). Aus Sicht der Beschäftigten intensiviert sich die Arbeitsbelastung er-heblich. Besonders betroffen ist das Pflegepersonal, das sich nicht nur um mehr Patienten parallel kümmern muss, sondern gleichzeitig einem massiven Stellen-abbau unterliegt (vgl. Kapitel 2.2.3). Diese aus ökonomischer Perspektive sinn-vollen erscheinenden Veränderungen wirken gleichermaßen direkt auf den Ar-beitsalltag der Ärzte. Eine niedrigere Verweildauer bedeutet für diese Berufs-gruppe, dass im selben Zeitraum mehr Fälle behandelt werden müssen. Damit einher geht eine Arbeitszeitverdichtung, welche die generell bereits hohe Ar-beitsbelastung weiter verschärft. Dies ist ein Faktor der die erhebliche Unzufrie-denheit der Ärzte mit ihrer Arbeitssituation hervorruft (vgl. Kapitel 3.3.4). Wei-ter beschleunigt werden die geschilderten Entwicklungen durch die zunehmende Privatisierung von Kliniken. 2.2.2 Privatisierung Mit der Verschlankung des Staates im Zuge des New Public Management wer-den in zunehmendem Maße öffentliche Krankenhäuser privatisiert (vgl. Kapitel 2.1.2).144 Begründet wird dieser Trend mit steigenden Kosten auf der Betriebs- wie Investitionsseite bei gleichzeitig defizitären Landes- und Kommunalhaushal-ten. Die wirtschaftlich schlechte Lage vieler Kliniken erzeugt zusätzlichen

und die Kooperationen zwischen den Beschäftigten im Krankenhaus. Sie deutet beispielsweise, wie auch einzelne qualitative Studien, die diesen Themenbereich streifen, auf eine Absenkung der Quali-tät zum Beispiel durch Überlastung der Pflegekräfte hin (vgl. Simon 2008a: 23f.). 142 Einschränkend sei angemerkt, dass eine Verkürzung der Liegezeit nicht generell negative Auswir-kungen hat. Der lange Zeit aufgrund der Abrechnung nach Tagessätzen (vgl. Kapitel 2.1) bestehende Anreiz einer möglichst langen Verweildauer kann genauso negative Auswirkungen auf Patienten haben (z.B. psychische Probleme) wie eine stark verkürzte Liegezeit. Diese kann dazu führen, dass Patienten blutig entlassen werden (der Heilungsprozess noch nicht vollständig abgeschlossen ist, wodurch gleichzeitig Kosten vom Krankenhaus auf die nachsorgenden Institutionen verschoben werden) (vgl. Braun 2009: 119; Niermann 2007: 923). 143 „Ökonomisierungsbedingt versuchen die Krankenhäuser, die Verweildauer zu senken, damit geht einher, dass stärker auf ärztliche Leistungen Wert gelegt werden muss als auf Pflege“ (Interview DKG (1) vom 15.07.2009, Personalwesen Krankenhaus). 144 Die These, dass die Wandlungsprozesse im Krankenhaus im „Kontext einer umfassenden Moder-nisierung des öffentlichen Sektors“ (ebd.: 17) stehen, vertritt beispielsweise Ingeborg Löser-Priester (2003). Sie untersucht in einer Studie am Beispiel der Krankenhäuser im Main-Kinzig-Kreis wie Privatisierung und Modernisierung die Arbeitsbedingungen und Organisationsstruktur in den Klini-ken verändert haben. Ihr besonderes Interesse gilt dabei der Frage nach Ausmaß, Stellenwert und Möglichkeit der Partizipation der Beschäftigten. Sie fragt zugleich nach der Beteiligung von Gewerk-schaft und Betriebsrat.

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Druck. Die Entlastung der öffentlichen Haushalte scheint aber nicht der einzige Anreiz dafür zu sein, nicht selbsttragenden Krankenhäusern zu veräußern. So stellen etwa Schulten und Böhlke (2009: 97) fest:

„Die Privatisierung erscheint umso attraktiver, als es privaten Krankenhauskonzernen oft ge-lungen ist, aus ehemals defizitären öffentlichen Krankenhäusern rentable Unternehmen zu ma-chen.“

Bevor das Phänomen der Privatisierung quantitativ beleuchtet wird, sollen zu-nächst deren unterschiedliche Formen typisiert werden. Denn neben dem voll-ständigen Verkauf einer Klinik an einen privatwirtschaftlichen Betreiber, sind andere Privatisierungsformen anzutreffen und für das Gesamtphänomen von Bedeutung. Grundsätzlich können drei Typen unterschieden werden, bei denen nur der letzte gleichzeitig einen Wechsel der Trägerschaft bedeutet: die formelle, die funktionale und die materielle Privatisierung.

Die formelle Privatisierung ist der am häufigsten vorzufindende Typ. Bei dieser Organisationsprivatisierung nimmt die öffentliche Hand weiterhin den Versorgungsauftrag wahr, überführt den Krankenhausbetrieb jedoch in eine privatrechtliche oder eine selbstständig öffentlich-rechtliche Form. Damit wech-selt zwar die Rechtsform, nicht aber der Träger der Klinik. Diese befindet sich weiterhin im Besitz der öffentlichen Hand (vgl. Löser-Priester 2003: 49). Den-noch ergeben sich aus Sicht der Kommunen – die in den meisten Privatisierungs-fällen die öffentlichen Träger sind – mindestens zwei Vorteile: Zunächst einmal sind sie nicht mehr in voller Höhe mit ihrem kommunalen Haushalt für ein defi-zitäres Wirtschaften des Krankenhauses haftbar, denn der Träger haftet nur noch bis zur Höhe seiner Einlagen (vgl. Simon 1997: 7). Zusätzlich kann auf diese Weise die „politische Verantwortung für die Krankenhäuser […] weitgehend abgestreift werden“ (Löser-Priester 2003: 50). Für Misswirtschaft sowie wirt-schaftliches und ethisches Fehlverhalten können die Geschäftsführung oder der Vorstand verantwortlich gemacht werden. Denn diese agieren eigenständig und „weitgehend unabhängig vom Einfluss politischer Entscheidungsträger“ (Schulten/ Böhlke 2009: 101). Für die betroffenen Krankenhäuser bringt die Organisationsprivatisierung Vor- und Nachteile mit sich. Einer größeren Ent-scheidungsautonomie des Krankenhausmanagements auf der einen Seite steht eine einseitige Abwälzung der finanziellen Risiken zu Lasten der Kliniken auf der anderen Seite entgegen. Weil diese selbst für Defizite aufkommen müssen, steht eine mögliche Insolvenz stets drohend im Hintergrund (vgl. Simon 1997: 7, 38). Infolge der formellen Privatisierung teilt sich die Krankenhauslandschaft nicht nur in öffentliche, private und freigemeinnützige Trägerschaft. Vielmehr differenziert sich außerdem der Bereich der öffentlichen Trägerschaft aus. Neben den öffentlich-rechtlich unselbstständigen Krankenhäusern finden sich zuneh-

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mend privatrechtliche öffentliche und öffentlich-rechtlich selbstständige Klini-ken. Die Statistik zeigt, dass bei der formellen Privatisierung zumeist eine privat-rechtliche und nicht eine öffentlich-rechtlich selbstständige Rechtsform gewählt wird (vgl. Tabelle 5).

Eine weitere Privatisierungsvariante ist die funktionale Privatisierung. Hierbei verbleibt die generelle Zuständigkeit und Verantwortung für Aufgaben und Betrieb des Krankenhauses bei der öffentlichen Hand. Zugleich wird jedoch die Ausführung von bestimmten Aufgaben und Dienstleistungen auf Akteure aus dem privatwirtschaftlichen Bereich übertragen. Diese Aufgabenprivatisierung stellt demnach eine Art des Outsourcings dar, bei der die Vergabe der Aufgaben entweder extern an eine Fremdfirma oder intern an ein rechtlich eigenständiges Tochterunternehmen erfolgt (vgl. Schulten/ Böhlke 2009: 103). Im Kranken-hausbereich sind von dieser Form vornehmlich die nicht medizinisch-pflegerischen Bereiche wie Reinigung, Wäscherei, Küche sowie Werkstätten und Labor betroffen (vgl. Simon 1997: 39f.; Löser-Priester 2003: 105).

Die meiste Beachtung in der Öffentlichkeit aber auch in der wissenschaftli-chen Betrachtung findet hingegen die materielle Privatisierung. Sie bedeutet schließlich den vollständigen Rückzug der öffentlichen Hand als Träger eines Krankenhauses. Es handelt sich um eine Aufgaben- und Vermögensprivatisie-rung, in deren Verlauf eine Klinik zu einem privat geführten Unternehmen um-gestaltet beziehungsweise an eine private Klinikkette veräußert wird. Nach dem Beginn der Privatisierungswelle in den 1990er-Jahren145 hat sich die materielle Privatisierung im neuen Jahrtausend rasant weiterentwickelt. Über die quantitati-ve Kontinuität hinaus ist eine neue Qualität erkennbar. Waren zu Beginn vor allem kleine (Spezial)Kliniken betroffen, werden jetzt zunehmend größere Klini-ken bis hin zu Universitäts-Krankenhäusern von privaten Unternehmen aufge-kauft.146 Allein von 2004 bis 2010 stieg die Anzahl privater Allgemeinkliniken mit mehr als 500 Betten von 18 auf 28 an. Gleichzeitig hat die Zahl der durch-schnittlichen Betten je privater Einrichtung seit 2002 von 92 auf 125 im Jahr 2010 zugenommen (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 13, Tab. 1.4; 14, Tab. 2.1.1). Diese Entwicklung deutet einen „Strukturwandel des privaten Kranken-haussektors weg von kleinen Beleg- und Fachkliniken hin zu allgemeinen Kran-kenhäusern, die Teil eines Klinikkonzerns sind“ an (Wörz 2008: 150). Mit der steigenden Zahl an Privatisierungen geht daher eine Konzentration auf dem pri- 145 Anfangs waren die neuen Bundesländer stärker von Privatisierungen betroffen (vgl. Interview DAG (2) vom 15.07.2010, Bundesverband, Hauptamt). 146 Vgl. Interview DAG (2) vom 15.07.2010, Bundesverband, Hauptamt. Das bekannteste Beispiel ist das Universitäts-Klinikum Gießen-Marburg, das 2006 an die Rhön Kliniken AG verkauft wurde. Es ist das weltweit erste Beispiel einer privat betriebenen Uni-Klinik. Bisher waren die privatisierten Uni-Kliniken anschließend in allgemeine Krankenhäuser umgewandelt worden (vgl. Hanschur/ Böhlke 2009: 141).

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Branche: Krankenhauslandschaft im Wandel 89

vaten Krankenhausgesundheitsmarkt einher, den zunehmend große Ketten domi-nieren und prägen (vgl. Augurzky et al. 2009: 10).147 Tabelle 4: Klinikkonzerne nach Größe (2010) Krankenhauskonzern Umsatz

in Mrd. € Anzahl Akut- und Rehakliniken

Anzahl Betten(Akut + Reha)

Mitar-beiter

Rhön Kliniken AG 2,55 53 (+33 MVZ) 14.169 + 1.362 38.058 Helios Kliniken GmbH (Frese-nius)

2,52 64 (+4 PE +29 MVZ) 15.097 + 3.367 25.832*

Asklepios Kliniken GmbH 2,31 68 + 26 (+3 PE +9 MVZ) 18.501 26.917* Sana Kliniken AG 1,485 43 (+12 PE +18 MVZ) 8.516 22.483 MediClin AG 0,487 34 (+7 PE +10 MVZ) 8.000 8.000 Damp Holding AG 0,487 11 (+3 PE +7 MVZ) 2.653 + 1.492 7.900 AMEOS 0,413 (o.J.) 18 (+10 PE +20 PSY) 5.300 6.900 Paracelsus-Kliniken Deutsch-land GmbH & Co KGaA

0,335 31 (+9 MVZ) 2.105 + 2.041 4.999

Gesamt 10,587 348 82.603 141.089

* Vollkräfte; MVZ=Med. Versorgungszentren, PE=Pflegeeinrichtungen, PSY=Psychiatrische E.. Quellen: Geschäftsberichte/ Webseiten der Konzerne; Eigene, aktualisierte Darstellung nach Schroe-

der et al. 2008: 119; Reschke 2010: 153. Auf die oben dargestellten acht größten privaten Klinikketten entfielen 2010 mit 348 mehr als die Hälfte der 680 privaten Krankenhäuser. 2003 besaßen diese Klinikkonzerne zusammen lediglich 221 Krankenhäuser. Drei Jahre darauf wa-ren es bereits 292. Noch deutlicher zeigt sich die Konzentration in den Betten- und Personalzahlen (vgl. Stumpfögger 2007: 9). Die Deutsche Krankenhausge-sellschaft (DKG) konstatiert einerseits eine Abschwächung des Privatisierungs-trends in den letzten Jahren. Die Klinikketten müssten sich nach ihrem starken Wachstum zunächst einmal konsolidieren. Andererseits prognostiziert sie aber zukünftig wieder eine Zunahme von Privatisierungen in Folge der kommunalen Haushaltslage.148 Bereits jetzt lässt sich anhand der Statistik ein nachhaltiger Effekt in Form einer Verschiebung innerhalb der Krankenhauslandschaft feststel-len.

In den vergangenen 20 Jahren nahm die Anzahl der privaten Kliniken kon-tinuierlich zu. Während 1991 gerade einmal 359 private Krankenhäuser existier-ten,149 waren es im Jahr 2010 bereits 679. Damit kamen die privaten Kliniken zuletzt auf einen Anteil an der gesamten Krankenhauslandschaft von 32,9 Pro-zent. Die Krankenhausbranche zerfällt daher in drei annähernd gleich große 147 Wörz (2008: 154) weist darauf hin, dass diese Konzentrationstendenz nicht auf die privaten Klini-ken beschränkt ist. Auch freigemeinnützige und öffentliche Krankenhäuser würden sich vermehrt in Verbünden zusammenschließen. 148 Vgl. Interview DKG (2) vom 15.07.2009, Bundesebene, Hauptamt. 149 Damit waren 14,8 Prozent der 2.411 Kliniken im Jahr 1991 in privater Trägerschaft.

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Teile, unter denen die öffentlichen Krankenhäuser – in ihren unterschiedlichen rechtlichen Formen – nur noch den kleinsten Anteil von 30,5 Prozent ausma-chen. Die Zahl der freigemeinnützigen Einrichtungen geht gleichfalls zurück.150 Dennoch entfiel infolge des generell anhaltenden Krankenhausrückgangs im Jahr 2010 immer noch ein Gesamtanteil von 36,6 Prozent auf die freigemeinnützigen Kliniken.151 Die meisten Kliniken befinden sich demnach weiterhin im freige-meinnützigen Trägerbereich (vgl. Tabelle 5). Tabelle 5: Krankenhäuser nach Trägerschaft (1991–2010)

Quelle: Statistisches Bundesamt 2011b: 13, Tab. 1.4; Eigene Berechnungen. Diese annähernd paritätische Verteilung zwischen den drei Trägergruppen löst sich auf, wenn statt der Klinikanzahl die Zahl der Betten als Ausgangsmerkmal genommen wird. Deren Zahl ist, wie oben gezeigt, stärker als die Anzahl der Krankenhäuser zurückgegangen. Die Verschiebung zwischen den Trägern ist 150 Die Zahl freigemeinnütziger Krankenhäuser sank um 19,9 Prozent von 943 (1991) auf 755 (2010). 151 Klute verweist in diesem Zusammenhang auf das Subsidiaritätsprinzip. Die freigemeinnützige Trägerschaft sei am Weitesten verbreitet, weil diese grundsätzlich "beim Betrieb sozialer Einrichtun-gen den Vorrang vor Kommunen und Ländern" hat (Klute 2009: 182). Hinzu kommt die historische Genese der Krankenhäuser aus der christlichen Tradition der Armen- und Krankenfürsorge (zum Spital- und Hospitalwesen vgl. bspw. Friedrich et al. 2004; Watzka 2005).

Jahr Insg. Privat Freigemeinnützig ÖffentlichAnzahl in% Anzahl in % Insg. privat-

rechtlichrechtlich

selbstständig unselbsst. 1991 2.411 358 14,8 943 39,1 1.110

-

1992 2.381 369 15,5 950 39,9 1.0621993 2.354 381 16,2 950 40,4 1.0231994 2.337 401 17,2 949 40,6 9871995 2.325 409 17,6 944 40,6 9721996 2.269 407 17,9 929 40,9 9331997 2.258 420 18,6 919 40,7 9191998 2.263 453 20,0 920 40,7 8901999 2.252 468 20,8 930 41,3 8542000 2.242 486 21,7 912 40,7 8442001 2.240 512 22,9 903 40,3 8252002 2.221 527 23,7 877 39,5 817 231 121 465 2003 2.197 545 24,8 856 39,0 796 245 120 431 2004 2.166 555 25,6 831 38,4 780 287 122 371 2005 2.139 570 26,6 818 38,2 751 332 140 279 2006 2.104 584 27,8 803 38,2 717 367 130 220 2007 2.087 620 29,7 790 37,9 677 380 136 161 2008 2.083 637 30,6 781 37,5 665 384 144 137 2009 2.084 667 32,0 769 36,9 648 383 148 117 2010 2.064 679 32,9 755 36,6 630 368 143 119

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jedoch nicht so ausgeprägt, wie die Entwicklung in der Trägerschaft der Kliniken vermuten lässt. Mit 244.254 Betten im Jahr 2010 verfügen die öffentlichen Ein-richtungen immer noch über 48,6 Prozent aller Krankenhausbetten (im Jahr 2002 lag ihr Anteil bei 54,5 Prozent). Die privaten Krankenhäuser stellen mit 32,9 Prozent somit zwar ein Drittel der Krankenhauslandschaft, aber erst 16,9 Prozent der Krankenhausbetten152 (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 13, Tab. 1.4). Für die Versorgungssituation nehmen die öffentlichen Einrichtungen damit immer noch einen weitaus größeren Stellenwert als die privaten Kliniken ein.

Hintergrund dieser Bettenverteilung zwischen den Krankenhausträgern ist, dass die Privatisierung lange Zeit vor allem ein Phänomen war, das kleine Klini-ken betraf und erst in den letzten Jahren zunehmend die großen Krankenhäuser und Unikliniken erreicht. Auf lange Sicht wird sich das Verhältnis in der gesam-ten Krankenhauslandschaft weiter zu Gunsten der privaten Kliniken verschieben. 2002 verfügten private Krankenhäuser im Durchschnitt über 92 Betten. Die öf-fentlichen Einrichtungen kamen dagegen auf 365 Betten und die freigemeinnüt-zigen Kliniken auf 229 Betten. Während die Bettenzahl bei öffentlichen und freigemeinnützigen Häusern mit 388 respektive 230 Betten bis 2010 annähernd gleich blieb, nahm sie in privaten Krankenhäuser um fast 35,9 Prozent auf 125 Betten zu (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 13, Tab. 1.4). Dieser Trend wird mit der zunehmende Privatisierung großer Kliniken anhalten. Nach dem Uni-Klinikum Gießen-Marburg ist mit der Universitätsklinik Kiel bereits der nächste Verkauf, dieses Mal durch das Land Schleswig-Holstein, im Gespräch (vgl. Ärzte Zeitung 2011).

Tabelle 6: Beschäftigte in Krankenhäuser nach Trägerschaft (2010) Personal Insg. Privat Freigemeinnützig Öffentlich

Anzahl in% Anzahl in % Insg. privat-recht-

lich

rechtlich selbst-ständig

un-selbst-ständig

Vollkräfte im JahresdurchschnittÄrztliches P. 134.079 19.623 14,6 39.245 29,3 75.211 35.694 28.450 11.068 Pflegepersonal 304.708 47.194 15,5 99.051 32,5 158.462 84.104 49.268 25.090 Übriges nicht-ärztliches P. 372.942 51.920 13,9 107.287 28,8 213.736 95.502 85.678 32.556

Anzahl Beschäftigte am 31.12Ärztliches P. 148.696 21.592 14,5 43.800 29,5 83.304 39.591 30.665 13.048 Nichtärztliches Personal 888.314 125.305 14,1 279.211 31,4 483.798 234.293 171.703 77.802

Quellen: Statistisches Bundesamt 2011b: 24, 36, 46; Tab. 2.3.1.1, 2.5.1, 2.6.1; Eigene Berechnungen.

152 Von 502.749 Betten im Jahr 2010 entfielen 85.038 auf private Krankenhäuser.

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Eine ähnlich disparate Verteilung wie zwischen Krankenhaus- und Bettenzahl finden sich bei den Beschäftigtengruppen. Bezogen auf Vollzeitäquivalente153 entfällt der überwiegende Anteil sowohl im Ärztlichen wie nichtärztlichen Dienst weiterhin auf die Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft. 56,1 Pro-zent des Ärztlichen Dienstes, 52 Prozent des Pflegepersonals und 57,3 Prozent des übrigen nichtärztlichen Dienstes arbeiteten 2010 in öffentlichen Krankenhäu-sern. Auf die privaten Kliniken dagegen entfielen nur 14,6 Prozent des Ärztli-chen Dienstes, 15,5 Prozent im Pflegedienst und 13,9 Prozent der übrigen Be-schäftigten. Gleiches wie für die Vollzeitäquivalente gilt für die tatsächliche Anzahl der Beschäftigten (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b; Tabelle 6).154 Folglich bilden die öffentlichen Krankenhäuser nach wie vor den entscheidenden Rahmen für die Arbeitsbedingungen der Ärzteschaft.

„Krankenhäuser in privater Trägerschaft werden in der Öffentlichkeit meist dann wahrgenom-men, wenn sie ein nicht-privates, meist öffentliches Krankenhaus übernehmen“ (Augurzky et al. 2009: 7).

Obschon die öffentliche Aufmerksamkeit und Resonanz in Fällen einer materiel-len Privatisierung besonders groß ist, wird das Ausmaß der Privatisierung in der Krankenhausbranche nur deutlich, wenn die materielle und die formelle Form zusammen betrachtet werden. Von 1991 bis 2010 ist die Zahl der öffentlichen Einrichtungen um 43,2 Prozent von 1.110 auf 630 gesunken. Von diesen öffent-lichen Klinken waren bereits 58,4 Prozent in eine privatrechtliche Form über-führt worden. Und von den verbleibenden 262 Krankenhäusern in öffentlicher Rechtsform waren 143 (54,6 Prozent) rechtlich selbstständig. Somit verblieben im Jahr 2010 nur 119 rechtlich unselbstständige öffentliche Kliniken (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 13, Tab. 1.4; Tabelle 5). Die Entwicklung spie-gelt sich in der Verteilung der Beschäftigten wider. Bezogen auf die Beschäftig-tengruppen in öffentlichen Krankenhäusern zeigt Tabelle 6, dass in allen Berei-chen im Jahr 2010 nur noch 16 Prozent der Beschäftigten in rechtlich unselbst-ständigen Kliniken angestellt waren. Für etwa die Hälfte der Angestellten in öffentlichen Krankenhäuser bestimmt gleichzeitig ein durch eine privatrechtliche Form bereits stärker ökonomisch geprägtes Management die Arbeitsbedingungen (vgl. ebd.: 36, 46; Tab. 2.5.1, 2.6.1; Tabelle 6).

153 Umrechnung des Gesamtarbeitsvolumens (tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden) auf Vollzeitar-beitskräfte. 154 Zur Entwicklung der Beschäftigung vgl. das folgende Kapitel.

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Bedeutung der Entwicklung für die Beschäftigten Die Folgen der zunehmenden Privatisierungen sind vielfältig. Zunächst konsta-tiert Klute (2009: 183), dass private Krankenhäuser generell einer anderen Hand-lungslogik folgen als öffentliche und freigemeinnützige Kliniken. Der Bedarfs-deckung oder dem gemeinwohlorientierten Handeln steht bei privaten Trägern die Logik der Gewinnmaximierung gegenüber. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass als eine der treibenden Kräfte hinter dem Wandel der Arbeitsbedingungen die Ökonomisierung steht. Sie ist von der Privatisierung insoweit unabhängig, als dass sie durch den Wandel der Staatstätigkeit in Form von Wettbewerb und Budgetdeckelung vorangetrieben wird. Die Finanzierungs- und Abrechnungsän-derungen von Krankenhausleistungen betreffen alle Krankenhausträger.

Die Handlungslogik von freigemeinnützigen und öffentlichen Kliniken ver-schiebt sich daher sukzessive in Richtung der privatwirtschaftlichen Logik (vgl. ebd.: 184). Die Umgestaltung der ökonomischen Rahmenbedingungen sorgt dafür, dass sich insbesondere die öffentlichen Krankenhäuser in privatrechtlicher Form in vielen Aspekten den privaten Kliniken annähern. „Die Unternehmens-führung der öffentlichen Krankenhäuser wird jener der privaten Krankenhäuser angeglichen“ (Noweski 2008: 147). Hintergrund dafür ist, dass die „private Rechtsform [...] die Nutzung verschiedener Einsparmöglichkeiten, meist zu Las-ten der Beschäftigten [erlaubt], die den rechtlich unselbstständigen öffentlichen Krankenhäusern zunächst gar nicht offenstanden“ (Böhm/ Henkel 2009). So weist Löser-Priester (2003: 51) auf eine Gefährdung der Mitbestimmungsrechte hin. Öffentliche Kliniken die in eine privatrechtliche Form überführt werden könnten etwa mit Verweis auf „karitative Zielsetzungen (sog. Tendenzschutz) […] nicht mehr in den Geltungsbereich des MitbestG“ fallen. Das Betriebsver-fassungsgesetz würde dann für diese Klinik keine Anwendung mehr finden. Zum anderen können diese Krankenhäuser aus dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst ausscheiden. Denn Kliniken in privatrechtlicher Form würden nur dann weiterhin unter den TVöD fallen, wenn sie selbst Mitglied im kommunalen Ar-beitgeberverband sind. Gleiches gilt parallel für den arztspezifischen Tarifvertrag des Marburger Bundes.

Mit vollprivatisierten Klinken müssen ohnehin Haustarifverträge abge-schlossen werden, sofern sie nicht unter einen bestehenden Konzerntarifvertrag fallen. Die Privatisierung bei gleichzeitiger Lösung aus der Tarifbindung kann daher ein Instrument sein, um die Personalkosten zu senken, die den größten Teil der laufenden Betriebskosten eines Krankenhauses ausmachen (vgl. Löser-Priester 2003: 50). Die Daten von Augurzky et al. (2009: 14) zeigen, dass dies tatsächlich geschieht: 2006 lag der Anteil der Personalkosten bei privaten Klini-ken mit 57,4 Prozent etwa 13 Prozentpunkte unter dem Anteil bei freigemeinnüt-

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zigen oder öffentlichen Krankenhäusern (69,2 Prozent beziehungsweise 70,8 Prozent). Diesen Unterschied erklären die Autoren wie folgt (ebd.: 13):

„Dies resultiert wohl erstens daraus, dass die Krankenhäuser in privater Trägerschaft bevorzugt Haustarifverträge abschließen und nicht an die starren Regeln des TVöD gebunden sind. Dies ermöglicht eine verstärkt leistungs- und erfolgsorientierte Vergütung. Zweitens dürften private Anbieter mehr auf Outsourcing setzten [...].Schließlich besteht drittens zum Teil durch eine deutlich effizientere Organisation weniger Personalbedarf.“

Ein Vergleich mit den Daten von 2010 zeigt in diesem Bereich ebenfalls eine deutliche Angleichung zwischen den Trägerformen. Der Anteil von Personalkos-ten ist bis 2010 in privaten Krankenhäusern nur marginal auf 57,3 Prozent zu-rückgegangen. Er lag damit weiter unter dem Anteil bei freigemeinnützigen und öffentlichen Krankenhäusern. Deren Anteil fiel allerdings mit 60,7 beziehungs-weise 61,4 Prozent nur noch geringfügig höher aus (vgl. Statistisches Bundesamt 2011c: 11, Tab. 2.1).

Eine weitere Auswirkung auf die Beschäftigten besteht in der zunehmende Arbeitsbelastung. Diese lässt sich ebenfalls nicht nur in privaten Häusern fest-stellen.155 Die Personalfallbelastungszahlen156 je Vollkraft im Ärztlichen Dienst im Jahr 2010 lagen in privaten Kliniken bei 146 Fällen. Etwas höher fiel die Belastung nicht nur in freigemeinnützigen Kliniken (158 Fälle), sondern mit 148 Fällen auch in öffentlichen Krankenhäusern in privatrechtlicher Form aus.157 Dagegen konnten für die öffentlich-rechtlich unselbstständigen Krankenhäusern nur 116 Fälle und für die rechtlich selbstständigen Kliniken sogar nur 85 Fälle verzeichnet werden (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 34, Tab. 2.4.2; vgl. auch Klute 2009: 193).158

Die Annäherung zwischen den drei Krankenhausträgergruppen, sowohl was die Kosten- und Organisationsstrukturen, die zunehmende Managementorientie- 155 Einen privatisierungskritischen, insbesondere auf die Folgen für die Beschäftigten gerichteten Betrachtungswinkel nimmt der Sammelband von Böhlke et al. (2009) „Privatisierung von Kranken-häusern. Erfahrungen und Perspektiven aus Sicht der Beschäftigten“ ein. Hier werden an konkreten Fallbeispiel Privatisierungsverläufe nachgezeichnet und die gewerkschaftlichen Handlungsstrategie und Mitgestaltungsmöglichkeiten bei Krankenhausprivatisierungen hinterfragt. 156 Anzahl der durchschnittlich zu versorgenden Fälle je Vollkraft pro Jahr. 157 Aus ökonomischer Sicht wird eine Zunahme der Belastung teilweise bestritten: „Es ist nicht zu vermuten, dass die höhere Produktivität mit einer höheren Arbeitsbelastung einhergeht. Durch effizi-entere Abläufe reduziert sich gleichzeitig der Arbeitsbedarf“ (Augurzky et al. 2009: 14). Qualitative Untersuchungen unter Krankenhausbeschäftigten weisen aber eher in die andere Richtung (für den Pflegebereich vgl. bspw. Bartholomeyczik 2010: 217f.). 158 Das Gleiche trifft auf den Pflegebereich zu. Die öffentlichen privatrechtlichen Krankenhäuser lagen mit einer Belastung von 63 Fällen gleichauf mit den freigemeinnützigen Kliniken und leicht über den privaten Krankenhäusern mit 61 Fällen je Pflegevollkraft. Rechtlich unselbstständige öf-fentliche Krankenhäuser lagen dagegen 2010 bei 51 Fällen und rechtlich selbstständige bei 49 Fällen (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 34, Tab. 2.4.2).

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rung als auch die Arbeitsbedingungen und -belastungen betrifft, ist eine wichtige Erkenntnis. Aus dieser Homogenisierung kann auf eine umfassende Betroffen-heit aller Krankenhausärzte von den Umweltveränderungen geschlossen werden. Als Erklärung sei, aus neoinstitutionalistischer Perspektive, an dieser Stelle auf das Konzept des Isomorphismus verwiesen (vgl. Wörz 2008: 41-44). Da sich Organisationen an ihre Umwelt anpassen,159 ist davon auszugehen, dass unter gleichen oder ähnlichen Umweltbedingungen, wie sie in Form des gesetzlichen Rahmens im Krankenhaussektor vorliegen, die Homogenität zwischen den Or-ganisationen zunimmt: „units subjected to the same environmental conditions, or to environmental conditions as mediated by a given key unit, acquire a similar form of organization“ (Hawley 1968: 334; vgl. auch DiMaggio/ Powell 1983: 149ff.).

2.2.3 Beschäftigtenentwicklung Bereits die dargestellten Entwicklungen der letzten Jahrzehnte (Verkürzung der Verweildauer, Erhöhung der Fallzahlen) weisen darauf hin, dass die Ökonomi-sierung sich auf die Arbeitsbedingungen der Krankenhausbeschäftigten auswirkt. Dies wird umso deutlicher, wenn die Personalentwicklung berücksichtigt wird. Zwischen 1991 und 2010 unterlag die Gesamtzahl der Beschäftigten zwar leich-ten Schwankungen, blieb aber in etwa bei einer Größenordnung von 1,1 Millio-nen. Dabei ist allerdings eine gegenläufige Entwicklung zwischen den verschie-denen Dienstarten festzustellen. Während die Zahl der Ärzte von knapp 109.072 auf 148.696 anstieg (+ 36,3 Prozent)160, wurde das nichtärztliche Personal von einer Millionen auf etwas über 964.000 abgebaut (- 3,8 Prozent).

Besonders betroffen ist der Pflegedienst. Wenngleich 2010 die absolute Zahl der Pflegekräfte höher lag als 1991, war bezogen auf die Vollkräfte ein deutlicher Abbau festzustellen (- 6,6 Prozent). Mit einem Rückgang von insge-samt 15 Prozent in der Zeit von 1995 bis 2007 fiel der massivste Einschnitt in die

159 Damit wird nicht impliziert, dass Organisationen nicht gleichzeitig umgekehrt Einfluss auf die Umwelt ausüben (können). Aber je besser eine Organisation in ihre Umwelt passt (unabhängig davon, ob sie an diese gebunden ist, sich einfach eine andere Umwelt suchen oder diese frei mitge-stalten kann), umso effizienter kann sie ihre Aufgaben erfüllen. Damit erhöht sich auf lange Sicht die Beständigkeit ihrer Organisation und damit ihr Überleben. „Organizations that incorporate societally legitimated rationalized elements in their formal structures maximize their legitimacy and increase their resources and survival capabilities“ (Meyer/ Rowan 1991: 53). 160 Umgerechnet auf Vollkräfte wuchs der ärztliche Dienst von 1991 bis 2010 sogar um 40,8 Prozent. Diese Zunahme stellt im europäischen Vergleich keinen Sonderfall dar. Von 1991 bis 2009 ist die Zahl der Ärzte pro 100.000 Einwohner in der Bundesrepublik von 275,4 auf 364,1 gestiegen und liegt damit im EU Durchschnitt (von 267,9 auf 346,9). Niedrigere Zuwachsraten gab es etwa in Großbritannien (von 163,4 auf 270,2) und höhere in Österreich (von 307,1 auf 468,2) (vgl. Europäische Kommission 2010; Statistisches Bundesamt 2011b).

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Umstrukturierungsphase, in der Budgetdeckelung und Fallpauschalen eingeführt wurden.161 Die Zahlen verdeutlichen, dass im Personalbereich „offensichtlich eine Umverteilung zu Gunsten des Ärztlichen Dienstes“ stattfand, die noch im-mer anhält (Simon 2008a: 20). Von 1991 bis 2010 steigerte sich der Anteil der ärztlichen Beschäftigten am gesamten Personal kontinuierlich von 9,8 auf 13,4 Prozent. Standen einem Arzt 1991 noch 3,4 Pflegekräfte gegenüber, waren es 19 Jahre später lediglich noch 2,3.162 Tabelle 7: Ärztliches und nichtärztliches Personal (1991–2010) Jahr Insgesamt Ärztliches Personal Nichtärztliches Personal

Anzahl Verän-derung*

Vollkräfte*

Verän-derung*

Verän-derung*

Anzahl Pflege

Vollkräfte* Pflege

1991 1.111.625 109.072 - 95.208 - - 389.511 326.072 1992 1.124.666 111.115 + 1,9 97.673 + 2,6 + 1,1 399.915 331.301 1993 1.126.362 111.608 + 0,4 95.640 - 2,1 + 0,1 405.848 332.724 1994 1.138.221 114.208 + 2,3 97.105 + 1,5 + 0,9 417.272 342.324 1995 1.153.200 116.346 + 1,9 101.590 + 4,6 + 1,3 429.183 350.571 1996 1.142.179 117.922 + 1,4 104.352 + 2,7 - 1,2 427.271 349.423 1997 1.124.870 118.522 + 0,5 105.618 + 1,2 - 1,7 420.306 341.138 1998 1.116.308 119.831 + 1,1 107.106 + 1,4 - 1,0 419.284 337.716 1999 1.105.912 120.608 + 0,6 107.900 + 0,7 - 1,1 415.865 334.890 2000 1.100.471 122.062 + 1,2 108.696 + 0,7 - 0,7 414.478 332.269 2001 1.101.356 123.819 + 1,4 110.152 + 1,3 - 0,1 416.319 331.472 2002 1.112.421 126.047 + 1,8 112.763 + 2,4 + 0,9 417.282 327.384 2003 1.096.420 128.853 + 2,2 114.105 + 1,2 - 1,9 408.183 320.158 2004 1.071.846 129.817 + 0,7 117.681 + 3,1 - 2,6 396.691 309.510 2005 1.063.154 131.115 + 1,0 121.610 + 3,3 - 1,1 393.186 302.346 2006 1.064.377 133.649 + 1,9 123.715 + 1,7 - 0,1 392.711 299.328 2007 1.067.287 136.267 + 2,0 126.000 + 1,8 + 0,0 392.896 298.325 2008 1.078.212 139.294 + 2,2 128.117 + 1,7 + 0,8 396.221 300.417 2009 1.096.520 143.967 + 3,4 131.227 + 2,4 + 1,5 401.625 303.656 2010 1.112.959 148.696 + 3,3 134.079 + 2,1 + 1,2 406.269 304.708

* Veränderung zum Vorjahr in Prozent; Vollkräfte im Jahresdurchschnitt. Quellen: Statistisches Bundesamt 2011b: 11, 24, 50; Tab. 1.2, 2.3.1.1, 2.6.3.1; Eigene Berechnungen. Im internationalen Vergleich des Verhältnisses zwischen Stellen- und Bevölke-rungszahl findet sich Deutschland auf den hinteren Plätzen wieder.163 Hier zeigt sich, dass Länder mit bereits höherem Relationsniveau – wie die Schweiz, Kana-da oder Italien – ihre Personaldecke weiter ausbauen (vgl. Simon 2008a: 22f.). In

161 Der Zusammenhang von Gesetzesreformen, Budgetdeckelung und Kostenreduktion durch Perso-nalabbau wird an späterer Stelle im Detail aufgegriffen (vgl. Kapitel 2.4). 162 Das Ärzte-Pflegepersonal-Verhältnis bezieht sich auf Vollkräfte. Für den internationalen Ver-gleich s. bspw. Geissler et al. 2010: 35. 163 Dies trifft auf Basis der Beschäftigtenzahl und der Zahl der Vollzeitäquivalenzstellen zu.

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Deutschland hingegen haben Kostenreduktionen, die auf die Änderungen in der Krankenhausfinanzierung folgten, eine negative Personalentwicklung induziert (vgl. Kapitel 2.1.3).

Tabelle 8: Zusammensetzung der Personalkosten (2010) Personalgruppe Beschäftigte Personalkosten

Anzahl Anteil in % in 1.000 € Anteil in % Ärztlicher Dienst 148.696 13,4 13.901.239 29,3 Nichtärztlicher Dienst 964.263 86,6 33.562.139 70,7

Pflegedienst 406.269 36,5 15.150.485 31,9 Medizinisch-technischer Dienst 170.973 15,4 6.402.284 13,5 Funktionsdienst 116.631 10,5 4.631.966 9,8 Verwaltung 72.644 6,5 3.061.219 6,4 Wirtschafts- und Versorgungsdienst 54.563 4,9 1.612.720 3,4 Technische Dienst 18.697 1,7 871.250 1,8 Klinisches Hauspersonal 16.613 1,5 367.534 0,8 Sonderdienste 4.859 0,4 227.567 0,5 Sonstiges Personal 27.065 2,4 386.793 0,8 Schüler/Auszubildende 75.949 6,8 850.321 1,8

Gesamt 1.112.959 47.463.378

Quellen: Statistisches Bundesamt 2011b: 11, 50; Tab.1.2, 2.6.3.1; 2011c: 9; Eigene Berechnungen. Die Beschäftigtenzahlen sind in der Frage nach der Wirtschaftlichkeit eine wich-tige Variable für den Krankenhausbetrieb. Die Personalkosten waren 2010 mit 47,5 Milliarden Euro – im Vergleich zu Sachkosten in Höhe von 30,3 Milliarden Euro – für 60,6 Prozent der Gesamtausgaben verantwortlich. Der größte Anteil der Personalkosten entfällt immer noch auf den Pflegedienst (31,9 Prozent). Der ärztliche Dienst (29,3 Prozent) liegt aber weit vor der dritten Gruppe des medizi-nisch-technischen (13,5 Prozent) und der vierten Gruppe des Funktionsdienstes (9,8 Prozent). Damit entfallen insgesamt 70,7 Prozent der Personalkosten auf den nichtärztlichen Dienst, der zugleich 86,6 Prozent des gesamten Personals um-fasst. Anders ausgedrückt verursacht die Ärzteschaft mit einem Anteil von 13,4 Prozent an der Gesamtbeschäftigtenzahl 29,3 Prozent der Personalkosten164 (vgl. Statistisches Bundesamt 2011: Tab. 1.2; Rosenow/ Steinberg 2002: 384). Bedeutung der Entwicklung für die Beschäftigten Der Abbau im nichtärztlichen Dienst stellt sich in der Entwicklung der Vollkräf-te als noch dramatischer dar und beläuft sich auf fast 103.000.165 Der deutliche

164 Diese Tendenz ist steigend: 1996 verursachten die Ärzte bei einem Anteil von 10,4 Prozent an den Beschäftigten 20,7 Prozent der Personalkosten. 165 Von 1991 bis 2010 ging die Zahl der Vollkräfte im nichtärztlichen Dienst von 780.608 auf 677.650 zurück (-13,2 Prozent) (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 11, Tab. 1.2).

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Personalrückgang führt zu einer erhöhten Arbeitsbelastung durch Intensivierung, Verdichtung und Entgrenzung der Arbeit(szeit).166 2010 lag die Zahl der im Berichtsjahr zu versorgenden Fälle je Vollkraft im Pflegedienst bei 59, im Jahr 1991 waren es dagegen noch 45 (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 34, Tab. 2.4.2; Simon 2008b). Im Gegensatz zum nichtärztlichen Dienst steigt die Zahl der Krankenhausärzte.167 Die Entwicklung spricht nicht zuletzt dafür, dass das Krankenhaus als Arbeitsplatz wichtiger wird. Sie zeigt darüber hinaus, dass wei-terhin Ärzte gesucht werden, was prinzipiell deren Verhandlungsposition stärkt. Diese Position wird durch eine weitere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ge-stützt:168 Bereits seit einiger Zeit wird ein anhaltender Ärztemangel konstatiert. 2.2.4 Ärztemangel

„Ärztemangel. Krankenhäusern droht Notstand“ – so titelte die Süddeutsche Zeitung bereits im August 2003 (Balser 2003). Seitdem reißt die Diskussion um einen zusätzlichen Bedarf an Ärzten in Deutschland nicht ab. Medien, Bundes-ärztekammer, Marburger Bund und andere Ärzteverbände konstatieren einhellig, dass eine Erhöhung der Ärztezahl unvermeidlich sei. Die mediale Aufmerksam-keit richtete sich lange verstärkt auf die Versorgungslücken im Bereich der nie-dergelassenen Ärzte (vgl. bspw. Euler 2011).169 In letzter Zeit wird jedoch zu-nehmend ebenso die schwieriger werdende personelle Lage im Ärztlichen Dienst der Krankenhäuser thematisiert. Dabei erweist sich der Ärztemangel im Kran-kenhaussektor zunächst als scheinbar widersprüchliches Phänomen.

„Wir haben nämlich ein Paradoxon: Es arbeiten immer mehr Ärzte in Krankenhäusern und gleichzeitig gibt es immer mehr freie Stellen und der Ärztemangel wird immer größer“ (Frank Ulrich Montgomery).170

Obwohl die Zahl der Ärzte steigt, fehlt es an ärztlichen Fachkräften. Eine Analy-se aus der Statistikabteilung der Bundesärztekammer aus dem Jahr 2009 stand

166 „Immer mehr klagen, dass sie unter einer zunehmenden Arbeitsbelastung leiden.“ Neben der Arbeitszeitverdichtung wird eine „Arbeitszeitflexibilisierung zu Gunsten der Arbeitgeber“ kritisiert. Beides waren Gründe für die basisnahe ver.di Kampagne „Der Druck muss raus!“, die seit März 2011 in den Krankenhäusern läuft. Das Ziel der Kampagne besteht in einer nachhaltigen Verbesserung der Arbeitsbedingungen (Interview ver.di (4) vom 30.08.2011, Bundesverband, FB 3 Betriebs- und Branchenpolitik; vgl. auch ver.di o.J.c). 167 Diese sind dennoch von ähnlichen Entwicklungen in ihren Arbeitsbedingungen betroffen, worauf an späterer Stelle detailliert eingegangen wird (vgl. Kapitel 3.3.4). 168 Zur detaillierten Darstellung der Primär- und Arbeitsmarktmacht vgl. das folgende Kapitel. 169 Zentrales Thema sind besonders fehlende Hausärzte in ländlichen, bevölkerungsarmen Gebieten und in den strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands. 170 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesebene, Ehrenamt.

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daher unter dem Titel „Ärztemangel trotz steigender Arztzahlen – ein Wider-spruch, der keiner ist“ (Kopetsch 2009). Die zunehmende Zahl an Krankenhaus-ärzten muss mit den beschriebenen tiefgreifenden Strukturveränderungen der Krankenhausbranche im Zusammenhang gesehen werden. Diese bewirken eine steigende Nachfrage, die das Angebot an ärztlichen Fachkräften nicht annähernd decken kann. Der Mangel an ärztlichen Nachwuchskräften lässt sich an unter-schiedlichen Daten ablesen. Deutlich sichtbar wird dieser durch Stellenbeset-zungsschwierigkeiten in deutschen Krankenhäusern. An diesen wird deutlich, dass die Rekrutierung von Ärztenachwuchs zunehmen schwerer fällt und kurz-fristig kaum lösbar scheint. Noch 2006 gaben 28,4 Prozent der Krankenhäuser in der repräsentativen Befragung des Krankenhaus-Barometers171 an, offene Stellen im Ärztlichen Dienst zu haben. Bis 2009 stieg dieser Anteil auf 80 Prozent.172 Dieser Anstieg zeigt gleichzeitig, dass der Ärztemangel im Krankenhaussektor nicht mehr länger ein verstärkt ostdeutsches Phänomen ist. Offene Stellen gab es 2006 in 55,8 Prozent aller ostdeutschen Krankenhäuser, in Westdeutschland nur in 23,5 Prozent der Kliniken. 2009 lagen Ost- und Westdeutschland mit 83,4 respektive 79,6 Prozent fast gleichauf (vgl. Blum et al. 2006: 60; Blum/ Offermanns 2009: 27).

Wenngleich die erhebliche Mehrheit der Krankenhäuser im gesamten Bun-desgebiet vom Ärztemangel betroffen ist, zeigen sich Unterschiede im Umfang der Stellenbesetzungsschwierigkeiten. Hier ist weiterhin ein deutliches Un-gleichgewicht zwischen Ost- und Westdeutschland festzustellen. Während in Westdeutschland im Jahr 2009 durchschnittlich 3,6 ärztliche Vollkraftstellen je Krankenhaus nicht besetzt werden konnten, waren in den neuen Bundesländern 6,2 Vollstellen vakant. In der gesamten Bundesrepublik fehlten damit 2009 rund 5.000 Vollkräfte im Ärztlichen Dienst der Krankenhäuser und damit etwa 1.000 mehr als im Vorjahr. Seit 2006 – mit durchschnittlich 2,5 beziehungsweise ins-gesamt 1.300 fehlenden Kräften – hat sich die Anzahl fehlender Vollkraft sogar beinahe vervierfacht (vgl. Blum/ Offermanns 2009: 28f.). Die Zahl der tatsäch-lich notwendigen Ärzte liegt noch einmal deutlich über der Zahl offener Stellen. Dies erklärt sich vorwiegend durch die Ausweitung der Teilzeittätigkeit im Ärzt-lichen Dienst (vgl. Kapitel 3.3.2). Dieser durch Kliniken und Krankenhausträger belegte Mangel wird genauso von einem Großteil der Ärzte als solcher wahrge-nommen und kritisiert. In einer 2010 durchgeführten Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach stellten 59 Prozent aller Krankenhausärzte einen Ärz-

171 Das Krankenhaus Barometer ist eine jährliche repräsentative Umfrage zu verschiedenen Themen-schwerpunkten, die vom Deutschen Krankenhausinstitut durchgeführt wird (vgl. DKI o.J.). 172 In einer repräsentativen Umfrage unter MB-Mitgliedern 2010 gaben nur 29 Prozent der Ärzte an, dass sie in einer Abteilung arbeiten, in der zurzeit keine Arztstellen unbesetzt sind (vgl. Marburger Bund 2010b: 37).

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temangel fest, weitere 31 Prozent rechneten mit diesem in der nahen Zukunft (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2010: 2).

Des Weiteren ist bei der Zahl der offenen Stellen die wirtschaftliche Lage vieler Krankenhäuser zu berücksichtigen. Der Wettbewerb unter den Kliniken und der damit verbundene Kostendruck tragen dazu bei, dass Stellen im Ärztli-chen Dienst vorübergehend nicht besetzt werden. So sollen „wirtschaftliche Engpässe gegebenenfalls kurzfristig“ überbrückt „oder Defizite zumindest parti-ell“ ausgeglichen werden (Blume et al. 2009: 38; vgl. auch Kapitel 2.4). Infolge dieser knappen Kalkulation könnte der tatsächliche Bedarf an Ärzten höher aus-fallen, als die erhobenen Daten des Deutschen Krankenhausinstituts nahelegen. Im Folgenden werden die Hintergründe für den Mangel an ärztlichem Nach-wuchs und die zunehmende Nachfrage nach Krankenhausärzten beleuchtet.173 Arbeitsmarkt Blume et al. (2009: 37) sprechen von einem „faktischen Ärztemangel“, der sich aus einer sehr geringen Arbeitslosenquote von Medizinern speist. Aufgrund der quasi herrschenden Vollbeschäftigung gibt es keine zusätzlichen, bisher nicht berufstätigen und für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Ärzte. Der deut-sche Arbeitsmarkt kann die zusätzliche Nachfrage nach Fachkräften nicht de-cken. Die Zahl der arbeitslosen Ärztinnen und Ärzte geht kontinuierlich zurück und hat sich in den letzten vier Jahren mehr als halbiert. Laut Statistik der Bun-desagentur für Arbeit waren 2009 nur 2.649 Mediziner arbeitslos. Im Vergleich zum Höchststand im Jahr 1997 hat sich die Anzahl arbeitsloser Ärzte um 71,8 Prozent verringert (von 9.396). Sie liegt heute wieder auf dem Niveau des Be-ginns der 1980er-Jahre. Die Arbeitslosenquote beträgt derzeit 0,8 Prozent und rangiert „deutlich unter der ‚natürlichen Arbeitslosenquote’, bei der Vollbeschäf-tigung herrscht. Das bedeutet, dass im ärztlichen Teil-Arbeitsmarkt ‚Überbe-schäftigung’ herrscht“ (Bundesärztekammer 2010b). Abwanderung Die Arbeitsmarktsituation verschärft sich weiterhin durch die Abwanderung von Medizinern ins Ausland (vgl. Blume et al. 2009: 37). Diese wird etwa mit der besseren und leistungsgerechteren Entlohnung im europäischen Ausland (Schweiz, Österreich, Großbritannien), den USA, Kanada und Australien be-

173 In der Literatur werden unterschiedliche Erklärungsdimensionen aufgezeigt. Als ursächlich für den Ärztemangel sehen Blum et al. (2009: 37f.) vier Punkte an: Vollbeschäftigung, Abwanderung, Schwundquote bei Studierende und wirtschaftliche Schwierigkeiten der Krankenhäuser. Kopetsch (2009: 4) benennt ebenfalls vier Faktoren: der medizinische Fortschritt, der demographische Wandel, die Feminisierung der Medizin und der Trend zur Arbeitszeitverkürzung. Diese acht Faktoren werden im Folgenden unter fünf abgrenzbare Erklärungsvariablen subsumiert.

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Branche: Krankenhauslandschaft im Wandel 101

gründet. Als weiteres Argument werden die als belastend empfundenen Arbeits-bedingungen angeführt. Der hohe Dokumentationsaufwand, die Arbeitszeitstruk-tur sowie die damit einhergehende mangelhafte Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind Gründe dafür, Deutschland zu verlassen (vgl. Kopetsch 2008: 716). Tabelle 9: Aus- und Einwanderung von Ärzten (2001–2010) 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

Abwanderung in Deutschland tätiger Ärzte ins AuslandInsg. 1.437 1.691 1.992 2.731 2.249 2.575 2.439 3.065 2.486 3.241 Darunter deutsche Ä.

1.168 1.436 1.508 1.937 1.724 2.004 1.881 2.054 1.840 2.227

Einwanderung ausländischer Ärzte*

Insg. 1.302 1.571 1.971 1.832 1.528 1.331 1.645 1.583 1.927 Saldo -135 -120 -21 -899 -721 -1.244 -794 -1.482 -559

* Nicht alle eingewanderten ausländischen Ärzte sind tatsächlich berufstätig. Quellen: Ärztestatistiken der Bundesärztekammer; Bundesärztekammer 2010c: 16, 21; 2011a.

Der Großteil der abwandernden Mediziner sind deutsche Ärzte und keine Rück-wanderer (2010 etwa 69 Prozent) (vgl. Bundesärztekammer 2011a). Bei 16 be-rücksichtigten Zielländern waren 2008 etwa 19.054 deutsche Ärzte im Ausland tätig (vgl. Kopetsch 2008: 716).174 Die Emigration deutscher Ärzte konnte in den letzten Jahren nicht durch die Einwanderung von Medizinern aus dem Ausland kompensiert werden (vgl. Tabelle 9).175 Nachwuchsprobleme Die „sehr hohe Schwundquote bei Studenten der Humanmedizin“ stellt einen weiteren Grund für den Ärztemangel dar (Blum et al. 2009: 37). Darunter sind nicht nur die Entwicklung der Studierendenzahlen und der Zahl der Abbrecher zu verstehen (vgl. Kapitel 3.2). Hinzu kommen die Studierenden, die sich nach ihrem Abschluss berufliche umorientieren. „Diese Absolventen wechseln nach Abschluss ihres Studiums [...] in paramedizinische Berufe“176 (Norden 2008: 229). Auch dieser Schritt wird von Vielen – ebenso wie der Gang ins Ausland – mit den als unattraktiv geltenden Arbeitsbedingungen und der als gering emp-fundene Bezahlung der Krankenhausärzte begründet. Die Bundesärztekammer 174 Mit 5.830 deutschen Ärzten stehen die USA auf Platz 1 der Zielländer, gefolgt von Großbritannien mit 4.129 (vgl. Kopetsch 2008: 716). 175 Die hauptsächlichen Zuwanderungsländer sind Österreich und Osteuropa (vgl. Kopetsch 2008: 718). 176 Mit paramedizinischen Berufen sind an dieser Stelle nicht die Berufe gemeint, die der ärztlichen Tätigkeit vor- oder nachgelagert sind (wie Assistenz, Pflege etc.), sondern nichtkurative Berufe, die mit einem Medizinstudium erlangt werden können. So finden sich Ärzte beispielsweise in der Phar-maindustrie, im Medizinjournalismus oder im administrativen/ public health Sektor.

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gibt an, dass im Jahr 2009 mehr als 2.500 Ärzte nicht in ärztlicher Tätigkeit, sondern berufsfremd beschäftigt waren (vgl. Bundesärztekammer 2010b). Nor-den (2008: 229) beziffert den Anteil dieser „Berufsverweigerer“ für den Erstse-mesterjahrgang 1997 auf 24 Prozent. Unter Einberechnung der Studienabbrecher stieg die Schwundquote für diesen Jahrgang auf fast 42 Prozent. In einer Aus-wertung über die Erstsemester der Jahre 1996 bis 2001 scheint sich diese Quote zu verbessern. Insgesamt wird ein Schwund von 17,9 Prozent während des Stu-diums und von 11,6 Prozent nach Absolvierung des Studiums ausgewiesen (vgl. Bundesärztekammer 2010c: 7f.).177 Der Generalsekretär des Medizinische Fakul-tätstages Hildebrandt weist auf weiteren Ärzteschwund hin, zu dem die Statistik jedoch keine Zahlen liefert. Nach der abgeschlossenen Facharztweiterbildung gäbe es mehr Aussteiger als während der Aus- und Weiterbildung. Diese würden ganz aus ihrem Beruf ausscheiden oder ständen dem Arbeitsmarkt nur noch befristet oder gar nicht mehr zur Verfügung (vgl. Ärzte Zeitung 2010: 18). Dies könnte vor allem auf Ärztinnen zutreffen, die wegen der wenig familienfreundli-chen Arbeitsbedingungen im Krankenhaus zumindest für die Zeit der Kinderer-ziehung aus dem Beruf ausscheiden (vgl. Kapitel 3.3.2).

Infolge der Altersstruktur des Ärztlichen Dienstes wird sich die Nach-wuchsproblematik in Zukunft weiter verschärften. Zwar sind die Krankenhaus-ärzte im Durchschnitt wesentlich jünger als ihre niedergelassenen Kollegen. Dennoch wird der Ärztenachwuchs nicht ausreichen, um die altersbedingt frei werdenden Stellen zu besetzen.178 Eine Studie der Bundesärztekammer aus dem Jahr 2010 prognostiziert einen altersbedingten Ersatzbedarf bis 2015 in Höhe von 8.214 und bis 2020 von 19.851 Medizinern. Diese Angaben beziehen sich ausschließlich auf frei werdende Ober- und Chefarztposten in Krankenhäusern (vgl. Bundesärztekammer 2010c). Da bereits jetzt 5.000 Stellen nicht besetzt werden können, dürfte sich die Problematik in den kommenden zehn Jahren kaum entschärfen (vgl. Norden 2008: 229). Blum und Löffert (2010: 35f.) rech-nen damit, dass unter gleichbleibenden Bedingungen bis 2019 insgesamt über 37.000 Ärzte fehlen werden. Selbst wenn die mit insgesamt 30 Prozent veran-schlagte Schwundquote bei den Medizinstudierenden auf die Hälfte gesenkt werden könnte, würden weiterhin knapp 16.000 Ärzte fehlen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Mehrbedarf an niedergelassenen Ärzten die zukünftigen 177 Den durchschnittlich 10.252 Erstsemestern in den Jahr 1996 bis 2001 standen 8.419 Absolventen in den Jahren 2003 bis 2008 gegenüber. Davon wiederum nahmen im gleichen Jahr nur 7.444 eine Tätigkeit als Arzt auf (vgl. Bundesärztekammer 2010c: 7f.). 178 Das Durchschnittsalter der Vertragsärzte lag 2010 bei 52,25 Jahren (+4,67 Jahre verglichen mit 1995) während es bei den Krankenhausärzten nur 41,12 Jahre betrug (+2,56 Jahre im Vergleich zu 1995). Der Anteil der unter 35jährigen berufstätigen Ärzte ist zuletzt seit 2005 von 15,4 auf 17 Prozent in 2010 wieder leicht angestiegen (1995: 24,8 Prozent) (Bundesärztekammer 2011c: Abb. 6, 7).

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Bedarfe im stationären Bereich weit übertrifft. Dies führt zu einer Doppelbelas-tung der Krankenhäuser, weil dort „der Ärztemangel [...] am frühesten und am drastischsten spürbar“ wird (ebd.: 36). Denn der „Wettbewerb zwischen ambu-lanter und stationärer Versorgung um ärztliche Fachkräfte“ verschärft sich (ebd.). Einerseits scheint sich dadurch die Niederlassungsperspektive, wenn entsprechende Anreize geschaffen werden, wieder zu verbessern. Andererseits ist eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen im Ärztlichen Dienst in den Krankenhäusern bei einer weiter zunehmenden Zahl nicht besetzter Arztstellen wahrscheinlich.

Medizinischer Fortschritt Einen weiteren Faktor für den Mangel an Ärzten bildet der medizinische Fort-schritt. Dieser ist „nicht nur notwendigerweise mit Aufwandssteigerungen im Gesundheitswesen verbunden sondern induziert auch zwangsläufig einen erhöh-ten Ärztebedarf“ (Kopetsch 2009: 7). Dabei spielt auch der demographische Wandel eine Rolle. Mit einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft steigt der Anteil von Menschen mit Alterserkrankungen und Multimorbidität179. Damit nimmt die Nachfrage nach medizinischen Leistungen zu. Zugleich entwickelt sich das ärztliche Repertoire an Behandlungs-, Untersuchungs- und Therapie-möglichkeiten weiter. Mit dem erhöhten Bedarf und dem größeren Angebots-spektrum an medizinischen Dienstleistungen sind mehr Ärzte erforderlich, die diese Leistungen erbringen. Arbeitszeitverkürzung Schließlich wird der Ärztemangel auf die Ausweitung der Teilzeitarbeit im Krankenhaus zurückgeführt. So verweist beispielsweise Koptisch (2009: 10-15) auf einen allgemeinen Trend zur Arbeitszeitverkürzung. Blum und Löffert (2010: 50) sehen ebenfalls in der Teilzeitarbeit180 eine der wesentlichen Ursachen für den Ärztemangel:

„Die Zunahme an Ärzten in Teilzeit ist – neben dem arbeitszeitrechtlich bedingten Mehrbedarf – im Übrigen ein maßgeblicher Grund, warum es trotz steigender Ärztezahlen einen Ärzte-mangel im Krankenhaus gibt.“

Besonders bedeutsam für das Ausmaß der Arbeitszeitverkürzung ist die Femini-sierung der ärztlichen Profession. Sie ist eine der hauptsächlichen Ursachen für

179 Mehrfacherkrankungen; Gleichzeitiges vorliegen unterschiedlicher Krankheitsbilder. 180 Für die Darstellung der Entwicklungen im Bereich der Teilzeitarbeit im Ärztlichen Dienst sei an dieser Stelle auf Kapitel 3.3.2 verwiesen.

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die Ausweitung der Teilzeitarbeit.181 Etwa aufgrund der Frage nach der Verein-barkeit von Familie und Beruf. Der größere Stellenwert der Teilzeitarbeit ist jedoch nicht ausschließlich durch die Feminisierung bedingt. Eine weitere Rolle spielt eine generell abnehmende Akzeptanz überdurchschnittlich langer Arbeits-zeiten bei den Ärzten. So beobachtet etwa der ehemalige MB-Vorsitzende Mont-gomery, dass Freizeit gerade für junge Ärzte einen anderen Wert besitzt als für deren ältere Berufskollegen:

„[...] der einzelne Arzt selber, stellt heute dem Arbeitgeber viel weniger individuelle Arbeits-zeit zur Verfügung [...]. Da kommt auf der einen Seite die europäische Arbeitszeitgesetzgebung rein, auf der anderen Seite kommen aber auch die unterschiedlichen Wertevorstellungen der jungen Leute von heute mit rein. Ich hab das damals als völlig normal betrachtet als Arzt 80 Stunden in der Woche zu arbeiten. Die sagen heute, und das ist ihr gutes Recht: Das will ich nicht. Und das dritte ist die Feminisierung in der Medizin. Frauen stellen lebensarbeitszeittech-nisch gesehen viel weniger Arbeitskraft einem Arbeitgeber zur Verfügung als Männer.“182

Zuletzt ist die Arbeitszeitverkürzung in Teilen gesetzlich bedingt. Die Umset-zung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie verlief in Deutschland zwar mehr als schleppend (vgl. Kapitel 3.3.3). Dennoch hat sie dazu beigetragen, dass die Krankenhausärzte heute weniger lange arbeiten.183 So dürfen weniger Überstun-den abgeleistet werden. Insbesondere aber zählt die Bereitschaftszeit heute als Arbeitszeit. Bedeutung der Entwicklung für Ärzteschaft und Marburger Bund Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Aspekte löst sich der scheinbar existierende Widerspruch zwischen Ärztemangel und Beschäftigtenentwicklung auf:

„Zunächst einmal gibt es einen Widerspruch, der dann doch keiner ist: In Deutschland fehlen trotz steigender Arztzahlen zunehmend Ärzte. Die Gründe sind im Wesentlichen die Überalte-rung der Ärzteschaft, das Thema ‚Medizin wird weiblich’ und die Reduzierung der Arbeitszeit. Auch Ärzteflucht ins Ausland trägt zum Ärztemangel bei, solange die Arbeitsbedingungen in anderen Ländern einfach attraktiver sind als hier“ (Ehl 2009: 5).

Der Mangel an Ärzten im Krankenhaussektor184 hat nicht nur Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der Krankenhausärzte (vgl. Kapitel 3.3.2), sondern ist 181 Auf die zunehmende Feminisierung des Arztberufes sei hier nur verwiesen. Die Umstände und Folgen dieses Wandels werden gesondert dargestellt. Denn über die Frage der Arbeitszeitgestaltung hinaus sind mit einer Verweiblichung des Berufstandes etwa Aspekte von Statusabsenkung verbun-den (vgl. Kapitel 3.3.2). 182 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesebene, Ehrenamt. 183 Vgl. Interview DKG (1) vom 15.07.2009, Personalwesen Krankenhaus. 184 Ein Ärztemangel wird aber auch in Teilbereichen der niedergelassenen Ärzte konstatiert, wie zum Beispiel in Ostdeutschland.

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auch für den Marburger Bund unter der Frage nach Macht und Mächtigkeit von Bedeutung. Silver (2003: 13) verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff der (Arbeits-)Marktmacht („marketplace bargaining power“).185 Diese Macht ergibt sich aus den berufsbezogenen Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt und beinhaltet drei Dimensionen (vgl. ebd.: 13): die Nachfrage nach den speziellen Fähigkeiten und Kenntnissen dieser

Beschäftigtengruppe durch die Arbeitgeber, deren Möglichkeiten, sich aus dem Arbeitsmarkt zurückzuziehen und auf

Einkommen aus Gehalt/ Lohnarbeit zu verzichten, sowie die Arbeitsmarktsituation (Arbeitslosigkeit, Angebot und Nachfrage) dieser

Beschäftigtengruppe. An dieser Stelle scheinen die erste und dritte Dimension die relevanten Katego-rien. Der Ärztemangel erhöht die Markmacht der Ärzte und speist sich aus einer gestiegenen Nachfrage. Die Anzahl benötigter Ärzte in den Krankenhäusern steigt durch Feminisierung, einer Ausweitung der Teilzeitarbeit und im Zuge der Ökonomisierung veränderten Personalstruktur.186 Gleichzeitig herrscht ein Eng-pass auf der Angebotsseite infolge fehlenden Nachwuchses, Überalterung und Studienplatzbeschränkung. Die Arbeitsmarktentwicklung ist damit ein wichtiger Faktor, der dem Marburger Bund die Durchsetzung von ärztlichen Interessen und Forderungen ermöglicht hat.187

„Drohte früher die Kündigung beziehungsweise die Nichtverlängerung des Arbeitsvertrages, wenn ein Arzt seine Unzufriedenheit äußerte, so haben die Klinikarbeitgeber mittlerweile enorme Probleme, frei werdende ärztliche Stellen adäquat zu besetzen. Das verbessert die Ver-handlungsposition der Arbeitnehmer deutlich“ (Flintrop 2004: 2780).

Die arbeitsmarktbedingte Primärmacht spiegelt sich in der starken Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit des Marburger Bundes wider. Zugleich ist damit ein Teil seiner Machtfülle temporären, konjunkturellen und situativen Effekten ge-schuldet und nicht zwingend konsistent. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Arbeitsmarktsituation irgendwann in ihr Gegenteil verkehren könnte. Wenn

185 Diese versteht Silver (2003: 13) als eine Unterkategorie von Struktureller Macht („structural power“). 186 Vgl. Kapitel 2.2.3 zur Entwicklung der Beschäftigtenzahlen und Kapitel 3.3.2 zur Ausweitung von Feminisierung und Teilzeitarbeit. 187 „Die Entwicklung auf dem ärztlichen Arbeitsmarkt, Ärzte werden händeringend gesucht, haben es dem Marburger Bund leichter gemacht“ (Interview DKG (1) vom 15.07.2009, Personalwesen Kran-kenhaus). „Arbeitgeber waren gegenüber MB zu großzügig wegen temporärem Ärztemangel. Das kann sich mit Reduzierung administrativer Aufgaben schnell wieder geben“ (Interview ver.di (2) vom 23.03.2009, Bundesverband, FB 3 Betriebs- und Branchenpolitik).

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dem Ärztemangel mit einer vermehrten Werbung und Ausbildung neuer Medizi-ner begegnet wird oder die Attraktivität des Arztberufes zunimmt,188 kann sich ein Überangebot an Ärzten entwickeln. Damit würde sowohl die arbeitsmarktbe-zogene Primärmacht als auch die Vetomacht des Marburger Bundes sinken. Die Prognosen für die nächsten zehn Jahre deuten indes darauf hin, dass der Ärzte-mangel weiter anhalten wird. Eine Verschlechterung der Verhandlungsposition der Ärzte und des Marburger Bundes ist vorläufig nicht in Sicht. Das wissen auch die Arbeitgeber: „Mittel- und langfristig ist da auch keine Änderung abseh-bar. Es kann passieren, dass der Marburger Bund zukünftig noch besser seine Bedingungen diktieren kann.“189 2.3 Akteurslandschaft: Vielfalt und Konstellationen

Die dritte Ebene der globalen Umwelt bildet schließlich die für Beruf190 und Tarifpolitik bedeutsame Akteurs- oder als synonym verstandene Verbandsland-schaft. Als Aufgabenumwelt im organisationssoziologischen Sinn umfasst sie die Akteurskonstellationen sowie die Abhängigkeits- und Austauschbeziehungen zwischen den Akteuren (vgl. Preisendörfer 2011: 74). Alle drei Dimensionen spielen für das Handeln verbandlicher Akteure eine entscheidende Rolle. „Für das Kräfteverhältnis zwischen Organisation und Umwelt ist der Organisier-theitsgrad der Umwelt das vielleicht wichtigste Indiz“ (Edruweit 2004: 226; vgl. auch Abraham/ Büschges 2009). Bei den für die Ärzteschaft relevanten Akteuren im Krankenhaussektor ist vor allem die Dimension der interorganisationalen Beziehungen von Interesse. Damit rücken die Konkurrenz- und Konfliktkonstel-lationen in den Blick. 2.3.1 Konkurrenz- und Konfliktformen Unterschiedliche Organisationen, die in einer ausdifferenzierten Verbandsland-schaft nebeneinander existieren, können verschiedene Ziele und Aufgaben ver-folgen oder sich überschneidende Organisationsdomänen aufweisen. Daher sind unterschiedliche Formen von Konkurrenz und Konflikt zu erwarten. Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit geht es im Folgenden um die 188 Die Attraktivität des Arztberufes könnte durch höhere Löhne in Folge des verstärkten Wettbe-werbs um qualifizierte Ärzte sowie nicht zuletzt der tarifpolitischen Erfolge des Marburger Bundes zunehmen. 189 Interview DKG (1) vom 15.07.2009, Personalwesen Krankenhaus. 190 Der Arztberuf zählt aufgrund seiner konstituierenden Bedeutung für den Marburger Bund nicht zur Umwelt. Wegen seinem Stellenwert als verbandsbezogener (Macht-)Ressourcen wird er an späterer Stelle separat behandelt (vgl. Kapitel 4).

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Akteurslandschaft: Vielfalt und Konstellationen 107

Typisierung derjenigen Konkurrenzformen, die zwischen den dominanten Bran-chengewerkschaften und anderen Organisationen vorzufinden sind. Tabelle 10: Konkurrenz- und Konflikttypologie Merkmale Komple-

mentäre Konkurrenz

Einfluss-konkurrenz

Deutungs-konkur-renz

DGB-interne Konkurrenz

Überbie-tungs-konkurrenz

Unterbie-tungs-konkurrenz

Organisa-tionstyp

Standes- o. Berufsge-werkschaft

Betriebs-gruppe

Fach- o. Berufsver-band

Branchenge-werkschaft

Berufsge-werkschaft

Branchenge-werkschaft

Beispiel VmF, VAA, dbb

AUB, Kabine Klar

VDI IGM, IG BCE, ver.di

MB, GDL, VC

CGM

Konkurrenzebenen / Konkurrenz zu DGB-GewerkschaftenTarifpoli-tik

Schwach bis gar nicht

Schwach bis gar nicht

Gar nicht Schwach bis gar nicht

Sehr stark (Überbietung)

Stark (Unter-bietung)

Mitbe-stimmung

Stark Stark bis sehr stark

Gar nicht Schwach Sehr stark Weniger stark

Mitglieder Weniger stark

Gar nicht Weniger stark

Weniger stark Stark bis weniger stark

Weniger stark (kaum Mit-glieder)

Deutung/ Politik/ Bildung

Weniger stark bis stark

Schwach bis gar nicht

Weniger stark bis stark

Schwach Sehr stark (Berufspoli-tik)

Schwach bis gar nicht

Quelle: Eigene Darstellung; vgl. Schroeder et al. 2011: 260; Bispinck/ Dribbusch 2008: 159. Für die Abgrenzung der unterschiedlichen Typen bietet es sich an, in Anlehnung an die Neumann‘schen Funktionen von Gewerkschaften,191 und da es sich um Kollektivorganisationen handelt, vier Kriterien zu berücksichtigen: Dies sind die Konkurrenzebenen der Tarifpolitik, Mitbestimmung, Mitglieder sowie Deutung/ Politik/ Bildung. Die tarifpolitische Ebene bezieht sich auf Abschluss und Ver-handlungen von Tarifverträgen (Arbeitsmarktakteur). Auf der Mitbestimmungs-ebene sind Konkurrenzen in Betriebs-, Personal- und Aufsichtsräten sowie durch betriebsspezifische Mitbestimmungsformen möglich (Arbeitsmarkt- und Soli-darorganisation). Die Mitgliederebene nimmt sich überschneidende Organisati-onsdomänen und damit Konkurrenz in der Mitgliederwerbung (Solidarorganisa-tion) in den Blick. Die vierte Ebene schließlich umfasst Konkurrenz in der politi-schen Einflussnahme (politischer Verband) und der Deutungshoheit, beispiels-weise mit Bezug auf Berufspolitik oder bei Aus- und Weiterbildungsfragen (vgl. Schroeder et al. 2008: 260f.).

Die Konfliktkonstellationen, die sich um diese vier Ebenen gruppieren, sind vielfältig. Einen Sonderfall stellt die DGB-interne Konkurrenz dar. Diese zeich-net sich durch eine punktuelle Konkurrenz in tarifpolitischen Belangen, in der 191 Arbeitsmarktakteur, Solidarorganisation und politischer Verband (vgl. Neumann 1978).

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Mitbestimmung, in politischen Deutungen und durch Überschneidungen an den Organisationsgrenzen aus.192 In der betrieblichen Arena ist die Einflusskonkur-renz in Bezug auf die betriebliche Mitbestimmung von Bedeutung. Als Akteure treten auf dieser Ebene hauptsächlich Betriebsgruppen und freie Listen auf. Die-se konkurrieren um Sitze in den Gremien oder die Deutungshoheit im Betrieb.

Bereits vor dem Auftreten des Phänomens der tarifpolitischen Überbietung gab es Konflikte mit Berufsverbänden und -gewerkschaften. Diese beschränkten sich jedoch auf die Typen der Deutungs- oder komplementären Konkurrenz. Die Deutungskonkurrenz ist dabei durch Fach- und Berufsverbände gekennzeichnet, die keine eigenständigen tarifpolitischen und mitbestimmungsrelevanten Ambi-tionen zeigen. In Fragen der Deutungshoheit geraten diese dennoch mit den Ge-werkschaften in Konflikt. Dieser kann etwa berufspolitische Belange oder Fra-gen bezüglich der Gestaltung von Aus- und Weiterbildung betreffen. Daneben gibt es eine kleine Zahl von berufs- und fachbezogenen Gewerkschaften, die sich schon länger tarifpolitisch betätigen. Deren Aktivitäten finden im Gegensatz zu den Beispielen Marburger Bund, Vereinigung Cockpit und GDL aber nicht in konkurrierender Konstellation zu den DGB-Gewerkschaften statt. Diese kom-plementäre Konkurrenz findet sich zum einen in Spartenbereichen, in denen die DGB-Gewerkschaften nicht aktiv sind. Beispiele sind der Verband medizinischer Fachberufe (VmF), der Angestellte in Arztpraxen organisiert, und die Orches-tervereinigung. Zum anderen agieren sie neben den DGB-Gewerkschaften mit begrenzter Zuständigkeit wie der Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie (VAA), der im Bereich der AT-Angestellten aktiv ist (vgl. Schroeder et al. 2008: 259f.) Die Komplementarität zeichnet sich zusätzlich dadurch aus, dass die Gewerkschaften nicht oder kaum um die gleichen Mitglieder konkurrieren (vgl. auch Lesch 2008b: 323). Auf der tarifpolitischen Ebene als manifeste Konkurrenz relevant sind nur zwei Typen: Die Unterbietungs- sowie seit 2001 die Überbietungskonkurrenz. Die Überbie-tungskonkurrenz stellt, bezogen auf den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit, eine der zentralen Begrifflichkeiten dar. Deren Definition erfolgt in Abgrenzung zur Unterbietungskonkurrenz. Überbietungskonkurrenz Überbietungskonkurrenz oder Überbietungswettbewerb – beide Begriffe werden in dieser Studie synonym verwandt – stehen in begrifflichem Gegensatz zur Unterbietungskonkurrenz. Die Ausgangspositionen, Voraussetzungen und Aus-

192 Beispiele sind eine unterschiedliche Einschätzung der Überbietungskonkurrenz (ver.di – IG Me-tall), der gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit (ver.di Basis – DGB), des Abschlusses von Tarifver-trägen unterhalb der DGB-Mindestlohnforderung (NGG – IG BCE) oder Fragen der Mitgliederzuge-hörigkeit von Dienstleistungsberufen in der Industrie (ver.di – IG Metall).

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wirkungen zwischen den beiden Formen Über- und Unterbietungskonkurrenz sind antagonistisch (vgl. bspw. Bispinck/ Dribbusch 2008; Schroeder et al. 2011: 23f., 260). Tabelle 11: Tarifpolitische Konkurrenz Merkmale Überbietungskonkurrenz Unterbietungskonkurrenz Gewerkschaftstyp Berufsgewerkschaft Branchengewerkschaft Organisationsgrad Sehr hoch Sehr geringMitglieder Primärmacht Hoch bis sehr hoch Eher geringStreikfähigkeit Sehr hoch / notwendig KeineTarifpolitisches Ziel Besserstellung der eig. Klientel Abschluss Tarifvertrag Gewerkschaftliches Ziel Eigenständiger Tarifvertrag Anerkennung als Tarifpartei Verhalten der Arbeitgeber Ablehnend / feindlich Kooperativ

Konkurrenzebenen / Konkurrenz zu DGB-Gewerkschaften Tarifpolitik Sehr stark (Überbietung) Stark (Unterbietung)Mitbestimmung(sgremien) Sehr stark Weniger starkMitglieder Stark bis weniger stark Weniger stark (kaum Mitglieder) Deutung / Politik / Bildung Sehr stark (Berufspolitik) Schwach bis gar nicht

Quelle: Eigene Darstellung; vgl. Dribbusch 2010: 8f.; Schroeder et al. 2011: 260; Bispinck/ Drib-busch 2008: 159.

Das Phänomen der tarifpolitischen Unterbietungskonkurrenz, das vor allem mit den Tarifabschlüssen der christlichen Gewerkschaften in Verbindung gebracht wird,193 hat in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Betroffen sind insbesondere die Leih- und Zeitarbeit, das Handwerk und regional betrachtet Ostdeutschland. In diesen Bereichen schließen einzelne Arbeitgebern und Ge-werkschaften des CGB beziehungsweise der Tarifgemeinschaft CGZP Tarifver-träge ab. Diese Verträge zeichnen sich dadurch aus, dass sie zu den Bedingungen der Arbeitgeberseite geschlossen wurden. Oftmals enthalten sie Abschlüsse, die bewusst unter dem Niveau bestehender Tarifverträge der DGB-Gewerkschaften liegen und diese verdrängen. Die christlichen Gewerkschaften unterbieten beste-hende Tarifverträge, um einen Abschluss zu erzielen und somit von den Arbeit-gebern anerkannt zu werden. Verhandlungsabschlüsse, die Zugeständnisse auf Arbeitgeberseite verlangen, können sie aufgrund von Streikverzicht, fehlenden Mitglieder sowie nicht vorhandener Sanktions- und Vetomacht nicht durchsetzen (vgl. Bispinck/ Dribbusch 2008: 160f.; Dribbusch 2010: 8).

Die entgegengesetzte Dynamik kennzeichnet die Überbietungskonkurrenz. Hierunter sind Gewerkschaften zu verstehen, die für ihre Klientel Tarifabschlüs-se durchsetzen, die sich über den Abschlüssen der DGB-Gewerkschaften bewe-gen. Die Wettbewerbsstrategie zeigt sich, wenn die überbietende Gewerkschaft

193 Historisch sind Traditionsbezügen zu den gelben Gewerkschaften erkennbar.

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in direktem Anschluss an den Abschluss einer DGB-Gewerkschaft mit einer bewusst höher angesetzten Forderung in eigene Verhandlungen geht. Um ihre Forderungen gegenüber dem Arbeitgeber durchsetzen zu können, muss die Überbietungsgewerkschaft über Vetomacht verfügen. Dies kann sie nur über einen hohen Organisationsgrad, große Primärmacht auf Seiten der Mitglieder und umfassende Streikfähigkeit erreichen. Bei der Unterbietung ist das Gegenteil der Fall. Denn Christliche Gewerkschaften besitzen kaum Mitglieder und damit keine Macht. Da sie darüber hinaus aus sozialethischen Motiven vom Mittel des Arbeitskampfes Abstand nehmen, können sie Tarifvertrag nur in Kooperation mit dem Arbeitgeber abschließen (vgl. Schroeder et al. 2008: 23f.; Dribbusch 2010: 8).

Ausgehend von diesen verschiedenen Ausgangspositionen und Vorausset-zungen gestaltet sich die Konkurrenzkonstellation mit den DGB-Gewerkschaften in beiden Fällen unterschiedlich. Auf der tarifpolitischen Ebene führt die Kon-kurrenz entweder zu nach oben (Überbietung) oder zu nach unten (Unterbietung) abweichenden Abschlüssen. Im Fall der Überbietung findet sich zusätzlich auf der Ebene der Mitbestimmungsgremien194 und der Deutungsebene195 eine bis-weilen sehr stark ausgeprägte Konkurrenz. Differenzierter gestaltet sich die Situ-ation auf der Mitgliederebene. Grundsätzlich kann aufgrund sich überschneiden-der Organisationsbereiche von einer Konkurrenz um Mitglieder gesprochen werden. Gleichwohl ist diese bei den erfolgreichen Berufsgewerkschaften nur bedingt von praktischer Relevanz. Ver.di reklamiert zwar als Multi-Branchen-gewerkschaft ebenfalls, für Ärzte zuständig zu sein (vgl. Kapitel 2.3.3). Da diese aber schon immer mehrheitlich im Marburger Bund und nicht in der ÖTV oder ver.di organisiert waren, findet in der Praxis keine Abwerbung von Mitgliedern statt. Ein anderes Bild zeigt sich beispielsweise zwischen ver.di und der Unab-hängigen Flugbegleiter Organisation (UFO). Hier wird ein harter Kampf um Mitglieder ausgefochten, da die betroffene Beschäftigtengruppe mehr oder weni-ger paritätisch zwischen den Organisationen verteilt ist (vgl. Schroeder/ Greef 2008: 335; Bispinck/ Dribbusch 2008: 160). Unabhängig davon kennzeichnet die Überbietungs- gegenüber der Unterbietungskonkurrenz aber eine umfassende Konkurrenzkonstellation mit den DGB-Gewerkschaften, die über die tarifliche Ebene hinausreicht.

Die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Konfliktkonstellationen zeigt, dass sich diese neue Form der berufsgewerkschaftlichen Konkurrenz in das Merkmalsspektrum der anderen Konflikttypen einreihen lässt. Es wird darüber hinaus deutlich, dass es sich um einen neuen Konflikttypus handelt, der alle vier 194 Konkurrenz um Mandate in Betriebs- und Personalräten und Sitze im Aufsichtsrat. 195 Deutungskonkurrenz wie zum Beispiel in Fragen der Zugänge zu bestimmten Berufen, gesetzli-chen Regelungen oder ähnliches.

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Konkurrenzebenen betrifft. Dessen Auftreten ist, wie im vorhergehenden Kapitel dargelegt, Ausdruck einer neuen Krisensymptomatik – der Integrationskrise. Anschließend daran erscheint es sinnvoll, bezogen auf diesen Konflikttyp von einem eigenständigen Phänomen zu sprechen. Der Bedeutungsgehalt des Be-griffs Überbietungskonkurrenz bezieht sich demnach zum einen auf „Konkur-renzbeziehungen196 [Herv. i. O.], bei denen eine Organisation mit anderen um die Anteile an beschränken Ressourcen kämpft“ (Edruweit 2004: 236). Zum anderen bezieht sich der Begriff auf die Art der Konkurrenz. Diese spielt sich auf der für Gewerkschaften maßgeblich relevanten tarifpolitischen Ebene in Form eines Überbietungswettbewerbes ab und führt zu Tarifpluralität.

Tarifpluralität und -konkurrenz Bezogen auf das Phänomen der Überbietungskonkurrenz wird nicht nur in den Medien oft der Begriff der Tarifkonkurrenz gebraucht. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass diese Begrifflichkeiten nicht unproblematisch sind und schnell in die Irre führen können. Sowohl Tarifkonkurrenz wie Tarifpluralität sind feststehende Termini aus dem Arbeitsrecht:

„Unterfällt ein Arbeitgeber dem tariflichen Geltungsbereich mehrerer Tarifverträge, so entsteht eine Tarifkonkurrenz, wenn sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber tarifgebunden sind. Ist nur eine der Arbeitsvertragsparteien tarifgebunden, so entsteht eine Tarifpluralität.“197

Sie bilden ein Begriffspaar und stehen für unterschiedliche Konfliktformen zwi-schen zwei Tarifverträgen und können nicht synonym verwendet werden (vgl. bspw. Wien 2009: 168f.). Für den in dieser Studie betrachteten Gegenstand des Überbietungswettbewerbes durch den Marburger Bund ist die Tarifpluralität der arbeitsrechtlich korrekte Begriff. Denn eine Tarifkonkurrenz198 liegt nur dann vor, wenn zwei unterschiedliche (inhaltlich konkurrierende/ denselben Sachver-halt regelnde) Tarifverträge für ein Arbeitsverhältnis Geltung verlangen (vgl. Waas 2008: 142). Dieser Zustand tritt unter drei Konstellation ein: Ein Arbeit-nehmer ist Mitglied einer Gewerkschaft, die zugleich einen Flächentarifvertrag mit einem Arbeitgeberverband und einen Haustarifvertrag mit einem Unterneh-men, das über diesen Verband tarifgebunden ist, abgeschlossen hat. Die zweite Möglichkeit findet sich, wenn ein Arbeitnehmer Mitglied in zwei Gewerkschaf- 196 Konkurrenzbeziehungen zwischen Organisationen basieren auf gleich(gerichtet)en Zielen, wäh-rend Konfliktbeziehungen auf gegensätzlichen Zielen beruhen (vgl. Edruweit 2004: 236). Unabhängig von der Definition der interorganisationalen Beziehung als Konkurrenzbeziehung wird in dieser Studie mit Blick auf die Überbietungskonkurrenz und Berufsgewerkschaften sowohl von Konkurrenz als auch von Konflikt gesprochen. Bei Letzterem ist explizit nicht der organisationssoziologische Typ der Konfliktbeziehung gemeint. 197 BAG, Urteil vom 20.3.1991, 4 AZR 455/90. 198 Dieser Fall wird auch als Tarifkollision bezeichnet.

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ten ist und beide Gewerkschaften einen für den Arbeitgeber geltenden Tarifver-trag (Haus- oder Flächentarifvertrag) abgeschlossen haben. Die dritte Möglich-keit ist ein für Arbeitnehmer und Arbeitgeber geltender Tarifvertrag, der durch einen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag Konkurrenz erhält (vgl. Otto 2003: 272).199 In allen Fällen würden für einen Arbeitnehmer zwei Tarifver-träge zur Anwendung kommen – diese konkurrieren miteinander. Die Auflösung der Konkurrenz erfolgt nach dem Spezialitätsprinzip:200 Der sachlich, örtlich, räumlich und/ oder zeitlich näherliegende Tarifvertrag verdrängt den konkurrie-renden Vertrag.

Eine solche Tarifkonkurrenz zeigt sich bei dem Abschluss von Überbie-tungstarifverträgen durch Berufsgewerkschaften im Normalfall nicht. Hier kommt es stattdessen zu einer Tarifpluralität. Diese kennzeichnet, dass für ver-schiedene Arbeitsverhältnisse eines Unternehmens unterschiedliche Tarifverträ-ge gelten. Dies tritt dann ein, wenn der Arbeitgeber durch Tarifverträge mit meh-reren Gewerkschaften tarifgebunden ist,201 die einzelnen Arbeitnehmer aber nur Mitglied einer oder keiner der tarifschließenden Gewerkschaften sind.202 Diese gleichzeitige Geltung unterschiedlicher Tarifverträge nebeneinander in einem Unternehmen wurde bislang ebenfalls im Sinne des Spezialitätsprinzips aufge-löst. Denn die Arbeitsgerichte und das Bundesarbeitsgericht gingen vom Grund-satz der Tarifeinheit – ein Betrieb – ein Tarifvertrag (– eine Gewerkschaft) – aus (vgl. Waas 2008: 142).203 Mit der Entscheidung des BAG im Jahr 2010204 hat das

199 Ein Sonderfall ist der Verbandsübertritt/ Verbandswechsel eines Arbeitnehmers oder Arbeitge-bers. In diesen Fällen kann es aufgrund der Fortgeltung beziehungsweise des Nachwirkens von Tarifverträgen zu Tarifkonkurrenz kommen (vgl. Giesen 2002: 538f.). Im Sinne der Spezialitätsprin-zips (vgl. Fußnote 200) gilt – falls die Fortgeltung nicht zwingend ist – in diesem Fall der zeitlich nähere (also neuere) Tarifvertrag (vgl. Pappenheim 2011: 362). 200 Das Spezialitätsprinzip betrifft Konflikte zwischen gleichrangigen tariflichen Normen (in diesem Fall Tarifverträge). Das Günstigkeitsprinzip (es gilt die für den Arbeitnehmer günstigere Norm) kann hier keine Anwendung finden, da es ausschließlich zwischen rangdifferenten Normen zur Anwen-dung kommt (eine rangniedrigere aber günstigere Norm, wie zum Beispiel Individualvertrag oder Betriebsvereinbarung, kann eine eigentlich höherrangige tarifvertragliche Norm verdrängen) (vgl. Gamillscheg 1997: 742; Schaub 1998: 2581). 201 Wenn der Arbeitgeber sich an zwei Tarifverträge bindet, wird im Arbeitsrecht von gewillkürter Tarifpluralität gesprochen – der Arbeitgeber ist für diese selbst verantwortlich. Im Gegensatz zur zufälligen Tarifpluralität, die eintritt wenn beispielsweise der Arbeitgeber plötzlich unter einen zweiten Tarifvertrag fällt, weil dieser für allgemein verbindlich erklärt wurde (vgl. Bayreuther 2007: 188f.). 202 Tarifpluralität liegt definitorisch nach Leitsatz des BAG dann vor, wenn „für den Betrieb kraft Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nach § 3 Abs. 1 TVG mehr als ein Tarifvertrag gilt, für die jeweiligen Arbeitsverhältnisse derselben Art im Falle der Tarifbindung eines oder mehrerer Arbeit-nehmer allerdings jeweils nur ein Tarifvertrag“ (BAG, Urteil vom 7.7.2010, 4 AZR 549/08). 203 Der frühere Leitsatz des BAG (Urteil vom 20.3.1991, 4 AZR 455/90) lautete: „Sowohl in den Fällen der Tarifkonkurrenz als auch der Tarifpluralität wird nach dem Grundsatz der Tarifeinheit und der Tarifvertragsspezialität der sachfernere Tarifvertrag verdrängt.“

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höchste Arbeitsgericht von diesem Grundsatz jedoch Abstand genommen und ist zu dem Urteil gekommen, dass kein Regelungsbedarf zur Auflösung von Tarif-pluralität besteht.205 Nach dieser Rechtsprechung ist es arbeitsrechtlich also prob-lemlos möglich, dass in einem Krankenhaus für die Ärzte der Tarifvertrag des Marburger Bundes zur Anwendung kommt und für das Pflegepersonal der ver.di-Tarifvertrag. Relevant für diese Studie ist damit die Tarifpluralität im Krankenhaussektor und nicht die Tarifkonkurrenz. Wenn in dieser Studie den-noch von Konkurrenz gesprochen wird, bezieht sich diese nicht auf die arbeits-rechtliche Konkurrenz zwischen Tarifverträgen, sondern auf die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften. Mit dem Begriff der tarifpolitischen Konkurrenz ist daher explizit nicht die Tarifkonkurrenz im juristischen Sinn gemeint.

Nach diesen begrifflichen Klärungen stehen im Folgenden die Akteure, die neben dem Marburger Bund für die Gestaltung von Berufsbild und Arbeitsbe-dingungen der Krankenhausärzte relevant sind, im Mittelpunkt der Betrachtung. Für die Konstituierung dieser Verbandslandschaft spielt nicht zuletzt auch die Frage nach Konkurrenz und Konflikt eine wichtige Rolle.

2.3.2 Berufsverbände und Kammern Der Arztberuf erweist sich als einer der wohl organisationsfreudigsten Berufe. Dies trifft sowohl aus aktueller wie historischer Perspektive zu. Franz F. Stobrawa (1979: 9) spricht in seiner Ende der 1970er-Jahre erschienenen Studie „Die ärztlichen Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland“ von einem „undurchschaubaren Organisationsdickicht in der deutschen Ärzteschaft“.206 Dieses resultiert, wie Christa Rauskolb (1976: 223) in ihrer Dissertation „Lobby in Weiss. Struktur und Politik der Ärzteverbände“ herausstellt, aus einer „ver-

204 BAG, Urteil vom 07.07.2010, 4 AZR 549/08. 205 „Der Senat gibt seine bisherige Rechtsprechung zur Auflösung einer Tarifpluralität nach dem Grundsatz der Tarifeinheit zu Gunsten des spezielleren Tarifvertrages im Falle einer unmittelbaren Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nach § 3 Abs. 1 TVG auf. […] Eine […] aufgrund unmittelbarer Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG eingetretene Tarifpluralität kann für die genannten Rechts-normen nicht nach dem Grundsatz der Tarifeinheit dahingehend aufgelöst werden, dass hinsichtlich dieser Normen nur ein Tarifvertrag „für den Betrieb“ gilt. Ein solcher Rechtsgrundsatz besteht nicht. Eine Verdrängung der nach § 4 Abs. 1 TVG in den jeweiligen Arbeitsverhältnissen geltenden tarifli-chen Normen ist weder aufgrund praktischer Schwierigkeiten noch wegen einer sonst erforderlichen Abgrenzung von Inhalts- und Betriebsnormen geboten“ (BAG, Urteil vom 07.07.2010, 4 AZR 549/08). 206 Stobrawa untersucht die Relevanz unterschiedlicher Verbandsformen für die Ärzteschaft. In kurzen historischen Abrissen nimmt er die gesamte Vielfalt an ärztlichen Organisationen, über Kör-perschaften, freiwillige Vereinigungen bis hin zu Stiftungen, auf. Durch diese Breite gelingt ihm eine Überblicksdarstellung, die für die historische Entwicklung der Organisationslandschaft auch heute noch als lesenswert gelten mag.

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minderten berufsständischen Homogenität“.207 Die „zunehmende soziale Diffe-renzierung der Ärzteschaft“ spiegelt sich in einer vielfältigen Verbandslandschaft wider (ebd.).208

Die Tendenz zur Ausdifferenzierung lässt sich schon früh in der Anfangs-phase der ärztlichen Organisationslandschaft nachzeichnen. So entstanden inner-halb von 80 Jahren bis zum Ende des 19. Jahrhunderts über 30 medizinisch-ärztliche Vereine (vgl. Siefert 1969: 187). Bereits zu dieser Zeit verstanden sich diese als berufsständische Interessenvertretungen und versuchten, im Sinne ihrer Mitglieder Einfluss zu nehmen (vgl. Jütte 1997a: 28). Als erster Gesamtverband entstand kurz nach der Reichsgründung im Jahr 1873 der Deutsche Ärztevereins-bund. Dieser konnte 40 Jahre später einen Organisationsgrad von 80 Prozent vorweisen (vgl. Herold-Schmidt 1997: 46, 54). Bandelow (2007: 271) zählt die Ärzteverbände heute gleichermaßen „zu den erfolgreichsten Interessenverbänden der Bundesrepublik Deutschland“. Als Erklärungsfaktoren für die durchset-zungsfähige Interessenvertretung der Ärzteschaft werden neben den spezifischen berufs- und organisationsbedingten Vorteilen (Ressourcen, Organisationsstruk-tur), ihre korporatistische Einbindung in die Gesundheitspolitik und die soziale Komponente ihrer beruflichen Tätigkeit (Ansehen, Patienten als Multiplikatoren) genannt (vgl. Bandelow 2007: 272). Alle genannten Faktoren spielen für den Marburger Bund und seine Entwicklung eine wichtige Rolle. Die ausdifferen-zierte Verbändelandschaft der Ärzteschaft wirft aber gleichzeitig Frage nach den zwischenverbandlichen Beziehungs-, Konkurrenz- und Kooperationsstrukturen auf. Gerade unter den Bedingungen begrenzter Ressourcen (Budgetverteilung im Gesundheitswesen zwischen stationärer und ambulanter Behandlung, niederge-lassenen Ärzten und angestellte Krankenhausärzte etc.) sind Verteilungskämpfe vorprogrammiert.

„Daß die Fragmentierung des ärztlichen Verbandswesens wesentlich durch Konkurrenzver-hältnisse und Verteilungsinteressen bestimmt ist, zeigt die Entwicklung der Organisations-strukturen“ (Groser 1992: 142).

Die Existenz unterschiedlicher ärztlicher Akteure belegt nicht nur eine heteroge-ne Interessenlage innerhalb der Ärzteschaft. Sie wirkt sich vielmehr auf Akti-onsmöglichkeiten sowie Strategien aus und beeinflusst verbandliches Handeln

207 Rauskolbs Studie umfasst die gesamte Bandbreite an Interessenvertretungsorganisationen der Ärzteschaft aus historischer und struktureller Perspektive. 208 Eine aktuelle Einordnung der ärztlichen Verbandslandschaft findet sich etwa in einer kurzen, überblicksartigen Darstellung von Nils C. Bandelow (2007). Eine umfassendere Darstellung der Verbandslandschaft liefert Manfred Groser (1992). Sein Fokus liegt allerdings auf dem Hartmann-bund und der Frage, wie sich dessen Entwicklung und die Erwartungen seiner Mitglieder zwischen Gemeinwohlorientierung und Partikularinteressenvertretung verorten lassen.

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sowie die Durchsetzung bestimmter Entscheidungsalternativen. Denn eine aus-differenzierte Akteurslandschaft stellt die Frage nach dem Verhältnis der Akteu-re untereinander, der Ressourcenverteilung, gegenseitigen Abhängigkeiten und damit letztlich der Konkurrenz- und Konfliktform (vgl. Kieser/ Walgenbach 2010: 384f.; Edruweit 2004: 219f.; Preisendörfer 2011: 76f.). Hartmannbund Der Hartmannbund – Verband der Ärzte Deutschlands ist nach dem Marburger Bund der zweitgrößte freiwillige Zusammenschluss von Ärzten in Deutschland. Die Historie des Verbandes geht auf den am 13. September 1900 gegründeten Leipziger Verband zurück.209 Dieser entstand wegen der „Ineffizienz des Ärzte-vereinsbundes als Lobbyist“ und trug bereits „deutlich die Züge eines modernen Funktionärsverbandes“ (Herold-Schmidt 1997: 50f.). Mit einer „kompromißlo-sen Interessenvertretung“ und durch „besonders für junge Ärzte interessante Dienstleistungen“ konnte er innerhalb von 11 Jahren einen Organisationsgrad von 77 Prozent erreichen (ebd.). Dabei verstand sich der Verband als Ärztege-werkschaft, die auch von Arbeitskämpfen nicht Abstand nehmen wollte und für diese Zwecke eine Streikkasse eingerichtet hatte (vgl. Moser 2011: 27f.; Grost 1992: 56). Gerade die jungen Ärzte orientierten sich an der gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung. Ihre älteren Kollegen dagegen erachteten Streik sowie Ar-beitskampf als „standesunwürdiges Verhalten“ und lehnten daher die Neugrün-dung ab (Stobrawa 1979: 24). Auch die bestehenden ärztlichen Organisationen standen dem Leipziger Verband kritisch gegenüber. Die Verschlechterung der ärztlichen Lage führte dennoch 1903 dazu, dass der Verband sich als wirtschaft-liche Abteilung in den Ärztevereinsbund integrieren konnte (vgl. Rauskolb 1976: 116). 1924 erfolgte die Umbenennung in Verband der Ärzte Deutschlands (Hartmannbund).

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schloss der Verband noch einzelne Tarif-verträge ab. Mit seiner Wiedergründung nach dem zweiten Weltkrieg im Jahr 1949 (hervorgehend aus dem Geislinger Kreis und der Gemeinschaft freiprakti-zierender Ärzte in Hamburg) wandelte er sich jedoch zum Vertretungsorgan der niedergelassenen Ärzte (vgl. Hartmannbund o.J.b). Gleichzeitig nahm der Hart-mannbund von einer „Rückkehr zu einem wirtschaftlichen Kampfverband“ Ab-stand (Gerst 1997: 217). Die früheren Ambitionen in diese Richtung wurden nun „als nicht mehr zeitgemäßer Anachronismus“ verworfen (ebd.). In seiner Sat-zung ist als Zweck jedoch weiterhin „die Wahrung der beruflichen, wirtschaftli-chen und sozialen Interessen der in ihm zusammengeschlossenen Ärzte aller 209 In der Satzung als Verband der Ärzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interesse bezeichnet, wurde er als Schutzverband der Ärzte Deutschlands zur Wahrung ihrer Standesinteressen gegründet (vgl. Hartmannbund o.J.b).

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Berufs- und Fachgruppen“ festgeschrieben. Parallel dazu stellt er sich in seiner Außendarstellung als „der einzige freie Verband, der die beruflichen, wirtschaft-lichen und sozialen Interessen aller Ärzte, Zahnärzte und Medizinstudierenden in Deutschland vertritt“ und damit als allgemeiner Ärzteverband dar: „Unabhängig vom Fachgebiet, ob niedergelassen, angestellt oder im öffentlichen Gesundheits-dienst tätig – jeder angehende oder praktizierende Arzt findet hier eine starke Interessenvertretung“ (Hartmannbund o.J.c; vgl. auch Stobrawa 1979: 75). Einer vom Hartmannbund „geforderten korporativen Angliederung“ des bereits beste-henden Marburger Bundes erteilte Letzterer eine Absage (Gerst 1997: 217).

Obwohl ein Drittel der 40.000 Mitglieder des Verbandes als Angestellte tä-tig sind, spielt dieser in der Vertretung der Interessen von angestellten Ärzten verglichen mit dem Marburger Bund keine relevante Rolle (vgl. Groser 1992: 100).210 Durch korporativ eingegliederte Ärzteverbände erhöht sich die Mitglie-derzahl auf 60.000. Der Organisationsgrad beläuft sich auf etwa 20 Prozent (vgl. Bandelow 2007: 275). Nicht bekannt ist die Zahl der Doppelmitglieder zwischen den korporativen Verbänden sowie zwischen Marburger Bund und Hartmann-bund. Bis 1985 konnten MB-Mitglieder kostenfrei Mitglied im Hartmannbund werden (ebd.: 276), derzeit zahlen sie einen reduzierten Mitgliederbeitrag in Höhe von 7 Euro im Monat (statt 11 Euro).211 Mit Blick auf die prinzipielle Niederlassungsperspektive des Ärztenachwuchses versucht der Hartmannbund, Anreize für einen frühzeitig Beitritt von angestellten Medizinern zu schaffen. Seine direkte Arbeit für angestellte Ärzte beschränkt sich jedoch auf Stellungs-nahmen und einzelne Dienstleistungen (wie etwa Rechtsberatung, Tarifübersich-ten und die Bearbeitung von Weiterbildungsfragen). Hauptsächlich berät der Verband in Niederlassungsfragen. Hier bietet er ein breites und individuelles Angebot an Seminaren, Rechts- und Steuerberatung, das sich nicht nur an bereits niedergelassene Ärzte richtet (Hartmannbund o.J.a, o.J.d).

Im Bereich der Berufspolitik stehen Hartmannbund und Marburger Bund seit jeher in Konkurrenz. Dies betrifft gegensätzliche Interessen in der Frage der Niederlassungsfreiheit, insbesondere allerdings die Besetzung von Positionen in den Ärztekammern (vgl. Groser 1992: 150). Darüber hinaus tritt der Hartmann-bund zumindest teilweise im Bereich der Medizinstudenten als Konkurrent auf. Dort versucht der Verband, aktiv neue Mitglieder zu werben, in dem er sich beispielsweise für eine Aufwandsentschädigung im Praktischen Jahr einsetzt oder die Studierenden-Mitgliedschaft für einen Euro im Monat anbietet (vgl. Hartmannbund o.J.e; 2009). Einige Stimmen aus dem Marburger Bund deuten an, dass der Hartmannbund Tarifverträge abschließen wolle212, sich zur Gewerk- 210 Vgl. Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 211 Im Vergleich dazu bezahlen niedergelassene und leitende Ärzte 22 Euro (Hartmannbund 2009). 212 Vgl. Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt.

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schaft erkläre und dafür sogar seine Satzung geändert habe213 und bei Medizin-studenten damit werbe, dass er „Tarifverträge abschließen kann“.214 Nicht zuletzt aufgrund seiner bisherigen Ausrichtung scheint es unwahrscheinlich, dass tat-sächlich eine Entwicklung des Hartmannbundes zum Tarifakteur bevorsteht. Für die mehrheitlich niedergelassenen Ärzte in der Mitgliedschaft sind tarifpolitische Fragen irrelevant. Zudem ist damit die für die Tariffähigkeit notwendige Ge-gnerfreiheit innerhalb der Mitgliedschaft des Hartmannbund nicht gegeben.215 Niedergelassene Ärzte sind nicht nur gegenüber Arzthelferinnen und medizi-nisch-technischem Personal in Arbeitgeberfunktion tätig, sondern auch teilweise gegenüber angestellten (Fach-)Ärzten (beispielsweise in Medizinischen Versor-gungszentren).

NAV-Virchow-Bund Der neben Marburger Bund und Hartmannbund dritte, nicht auf einzelne Fach-richtungen spezialisierte Ärzteverband ist der NAV-Virchow-Bund – Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands. Mit 12.109 Mitgliedern216 zählt dieser zu den kleinen Verbänden. Bereits sein Namen verdeutlicht, dass der Verband auf-grund seiner Organisationsdomäne heute eher in Konkurrenz zum Hartmann-bund als zum Marburger Bund steht. Sein berufspolitisches Aufgabenspektrum konzentriert sich ebenso wie sein Dienstleistungsangebot auf die niedergelasse-nen Ärzte. Die zum Marburger Bund komplementäre Stellung des Verbandes liegt ferner in seiner Geschichte begründet. Der NAV-Virchow-Bund spaltete sich 1949 als Verband der niedergelassenen Nicht-Kassenärzte217 vom Marbur-ger Bund ab, weil dieser sich nach Verabschiedung des Tarifvertragsgesetzes für eine gewerkschaftliche Ausrichtung entschied (vgl. Stobrawa 1979: 73; Kapitel 4.1.2).

Seit 2008 besteht allerding durch die Einführung Medizinischer Versor-gungszentren (MVZ) Konkurrenzpotenzial zwischen NAV-Virchow-Bund und Marburger Bund. Aus seinem Selbstverständnis heraus, alle „niederlassungswil-ligen, niedergelassenen und ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte“ zu vertreten (NAV-Virchow-Bund o.J.a), hat der NAV-Virchow-Bund eine eigene Sektion für angestellte, ambulant tätige Ärzte in MVZ gegründet. „Das Angebot […]

213 Vgl. Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt.; Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt. 214 Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt. 215 Vgl. Fußnote 26. 216 Angabe nach Oeckl Deutschland (vgl. Oeckl o.J.). Andere Quellen sprechen von etwa 20.000 Mitgliedern (vgl. bspw. Bandelow 2007: 277). 217 Die erste Umbenennung in Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschland (NAV) erfolgte 1957 mit der Verschiebung der verbandlichen Ausrichtung vom Kampf gegen die Zulassungsbeschrän-kung zum Kampf für die Niederlassungsfreiheit (vgl. Stobrawa 1979: 74).

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umfasst eine spezielle arbeitsrechtliche Beratung mit Musterverträgen für MVZ-Ärzte, die Prüfung von Anstellungsverträgen und individuelle Rechtsberatung“ (NAV-Virchow-Bund o.J.b). Fragwürdig wird das Vorgehen des NAV-Virchow-Bundes, wenn dieser gleichzeitig niedergelassene Ärzte „bei der Gründung und Führung von Medizischen [sic!] Versorgungszentren, unter anderem durch […] Beratung bei der Vertragsgestaltung von angestellten MVZ-Ärzten“ unterstützen will (ebd.).

Dennoch dürfte das Unterfangen, in diesem Bereich Mitglieder zu rekrutie-ren, nicht gänzlich aussichtlos sein – auch da es dem Marburger Bund bisher nicht gelungen ist, flächendeckend Tarifverträge in MVZ durchzusetzen (vgl. Kapitel 4.4.3). Selbst wenn es dem NAV-Virchow-Bund jedoch gelingen sollte, Ärzte an MVZ in maßgeblichem Umfang zu organisieren, stellen diese mit 6.534 Ärzten bisher nur einen Bruchteil der angestellten Ärzteschaft (vgl. KBV 2010). Die Anzahl des ärztlichen Personals im Krankenhaus lag 2009 bei 143.967 (Statistisches Bundesamt 2011b: 11, Tab. 1.2).

Facharztverbände Neben den drei großen Verbänden – Marburger Bund, Hartmannbund und NAV-Virchow-Bund – existiert bundesweit eine Vielzahl fachärztlicher Berufsverbän-de von unterschiedlicher Größe. Eine eigene Auszählung ergab eine Anzahl von 62 ärztlichen Verbänden.218 27 dieser Verbände, die gemeinsam über 100.000 Fachärzte vertreten, haben sich in der Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsver-bände (GFB) zusammengeschlossen. Diese bezeichnet sich selbst als „die größte freie ärztliche Standesvertretung in Deutschland“ (GFB o.J.b). Ihre Hauptaufga-be sieht die GFB in der „globalen, gesundheitspolitischen Vertretung fachärztli-cher Interessen“ (ebd.) in der Öffentlichkeit sowie gegenüber „Institutionen der ärztlichen Selbstverwaltung, Kostenträgern, Exekutive und Legislative“ (ders. o.J.a).

Die Relevanz der GFB als Interessenvertretung von niedergelassenen und angestellten Ärzten scheint dennoch marginal zu sein. Nicht zuletzt dürfte dies auf die zunehmende Bedeutung einzelner größerer Verbände, zu denen etwa der Deutsche Hausärzteverband (HÄV)219, der Deutsche Facharztverband (DFV) oder auch der Berufsverband Deutscher Internisten (BDI)220 zählen, zurückzu-führen sein. Hinzu kommt die anhaltende Ausdifferenzierung der Landschaft durch immer mehr kleine Verbände für jede Facharztgruppe. Bandelow (2007: 277) folgert daher: „Heute gewinnt die nach innen gerichtete Vertretung der eigenen Gruppeninteressen bei den innerärztlichen Verteilungskämpfen zuneh- 218 Zur Datengrundlage vgl. Schroeder et al. 2008. 219 32.000 Mitglieder (Deutscher Hausärzteverband o.J.). 220 25.000 Mitglieder (Berufsverband Deutscher Internisten o.J.).

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mend an Bedeutung“. Damit nimmt zugleich die Konkurrenz zwischen den Ver-bänden zu. Die großen Facharztverbände können auf der berufspolitischen Büh-ne durchaus themenspezifisch als Vetospieler gegenüber der Ärztegewerkschaft auftreten. Eine divergierende Interessenlage ist hauptsächlich dann zu erwarten, wenn es um Budgetverteilungsfragen zwischen niedergelassenen und angestell-ten Ärzten geht.

Verband der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands Mit dem Verband der Leitenden Krankenhausärzte Deutschland (VLK) existiert ein weiterer krankenhausspezifischer, ärztlicher Berufsverband. Er organisiert Ärzte in leitenden Positionen (Chefärzte) und leitende Angestellte (Ärztliche Direktoren). Für diese übernimmt er Interessenvertretungsaufgaben, kümmert sich vor allem jedoch verstärkt um den Beratungs- und Informationsbedarf seiner Mitglieder. Schwerpunkt ist neben berufsspezifischen und -rechtlichen Fragen der Bereich des Krankenhausmanagements (vgl. Verband der Leitenden Krankenhausärzte o.J.). Als direkter Konkurrent zum Marburger Bund tritt er somit nicht auf.

Des Weiteren verfügt der VLK nur über 4.900 Mitglieder221 bei insgesamt 12.658 leitenden Krankenhausärzten im Jahr 2009 (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 36, Tab. 2.5.1). Der Marburger Bund ist mit etwa 11.000 Chefärzten und Chefarztvertretern in seiner Mitgliedschaft ungleich besser aufgestellt als der VLK (vgl. Kapitel 4.1). Die Mitgliederkonkurrenz hält sich dennoch in Grenzen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der VLK vor allem Chefärzte und Ärztliche Direktoren organisiert, die tatsächlich selbstständig – und damit in arbeitgeber-ähnlicher Position – im Krankenhausmanagement tätig sind.222

Ärztekammern Das Kammersystem der deutschen Ärzte wurde nach dem Ende des zweiten Weltkriegs weitgehend in den Strukturen wieder aufgebaut, die sich bereits zum Ende der Weimarer Republik herausgebildet hatten (vgl. Bandelow 2007: 273; Gerst 1997: 196; Kapitel 3.1). Heute bestehen bundesweit 17 Landesärztekam-mern (LÄK),223 die als Körperschaften des öffentlichen Rechts einen quasi-staatlichen Charakter besitzen und als solche die „hoheitliche Aufgabe der Auf-sicht über die Ärzte“ übernehmen (Qualitätssicherung, Überwachung von Be-rufsausübung, -pflichten und -ethik) (Bundesärztekammer 2006c; vgl. auch Ka-pitel 3.2). Diesen Aufgaben kommen sie hauptsächlich durch die Verabschie-

221 Angabe nach Oeckl Deutschland (vgl. Oeckl o.J.). 222 Wegen des Gewerkschaftsstatus und der Gegnerfreiheit sind für den Marburger Bund dagegen ausschließlich die angestellten Chefärzte relevant (vgl. Kapitel 3.3.1 und 4.3.2). 223 Nordrhein und Westfalen-Lippe stellen zwei unabhängige Kammergebiete dar.

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dung der landesspezifischen Berufs- und Weiterbildungsordnungen für Ärzte nach, deren Einhaltung sie gleichzeitig überwachen. Sanktionsgewalt bei Pflichtverletzungen haben die an die Kammern angegliederten Berufsgerichte (vgl. Stobrawa 1979: 38f., 41). Neben diesen hoheitlichen Aufgaben vertreten die Kammern die Berufsinteressen der Ärzteschaft und formulieren ärztliche Positionen zu gesundheits- und sozialpolitischen Themen sowie Gesetzgebungs-verfahren. Weiterhin organisieren sie die Fürsorge- und Versorgungseinrichtun-gen für Ärzte und deren Familien. Zu den Versorgungsleistungen gehören unter anderem Alters-, Hinterbliebenen- und Berufsunfähigkeitsrente sowie Sterbegeld und weitere finanzielle Unterstützungsangebote. Die Mitgliedschaft in den Lan-desärztekammern ist für Mediziner in ärztlicher Tätigkeit verpflichtend.

Die Spitzenorganisation auf Bundesebene stellt die Bundesärztekammer (BÄK) dar.224 Die BÄK ist als Arbeitsgemeinschaft der Landesärztekammern mit dem Status eines nicht rechtsfähigen Vereins konzipiert (vgl. Bandelow 2007: 273; Stobrawa 1979: 37).225 In seiner medialen Außenwirkung als Stan-desvertretung der gesamten Ärzteschaft – durch Stellungnahmen zu allen gesundheitspolitisch relevanten Themen – ist der Deutsche Ärztetag besonders präsent. Der Ärztetag ist keine eigenständige Organisation, sondern das oberste beschlussfassende Gremium der Bundesärztekammer (vgl. Nagel 2007: 325). Das Ärztekammersystem besteht damit aus zwei Ebenen. Die staatlich legiti-mierten Landesärztekammern üben Aufsichts- und Selbstverwaltungsfunktionen aus. Die Bundesärztekammer als Spitzenorganisation übernimmt berufs- und standespolitische Aufgaben (vgl. Rauskolb 1976: 181).

„In der Ärztekammer werden die gesamten Zukunftsaussichten des ärztlichen Berufes – jetzt nicht materiell, aber inhaltlich – festgelegt. Das Berufsbild wird hier definiert aber auch zum Beispiel die Frage, wie wird man Facharzt“ (Frank Ulrich Montgomery).226

Als Zwangsvereinigungen spielen die Kammern für den Arztberuf – und damit für die Interessenvertretung des Marburger Bundes – eine besondere Rolle. Sie repräsentieren die Gesamtinteressen der Ärzteschaft und übernehmen die oben genannten Aufgaben in hoheitlicher Funktion wahr. Zusätzlich regeln sie die Aus- und Weiterbildung und gestalten damit Berufszugang und Aufstiegswege innerhalb des Berufs227 (vgl. Bundesärztekammer 2006c; Bandelow 2007: 273; 224 Als Nachfolgeorganisation der 1947 entstandenen Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärzte-kammern (vgl. Gerst 1997: 201). 225 Der Status der weiterhin bestehenden Bezirksärztekammern unterscheidet sich. In Hessen haben diese beispielsweise keine eigene Rechtsnatur und basieren auf freiwillige Mitgliedschaft. Dagegen sind sie in Rheinland-Pfalz Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Zwangsmitgliedschaft. 226 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 227 Die Ärztekammern sind nicht nur für die Berufs- und Weiterbildungsordnungen zuständig, son-dern durch eigene Akademien direkt an der ärztlichen Fortbildung beteiligt (vgl. Nagel 2007: 323).

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Nagel 2007: 323). Zur Bearbeitung berufsständiger Fragen sind die Ärztekam-mern dementsprechend wichtige Adressaten für den Marburger Bund. Durch eine direkte Beteiligung kann dieser auf die Kammern unmittelbaren Einfluss ausüben und Interessen geltend machen. Tabelle 12: Funktionsträger des Marburger Bundes in Ämtern der

Ärztekammern (1951–2011) Name Ärztekammer Marburger BundHeidrun Gitter

23.01.2012 – Präsidentin LÄK Bremen 2008-2012 Vizepräsidentin LAK Bremen

2010 – : Vorsitzende LV Bremen 1996 – 2010: 2. Vorsitzende LV Bremen 1992 – 2000: Beisitzerin Bundesverband 1989 – 1993: Vorsitzende Bezirk Wiesbaden

Frank Ulrich Montgomery

02.06.2011 – : Präsident BÄK 1994 – : Präsident ÄK Hamburg

04.11.1989 – 10.11.2007 Vorsitzender Bundesverband

Jörg-Dietrich Hoppe

04.06.1999 – 01.06.2011 Präsident BÄK 1993 – 07.11.2011 Präsident ÄK Nordrhein

03.11.1979 – 04.11.1989 Vorsitzender Bundesverband

Karsten Vilmar

05.1978-03.06.1999 Präsident BÄK

04.05.1975 – 03.11.1979 Vorsitzender Bundesverband

Ernst Fromm 1959 – 1973 Präsident BÄK

29.04.1951 – 28.11.1952 Dritter Vorsitzender Bundesverband

Rudolf Henke 26.05.1995 – : Vorstand BÄK 19.11.2011 –:Präsident ÄK Nordrhein

11.11.2007 – Vorsitzender Bundesverband

Theodor Windhorst

2005 – Präsident ÄK Westfalen-Lippe

1985 – Vorsitzender Bezirk Bielefeld

Frieder Hessenauer

2001 – Präsident LÄK Rheinland-Pfalz

Vorsitzender Bezirk Pfalz

Martina Wenker

25.01.2006 – Präsidentin ÄK Niedersachsen 02.06.2011 – : Vizepräsidentin BÄK

2002 – Vorstand LV Niedersachsen

Klaus-Dieter Wurche

22.11.2004 – Präsident ÄK Bremen

- 1996: Vorstand Bundesverband Vorstand LV Bremen

Udo Wolter 1994- Präsident LÄK Brandenburg

1995 – : Vorstand Bundesverband 1997 – 2008: Vorsitzender LV Berlin/ Bran-denburg

Günther Jonitz

01.1999 – Präsident ÄK Berlin

1990 – : Vorstand LV Berlin/ Brandenburg 1997 – 1999: Vorsitzender LV Berlin/ Bran-denburg

Quellen: Webseiten der BÄK, LÄKn und des Marburger Bundes; Eigene Zusammenstellung. Die Ärztekammern sind für den Marburger Bund jedoch nicht nur in berufspoli-tischer Perspektive von Interesse. Sie bieten darüber hinaus Aufstiegs- und Kar-rieremöglichkeiten für Mandatsträger außerhalb des Verbandes (Boeck 1997: 11):

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122 Organisationsumwelt des Marburger Bundes: Strukturen und Konstellationen im Wandel

„[...] ehrenamtliche Mandatsträger sammeln prägende berufspolitische Erfahrungen, die beson-ders einer späteren Karriere in ärztlichen und politischen Körperschaften und Verbänden, aber zunehmend auch ihrem Fortkommen im ärztlichen Beruf selbst zugute kommen.“

Historisch hat sich eine enge personelle Verflechtung zwischen Marburger Bund und Ärztekammern etabliert. Im Juni 2011 wurde der ehemalige MB-Vorsitzende Frank Ulrich Montgomery zum neuen Präsidenten der Bundesärzte-kammer gewählt (vgl. Bundesärztekammer 2011b). Ein Vorgang, der nicht nur auf Bundesebene schon fast einem Regelfall gleichkommt.228 „Es gibt 17 Ärzte-kammern in Deutschland [...] und von 17 Ärztekammern ist in 14 der Präsident vom Marburger Bund.“229 Tabelle 12 listet Präsidenten der BÄK und aktuelle Präsidenten der LÄK, die einen Hintergrund als Mandatsträger im Marburger Bund haben auf. Ähnlich ausgeprägte Verknüpfungen finden sich auf den Vizepräsidents- und Vorstandsposten der Ärztekammern (vgl. Gerst 1997: 230f.).

Kassen(zahn)ärztliche Vereinigungen Die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KVen/ KZVen) sind wie die Ärztekammern als Körperschaften öffentlichen Rechts organisiert. Die 17 bundesweit bestehenden Vereinigungen haben sich im Spitzenverband der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zusammengeschlossen.230 Sie nehmen den Sicherstellungsauftrag bei der ambulanten kassenärztlichen Versor-gung in Monopolstellung war. Ihnen obliegt daher die Bedarfsplanung der ver-tragsärztlichen Versorgung. Mit der ambulanten Versorgungsverantwortung geht einher, dass die Kassenärzte auf ihr Streikrecht und die Durchführung von Kampfmaßnahmen zu Gunsten von Zwangsschlichtungen verzichten müssen (vgl. Gerst 1997: 222; Nagel 2007: 121f.).231 Die KVen treten insbesondere als Vertretungsorgan der Vertragsärzte gegenüber den Krankenkassen und Kosten-trägern in Erscheinung. Aufgrund ihrer Ausrichtung auf die niedergelassenen Kassenärzte sind die KVen für die Interessenvertretung des Marburger Bundes nur bedingt von Bedeutung (vgl. Nagel 2007: 127; Bandelow 2007: 274).

Auf zwei Aspekte soll dennoch hingewiesen werden: Zum einen können die KVen beziehungsweise die KBV bei Gesetzgebungsprozessen und Gesetzesre- 228 „Also in den letzten Jahren stellen wir immer mehr als die Hälfte der Präsidenten aller Landesärz-tekammern und traditionell jetzt schon in dritter Folge jetzt, ist der Präsident der Bundesärztekammer immer ein Vorsitzender des Marburger Bundes“ (Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesver-band, Hauptamt). 229 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 230 Die KBV ist im Gegensatz zur BÄK ebenfalls eine Körperschaft öffentlichen Rechts. 231 Historisch gehen die KVen auf die im Nationalsozialismus als Nachfolgeorganisation des zwangs-aufgelösten Hartmannbundes geschaffene Kassenärztliche Vereinigung Deutschland (KVD) zurück (vgl. Stobrawa 1979: 68, 70). Zur Geschichte der KVen vgl. bspw. Rauskolb 1976: 141-158.

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Akteurslandschaft: Vielfalt und Konstellationen 123

formen als Vetospieler oder als Kooperationspartner des Marburger Bundes auftreten.232 Zum anderen sind die KVen mit für die Bedarfsplanung der ver-tragsärztlichen Versorgung und damit für die Gestaltung der Niederlassungs-möglichkeiten zuständig. Darüber beeinflussen sie die Perspektive der angestell-ten Ärzte auf eine berufliche Zukunft im Krankenhaus oder in der Niederlassung (vgl. Nagel 2007: 127f.). Vor diesem Hintergrund sind auch die KVen in einzel-nen Bereichen für den Marburger Bund zu berücksichtigende Akteure.

Bedeutung der differenzierten Organisationslandschaft für den Marburger Bund Das Verhältnis zwischen Marburger Bund, Ärztekammern, Kassenärztlichen Vereinigungen und anderen ärztlichen Berufsverbänden scheint ambivalent. Von MB-Vertretern werden diese einerseits als „standespolitischen Konkurrenzver-bände“233 bezeichnet. Anderseits gebe es aber auch ein „sehr gutes Verhältnis, insbesondere zu den befreundeten Ärzteverbänden“234. Die Beziehung der ärztli-chen Organisationen untereinander ist, im organisationssoziologischen Sinn, sowohl von Konkurrenz als auch von Konflikt geprägt (vgl. Edruweit 2004: 235f.). Konkurrenzbeziehungen treten auf, wenn zwar gleichgerichtete Ziele verfolgt werden, dabei jedoch parallel um begrenzte Ressourcen gerungen wird. Gemeinsame Interessen wie Standesfragen oder Budgeterweiterung treffen so gleichzeitig auf Konkurrenz in der Budgetverteilung oder um Mitglieder. Kon-fliktbeziehungen dagegen entstehen bei entgegengesetzten Zielen wie zum Bei-spiel beim Thema einer Ausweitung oder Einschränkung der Niederlassungsfrei-heit. So resümiert auch Bandelow (2007: 282), dass das „Verhältnis zwischen den Ärzteverbänden […] durch eine Mischung von Konkurrenz und Kooperation geprägt [ist]“.

Im Fall des Marburger Bundes beschränken sich die Konkurrenz- und Kon-fliktbeziehungen hauptsächlich auf berufspolitische, sektor- und branchenöko-nomische Dimensionen. Die Veränderungen im Gesundheitswesen sorgen dafür, dass sich der Marburger Bund zunehmend in einer komfortablen Situation wie-derfindet. Rauskolb (1976: 22f.) stellte schon in den 1970er-Jahren eine Ver-schiebung innerhalb der Ärzteschaft fest, in deren Folge die Bedeutung der ange-stellten Krankenhausärzte zunahm.235 Dieser Trend hat sich in der Folgezeit fortgesetzt, so dass der Anteil niedergelassener Ärzte an der Ärzteschaft kontinu-ierlich zurückgeht. 1985 lag deren Anteil bei 41,9 Prozent, 1995 bei 40,1 und 232 So zum Beispiel bei der gemeinsamen Kampagne von KBV, Marburger Bund, DKG und BÄK gegen die Gesundheitsreform im Jahr 2006 (KBV 2007: 3). 233 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 234 Interview MB (3) vom 13.05.2008, Bundesverband, Hauptamt. 235 Der Anteil von in freier Praxis tätigen Ärzten sank von 1957 bis 1964 von 59,6 auf 57,6 Prozent (Rauskolb 1976: 22). 1970 machten niedergelassene Ärzte mit 50,1 Prozent nur noch knapp die Hälfte der Ärzteschaft aus (Thust 1997: 4).

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124 Organisationsumwelt des Marburger Bundes: Strukturen und Konstellationen im Wandel

2010 bei 37,4 Prozent (vgl. Thust 1997: 4; Bundesärztekammer 2011c: Abb. 1). Diese Entwicklung stärkt die Position der Krankenhausärzte und die des Mar-burger Bundes. Gleichzeitig treten damit die innerärztlichen Konfliktlinien deut-licher hervor:

„Deshalb wird sich der Marburger Bund in dem Maße, in dem künftig jungen Ärzten durch die Zulassungsbeschränkungen eine freiberufliche Tätigkeit verwehrt wird, vermutlich dazu ge-zwungen sein, noch mehr als bisher gegen die Interessen der Kassenärztlichen Vereinigungen Konzepte einer intensiveren Beteiligung von Krankenhausärzten an der ambulanten kassenärzt-lichen Versorgung als ein zentrales Thema in die standespolitische Diskussion einzubringen“ (Gerst 1997: 239f.).

Bezogen auf die Organisationsdomäne des Verbandes ist eine Konkurrenz um Mitglieder allenfalls im Bereich der Medizinstudenten zu finden. Mit der Tarif-politik besitzt die Ärztegewerkschaft zudem ein Alleinstellungsmerkmal unter den ärztlichen Berufsverbänden.

Die Existenz weiterer starker Ärzteorganisationen neben dem Marburger Bund hat unterschiedliche Auswirkungen. Zunächst bindet Konkurrenz Ressour-cen, die für andere Verbandszwecke fehlen. Unter den Bedingungen der gede-ckelten Gesundheitskosten nimmt diese Konkurrenz durch innerärztliche, zwi-schenverbandliche Verteilungskämpfe sogar noch zu. Die Frage, welche Aus-wirkungen diese Konkurrenz auf die Durchsetzungsfähigkeit verbandlicher Inte-ressen hat, ist nicht einfach zu beantworten. Rauskolb (1976: 223) konstatierte 1976, dass mit der zunehmenden Interessendifferenzierung innerhalb der Ärzte-schaft die Hauptaufgabe der Ärzteverbände darin bestehe, die divergierenden Interessen auszugleichen und „die koordinierten Interessen gegenüber den politi-schen Instanzen durchzusetzen“. Eine aktuelle Analyse von Bandelow (2007: 278) zeigt ein ambivalentes Ergebnis. Einerseits kommt es zu einer Herabset-zung der Konfliktfähigkeit der Ärzteschaft.236 Diese zeigt sich insbesondere in der Entwicklung korporatistischer Arrangements und Aushandlungsprozesse im Feld der Gesundheitspolitik. Die Schwächung korporatistischer Austauschpro-zesse und das Auftreten neuer Akteure in der Gesundheitspolitik führen zu einem Ressourcen- und damit Machtverlust der Ärzteverbände. Andererseits werden einzelne Verbände gerade aufgrund dieser Entwicklung von ihren Mitgliedern wieder als authentische Interessenvertretung wahrgenommen, was diese Organi-sationen wiederum stärkt (vgl. Bandelow 2007: 288f.). Andere Autoren (vgl. Gerlinger 2009: 42) differenzieren zwischen den freien Verbänden (Hartmann-bund, NAV-Virchow-Bund) und den Fachverbänden. Vor allem der Hausärzte-verband wird als Beispiel für eine Organisation partikularer und homogener 236 Bandelow beleuchtet die Entwicklung der Ärzteverbände unter dem Gesichtspunkt ihrer Interes-senvermittlungsmöglichkeiten und Einflusspotenziale auf das politische System.

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Akteurslandschaft: Vielfalt und Konstellationen 125

Interessen genannt, die sich in den letzten Jahren von einem unbekannten Be-rufsverband zu einem vetostarken Mitspieler gewandelt hat. Für den Marburger Bund kann sich diese Konkurrenz durchaus als Vorteil erweisen. Allem voran in Fällen, wo es keine Überschneidungen in der Organisationsdomäne gibt. Die Verteilungskämpfe sind dazu geeignet, die Mitglieder der einzelnen Interessen-gruppen noch enger zusammenwachsen zu lassen. Dem Marburger Bund kann die Konkurrenz nutzen, wenn es durch sie gelingt, die Mitgliederbindung zu stärken und darüber letztlich die Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen. Zugleich kann der Verteilungskampf zwischen niedergelassenen und angestellten Ärzte dazu führen, dass die innerärztliche Krankenhaushierarchie an Bedeutung ver-liert und sich damit auch die MB-Mitgliedschaft stärker konsolidiert.

2.3.3 Gewerkschaftliche Akteure Das Alleinstellungsmerkmal des Marburger Bundes in der ausdifferenzierten ärztlichen Verbandslandschaft ergibt sich aus seinem Anspruch einer tarifpoliti-schen Vertretung der Krankenhausärzte. In einer organisations- und tarifpoliti-schen Konkurrenzkonstellation befindet er sich demzufolge nur mit anderen gewerkschaftlichen Akteuren im Krankenhaussektor (vgl. Kapitel 2.3.1 zu Kon-kurrenzebenen). dbb beamtenbund und tarifunion Der Deutsche Beamtenbund besitzt drei Mitgliedsgewerkschaften, die im Be-reich Ärzte und Krankenhaus aktiv sind. Die dbb tarifunion verhandelt für die Fachgewerkschaft Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), der für diese Arztgruppe als berufspolitische und gewerkschaftliche Vertretung auftritt (vgl. BVÖGD o.J.). Der BVÖGD konkurriert daher zwar prinzipiell mit dem Marburger Bund, die praktischen Auswirkungen dieser Konkurrenz sind allerdings begrenzt. Bezogen auf die Gesamtzahl der beschäftigten Ärzte stellt der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) nur einen Nischenbereich dar.237 Darüber hinaus konnte die dbb tarifuni-on/ BVÖGD dort bislang keine Tarifverträge durchsetzen (vgl. Deutsches Ärzteblatt 2011a).

Eine zweite im Krankenhausbereich aktive dbb-Fachgewerkschaft besteht mit der Kommunalgewerkschaft für Beamte und Arbeitnehmer (komba). Die

237 2010 waren lediglich 9.684 Ärzte in Behörden oder Körperschaften tätig (im Vergleich zu 163.632 Krankenhausärzten) (vgl. Bundesärztekammer 2011c: Tab. 2). Dem Marburger Bund ist es zwar gelungen, die Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA), die sich für den ÖGD verantwortlich zeigt, im Februar 2011 zu Tarifverhandlungen zu bewegen. Erfolge konnten er hier bisher jedoch nicht erzielen (vgl. Schick 2011; Ziegler 2011).

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Komba verfügt zwar über einen Fachbereich Gesundheit (vgl. komba o.J.), den-noch ist sie für die weitere Betrachtung ebenfalls nur bedingt relevant. Zum einen beschränkt sich die Zuständigkeit der komba im Gesundheitsbereich auf die Pflege.238 Zum anderen kooperiert die Gewerkschaft tarifpolitisch in der Regel über die dbb tarifunion mit ver.di. Konkurrenz zum Marburger Bund be-steht allenfalls auf Betriebsratsebene. Auch hier kooperiert die komba beispiels-wiese durch das Aufstellen gemeinsamer Listen teilweise mit ver.di. Zuletzt ist die Gesundheitsgewerkschaft Niedersachsen (GeNi) zu nennen, die für den MB ebenfalls unbedeutend ist. Die GeNi tritt nur in Niedersachsen und dort aus-schließlich im Bereich der Personal- und Betriebsräte von Landes- und Uniklini-ken auf. Tarifpolitisch ist gleichfalls die dbb tarifunion und damit ver.di verant-wortlich (vgl. GeNi o.J.).

medsonet. Der Verband medsonet. (Gewerkschaftliches Netzwerk für medizinische und soziale Berufe) bezeichnet sich selbst als „Die Gesundheitsgewerkschaft“ und will „eine solidarische Gewerkschaft aller Beschäftigten des Gesundheitswe-sens“ darstellen (Medsonet o.J.). Nach eigenen Angaben besitzt der Verband 7.000 Mitglieder (ebd.). Medsonet. wurde am 5. März 2008 gegründet und ge-hört dem Christlichen Gewerkschaftsbund Deutschlands (CGB) an.239 Anlass für die Gründung war ein Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Hamburg.240 Ver.di hatte die Tarifzuständigkeit der christlichen Gewerkschaft DHV (DHV – Die Berufsgewerkschaft) für den DRK-Landesverband Sachsen in Frage gestellt und geklagt. Der Anspruch der DHV, Tarifverträge über ihre ursprüngliche, satzungsgemäße Mitgliederklientel der kaufmännischen und verwaltenden Ange-stellten hinaus abschließen zu können, wurde dieser im Januar 2008 vom LAG Hamburg aberkannt.241 Das Urteil bedeutete gleichzeitig, dass eine einfache Satzungsänderung nicht ausreichend wäre, um Tarifverträge im Gesundheitssek-tor abschließen zu können.

238 Vgl. Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 239 Auf die ebenfalls zum CGB gehörende Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Dienstleistungen (GÖD) wird nicht weiter eingegangen. Ihre Webseite und eine Presserecherche lassen darauf schlie-ßen, dass sie im Gesundheitswesen keine Bedeutung hat (vgl. GÖD o.J.). Dem entspricht die Aussage des Marburger Bundes, nach dem die GÖD ausschließlich in einem Betriebsrat vertreten und ansons-ten irrelevant sei (vgl. Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt). 240 „Medsonet. wurde gegründet für den Fall, dass DHV nicht tariffähig ist. Organisiert 100 Beschäf-tigte und ist personal- / ortsidentisch mit DHV“ (Interview ver.di (2) vom 23.03.2009, Bundesver-band, FB 3 Betriebs- und Branchenpolitik; vgl. auch Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesver-band, Hauptamt). 241 LAG Hamburg 4. Kammer, Beschluss vom 23.01.2008, 4 TaBV 4/05. Diese Entscheidung wurde vom Bundesarbeitsgericht ein Jahr später bestätigt (vgl. BAG, Beschluss vom 10. 2. 2009 - 1 ABR 36/ 08).

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Der daraufhin neu gegründete Verband medsonet.242 bemühte sich nachfolgend für die DHV im Gesundheitsbereich Tarifverträge abzuschließen. Ein von ver.di angestrengtes Verfahren vor dem Arbeitsgericht Hamburg ergab am 17.05.2011 in erster Instanz, dass es sich bei dem Verband nicht um eine tariffähige Gewerk-schaft handelt.243 Begründet wurde die Entscheidung damit, dass der Verband sich erst im Nachhinein „ein Tarifstatut gegeben hat“ und wegen seinem gerin-gen Organisationsgrad nicht über die „erforderliche Durchsetzungsfähigkeit gegenüber der Arbeitgeberseite“ verfüge (Arbeitsgericht Hamburg 2011). Wenn das Urteil Bestand hat, sind die mehr als 100 Haustarifverträge, die medsonet. inzwischen mit Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen sowie der Bundesmanteltarifvertrag für die Beschäftigte in Privatkliniken244 abschlie-ßen konnte, nicht gültig. Medsonet. will gegen das Urteil Rechtsmittel einsetzen (vgl. Medsonet 2011).

Als Unterbietungskonkurrenz ist medsonet. bisher, wie beispielsweise beim Deutschen Roten Kreuz oder beim Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK), vor allem gegenüber ver.di aufgetreten.245 Für die Ärzte und den Mar-burger Bund war medsonet. bislang nicht von Interesse. Die aktuellen Entwick-lungen deuten darauf hin, dass sich daran in naher Zukunft kaum etwas ändern wird. Es sieht eher danach aus, dass der Verband mittelfristig als relevanter Ak-teur aus der Tarifpolitik im Gesundheitswesen verschwinden wird.

Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) Die bisher vorgestellten Gewerkschaften246 sind wenn überhaupt ausschließlich in Randbereichen und Sonderkonstellationen von Bedeutung und daher für den 242 Dieser sitzt, wie andere christliche Gewerkschaften, in der gleichen Geschäftsstelle wie der DHV. 243 ArbG Hamburg, Beschluss vom 17.5.2011 - 1 BV 5/10. 244 Abgeschlossen am 20.10.2008 mit dem Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK) (der 2006 bereits einen Bundesmanteltarifvertrag mit der DHV abgeschlossen hatte). 245 Vgl. bspw. ver.di (2011) Sonderseite zum DRK-Blutspendedienst West oder BDPK (2008) zum Abschluss des Bundesmanteltarifvertrages mit medsonet. Sie haben auch „in den Reha-Kliniken arbeitgeberfreundliche Arbeitszeitausnahmen“ ausgehandelt (Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt). 246 Ausgenommen sind die übrigen Berufsgewerkschaften. Obwohl für die Organisationsdomäne des Marburger Bundes nicht bedeutend, sind sie in anderen Bereichen durchaus relevante Akteure. Die Vereinigung Cockpit wird etwa von Montgomery als Vorbild für den Transformationsprozess be-nannt. „Da haben wir nur abgekupfert. [...] Mit Herr Tarp [Vorsitzender Tarifpolitik; d. Verf.] und Herr Sturm [Präsident; d. Verf.] haben wir regelmäßig Sitzung und wir sind schlicht und einfach, nachdem die Erfolg hatten, bin ich mit meinem Tarifgeschäftsführer und mit meinem Hauptge-schäftsführer dahingefahren und haben mit denen diskutiert, was haben sie gemacht, wie haben sie es gemacht und wie haben sie es geschafft“ (Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehren-amt). Ein weiteres Beispiel für Bezugspunkte ist das gemeinsame Vorgehen gegen die gesetzliche Wiederherstellung der Tarifeinheit. MB, GDL, VC, GdF, UFO und VAA hatten sich dazu im No-vember 2010 zusammengeschlossen. Neben Demonstrationen (zum Teil mit dem dbb zusammen, wie beispielsweise beim Tarifknast vor dem Bundeskanzleramt) gaben sie zwei Rechtsgutachten bei

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128 Organisationsumwelt des Marburger Bundes: Strukturen und Konstellationen im Wandel

Marburger Bund allenfalls in einzelnen Fällen ein relevanter Bezugspunkt. An-ders sieht dies bei der zum DGB gehörende Vereinte Dienstleistungsgewerk-schaft (ver.di) aus. Ver.di ist als Multi-Branchengewerkschaft mit mehr als zwei Millionen Mitgliedern (2010) nach der IG Metall die zweitgrößte deutsche Ge-werkschaft. Als Nachfolgeorganisation der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV) ist ver.di traditionell in dominierender Stellung tarifpolitisch für den Krankenhaussektor. Mit ihrem umfassenden, inklusiven Solidaritätsanspruch, der alle Beschäftigten(gruppen) ihres Organisationsberei-ches umfasst,247 sieht sich ver.di selbst als tarif- und berufspolitische Interessen-vertretung der Krankenhausärzte. Die Ärzte sowie die anderen Berufsgruppen im Krankenhaus sind dabei in der Matrix-Organisationsstruktur ver.dis dem Fach-bereich 3 Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen zugeordnet, der mit 350.000 Mitgliedern den größten Fachbereich darstellt (vgl. ver.di o.J.a). Obwohl ver.di nicht viele Ärzte organisiert,248 existiert eine Fachkommission Ärztinnen und Ärzte. Die Fachkommission (ver.di 2006) hat das Ziel:

„[…] die spezifischen beruflichen und fachlichen Interessen der in ver.di gewerkschaftlich or-ganisierten Ärztinnen und Ärzte innerhalb der Organisation besser zur Geltung zu bringen und diese auch nach außen zu vertreten. Eine besondere Bedeutung hat dabei die stärkere Mitwir-kung in der Tarifarbeit.“

Nicht nur aufgrund der heutigen Konkurrenzkonstellation ist ver.di für den Mar-burger Bund bedeutsam. Die ver.di-Fusion 2001 gestaltete die Gewerkschafts-landschaft gravierend um. Für die Herausbildung berufsgewerkschaftlicher Kon-kurrenz ist bedeutsam, dass die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) in ver.di aufging (vgl. Kapitel 2.1.1 zur Integrationskrise).249 Damit verschwand nicht nur eine Gewerkschaft aus der Tarifarena im Krankenhaussektor. Gleich-zeitig ging der zwischen Marburger Bund und DAG bestehende Freundschafts-vertrag auf ver.di über (vgl. Kapitel 4.4.4). Ver.di schloss daher, bis sich der MB als Ärztegewerkschaft 2006 tarifpolitisch selbstständig machte, die Tarifverträge für die Ärzte ab. Die Dienstleistungsgewerkschaft ist daher in zweifacher Hin-sicht Teil der Gelegenheitsstruktur zur Transformation des Marburger Bundes (vgl. Kapitel 6.1.2 und 6.1.1).

Wolfgang Däubler und Volker Rieble in Auftrag (vgl. Marburger Bund 2010a; GDL 2010; Deutsches Ärzteblatt 2011b; Fußnote 752). 247 „Das Lebenselixier der Gewerkschaften ist die Solidarität“ (ver.di o.J.b). 248 „Dazu gibt es keine Statistiken. In den 1980er Jahre waren etwa 3.500 Ärzte bei ver.di und 35.000 im MB. Aber ver.di hat bei fast allen 2.000 Krankenhäusern Ärzte organisiert“ (Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik). „Es gab nie nennenswert Ärzte bei ver.di. Ich glaube, zu besten Zeiten waren tausend Ärzte bei ver.di organisiert“ (Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt). 249 Zum Fusionsprozess vgl. bspw. Müller et al. 2002; Kahmann 2005.

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Akteurslandschaft: Vielfalt und Konstellationen 129

2.3.4 Organisationen auf Arbeitgeberseite Während Wirtschaftsverbände als interessenpolitische Konkurrenz auftreten, agieren die Arbeitgeberverbände als tarifpolitische Gegenspieler.250 Die für den Krankenhaussektor und den Marburger Bund relevanten Akteure auf Arbeitge-berseite werden im Folgenden vorgestellt. Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) „Die DKG hat den Charakter eines Unternehmensverbandes.“251 Sie ist ein Ver-band zweiter Ordnung, in dem 12 Spitzen- (von der Arbeiterwohlfahrt bis zur Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland) und 16 Landesverbände der Krankenhausträger zusammengeschlossen sind. Die Krankenhäuser werden somit in einer doppelten Struktur eingebunden, einzelne Kliniken können aber nicht Mitglied der DKG werden. Diese versteht sich als Sprachrohr aller Kran-kenhäuser252 und vertritt deren Interessen gegenüber Politik, Institutionen, ande-ren Organisationen und der Wissenschaft (vgl. DKG 2011a). Sie gibt die Zeit-schrift das Krankenhaus heraus und erstellt die jährliche Klinikumfrage Kran-kenhaus Barometer. Weitere Beratungs- und Forschungsleistungen werden durch das assoziierte Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) erbracht. Als Wirtschafts-verband ist die DKG ein wichtiger Akteur, der die Interessen der Krankenhaus-träger im Gesetzgebungsprozess vertritt. Beispielsweise wurde der „Budget-Ausgleich für die Tariferhöhung [...] von der DKG verhandelt.“253 Die DKG tritt aber nicht als Arbeitgeberverband in der Tarifpolitik auf. Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) Die TdL ist der Arbeitgeberverband (AGV), in dem sich die Bundesländer zu-sammengeschlossen haben. Allerdings sind Berlin und Hessen nicht in der TdL vertreten. Berlin wurde 1994 ausgeschlossen und Hessen trat 2004 auf eigenen Wunsch aus (vgl. Keller 2010: 122). Als AGV vertritt die TdL die Länder (Fi-nanzminister/ Finanzministerien) in Tarifverhandlungen mit den im öffentlichen Dienst aktiven Gewerkschaften (vgl. ebd.: 112f.). Die TdL ist damit für einen Teilbereich der Krankenhausbranche – für die Kliniken in öffentlicher Träger-schaft der Länder – zuständig. Im Fall der Länder sind dies die Universitätsklini- 250 Wirtschaftsverbände sind primär für die gütermarktbezogene, politische Interessenvertretung zuständig. Im Gegensatz dazu erfolgt die arbeitsmarktbezogene, tarifpolitische Interessenvertretung durch die Arbeitgeberverbände (vgl. bspw. Schroeder/ Weßels 2010). 251 Interview DKG (2) vom 15.07.2009, Krankenhausfinanzierung. Unternehmensverband meint hier den Organisationstyp des Wirtschaftsverbandes (vgl. Fußnote 250). 252 „Bis auf wenige private Krankenhäuser gehören alle Kliniken der DKG an“ (Interview DKG (2) vom 15.07.2009, Krankenhausfinanzierung). 253 Interview DKG (2) vom 15.07.2009, Krankenhausfinanzierung.

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ken. Würden alle Unikliniken erfasst, wären die Tarifverträge der TdL für 1,6 Prozent der Krankenhäuser und 19,2 Prozent der Ärzte maßgeblich (2009) (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 36, Tab. 2.5.1). Die aktuell für den Kranken-hausbereich relevanten Tarifverträge sind der TV-L (Tarifvertrag für den öffent-lichen Dienst der Länder) mit ver.di und der TV-Ärzte/TdL mit dem Marburger Bund. Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) Die VKA ist der zweite relevante Arbeitgeberverband im Bereich der öffentli-chen Krankenhäuser. Diese vertritt als Spitzenorganisation die tarifpolitischen und arbeitsrechtlichen Interessen der kommunalen Arbeitgeberverbände (KAV), die auf Länderebene organisiert sind (vgl. Keller 2010: 106, 109). Die Kliniken in kommunaler Trägerschaft nehmen nicht nur innerhalb der KAV einen großen Stellenwert ein. Die Tarifverträge der VKA haben darüber hinaus, gemessen an der Anzahl der erfassten Kliniken, die größte Reichweite. Im Jahr 2009 erfassten die Tarifverträge der VKA 29,5 Prozent der Krankenhäuser und 37,1 Prozent der Ärzte (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 36, Tab. 2.5.1). Die momentan für den Krankenhausbereich gültigen Tarifverträge sind der TVöD-K (Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst, Besonderer Teil Krankenhäuser) mit ver.di und der TV-Ärzte/VKA mit dem Marburger Bund. Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK) Der BDPK und seine Landesverbände vertreten die wirtschaftlichen und sozialen Interessen privater Kliniken. Sie treten in dieser Funktion als Lobbyisten in Ge-setzgebungsverfahren und als Tarifpartner auf (vgl. BDPK 2011). Wie bereits bei der Vorstellung von medsonet. angedeutet, versucht der Verband, die Unter-bietungskonkurrenz im Gewerkschaftsbereich auszunutzen. Dazu schloss er Bundesmanteltarifverträge zunächst mit der DHV, anschließend mit medsonet. ab (vgl. Fußnote 244). Ein Tarifvertrag mit ver.di oder dem Marburger Bund besteht dagegen nicht. Da die großen Klinikkonzerne (vgl. Kapitel 2.2.2) jedoch eigenständige Haustarifverträge verhandeln, ist der BDPK nur für die kleinen Privatkliniken von Bedeutung. Eine Ausnahme bildet die MediClin AG die Mit-glied im BDPK ist und bisher nicht bereit war, mit ver.di oder Marburger Bund Tarifverhandlungen zu führen.254

254 Vorsorglich schreibt die MediClin AG auf ihrer Webseite: „Bei den Ärzten zahlt die MediClin z.B. schon jetzt auf Niveau Marburger Bund – ohne tarifvertragliche Verpflichtung“ (MediClin 2011).

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Bedeutung des Umweltwandels für Ärzte und Marburger Bund 131

Bedeutung für den Marburger Bund Auf Arbeitgeberseite ist der Marburger Bund mit einer heterogenen Landschaft von Verhandlungspartnern konfrontiert, die sich sowohl entlang der drei Träger-strukturen als auch innerhalb dieser entfaltet. Die Notwendigkeit, mit verschie-denen Partnern verhandeln zu müssen, erhöht den Aufwand der Tarifverhand-lungen und wirkt sich daher zunächst einmal negativ auf die Transaktionskosten aus. Hinzu kommt ein erhöhtes Risiko für (wiederholt nötige) Arbeitskämpfe (vgl. bspw. Schnabel 2008: 7, 23). Gleichzeitig erweist es sich als schwieriger, ein einheitliches Niveau der Tarifabschlüsse über die verschiedenen Träger und Krankenhäuser hinweg sicherzustellen (vgl. Kapitel 4.4.3). 2.4 Bedeutung des Umweltwandels für Ärzte und Marburger Bund Die Veränderungsprozesse, die im Krankenhaussektor im Speziellen und im Gesundheitssektor im Allgemeinen ablaufen, haben vielfältige Auswirkungen auf die Ärzte, ihren Beruf, ihren Arbeitsalltag und die sie vertretende Berufsge-werkschaft. Mit der seit 1993 andauernden Kostendeckelung im Gesundheitswe-sen und bislang fünf pauschalen Budgetkürzungen255, sind Verteilungskämpfe zwischen den Berufsgruppen und innerhalb der Ärzteschaft (zwischen niederge-lassenen und angestellten Ärzten) vorprogrammiert. Diese spiegeln sich gleich-falls im Verhältnis zwischen den Gewerkschaften wider. Denn jeder tarifpoliti-sche Erfolg des Marburger Bundes beeinträchtigt den Verhandlungsspielraum für die übrigen Beschäftigten.256 Der Ärztemangel wirkt ebenfalls auf das Ver-hältnis zwischen den Akteuren zurück. Denn er verleiht dem Berufsstand der Ärzte und dem Marburger Bund temporär eine erhöhte Mächtigkeit. Damit wird die Position und Durchsetzungsstärke der Ärztegewerkschaft in der Arena der Arbeitsbeziehungen aufgewertet. Zugleich vergrößert sich mit der steigenden Zahl an Krankenhausärzten die Organisationsdomäne des Marburger Bundes. Wenn diese Entwicklung in Mitgliederzuwächse umgesetzt werden können, 255 1997, 1998 und 1999 um jeweils einen Prozentpunkt und 2007 sowie 2008 um 0,8 Prozentpunkte (vgl. Simon 2008a: 10). 256 Der Hinweis darauf, „dass alle diese Bestrebungen [Tariferhöhungen, Lohnspreizung] im gede-ckelten System zu Lasten anderer Berufsgruppen gehen“ (Interview DKG (1) vom 15.07.2009, Personalwesen Krankenhaus) muss aber dahingehend relativiert werden, dass der tarif- und lohnpoli-tische Verhandlungsspielraum grundsätzlich begrenzt ist. Bei einer produktivitätsorientierten Ge-haltspolitik wirken Produktivitätswachstum und Inflationsrate einschränkend (vgl. Kädtler 2003: 353). Unter mikroökonomischen Gesichtspunkten begrenzt die „Differenz zwischen Nettoerlös der Unternehmen und Opportunitätskosten der Gewerkschaft“ den Verhandlungsspielraum (Eichberger 2004: 325). Dennoch gelten im Krankenhaussektor verschärfte Bedingungen. Zumindest insoweit, als die Budgetdeckelung auch die Generierung zusätzlicher Gewinne, die theoretisch den Verhandlungs-spielraum vergrößern könnten, begrenzt (vgl. Kapitel 2.1.3).

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steigen Vetomacht und Ressourcenausstattung weiter an. Die Gesamtentwick-lung der Branche mit ihren Auswirkungen auf Lohn, Arbeitszeit, Tätigkeit und Arbeitsbedingungen sowie die sich daraus speisende Unzufriedenheit der Kran-kenhausärzte bieten dem Marburger Bund vielfältige Ansatzmöglichkeiten, um seine Mitglieder zu mobilisieren.

Im Zuge der Wettbewerbsverschärfung steigt nicht nur die Zahl der Fusio-nen und Privatisierungen. Insbesondere nimmt die Rechtsformänderung bei Krankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft zu. Denn die Budgetdeckelung sowie die Einführung von Wettbewerb durch das Fallpauschalsystem machen Kosteneinsparungen für alle Krankenhäuser unabhängig von ihrer Trägerschaft unumgänglich.257 „Mit Budgetdeckelung und Fallpauschalen erhöht sich der Druck wirtschaftlich konkurrenzfähig zu werden und zu bleiben.“258 Die Gesetz-gebung hat „alle Krankenhausträger unter starken Druck gesetzt, jedes verfügba-re Mittel zur Kostenreduzierung auf betrieblicher Ebene zu nutzen“ (Böhm/ Henkel 2009: 93). Die rigide Sparpolitik wirkt sich unmittelbar auf den Perso-nalbereich aus (vgl. Kapitel 2.2.3). Da dieser den größten Teil der Ausgaben ausmacht, wird hier offenbar das größte Einsparpotenzial gesehen. Hinzu kommt, dass bei Ausgabenkürzungen in anderen Bereichen verstärkt auf direkte, messbare Auswirkungen auf die Qualität und das Leistungsspektrum geachtet werden müssen.259 Simon (2008a: 16) unterteilt zwei Ansatzpunkte für Kosten-senkungskonzepte. Der erste Maßnahmenbereich setzt an der Preiskomponente an und wirkt oft auf das Entgelt der Beschäftigten. In- und Outsourcing von Leistungen findet vornehmlich in den niedrig qua-

lifizierten Beschäftigungsbereichen statt, die nicht im Kernbereich stationä-rer Aufgaben liegen. Reinigungskräfte, Wäscherei, Labore oder Radiologie werden von Dritten eingekauft (Outsourcing) oder in eigene Gesellschaften (Insourcing) ohne Tarifbindung ausgelagert (vgl. Simon 1997: 39f.).260 Ärz-te und Pflegepersonal sind zumeist nicht direkt betroffen.

257 „Auch öffentliche Krankenhäuser schaffen es, durch Ökonomisierung Gewinn zu machen. Die Strategie der Privaten werden abkupfert“ (Interview ver.di (2) vom 23.03.2009, Bundesverband, FB 3 Betriebs- und Branchenpolitik). 258 Interview DKG (2) vom 15.07.2009, Krankenhausfinanzierung. 259 Gleichwohl werden auch über den personellen Bereich hinaus Einsparungen vorgenommen. Eingeschränktes Einsparungspotenzial bietet sich durch Spezialisierung/ Veränderung der Fachabtei-lungsstruktur (vgl. Interview DKG (2) vom 15.07.2009, Krankenhausfinanzierung) sowie in Form von Einkaufsgemeinschaften, der Einführung effizienterer Verwaltungstools oder Software (vgl. Blum et al. 2007: 25f. Simon 1997: 28). In rund 10 Prozent der Krankenhäuser werden darüber hinaus wettbewerbseinschränkende Konzepte (Kooperationen und Abstimmungen im Bereich des Leistungsangebots zwischen Kliniken) verfolgt (vgl. Blum et al. 2007: 28ff.). 260 Zwischen 2004 und 2007 hatten 32,4 Prozent aller Krankenhäuser bereits Leistungen outgesourct und 25,4 Prozent Leistungen an Tochterunternehmen ausgelagert (vgl. Blum et al. 2007: 27f.).

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Kürzung oder Kündigung übertariflicher Bestandteile können alle Beschäf-tigtengruppen gleichermaßen treffen. Für die Mobilisierung der Ärzte in den Streiks 2004 spielte dieser Aspekt in Form einer Kündigung von BAT-Bestandteilen eine besondere Rolle (vgl. Kapitel 5.1.1).

Der Ausstieg aus dem flächendeckenden Tarifsystem findet auf vielfältige Weise statt und zersplittert die Tariflandschaft. Die vollständige Privatisie-rung von Krankenhäusern ist dabei nur eine mögliche Form der Tarifflucht. Strategien, um bestehende Tarife zu umgehen, finden sich auch bei Häusern in kirchlicher Trägerschaft und denjenigen, die sich in öffentlicher Hand be-finden. Ein Beispiel für Tarifflucht stellt der Austritt Hessens aus der TdL dar. Aber auch im kommunalen Bereich lassen sich Kliniken ausmachen, die den Arbeitgeberverband (VKA) verlassen, um die Tarifbindung zu be-enden.261 In allen Fällen müssen separate Verträge oder Haustarifverträge durchgesetzt werden. Dies erhöht die Verhandlungskosten und wirft ferner die Frage auf, zu welchen Zugeständnissen die Gewerkschaft und deren Mitglieder bereit sind, um einen Tarifvertrag abzuschließen. Unter dem Druck der Branchenveränderungen nimmt der Stellenwert von Notlagen- oder Sanierungstarifverträgen zu, die Krankenhäuser aus der Verlustzone herausholen sollen.262

Die Anordnung von Überstunden einzuschränken belastet besonders den Ärztlichen Dienst. Die fehlende Anordnung macht eine Abrechnung der dennoch aus medizinischer Notwendigkeit oder aufgrund der Abhängig-keitsverhältnisse in der Weiterbildung geleisteten Überstunden unmöglich (vgl. Kapitel 3.2.2; Simon 1997: 27f.).

Der zweite Maßnahmenbereich setzt an der Mengenkomponente an (vgl. Simon 2008a: 16). Für die Beschäftigten wirkt sich dieser vor allem auf die Arbeitsbe-dingungen aus.

261 „Öffentliche Krankenhäuser sind normalerweise über VKA/ TdL tarifgebunden, es ist aber eine Tendenz kommunaler Krankenhäuser feststellbar auszusteigen.“ (Interview DKG (1) vom 15.07.2009, Personalwesen Krankenhaus). 262 Laut Krankenhaus Barometer galten 2007 in 11 Prozent aller Krankenhäuser Notlagentarifverträge und in 8 Prozent der restlichen Kliniken waren solche geplant. Ostdeutsche Einrichtungen waren überproportional betroffen. In 2008 erfolgte eine Annährung, gleichzeitig schien sich die Lage in der Branche verbessert zu haben, so dass nur noch in 9 Prozent der Kliniken Notlagentarifverträge galten und lediglich 3 Prozent angaben, entsprechende Verträge abschließen zu wollen (vgl. Blum et al. 2007: 69; 2008: 33).

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Wiederbesetzungssperren, um zeitlich begrenzt Personalkosten zu sparen, reißen nicht vorgesehene Lücken in die Personaldecke, die von den Be-schäftigten durch Mehrarbeit, Überstunden oder Arbeitsverdichtung kom-pensiert werden müssen.

Durch eine Zunahme von Befristung und Teilzeitarbeitsplätzen wird die Beschäftigtenflexibilität auf Kosten der Arbeitnehmer und zu Gunsten des Arbeitgebers erhöht.263

Der Abbau von Stellen führt entweder zu einer Mehrbelastung der Restbe-legschaft oder zur „Ersetzung fester Beschäftigung durch Leiharbeit, insbe-sondere im Pflegedienst“ (Simon 2008a: 16).

Im Hintergrund dieser beiden Maßnahmenbereiche steht die zunehmende Mana-gementorientierung der Krankenhausverwaltung. Um die Ressourcennutzung zu optimieren und die Effizienz zu steigern, wird die Administrationsebene der Kliniken ausgebaut. Zugleich weitet sich die Bürokratisierung von Abläufen aus.264 Die Leistungskontrolle, die sich positiv auf die Wirtschaftlichkeit des Krankenhauses auswirken soll, liefert gleichzeitig die Datengrundlage, um den Erfolg oder Misserfolg im Klinikbetrieb bundesweit vergleichbar zu machen. Die verstärkten Wettbewerbsbedingungen und die Ökonomisierung infolge von Budgetdeckelung und Fallpauschalen verändert Arbeitsabläufe, Tätigkeiten und Hierarchieverhältnisse. Im Resultat verändert sich der „Charakter des Kranken-hauses“, was Arnold (1993: 18) kritisch unter der Überschrift „Vom Kranken-haus zur Gesundheitsfabrik“ zusammenfasste. Die gleiche Metapher wählt Mar-tens (2008: 20ff.), wenn er den von Ärzten empfundenen Statusverlust als Herabstufung vom „Halbgott in Weiß“ zum „Facharbeiter in der Gesundheits-wirtschaft“ beschreibt. Diese Veränderung im Standes- und Statusempfinden der Ärzte ist Gegenstand des folgenden Kapitels.

263 Vgl. auch Interview ver.di (4) vom 31.08.2011, Bundesverband, Hauptamt. 264 Zur Ökonomisierung der Krankenhäuser und deren Auswirkungen auf die Entscheidungsstruktu-ren in Kliniken sei beispielsweise auf Simon (2001) verwiesen, der eine qualitative Untersuchung im Rahmen der Arbeitsgruppe Public Health am Wissenschaftszentrum Berlin vorgelegt hat.

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3 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

Der Beruf definiert als grundlegende Kategorie die Organisationsdomäne eines Berufsverbandes. Dieser wird sich in seinem Handeln daher an dem der Mit-gliedschaft zugrundeliegenden Beruf, dessen Berufsbild und -profil orientieren. Berufsorganisationen und Beruf(sprofil) beeinflussen sich somit wechselseitig. Dies trifft insbesondere auf den Marburger Bund zu. Denn beim Arztberuf han-delt es sich um eine Profession, bei der Standes- und Statusfragen aufs Engste mit beruflichen Aspekten verwoben sind. Umfassend soziologisch bearbeitet wurde die ärztliche Profession von Eliot Freidson (1979: 23),265 der auf die Be-deutung „ offizieller Organisationen von Berufsständen“ für die Profession und deren Standesverständnis hinweist. Die Wechselwirkung zwischen der Berufs-entwicklung und der Organisation des Berufs wird auch in dem von Jütte 1997 herausgegebenen Sammelband zur „Geschichte der deutschen Ärzteschaft“ be-tont.266 Die Autoren stellen in einer umfassenden Analyse der historischen Gene-se der „Standesvertretung der Ärzte“ den Zusammenhang zwischen der sich entwickelnden Verbandslandschaft, der ärztlichen Standesfrage und dem Arztbe-ruf her (Jütte 1997b: 12). Diese Feststellung ist zunächst ein Indiz dafür, dass sich Stand und Status im Laufe der Zeit wandeln. Sie unterliegen in Abhängig-keit von der sie umgebenden Umwelt einem steten Anpassungs- und Verände-rungsdruck. Zugleich sind Berufsgruppen diesem Druck nicht ohnmächtig ausge-liefert. Sie können kollektiv versuchen, auf die Entwicklung des Berufsstandes Einfluss zu nehmen. Die Herausbildung der ärztlichen Profession kann daher nicht „ohne die ausführliche Behandlung der Berufsverbände“ verstanden wer-den (Rauskolb 1976: 92f.).

265 Freidsons einschlägige Monographie „Der Ärztestand. Berufs- und wissenschaftssoziologische Durchleuchtung einer Profession“ liefert detaillierte Einsichten in die Professionalisierung des Arzt-berufes und die arbeitsteilige Gestaltung des Beschäftigungsplatzes Krankenhaus. Kritisch zu berück-sichtigen ist die hauptsächlich amerikanische Perspektive seiner aus dem Jahr 1970 stammenden Untersuchung. 266 Eine Verknüpfung des ärztlichen Berufsstandes und der Sozialgeschichte findet sich auch in der Arbeit von Gabriele Moser (2011), die allerdings zeitlich auf das Kaiserreich und die Weimarer Republik beschränkt ist.

S. Greef, Die Transformation des Marburger Bundes, DOI 10.1007/978-3-531-19574-2_3,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

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136 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

„[…] der ‚Aufstieg der Ärzte‘ zur gesellschaftlichen Elite […] [war] ein Weg […], der von dieser Berufsgruppe und gerade ihren Standesorganisationen erkämpft und von Staat und Ge-sellschaft letztlich auch weitgehend akzeptiert und legitimiert wurde“ (Jütte 1997b: 12).

Gleichzeitig lässt sich aus dieser historischen Wechselwirkung für die Gegen-wart folgern, dass gesellschaftliche, fachliche und berufliche Wandlungsprozesse wichtige Faktoren sind, auf die statusbezogene Professionen und ihre Organisa-tionen reagieren (müssen). Veränderungen in Beruf und Status der Krankenhaus-ärzte erzeugen daher Druck auf den Marburger Bund, auf diese Prozesse zu rea-gieren. Dessen Transformation muss also auf die Bedeutung solcher Verände-rungen hin untersucht werden. Das vorliegende Kapitel analysiert die ärztliche Profession, das Berufsprofil der Krankenhausärzte sowie deren Wandlungspro-zesse. Die Untersuchung knüpft dabei an den bereits aufgezeigten Branchenver-änderungen an, die auf den Arztberuf und – vermittelt über die Mitgliedschaft – auf den Marburger Bund wirken. 3.1 Entwicklung der ärztlichen Profession Der Arztberuf genießt ein hohes gesellschaftliches Ansehen. Der besondere Sta-tus und das Sozialprestige von Ärzten manifestieren sich sprachlich in der Meta-pher vom Halbgott in Weiß.267 Die Geschichte des Berufes zeigt jedoch, dass dieser Sonderstatus erkämpft werden musste. „Der ärztliche Beruf ist kein Ge-werbe; er ist seiner Natur nach ein freier Beruf“,268 heißt es heute in der Bundes-ärzteordnung (Deutscher Bundestag 2010a: §1 Abs. 2). Allein diese Festlegung galt Jahrhunderte lang nicht. Die Ärzte entwickelten sich nur schrittweise zu „anerkannten Allein-Experten in Sachen Gesundheit“, was unter dem Konzept der Professionalisierung zu fassen ist (Jütte 1997b: 12). Berufsgeschichtlich können die Anfänge der Professionalisierung des Arztberufes bis auf die Jahr-hundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert zurückgeführt werden. Zu diesem

267 Mitunter impliziert diese Metapher den Vorwurf eines elitären Habitus, der den Ärzten zuge-schrieben wird (vgl. Interview MB (1) vom 23.04.2008, Bezirksverband, Ehrenamt; Interview ver.di (2) vom 03.03.2009, Bundesverband, FB 3 Betriebs- und Branchenpolitik). 268 Da der Begriff Freie Berufe hauptsächlich nur noch der Abgrenzung gegenüber einem Gewerbe beziehungsweise einer gewerblichen Tätigkeit dient, wird in dieser Arbeit vornehmlich der Begriff Profession verwandt. Für einen soziologische Betrachtung von Profession und Freiberuflichkeit vgl. bspw. Kairat 1969. Bezogen auf die Unterteilung der Ärzteschaft in niedergelassene und angestellte Ärzte ergäbe sich darüber hinaus das Problem, dass mit einer freiberuflichen Tätigkeit zugleich eine wirtschaftliche Selbstständigkeit verbunden wird, die sich auf die Krankenhausärzte (mit Ausnahmen der Chefärzte) nicht anwenden lässt. Hier ist der professionsbezogene Aspekt der beruflichen Auto-nomie passender. Speziell zur Freiberuflichkeit des Arztberufes vgl. bspw. Rauskolb 1976: 29-38, 44-49.

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Zeitpunkt erwies sich die Ärzteschaft noch als eine „sowohl ihrer sozialen Her-kunft wie ihrer Ausbildung nach stark inhomogene Berufsgruppe“ (Moser 2011: 15). Das zentrale Anliegen der Ärzteschaft bestand daher zunächst darin, eine berufliche Monopolstellung (Heilkundemonopol) und damit überhaupt einen Berufsstand herauszubilden. Zeitgleich begann sich eine differenzierte Organisa-tionslandschaft der Ärzte zu entwickeln (vgl. Jütte 1997a: 17; Rauskolb 1976: 55; Kapitel 2.3.2). 3.1.1 Wissenschaftliche Ausrichtung vom 17. bis 19. Jahrhundert Die Anfänge der ärztlichen Verbandslandschaft liegen im 17. Jahrhundert. Der Flickenteppich deutscher Einzelstaatlichkeit verhinderte überregionale Zusam-menschlüsse und befördert die Gründung vieler regionaler und lokaler Vereine. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts wird von der „gelehrigen Periode des ärzt-lichen Vereinslebens“ gesprochen, da sich die Vereinsziele auf Geselligkeit und Wissenschaft richteten (Stobrawa 1979: 10).269 Eine wesentliche Funktion der ersten ärztlichen Vereine war die wissenschaftliche Fortbildung. Diese wurde nicht nur als Berufspflicht verstanden. Das theoretische und praktische Wissen der Ärzteschaft wurde auch betont, um diese von Konkurrenten (medizinischen Laien, Kurpfuschern) abzuheben. Zudem war die Fortbildung bereits mit dem berufsständischen Ziel verknüpft, das „insgesamt noch geringe Ansehen der Ärzteschaft in der Öffentlichkeit zu heben“ (Jütte 1997a: 20). Im Zuge des medi-zinischen Fortschritts und einer Verwissenschaftlichung der ärztlichen Ausbil-dung im Medizinstudium gelang es schrittweise, den Expertenstatus der Ärzte-schaft auszubauen. Diese Entwicklung wirkte sich schließlich positiv auf das Sozialprestige der Ärzteschaft aus (vgl. ebd.: 21).

Auf diese wissenschaftlich orientierten Vereine folgte eine zweite Grün-dungswelle in den 20er- und 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts durch standes- und gesundheitspolitisch orientierte und interessierte Ärzte. Damit begann die sogenannte „Periode der Standeseinheit“, in der sich die Ärzteverbände stärker auf standespolitische Aufgaben konzentrierten (Stobrawa 1979: 13). Sie verstan-den sich „im Unterschied zu ihren Vorgängern sehr viel mehr als Wahrer be-rufsständischer Interessen und [...] [beanspruchten] daher ein weitgehendes Mit-spracherecht in Medizinalangelegenheiten“ (Jütte 1997a: 28). In diesem Zusam-

269 Stark vereinfacht charakterisiert auch Rauskolb (1976: 99) drei Phasen ärztlicher Berufsorganisa-tion, die sie anhand ihrer primären Zielsetzung unterscheidet: 1. Phase: Wissenschaftliche Zielset-zung; 2. Phase: Standespolitische Zielsetzung; 3. Phase: Wirtschaftliche Zielsetzung.

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menhang setzten sie sich für eine Reform der Medizinalordnung ein.270 „Eines der Kennzeichen professioneller Berufe ist die Tatsache, daß sie, sobald eine Profession im Entstehen ist, sehr aktiv den Prozeß der Institutionalisierung ihres Berufes vorantreibt“ (Rauskolb 1976: 54). Die Reform sollte den Professionali-sierungsprozess unterstützen. Neben Zugangsbeschränkungen sollte vor allem die Heterogenität innerhalb der Ärzteschaft, die einem einheitlichen Stand entge-genstand, verringert werden (vgl. Jütte 1997a: 24).271 Interessenpolitisch rückten für die Ärzteverbände mit der Medizinalordnung gleichzeitig die Staatsregierun-gen als Ansprechpartner in den Blick. Bei ihrer Forderung, die letztlich auf die Einrichtung von Ärztekammern abzielte, orientierten sich die Ärzte am Vorbild der Rechtsanwälte. Dabei verfolgten die Verbände teils widersprüchliche Ziele. Einerseits forderten sie staatliche Unterstützung bei der Bildung eines Heilkun-demonopols. Andererseits strebten sie nach einer völligen Berufsfreiheit ohne staatlichen Einfluss (wie er beispielsweise bei den Amtsärzten gegeben war). Ebenso stand der Wunsch nach staatlich unterstützter kollektiver Selbstorganisa-tion gleichzeitig der mit der Berufsfreiheit verbundenen Autonomie des einzel-nen Arztes entgegen (vgl. Stobrawa 1979: 14).

Ein weiterer Grund für die zunehmend berufsständische Ausrichtung der Verbände ist in einer politisch engagierten Ärzteschaft zu sehen. Seit den Revo-lutionsjahren 1848/49 diskutierten die Ärzte standes-, berufs- und gesundheitspo-litische Fragen. Zeitgleich riefen sie zu einem freiwilligen Zusammenschluss der gesamten deutschen Ärzteschaft auf, um die eigene Schlagkraft zu erhöhen (vgl. Jütte 1997a: 33). Im Zuge der Restauration in den 1850er-Jahren versandeten die Reformversuche. Zwar wurde 1852 in Preußen der Wundarzt abgeschafft und damit die ärztliche Ausbildung und Qualifikation vereinheitlicht, was einen wichtigen „Schritt zur modernen Profession“ darstellte (Moser 2011: 17). Mit den Gesundheitspflegevereinen übernahmen jedoch erneut wissenschaftlich ori-entierte Ärzteverbände (Erforschung von Krankheiten) eine wichtige Stellung in der organisierten Ärzteschaft. Die (berufs-)politischen Anstrengungen der Ver-bände dagegen kamen zum Stillstand (vgl. Stobrawa 1979: 13, 16).

270 Die Medizinalordnung oder auch Medizinalverfassung kann im Unterschied zur heutigen Tren-nung zwischen Berufsordnung und Ärzteordnung (vgl. Kapitel 3.2.2) als Mischform der beiden angesehen werden (vgl. Stobrawa 1979: 28). 271 Die Heterogenität ergab sich aus der nicht einheitlichen Regelung von Zugang und Prüfung der Ärzte in den Staaten des Deutschen Bundes sowie der Ausbildung in mindestens zwei unterschiedli-chen, konkurrierenden Klassen (praxisorientierte Wundärzte und akademische Ärzte). Zusätzlich führte die bis in die 1830er-Jahre steigende Studierendenzahl zu Konkurrenz zwischen den Ärzten, die sich auch auf die allgemeine materielle Lage der Ärzteschaft auswirkte (vgl. Jütte 1997a: 26f.).

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Entwicklung der ärztlichen Profession 139

3.1.2 Zentralisierung, Standeseinheit und staatliche Unterstützung In den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts gaben staatliche Initiativen den Anlass, dass sich die Ärzteverbände erneut standespolitischen Aufgaben widmeten.272 Das Herzogtum Braunschweig etablierte neben freiwilligen Ausschüssen eine Kammer für Ärzte und Apotheker mit Pflichtmitgliedschaft (vgl. Jütte 1997a: 37-40; Moser 2011: 21). Im Großherzogtum Baden entwarf der ärztliche Ausschuss eine Arztordnung. Vorbild für das Kammerwesen und die Arztordnung waren die Anwälte, „an deren beruflicher Stellung und Sozialprestige sich die Mediziner besonders orientierten“ (Herold-Schmidt 1997: 55).

Ein für die Professionalisierung des Berufs wichtiger Schritt war der „Kampf der Ärzteschaft um Standeseinheit, Expertenstatus und Marktmonopol“ (Jütte 1997a: 38). 1877 wurde daher das Thema einer ärztlichen Berufs- und Standesordnung zum ersten Mal auf dem Ärztetag diskutiert (vgl. Stobrawa 1979: 21). Diese sollte in Form einer Deutschen Reichsärzteordnung mit Appro-bationsentzugs- und einheitlichen Zulassungskriterien umgesetzt werden. Ziel war es einerseits, die durch die Gewerbeordnung von 1869 errungenen Vorteile der Niederlassungsfreiheit und der freien Honorarvereinbarung sicherzustellen. Andererseits sollten gleichzeitig deren Nachteile (Einordnung unter Gewerbe273 und nicht freier Beruf/ freie Wissenschaft; Abschaffung des Kurpfuscherei-verbots274 und damit einhergehende Erosion der Standeswürde) abgeschafft wer-den. Der hier erfolgte Versuch, die Tätigkeitsausübung zu monopolisieren und konkurrierende Gruppen auszugrenzen, ist elementarer Bestandteil von Profes-sionalisierungsprozessen (vgl. Rauskolb 1976: 56). Für diese Monopolbildung warben die Ärzte um staatliche Unterstützung. Sie verwiesen auf die besondere „Bedeutung des Arztberufes für das Allgemeinwohl“275, die „der Profession 272 Das Großherzogtum Baden erließ eine Verordnung, durch die ein gewählter ärztlicher Ausschuss ins Leben gerufen wurde. Außerdem wurde die Vereinsbildung ausdrücklich erlaubt (vgl. Jütte 1997a: 37). 273 Bezogen auf das Sozialprestige bedeutete diese Einordnung des Arztberufes als „gewöhnliche Erwerbstätigkeit“ aus Sicht der Ärzte, dass auch ihnen zugeschrieben würde „das Streben nach Profit unter Hintanstellung aller ethisch-moralischen Prinzipien“ in den Vordergrund zu stellen, was sich nicht mit ihrem Berufsethos und ihrer Standesehre vereinbaren ließ (Moser 2011: 48). 274 Zur Kurpfuscherei zählten nicht naturwissenschaftliche Behandlungsmethoden (wie Naturheilver-fahren oder Homöopathie), die Behandlung durch medizinische Laien oder die „Kompetenzüber-schreitungen zugelassener niederer Heilpersonen“ (Herold-Schmidt 1997: 60). Diese Konkurrenz war aufgrund der Kurierfreiheit möglich, die mit der Aufnahme des Arztes in die Gewerbeordnung einherging (vgl. Moser 2011: 22) 275 „Für die Legitimation beruflicher Autonomie- und herausgehobener Sozialstatusforderungen spielte somit die Bedeutung der Ärzte für die öffentliche Gesundheit eine zentrale Rolle. Immer wieder wurde daher auf das Volkswohl, ja sogar auf das des Reiches und die Erhaltung des politi-schen Status quo Bezug genommen“ (Herold-Schmidt 1997: 81). Einen wichtigen Beitrag zu dieser Interpretation leistete die Einführung der Krankenversicherung für Arbeiter im Jahr 1883. Damit

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besondere Pflichten auferlege, andererseits aber auch den Staat gegenüber der Ärzteschaft verpflichtet“ (Herold-Schmidt 1997: 56). Außerdem wurden „die ‚besondere Sittlichkeit‘ und die ‚hohe Berufsehre‘ des Arztes angeführt“ (Moser 2011: 22). Die Einführung der Reichsärzteordnung scheiterte jedoch 1889 am Widerstand von Reichskanzler Bismarck. Die ärztlichen Vereine und Organisati-onen reagierten auf das Scheitern, indem sie die Einführung von Standesordnun-gen forcierten. Diese sollten eine freiwillige Normierung des beruflichen Verhal-tens in Form ethischer Maßstäbe durchsetzen (vgl. Herold-Schmidt 1997: 55-59). Gegen Ende des Jahrhunderts kam es daraufhin zur Etablierung „staatlich aner-kannter Ehrengerichte […] [zur] beruflichen Selbstkontrolle“ mit „disziplinari-schen Befugnissen gegenüber den Standesmitgliedern“ (ebd.: 54; vgl. auch Rauskolb 1976: 119).

Parallel zu dieser Entwicklung einer staatlichen Anerkennung des Ärzte-standes ließen sich erste Tendenzen hin zu einer bundesstaatsübergreifenden Organisation der Standesvertretung erkennen. In der Literatur wird von der „Pe-riode der Zentralisation“ gesprochen (Stobrawa 1979: 18). Diese begann ein Jahr nach der Reichsgründung 1871/72 mit der Bildung des Deutschen Ärztevereins-bundes. Der Dachverband sollte den im Zuge der medizinischen und naturwis-senschaftlichen Fortschritte wieder aufgenommenen Professionalisierungspro-zess vorantreiben. Durch die Forderung nach einer „selbstverwalteten und selbstkontrollierten Monopolstellung auf dem Markt für medizinische Dienstleis-tungen“ sollte „Konkurrenz unter den Standesangehörigen“ unterbunden und staatliche „Forderungen und Kontrollen“ begrenzt werden (Herold-Schmidt 1997: 46). Mit Einführung der Gesetzlichen Krankenversicherung ergaben sich neue Bedingungen und Einflussmöglichkeiten. Daraufhin gründete sich 1900 der gewerkschaftlich, sozialdemokratisch orientierte Leipziger Wirtschaftliche Ver-band. Dieser stand als Funktionärsverband in Deutungskonkurrenz zur Honorati-orenorganisation des Ärztevereinsbundes276 (vgl. Herold-Schmidt 1997: 50f., 90; Moser 2011: 27f.; Kapitel 2.3.2).277

Über die Konkurrenz mit niederen Heilpersonen und medizinische Laien hinaus war die Ausgestaltung von Studium und Ausbildung der Ärzte ein weite-res für Stand und Staus wichtiges Thema. Die unterschiedlichen Standards in den

erschloss sich ein neues Klientel, das sich vorher eine ärztliche Behandlung kaum leisten konnte. Zugleich wurde die Verantwortung und der Nutzen der Ärzteschaft für die gesamte Gesellschaft evident (vgl. Moser 2011: 27f., 33). 276 Aufgrund der Entwicklung des ärztlichen Arbeitsmarktes schloss sich der Leipziger Verband jedoch bereits 1903 dem Ärztevereinsbund an (vgl. Kapitel 2.3.2). 277 Mit der gesetzlichen Krankenversicherung trat die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Krankenkassen und niedergelassener Ärzteschaft auf die Agenda (vgl. Stobrawa 1979: 23). Wegen des Fokus der Arbeit auf den angestellten Krankenhausarzt wird diese Entwicklung (vgl. Rauskolb 1976: 109-112) nicht vertieft.

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Entwicklung der ärztlichen Profession 141

Bundesstaaten konnten 1883 im Kaiserreich mit der preußischen Prüfungsord-nung für das gesamte Reichsgebiet weitgehend angeglichen werden. Darüber hinaus ging es darum neue medizinische Fachgebiete aufzunehmen278 sowie den unter Standesgesichtspunkten negativen Ärzteüberschusses einzudämmen. Letz-terem sollte die Studien- und Prüfungsreform von 1901 entgegenwirken. Die Reform verlängerte das Studium um ein Semester und verteuerte damit die ärzt-liche Ausbildung. Zugleich verwiesen die Ärzteverbände auf schlechte Entloh-nungsbedingungen und die Überfüllung des Berufsstandes, um die Attraktivität des Studienfachs zusätzlich zu mindern. Diese Strategie zeigten allerdings nur kurzfristig Erfolge. Denn die Ärzte und ihre Verbände konnten nicht verhindern, dass die Zugangsbedingungen zum Studium herabgesetzt wurden. Neben dem Gymnasialabschluss wurde im Jahr 1900 der Abschluss von Realgymnasien und 1907 derjenige von Oberrealschule als ausreichende Zulassungsvoraussetzungen zum Medizinstudium anerkannt (vgl. Herold-Schmidt 1997: 65-68).

Ebenfalls erfolglos blieb die männliche Ärzteschaft in ihrem Bemühen, Frauen den Zugang zum Medizinstudium zu verwehren. Seit den 1860er-Jahren setzte sich die Frauenbewegung dafür ein, den Arztberuf „für nicht verheiratete Frauen des mittleren und gehobenen Bürgertums“ zu erschließen (ebd.: 68). Die traditionell männliche Ärzteschaft indes befürchtete einen weiteren Status- und Ansehensverlust. Ärztinnen würden zusätzlich den Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt verschärfen. Weiterhin hegten die männlichen Ärzte „Zweifel an den physischen und psychischen Fähigkeiten“ von Frauen als Medizinerinnen (ebd.: 69). Letztlich wurden Frauen dennoch 1900/1908 zum Studium zugelas-sen. Gleichwohl erreichten sie in den folgenden Jahren keinen nennenswerten Anteil an der Studierendenschaft.

Ungeachtet einzelner Misserfolge ärztlicher Bemühungen waren die Ent-wicklungen bis zum Ersten Weltkrieg für die Professionalisierung des Arztberu-fes entscheidend, wie Herold-Schmidt (1997: 95) feststellt:

„Ohne Zweifel kommt dem Kaiserreich im Prozeß der Professionalisierung der deutschen Ärz-teschaft die Bedeutung einer Achsenzeit zu. [Es] […] entstanden nicht nur die wesentlichen Grundlagen ärztlicher Selbstverwaltung und Berufsautonomie. In diesem Zeitraum gelang es den Medizinern ferner, ihre ökonomischen Situation sowie ihr Sozialprestige entscheidend zu verbessern. So konnten sie ein weitgehendes Monopol […] für medizinische Dienstleistungen ebenso durchsetzen wie die umfassende Anerkennung der Bedeutung ärztlicher Expertise für Staat und Gesellschaft.“

278 Die Ärzte taten sich mit den neuen Fachgebieten schwer. Die anerkannten Disziplinen (wie Innere Medizin) fürchteten um ihren Einfluss und generell sollte die Ärzteschaft nicht in zwei Klassen gespalten werden (weshalb auch eine Spezialarzt- bzw. Facharztprüfung abgelehnt wurde) (vgl. Herold-Schmidt 1997: 65, 74).

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142 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

3.1.3 Weimarer Republik bis zur Gründung der Bundesrepublik Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs versuchten die Ärzte erneut, ihr berufli-ches Monopol gesetzlich in einer Ärzteordnung zu fixieren. Weil dies nicht un-mittelbar gelang, wiederholte sich Mitte der 1920er-Jahre die Diskussion, die fehlende staatliche Normierung selbstregulativ zu kompensieren. So entstand eine Standesordnung, die ein berufliches und ethisches Verhalten der Ärzte för-dern sollte, das als standesgemäß angesehen wurde. Im Falle eines Verstoßes konnte dieser standesintern geahndet werden. Dafür wurden etwa an die Landes-ärztekammer Bayern und den Ärztekammerausschuss in Preußen Ehren- und Berufsgerichte angegliedert (vgl. Moser 2011: 88; Stobrawa 1979: 30).

Mit dem Beginn der Weimarer Republik stand die Ärzteschaft aber auch vor neuen Herausforderungen. Waren deren Interessen bis zum Ersten Weltkrieg noch weitgehend durch die praktizierenden (niedergelassenen) Ärzte bestimmt, gewannen nun die angestellten Ärzte an Gewicht. Gleichzeitig traten stärker differenzierte Interessenlagen innerhalb der Ärzteschaft zutage. Zunächst kon-zentrierten sich die Debatten und Konflikte allerdings weiterhin vornehmlich auf das Verhältnis zwischen Krankenkassen und Kassenärzten. Die Ärzte mit Kas-senzulassung bildeten unter den freipraktizierenden Medizinern mit 80 Prozent die Mehrheit (vgl. Wolff 1997: 124). Unter deren starker Stellung litten insbe-sondere die Jungärzte. Durch den anhaltenden Ärzteüberschuss279 blieb vielen jungen Medizinern die Kassenzulassung auf Jahre verwehrt,280 während sich gleichzeitig die Arbeitsbedingungen der Assistenzärzte verschlechterten.

Der Interessengegensatz zwischen den Ärzten mit und ohne Kassenzulas-sung, der hier erstmals strukturell hervorbricht, bildet bis heute die Hauptkon-fliktlinie innerhalb der Ärzteschaft. Dieser eigentlich statusbezogene Konflikt, der sich heute zwischen angestellten und niedergelassenen Ärzten manifestiert, wird immer wieder als Generationenkonflikt stilisiert. Gelsner (1985: 17) spricht von einer „schroffen Konfrontation zwischen ‚Alt’ und ‚Jung’“. Auch Moser (2011: 60) beschreibt einen Konflikt zwischen den eingesessen, oft gut situierten älteren Ärzten und dem „akademischen Proletariat“ der Jungärzte, der sich be-reits zu Beginn des 20. Jahrhunderts abzeichnete. Dieser Konflikt trat in den folgenden Jahrzehnten immer wieder auf und nahm nicht nur auf der individuel-len, sondern auch auf der kollektiven Ebene zu. Denn die Assistenzärzte gründe-ten eigene Organisationen, die in Konkurrenz zu den etablierten Ärzteverbänden

279 Verstärkt wurde der Ärzteüberschuss durch die in den Kriegsjahren mit verkürztem Studium und Notapprobation rekrutierten Jungärzte. Diese drängten nach dem Ende des Krieges „auf den ärztli-chen Arbeitsmarkt und verschärften den Konkurrenzdruck“ (Moser 2011: 58). 280 Die Beschränkung der Kassenzulassung war im Oktober 1923 durch eine Notverordnung erlassen worden (Moser 2011: 72).

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Entwicklung der ärztlichen Profession 143

standen (vgl. ebd.: 125). Diese Assistenzarztverbände können durchaus als indi-rekte Vorläufer des Marburger Bundes gelten.

Die innerärztlichen Konflikte verstärkten sich mit der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er-Jahre, in deren Folge sich die wirtschaftliche Situation vieler Ärzte verschlechterte. Obwohl andere Berufsgruppen von den ökonomischen Entwicklungen in annähernd gleichem oder sogar in stärkerem Maße betroffen waren, fürchteten die Ärzte in besonderer Weise eine Proletarisierung ihres Berufsstandes (vgl. Moser 2011: 64). Diesen Umstand begründet Wolff (1997: 129) wie folgt:

„Die Masse der Ärzteschaft hatte den ‚Weg zu Prestige und Wahlstand‘ gerade erst einigerma-ßen abgeschlossen. Die Ärzte sahen es auf dieser Grundlage als ihr legitimes Recht an, deutlich mehr Geld zu verdienen als der Bevölkerungsdurchschnitt. Darin nur die materiellen Interessen zu sehen, griffe zu kurz. Es ging genauso darum, mit der Wohlhabenheit ihren gesellschaftli-chen Status zu repräsentieren. Die Ärzteschaft hatte sich einen verhältnismäßig gefestigten Platz in der gesellschaftlichen Elite frisch erkämpft […]. Dementsprechend war die Proletari-sierungsangst, oder zutreffender: die Furcht, in die Bedeutungslosigkeit etwa des kleinen Angestelltentums herabzusinken, immens.“

Standespolitisch prägte in der Zeit der Weimarer Republik die Notwendigkeit „der permanenten Verteidigung des erreichten Besitzstandes und des erlangten Sozialprestiges“ die Ärzteschaft und deren Organisationen (Moser 2011: 107). Trotz dieser Probleme und Konflikte gelang es dem Ärztevereinsbund und dem Hartmannbund weitgehend ein ärztliches Heilkundemonopol aufzubauen. Der Professionalisierungsprozess der Ärzteschaft gelangte damit vorläufig an sein Ende (vgl. Wolff 1997: 98). Beide Verbände wurden nach der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 im Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund (NSDÄB) gleichgeschaltet. Ein Großteil der national, konservativ orientierten Ärzteschaft ließ sich widerstandslos in das nationalsozialistische System eingliedern. Dies sicherte „nahezu allen Beteiligten auch weiterhin eine herausgehobene Tätigkeit in der Standespolitik“ (Rüther 1997: 144; vgl. auch Moser 2011: 9ff.).281 Die maßgeblichen Organisationen waren fortan die Kassenärztliche Vereinigung Deutschland (KVD) und die Reichsärztekammer, in der sich alle Ärzte zusam-menschlossen. KVD und Reichsärztekammer übernahmen formal die Aufgaben der gleichgeschalteten Organisationen. Faktisch kam jedoch jegliche (be-rufs-)politische Betätigung zum Stillstand. Unter der Bedingung, dass sich alle großen, freien Ärzteorganisationen auflösten, erließen die Nationalsozialisten 1935 die von den Medizinern lange geforderte Ärzteordnung. In den letzten 281 Zur ärztlichen Tätigkeit im Dritten Reich und die Verstrickungen der Ärzteschaft in die national-sozialistischen Verbrechen, Euthanasie und Eugenik sei an dieser Stelle beispielsweise auf Rüther (1997) und Wolff 1997: 134-142) verwiesen (vgl. auch Rauskolb 1976: 135-139). Sowie zur Vergan-genheitsbewältigung der deutschen Ärzteschaft auf Jachertz (1997).

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144 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

Kriegsjahren konnte gleichwohl weder die Ärzteordnung noch die Eingliederung der Ärzteschaft in die NS-Strukturen verhindern, dass medizinische Ausbil-dungsstandards kriegsbedingt abgesenkt wurden. Die schnelle Ausbildung mög-lichst vieler Frontärzte war der Hauptgrund für den Ärzteüberschuss nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die von der Front zurückkehrenden jungen Ärzte waren jedoch oft nur ungenügend ausgebildet worden (vgl. Rüther 1997: 160; Stobrawa 1979: 29, 32).

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestimmten die Alliierten den Auf-bau der ärztlichen Standesvertretung. Da KVD und Reichsärztekammer in den NS-Staat verstrickt waren, wurden diese aufgelöst. Neue länderübergreifende Organisationen aufzubauen, verhinderten zunächst die Besatzungszonengrenzen. Auf Landesebene dagegen wurden sowohl die Kassenärztlichen Vereinigungen als auch die Ärztekammern weitestgehend in ihren alten Strukturen wiederherge-stellt, um die ärztliche und medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzu-stellen (vgl. Stobrawa 1979: 32f.). Bereits 1947 entstand jedoch eine besatzungs-zonenübergreifende Arbeitsgemeinschaft der westdeutschen Ärztekammern und ein Jahr später fand der erste Deutsche Ärztetag statt. Ebenfalls 1947 bildeten sich die ersten freien Arztverbände. Bei den entstehenden Verbänden lassen sich vielfältige Anknüpfungspunkte an die Organisationsstrukturen der Ärzteschaft aus der Zeit der Weimarer Republik finden. Diese Situation am Ende des Zwei-ten Weltkriegs war letztendlich prägend für den Gründungskontext des Marbur-ger Bundes (Kapitel 4.1.1).

Aktuelle Bezugspunkte zur Professionsentwicklung Die Professionalisierung des Arztberufes war insbesondere mit dem Bestreben verbunden, ein Heilkundemonopol zu etablieren. Ob ausschließlich der Arzt für eine ganzheitliche Medizin zuständig ist, steht heute vermehrt zur Disposition. Deutlich wird dies an den Überlegungen, ärztliche Aufgaben auf andere Berufs-gruppen wie das Pflegepersonal zu übertragen (vgl. Kapitel 3.3). Die historische Genese der ärztlichen Profession verdeutlicht jedoch, warum diese Entwicklun-gen von den Ärzten weniger als Entlastung denn als Angriff auf den Berufsstand empfunden werden.

Die ärztliche Professionsentwicklung zeigt darüber hinaus, dass die Kon-fliktlinien zwischen niedergelassenen und angestellten Ärzten wie zwischen den ärztlichen Hierarchieebenen nicht neu sind. Es ist jedoch irreführend, diese Kon-fliktlinien auf einen Gegensatz zwischen Jung und Alt zu fokussieren. Denn sie beruhen eher auf Statusunterschieden in der Ärztehierarchie. Diese bedingen unterschiedliche Interessenlagen, die sich in einer stärker berufspolitischen oder aber gewerkschaftlichen Ausrichtung niederschlagen. Dennoch soll in der vor-liegenden Arbeit aus zwei Gründen nicht vollständig auf die Begrifflichkeit der

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Ärztliche Ausbildung 145

Jungärzte beziehungsweise junge Ärzte verzichtet werden. Erstens spielt inner-halb der angestellten Ärzteschaft und in der Mitgliedschaft des Marburger Bun-des eine altersbedingt unterschiedliche Sozialisation oftmals eine Rolle.282 Die Interessen und Ansichten eines alten Facharztes283 können sich durch eine andere soziale und berufliche Prägung stark von denen eines jungen, gerade mit der Weiterbildung fertigen Facharztes unterscheiden. Zweitens spielen die Jungärzte, ausdrücklich als Teilgruppe der Assistenzärzte, im Zuge der Transformation des Marburger Bundes eine besondere Rolle.284 Im Folgenden werden daher unter Jungärzten oder jungen Ärzten (unabhängig von ihrem Alter) diejenigen Assis-tenzärzte verstanden, die ihre Facharztweiterbildung noch nicht abgeschlossen haben.

Der Bezug zur Weiterbildung macht auf einen weiteren Aspekt in der Pro-fessionsentwicklung aufmerksam, der für den Marburger Bund bedeutsam ist. Die Bestrebungen, den Arztberuf zu professionalisieren, berührten auch Fragen der beruflichen Ausbildung. Hauptsächlich ging es darum, die Bedingungen und Voraussetzungen der Ausbildung einheitlich zu gestalten. Damit sollten ein ein-heitliches Berufsbild geprägt und die Schließung des Berufes durch seine Mono-polisierung vorangetrieben werden. Daraus entwickelte sich ein zweigliedriges System der Aus- und Weiterbildung, das heute das Berufsbild des Arztes ent-schieden mit prägt und für die Krankenhäuser sowie die Arbeit des Marburger Bundes relevant ist.

3.2 Ärztliche Ausbildung Das zweigeteilte System aus Studium und Weiterbildung prägt die humanmedi-zinische Ausbildung in Deutschland. Diese duale Struktur wirkt sich sowohl auf den Arbeitsplatz Krankenhaus als auch die ärztliche Interessenvertretung des Marburger Bundes aus.

282 Dies zeigte sich beispielsweise in den 1950er-Jahren, als im Marburger Bund Debatten über die Frage, inwieweit Streiks mit dem ärztlichen Professionsstatus vereinbar sind, geführt wurden. Ein weiteres Beispiel ist die Frage nach dem gewerkschaftlichen Selbstverständnis bei den MB-Mitgliedern. 283 Nicht alle Fachärzte können irgendwann auf eine der begrenzten Oberarztstellen wechseln. 284 Zur Erläuterung sei an dieser Stelle kurz darauf verwiesen, dass von neuen tariflichen Regelungen beziehungsweise Kürzungen immer zunächst die jungen Assistenzärzte mit Neuverträgen betroffen sind und nicht die Assistenzärzte mit Altverträgen (diese erst bei Arbeitgeberwechsel oder einem Neuvertrag aufgrund von Befristung) (vgl. Kapitel 5.1). Normalerweise handelt es sich bei diesen Jungärzten tatsächlich auch altersbezogen um junge Ärzte.

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146 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

3.2.1 Studium Die Grundlage des Arztberufes bildet ein (Human-)Medizinstudium an einer Universität oder gleichgestellten Hochschule mit einer festgelegten Regelstudi-enzeit von 6 Jahren und 3 Monaten285 (vgl. BMG 2002: §1 Abs. 2).286 Zugangs-voraussetzung ist die allgemeine Hochschulreife.287 Ein Numerus clausus be-grenzt den Studienzugang. Diese Zugangsbeschränkung ist erforderlich, weil die Zahl der Bewerber die Anzahl an Studienplätzen übersteigt. Trotz des diagnosti-zierten Ärztemangels (vgl. Kapitel 2.2.4) lässt sich keine darauf reagierende Entwicklung im Sinne einer angemessenen Schaffung von neuen Studienplätzen feststellen. Die Zahl der Studierenden verbleibt aus diesen Gründen seit dem Ende der 1990er-Jahre auf einem Niveau von etwa 80.000 Studierenden. Abbildung 6: Anzahl Studierender im Medizinstudium (1975–2010)

Quelle: Statistisches Bundesamt 2011g; Eigene Darstellung und Berechnung. Deutlich zeigt sich an den Studierendenzahlen hingegen, dass sich der Arztberuf feminisiert (vgl. Kapitel 2.2.4 und 3.3.2). Der Anteil weiblicher Medizinstuden-ten lag im Wintersemester 2010/2011 bei 61,3 Prozent und ist in den letzten zehn

285 Die Regelstudienzeit wird im Durchschnitt leicht überschritten. Im Jahr 2003 lag sie bei 12,9 Semestern. „Der durchschnittlich geringe Quartilsabstand von nur 1,8 Semestern ist Ausdruck einer starken Kohärenz der Studiengänge.“ 54 Prozent der Erstsemester hatte 2003 ihren Abschluss inner-halb von 13 Semestern, 77 Prozent innerhalb von 14 Semestern (vgl. Wissenschaftsrat 2005: 100). 286 Die Dauer und die weiteren erforderlichen Bestandteile des Studiums (wie der 3-monatige Kran-kenpflegedienst, die Erst-Hilfe-Ausbildung und die Famulatur (Praktikum) von 4 Monaten) sind in der Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) geregelt (vgl. Nagel 2007: 318f.). 287 In einigen Bundesländern, beispielsweise in Baden-Württemberg, ist die fachgebundene Hoch-schulreife ausreichend.

05101520253035404550556065

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Ärztliche Ausbildung 147

Jahren um acht Prozentpunkte, in den letzten zwanzig Jahren um 17 Prozent-punkte angestiegen (vgl. Statistisches Bundesamt 2011g; vgl. Abbildung 6).

Im letzten Studienjahr absolvieren die angehenden Mediziner ein Prakti-sches Jahr (PJ) in einem Krankenhaus. Das Studium wird mit dem ärztlichen Staatsexamen abgeschlossen. Mit Bestehen der schriftlichen und mündlichen Prüfung kann der Arzt seine Approbation beantragen (vgl. Nagel 2007: 318; BMG 2002: §39).288 Diese staatliche Zulassungsprüfung zum Arztberuf erteilt die Berufserlaubnis. Das Approbationsrecht ist in der 1961 vom Bundestag ver-abschiedete Bundesärzteordnung (BÄO) festgelegt. Während Zulassung und Berufsausübung damit bundeseinheitlich gestaltet sind,289 werden die ärztlichen Rechte und Pflichten in den Berufsordnungen (BO) autonom durch die Landes-ärztekammern geregelt. Diese können sich an der von der Bundesärztekammer herausgegebenen (Muster)Berufsordnung (MBO) orientieren, die regelmäßig aktualisiert wird.290 Bereits die Präambel legt fest, dass es ein Ziel der Berufs-ordnung ist, „berufswürdiges Verhalten zu fördern und berufsunwürdiges Ver-halten zu verhindern“ (Bundesärztekammer 2006a: 6).291 Die Einhaltung der mit dem Arztberuf verbundenen Pflichte, Rechte und ethischen Normen überwachen die Ärztekammern (vgl. Kapitel 2.3.2). Im Zuge dieser Aufgaben sind sie dazu berechtigt, die Approbation bei groben Vergehen zu entziehen. 288 Die 18 Monate dauernde Phase des Arztes im Praktikum (AiP) vor der Approbation wurde am 01.10.2004, nicht zuletzt aufgrund der Trendwende auf dem ärztlichen Arbeitsmarkt, abgeschafft. Diese feierte der Marburger Bund als großen Erfolg. Ver.di weist jedoch darauf hin, dass die ÖTV bei der Einführung des AiP konsequent gegen diesen war, während der Marburger Bund ihn mit getragen hat. „Eingeführt wegen ärztlichem Überhang und Klage über praxisferne Ausbildung und hohen Einarbeitungsaufwand. Ärzteschaft und MB waren sich einig, das AiP das richtige Mittel für die Praxisphase ist. [...] AiP war aber zu Lasten der Betroffenen: 3 AiPler teilen sich eine Arztstelle“ (Interview ver.di (3), Bundesverband, FB 3 Berufspolitik). 289 Die BÄO regelt gesetzlich das Verhältnis von Ärzteschaft und Staat (Zulassung, Berufsausübung). Die BO dagegen reguliert das Verhältnis der Ärzte untereinander sowie zum Patienten (Verhaltens-regeln, Ethik). Sie wird von der ärztlichen Selbstverwaltung (Ärztekammern) erlassen (vgl. Stobrawa 1979: 28). 290 Durch die MBO sollen die Berufsordnungen, die von den einzelnen Landesärztekammern verab-schiedet werden, möglichst einheitlich ausfallen. Der 1949 unternommene Versuch, eine bundesein-heitliche Regelung einzuführen, scheiterte an verfassungsrechtlichen Bedenken. Die föderale Struktur der Bundesrepublik spricht den Ländern die alleinige Kompetenz in Bezug auf die Ärztegesetz-gebung zu (Gerst 1997: 213). Durch die Einführung der MBO durch die Bundesärztekammer, die aus gleichem Grund nur eine privatrechtliche Organisation und keine Körperschaft öffentlichen Rechts ist, sollte auch „die Befähigung des ärztlichen Standes zur Selbstverwaltung“ unter Beweis gestellt werden, weshalb die Landesärztekammern die MBO dann auch weitestgehend übernahmen (ebd.: 214). Bundesweit festgelegt wurde 1961 in der Bundesärzteordnung (BÄO) lediglich die Approbati-onsregelung (vgl. ebd.: 215). 291 Die MBO (§3 Abs. 1) verdeutlicht, dass sich berufs(un)würdiges Verhalten nicht nur auf die ärztliche Tätigkeit bezieht: „Ärztinnen und Ärzten ist neben der Ausübung ihres Berufs die Aus-übung einer anderen Tätigkeit untersagt, welche mit den ethischen Grundsätzen des ärztlichen Berufs nicht vereinbar ist“ (Bundesärztekammer 2006a: 8).

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148 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

„Der Arzt muss also langanhaltend in gravierender Weise gegen seine Berufspflichten versto-ßen haben, so dass er nicht mehr das Ansehen und das Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufs unabdingbar nötig ist“ (Bundesärztekammer 2007).

Mit dem Verweis auf Ansehen und Vertrauen wird deutlich, wie stark der Arzt-beruf mit Standes- und Statusaspekten verknüpft ist. Die Berufserlaubnis kann nicht nur wegen handwerklicher, medizinischer Fehler, sondern auch bei Nach-weis moralischen oder berufsethischen Fehlverhaltens entzogen werden.292 Des-halb verfügen einzelne Ärztekammern, die „an der Erhaltung einer sittlich und wissenschaftlich hochstehenden Ärzteschaft mitwirken“, über eigene Ethikkom-missionen (Nagel 2007: 323). Die selbstverpflichtende Bindung an ethisches Verhalten zählt zu den ärztlichen beruflichen „Mindestnormen“. Die wiederum erklären, „wie sich eine Vielfalt fachlicher und ethischer Praktiken ohne störende Spannungen in einer als ethisch und kompetent deklarierten Profession behaup-ten kann“ (Freidson 1979: 162). Die Mindestnormen bilden zusammen mit der einheitlichen universitären Ausbildung die Grundlage für eine relativ homogene Ärzteschaft. Diese differenziert sich erst mit der an das Studium anschließenden fachärztlichen Weiterbildung weiter aus.

3.2.2 Facharztweiterbildung

„Die Mehrheit der Ärzte strebt nach der Approbation eine formale Weiterbildung an“ (Nagel 2007: 318). Inhalte und Struktur der Weiterbildung legen die Landes-ärztekammern in den Weiterbildungsordnungen (WBO) fest.293 Die Facharztwei-terbildung dauert, abhängig von dem gewählten Fach oder Gebiet, zwischen 48 und 72 Monaten (vgl. bspw. Landesärztekammer Baden-Württemberg 2011: 26-140). Innerhalb der einzelnen Fachgebiete ist oftmals eine weitere Spezialisie-rung möglich. Obwohl es generell möglich ist, sich in der Praxis eines niederge-lassenen Arztes weiterzubilden, konzentriert sich die Weiterbildung wesentlich auf die Krankenhäuser. Denn die Zulassung als Weiterbildungsstätte ist an spezi-fische Voraussetzungen gebunden:

„[...] Patienten [müssen; d. Verf.] in so ausreichender Zahl und Art behandelt werden, dass es möglich ist, den weiterzubildenden Arzt mit den typischen Krankheiten im angestrebten Ge-biet, Schwerpunkt oder in der Zusatzweiterbildung vertraut zu machen“ (Landesärztekammer Baden-Württemberg 2011: §6 Abs. 2).

292 Ein Beispiel für derartiges Fehlverhalten ist der Abrechnungsbetrug. 293 Die Einheitlichkeit der WBOs ist nicht verbindlich. Die Bundesärztekammer stellt nur eine (Mus-ter-)Weiterbildungsordnung mit „empfehlenden Charakter“ zur Verfügung (Bundesärztekammer 2010a). Neben der Weiterbildung regeln die Ärztekammern über die Berufsordnung auch die Fortbil-dungspflichten von Ärzten. Darüber hinaus werden sie, wie auch die wissenschaftlichen Fachgesell-schaften und andere Träger, durch eigene Akademien selber zu Anbietern von Fortbildungen (vgl. Nagel 2007: 321).

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Ärztliche Ausbildung 149

Es entspricht daher dem Normalfall, dass Mediziner nach ihrem abgeschlossenen Studium zunächst als Assistenzarzt für bis zu sechs Jahre an einem Krankenhaus beschäftigt sind und in dieser Zeit ihre Facharztweiterbildung absolvieren.

Die berufliche Weiterbildung ist für Ärzte essentiell. Eine abgeschlossene Facharztausbildung ist etwa ein notwendiges Kriterium, um als niedergelassener Arzt von der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) zugelassen zu werden. Nur die Zulassung als Vertragsarzt wiederum ermöglicht es, die Behandlung gesetz-lich versicherter Patienten über die Krankenkassen abzurechnen. So regulieren die KVen die ambulante Bedarfsplanung. Im Rahmen ihres Sicherstellungsauf-trags garantieren sie eine flächendeckende und ausreichende Versorgung mit ambulanten ärztlichen Leistungen. Gleichzeitig soll die Bedarfsplanung Kosten dämpfen, indem ein ärztliches Überangebot verhindert wird. In den einzelnen Planungsbereichen werden Niederlassungsmöglichkeiten und Niederlassungs-sperren anhand der Unter- oder Überschreitung eines festgelegten Verhältnisses von Bevölkerung und Ärzten festgelegt. Der Schlüssel wird dabei facharztgrup-penspezifisch festgelegt. Ohne Facharztweiterbildung ist daher keine Niederlas-sung über die KVen möglich (vgl. Nagel 2007: 122). Durch die generelle Niederlassungsfreiheit kann zwar jeder approbierte Arzt eine Praxis eröffnen, ohne KV-Zulassung bleibt er jedoch auf Privatpatienten beschränkt. Die Anstel-lung im Krankenhaus ist vor diesem Hintergrund für viele Ärzte zweckgebunden und vorübergehend:

„Ganz viele Ärzte wollen ja gar nicht dauerhaft im Krankenhaus arbeiten. Die betrachten die Tätigkeit im Krankenhaus als den Durchlauferhitzer, um ihre Qualifikation zu erwerben, um sich hinterher niederlassen zu können."294

Selbst wenn ein Arzt nicht das Ziel einer Niederlassung vor Augen hat (vgl. Kapitel 2.2.4) ist die Facharztweiterbildung für ihn relevant. Denn sie stellt letzt-endlich die einzige Möglichkeit dar, innerhalb der ärztlichen Hierarchie im Krankenhaus aufzusteigen und damit zugleich in eine höhere Entgeltgruppe zu wechseln (vgl. Kapitel 3.3.1). Aus diesen Gründen ist die berufliche Weiterbil-dung für die ärztliche Berufskariere unerlässlich. Bedeutung der ärztlichen Aus- und Weiterbildung für Beruf und Marburger Bund Die Ausgestaltung der ärztlichen Aus- und Weiterbildung hat vielfältige Konse-quenzen, die den Arztberuf und die Interessenvertretung durch den Marburger Bund betreffen. Diese beziehen sich auf Stand und Status der Ärzte, ihre berufli-che Primärmacht sowie die sich verändernde Rolle des Arbeitsplatzes Kranken-

294 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt.

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150 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

haus. Nicht zuletzt bedingen Aus- und Weiterbildung eine homogenere oder heterogenere Ärzteschaft. Dies wirkt wiederum auf die Organisations- und Mobilisierungsfähigkeit des Marburger Bundes zurück (vgl. Olson 1971).

Die Approbationsordnung verbindet mit dem Studium den Anspruch, dass „grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in allen Fächern“ ver-mittelt werden (BMG 2002: §1 Abs. 1). Die an allen Universitäten einheitlichen Lerninhalte und Studiengänge bedingt eine große Homogenität der Medizin-Absolventen. Freidson (1979: 162) spricht von einer „strukturierten Uniformität [Herv. i. O.] in der medizinischen Berufsausübung“.

„Auf den ersten Blick handelt es sich bei der deutschen Ärzteschaft um eine relativ homogene Gruppe mit einheitlichem Bildungshintergrund, relativ starker ideologischer Kohärenz vor dem Hintergrund liberal-konservativer Weltbilder und ähnlicher Interessenlage“ (Bandelow 2007: 284).

Die angehenden Mediziner erfahren eine „frühe berufliche Sozialisation die gemeinsame Werte und Normen der ärztlichen Profession“ hervorbringt, wie sie sich etwa im Hippokratischen Eid ausdrücken (Hucke 2010: 39). Dazu tragen die verglichen mit anderen Studiengängen überaus lange Regelstudienzeit und die frühzeitig Einbindung durch Praktikum und Praktisches Jahr in den ärztlichen Alltag im Krankenhaus bei. Die an das Studium anschließende Facharztweiter-bildung im Krankenhaus vertieft einerseits die Homogenität durch vergleichbare Erfahrungen und Arbeitsbedingungen. Zugleich wird die Ärzteschaft andererseits heterogener, da sich mit der Spezialisierung die Arbeitskontexte, berufsprakti-schen Tätigkeiten und die notwendige Arbeitsteilung ausdifferenzieren. Freidson (1979: 162) geht von einem Dualismus aus formell strukturierter Uniformität und informell strukturierter Verschiedenartigkeit aus. Die zweigeteilte Aus- und Weiterbildung führt daher letztlich zu einer heterogenen Homogenität der Ärzte-schaft.295

Darüber hinaus bilden die Ärzte im Zuge ihrer Ausbildung im doppelten Sinne berufliche Primärmacht aus. Bezogen auf die (Arbeits-)Markmacht erlan-gen sie eine Qualifikation, die von Arbeitgeberseite gesucht wird (Nachfrage) und momentan nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist (Angebot).296 Die Strukturelle Macht oder Primärmacht einer Berufsgruppe ergibt sich jedoch nicht nur aus ihrer (Arbeits-)Markmacht, sondern auch aus ihrer Arbeitsplatzmacht („workplace bargaining power“; Silver 2003: 13). Darunter wird die Position

295 Für die Heterogenität spielen des Weiteren die Arzthierarchie (vgl. Kapitel 3.3.1) sowie, bezogen auf die gesamte Ärzteschaft, die unterschiedlichen Interessen zwischen niedergelassenen und ange-stellten Ärzten (vgl. Kapitel 3.1) eine Rolle. 296 Vgl. dazu auch Kapitel 2.2.3 zu Entwicklung der Beschäftigtenzahlen, Kapitel 2.2.4 zum Ärzte-mangel und Kapitel 3.3.2 zur Ausweitung von Feminisierung und Teilzeitarbeit.

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Ärztliche Ausbildung 151

dieser Beschäftigten im betrieblichen Arbeits- und Produktionsprozess verstan-den. Je notwendiger die Leistung dieser Gruppe ist, um den Betriebsablauf auf-recht zu erhalten, desto größer ist ihre Macht. Diese Macht manifestiert sich nicht erst in direkten Streikaktionen. Allein die Ankündigung oder Androhung einer Arbeitsniederlegung übt Druck auf den Arbeitgeber aus. Über eine wichti-ge Position im Arbeitsprozess hinaus, ist die Nichtersetz- und Austauschbarkeit relevant. Ein Teil der ärztlichen Primärmacht gründet sich auf der niedrigen Substituierbarkeit der ärztlichen Aufgaben. Einer Übertragung ärztliche Tätig-keiten auf andere Berufsgruppen stehen nicht nur ärztliche Interessen entgegen, sondern auch die Verkammerung des Arztwesens. Diese reguliert und be-schränkt, wer ärztliche Tätigkeiten ausführen darf. Im Unterschied zu anderen hochqualifizierten Tätigkeiten ist es daher rechtlich allenfalls eingeschränkt möglich, ärztliche Aufgaben zu substituieren.

Die durch das Heilkundemonopol gestärkte Arbeitsplatzmacht gründet zu-sätzlich auf der geringen Substituierbarkeit des einzelnen Arztes. Der hochquali-fizierte Beruf sichert die betriebliche Schlüsselposition der Krankenhausärzte und verhindert gleichzeitig, dass der einzelne Arzt einfach zu ersetzen ist.297 Die soziale Schließung des Arztberufes beruht auf dem überdurchschnittlich langen und anspruchsvollen Universitätsstudium. Nicht zuletzt ist die Berufserlaubnis mittels Approbation gesetzlich geregelt. Die rigiden Aus- und Weiterbildungs-vorgaben gepaart mit der Zwangsverkammerung verhindern einen beruflichen Quereinstieg. Eine geringe Substituierbarkeit erhöht die Primärmacht einer Be-rufsgruppe also dadurch, dass ihre Position im betrieblichen Arbeitsablauf weder kurz (wegen der hohen Qualifikationsanforderung) noch langfristig (wegen lan-ger Ausbildungszeiten) einfach ersetzt werden kann. Auf den Ärztemangel kann etwa nicht einfach durch die Weiterqualifizierung vorhandenen Personals rea-giert werden. Diese Faktoren bedingen und schützen die (Arbeits)Marktmacht und die Arbeitsplatzmacht der Ärzte.

Weiterhin bedeutsam ist der Zusammenhang zwischen der fachärztlichen Weiterbildung und der Sicht der Ärzte auf den Arbeitsplatz Krankenhaus. Die für die Niederlassung und Angestelltenkarriere zwingend erforderliche Facharztaus-bildung findet vornehmlich in Kliniken statt. Dies führte zunächst dazu, dass das Krankenhaus viele Jahrzehnte als Durchlauferhitzer für Ärzte funktionierte. Dabei etablierte sich ein Dreiklang aus Ausbildung, Weiterbildung und anschlie-ßender Niederlassung. Wegen des beruflichen Ziels der Niederlassung war die Anstellung im Krankenhaus für viele Ärzte nur eine weitere Station in ihrer Ausbildungsphase. Erkennbar war dies nicht zuletzt in der Politik des Marburger

297 Vgl. dazu auch Kapitel 3.1 zu Stand, Status und Macht.

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152 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

Bundes, der sich gegen eine Zulassungsbeschränkung von Kassenärzten positio-nierte.

„Deutlich wird hier ein ärztliches Selbstverständnis, das sich zu diesem Zeitpunkt für den an-gestellten Arzt im Krankenhaus noch weitgehend aus der Perspektive der niedergelassenen Ärzte, zu denen man früher oder später auch gehören würde, definierte“ (Gerst 1997: 226).

Von vielen angestellten Ärzten wurde das Krankenhaus weder als Hauptbeschäf-tigungsfeld noch als Zukunftsperspektive wahrgenommen. Die Arbeitsbedingun-gen und Entlohnung waren damit immer nur von zeitlich begrenztem Interesse und – mit dem Ziel der Niederlassung – auch schlechte Bedingungen (er)tragbar. Zudem konzentrieren sich die Assistenzärzte darauf, ihre Weiterbildung schnellstmöglich abzuschließen und sind darüber hinaus von ihrem Chefarzt abhängig. Dieses Abhängigkeitsverhältnis wirkt sich negativ auf die Bereitschaft aus, Missstände zu formulieren, Überstunden abzulehnen oder sich aktiv für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen einzusetzen. Das hierarchische System der Krankenhausärzteschaft fördert Konfliktlösungsstrategien, die eher auf Un-terordnung denn auf Verhandlung und Kompromiss setzen.298 Die lange währen-de, stillschweigende Akzeptanz dieser Bedingungen schwindet jedoch mit dem abnehmenden Stellenwert der Niederlassungsperspektive.

„Weiter gibt es zahlreiche Belege dafür, dass eine gewachsene Ärztedichte den bislang charak-teristischen Karriereweg zunehmend verstopft. Hohe Belastungen im Krankenhaus können dann nicht mehr als vorübergehende Erschwernis auf dem Weg in eine etablierte Berufsexis-tenz als niedergelassener Arzt interpretiert und hingenommen werden“ (Martens 2008: 17).

Dadurch, dass die vertragsärztliche Niederlassung eingeschränkt oder im ländli-chen Raum und in Ostdeutschland finanziell unattraktiv ist, wird die Anstellung im Krankenhaus für immer mehr Ärzte zur Dauerperspektive.299 „Das klassische Karrieremuster erodiert.“300 Rauskolb (1976: 26f) wies bereits 1976 auf einen Wandel der Arbeitsbedingungen durch die Anstellung im Krankenhaus hin:

„Die freien Berufe befinden sich [...] in einem Prozeß des Wandels ihrer bisher als typisch an-gesehenen Arbeitsbedingungen, der auch die klassische Profession der Ärzte betrifft. Der Nachwuchs [...] beginnt meist als Angestellte in Organisationen unter Bedingungen zu arbei-ten, die sich vom Muster klassischer professioneller Berufsausübung – der freien Praxis – we-sentlich unterscheiden.“

298 Vgl. dazu auch Kapitel 3.3.1 zur Hierarchie im Krankenhaus und Kapitel 3.3.3 zur Arbeitszeit. 299 „Schlechtere Perspektive, wenn wir uns nicht niederlassen können. [...] Niederlassung war keine Perspektive mehr. [...] Es wurde erst dann vielen klar, die Anstellung im öffentlichen Dienst, das ist mein Job bis 67. Das mussten viele erst mal begreifen (Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirks-verband, Ehrenamt. 300 Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt.

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Berufsprofil 153

Ungeachtet dessen hat sich die ärztliche Perspektive auf die Krankenhaustätig-keit vor allem in den letzten Jahren erheblich verschoben. In der Folge steigt das Interesse der jungen Krankenhausärzte daran, die Ausgestaltung von Entgelt und Arbeitsbedingungen zu beeinflussen. Der Marburger Bund ist entsprechend ge-fordert, seine Funktions- und Aufgabeschwerpunkte an die neue Interessenlage anzupassen. 3.3 Berufsprofil Wenngleich vom Marburger Bund als Ärztegewerkschaft gesprochen wird, muss berücksichtigt werden, dass angestellte Ärzte vornehmlich im Krankenhaus ar-beiten. Die Krankenhausärzte bilden daher den Hauptbezugspunkt für den Ver-band. Deren Berufsprofil, Arbeitskontexte und Interessen unterscheiden sich von denjenigen niedergelassener oder anderweitig beschäftigter Ärzte. Darüber hin-aus zeigt sich in der Innensicht auf die Krankenhausärzte, dass sich deren Inte-ressenlagen ebenfalls heterogener präsentieren, als die im vorhergehenden Kapi-tel dargestellte homogene ärztliche Ausbildung vermuten lässt. Dieser Heteroge-nität drückt sich in der hierarchischen Ordnung der Ärzte im Krankenhaus aus. 3.3.1 Krankenhaus- und Arzthierarchie Das Krankenhaus als Arbeitsplatz kennzeichnet eine „traditionelle Strukturbe-sonderheit“ (Löser-Priester 2003: 83). Diese drückt sich in einer „funktionsorien-tierte[n] berufsgruppenspezifische[n] Organisationsunterteilung“ in drei horizon-tale Aufgabenbereiche aus (Hucke 2010: 121). Die dreisäulige Struktur des Krankenhauses stellen die drei Funktionsbereiche Ärztlicher Dienst, Pflegedienst und Verwaltungsdienst dar.301 Diese „Dreifaltigkeit“302 entspricht einer struktu-rellen Trennung der Aufgabenzuteilung. Dem steht entgegen, dass die Koopera-tion der Beschäftigten im stark arbeitsteilig organisierten Krankenhausdienst unerlässlich ist (Grossmann 1993: 305):

„Ein hohes Maß an Arbeitsteilung einerseits und notwendige Kooperation andererseits, eine notwendige fachliche Abgrenzung und ein hohes Maß gegenseitiger Abhängigkeit bestimmen die alltägliche Arbeit.“

301 In Krankenhäusern kirchlicher Träger kommt als viertes die Oberin hinzu, die für „die Umsetzung der (Träger-)Leitlinien […] für Kultur und Entwicklungsförderung zuständig ist“ (Degenhardt 1998: 7). 302 Vgl. auch Interview MB (4) vom 02.03.2011, Bundesverband, Ehrenamt.: „heilige Dreieinigkeit“.

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Dennoch ist die Krankenhausorganisation berufsständisch orientiert. „Die für die Behandlung und Pflege wichtigen Standards werden weitgehend durch die Stan-des- und Berufsorganisationen vorgegeben“ (Löser-Priester 2003: 83). Diese Vorgaben werden dann „innerhalb des Krankenhauses von der jeweiligen Be-rufsgruppe vertreten“ (ebd.). Dies führt dazu, dass die Arbeitszusammenhänge im Krankenhaus „von dem Neben- und Miteinander unterschiedlicher professio-neller Traditionen und Kulturen“ geprägt sind (Grossmann 1993: 305). Dabei finden sich nicht nur zwischen den drei Funktionsbereichen Konflikt- und Koo-perationsmuster. Formen von Konflikt und Kooperation sind genauso innerhalb der einzelnen Funktionsbereiche, die im Ärztlichen Dienst und in der Pflege hierarchisch gegliedert sind, vorzufinden. „Dieses Geflecht von beruflichen Gruppen, Orientierungen und Identitäten ist sehr charakteristisch für die Organi-sationskultur des Krankenhauses“ (ebd.). Abbildung 7: Horizontale und vertikale Krankenhausstruktur

Quellen: Degenhardt 1998: 7f., 23; Nagel 2007: 146f.; Eigene Darstellung, aufbauend auf Schroeder

et al. 2011: 118.

In der klassischen Krankenhausstruktur finden sich drei Personen an der Spitze jeder Klinik. Verwaltungsdirektor, Pflegedienstdirektor und ärztlicher Direktor bilden zusammen das Krankenhausdirektorium, das für die Leitung der Klinik zuständig ist (vgl. Degenhardt 1998: 7). Der zunehmende Wettbewerb und die Verschiebungen in der Krankenhausbranche (vgl. Kapitel 2) führen zu einer ökonomisierten und verbetriebwirtschaftlichen Klinikführung. Diese schlägt sich

Fachabteilungen

Krankenhausleitung/ Geschäftsführung

Verwaltung

Krankenhausdirektorium

Verwaltungsdirektor Pflegedienstdirektor Ärztlicher Direktor

Stationen

Oberärzte/ Stationsärzte

Assistenzärzte Fachärzte

Ärzte in Weiterbildung

Abteilungsleitung

Abteilungsschwestern

Stationsleitung

Stationsschwestern

Krankenschwestern und Krankenpfleger

Versorgungsdienste

Wäscherei, Reinigung…

zum Teil ausgegliedert

Technik / EDV / Einkauf…

Personal / Buchhaltung

Kosten-/ Leistungsrechnung

Chefärzte / leitende Ärzte

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Berufsprofil 155

in der neuen Krankenhausstruktur in einer zusätzlich installierten Geschäftsfüh-rung nieder. Als Leitungsgremium managt sie das Krankenhaus und steht damit über dem Krankenhausdirektorium (vgl. Nagel 2007: 146).303 Die drei getrennten Funktionsbereiche bleiben jedoch weiter erhalten. Sie entsprechen einer top-down orientierten Organisationsstruktur des Krankenhauses, die nur partiell prozessorientiert auf horizontaler Ebene durchbrochen wird (vgl. Füllekrug 2008: 27).

Der Ärztliche Direktor koordiniert den Ärztlichen Dienst. Er repräsentiert die Krankenhausärzte (insbesondere Chefärzte) und vertritt deren Interessen gegenüber den anderen Funktionsbereichen sowie gegenüber der Geschäftsfüh-rung. Gleichzeitig hat er zwar als Chefarzt einer Abteilung Weisungsbefugnis gegenüber den ihm unterstellten Ober- und Assistenzärzten, als Ärztlicher Direk-tor jedoch nicht gegenüber den anderen Chefärzten (vgl. Degenhardt 1998: 7). Damit unterscheiden sich seine Kompetenzen von denen des Pflegedienstdirek-tors, der als direkter Vorgesetzter der Abteilungsschwestern fungiert.

Die aus beruflicher und arbeitsprozessbezogener Sicht höchste ärztliche Po-sition im Krankenhaus nehmen die Chefärzte ein. Dem auch als Leitenden Arzt bezeichneten Chefarzt obliegt die Verantwortung für eine Abteilung (beispiels-weise Chirurgie oder Innere Medizin) des Krankenhauses.304 Er ist zuständig für die Arbeitsgestaltung, das Personal, die Weiterbildung und er trägt die Budget-verantwortung. Zusätzlich zu seiner leitenden Funktion305 besteht die Besonder-heit des Chefarztstatus in der Privatliquidation. Diese ermöglicht es ihm, gegen-über einem Patienten oder dessen Privater Krankenversicherung (PKV), (zusätz-liche) ärztliche Leistungen in Rechnung zu stellen.306 Die Privatliquidation führt dazu, dass sich das Gesamteinkommen zwischen Chefärzten und der nachfol-genden Statusgruppe der Oberärzte oft um ein Vielfaches unterscheidet (vgl. Kapitel 3.3.3 zur Einkommensentwicklung). Der Spiegel (1994: 91) sprach gar von einer „Lizenz zum Gelddrucken“, über die Chefärzte verfügten.307 Des Wei-teren hat die Privatliquidation dazu geführt, dass Chefärzte sich kaum als Ange-stellte verstanden und fühlten. Dazu mag beigetragen haben, dass sie als AT-Angestellte nicht an Tarifverträge gebunden sind. Für die Chefärzte in Universi-

303 „Der Verwaltungsdirektor ist eine aussterbende Spezies – jetzt eher Geschäftsführer oder kauf-männischer Direktor“ (Interview DKG (1) vom 15.07.2009, Personalwesen Krankenhaus). 304 In Form des Kollegialsystems kommt es auch vor, dass zwei Chefärzte gemeinsam eine Abteilung leiten. 305 Obwohl Chefärzte leitende Funktionen ausüben, sind sie nicht automatisch als Leitende Angestell-te (LA) anzusehen (vgl. Kapitel 4.3.2). 306 Das Krankenhaus ist an den Einkünften prozentual beteiligt, der Großteil verbleibt aber bei den Chefärzten. 307 „Chefärzte sind die heimlichen Herrscher. Privatliquidation gleich Selbstbedienung“ (Interview ver.di (2) vom 23.03.2009, Bundesverband, Betriebs- und Branchenpolitik).

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tätskliniken kommt als weitere Besonderheit hinzu, dass diese gleichzeitig ver-beamtet sind und ein „erhebliches Maß an Unabhängigkeit“ besitzen (Hucke 2010: 121).308 Erst seit die Privatliquidation in den letzten Jahren eingeschränkt wurde309 und die Chefärzte zunehmend Einfluss an das Krankenhausmanage-ment verloren, änderte sich ihre Einstellung (vgl. Kapitel 3.1).

Die zweite Hierarchiestufe bilden die Oberärzte, die eine oder mehrere Sta-tionen einer Abteilung verantworten. Für diese Position wird eine abgeschlosse-ne Facharztweiterbildung vorausgesetzt. Die Oberärzte sind zusammen mit dem Chefarzt für die Facharztweiterbildung in ihrem jeweiligen Bereich zuständig. Ein Leitender Oberarzt übernimmt zusätzlich die Vertretung des Chefarztes und ist verantwortlich für die Stationsärzte seines Bereichs. Diese stehen einer Stati-on der Abteilung vor, stellen aber keine gesonderte Hierarchieebene in der Ärz-teschaft dar. Auf dieser Position finden sich vor allem Assistenzärzte, ferner teilweise Oberärzte oder funktionelle Oberärzte.310

Der Großteil der im Krankenhaus angestellten Ärzte entfällt auf die dritte Hierarchiestufe: die Assistenzärzte. Sie sind gleichzeitig die heterogenste Grup-pe. Zu den Assistenzärzten zählen zunächst die Ärzte, die sich in der Weiterbil-dung befinden (Ärzte in Weiterbildung - AiW). Gleichzeitig gehören zu dieser Gruppe auch diejenigen Ärzte, die zwar ihre Facharztweiterbildung abgeschlos-sen, jedoch nicht als Ober- oder Chefarzt angestellt sind (vgl. Nagel 2007: 146). Die Heterogenität der Assistenzarztgruppe manifestiert sich in deren Berufser-fahrung, in unterschiedlichen Arbeitskontexten und in differenten beruflichen Perspektiven. Die AiW sind von den über ihnen stehenden Ober- und Chefärzten abhängig. Ihre Arbeitsbedingungen und Interessen unterscheiden sind von denje-nigen der Fachärzte, die normalerweise seit mindestens sechs Jahren in einem Krankenhaus beschäftigt sind. Daher ist es sinnvoll, innerhalb der Assistenzärzte zwischen Ärzten in Weiterbildung und Fachärzten zu unterscheiden. Zum einen 308 Die Praxis der Verbeamtung stand zuletzt wegen des Disziplinarverfahrens gegen den Freiburger Unfallchirurgen Hans Peter Friedl, der wegen Kunstfehlern suspendierten wurde, zur Debatte. Der Baden-Württembergische Wissenschaftsminister Peter Frankenberger kündigte eine Gesetzesände-rung an, nach der Chefärzte an Unikliniken nur noch angestellt werden sollten (vgl. Badische Zeitung 2009). 309 Aufgrund vieler Altverträge lag, nach der Umfrage des Krankenhaus Barometers, 2007 der Anteil der Chefärzte mit Liquidationsrecht in öffentlichen und privaten Krankenhäusern immer noch bei etwa 60 Prozent, in Kliniken unter freigemeinnütziger Trägerschaft sogar bei 80 Prozent. Bei Neu-verträgen ließ sich dagegen eine beachtliche Verschiebung feststellen. In diesen bekamen nur noch 54 Prozent der Chefärzte an öffentlichen Krankenhäusern, 40 Prozent an privaten und knapp 70 Prozent der Chefärzte an freigemeinnützigen Kliniken ein Liquidationsrecht eingeräumt. Abgelöst wird dieses durch neue Ausgestaltungsformen von Chefarztverträgen durch Zielvereinbarungen, Erlösbeteiligung oder die Übernahme von Nebentätigkeiten in den Dienstaufgabenkatalog (vgl. Blum et al. 2007: 49-55). 310 Funktionelle Oberärzte sind Fachärzte in Funktion eines Oberarztes, die aber keine Oberarzt-Planstelle innehaben.

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Berufsprofil 157

ist die erfolgte Facharztweiterbildung unabdingbar, um in der Krankenhaushie-rarchie aufsteigen zu können (vgl. auch Kapitel 3.2.2). Zum anderen prägt die Situation der in der Weiterbildung befindlichen, jungen Ärzte die Arbeitsbedin-gungen, da diese die Mehrheit innerhalb der Assistenzärzteschaft ausmachen. Die AiW stehen auf der untersten Hierarchiestufe, deren Alltag Füllekrug (2008: 28) überspitzt wie folgt charakterisiert:

„Kennenlernen ritueller Verhaltensweisen, Weiterbildungsinhalte und die Frage nach Ver-tragsverlängerung, Zeugnisse und die Hoffnung auf Weiterempfehlung prägen die Rahmenbe-dingungen dieser Berufsanfänger. Sie sind die Kulis des Systems.“311

Im Folgenden werden unter Assistenzärzten daher die in der Weiterbildung be-findlichen Ärzte verstanden. Unterschieden wird zwischen Assistenz-, Fach-, Ober- und Chefarzt. Diese Einteilung korrespondiert weitestgehend mit der Zu-ordnung, die in den Tarifverträgen des Marburger Bundes vorgenommen wird. Bei der Eingruppierung werden in der Regel ebenfalls vier Gruppen unterschie-den: Ä1: Arzt in Weiterbildung; Ä2: Facharzt; Ä3: Oberarzt und Ä4: Leitender Oberarzt/ Chefarztvertretung (vgl. TdL/ Marburger Bund 2006: 14f.).312 Chefärz-te fallen in den AT-Bereich, wobei ihre Grundvergütung sich jedoch an der letz-ten Tarifstufe orientiert (vgl. Kapitel 3.3.3). Tabelle 13: Krankenhausärzte nach Hierarchiestufen (2005/10) Hierarchiestufe Anzahl Anteil (in %)

2005 2010 2005 2010 Leitende Ärzte 12.137 13.065 9,3 8,8 Oberärzte 26.538 33.705 20,2 22,7 Assistenz-ärzte

Mit abgeschlossener Facharztausbildung 30.913 33.556 23,6 22,6 In der Weiterbildung 61.527 68.370 46,9 46,0

Gesamt 131.115 148.696

Quellen: Statistisches Bundesamt 2011b: 40, Tab. 2.5.3.1; 2006: Tab. 2.4.2, 2.4.3.1. Die Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamtes unterscheidet drei Sta-tusgruppen: Assistenzärzte (inklusive Fachärzte ohne Ober- oder Chefarztverträ-ge), Oberärzte und leitende Ärzte (insbesondere Chefärzte). Der Großteil der im Krankenhaussektor beschäftigten Ärzte entfällt auf die Gruppe der Assistenzärz-te. Mit insgesamt 101.926 Assistenzärzten kam diese Gruppe im Jahr 2010 auf einen Anteil von 68,5 Prozent an der gesamten Krankenhausärzteschaft (darunter

311 „Ausbeutung der Ärzte ist zu 75 Prozent Ausbeutung zwischen den Ärzten selbst“ (Interview DKG (1) vom 15.07.2009, Personalwesen Krankenhaus). 312 An kommunalen Kliniken erfolgt die Eingruppierung analog in die Entgeltgruppen I-IV (vgl. VKA/ Marburger Bund 2010: 18).

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befanden sich 33.556 Ärzte mit abgeschlossener Facharztausbildung). Es folgten die Oberärzte mit 22,7 Prozent (33.705). Den geringsten Teil machten die leiten-den Ärzte aus. Ihre Anzahl betrug 13.065. Damit waren von 148.696 Ärzten im Krankenhaussektor 8,8 Prozent in leitender Position beschäftigt (Statistisches Bundesamt 2011b: 36, Tab. 2.5.1; 40, Tab. 2.5.3.1; vgl. Tabelle 13). Die mit 163.600 berufstätigen Ärzten im stationären Sektor im Jahr 2010 etwas höher liegenden Zahlen der Bundesärztekammer (DKG 2011b) weisen eine Anzahl von 13.400 Leitenden Ärzten aus. Diese entspricht einem Anteil von 8,2 Prozent. Die Zahl Leitender Ärzte steigt nicht proportional zur Anzahl der Krankenhausärzte. Seit 1980 ist die Krankenhausärzteschaft von 67.964 auf 163.600 um über 140 Prozent gewachsen. Gleichzeitig stieg die Zahl der leitenden Krankenhausärzte nur um knapp 60 Prozent von 8.383 auf 13.400313 (Bundesärztekammer 2011c: Abb. 1). Kooperation Die im arbeitsteilig organisierten Krankenhaus erforderliche Kooperation zwi-schen den Beschäftigten(gruppen) wird zumeist ausschließlich über die Spitzen der drei Funktionsbereiche koordiniert. In der Regel erörtern und regulieren Ärztlicher Direktor, Pflegedienstleitung und Verwaltungsdirektor die berufs-gruppenübergreifenden Koordinationsangelegenheiten. Andere „institutionali-sierte berufsgruppenübergreifende Koordinationsmechanismen bzw. -gremien“ sind kaum vorhanden314 (Löser-Priester 2003: 83). Dies bestätigt Grossmann (1993: 307): „Kommunikations- und Organisationsstrukturen, die der Bearbei-tung fach- und bereichsübergreifender Aufgaben dienen können […] [, sind] besonders schwach ausgebildet“. Durch die dominierende „informelle Kommu-nikation und […] Personenorientierung“ gestaltet sich die Zusammenarbeit nicht immer einfach (ebd.). Dies zeigen auch Rückmeldungen, die ver.di von Mitglie-dern aus dem Pflegebereich sowie von Personalräten und Vertrauensleuten er-hält. Als problematisch wird es beispielsweise gesehen, wenn ärztliche Aufgaben übernommen werden sollen. Des Weiteren gebe es Entscheidungsschwierigkei-ten, weil zu wenige Ärzte vor Ort oder diese nicht ansprechbar seien. Zusätzlich werden belastende Sprachprobleme genannt, wenn die Funktionsdienste zwi-schen nicht deutschsprachigen Ärzten und Patienten vermitteln müssen.315 Eine empirische Studie von Braun et al. (2010: 99) dagegen stellt fest, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Pflegepersonal und Ärzten eher verbessert hat. Das

313 Der Anteil der leitenden Ärzte an der gesamten Krankenhausärzteschaft lag 1980 bei 12,3 Prozent und 1994 bei 9,2 Prozent. 314 Unter Umständen existiert mit der Krankenhauskonferenz eine beratende Instanz aus führenden Mitarbeitern. 315 Interview ver.di (4) vom 31.08.2011, Bundesverband, Hauptamt.

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Berufsprofil 159

relativ gute Verhältnis erklären die Autoren durch die unter DRG-Bedingungen erhöhte Kommunikations- und Kooperationsnotwendigkeit. Besonders bei jun-gen Ärzten spiele eher das persönliche Verhältnis eine Rolle. Diese würden „we-niger hierarchisch und professionsegoistisch denken und [sind] wohl auch – zumindest zu Beginn ihrer Tätigkeit – stark auf die erfahrenen Pflegekräfte an-gewiesen“ (ebd.). Sonderstellung, Stand und Staus der Chefärzte Wie oben bereits angedeutet nehmen die Chefärzte aufgrund ihrer Leitungsfunk-tion eine gesonderte Stellung innerhalb der ärztlichen Statushierarchie ein. „Ge-führt wird das Krankenhaus also durch das Triumvirat im Leitungsgremium und im ärztlich-medizinischen Bereich durch den jeweiligen Chefarzt“ (Degenhardt 1998: 8). Neben die horizontale Aufgabenteilung tritt eine stark hierarchisch aufgebaute, vertikale Entscheidungs- und Leitungsstruktur. Die vertikale Hierar-chie ist im Bereich des Ärztlichen Dienstes besonders stark ausgeprägt. Dies muss berücksichtig werden, um das berufliche Profil der Krankenhausärzte zu verstehen. Denn die hierarchische Ordnung ist mehr als nur ein organisatorisches Strukturprinzip: Sie schlägt sich in einer tatsächlich „gelebten Hierarchie“ nie-der.316 So wird etwa von einem „Biotop feudalistisch-patriarchaler Strukturen“ (Füllekrug 2008: 26) oder vom „hierarchisch-militärisch gegliederten Kranken-haus alter Prägung“ (Ruebsam-Simon 2002: 2840) gesprochen. Die Chefärzte trügen „fast alttestamentarische väterliche Züge“, meint Degenhardt (1998: 29). Das besondere Statusempfinden der Chefärzte rührt nicht zuletzt daher, dass der Ärztliche Direktor zwar formal die höchste ärztliche Position im Krankenhaus bekleidet, er jedoch gegenüber den abteilungsleitenden Chefärzten nicht wei-sungsbefugt ist. Diese leiten ihre Fachabteilung selbstverantwortlich (vgl. ebd.: 8). Dies hat einerseits eine stark hierarchische Organisation innerhalb der einzel-nen Abteilungen – mit dem leitenden Chefarzt an der Spitze – und zum anderen eine klare Abgrenzung zwischen den Abteilungen zur Folge.

Die ärztlichen Sozialisation, die durch das zweistufige Aus- und Weiterbil-dungssystem geprägt ist (vgl. Kapitel 3.2), reproduziert beständig diese hierar-chischen Strukturen von Arztberuf und Krankenhausärzteschaft. Die fachärztli-che Weiterbildung der Assistenzärzte erfolgt in einem kaum aufzubrechenden Abhängigkeitsverhältnis zu dem der Abteilung vorstehenden Chefarzt „nach militärischen Grundsätzen“: „Gehorsam und widerspruchsfreies Verhalten wer-den belobigt und positiv sanktioniert, wohingegen Widerspruch […] negativ sanktioniert“ wird (Ruebsam-Simon 2002: 2840). Während die Assistenzärzte ihre Facharztweiterbildung absolvieren, sind sie auf das Wohlwollen ihres Chef-

316 Interview MB (1) vom 24.04.2008, Bezirksverband, Ehrenamt.

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arztes angewiesen. Diese strikte Hierarchie geht zumeist mit Konfliktlösungs-strategien und einer Arbeitsprozessorganisation einher, die von Delegation (durch den Chefarzt) und Unterordnung (des Assistenzarztes) geprägt sind (vgl. Degenhardt 1998: 24f.). „Kaum jemand wagte Widerspruch, und wenn doch, dann wurde das oft als revolutionäres Aufbegehren rücksichtslos abgetan“ (ebd.: 29).

Die hierarchische Struktur beeinflusst auch die konkrete Gestaltung der Arbeitsbedingungen. So stellt Füllekrug (2008: 25) fest, dass die Akzeptanz langer ärztlicher Arbeitszeiten, (nicht bezahlter) Überstunden und Sonderschich-ten mit einem Helfersyndrom, mehr aber noch mit der ärztlichen Hierarchie er-klärt werden können. Die Chefärzte regeln die Vertragsdetails und Weiterbil-dungsbedingungen ihrer ärztlichen Mitarbeiter. Sie bestimmen, wer eingestellt wird, welche Verträge verlängert werden und sie stellen die Arbeits- und Weiter-bildungszeugnisse aus (vgl. Füllekrug 2008: 26). Unter diesen Bedingungen fällt es Assistenzärzten verständlicherweise schwer, den Wünschen des Chefarztes nicht nachzukommen, um des Verhältnisses zu ihm nicht zu belasten. So zum Beispiel wenn Überstunden erwartet, aber nicht angeordnet werden (vgl. Simon 1997: 28; Schroeder et al. 2011: 141).317

Die Stellung und (wirtschaftliche) Verantwortung der Chefärzte führt in ei-nigen Fällen zu einer Interessendivergenz innerhalb der Krankenhausärzteschaft. Dies zeigt sich, wie empirische Studien belegen,318 bei der Managementorientie-rung der verschiedenen Arztgruppen. Diese nimmt mit dem Aufstieg in der ärzt-lichen Hierarchie zu. Dies trifft jedoch nicht auf die Zieldefinitionen zu. Ärzte räumen „in deutlich stärkerem Maße als andere Professionen […] den altruis-tisch geprägten Zielen ihrer Profession Priorität gegenüber betriebswirtschaftli-chen Zielen […] [ein] – und zwar unabhängig vom hierarchischen Status“ (Hucke 2010: 51). Die Stellung der Chefärzte verändert sich jedoch. „Lange Zeit hatten die Chefärzte unbestritten den größten Einfluss im Krankenhaus“ (Braun et al. 2010: 80). Dieser Status hat sich im Zuge der Ökonomisierung der Kran-kenhäuser gewandelt. Die Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsspielräu-me der Chefärzte und des Ärztlichen Direktors sind hinter denen des Kranken-hausmanagements zurückgetreten. In der Folge nehmen sich die Chefärzte selbst vermehrt als Angestellte wahr:

317 Angeordnete Überstunden sind abrechenbar und wirken sich damit zulasten des Abteilungsbud-gets des Chefarztes aus. 318 Vgl. bspw. Braun et al. 2010: 143-150. Ein Überblick über quantitative Studien in US-Krankenhäusern findet sich bei Vera (2007: 309-313), eine deutsche Klinikstudie bei Hucke (2010: 41-50).

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Berufsprofil 161

„In der Vergangenheit fühlten sich die Chefärzte ja als sowas wie die leitenden Angestellten eines Krankenhauses – ohne, dass sie diesen Tarifstatus hatten, aber sie fühlten sich so. […] Das hat sich ja total gewandelt. Auch die leitenden Ärzte sind heute Angestellte des Kranken-hauses.“319

Damit verändert sich, zumindest bei den neuen Chefärzten, deren Verhältnis zu den niedrigeren Hierarchiestufen in der Ärzteschaft. „Jüngere Chefärzte haben eine andere Sozialisation. Der Chefarzt neuer Prägung ist kooperativer.“320 Den-noch bleibt das Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Ärzten in der Weiterbil-dung und den Chefärzten strukturell weiter bestehen.321 Hierarchie und Ärztinnen Die Hierarchie im Krankenhaus birgt in Statusfragen für eine Gruppe besondere Brisanz: die Ärztinnen. Lorber (1999: 327) etwa nennt Schwierigkeiten im sozia-len Umgang zwischen Ärztinnen und Krankenschwestern, die es so für männli-che Ärzte nicht gäbe. Ärztinnen hätten einen „prekären Status und geraten leicht in eine Zwickmühle“. Denn sollten sie sich, in der Zusammenarbeit mit dem (weiblichen) Pflegepersonal, gleichzeitig mit dieser „statusniedrigeren Gruppe zusammen[schließen], erleiden sie einen Statusverlust“ (ebd.). Dies gilt nicht nur aus Sicht der männlichen Kollegen. Sander (2009: 414) stellt fest, dass „die Nä-he [durch das gleiche Geschlecht; d. Verf.] zur Pflege von den Ärztinnen selbst auch als Abwertung innerhalb der Professionshierarchie erlebt“ wird. Zumal allein ihr Geschlecht bereits „potenziell die hierarchische Position gegenüber der Pflege und die Anerkennung von männlichen Kollegen“ schwäche (ebd.). Horman, Campbell und DeGregory (1987) zeigten bereits 1987, dass ge-schlechtsbezogene Stereotypen zwischen den Beschäftigtengruppen im Kran-kenhaus stark ausgeprägt sind. Obwohl sie sich rollenadäquat verhielten, wurden Ärztinnen vielfach für Krankenschwestern und Pfleger umgekehrt für Ärzte gehalten.322 Außerdem legen die Befunde von Horman et al. nahe, dass es eine Beziehung zwischen dem Geschlecht und der wahrgenommenen fachlichen Kompetenz gibt: 319 Interview MB (4) vom 02.03.2011, Bundesverband, Ehrenamt. 320 Interview ver.di (2) vom 23.03.2009, Bundesverband, FB 3 Betriebs- und Branchenpolitik. 321 „Die Macht der Chefärzte wurde zwar beschnitten, die junge Ärzte stehen aber immer noch wegen der Facharzt-Weiterbildung in einer hoher Abhängigkeit zum Vorgesetzten“ (Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik). 322 Angehende Krankenschwestern und Pflegern sowie Ärzten und Ärztinnen wurden in der Untersu-chung Videoaufzeichnungen verschiedene Krankenhausuntersuchungen vorgespielt. In 68 Prozent der gezeigten Situationen, in denen weibliche Ärzte mit Patienten interagieren, wurden diese fälschli-cherweise der Statusgruppe Krankenschwestern zugeordnet. Andersherum wurden 74 Prozent der männlichen Krankenpfleger der Statusgruppe der Ärzte zugeordnet. Signifikante Unterschiede zwi-schen Geschlecht und Berufsgruppe der Befragten konnten dabei nicht festgestellt werden (vgl. Horman et al. 1987: 850f.).

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„The findings of this study also reveal that more respondents believed that gender influenced clinical performance when the taped provider's status was incongruent with gender-role stereo-types than when it was congruent” (Horman et al. 1987: 853).

Die Befragten waren der Ansicht, das Geschlecht beeinflusse die berufliche Arbeitsleistung („clinical performance“). Dies deutet an, dass die Feminisierung der Medizin zum Statusverlust des Arztberufs beiträgt.323 Tabelle 14: Krankenhausärzte nach Geschlecht und Hierarchiestufen (2010) Hierarchiestufe Anzahl Anteil weib-

lich (in %) Gesamt Männlich WeiblichAssistenzärzte 101.926 46.816 55.110 54,1

darunter weitergebildete Fachärzte 33.556 17.059 16.497 49,2 Oberärzte 33.705 25.012 8.693 25,8 Leitende Ärzte 13.065 11.838 1.227 9,4 Gesamt 148.696 83.666 65.030 43,7

Quelle: Statistisches Bundesamt 2011b: 40, Tab. 2.5.3.1. Geschlechtsspezifisch sind die Krankenhausärzte in der Statushierarchie (immer noch) erheblich ungleich verteilt, wie Tabelle 14 zeigt. Während Ärztinnen 2010 mit einem Anteil von 54,1 Prozent unter den Assistenzärzte die Mehrheit stell-ten, waren sie in den oberen Hierarchieebenen deutlich seltener vertreten. Etwa ein Viertel der Oberärzte waren weiblich und unter den leitenden Medizinern machten Ärztinnen nur noch einen Anteil von 9,4 Prozent aus (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 40, Tab. 2.5.3.1; Tabelle 14). Inwieweit sich diese Verteilung verändert hat und welche Aufgaben sich daraus für den Berufsstand und den Marburger Bund ableiten, wird im folgenden Kapitel zur Feminisierung des Arztberufes aufgegriffen. 3.3.2 Feminisierung des Arztberufes Der deutsche Arbeitsmarkt wird zunehmend weiblicher. Seit 1960 hat sich der Frauenanteil bei den abhängig beschäftigten Arbeitnehmern von 33,6 auf 49,8 Prozent im Jahr 2010 erhöht. In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass die Anzahl der Arbeitnehmerinnen von 6.756.000 (1960) auf 17.953.000 (2010) um mehr als 166 Prozent zugenommen hat. Die Anzahl männlicher Arbeitnehmer stieg dagegen nur um knapp 36 Prozent von 13.317.000 auf 18.111.000 (vgl. BMAS 2012: Tab. 2.5a). Diese Entwicklungen finden sich spiegelbildlich bei der Ärzte-schaft. Von den 333.599 im Jahr 2010 berufstätigen Medizinern waren 143.553

323 Negative Effekte einer Verweiblichung auf Status und Einkommen wurde in der Genderforschung für andere Berufsbilder wie beispielsweise das des Sekretärs nachgewiesen.

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Berufsprofil 163

weiblich (vgl. Bundesärztekammer 2010d: Abb. 3, 4).324 Dies entsprach einem Anteil der Ärztinnen von 43 Prozent. Im Krankenhaus lag der Anteil weiblicher Mediziner mit 43,7 Prozent etwas höher, verblieb jedoch weiterhin 6,1 Prozent-punkte unter dem Gesamtanteil abhängig beschäftigter Arbeitnehmerinnen (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 40, Tab. 2.5.3.1; BMAS 2012: Tab. 2.5a). Diese Zahlen belegen einen Anstieg des Frauenanteils bei den stationär tätigen Medizi-nern seit 1991 um 9,9 Prozentpunkte325 (vgl. Bundesärztekammer 2000: Abb. 6). Bundesweit arbeiteten 2010 unter den insgesamt 163.632 stationär tätigen Ärzten 72.766 Ärztinnen. Damit stieg die Zahl der weiblichen Mediziner seit 1991 um 77,8 Prozent und fast 32.000 Ärztinnen. In der gleichen Zeit erhöhte sich die Zahl der männlichen Ärzte um kaum mehr als 10.000 (+ 13,1 Prozent) (vgl. Bundesärztekammer 2010d: Tab. 3, 4; 2000: Abb. 6). Abbildung 8: Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus (1990–2010)

Quelle: Bundesärztekammer 2010d: Tab. 1; 2000: Abb. 6; Eigene Darstellung und Berechnung. Die vorliegenden Daten zum Ärztenachwuchs sprechen dafür, dass diese Ent-wicklung anhalten oder zunehmen wird. Eine stark ansteigende Zahl von Medi-zinstudentinnen treibt die weitere Feminisierung des Arztberufes voran. Im Win-tersemester 1990/91 waren 47.212 Studenten und 37.488 Studentinnen im Fach Allgemeinmedizin an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Dies entsprach

324 Das Statistische Bundesamt (2011f: 28, Tab. 3.1.1) weist mit 370.000 Ärzten, darunter 166.000 Ärztinnen, insgesamt etwas höhere Zahlen aus und kommt auf einen Frauenanteil von 44,9 Prozent. 325 Der Anteil der Ärztinnen im Krankenhaus lag im Jahr 1991 bei 33,8 Prozent.

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stationär tätige Ärztinnen und Ärzte Anteil Ärztinnen

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164 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

einem Anteil von 55,7 männlichen und 44,3 Prozent weiblichen Studierenden.326 Heute hat sich dieses Verhältnis umgekehrt. Im Wintersemester 2010/2011 stu-dierten nur noch 31.182 Männer, dafür aber 49.392 Frauen Allgemeinmedizin. Der Anteil weiblicher Studierenden erhöhte sich damit innerhalb von zwanzig Jahren um 17 Prozentpunkte auf 61,3 Prozent (vgl. Statistisches Bundesamt 2011g; Kapitel 3.2.1; Abbildung 6). Diese Daten belegen, dass der zunehmende Anteil von Frauen in der medizinischen Hochschulausbildung nicht nur aus ihrer steigenden Zahl resultiert, sondern mit einer sinkenden Zahl männlicher Studie-renden korreliert.

Die absoluten Zahlen und der relative Anteil von weiblichen Erwerbstätigen sind nicht die einzigen Variablen, die das Phänomen der Feminisierung betrifft. Eine weitere Variable, die für den Krankenhaussektor eine wichtige Rolle spielt, ist der Beschäftigungsumfang. Dieser unterscheidet sich zwischen Ärzten und Ärztinnen erheblich, was sich etwa an der Voll- und Teilzeitbeschäftigung zeigt. Bereits 1960 lagen Arbeitnehmerinnen mit einer Teilzeitquote von 8,6 Prozent weit vor ihren männlichen Kollegen mit 1,5 Prozent. Seitdem hat die Teilzeitar-beit weiter rapide zugenommen. 52,2 Prozent der Arbeitnehmerinnen und 17,4 Prozent der männlichen Erwerbstätigen arbeiteten 2010 in einem Teilzeitbe-schäftigungsverhältnis (vgl. BMAS 2012: Tab. 2.5a).

Für die Ärzteschaft liegen für das Jahr 2010 Zahlen des Statistischen Bun-desamtes vor (2011f: 51, Tab. 3.2). Bezogen auf alle Ärztinnen in der Human-medizin (ohne Zahnmedizin) betrug der Anteil der Teilzeiterwerbstätigen (unter 32 Stunden in der Woche) 24,1 Prozent. Bei ihren männlichen Kollegen lag der Teilzeitanteil dagegen nur bei 5,4 Prozent.327 Von 2005 bis 2010 ist die Beschäf-tigtenzahl im Ärztlichen Dienst kontinuierlich um 13,4 Prozent von 131.115 auf 148.696 angestiegen (vgl. Tabelle 7). Wird parallel die Entwicklung der Voll-kräfte im Jahresdurchschnitt betrachtet, zeigt sich, dass gleichzeitig die Teilzeit-beschäftigung zunahm. Denn hier betrug der Zuwachs nur 10,3 Prozent328 (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 11, Tab. 1.2). Weiter relativiert werden diese Zuwächse durch die Teilzeitbeschäftigtenzahlen. 2005 waren 17.139 hauptamtli-chen Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus teilzeit- oder geringfügig beschäftigt; 2010 bereits 25.361. Mit diesem Zuwachs um 48 Prozent stieg auch die Teilzeit-quote. Diese lag 2005 bei 13,1 Prozent und 2010 bei 17,1 Prozent. Die Auswei-tung der Teilzeitarbeit ist immer noch ein überwiegend weibliches Phänomen. 326 Die Zahlen beziehen sich auf deutsche und ausländische Studierenden an deutschen Hochschulen. 327 Neben der Diskrepanz zwischen männlichen und weiblichen Erwerbstätigen, fällt der – im Ver-gleich zu allen Erwerbstätigen – niedrige Anteil an Teilzeiterwerbstätigkeit auf. Teilweise erklärt sich dies dadurch, dass die Zahlen die niedergelassenen Ärzte mit berücksichtigen. Darüber hinaus rangie-ren Arbeitszeit und Arbeitsbelastung der Krankenhausärzte generell erheblich über denjenigen ande-rer Beschäftigtengruppen (vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.3.3 zur Arbeitszeitentwicklung). 328 Ein Anstieg von 121.610 Vollkräften im Jahr 2005 auf 134.079 im Jahr 2010.

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Berufsprofil 165

74,7 Prozent der 2010 teilzeitbeschäftigten Ärzte waren weiblich. Ihre Zahl stieg von 12.829 (2005) auf 18.937 im Jahr 2010. Die Anzahl ihrer männlichen Kolle-gen in Teilzeitbeschäftigung nahm nur von 4.310 auf 6.424 zu. Der Anteil männ-licher Ärzte an allen teilzeitbeschäftigten Medizinern erhöhte sich seit 2005 damit lediglich um 0,2 Prozentpunkte (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 40, Tab. 2.5.3.1; 2006: Tab. 2.4.3.1; Werblow/ Schoffer 2010: 74ff.).

Bedeutung der Feminisierung für Ärzte und Marburger Bund Für den Berufsstand der Ärzte wirkt sich die zunehmende Feminisierung zu-nächst auf Status, Stand und Ansehen des Arztberufes aus. Des Weiteren sind die Arbeitsbedingungen direkt betroffen. Die höhere Teilzeitquote bei weiblichen Medizinern wirft etwa Fragen der Arbeitszeitgestaltung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf. In repräsentativen Umfragen unter MB-Mitgliedern ermittelte der Verband 2007 und 2010 die Bedeutung der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit. Der Anteil derjenigen, für die eine Vereinbarkeit an oberster Stelle rangierte (am wichtigsten), stieg zwischen beiden Umfragen von 33 auf 55 Prozent. Im Antwortverhalten waren geschlechtsspezifische Unter-schiede festzustellen. So wählten immerhin 46 Prozent der Ärzte (2007: 24 Pro-zent) die höchste Kategorie. Bei Ärztinnen waren es jedoch 67 Prozent (2007: 46 Prozent) (vgl. Marburger Bund 2010b: 35f.). Gleichwohl wird ersichtlich, dass die Gestaltung von Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten für die gesamte Ärzte-schaft wichtiger wird.

Diese neuen Interessenlagen müssen vom Marburger Bund berücksichtigt werden. Dies betrifft die Einflussnahme des Verbandes auf Krankenhäuser und Klinikbetreiber sowie die inhaltliche Ausrichtung und Gestaltung der ärztlichen Tarifverträge. Obwohl im Bereich der Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten bereits Erfolge erzielt wurden, besteht weiterhin Handlungsbedarf. Dies zeigt sich ebenfalls in den Umfragen des Marburger Bundes. Der Frage, ob ihr Arbeit-geber ausreichende Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf biete, stimmten 2010 rund 43 Prozent der MB-Mitglieder zu. Die Zustimmung stieg damit seit 2007 zwar um 14 Prozentpunkte, die Mehrheit sah die vorhande-nen Möglichkeiten aber weiterhin als noch nicht ausreichend an. Dazu könnte beigetragen haben, dass die von der Arbeitgeberseite genutzten Maßnahmen sich fast ausschließlich auf das Angebot von Teilzeitstellen beschränkten (vgl. Marburger Bund 2010b: 34).

Durch das „größere Interesse an geregelten Arbeitszeiten oder einer länge-ren elternzeitbedingten Unterbrechung der Berufstätigkeit“ von Ärztinnen, be-dingt die Feminisierung zusätzlich einen erhöhten Personalbedarf (Blum/ Löffert 2010: 45) (vgl. dazu auch Kapitel 2.2.4 zum Ärztemangel). Daher wirkt sich der steigende Ärztinnenanteil direkt auf den ärztlichen Arbeitsmarkt im Krankenhaus

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166 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

aus. Dass sich die Arbeitszeitstruktur der Ärzte im Krankenhaus gerade in den letzten Jahren erheblich veränderte, war aber nicht nur der Feminisierung ge-schuldet wie das folgende Kapitel zeigt.

3.3.3 Arbeitszeit und Einkommen Einen ersten Einblick in die Arbeitszeitstruktur der Ärzteschaft liefern die Daten des Mikrozensus. Im Jahr 2010 arbeiteten 48,9 Prozent der Ärztinnen und Ärzten normalerweise mehr als 45 Stunden in der Woche. Übertroffen wurden diese Zahlen nur von Unternehmerinnen und Geschäftsführern (50,5 Prozent). Bei anderen Akademikern wie Ingenieuren oder Lehrerinnen und Lehrern lag der Anteil derjenigen, die wöchentlich mehr als 45 Stunden arbeiteten, dagegen nur bei 24,2 beziehungsweise 18,6 Prozent. Diese Unterschiede vergrößern sich, wenn Männer und Frauen getrennt betrachtet werden. 59,3 Prozent aller männli-chen Ärzte arbeiteten normalerweise mehr als 45 Stunden in der Woche. Damit lagen sie sogar knapp vor Geschäftsführern und Unternehmern mit 59,1 Prozent. Das gleiche galt für Ärztinnen, die mit einem Anteil von 36,1 Prozent ebenfalls vor den Geschäftsführerinnen und Unternehmerinnen mit 30,6 Prozent lagen. Bei den weiblichen Ingenieuren und bei Lehrerinnen kamen dagegen nur 11,7 bezie-hungsweise 13,4 Prozent auf mehr als 45 Wochenstunden (vgl. Statistisches Bundesamt 2011f: 49-51, Tab. 3.2). Tabelle 15: Normalerweise je Woche geleistete Arbeitsstunden (2010) Gruppe / Ver-teilung in %

<21 Stunden

21-31 Stunden

32-35 Stunden

36-39 Stunden

40Stunden

41-44 Stunden

45+ Stunden

Ärzte 3,4 2,0 1,5 2,9 24,0 5,9 59,3 Ärztinnen 11,4 12,7 4,8 5,4 24,7 6,0 36,1 Gesamt 7,0 6,8 3,0 4,1 24,3 5,9 48,9

Quelle: Statistisches Bundesamt 2011f: 51, Tab. 3.2; Eigene Berechnung. Eine weitergehende innerärztliche Differenzierung nahm eine Studie des Deut-schen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zur Einkommens- und Arbeits-zeitentwicklung von jungen Ärzten vor. Das DIW kam in einer Extremwertab-schätzung für das Jahr 2003 zu dem Ergebnis, dass die durchschnittliche Wo-chenarbeitszeit für Klinikärzte bei 47,1 Stunden und für Ärzte in Universitätskli-niken bei 67,3 Stunden lag. Damit hätten 10 Prozent aller Klinikärzte und 48 Prozent aller Universitätsklinikärzte über 60 Stunden wöchentlich gearbeitet (vgl. Spengler 2005b: 557). Diese Daten bezogen sich nur auf die ausgewiesenen Arbeits- und Überstunden, ließen also nicht dokumentierte Mehrarbeit unberück-sichtigt. Eine 2010 durchgeführte, repräsentative Umfrage des Marburger Bun-des unter seinen Mitgliedern ergab, dass 36 Prozent aller Krankenhausärzte mehr

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Berufsprofil 167

als 60 Stunden in der Woche arbeiteten.329 Weitere 40 Prozent arbeiteten zwi-schen 50 und 59 Stunden. Damit lag die Wochenarbeitszeit bei 76 Prozent aller Krankenhausärzte über den im Arbeitszeitgesetz festgelegten 48 Stunden (vgl. Kapitel 3.3.3). Etwa 53 Prozent der Ärzte erklärten ihrerseits explizit, die festge-setzten Höchstarbeitsgrenzen würden nicht eingehalten (vgl. Marburger Bund 2010b: 16, 18, 24).330

Die problematische Diskrepanz zwischen geleisteten und vergüteten Über-stunden verschärft sich infolge der Budgetdeckelung. Die Deutsche Kranken-hausgesellschaft empfahl, nur noch nach vorheriger Absprache mit der Kranken-hausleitung die Anordnung von Überstunden zu erlauben, um Personalkosten einzusparen (vgl. DKG 1993: 162). Die beschäftigungsrelevante Folge dieser Empfehlung wäre jedoch kaum eine Reduktion der ärztlichen Arbeitszeit, worauf Simon (1997: 27f.) hinweist:

„Diese Strategie dürfte zwar die Zahl der vergüteten Überstunden begrenzt haben, nicht jedoch die der tatsächlich erbrachten, denn im Ärztlichen Dienst handelt es sich überwiegend um nichtangeordnete Überstunden, die erbracht werden, weil es die Versorgungssituation erfordert oder Vorgesetzte erwarten.“

Dennoch scheint sich die Überstundenproblematik langsam zu verbessern. In der oben erwähnten Umfrage des Marburger Bundes ist der Anteil derjenigen Ärzte, die angeben, dass ihre Überstunden nicht vergütet werden, von 61 Prozent im Jahr 2007 auf 50 Prozent im Jahr 2010 zurückgegangen. Gleichzeitig stieg der Anteil teilweise vergüteter Überstunden von 29 auf 33 Prozent und der Anteil der Ärzte, die ihre Überstunden generell bezahlt bekommen, von 10 auf 17 Pro-zent (vgl. Marburger Bund 2010b: 19).331 Von einer idealen Situation kann aber wohl noch lange nicht gesprochen werden. Nicht zuletzt, weil selbst bestehende Richtlinien zur Arbeitszeit weiterhin nicht eingehalten werden. Entwicklung der Arbeitszeitgesetzgebung Die Entwicklung der ärztlichen Arbeitszeit muss vor dem Hintergrund der Ar-beitszeitgesetzgebung betrachtet werden. Die deutschen Arbeitszeitregelungen

329 Gefragt wurde nach der tatsächlichen Wochenarbeitszeit inklusive Überstunden und Bereit-schaftsdienste. Gegenüber 2007 war ein Rückgang um 5 Prozentpunkte festzustellen. Gleichzeitig sank der Anteil derjenigen, die mehr als 10 Überstunden in der Woche ableisten von 40 auf 36 Prozent. 330 Weiterhin gaben 39 Prozent der Ärzte 2010 an, dass der Arbeitgeber nicht systematisch alle Arbeitszeiten erfasst (2007 waren es 49 Prozent) (vgl. Marburger Bund 2010b: 26). 331 Die Zahlen lassen nicht den Schluss zu, dass 50 Prozent der Ärzte Überstunden ohne jeden Aus-gleich absolvierten. So gaben 2010 insgesamt 78 Prozent der Befragten an, Überstunden teilweise in Freizeitausgleich umwandeln zu können (vgl. Marburger Bund 2010b: 20).

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unterliegen seit 1989 europäischen Vorgaben.332 Diese in geltendes Recht zu überführen, wurde jedoch in den folgenden Jahrzehnten kontrovers diskutiert und allenfalls defizitär umgesetzt. Die für den Krankenhausbereich relevanten Regelungen zur Arbeitszeitgestaltung wurden 1993 beziehungsweise 2003 durch die EU weiter konkretisiert.333 Umgesetzt wurden die EU-Vorgaben 1994 durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG).334 Zu den wichtigsten Regelungen gehört die Festlegung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 48 Stunden335 und der täglichen Arbeitszeit auf 8 Stunden. Es besteht die Möglichkeit, die tägliche Arbeitszeit auf 10 Stunden zu verlängern, sofern ein Ausgleich innerhalb von 6 Monaten/ 24 Wochen erfolgt (§3). Da sich die tägliche Arbeitszeit auf einen 24-Stunden-Zeitraum und nicht auf einen Kalendertag bezieht, regelt §5 Abs. 1, dass sich an die tägliche Arbeitszeit „eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden“ anschließen muss. Diese kann im Krankenhausbereich auf 10 Stunden verkürzt werden, sofern innerhalb von 1 Monat/ 4 Wochen ein Ausgleich durch die Verlängerung einer Ruhezeit auf 12 Stunden erfolgt (§5 Abs. 2).

Das ArbZG wurde nur schleppend umgesetzt. Für die Krankenhäuser galt eine 18-monatige Übergangsfrist, um die Dienstpläne umstellen zu können. Die Frist wurde von den Krankenhäusern nicht genutzt. Erst 1996 begannen sie, über „die Inhalte und Notwendigkeiten des Arbeitszeitgesetzes“ zu diskutieren (Füllekrug 2008: 14). Für die Ärzte blieb also zunächst, trotz gesetzlicher Rege-lung, alles beim Alten. Ein weiteres Problem ergab sich aus den ärztlichen Be-reitschaftsdiensten. Der Bereitschaftsdienst war weder im Arbeitszeitgesetz noch in der europäischen Vorgabe definiert worden. Konsequenterweise wurde, da im BAT als Ruhezeit gewertet, die Zeit des Bereitschaftsdienstes der Arbeitszeit zugeschlagen. Dies ermöglichte dem Arbeitgeber, vor oder nach einem 24-stündigen Bereitschaftsdienst die normale 8 bis 10-stündige tägliche Arbeitszeit anzuschließen (vgl. ebd.). Diese Praxis wurde erst im Jahr 2000 durch den Euro-päischen Gerichtshof in Frage gestellt. Der EuGH entschied, dass der Bereit-schaftsdienst, weil er im Gegensatz zur Rufbereitschaft am Arbeitsplatz ver-bracht wird, vollständig auf die Arbeitszeit anzurechnen sei.336 Da es sich aber um eine Entscheidung in einem spanischen Fall handelte und die Übertragbarkeit auf das deutsche Arbeitszeitgesetzt umstritten war (vgl. Hensche 2010a; Füllekrug 2008: 15), dauerte es weitere drei Jahre, bis das ArbZG reformiert 332 Richtlinie 89/391/EWG des Rates über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit. 333 Richtlinie 93/104/EWG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeits-zeitgestaltung. Abgelöst durch: Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung. 334 Arbeitszeitgesetz vom 6. Juni 1994 (BGBI. I S. 1170, 1171). 335 Im Durchschnitt von 12 oder 6 Monaten je nach Regelungsfall (§7 Abs. 8, ArbZG). 336 EuGH Urteil vom 03.10.2000, Rs C 303/ 98 – Simap.

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wurde. Erst nachdem das Bundesarbeitsgericht337 und der Europäische Gerichts-hof338 die Übertragbarkeit bejahten, wurde das ArbZG mit dem „Gesetz zu Re-formen am Arbeitsmarkt“ zum 1. Januar 2004 angepasst. Wieder gab es eine Übergangsregelung (§25) für zwei Jahre, die 2005 um ein Jahr verlängert wur-de.339

Des Weiteren schafft die sogenannte Opt-Out-Regelung die Möglichkeit, die wöchentlichen Höchstarbeitszeit weiterhin zu verlängern. Grundlage für diese ist ein bestehender Tarifvertrag oder eine Betriebs- beziehungsweise Dienstvereinbarung mit schriftlicher Einwilligung des Arbeitnehmers. Laut Krankenhaus-Barometer lag 2008 nur in 2,5 Prozent der Kliniken keine entspre-chende tarifliche Grundlage vor. Insgesamt wandten bereits 66,3 Prozent aller Krankenhäuser eine Opt-Out-Regelung an. Darüber hinaus wurde auf der glei-chen Grundlage in 54,6 Prozent der Kliniken eine werktägliche und in 72,4 Pro-zent eine Wochenend- und Feiertags-Verlängerung der täglichen Höchstarbeits-zeit auf bis zu 24 Stunden ermöglicht. Alle drei Bereichen hatten sich im Ver-gleich zum Vorjahr ausgeweitet (vgl. Blum et al. 2008: 31f.).

Der durch gesetzliche Übergangsregelungen und Verzögerungen geprägte Umsetzungsprozess erklärt sich einerseits über die Kostenfrage. Die Arbeitszeit-regelungen gesetzeskonform umzusetzen, hätte die Krankenhäuser, die ohnehin unter Budgetrestriktionen stehen, zwischen einer und 1,7 Milliarden Euro gekos-tet.340 Andererseits spielt der bereits dargestellte Ärztemangel eine Rolle. Die Einschränkung der Bereitschaftsdienste hätte durch mehr Personal kompensiert werden müssen. Das Arbeitszeitgesetz ausnahmslos umzusetzen, hätte dabei einen vom Arbeitsmarkt nicht zu deckenden Mehrbedarf an Ärzten produziert (vgl. Nickel et al. 2008: 68).

Die weiterhin bestehende Diskrepanz zwischen den gesetzlichen Vorgaben und der tatsächlich geleisteten Wochenarbeitszeit ist zumindest teilweise auch berufslogisch zu erklären. Der professionelle Anspruch und der Berufsethos der Ärzte führen dazu, dass als notwendig erachtete ärztliche Tätigkeiten ohne Rück-sicht auf Arbeitszeit sowie unbezahlte Überstunden ausgeführt oder Dokumenta-tionspflichten notfalls in die Freizeit verlegt werden.341 Die „professionelle Ori- 337 BAG Urteil vom 18.02.2003, 1 ABR 2/ 02. 338 EuGH Urteil vom 09.09.2003, Rs C 151/ 02 – Jäger. 339 Die Übergangsregelung sah das Nachwirken auch gegen die gesetzlichen Bestimmungen versto-ßender Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen vor. So konnte „der Status Quo der Arbeitszeitge-staltung der Krankenhäuser weiterhin als gesetzeskonform gerechtfertigt werden“ (Füllekrug 2008: 15; vgl. auch Hensche 2010b). Für mögliche rechtliche Probleme, die sich aus der Nichtbeachtung des Arbeitszeit für Arzt oder Klinikleitung ergeben können (wie haftungsrechtliche Fragen), vgl. bspw. Füllekrug 2008: 16ff.. 340 Die Deutsche Krankenhausgesellschaft prognostizierte beispielsweise für 2006 Mehrkosten durch die Änderung der Arbeitszeitgesetzgebung in Höhe von 1,3 Milliarden Euro (vgl. DKG 2006: 648). 341 Vgl. Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mitglied ohne Funktion.

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entierung insbesondere der Mediziner [ist] [...] nur sehr schwer mit geregelten Arbeitszeiten zu verbinden“ (Nickel et al. 2008: 67). Es stellt sich die Frage, ob die Kliniken ihren Kurs einer unzureichenden Personalausstattung weiter verfol-gen könnten, wenn die Ärzte diesen selbstaufopfernden Habitus342 ablegen wür-den. Nichtsdestotrotz sind in der Ärzteschaft vermehrt Tendenzen erkennbar, die auf einen Wandel in der Akzeptanz langer Arbeitszeiten hindeuten. Nicht zuletzt im Rahmen der Initiativen für eine familienfreundliche Beschäftigung im Kran-kenhaus und unter dem Druck, die Arbeitszeitgesetzgebung umsetzen zu müssen, werden verschiedene Modelle für eine modifizierte Arbeitszeitgestaltung im Krankenhaus erprobt.343 Dem läuft allerdings entgegen, dass viele Ärzte weiter-hin die vorhandene Möglichkeit, Überstunden zu leisten, in größtmöglichem Umfang nutzen. Hauptgrund dafür ist, dass sich ihr Entgelt durch (angeordnete) Überstunden erheblich aufbessert.

Entwicklung des Einkommens Der unterschiedliche Anteil an Voll- und Teilzeitarbeit beziehungsweise der Umfang der Arbeitszeiten von Ärztinnen und Ärzten (vgl. Kapitel 3.3.2) spiegelt sich in unterschiedlich hohen Einkommen wider. Nach Angaben des Statisti-schen Bundesamtes für das Jahr 2010344 fanden sich die Ärztinnen zu 31,9 Pro-zent in der höchsten Einkommenskategorie mit einem monatlichen Nettoein-kommen von 3.200 Euro und mehr wieder. Von ihren männlichen Kollegen entfielen dagegen 64,7 Prozent auf die höchste Kategorie.345 Umgekehrt verhielt es sich bei den Nettoeinkommen bis zu 2.000 Euro monatlich. In diese Kategorie ließen sich 13,3 Prozent der Ärztinnen und nur 4,9 Prozent der Ärzte einordnen (vgl. Statistisches Bundesamt 2011f: 64f., Tab. 3.3).

Zur Entwicklung der ärztlichen Einkommen sei hier die Längsschnittstudie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) auf Basis der Daten des Mikrozensus von 1993, 2002 und 2003 angeführt (vgl. Spengler 2005a, 2005b). Bei dieser Untersuchung von Einkommenssituation und -entwicklung von Kran-kenhausärzten ist zu berücksichtigen, dass die Ergebnisse bereits 2005/ 2006 zur Zeit der Ärztestreiks im niedrig entlohnten Bereich nicht mehr die reale Ein-kommenssituation darstellten.346 Dennoch müssen die Ergebnisse der Studie mit

342 „Helfersyndrom [...] Durch die Arbeit am Menschen sind sie zufrieden trotz prekärer Arbeitssitua-tion“ (Interview ver.di (2) vom 23.03.2009, Bundesverband, FB 3 Betriebs- und Branchenpolitik). 343 Für eine Überblicksdarstellung vgl. bspw. Nickel et al. 2008. 344 Zahlen für alle (angestellten und niedergelassenen) Ärztinnen und Ärzte ohne Apotheker auf der Grundlage des Mikrozensus. 345 Ein Nettolohn von 2.600 Euro und mehr bezogen 48,8 Prozent aller Ärztinnen und 76 Prozent aller Ärzte (vgl. Statistisches Bundesamt 2011f: 64f., Tab. 3.3). 346 Hauptgrund war, dass die am Ende des Studiums anschließende, niedrig entlohnte 18-monatige Phase des Arztes im Praktikum (AiP) zum 1. Oktober 2004 abgeschafft worden war. Die tariflich

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Berufsprofil 171

aufgenommen werden. Sie liefern Hinweise darauf, wie insbesondere die jungen Ärzte ihre Entlohnungssituation im Zeitverlauf wahrnahmen. Daher deuten die Daten ebenfalls an, warum die Krankenhausärzte die tarifpolitische Vertretung durch ver.di als unzureichend empfanden.

Im Jahr 2002 fielen über ein Viertel (25,3 Prozent) der unter 35-jährigen, vollzeitbeschäftigten Ärzte im öffentlichen Dienst in eine Einkommensklasse unter 1.500 Euro Netto im Monat. Bezogen auf alle Ärzte im öffentlichen Dienst lag der Anteil bei 12,2 Prozent.347 Mittelwert und Median des monatlichen Net-toeinkommens junger Ärzte rangierten 2004 bei 1.978 beziehungsweise 1.998 Euro. Verglichen mit 1993348 mussten sie daher Gehaltseinbußen zwischen 8,9 und 7 Prozent hinnehmen. Wird gleichzeitig die von 45 auf 45,8 Stunden gestie-gene wöchentliche Arbeitszeit berücksichtigt, belief sich der Einkommensrück-gang bezogen auf den Mittelwert sogar auf 10,5 Prozent. Dies entsprach einer Absenkung des Stundenlohns von 12,06 auf 10,80 Euro (vgl. Spengler 2005a: 490f.; 2005b: 555). Dieser negativen Einkommensentwicklung der jungen Kran-kenhausärzte stand ein vermeintlicher Einkommenszuwachs aller Krankenhaus-ärzte entgegen. Im Mittel stieg deren Einkommen von 3.015 Euro im Jahr 1993 auf 3.093 Euro 2003.349 Wird jedoch die um 1,2 Stunden gestiegenen Wochenar-beitszeit350 einbezogen, stellt sich dieser Einkommenszuwachs als ein Rückgang um 0,1 Prozentpunkte dar. Auch der Stundenlohn aller Krankenhausärzte sank damit leicht von 16,79 auf 16,77 Euro (vgl. Spengler 2005a: 492; 2005b: 555).

Die zwischen 1993 und 2002 um 4 beziehungsweise 7 Prozent gestiegenen Durchschnitts- und Medianeinkommen von Ärzten im öffentlichen Dienst wur-den damit hauptsächlich über eine Ausdehnung der Wochenarbeitszeit realisiert. Diese Erhöhung fiel gleichzeitig im Vergleich zu 7/ 8,5 Prozent im gesamten öffentlichen Dienst und 12,6/ 10,5 Prozent für alle Erwerbstätigen verhältnismä-ßig niedrig aus (vgl. Spengler 2005a: 492). Diese Einkommensentwicklung könnte aus branchengewerkschaftlicher Sicht als solidarisch verstanden werden, da offensichtlich die Lohnspreizung abgenommen hat. Von den Ärzten hingegen wurde sie als nivellierend empfunden. Neben der Gehaltsentwicklung stellt der

festgelegte Entlohnung von zuletzt 1.185,28 Euro im Monat im ersten Jahr der Tätigkeit beziehungs-weise 1.350,57 Euro im zweiten Jahr, zog den Durchschnittsverdienst in der DIW-Studie nach unten (vgl. BMI et al. 2003: 2). 347 Noch niedriger lag der Anteil mit 7,6 Prozent bei den Ärzten außerhalb des öffentlichen Dienstes. Über 53 Prozent verdienten 3.200 Euro und mehr, was auf Anreize für eine Niederlassung hinweist. Im öffentlichen Dienst verdiente der gleiche Anteil nur 2.600 Euro und mehr (vgl. Spengler 2005a: 490). 348 Mittelwert und Median des monatlichen Nettoeinkommens junger Ärzte lagen 1993 bei 2.170 beziehungsweise 2.149 Euro. 349 Im Median steigerte sich das Einkommen aller Krankenhausärzte von 2.577 auf 2.677 Euro. 350 Die Wochenarbeitszeit stieg im Mittel von 44,9 auf 46,1 Stunden.

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172 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

Einkommensvergleich eine weitere wichtige Perspektive auf das Einkommen der Krankenhausärzte dar.

Arztentgelte im Vergleich der Einkommen von Akademikern Zunächst wird das Gehalt der Krankenhausärzte in den Kontext anderer akade-mischer Berufe gesetzt. Dazu lieferte die oben genannte DIW-Studie ebenfalls vergleichende Daten für die Jahre 1993 und 2003. Die unter 35-jährigen voll-zeitbeschäftigten Krankenhausärzte lagen 1993 mit einem Stundenlohn von 12,10 Euro über dem Durchschnitt sonstiger junger Akademiker im öffentlichen Dienst von 10,40 Euro. Zum Vergleich verdienten junge Grund-, Haupt-, Real- und Sonderschullehrer 9,40 Euro in der Stunde. Diese lagen mit 40 Wochenar-beitsstunden allerdings durchschnittlich 5 Stunden unter der Arbeitszeit junger Ärzte. Im Jahr 2003 hatte sich dieses Verhältnis mit einem Stundenlohn von 10,80 Euro bei den Jungärzten und 11,07 Euro bei den jungen Grund-, Haupt-, Real- und Sonderschullehrer umgekehrt.351 Gleichzeitig bewegten sich die wö-chentlichen Arbeitszeiten mit 45,8 und 40,2 Stunden zu Lasten der Ärzte weiter auseinander. Die Gesamtheit der Krankenhausärzte war von einer vergleichbaren Entwicklung betroffen (vgl. Spengler 2005a: 492; 2005b: 555). Arztentgelte im innerärztlichen Vergleich Einkommensdifferenzen bestehen des Weiteren innerhalb der Ärzteschaft. Au-genfällig sind zunächst die großen Gehaltsunterschiede zwischen der tarifierten Arzthierarchie und dem Chefarztbereich. Grund dafür ist nicht, dass die Chefärz-te ihre Verträge selbst aushandeln können, denn zumeist orientiert sich das Ge-halt in der obersten Hierarchiestufe im Grundentgelt an der höchsten Tarifgrup-pierung.352 Den Chefärzten bietet sich jedoch über die Privatliquidation eine Zuverdienstmöglichkeit, die das reguläre Gehalt um ein Vielfaches übersteigt. So konnten diese im Jahr 2005 ihr BAT-Jahresgehalt von 76.000 Euro im Durch-schnitt vervierfachen (275.000 Euro). Im Vergleich dazu verdiente ein Assis-tenzarzt 44.000 Euro (vgl. Walger/ Köpf 2005: 1076). Vergleichbare Gehalts-spannen nennt Spengler (2005a: 493):

„Während Assistenzärzte mit einem mittleren Bruttojahreseinkommen von 50.000 Euro […] auskommen müssen, haben Chefärzte bei geringeren Arbeitszeiten nicht selten ein Gesamtein-kommen […] in Höhe von 250.000 Euro [...].“

351 Der Abstand beim Stundenlohn zu sonstigen jungen Akademikern im öffentlichen Dienst verrin-gerte sich auf 34 Cent. 352 Vgl. Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt.

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Berufsprofil 173

„Faktisch variieren die Einkommen zwischen 40 000 € für junge Assistenzärzte sowie 500 000 € und mehr für Spitzenverdiener unter den leitenden Ärzten“ (Walger/ Köpf 2005: 1076). Der Spiegel (1994: 91) machte deutlich, dass die Chefarztverdienste ebenfalls erheblich variieren können: „[An] Universitäten verdienen Klinikdirektoren häufig eine Million Mark nebenbei. Talentierte Me-diziner erwirtschaften Nebeneinkünfte von zehn Millionen Mark pro Jahr [...].“ Obwohl ein so hohes Einkommen auch bei den Chefärzten eine Ausnahme dar-stellt, rangiert deren Verdienst unzweifelhaft weit über demjenigen der anderen Arztgruppen im Krankenhaus.

Eine DIW Studie aus dem Jahr 2002 weist für Ärzten im öffentlichen Dienst eine Ungleichverteilung der Einkommen nach, die mit einem Gini-Koeffizienten von 0,291 über dem sonstiger Akademiker im öffentlichen Dienst von 0,249 lag. Für die Gesamtheit der deutschen Ärzte fiel der Gini-Koeffizient mit 0,373 sogar größer aus als der aller Erwerbstätigen von 0,342 (vgl. ebd.).353 Hier spiegeln sich sowohl die Arzthierarchie im Krankenhaus, die Sonderstellung der Chefärz-te mit Privatliquidationsmöglichkeit als auch die höheren Verdienste niederge-lassener Ärzte wider.

Arztentgelte im internationalen Vergleich Für das Statusempfinden relevant ist weiterhin der internationale Vergleich der ärztlichen Einkommen. Er wirkt sich nicht nur auf die Attraktivität einer Aus-landsbeschäftigung für deutsche Mediziner aus. Darüber hinaus wird er als Maß-stab für die Anerkennung der eigenen Tätigkeit angesehen. Hervorzuheben ist die 2004 für das britische Department of Health erstellte Studie „Comparing Physicians’ Earnings: Current Knowledge and Challenges“ (Barham/ Bramley-Harker 2004).354 Barham und Bramley-Harker unternahmen den Versuch, die Einkommen von Krankenhausärzten und niedergelassenen Ärzte in elf ausge-wählten Ländern vergleichend darzustellen. Bei den von ihnen erhobenen Ein-kommensdaten nahmen deutsche Krankenhausärzte sowohl bei den niedrigsten als auch bei den höchsten durchschnittlichen Einkommen jeweils den letzten Platz ein (vgl. Abbildung 9).355

Die Relevanz und Aussagekraft der NERA-Studie ist umstritten. Auf ein-zelne Kritikpunkte an der Studie hat unter anderem ver.di hingewiesen (vgl. bspw. Dielmann 2005a). So wurden etwa für die Einkommensdaten der deut-

353 Ähnliche Befunde weist die DIW Studie unter Anwendung anderer Ungleichheitsmaße wie Varia-tionskoeffizient oder Perzentilvergleiche nach (vgl. Spengler 2005a: 493). 354 Erstellt wurde die Studie von der Consulting-Firma National Economic Research Associates (NERA), weshalb auch von der NERA-Studie gesprochen wird. 355 Für den Vergleich wurden die Daten durch eine Kaufkraftparitätsberechnung korrigiert. Die Einkommensspanne für Deutschland lag bei 35.465 bis 56.455 $PPP.

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Trotz aller methodischen Schwächen und einer für einen Vergleich kaum ausrei-chenden Datenbasis, worauf die Autoren selbst an mehreren Stellen hinwei-sen,359 ist diese Studie für die vorliegende Arbeit dennoch von Bedeutung. In ihrer Darstellung spiegelte sie die Wahrnehmung der deutschen Krankenhausärz-te wider, die ihr Einkommen im internationalen und europäischen Vergleich für nicht adäquat erachteten. Mit ihrem Erscheinen im Mai 2004 fiel die NERA-Studie genau mit den Streiks der Assistenzärzte zusammen (vgl. Kapitel 5.1.1). Die Ergebnisse der Studie wurden durch den Marburger Bund herangezogen, um die Forderung nach einer 30-prozentigen Einkommenserhöhung („BAT +30%“) zu untermauern.360 „30 Prozent ist der Ausdruck aller Dinge, mit denen die Wertschätzung ärztlicher Arbeit in Deutschland wieder auf ein normales europä-isches Niveau gehoben werden kann“ (Theodor Windhorst361, zit. n. Roy 2006). Das Argument des Marburger Bundes wurde von den Medien verschiedentlich rezipiert. So auch vom Spiegel (2005):

„Deutsche Krankenhausärzte seien im europäischen Vergleich deutlich unterbezahlt, kritisierte der Marburger Bund. Außerdem leisteten sie permanent unbezahlte Über-stunden. [...] Dies habe bereits zu einer massiven Abwanderung von Ärzten ins Aus-land geführt.“

In der medialen Berichterstattung wurden die Ergebnisse der NERA-Studie oft-mals unhinterfragt als Hintergrund für die Lohnforderung der Ärzte übernom-men.362 Ver.di dagegen kam zu dem Schluss, dass eine „auf dieser Studie basie-rende Forderung nach einer Tariferhöhung um 30% [...] auf wackeligen Beinen“ stehe (Dielmann 2005a: 17). In der öffentlichen Wahrnehmung war jedoch nicht der Einkommensvergleich, sondern die hohe Arbeitsbelastung der Ärzteschaft entscheidend für ein breites gesellschaftliches Verständnisses der ärztlichen Forderungen (vgl. Kapitel 5.1.4). 359 „There is often a lack of data and where data are available, there is often a lack of detailed data description to ensure like is being compared with like. [...] Overall, this work has highlighted diffi-culties involved in comparing doctors’ earnings across countries. We have found it very difficult to answer the relatively straight forward question; ‚how much do different doctors earn in different countries?’“ (Barham/ Bramley-Harker 2004: ii, iv; vgl. auch 24). 360 Verweise auf den internationalen Vergleich finden sich jedoch bereits vor der Abspaltung von ver.di. Beispielsweise hieß es in einem Schreiben des 1. Vorsitzendenden des Marburger Bundes Landesverband Baden-Württemberg an Ministerpräsident Oettinger, datiert vom 11.07.2005: „Wegen ihrer Verantwortung und ihrer Arbeitsbelastung erwarten Hochschulmediziner, dass das bisherige BAT-Vergütungsniveau durch neue tarifliche Festlegungen um 30% erhöht wird. Der internationale Vergleich zeigt, dass diese Forderung gerechtfertigt ist.“ 361 MB-Vorsitzender Bielefeld und Präsident Ärztekammer Westfalen-Lippe. 362 Ein Beispiel ist der Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (2006b: 42) zum Ärzte-streik im März 2006.

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3.3.4 Arbeitsbelastung und Veränderungen im Aufgabenprofil In wissenschaftlichen Untersuchungen wird nur vereinzelt thematisiert, wie sich die Branchenveränderungen explizit auf die Krankenhausärzte auswirken.363 Zumeist werden die Ärzte allenfalls als Teilgruppe aller Klinikbeschäftigten berücksichtigt (vgl. bspw. Braun et al. 2010; Schulten/ Böhlke 2009; Böhm 2009). Dabei muss bedacht werden, dass sich der Branchenwandel auf die unter-schiedlichen Beschäftigtengruppen in ähnlicher Weise bemerkbar macht. So nimmt etwa für Pflegekräfte wie für die Ärzte die Arbeitsbelastung mit steigen-den Fallzahlen und einer immer stärker verkürzten Verweildauer zu. Beide Gruppen kennzeichnet des Weiteren eine unter Gesichtspunkten der Kostenein-sparung nicht angemessene Personalausstattung. Hinzu kommen für die Ärzte jedoch die vor dem Hintergrund der EU-Gesetzgebung novellierte Arbeitszeitge-setzgebung (vgl. Kapitel 3.3.3), der Ärztemangel und die sich mit der Feminisie-rung ausweitende Teilzeitarbeit (vgl. Kapitel 3.3.2). Alle genannten Faktoren beeinflussen Arbeitsumfang, Zeitstruktur und Arbeits(zeit)organisation im Kran-kenhaus und haben damit direkte Rückwirkungen auf die Arbeitsbelastung. Fest-zustellen ist nicht zuletzt eine Arbeitsverdichtung und -intensivierung.364

„[Die] Arbeitsbelastung der Ärzte [ist] schon gemäß den bestehenden Stellenplänen sehr hoch. Nicht besetzte Stellen nach diesen Plänen verschärfen die Arbeitssituation der Krankenhausärz-teschaft insofern unstrittig“ (Blum/ Löffert 2010: 7).

Relevant für die Zunahme und schnellere Taktung ärztlicher Tätigkeiten sind, neben dem Ärztemangel, der erhöhte Dokumentationsaufwand sowie die kürze-ren Verweilzeiten und höheren Fallzahlen. Somit entstehen „nicht aufgabenge-rechte Organisationsstrukturen und Ablaufprozesse die den [...] entstandenen Aufgaben überhaupt nicht mehr entsprechen“ (Füllekrug 2008: 56).

Die Personalbelastungszahlen des Statistischen Bundesamtes wiesen für 2010 im Durchschnitt eine Vollkraft im Ärztlichen Dienst für 14,4 Betten pro Arbeitstag und 134 Fälle pro Berichtsjahr aus. Die Belastungszahlen variierten dabei nach Krankenhausgröße und lagen bei kleinen Kliniken mehr als doppelt

363 Vogd (2006) dokumentiert beispielsweise auf der Grundlage von Interviews und teilnehmenden Beobachtungen, aus der Tradition der Berufsbildung- und Biographieforschung, anhand von Einzel-fällen, Auswirkungen der Umweltveränderungen auf den ärztlichen Alltag. Er bietet damit eine Vielzahl von Indizien, deren Verallgemeinerung wegen der nicht repräsentativen Erhebungsgrundla-ge aber stark eingeschränkt ist. 364 Die Arbeitsverdichtung kann darüber hinaus Auswirkungen auf die Hierarchiestruktur haben (vgl. Kapitel 3.3.1). So stellt beispielsweise Vogd (2006: 58, 73, 87f.) fest, dass bezogen auf Entschei-dungsprozesse die hierarchische Ordnung tendenziell flacher wird, weil die schnelleren Arbeitsabläu-fe kürzere Kommunikationswege unter Umgehung der klassischen Hierarchiefolge erforderlich machten.

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Berufsprofil 177

so hoch.365 Gleiches galt für die Trägerschaft, wo die Belastungszahlen in priva-ten und freigemeinnützigen Krankenhäusern höher ausfielen.366 Ein Vergleich der zu versorgenden Betten mit früheren Statistiken ist aufgrund der 2009 verän-derten Berechnungsgrundlage nicht möglich. Die Zahl der zu bearbeitenden Fälle lag aber 2005 bei 136. Die zunehmende Fallzahl schlug sich somit in der Statis-tik wegen der steigenden Zahl an Krankenhausärzten nicht auf die Personalbelas-tungszahlen nieder (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 31, Tab. 2.4.1; 34, Tab. 2.4.2). Dies spricht jedoch nicht gegen eine steigende Arbeitsbelastung. Die administrativen Tätigkeiten haben erheblich zugenommen. Des Weiteren werden in die Statistik die ambulant und teilstationär erbrachten Leistungen, deren Stel-lenwert durch die Gesetzesänderungen zunimmt, nicht einbezogen.367 Genauso bleibt die über die tarifliche Arbeitszeit hinausgehend Mehrarbeit unberücksich-tigt (vgl. ebd.: 6). In einer repräsentativen Umfrage des Marburger Bundes aus dem Jahr 2010 beurteilten 42 Prozent der Ärzte ihre derzeitige Arbeitsbedingun-gen als schlecht oder sehr schlecht und 29 Prozent als gut oder sehr gut. Im Ver-gleich zur Umfrage 2007 mit 47 respektive 21 Prozent hat sich die Einschätzung nur geringfügig verbessert. Auf die Frage, was sie an ihrer Tätigkeit als Arzt am meisten stört, wurden noch vor der nicht adäquaten Vergütung (14 Prozent) die Bürokratie (18 Prozent), die Leistungsverdichtung und Arbeitsüberlastung (18 Prozent) und auf dem ersten Platz die Arbeitszeit (Überstunden, Planbarkeit, Nacht-/ Bereitschaftsdienste etc. mit 19 Prozent) genannt (vgl. Marburger Bund 2010b: 30f.).

Diese Aufzählung verdeutlicht, dass die Arbeitsbelastung nicht nur eine Ar-beitsverdichtung beziehungsweise eine erhöhte Arbeitsfrequenz umfasst. Belas-tend kann darüber hinaus wirken, wenn sich individuelle Ressourcen verändern oder wenn sich die Arbeitszufriedenheit verschlechtert. Dazu tragen Einschrän-kungen des beruflichen Handlungsspielraums, Autonomieverlust oder fehlende Anerkennung bei (vgl. Braun et al. 2010: 116f.).

„Assistenzärzte verbringen inzwischen einen Großteil ihrer Arbeitszeit am Computer oder am Telefon – vor allem, um Behandlungsfälle zu dokumentieren und kritische Nachfragen der Krankenkassen zu befriedigen. Diese ‚Entfremdung der ärztlichen Tätigkeit’ sei der Haupt-grund dafür, dass sich immer mehr junge Ärzte alternativen Berufsfeldern zuwendeten oder ins Ausland abwanderten […]. Die mit Einführung der Fallpauschalen weiter wachsende Bürokra-tie raube Zeit für die Patientenbehandlung [...]“ (Flintrop 2005b: 84).

365 Eine Vollkraft war in Krankenhäusern mit mehr als 800 Betten für 9,6 Betten und 91 Fälle zustän-dig, in Kliniken mit weniger als 150 Betten dagegen für 21,4 bis 24,9 Betten und 188 bis 197 Fälle. 366 In öffentlichen Krankenhäusern kam eine Vollkraft auf 13 Betten und 119 Fälle, in privaten und freigemeinnützigen Häusern auf 16,6 Betten und 146 beziehungsweise 158 Fälle. 367 2009 kamen auf 100 stationäre Fälle im Durchschnitt 11,2 ambulante Operationen, 2001 waren es 2,7. Damit hat sich die Zahl ambulanter Fälle von 448.000 auf etwa 2.000.000 gesteigert (vgl. Blum et al. 2010: 89; Blum et al. 2004: 45).

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Die Bürokratisierung äußert sich darin, dass „ein wachsender Teil der Arbeitszeit von Ärzten und Pflegekräften auf administrative Tätigkeiten verwendet werden muß“ (Simon 1997: 66). Die „starke Verdichtung der ärztlichen Arbeit und die damit verbunde [sic!] Unterwerfung der Ärzte unter einen technokratischen Ar-beitsprozess“ werden von diesen zwar als „unzumutbar charakterisiert“ (Vogd 2006: 250). Diese Tendenz hat mit der Einführung des DRG-Systems zugenom-men. In Deutschland müssen die mit dem Fallsystem verbundenen Dokumentati-onsaufgaben (Fallcodierung) von den Ärzten selbst durchgeführt werden. Im Gegensatz dazu werden diese nichtärztlichen Tätigkeit in anderen Ländern von spezifisch für diese Zwecke eingestelltem Personal übernommen (vgl. Braun et al. 2010: 48). Die deutsche Praxis führt nicht nur dazu, dass der Anteil nichtärzt-licher Tätigkeiten zunimmt. Es kommt des Weiteren zu unbezahlter Mehrarbeit oder überlangen Arbeitszeiten, wenn Ärzte ihrer Dokumentationsverpflichtung nach Dienstende nachkommen. Reiher et al. (2007: 269) sehen darin eine erheb-liche Belastung:

„Der ständig anwachsende Dokumentationsaufwand im stationären Sektor – insbesondere in-folge der Einführung pauschalierter Entgelte – belastet das medizinische Personal und beein-trächtigt die eigentliche Kernaufgabe der primären Patientenversorgung.“

Einen quantitativen Beleg dafür liefern Braun et al. (2010: 110), die zu dem Ergebnis kommen, dass der Anteil medizinischer Tätigkeiten an der ärztlichen Arbeitszeit bei unter 50 Prozent liegt, während administrative Tätigkeiten 20 Prozent und sonstige nichtärztliche Tätigkeiten 30 Prozent vereinnahmten.368 Eine Studie, die bereits Anfang der 1990er-Jahre erschien, stellte ebenfalls fest, dass bei einer durchschnittlichen 51-stündigen Arbeitszeit pro Woche (ohne Bereitschafsdienste) weniger als die Hälfte (254 Minuten) der täglichen Arbeits-zeit auf eine direkte Betreuung der Patienten entfallen (Herschbach 1993: 124f.).369

Aufgrund der im Personalverhältnis teuren Arbeitszeit von Ärzten, versu-chen die Krankenhäuser mit unterschiedlichen Ansätzen die Belastung der Ärz-teschaft durch administrative Aufgaben zu verringern. 370 Dazu zählt beispiels-weise die Einführung softwaregestützter Dokumentationssysteme für den Be-handlungsverlauf. Diese „entlastet den Arzt von ständig komplizierteren und 368 Die Ärzte unterschieden sich damit im Übrigen kaum von den Pflegekräften mit einer Verteilung von 50 zu 25 zu 25 Prozent (vgl. Braun et al. 2010: 111). 369 In der Frage nach der Stärke der Belastung standen diese strukturellen Bedingungen aber nur an dritter Stelle. An erster Stelle der stärksten Belastungsfaktoren fanden sich „emotionale Schwierig-keiten im Umgang mit den Patienten“ und an zweiter Stelle Belastungen im Privatleben in Folge der Arbeitsbedingungen (Arbeitszeiten und Bereitschaftsdienste) (Herschbach 1993: 128). 370 Beispielsweise beauftragte die DKG das DKI eine Studie zur „Neuordnung von Aufgaben des Ärztlichen Dienstes“ zu erstellen (vgl. Offermanns 2008).

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zeitaufwändigeren administrativen Tätigkeiten und verspricht dem Arzt mehr Zeit am Point of Care371“ (Reiher et al. 2007: 278). Ein weiterer Ansatz ist es, Dokumentationsverpflichtungen und die Fallkodierung auf andere Berufsgrup-pen zu übertragen wie beispielsweise im DRG-Mutterland Australien üblich. Für die Dokumentation war 2007 jedoch in 80 Prozent der Kliniken weiterhin aus-schließlich die Ärzteschaft zuständig. Immerhin fast 47 Prozent aller Kranken-häuser gaben aber an, dass die Kodierung von Diagnosen und Prozeduren bereits anteilig372 von anderen Berufsgruppen übernommen wurde (vgl. Blum et al. 2007: 37). Vereinzelt setzten Kliniken bereits „DRG-Kodierassistenten“ ein, ein neues Berufsbild habe sich aber noch nicht herausgebildet.373

Übertragung ärztlicher Aufgaben Die Krankenhäuser verfolgen das Ziel, „die Ärzte so effizient wie möglich ein-zusetzen“ (Offermanns 2008: 5). Dabei geht es nicht nur darum, nicht originär ärztliche Aufgaben wie Dokumentation und Fallcodierung auf andere Berufs-gruppen zu übertragen. Daneben findet eine weitere Entwicklung statt, die sich auf das ärztliche Aufgabenprofil und den Arztberuf als Profession auswirkt. Es handelt sich hierbei um die Übertragbarkeit ärztlicher Aufgaben auf andere Be-schäftigte im Krankenhaus – namentlich auf die Pflegekräfte und andere para-medizinische374 Berufsgruppen. Da sich die Arbeitskraft der Ärzte verteuert, bemühen sich immer mehr Krankenhäuser um eine Neuordnung der ärztlichen Tätigkeiten. Dies wirkt sich nicht nur auf aus Arztsicht eher unproblematische Tätigkeiten (wie das Anlegen von Verbänden oder Infusionen) aus. Vielmehr werden originär ärztliche Aufgaben (wie venöse Blutentnahmen, Injektionen oder das Legen von Magensonden) übertragen.375 Aber nicht nur die Delegation

371 Point of Care meint hier den örtlich direkten Kontakt zum Patienten – also am Krankenhausbett oder in der Arztpraxis. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Medizintechnik und steht für eine patientennahe Sofortdiagnostik (vgl. Bundesärztekammer 2006e). 372 In welchem Umfang und wie regelmäßig die Übernahme stattfindet, wurde nicht erhoben. 373 Interview DKG (1) vom 15.07.2009, Personalwesen Krankenhaus. 374 Der Begriff paramedizinisch bezeichnet nach Freidson (1979: 43) nichtärztliche Berufsgruppen, die Tätigkeiten im ärztlichen Umfeld übernehmen. Diese Tätigkeiten fallen (oder fielen) in den ärztlichen Aufgabenbereich und unterliegen weiterhin der Kontrolle der Ärzte. 375 Verbände und Infusionen anzulegen, wurde 2007 in 80 Prozent aller Krankenhäuser auch von nichtärztlichen Berufsgruppen übernommen. Venöse Blutentnahmen und Injektionen bereits in zwei Drittel und das Legen von Magensonden in 37 Prozent aller Kliniken (vgl. Blum et al. 2007: 37). Die Übertragung von Aufgaben betrifft neben den Ärzten auch die Pflegekräfte. „Die Pflege empfindet Blutabnahme eher nicht als Aufwertung, sondern als zusätzliche Belastung. Anders als Anlegen von Wundverbänden, das eher als Aufwertung empfunden wird (Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik). „Die Übertragung erfolgt dabei nicht unter Aspekten einer angemessenen Versorgung, sondern unter ökonomischen Gesichtspunkten. Und führt bei Pflegekräf-ten dazu, dass sich das Aufgabenspektrum verändert, was sie aber nicht zwangsweise entlastet“ (Interview ver.di (4) vom 31.08.2011, Bundesverband, FB 3 Betriebs- und Branchenpolitik).

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ärztlicher Tätigkeiten an andere Berufsgruppen, wobei ein Arzt verantwortlich bleibt, wird debattiert. Es werden darüber hinaus auch Modelle zur Neuallokati-on ärztlicher Aufgaben erprobt. Hierbei sollen alte und neue Berufsgruppen376 eigenverantwortlich Arzttätigkeiten übernehmen (vgl. Blum et al. 2007: 38; Offermanns 2008: 5f.). Dies wird von den Ärzten als Angriff auf ihr Heilkunde-monopol und damit auf ihren Professionsstatus verstanden.377

Jedoch spielen nicht nur Statusfragen eine Rolle. Erforderlich ist darüber hinaus eine haftungsrechtliche Klärung, die mit Blick auf die hierarchische Ge-staltung des Krankenhauses nicht einfach ist.378 Allerdings ist durchaus denkbar, dass langfristig eine Neudefinition stattfindet, welche Tätigkeiten überhaupt zu den ärztlichen Aufgaben zählen. Denn im internationalen Vergleich variiert das Spektrum der Tätigkeiten, die dem ärztlichen beziehungsweise dem nichtärztli-chen Bereich zugeordnet werden erheblich.379 Eine Neuverteilung der Aufgaben wäre daher möglich, sie dürfe aber nicht durch die Krankenhausleitung erfolgen, wie Bergmann (2009: 121) meint:

„Die Berufsgruppen haben die Abgrenzung zwischen ärztlichen und nicht ärztlichen Leistun-gen selbst vorzunehmen. Die Abgrenzung ist historisch gewachsen, sie unterliegt dem histori-schen Wandel, und zwar national und international.“

Die Frage der Aufgabenverschiebung ist nicht einfach zu klären. Aus Sicht des Krankenhausmanagements geht es darum, Kosten zu reduzieren, indem Tätigkei-ten von Beschäftigten in niedrigeren Entgeltgruppen ausgeführt oder ganz outgesourct werden.380 Für die Pflege bedeutet die Übernahme ärztlicher Tätig-

376 Eine neue Berufsgruppe könnte der Arzt-Assistent (physician assistant) darstellen. Ein DKG-Vertreter erklärt, man müsse prüfen, ob dessen Einführung „sinnvoll ist“ (Interview DKG (1) vom 15.07.2009, Personalwesen Krankenhaus). Laut ver.di gebe es in Berlin bereits einen entsprechenden Bachelor-Studiengang (als Weiterbildungsangebot) (Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundes-verband, FB 3 Berufspolitik). 377 Daher kommt auch ver.di zu der Einschätzung, dass diese Bestrebungen „auf Dauer keine Chance [haben], da damit das Heilkundemonopol der Ärzte geknackt würde. [...] Die Ärzte sind nicht bereit, dieses Heilkundemonopol abzugeben“ (Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik). 378 Anordnungspflicht und Weisungsrechte verlaufen zunächst ausschließlich vertikal innerhalb der drei Funktionskreise. Es muss also explizit geregelt werden, in welchen Fällen bei einer teilweisen Übernahme ärztlicher Aufgaben durch eine Pflegekraft, dem Arzt Weisungsbefugnisse zugesprochen werden (vgl. Bergmann 2009: 120f.; Offermanns 2008: 46-63). 379 Angefangen bei einfachen Tätigkeiten wie Blut abnehmen. In Deutschland dem Arzt vorbehalten, wird diese Tätigkeit in anderen Ländern dagegen von Pflegekräften vorgenommen (vgl. Geissler et al. 2010: 27; Offermanns 2008: 144). 380 „Jetzt mit der Ökonomisierung verstärkt in allen Krankenhäusern. Auch vorangetrieben durch die Pflegedirektoren mit dem Argument einer Aufwertung der Pflege. Tatsächlich sind das aber billige Arbeitskräfte für höherwertige Tätigkeiten“ (Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik).

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Ärztliche Profession heute 181

keiten zumeist eine weitere Belastung. Die Ärzte berührt ein verändertes Aufga-benprofil in beruflichen und professionellen Belangen. Die negativen Auswir-kungen auf das Statusempfinden der Krankenhausärzte zeigt auch der Blick auf deren Professionsverständnis. 3.4 Ärztliche Profession heute In diesem Kapitel wird der Charakter und Stellenwert des Arztberufes als Profes-sion aus aktueller Perspektive beleuchtet. Dabei sind die dargestellte historische Entwicklung der ärztlichen Professionalisierung und die Veränderungen von Berufsprofil, Einkommen und Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen. Barber (1963: 672) nennt vier Aspekte, die eine Profession auszeichnen: 1. “a high degree of generalized and systematic knowledge; 2. primary orientation to the community interest rather than to individual self-

interest; 3. a high degree of self-control of behavior through codes of ethics internalized

in the process of work socialization and through voluntary associations or-ganized and operated by the work specialists themselves;

4. and a system of rewards (monetary and honorary) that is primarily a set of symbols of work achievement and thus ends in themselves, not means to some end of individual self-interest”

Dieser Merkmalskorpus grenzt im ursprünglichen Sinne den Beruf von der Pro-fession ab. Im Folgenden bildet er das Gerüst, um das professionelle Selbstver-ständnis der Ärzte mit den realen beruflichen Bedingungen zu kontrastieren.

Der systematische und generalisierte Wissenserwerb findet für die Ärzte im Universitätsstudium und in der fachärztlichen Weiterbildung statt. Die spezifi-schen Inhalte sind in Berufs- und Weiterbildungsordnungen festgeschrieben (vgl. Kapitel 3.2). Der Arztberuf gehört damit zu den klassischen learned professions, mit entsprechender Auswirkung auf Stand und Status. Es handelt sich um einen hoch qualifizierten Beruf, der nur ausgeübt werden kann, wenn das notwendige theoretische und praktische Wissen vorhanden ist und nachgewiesen wurde. Dadurch wird der Zugang zum Beruf beschränkt und es findet eine Monopolbil-dung statt.381 Ausschließlich Ärzte verfügen über die erforderliche Qualifikation, um ärztliche Tätigkeiten auszuführen.382 Aufgrund der Natur der ärztlichen Tä- 381 Vgl. Kapitel 3.2 zur Aus- und Weiterbildung, langen Ausbildungszeiten und nicht möglichem Quereinstieg. 382 Vgl. Kapitel 3.3.4 zum Streit um die Übertragung ärztlicher Aufgaben auf andere Berufsgruppen.

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182 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

tigkeit, deren qualifizierte und professionelle Ausübung im öffentlichen wie individuellen Interesse liegt, wird diese Monopolbildung durch den Staat unter-stützt. Er lässt über die Ärztekammern als Körperschaften öffentlichen Rechts die Berufsausübung überwachen (vgl. Rauskolb 1976: 51, 57ff.; Kapitel 2.3.2 und 3.2).

„[…] es [ist] zweckmäßig, Profession als einen Beruf zu betrachten, der in einem arbeitsteili-gen System eine so beherrschende Stellung erlangt hat, daß er bestimmen kann, was als das Wesentliche seiner eigenen Arbeit gelten soll. Anders als die meisten Berufe genießt die Pro-fession Autonomie und Selbstbestimmungsrecht“ (Freidson 1979: 1).

Ausdruck des Autonomieanspruchs der Ärzteschaft ist nicht zuletzt eine „starke Betonung berufsständischer Solidarität“ (Rauskolb 1976: 62). Die selbstständige und alleinige Verantwortung für Diagnose und Therapieauswahl und damit für Erfolg und Misserfolg der Behandlung, bestimmt das ärztliche Selbstbild in der Krankenhaushierarchie. Nur der Arzt soll und kann aus eigener Sicht adäquat zum Wohl des Patienten entscheiden. Ärzte sind in „erster Linie ihrer Professio-nalität verpflichtet, also den Inhalten der Arbeit und den darauf bezogenen fach-lichen Standards, Werten, Erfolgskriterien und Karrieremustern“ (Grossmann 1993: 304). Obwohl die Ärzte die im Krankenhaus nötige, arbeitsteilige Gestal-tung der Abläufe und Prozesse anerkennen, reklamieren sie aus ihrem berufli-chen Selbstverständnis heraus für sich dennoch eine herausgehobene Stellung. Gleichzeitig erwarten sie, dass diese Stellung und ihr Status nicht zuletzt von der Krankenhausführung anerkannt werden. „Für den Mitarbeiter bedeutet die hohe Bewertung seiner Aufgabe eine Form von Anerkennung seiner Person“ (Miebach 2007: 31).383

Diesen Erwartungen und dem Statusempfinden der Ärzteschaft stehen viele der bereits dargestellten Entwicklungen im Krankenhaussektor entgegen. Eben-falls berührt wird der eine Profession auszeichnende ethische, berufliche Verhal-tenskodex. Für die Ärzte bedeutet dieser unter anderem, dass sie sich an medizi-nischen und nicht ökonomischen Gesichtspunkten ausrichten. Über die Einhal-tung dieses Kodex wacht die ärztliche Selbstverwaltung in Form der Ärztekam-mern (vgl. Kapitel 2.3.2 und 3.2). Der Ärzteschaft geht es um ihre professionelle Ethik und berufliche Professionalität, die grundlegend für die erwartete Statuszu-schreibung sind. Beide Aspekte sind gleichzeitig mit marktwirtschaftlichen oder kapitalistischen Prinzipien wenig kompatibel (vgl. Larson 1977: 63). Die Ärzte wollen das medizinisch Mögliche umsetzen und nicht auf das betriebswirtschaft-lich Rentabelste oder minimal Notwendige beschränkt sein. Dem entgegen steht eine „weitere Reduzierung der Orientierung am Patienten unter vorgeblicher

383 Vgl. dazu auch die Ausführungen zu den Anerkennungsaspekten einer Profession weiter unten.

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Ärztliche Profession heute 183

Optimierung ökonomischer Teilziele“ im Krankenhausmanagement (Schott 1993: 261f.).384 Folglich kommt es zu einer immer größeren Diskrepanz zwi-schen dem Anspruch der Ärzte an die eigene Arbeit und den von der Kranken-hausleitung gesetzten, finanzorientierten Rahmenbedingungen:

„Seit den 1990er Jahren ist eine zunehmende betriebswirtschaftliche Ausrichtung der Kranken-häuser zu beobachten, mit der ein großer Einfluss der Verwaltungen bzw. Krankenhausleitun-gen einhergeht. Betriebswirtschaftliche Ziele haben gegenüber medizinisch-pflegerischen an Bedeutung zugenommen“ (Braun et al. 2010: 80).

Dabei handelt es sich nicht nur um ein Statusproblem, das aus ärztlicher Sicht die eigene Autonomie einschränkt. Es betrifft direkt das berufliche Handeln der Ärzte, was sich beispielsweise an auftretenden juristischen Fragen zeigt.385 Bergmann (2009: 109) macht dies in Bezug auf Haftungsfragen und Patientenin-teressen deutlich:

„Sehr sorgfältig gilt es zu beobachten, wie sich die Rechtsprechung in Zukunft zu dem Kon-flikt zwischen Wirtschaftlichkeitsgebot und notwendigem ärztlichen Standard stellen wird.“386

Die Therapie- und Entscheidungsfreiheit über die erforderlichen und sinnvollen medizinischen Maßnahmen obliegen ausschließlich dem Arzt, denn diese Frei-heiten gewährt nur die Approbation. Die Musterberufsordnung der Bundesärzte-kammer (2006a: 8, §2 Abs. 4) führt sogar explizit aus: „Ärztinnen und Ärzte dürfen hinsichtlich ihrer ärztlichen Entscheidungen keine Weisungen von Nicht-ärzten entgegennehmen.“ Dieses Verständnis verdeutlicht die auf einem Wis-sensvorsprung aufbauende Schließung des Berufes sowie die Verbindung von 384 Daneben gibt es kritischere Stimmen. Braun (2009: 136) konstatiert, dass „sich bisher weder auf der Makroebene der Krankenhäuser noch bei den äußeren Strukturen und Prozessen der stationären Versorgung weit verbreitete, relevante oder stabile Hinweise auf Ökonomisierung im Sinne des raschen Eindringens ökonomischer Kalküle in das patientenbezogene Denken und Handeln der Akteure des Krankenhauses“ finden lassen. Gleichwohl sieht er „auf der Ebene der subjektiven Mikrobedingungen der Krankenhausbehandlung spürbare Veränderungen im Sinne von Ökonomisie-rung“, was weitere quantitative wie qualitative Untersuchungen angeraten erscheinen lasse (ebd.: 137). 385 In den quantitativen Erhebungen im Zug des WAMP-Projektes (Wandel von Medizin und Pflege im DRG-System), einem Kooperationsprojekt der Arbeitsgruppe Public Health des Wissenschafts-zentrum Berlin für Sozialforschung und dem Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen, sank der Anteil derjenigen Ärzte, die angaben, in ihrem Alltag zur Behandlung von Patienten die „besten Mittel, Instrumente und personellen Ressourcen“ einzusetzen von 72 auf 62 Prozent (2004 bis 2007) (Braun 2009: 132). 386 Simon (2008a: 36) weist, bezogen auf Budgetdeckelung und Ökonomisierung, auf ein weiteres grundlegenden Problem hin, dass den Versichertenanspruch auf die notwendige medizinische Leis-tung betrifft. „Die Kompetenz zur Feststellung des Bedarfs liegt bei der Profession der Mediziner“ und für diesen Bedarf bestehe Finanzierungspflicht seitens der Krankenkassen. Ökonomische Gründe dürften dem nicht entgegenstehen.

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184 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

Expertenstatus und Ethik. Normen und Regeln sowie deren Überwachung dienen demnach nicht nur der Qualitätssicherung. Sie liegen vor allem im Selbstinteres-se der Profession, die sich so vor Konkurrenz schützt (vgl. Rauskolb 1976: 62).

Letztgenannter Zusammenhang findet sich ebenfalls in der Orientierung an Gemeinwohl- und nicht an Eigeninteressen als weiterem Kennzeichen einer Profession. Die (vermeintliche) Gemeinwohlorientierung ist einer der Gründe dafür, dass einer Profession eine weitgehende Autonomie in der Ausübung ihrer Tätigkeiten zugestanden wird (vgl. Groser 1992: 44).387 Einige Autoren gehen soweit, aus dem starken, am Patienten- und Gemeinwohl orientieren Berufsethos der Ärzte abzuleiten, dass „wirtschaftliche Überlegungen [auch] nur eine unter-geordnete Rolle […] im Bezug auf das individuelle Einkommen oder die eigene Karriereposition“ spielen würden (Hucke 2010: 62). Obwohl ein solch altruisti-sches Verhalten nicht unhinterfragt angenommen werden kann,388 ist die Vorstel-lung eines an Normen und Werte, die sich im Eid des Hippokrates widerspie-geln, gebundenen Arztes „in der Gesellschaft fest verankert und trägt daher ganz wesentlich zum hohen Prestige des Ärzteberufes bei“ (Vera 2007: 302f.).389 Wie umfassend Profession, Prestige, Ansehen, Normen und Werten sowie be-rufsständischen Erwartungen zusammenhängen, formulierte Rüschemeyer (1961: 122) schon 1961:

„Die Anwendung einer gelehrten Tradition zur Erhaltung und Förderung zentraler sozialkultu-reller Werte wie Gerechtigkeit und Gesundheit stellt sowohl den Ausgangspunkt für die ge-samtgesellschaftlichen und gruppenspezifischen Normen dar, an denen das Verhalten der An-gehörigen freier Berufe gemessen wird, wie auch die Grundlage für das Prestige, das diese Be-rufe genießen, und für die Ansprüche, die sie individuell und als Gruppe im gesellschaftlichen und politischen Leben stellen.“

Das Prestige des Arztberufes wird weiterhin mit einer helfenden Ausrichtung verbunden. Diese verknüpft die Erwartung eines gemeinwohlorientierten Verhal-tens mit der individuellen Angewiesenheit des medizinischen Laien auf eine

387 Die Einschränkung der ärztlichen Autonomie erfolgt jedoch nicht durch eine Aberkennung der Gemeinwohlorientierung, sondern in Folge einer Verschiebung hin zum Vorrang ökonomischer (Eigen-)Interessen. „Das Bewußtsein, daß die Profession ihre Autonomie dem Staat verdankt und ihrer Aufrechterhaltung von der Gesellschaft abhängig ist, mag die nervöse Aufmerksamkeit erklä-ren, mit der die Profession gesellschaftliche Veränderungen und staatliche Eingriffe in das Gesund-heitswesen verfolgt, die die Autonomie bedrohen könnten“ (Groser 1992: 45). 388 „Gemeinwohl ist danach eine evidente, nicht übermäßig interessante, rhetorische Figur, die die Beteiligten verwenden, um ihre Interessen besser durchsetzen zu können“ (Groser 1992: 17). Rauskolb (1976: 269ff.) stellt ebenso eine generelle Gemeinwohlorientierung in Abrede. Es ginge den Ärzten primär um eine Absicherung ihrer historisch erlangten Privilegien. 389 Die Auswertung der im Rahmen des WAMP-Projektes (vgl. Fußnote 385) befragten Patienten ergab, dass deren Erwartungen zumeist „auf [die] Einhaltung der traditionellen berufsethischen Norm gerichtet“ waren (Braun 2009: 132).

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Ärztliche Profession heute 185

professionelle und verantwortungsvolle Tätigkeitsausübung. Dieser soziale Fak-tor ist bedeutsam für das berufliche Ansehen des Arztes in der Öffentlichkeit, welches wiederum sichtbarer Ausdruck von ärztlichem Stand und Status ist (vgl. Rauskolb 1976: 37, 86). Abbildung 10: Berufsprestige (1966–2011)

Quellen: Berufsprestige-Skala, Allensbacher Archiv 1966-2011; Eigene Darstellung. Der Arztberuf ist seit jeher der angesehenste Beruf in Deutschland. Das Umfra-geinstitut für Demoskopie Allensbach ermittelt seit 1966 in seiner Berufspresti-ge-Skala das Ansehen unterschiedlicher Berufe.390 In allen bisherigen Umfragen landete der Arzt mit Abstand auf dem ersten Platz. 391 In der letzten Umfrage vom Februar 2011 kam der Arztberuf auf 82 Prozent und lag damit 15 Prozent-punkte über den zweitplazierten Krankenschwestern (als nächster Beruf mit universitärer Qualifikation folgten die Lehrer mit 42 Prozent auf Platz drei) (vgl. Abbildung 10).

390 Auf zwei die Aussagekraft der Umfrage einschränkende Designentscheidungen sei hingewiesen: Zunächst wird eine geschlossene Frage eingesetzt: „Hier sind einige Berufe aufgeschrieben. Können Sie bitte die fünf davon heraussuchen, die Sie am meisten schätzen, vor denen Sie am meisten Ach-tung haben?“ Ermittelt wird daher die Rangfolge bereits vorher festgelegter Berufe, aus denen ge-wählt werden kann. Des Weiteren erfolgt die Reihung nur durch diese fünf ungewichteten Nennun-gen. Der Befragte selbst führt keine Abstufung der Berufe durch. Wenn der Arztberuf 2011 mit 82 Prozent an die erste Stelle der Berufsprestige-Skala kam, heißt dies formal korrekt, dass der Arzt bei 82 Prozent der Bevölkerung ab 16 Jahren (für diese Grundgesamtheit ist die Umfrage repräsentativ) zu den fünf am meisten geschätzten Berufen gehörte. 391 Die Umfragen zum Berufsprestige finden in der Regel in Abständen zwischen zwei bis drei Jahren statt.

84 81 79 80 8275 76

8175 74 72 71

7882

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

1966

1968

1971

1972

1975

1977

1978

1981

1985

1988

1991

1993

1995

1999

2001

2003

2005

2008

2011

Arzt

Kranken-schwester

Lehrer

Pfarrer, Geistlicher

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186 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

Im Zeitverlauf hat sich das Niveau des ärztlichen Ansehens nur marginal verän-dert. Gleichwohl lässt sich eine interessante Entwicklung ablesen, deren Hinter-grund noch genauer untersucht werden müsste. Von 1995 bis 2005 ging der Berufsprestige-Wert der Ärzte kontinuierlich um insgesamt 10 Prozentpunkte von 81 auf 71 Prozent zurück. In der 2008 folgenden Umfrage gewann er dage-gen sieben und bis 2011 weitere vier Prozentpunkte hinzu. Der Ansehensanstieg fällt damit in die Zeitspanne der Ärzteproteste 2006. Der Marburger Bund streik-te für eigenständige Tarifverträge sowie hohe Lohnzuwächse und auch die nie-dergelassenen Ärzte protestierten für mehr finanzielle Mittel. Um höhere Ein-kommen ging es dabei in der öffentlichen Darstellung immer nur peripher, viel-mehr wurde die Verbesserung der Qualität in der Patientenversorgung an die erste Stelle gesetzt. Dies sei erfolgreich gewesen, wie Hoppe392 (2008) betont:

“Die Bürger haben uns verstanden. Nicht ohne Grund ist das Ansehen unseres Berufes, der oh-nehin mit weitem Abstand die Berufsprestige-Skala anführt, in den vergangenen fünf Jahren um sechs Prozentpunkte gestiegen.“

Es kann daher angenommen werden, dass die Entwicklung des einzelnen berufli-chen Ansehens in diesen Umfragen nur bedingt längerfristige Trends widerspie-gelt, sondern insbesondere stark von aktuellen Ereignissen und Zuschreibungen beeinflusst wird.393 Unabhängig von konjunkturellen Entwicklungen scheint der Arztberuf nichtsdestotrotz von einem besonderen Nimbus umgeben. Anders kann die Stabilität und Größenordnung der Zustimmung nicht erklärt werden. Eine Rolle spielt sicherlich der direkte Kontakt zwischen Arzt und Patient. Gene-rell genießen soziale Berufe bei Umfragen zum Berufsprestige ein höheres An-sehen. Beim Arztberuf kommt zusätzlich der helfende Aspekt seiner Tätigkeit zum Tragen. Der medizinische Laie muss auf die Professionalität und Kompe-tenz des Arztes (Experten) vertrauen und erwartet folglich beides. Diese Erwar-tung des Patienten spiegelt sich im professionellen Selbstverständnis – im wört-lichen Sinne der Profession – der Ärzteschaft wider und macht einen Teil ihres Statusempfindens aus.

392 Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident ÄK Nordrhein, ehemaliger Vorsitzende MB-Bundesverband. 393 Für eine starke Abhängigkeit des beruflichen Ansehens von Medienberichterstattung und aktuel-len Vorkommnissen spricht vor allem die Berufsprestigeentwicklung des Pfarrers. Bei den fünf Umfragen zwischen 1993 und 2008 lag er im Bereich zwischen 39 und 42 Prozent. Von der Umfrage 1988 auf 1993 nahm das Ansehen von 47 auf 40 Prozent ab, was mit Wiedervereinigung und der geringen Kirchenmitgliedschaft in Ostdeutschland zusammenhängt. In der aktuellen Umfrage von 2011 war er von 39 Prozent im Jahr 2008 auf 28 Prozent abgerutscht, was sich vermutlich nur durch die negative Berichterstattung im Zuge der 2010 aufgedeckten Missbrauchsfälle durch katholische Geistliche erklären lässt (und verlief damit parallel zur Austrittswelle aus der katholischen Kirche; vgl. bspw. Hans 2011).

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Ärztliche Profession heute 187

Wie wichtig Ansehen und Verhältnis zwischen Arzt und Patient für das ärztliche Selbstverständnis ist, wird auch bei einem weiteren Professionscharakteristikum deutlich. Die Gemeinwohlorientierung steht in enger Verbindung zu dem Beloh-nungs- und Anerkennungssystem. Dazu führt Barber (1963: 673) aus:

„Money income, general prestige and specific honors or symbols of achievement are among different forms of social reward for occupational performance. Since money income is a more appropriate reward for individual self-interest, and since prestige and honors are more appro-priate for community interest, these latter types of reward are relatively more important in pro-fessional than in nonprofessional behavior.”

Bei einer beruflichen Ausrichtung der Profession, die sich primär auf das Ge-meinwohl und nicht auf die Eigeninteressen richtet, kommen neben dem Ein-kommen auch Ansehen und Status als Belohnung- und Anerkennungssymbol eine hohe Bedeutung zu.394 Dies kann erklären, warum (Assistenz-)Ärzte ihre sowohl aus monetär- wie arbeitsbedingungsbezogener Sicht nicht immer optima-len Anstellungsbedingungen hinnehmen, solange sie die erwartete Anerkennung von ihrem Umfeld erhalten.395 Dazu zählen ausdrücklich Arbeitgeber und die hierarchisch höher stehenden Ärzte. Auch die ärztliche Hierarchie selbst stellt ein Belohnungssystem dar. Der Titel eines Fach-, Ober- und Chefarztes bedeutet, abgesehen von Einkommenszuwächsen, dass Leistungen und Fähigkeiten aner-kannt werden. Dabei geht es nicht (nur) um die Frage der hierarchischen Stel-lung, denn bei „Professionals versteht man […] traditionell unter Karriere viel-mehr eine Zunahme an Qualifikation, Fachwissen und Reputation“ (Hucke 2010: 54; vgl. auch 62).396 Natürlich spielt neben der sozialen und beruflichen Aner-kennung das Einkommen weiterhin eine große Rolle – es kann nicht zuletzt kompensierend wirken, wenn andere Formen der Anerkennung wegfallen.

„The actual reward system in the professions tends to consist, therefore, in a combination of prestige and titles, medals, prizes, offices in professional societies, and so forth, together with sufficient monetary income for the style of life appropriate to the honor bestowed” (Barber 1963: 673).

394 Für die unterschiedlichen Funktionsdimensionen des Berufs, seiner Relevanz für den sozialen Status sowie der Wirkung von beruflicher Position, sozialer Anerkennung und Wertschätzung vgl. bspw. Corsten 1995; Bolte et al. 1970. 395 „Bei der soziologischen Betrachtung der Motivation des Arztes spielt die eigene Ideologie der Ärzte durch die Unterscheidung zwischen dem altruistischen ärztlichen »Berufsethos« und der »kommerziellen« egoistischen Einstellung der Geschäftsleute eine große Rolle. [...] Der Unterschied zwischen Professionellen und Geschäftsleuten liegt nach Parsons also in erster Linie auf institutionel-ler Ebene, nicht in der Berufsmotivation. In beiden Fällen scheinen demnach die wesentlichen Ziele im Grunde genommen die gleichen zu sein, nämlich objektiver Leistungserfolg und Anerkennung“ (Rauskolb 1976: 72f.). 396 „The aim of a professional career is occupational advancement in terms of adoption of technical and professional knowledge, which procures higher status“ (Hucke 2010: 76).

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188 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

Die von den Ärzten erwartete berufliche Autonomie ist ebenfalls Teil dieses Anerkennungssystems. Sie zeigt, dass der Arbeitgeber beziehungsweise das Krankenhausmanagement ihren Expertenstatus anerkennen und ihre Leistung wertschätzen. Wird diese Autonomie hingegen eingeschränkt, bedeutet dies einen Angriff auf den ärztlichen Status und ihre in jahrelanger Aus- und Weiter-bildung erworbene Qualifikation. Denn ihr theoretisches wie praktisches Fach-wissen wird dann nichtärztlichen und nichtmedizinischen, zumeist betriebswirt-schaftlichen Maßstäben untergeordnet. In einer ver.di-Studie über die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im Krankenhaussektor beklagen die Ärzte dem-entsprechend vor allem die „erhebliche Einschränkung ihrer Kreativität“, die mit dem Autonomieverlust einhergeht.397 Die sich daraus für Stand und Status der ärztlichen Profession ergebende Perspektive läuft den dargestellten, im histori-schen Professionalisierungsprozess gesetzten Schwerpunkten zuwider. In der Konsequenz empfinden die Ärzte eine „deprofessionalization or proletarization of professional work, assumes that managers are appointed to control profession-als“ (Hucke 2010: 77). „Die berufsständischen Traditionen treten also in immer schärferen Gegen-satz zu den realen ökonomischen und sozialen Bedingungen“ stellte Rauskolb (1976: 103) bereits 1976, wenn auch mit Blick auf die Kassenärzte, heraus. Heu-te lässt sich das gleiche für die Krankenhausärzte konstatieren. Am eindring-lichsten wurde dieses Empfinden von Martens (2008: 20ff.) formuliert, der da-von spricht, dass sich die Ärzte vom „Halbgott in Weiß“ zum „Facharbeiter in der Gesundheitswirtschaft“ herabgesetzt fühlen.398 Bedeutung der Berufsentwicklung mit Blick auf die Gelegenheitsstruktur Bezogen auf Kaiserreich und Weimarer Republik erkennt Moser (2011: 45), dass die Stellung des Arztes in der Gesellschaft und deren Wandel, „spezifische ärzt-liche Reaktionen sowohl auf ökonomische Veränderungen als auch auf gesell-schaftspolitische Forderungen an den Ärztestand erklärbarer [....] machen.“ Heu-te müssen die berufs- und statusbezogenen Wandlungsprozesse der Kranken-hausärzteschaft ebenso als Erklärungsfaktoren, nicht zuletzt für die Transforma-tion des Marburger Bundes, herangezogen werden. In der gesamten Geschichte ihrer beruflichen und organisationalen Entwicklung und des Professionalisie-rungsprozesses strebten die Ärzte nach beruflicher Autonomie. Dieser „ärztliche Individualismus“ ist nicht nur mitverantwortlich für die heterogene und vielfälti-

397 Interview ver.di (4) vom 31.08.2011, Bundesverband, Hauptamt. 398 Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (2006b: 42) übernahm als Titel für einen Bericht zum Streik im März 2006 eine der Plakataufschriften der streikenden Ärzte: „Vom Halbgott in Weiß zum Depp der Nation“. Die Stuttgarter Nachrichten überschrieben einen Artikel zum veränderten ärztlichen Berufsbild mit: „Der Halbgott in Weiß verabschiedet sich“ (Reiners 2006: 4).

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Ärztliche Profession heute 189

ge Organisationslandschaft der ärztlichen Standes- und Interessenvertretung (Stobrawa 1979). Er ist auch Kristallisationspunkt für mögliche Spannungen und Konflikte in der Ärzteschaft.399 Eine Folge ist die schwieriger werdende Interes-senaggregation innerhalb der Kollektivorganisationen, was wiederum die Aus-differenzierung der Verbandslandschaft vorantreibt. Die ärztliche Autonomie ist schließlich die Hauptdeterminante für das Status- und Standesempfinden der Ärzte und wird mit den anderen Bestandteilen eines professionellen Selbstver-ständnisses begründet:

„[...] erstens dem besonderen Können und Wissen der Mitglieder der Profession. Zweitens ih-rem besonderen Verantwortungsbewußtsein (Berufsethos oder Dienstgesinnung), das dieses Wissen der Gemeinschaft nützlich macht. Drittens den selbstregulierten Maßnahmen der pro-fessionellen Organisation“ (Groser 1992: 44).

Damit lässt sich erklären, weshalb die Krankenhausärzteschaft den Statusverlust als so massiv empfindet. Wenn ihre Autonomie eingeschränkt wird, erfahren gleichzeitig die zu deren Begründung herangezogenen anderen Merkmale pro-fessionellen Handelns eine Abwertung. „Die Ökonomisierung greift genau dieses Selbstverständnis an, wenn diese Freiheit mit Verweis auf wirtschaftliche Not-wendigkeiten eingeschränkt wird.“400

Die dargestellte Diskrepanz zwischen der aus ärztlicher Sicht erforderlichen und erwarteten Autonomie, die durch „Spannungen zwischen professionsgebun-denen Überzeugungen und professionellen Handlungen“ als „Umbruchs-situation“ gekennzeichnet ist, und der beruflichen Realität verschärft sich in doppelter Hinsicht (Braun 2009: 134). Zum einen durch die unter ökonomischen Gesichtspunkten veränderten, direkten Weisungsstrukturen im Krankenhaus. Zum anderen dadurch, dass die Ärzteschaft – beziehungsweise der Ärztliche Direktor – weiter an Einflussmöglichkeiten auf den manageriellen Teil der Kran-kenhausverwaltung verliert.401 „Zudem müssen nun auch die Leistungseliten erfahren, dass ihnen die selbstverständlich erschienenen Freiheiten seitens der 399 Selbst innerhalb der Krankenhausärzteschaft: „Interessengleichheit nur in einigen Bereichen, zum Beispiel der Arbeitszeit, sonst ist man als Mensch Einzelkämpfer, rauft sich aber in solchen Dingen solidarisch zusammen“ (Interview MB (1) vom 23.04.2008, Bezirksverband, Ehrenamt). „Von vielen werden nur eigene, spezifische Problemlagen bedacht. Zum Beispiel sehen Pathologen nur Patholo-gen-Probleme“ (Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt). 400 Interview DKG (1) vom 15.07.2009, Personalwesen Krankenhaus. Wobei aber auch zu berück-sichtigen sei, „dass nicht alles, was medizinisch möglich ist, auch zweckmäßig und notwendig ist.“ Zugespitzt wird von ver.di formuliert: „Mit der Ökonomisierung wird ein guter Kodierer wichtiger als ein guter Arzt“ (Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik). 401 Ver.di schätzt die Entwicklung genauso ein: „Die Dreifaltigkeit der Direktoren gibt es so nicht mehr. Die Ökonomen und Verwaltungsleute haben das Sagen. [...] Und die Ökonomen werden sich auch in Zukunft durchsetzen“ (Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspo-litik).

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190 Krankenhausarzt: Beruf und Profession im Wandel

Klinikleitung weggenommen wurden“ (Vogd 2006: 61). Die Ärzte als vormals einzige akademisch qualifizierte Berufsgruppe im Krankenhaus erhalten Konkur-renz. Der Einfluss studierter Betriebswirte auf die Organisation Krankenhaus und den Ärztlichen Dienst nimmt zu, wodurch die Mediziner in ihrer Autonomie und in ihrer Deutungshoheit eingeschränkt werden.

“[…] physicians are increasingly likely to be employed in large-scale, bureaucratically orga-nized, for-profit, multi-hospital systems. One of the results […] is that ‘formalization of pro-fessional control’ is increasingly supplanting self- and/or peer-control” (Ritzer/ Walczak 1987: 44).

Beide Akademikergruppen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie „jeweils ver-schiedene Sprachen, Werte, Kulturen, Denkmuster und Spielregeln haben“ (Hucke 2010: 32).402 Mit der Verbetriebwirtschaftlichung der Kliniken wird der Arzt daher nicht nur seiner übergeordneten Stellung im Krankenhaus beraubt. Er trifft dabei zusätzlich auf eine neue Akteursgruppe, deren professionelles (Selbst-)Verständnis oftmals inkompatibel zu seinem eigenen ist.

Die dargestellten Veränderungen, sowohl was die Branche, Arbeitsbedin-gungen und noch viel mehr den beruflichen Status und Stand der Ärzte betrifft, muss der Marburger Bund als berufsständische Interessenvertretung der Kran-kenhausärzte bearbeiten. Umfang und Richtung dieser Wandlungsprozesse wa-ren der Hauptauslöser für die Forderung der Assistenzärzte nach neuen Ein-flussmöglichkeiten, um diesen Veränderungen begegnen zu können. Letztendlich drängten die Jungärzte den Marburger Bund dazu, den berufspolitischen und berufsständischen Schwerpunkt der Verbandsarbeit, um eine eigenständige tarif-politische Zuständigkeit zu erweitern. Der ehemalige Vorsitzende Montgomery drückt es wie folgt aus:

„Früher war der Marburger Bund ein Standesverband mit gewerkschaftlichem Anhängsel und heute ist es andersrum: Gewerkschaft mit standespolitischem Anhängsel.“403

Bevor der langwierige Weg dieser Transformation des Marburger Bundes zur Berufsgewerkschaft beleuchtet wird, stellt das folgende Kapitel zunächst den Ärzteverband anhand der wichtigsten Organisationsvariablen vor.

402 Vgl. bspw. empirische Studien zur Managementorientierung (vgl. Vera 2007: 309-313; Hucke 2010: 41-50). 403 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt.

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4 Marburger Bund: Historie und Struktur

In den vorhergehenden Kapiteln wurden die Umgestaltung der Krankenhaus-branche und der Wandel des Arztberufes als die treibenden Kräfte identifiziert, die den Kampf der Ärzte gegen Statusverlust sowie für bessere Arbeitsbedin-gungen und höhere Entgelte motivierten. Die Durchsetzung der sich daraus ab-leitenden Forderungen im Ärztestreik 2006 wurde zwar von diesen individuellen Akteuren getragen, war jedoch untrennbar mit der Ärzteorganisation Marburger Bund verbunden. Dieser steht nachfolgend im Fokus der Betrachtung.

„Die Ärztegewerkschaft Der Marburger Bund ist die gewerkschaftliche, gesundheits- und berufspolitische Interessen-vertretung aller angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte in Deutschland“ (Marburger Bund 2011h).

Diese Funktionsbeschreibung findet sich seit September 2006 auf der Internet-präsenz des Marburger Bundes. Noch im Monat zuvor war stattdessen zu lesen: „Der Marburger Bund ist die gesundheits-, berufspolitische und gewerkschaftli-che Interessenvertretung aller angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte in Deutschland“ (Marburger Bund 2006e). In dieser Selbstbeschreibung fehlt nicht nur der prominente Zusatz der Ärztegewerkschaft. Zudem fällt die veränderte Abfolge in der Funktionsaufzählung auf. Dies deutet auf eine ebenfalls verscho-bene Schwerpunktsetzung in der Verbandsarbeit hin. Zeitlich zwischen den bei-den Selbstdarstellungen liegt der erfolgreiche Abschluss arztspezifischer Tarif-verträge. In einer Namens- oder Satzungsänderung schlug sich die gewandelte Selbstdarstellung jedoch bisher nicht nieder (vgl. Kapitel 5.2.2). Die Berufsge-werkschaft trägt weiterhin den Namen Marburger Bund - Verband der angestell-ten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e.V..

Im Folgenden sollen nun zunächst der Marburger Bund selbst, seine Struk-tur und historische Entwicklung analysiert werden. Dabei dienen die wichtigen Eckpunkte der historischen Entwicklung des Marburger Bundes von seinen An-fängen bis zur Übertragung des Tarifmandats auf ver.di als Ausgangspunkt.404

404 Für eine detaillierte Darstellung der Chronologie des Marburger Bundes sei auf Gelsner (1985) und Rottschäfer (1997: 13-178) verwiesen.

S. Greef, Die Transformation des Marburger Bundes, DOI 10.1007/978-3-531-19574-2_4,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

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192 Marburger Bund: Historie und Struktur

Vor dem Hintergrund von Kontinuität und Wandel, sollen so die langen Linien der Organisationsentwicklung des Berufsverbandes herausgearbeitet werden.405

4.1 Eckpunkte der historischen Entwicklung Als Gründungsdatum des Marburger Bundes wird vom Verband das Jahr 1947 angegeben (vgl. bspw. Marburger Bund 2007a: 7). Tabelle 16: Kurzchronik des Marburger Bundes (1946–2006) Jahr Ereignis 1946 Gründung der Arbeitsgemeinschaft der Jungärzte innerhalb der Ärztekammer1947 Gründung der Marburger Gemeinschaften als regionale Organisationen junger Ärzte 1948 Vereinigung der Marburger Gemeinschaften zum Marburger Bund – Vereinigung ange-

stellter Ärzte (MB) 1949 Umbenennung des Verbandes in Verband der angestellten Ärzte Deutschlands – Marbur-

ger Bund 1950 Abschluss eines Freundschafts- und Kooperationsvertrages mit der Deutschen Angestellten-

Gewerkschaft (DAG) 1968 Erarbeitung einer Streikordnung durch den Arbeitskreis Tarifpolitik1971 Erster Arbeitskampf des MB1976 Gründung der Tarifgemeinschaft des öffentlichen Dienstes (TGÖ) aus MB, DAG und der

Gemeinschaft von Gewerkschaften und Verbänden des öffentlichen Dienstes (GGVöD) 1994 Auflösung der TGÖ durch Austritt von MB und DAG

DAG erhält Verhandlungsvollmacht für die Ärzte im MB Verhandlungsgemeinschaft aus Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), DAG und MB

2001 DAG geht in ver.di auf Verhandlungsvollmacht für die MB-Ärzte geht von der DAG auf ver.di über

2005 Streik der Ärzte an den Unikliniken Ablehnung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) durch die MB-Hauptversammlung Widerruf der Verhandlungsvollmacht für die MB-Ärzte an ver.di Ver.di kündigt Kooperationsvertrag mit MB

2006 Streik der Ärzte an Unikliniken und kommunalen Kliniken Erster eigenständiger TV des MB mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) TV des MB mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) TV des MB mit privaten Klinikkonzernen

Quelle: Eigene Darstellung nach Schroeder et al. 2011: 125. Eine offizielle Vorläuferorganisation aus der Weimarer Zeit gab es nicht. Gleichwohl existierten bis 1930 mit dem Deutsche akademische Assistentenver- 405 Das nachfolgende Kapitel konzentriert sich auf die historischen Grundlagen und den Wandel der Organisationsstrukturen des Marburger Bund. Die Entwicklung der tarifpolitischen Interessenvertre-tung greift Kapitel 4.4.4 auf.

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Eckpunkte der historischen Entwicklung 193

band sowie dem Reichsverband der angestellten Ärzte zwei Verbände, in denen sich junge Ärzte als Medizinal-Assistenten organisierten (vgl. Stobrawa 1979: 27). Gänzlich neu war die Idee einen Assistenzärzteverband zu gründen demnach nicht. Strukturelle oder personelle Anknüpfungspunkte des Marburger Bundes an diese Verbände lassen sich indes nicht nachweisen. 4.1.1 Gründungskontext Die Gründung einer Kollektivorganisation bedarf materieller und zeitlicher Res-sourcen (Transaktionskosten), die von den (zukünftigen) Mitgliedern gestellt werden müssen. Zum Gründungszeitpunkt ist dabei der zukünftige Ertrag und Nutzen dieses Aufwands für sie nicht eindeutig abzusehen. Es ist daher, aus organisationssoziologischer Perspektive auf rational handelnde Akteure, erklä-rungsbedürftig, wenn sich Einzelpersonen zusammenschließen und kollektiv handeln (vgl. Olson 1971; Ostrom 1990). Im Folgenden sollen die maßgeblichen Umweltbedingungen, die den Gründungskontext des Marburger Bundes struktu-riert haben, konkretisiert werden. Abgeleitet aus diesem Entstehungszusammen-hang, soll weitergehend das Selbstbild des Verbandes, das sich in seinen Funkti-onen, Zielen und Struktur widerspiegelt, erklärt werden. Verbändeumwelt Zum Gründungszeitpunkt des Marburger Bundes existierte noch keiner der ande-ren großen Ärzteverbände. Der Hartmannbund – Verband der Ärzte Deutsch-lands wurde ebenso wie der NAV-Virchow-Bund - Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands406 erst 1949 wiedergegründet.407 Dennoch waren die Ärzte im Vorfeld der Bildung des Marburger Bundes nicht organisationslos. Bereits im September des Jahres 1945 genehmigte die Militärbehörde der amerikanischen Besatzungsmacht, die Landesärztekammern wiederherzustellen.408 Der „Rück-griff auf bestehende Strukturen ärztlicher Selbstverwaltung“ sollte, angesichts von Lebensmittelknappheit, schlechten Lebensverhältnissen und Krankheiten (Infektions- und Seuchenrisiko), dazu beitragen, in den westlichen Besatzungs-zonen schnellstmöglich wieder ein effektiv arbeitendes Gesundheitssystem auf-

406 Er entstand 1949 unter dem Namen Verband der niedergelassenen Nicht-Kassenärzte Deutsch-lands (NKV). 407 Beide Verbände übernahmen in den folgenden Jahren hauptsächlich die Interessenvertretung für niedergelassene Ärzte (vgl. Kapitel 2.3.2). 408 Ein Zusammenschluss auf Bundesebene war wegen der getrennten Zuständigkeit und dem Wider-stand der vier Besatzungsmächte zunächst nicht möglich. Ein lockerer Verbund der Ärztekammern der Westzonen erfolgte im Oktober 1947 in Form der Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärzte-kammern (Gerst 1997: 203).

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zubauen (Gerst 1997: 195).409 Eine der ersten Aufgabe der Ärztekammern war es, dass ärztliche Überangebot zu regulieren.410 Dazu knüpften sie an die Reichs-ärzteordnung der Weimarer Zeit an und beschränkten erneut die Niederlassungs-freiheit. Damit wuchs zugleich ein potenzieller innerärztlicher Konflikt heran. Die Konfliktlinie verlief dabei zwischen den bereits niedergelassenen Ärzten und jungen Nachwuchsärzten, die von der Front zurückkamen oder aus den abge-trennten Ostgebieten geflüchtet waren (vgl. ebd.: 197; Stobrawa 1979: 72).411 Der Wunsch dieser Jungärzte, sich „allen Schwierigkeiten zum Trotz in den Arztberuf einzugliedern, [stieß] bei älteren Berufsangehörigen auch auf Ableh-nung und Abneigung“ (Gelsner 1985: 29). Um diesen Konflikt zu entschärfen, wurden Vertreter der Jungärzte in den Beratungsausschuss der 1947 entstande-nen Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern aufgenommen. Letzt-lich konnte aber auch diese bewusste Integration nicht verhindern, dass sich ein eigenständiger Jungärzteverband gründete. Dessen Entstehen war durch den Dualismus aus allgemeiner Not und beruflichem Konflikt gekennzeichnet. Der Marburger Bund (1978: 11) selbst hob anlässlich seines 30-jährigen Bestehens hervor, dass seine Geschichte verbunden ist „mit der allgemeinen Not nach 1945 sowie mit den Gegensätzen zwischen alteingesessenen Praktikern und frontent-lassenen Nachwuchsärzten“. Dieser Konflikt innerhalb der Ärzteschaft wurde maßgeblich durch die Lage auf dem ärztlichen Arbeitsmarkt bestimmt. Branche, Arbeitsmarkt und Arbeitsbedingungen In der unmittelbaren Nachkriegszeit herrschte ein deutliches Überangebot an Ärzten auf dem Arbeitsmarkt. Denn unter den Bedingungen des Kriegszustandes hatte das Hitler-Regime die Ausbildung von Medizinern massiv vorangetrieben (vgl. Gerst 1997: 197; Kapitel 3.1). Nach der deutschen Niederlage kehrten mit den Soldaten nicht zuletzt auch viele Ärzte von der Front zurück und suchten

409 Den offiziellen Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts erhielt 1946 zunächst nur die Lan-desärztekammer Bayern. „Jedoch konnten de facto die Ärztekammern fast überall an die Rechtsstel-lung der Reichsärztekammer anknüpfen und öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnehmen“ (Gerst 1997: 197). 410 Trotz dieses Ärzteüberschusses wurde mit Blick auf die Notlage der Bevölkerung und deren gesundheitliche Versorgung nur eine „recht zurückhaltend durchgeführte Entnazifizierung der Ärzte-schaft“ vorgenommen (Gerst 1997: 199). So konzentrierte sich etwa der Nürnberger Ärzteprozess auf die in der Wissenschaft tätigen Ärzte. Manche Zeitgenossen meinten daher „nur eine kleine Anzahl von Ärzten habe sich schuldig gemacht“ (Jachertz 1997: 278). Eine umfassende Aufarbeitung des Beitrages der Ärzteschaft zu den NS-Verbrechen blieb in den Anfangsjahren der Bundesrepublik aus (vgl. Fußnote 281). 411 Weitere Konflikte ergaben sich zum einen daraus, dass ältere Ärzte die jungen Kriegsheimkehrer als Kriegsgewinner betrachteten, weil der Staat ihnen (in Form ihres Solds) ihr Studium finanziert habe (vgl. Gelsner 1985: 27). Des Weiteren war vielen konservativ orientierten Medizinern das Verhalten der Jungärzte, die „als Gewerkschafter“ auftraten, suspekt (ebd.: 33).

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nach Arbeit. Hinzu kamen die Flüchtlingsärzte aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten.412 Die auf den Arbeitsmarkt drängenden Ärzte kanalisierten sich insbesondere auf die Krankenhäuser, da ihnen aufgrund der restriktiven Zulas-sungspolitik der Kammern eine Niederlassung verwehrt blieb. Dies wiederum trug zu einer weiteren Verschlechterung der ohnehin mangelhaften Arbeitsbe-dingungen der Krankenhausärzte bei (vgl. Gerst 1997: 204).

Kennzeichnend für die Arbeit der Krankenhausärzte war zuallererst das herrschende Elend, Wohnungsnotstand und die Versorgung von Kriegsverletzten und -versehrten. Vor allem in den Großstädten stieg die Bevölkerungsdichte dramatisch an, während der verfügbare Wohnraum infolge der Kriegsschäden stark begrenzt war. In allen Besatzungszonen fehlte es an Nahrungsmitteln, was die gesundheitlich bedenklichen Lebensbedingungen weiter verschlimmerte (vgl. Woelk 2002: 287f.). Zugleich prägte die Arbeitssituation der Krankenhausärzte ein Mangel an Arbeitsmaterialien, Medizin und Instrumenten. Der Alltag der medizinischen Versorgung nötigte ein hohes Maß an Improvisationstalent ab (vgl. Gelsner 1985: 29). Erschwerend wirkten sich die oft unzumutbaren Ar-beitsbedingungen – hauptsächlich für die jungen, nicht niedergelassenen Ärzte – aus. Eine regelmäßige oder gar tarifgerechte Bezahlung war für viele Kranken-häuser entweder nicht möglich oder gewollt.413 „Viele Ärzte sahen sich gezwun-gen, einem Krankenhaus ihre Arbeitskraft gegen freie Kost und Logis zur Verfü-gung zu stellen“ (Gerst 1997: 204).414 Diese desaströsen Arbeitsbedingungen der jungen Ärzte bildeten eine gemeinsame Problemlage, die zu verbessern für den Großteil von ihnen ein zentrales Anliegen wurde. Damit bot sich ein unmittelba-rer Anlass für kollektives Handeln. „All efforts to organize collective action, [...] must address a common set of problems“ (Ostrom 1990: 27).

4.1.2 Gründung zwischen Ärztekammer, Berufsverband und Gewerkschaft Die materielle Notlage und die schlechten Arbeitsbedingungen der jungen Kli-nikärzte führten bereits im Jahr 1946 dazu, dass sich auf lokaler Ebene kleine Gruppen von Ärzten zusammenfanden. Diese berieten über Möglichkeiten, aktiv 412 Woelk (2002: 292) weist darauf hin, dass trotz eines generellen Ärzteüberschusses ein akuter Amtsarztmangel herrschte, da diese Stellung aus strukturellen und ansehensbezogenen Gründen, trotz andernorts schlechter Arbeitsbedingungen, „wenig attraktiv“ war 413 Die geringe Personaldecke während des Krieges habe dazu geführt, dass „Krankenhausträger und ihre Verwaltungen, aber auch viele Chefärzte, [es] für eine Tugend [hielten], jetzt erst recht mit wenigen bezahlten Mitarbeitern auszukommen“ (Gelsner 1985: 27f.). 414 Gelsner (1985: 28) formuliert die Bedingungen für die Krankenhausärzte eindringlich: „Es gibt Krankenhäuser, in denen drei Viertel aller Ärzte ohne Bezahlung tätig sind und nur zwei Gegenleis-tungen erhalten: das freie Essen und ein oft genug undichtes, weil nach den Bombenschäden noch nicht repariertes Dach über dem Kopf.“ Für Hessen gibt Gerst (1997: 204) beispielsweise für 1947 an, dass von 1.029 Ärzten nur 498 ein Gehalt bezogen.

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zur Verbesserung der eigenen Situation beizutragen. Zum Teil organisierten die lokalen Gruppierungen mehrere Hundert Mitglieder.415 Sie blieben jedoch zu-nächst örtlich sowie regional beschränkt und agierten unabhängig voneinander. Das alliierte Reiseverbot und Aufenthaltseinschränkungen standen einer regions- oder gar zonenübergreifenden Organisation der Jungärzte entgegen (vgl. Gelsner 1985: 28f.). Es dauerte bis Juni 1947, ehe sich die Möglichkeit einer Zusammen-kunft von Jungärzten aus allen Westzonen ergab.

Bis dahin war es den Jungärzten gelungen, in „viele örtliche Ärztevereine, aber auch in die Vorstände mancher Ärztekammern“ einzuziehen (ebd.: 29). Aus den lokalen Gruppen heraus versuchten die Jungärzte, ihren Interessen in den Landesärztekammern Gehör zu verschaffen. Da die Ärztekammern erkannten, dass mit den eigenständigen Aktivitäten der jungen Mediziner „der Erhalt einer einheitlichen Standespolitik auf dem Spiel stand“, wurden für diese Mitwir-kungsmöglichkeiten im Kammersystem geschaffen.416 Dies geschah nicht zu-letzt, um eine „durchaus möglich erscheinende Anbindung [der Jungärzte; d. Verf.] an die Gewerkschaften“ zu verhindern (Gerst 1997: 204). Dies führte zur Institutionalisierung der Jungärztebewegung in Arbeitsgemeinschaften der Jung-ärzte, die innerhalb der Kammern entstanden und es den Nachwuchsärzten er-möglichte, ihre Interessen zu artikulieren.

Weiterhin wirkte sich die institutionelle Beteiligung der Nachwuchsmedi-ziner in den Ärztekammern auf deren Vernetzung untereinander aus. Als „legali-sierte Vertreter ihrer Gruppe“ hatten sie mit „erleichterten Reisegenehmigungen [...] mehr Bewegungsfreiheit“ (Gelsner 1985: 30). Studenten und junge Medizi-ner an der Philipps-Universität nutzen die neuen Freiheiten, um zu einer Ersten Interzonalen Medizinertagung am 12. und 13. Juni 1947 nach Marburg einzula-den.417 Dort wurden die entscheidenden Weichen für die Zukunft einer eigenen Vereinigung der Jungärzte in den Westzonen gestellt (vgl. Gerst 1997: 204). Ärzte und Studenten aus 17 der insgesamt 19 Universitätsstädte waren vertreten. Die Forderungskataloge, mit denen die Ärzte aus den unterschiedlichen medizi-nischen Fakultäten und Krankenhäusern nach Marburg reisten, glichen sich in frappierender Weise. Allerorts schien die Lage der jungen Mediziner von ähnli-chen Widrigkeiten geprägt zu sein. Neben einer angemessenen und existenzsi-chernden Bezahlung forderten sie Versicherungsschutz und die Lockerung der 415 Beispielsweise wies die Vereinigung von Assistenzärzten in Westfalen-Lippe 1946 bereits 700 Mitglieder auf (vgl. Gelsner 1985: 31). 416 Auch in den Kammern stießen die Jungärzte auf Widerstände. So erzielten sie „nicht immer und überall […] eine [ihrer Anzahl; d. Verf.] entsprechende Vertretung innerhalb der Körperschaften“ (Gelsner 1985: 30). 417 Eine Medizinertagung anstatt einer Assistenzärzteversammlung auszurichten war notwendig, um Probleme bei Reisegenehmigungen und ein mögliches Versammlungsverbot zu umgehen (vgl. Gelsner 1985: 34).

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Niederlassungsbeschränkungen. Außerdem sollte die Anzahl der ordentlichen (Plan-)Stellen für Assistenzärzte an den Krankenhäusern erhöht werden, um dem tatsächlichen Verhältnis von Betten und Ärzten Rechnung zu tragen. Die ver-schiedenen lokalen Gruppen erkannten eine bestehende, gemeinsame Interessen-lage nicht zuletzt daran, dass die unabhängig voneinander formulierten Forde-rungen deckungsgleich waren (vgl. Gelsner 1985: 31f.; Rottschäfer 1997: 14f.).

In Marburg diskutierten die Jungärzte daher nicht nur darüber, wie sie die genannten Hauptforderungen durchsetzen wollten, sondern auch über die zu-künftige Organisation ihrer Interessenvertretung. Drei mögliche Organisations-varianten benannte Ulrich Kanzow, Medizinkandidat aus Göttingen, in einem Vortrag: „Vertretung der Jungärzte erstens durch die Ärztekammern, zweitens durch einen selbstständigen Assistentenverband, drittens durch eine gewerk-schaftliche Fachgruppe“ (zit. n. Gelsner 1985: 40). Die letzte Option schloss er allerdings unmittelbar aus. Er zweifelte, „ob im Rahmen der Gewerkschaft die Jungärzte ihre Forderungen werden durchsetzten können. Sie werden in dieser großen Organisation nur eine kleine Gruppe ausmachen“ (ebd.). Am sinnvollsten erschien es den Jungärzten, sich in den Ärztekammern zu beteiligen, sofern sie entsprechend ihrer Anzahl angemessen berücksichtigt würden. Dazu sollten sich alle Jungärzte zu Landesarbeitsgemeinschaften innerhalb der Landesärztekam-mern zusammenschließen. Herbert Britz (o.J.), der später erster Vorsitzende des Marburger Bundes wurde, erinnert sich an die praktischen Konsequenzen dieser Entscheidung:

„Außerdem entwarfen wir ein erstes Gerüst einer Satzung für die örtlichen Arbeitsgemein-schaften der jungen Ärzte innerhalb der Ärztekammern. Diese ‚Marburger Satzung’418 empfah-len wir zur Annahme den örtlichen Jungärztevereinigungen“.

Mit diesem Schritt war die Grundlage für die spätere Vereinigung der Jungärzte im Marburger Bund gelegt. Parallel zur Gründung der überzonalen Arbeitsge-meinschaft der Westdeutschen Ärztekammern im Oktober 1947, vereinheitlichten auch die Jungärzte ihre Interessenvertretung. Zunächst übernahmen sie den Na-men Marburger Gemeinschaft für alle Arbeitsgemeinschaften in den Ärztekam-mern. Mit einer gemeinsamen Vertretung in den beiden Ärztekammergebieten Nordrhein und Westfalen entstand anschließend der erste Landesverband (vgl. Gelsner 1985: 48ff.). Die besatzungszonenübergreifende Kooperation durch die Kammermitarbeit nutzen die Jungärzte, um das Vereinigungsverbot der Besat-zungsmächte zu umgehen und einheitliche Organisationsstrukturen aufzubauen (vgl. Rottschäfer 1997: 16). Obwohl sich ihre Beteiligung in den Ärztekammern

418 Basierend auf der bereits seit 1947 bestehenden Satzung der Vereinigung der Jungärzte innerhalb der Ärztekammer Marburg-Lahn.

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nicht immer leicht gestaltete, konnten sie einzelne Erfolge verzeichnen. Vor diesem Hintergrund signalisierten die Jungärzte auf ihrer Zweiten Interzonenta-gung, weiterhin in den Kammern mitarbeiten zu wollen. Als in der Folgezeit jedoch die Konflikte überhandnahmen, wurden die Bestrebungen, eine eigen-ständige Jungärzteorganisation zu etablieren, wieder aufgenommen (vgl. Gelsner 1985: 54-58). Letztendlich fiel die Entscheidung zu einer organisatorischen Ab-kopplung von den Ärztekammern. Ausschlaggebend für diesen Schritt war unter anderem der Wunsch, dass die zukünftige Organisation tariffähig sein sollte. So erklärte Gerst (1997: 204) rückblickend:

„[…] die Begründung des Marburger Bundes als einer eigenständigen Organisation mit Tarif-fähigkeit, [wäre] […] innerhalb der ärztlichen Körperschaften mit Pflichtmitgliedschaft nicht möglich gewesen“.

Die Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern begrüßte in einer Stellungnahme vom März 1948 „die Bildung eines selbständigen tariffähigen Verbandes angestellter Ärzte“ (zit. n. Gelsner 1985: 60). Auf der Vierten Inter-zonentagung vom 2. bis 6. Mai 1948 fassten die Teilnehmer den endgültigen Entschluss, einen unabhängigen, tariffähigen Berufsverband zu gründen und die Arbeitsgemeinschaften in den Kammerstrukturen aufzulösen.

Um eine Konkurrenz zwischen den Ärztekammern und dem neuen Verband zu verhindern, sollten „die berufspolitischen Fragen den Kammern überlassen“ werden (Marburger Bund 1978: 11). Die neue Organisation sollte sich stattdes-sen darum kümmern, „die wirtschaftlichen Belange der Jungärzte“ zu vertreten (ebd.). Aus der anfänglichen Eingliederung der jungen Mediziner in die Ärzte-kammern ergaben sich personelle Überschneidungen zwischen Kammern und Berufsverband.419 Diese Vernetzung erlaubte es dem Marburger Bund, „trotz zeitweiser Interessengegensätze langfristig eingebunden in ein auf Integration abzielendes Gefüge ärztlicher Standespolitik“ zu bleiben (Gerst 1997: 204). Die personelle Verflechtung schreibt sich bis heute fort, so dass (ehemalige) Vorsit-zende des Verbands nicht selten an den Spitzen der Ärztekammern oder der Kassenärztlichen Vereinigungen420 stehen (vgl. Kapitel 2.3.2; Tabelle 12).

Die wirtschaftliche Interessenvertretung für die angestellten Ärzte sollte als Tarifgemeinschaft der Marburger Bund (Vereinigung der angestellten Ärzte) übernehmen. Diesem Dachverband sollten die Marburger Gemeinschaften beitre-ten (vgl. Rottschäfer 1997: 18). In dem entsprechenden Antrag auf der Vierten Interzonentagung hieß es diesbezüglich (zit. n. Gelsner 1985: 60):

419 Zum Beispiel waren die Jungärzte in den Geschäftsführungen der Ärztekammern aktiv vertreten. 420 Die KVen trennten sich ebenfalls 1948 als wirtschaftliche Interessenvertretung der niedergelasse-nen Ärzte von den Ärztekammern (vgl. Gerst 1997: 210ff.).

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„[...] zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der angestellten Ärzte [ist] der Aufbau einer wirtschaftlichen Organisation zwingend notwendig [...]. Diese [...] muß fähig sein, Abkommen und Tarifverhandlungen zu führen. Um diese Verhandlungen führen zu können, ist es notwen-dig, daß die bisherigen Mitglieder der ‚Marburger Gemeinschaft’ [...] ihren Beitritt zur neuen Tarifgemeinschaft erklären.“

Die Gründung des Marburger Bundes als Dachverband der bestehenden regiona-len Gliederungen vermag die heutige Organisationsstruktur des Verbandes mit stark eigenständigen Landesverbänden zu erklären. 4.1.3 Organisation(sstrukturen) im Wandel Die Konstituierung der Marburger Gemeinschaften als Landesverbände des neu gegründeten Dachverbandes vollzog sich rasant. Im Nachgang der Vierten Inter-zonentagung im Mai 1948 bildeten sich binnen vier Monaten insgesamt elf Or-ganisationen auf Landesebene.421 Ein Jahr später folgte mit der Gründung in Rheinland Pfalz der 12. Landesverband (vgl. Gelsner 1985: 72). Im Zuge der Gründung der Bundesrepublik benannten im gleichen Jahr die Delegierten zur zweiten Hauptversammlung ihre Organisation in Verband der angestellten Ärzte Deutschlands (Marburger Bund) um (vgl. Rottschäfer 1997: 22). Da die Bun-desärztekammer in Köln residierte, wurde auch die Geschäftsstelle des Dachver-bandes dort angesiedelt. Abermals ein Jahr später wurde 1950 der Beirat, analog zum Bundesrat, als Vertretung der Landesverbände auf der Bundeseben sat-zungsrechtlich verankert. Sein Hauptzweck bestand wie noch heute darin, zwi-schen der Selbstständigkeit der Landesverbände und dem Bundesverband zu vermitteln. Ohne deren Autonomie einzuschränken, sollte so eine einheitliche (berufs-)politische Ausrichtung des Gesamtverbandes sichergestellt werden (vgl. Gelsner 1985: 333f.).

In den 1950er-Jahren erfolgten drei organisatorische Veränderungen auf Landesebene. Zunächst stieß 1954 der bereits 1949 gegründete Bund Berliner Assistenzärzte (BBA) als 13. Landesverband zum Marburger Bund. Ein Jahr später schlossen sich die Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Rheinland Pfalz im neuen Landesverband Nordrhein-Westfalen/ Rheinland Pfalz zusam-men, unter anderem, „um auch im strukturschwachen Rheinland Pfalz eine pro-fessionelle Mitgliederbetreuung garantieren zu können.“422 Nach der Wiederan-gliederung des Saarlandes entstand auch dort 1959 ein Landesverband. Die letzte große organisatorische Umgestaltung vor der deutschen Wiedervereinigung

421 In der Reihenfolge ihrer Gründung: Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Nord-Württemberg, Hamburg, Hessen, Bremen, Bayern, Südwürttemberg-Hohenzollern, Schleswig-Holstein, Nord-Baden, Süd-Baden. 422 Interview MB (7) vom 29.07.2009, Landesverband, Hauptamt.

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erfolgte zwei Jahre später. 1961 schlossen sich Nord-Württemberg, Südwürttem-berg-Hohenzollern, Nord-Baden und Süd-Baden zum Landesverband Baden-Württemberg zusammen. Dass dabei nachträglich von „erheblichen Geburtswe-hen“ die Rede war, lässt sich nicht zuletzt auf das zunächst zu überwindende Selbstbewusstsein der fusionierenden Landesverbände zurückführen (Gelsner 1985: 72).

Organisatorische Strukturveränderungen blieben indes nicht auf die Ebene der Länder begrenzt. Bereits seit 1961 informell konzipiert bildete sich Ende 1963 der Arbeitskreis Leitende Krankenhausärzte auf Bundesebene. Damit wur-den die Interessen von Leitenden Ärzten im Verband verankert, was für einige Verwirrung in Öffentlichkeit und Mitgliedschaft sorgte (vgl. Rottschäfer 1997: 55f.). Faktisch reagierte der Marburger Bund mit dem Arbeitskreis auf die inner-verbandliche Entwicklung. Mittlerweile waren einige Gründungsmitglieder zu Chefärzten aufgestiegen und wollten weiterhin im Verband verbleiben. Darüber hinaus kann der Arbeitskreis als Antwort auf die erfolglosen Einflussversuche auf die Arbeitsgemeinschaft Deutsches Krankenhaus (ADK) verstanden werden. Gegenüber der Dachorganisation der Arbeitgeber hatte der MB insbesondere versucht, in der Frage der Reorganisation des Ärztlichen Dienstes Stimme und Gehör zu finden. Der Arbeitskreis sollte nun indirekt über die leitenden Ärzte einen Zugang für die Ideen des Verbandes schaffen (vgl. Gelsner 1985: 166ff.). Neben dieser berufspolitischen Umstrukturierung wurde 1963 auch das Dienst-leistungsangebot durch den Bundesverband ausgeweitet. Dieser gründete als wirtschaftlichen Ableger die Marburger Bund-Treuhandgesellschaft mbH (MBT) (vgl. Kapitel 4.4.1). Die MBT existiert noch heute – im Gegensatz zum Arbeitskreis Leitende Krankenhausärzte. Dieser verschwand schon Mitte der 1970er-Jahre wieder von der Bildfläche. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die An-sicht durchgesetzt, der zufolge der Arbeitskreis die hierarchische Struktur des Ärztlichen Dienstes festige, anstatt diese zu reorganisieren. Woraufhin sogar der MB-Vorstand erklärte, es sei „nicht konsequent“, wenn leitende Ärzte „die der Konzeption des Verbandes ablehnend gegenüberstehen oder sich gar gegen diese Vorstellung einsetzen“ zum Arbeitskreis gehörten (zit. n. Gelsner 1985: 164).

Ebenfalls in den 1970er-Jahren zeigte sich zum wiederholten Mal das stark ausgeprägte Selbstbewusstsein der Landesverbände. Die 45. Hauptversammlung schloss 1974 zum ersten und bisher einzigen Mal einen Landesverband aus der Dachorganisation aus. Dabei handelte es sich um den gastgebenden Berliner Verband. Dieser hatte die Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Ärzte unterstützt. Ihm wurde vorgeworfen, sich damit verbandsschädigend verhalten und gegen die Satzung des Bundesverbandes verstoßen zu haben (vgl. Rottschäfer 1997: 86; Gelsner 1985: 348). Die Berliner legten gegen den Ausschluss Widerspruch vor dem Landesgericht ein, das diesen in seiner Entscheidung als zu kurzfristig be-

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anstandete. Auf der zweiten Hauptversammlung im selben Jahr wurde daher auf einen Ausschluss verzichtet. Der Berliner Landesverband seinerseits bekräftigte, die Satzung des Bundesverbandes als bindend zu akzeptieren (vgl. Rottschäfer 1997: 89). Als Ergebnis dieses Konfliktes verabschiedete die Hauptversammlung eine Mustersatzung. Diese sollte die Autonomie der Landesverbände eingrenzen und dem Verband „trotz seiner historisch bedingten föderativen Struktur ein Höchstmaß an Homogenität“ garantieren (Rottschäfer 1997: 90).

Der nach der MBT Gründung 1963 zweite funktionale Ausbau der Organi-sationsstrukturen erfolgte im Jahr 1988. Die gemeinnützige Marburger Bund-Stiftung vervollständigte die heute in drei Organisationsbereiche aufgeteilte Bundesebene des Marburger Bundes. Die Stiftung sollte über Weiterbildungs- und Qualifikationsangebote die von der schlechter werdenden Arbeitsmarktsitua-tion betroffenen, erwerbslosen Mediziner unterstützen (vgl. Kapitel 4.4.1).

Wiedervereinigung und Ostausdehnung Die bisher letzte große Veränderung der Organisationsstruktur vollzog sich im Zuge der deutschen Wiedervereinigung. Frank Ulrich Montgomery hatte gerade erst das Amt des ersten Vorsitzenden übernommen, als der Aufbau von Ver-bandsstrukturen in Ostdeutschland bewältigt werden musste. Die Aufbauarbeit vor Ort übernahmen die beiden Vorsitzenden, der Hauptgeschäftsführer und ein vom Beirat berufener Koordinator. Zunächst nahmen die Verantwortlichen Kon-takt zu bestehenden ärztlichen Initiativen auf regionaler Ebene in der DDR auf. Die Landesverbände wurden später über Patenschaften mit ostdeutschen Initiati-ven eingebunden (vgl. Preusker 1997: 184). Die Etablierung von Organisations-strukturen und das Werben um neue Mitglieder provozierte erhebliche Konflikte zwischen dem Marburger Bund und seinen standespolitischen Konkurrenzver-bänden (vgl. Groser 1992: 150). Der MB warf Hartmannbund und NAV vor, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und mit grotesken Angeboten auf Mit-gliederfang zu gehen und ostdeutsche Verbände einzukaufen.423 Montgomery dagegen, der die Arbeit mit viel Initiative und persönlichem Engagement voran-trieb, setzte auf den Aufbau neuer Strukturen vor Ort:

„Ich habe mich immer geweigert, ganze Verbände zu übernehmen. Ich habe gesagt: Ich möchte individuelle Mitgliedschaft. Ich möchte, dass sich in jedem Bundesland der DDR oder den Be-zirken eine eigene Ärztevereinigung ausbildet. Eine sollte der Grundstock der Kammer wer-den, [...] eine soll der Grundstock des Marburger Bundes werden und wenn die dann soweit sind [...] kommen die zu uns und sagen, wir sind jetzt der Teil des Marburger Bundes [...].“424

423 Vgl. Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 424 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt.

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202 Marburger Bund: Historie und Struktur

Dieses Vorgehen erwies sich als erfolgreich. Am 8. März 1990 gründete sich in Sachsen der erste ostdeutsche Landesverband. Innerhalb eines Jahres entstanden die Landesverbände Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Ende 1990 Sachsen-Anhalt sowie zunächst der Landesverband Berlin Ost. Dieser umfasste ebenso Brandenburg und schloss sich noch im gleichen Jahr mit dem westdeutschen Berliner Landesverband zum Landesverband Berlin/ Brandenburg zusammen (vgl. Preusker 1997: 186-196). Damit hatte der Marburger Bund Ende 1990 seine endgültige Mitgliedschaft von 14 Landesverbänden erreicht.

Der Aufbau der Verbandsstrukturen in Ostdeutschland erfolgte als Institu-tionentransfer nach dem Vorbild der Westlandesverbände. Anstatt zunächst eine zentrale Stelle einzurichten, die provisorisch die Dienstleistungen bis zum voll-ständigen organisatorischen Aufbau der Ostlandesverbände übernommen hätte, blieben auch nach deren Beitritt die Patenschaften mit den Westlandesverbänden bestehen. Auf der ersten gesamtdeutschen Beiratssitzung beschlossen diese eine sechsstellige „Anschubfinanzierung für den Aufbau der Geschäftsstellen“ (Preusker 1997: 201). Dieses Vorgehen betrachtet Montgomery retrospektiv kritisch:

„das Problem [ist], dass wir in jedem Bundesland dort einen eigenen Verband haben. [...] nur die Brandenburger waren so klug, sich mit den Berlinern zusammen zu tun. Aber alle anderen Länder haben einen eigenen Landesverband und das sind zum Teil sehr kleine Landesverbände [...] und alle Versuche, denen klar zu machen, dass es klug sei, mit anderen Strukturen zusam-menzugehen, wurden abgelehnt. Da ist nichts zu machen, da wird dann wirklich darauf beharrt, ihr habt es im Westen auch so.“425

Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung wurden aber nicht nur die Verbands-strukturen erweitert. Außerdem beschritt der MB-Bundesverband im vereinten Deutschland mit dem Umzug seiner Geschäftsstelle, wenn auch erst im Jahr 2005, den Wechsel von der Bonner zur Berliner Republik. Er folgte dabei den maßgeblichen Akteuren – der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bun-desvereinigung und dem politischen Teil des Gesundheitsministeriums – nach Berlin. Die grundsätzliche Frage, ob und wie sich der Verband nach der Wieder-vereinigung neu aufstellen würde, war mit dem Umzug allein noch nicht beant-wortet.426 „Als sich vor ca. zwei Jahren die Umzugspläne nach Berlin konkreti-sierten, war uns klar, dass wir in Berlin anders ankommen werden als wir in Köln gestartet sind“ (Ehl 2005: 13). Wie sich die Organisationsstruktur, die Ver-bandsziele und -funktionen heute darstellen ist Gegenstand des anschließenden Kapitels. 425 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 426 Vgl. Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt.

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Organisationsstruktur 203

4.2 Organisationsstruktur Die organisationale Struktur des Marburger Bundes ist aus verschiedenen Grün-den relevant. Strukturen müssen für die Frage nach der Mobilisierung von Res-sourcen berücksichtigt werden. Genauso besteht ein Zusammenhang zwischen Struktur und Zielen sowie Funktionen einer Organisation. Die Transformation eines Berufsverbandes zur Berufsgewerkschaft, die mit einer Neudefinition von Zielen oder zumindest einer Verschiebung zwischen den Verbandszielen einher-geht, sollte sich dementsprechend in einem Wandel der Organisationsstruktur widerspiegeln. Der Wandel von Strukturen, die „relativ überdauernde, langfristi-ge Ordnungsmuster von Organisationen“ darstellen, deutet darauf hin, dass sich auch die Sichtweise der „Organisationsleitung [auf] das Verhältnis ihrer Organi-sation zur Umwelt“ verändert hat (Edruweit 2004: 148).

Die Organisationsstruktur bildet des Weiteren den Handlungsspielraum für die unterschiedlichen Akteursgruppen in einem Verband. Sie weist Verantwor-tungs- und Aufgabenbereiche zu und regelt Kommunikations- und Entschei-dungsprozesse (wie zwischen Mitgliedern, hauptamtlichen Personal und Füh-rungspersonen). Formelle und informelle Strukturen sind von entscheidender Bedeutung, um das Handeln von kollektiven Akteuren erklären zu können. In der Organisationssoziologie werden drei strukturelle Dimensionen unterschieden: Komplexität, Formalisierung und Zentralisierung (vgl. bspw. Edruweit 2004: 147). Für den Marburger Bund sind insbesondere die beiden letztgenannten Di-mensionen für das Funktionieren und die Handlungslogik der Organisation erklä-rungsrelevant. Dies macht der Blick auf das Verhältnis zwischen Bundesverband und Landesverbänden deutlich.

4.2.1 Formale Struktur von Bundesverband und Landesverbänden Der Marburger Bund gliedert sich auf der Bundesebene in drei Organisationsbe-reiche. An der Spitze steht der Marburger Bund Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e. V. Bundesverband als Dachorga-nisation der regionalen Mitgliedsverbände. Aus dem Bundesverband sind in der Vergangenheit Teile der Verbandsarbeit in die Marburger Bund Stiftung und die Marburger Bund Treuhandgesellschaft ausgegliedert worden.427 Der Bundesver-band selbst besteht auf der ausführenden Ebene aus der Hauptgeschäftsführung und sieben Fachreferaten (vgl. Abbildung 11). Die weiteren Organe und Gremi-en des Bundesverbandes werden weiter unten aufgegriffen (vgl. Abbildung 12 und Kapitel 4.2.2). Unterhalb der Bundesebene gliedert sich die Organisation 427 Die Funktionen und Aufgaben der Marburger Bund Stiftung und der MBT werden in Kapitel 4.4 ausführlich dargestellt.

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204 Marburger Bund: Historie und Struktur

föderal in vierzehn Landesverbänden. Berlin und Brandenburg sowie Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz bilden jeweils zusammen einen Landesverband. Abbildung 11: Organigramm Marburger Bund Bundesebene

Quellen: Marburger Bund (2011): Organigramm, Stand: 22.03.2011; Marburger Bund (2011): Web-

seite (abgerufen am: 12.09.2011); Eigene Darstellung.

Der MB-Bundesverband ist als Dachorganisation der einzelnen regionalen Mit-gliederverbände ein Verband zweiter Ordnung (vgl. Kapitel 4.1.2). Die Einzel-mitglieder (natürliche Personen) erwerben ihre Mitgliedschaft in einem der Lan-desverbände. Sollte eine regionale Zuordnung nicht möglich sein, erklärt der Bundesvorstand einen Landesverband für zuständig. Mit seinem Beitritt zu ei-nem der Landesverbände erwirbt der jeweilige Arzt gleichzeitig eine Mitglied-schaft im Bundesverband (vgl. Marburger Bund 2007d: §3 Abs. 3).428 Die Rech-te und Pflichten der Einzelmitglieder gelten jedoch unmittelbar ausschließlich gegenüber dem jeweiligen Landesverband und vermittelt über diesen gegenüber dem Bundesverband (vgl. Marburger Bund 2007d: §6 Abs. 1-3).

Im satzungsgemäßen föderalen Aufbau (vgl. Abbildung 12) fungieren die Landesverbände als Untergliederung des Bundesverbandes. Das hierarchische Verhältnis zwischen Bundes- und Landesebene, das sich in dieser formalen Struktur andeutet, entspricht nicht der verbandlichen Wirklichkeit. Die informel-le Struktur der Organisation ist vielmehr durch die autonome Stellung der Lan-desverbände geprägt.

428 Dies unterscheidet den MB-Bundesverband von einem reinen Dachverband, in dem sich aus-schließlich juristische Personen zusammenschließen.

Marburger Bund Stif-tung (rechtsfähige Stif-tung privaten Rechts)

Marburger Bund Bundesverband e.V.

Marburger Bund Treu-handgesellschaft (MBT GmbH)

Vorstand Hauptgeschäftsführung Geschäftsführung

Kuratorium Redaktion MBZ

Verwaltung

Referate: - Gesundheits- und Berufspolitik - Recht - Personal/ Finanzen/ Verwaltung - Tarifpolitik - Krankenhauspolitik - Verbandskommunikation - Ausland

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Organisationsstruktur 205

Abbildung 12: Organisationsstruktur des Marburger Bundes

Quellen: Marburger Bund 2007d; Marburger Bund LV Hessen 2001; Boeck 1997: 9; Eigene Darstel-

lung.

Gelebte Struktur: Starke Landesverbände Kennzeichnend für den strukturellen Aufbau des Marburger Bundes ist die hohe Autonomie der einzelnen Landesverbände. Deren ausgeprägtes Selbstbewusst-sein, das historisch bedingt ist (vgl. Kapitel 4.1), kann an vielen Stellen beobach-

Bundesverband Interessenvertretung auf Bundesebene, Koordination LV, Presse- u. Öffentlichkeitsarbeit

Große Tarifkommission

Angestellte und beamtete Ärztinnen und Ärzte (110.305)

Landesverbände (14) Interessenvertretung auf Landesebene, Mitgliederbetreuung

Hauptversammlung gewählte Landesdelegierte

(1 je 400 Mitglieder im LV, min. 1)

Bundesvorstand (7)

Kleine Tarifkommission (18)

Hauptgeschäftsführung

Beirat (14)

Arbeitskreise (12)

Landesverbandsvorstand

Hauptversammlung (40) gewählte Bezirksdelegierte

Bezirksverbände

Mitgliederversammlung

Krankenhaus- u. Dienststellenobleute

Bezirksvorstand 1./2. Vorsitzender Beisitzer (3-10)

Geschäftsführender Vorstand (3)

1./2. Vorsitzender

Kassenwart Vorsitzende/ Stellvertreter Bezirke

Kassenprüfer (min. 2)

Schiedsausschuss

Vorsitzende o. Stellvertreter Länder

1./2. Vorsitzender Beisitzer (5)

wählt

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206 Marburger Bund: Historie und Struktur

tet und mit verschiedenen Beispielen belegt werden. So betonen die Landesver-bände, der Bundesverband habe (mit Ausnahme des Streikfalles) ihnen gegen-über keine Weisungsbefugnis.429 Formal müsste diese Sichtweise wegen der satzungsgemäßen Befugnisse von Hauptversammlung und Beirat zumindest relativiert werden (vgl. Kapitel 4.2.2). „Ob formale oder informale Strukturen überwiegen, ist am Anfang eine Frage der Interessen- und danach der Macht-konstellation“ (Edruweit 2004: 150). Im verbandlichen Alltag verfügen die Lan-desverbände über eine enorme Eigenständigkeit, die sich beispielsweise in der Finanzierungs- und Beitragskonzeption zeigt.

Die Mitgliedsbeiträge werden nicht auf Bundesebene, sondern in den ein-zelnen Landesverbänden eingezogen und verbleiben zum Großteil dort.430 Nur ein von der Hauptversammlung festgelegter Teilbetrag (von zurzeit 32 Euro)431 wird an die Bundesebene abgeführt.432 Dieses Abhängigkeitsverhältnis wird von einzelnen Akteuren auf der Landesebene ironisch mit dem Verweis „wir Landes-verbände, wir leisten uns einen Bundesverband“ kommentiert, denn „wir machen die gute Arbeit vor Ort, davon profitiert auch der Bundesverband.“433 In der Praxis bedeutet dies, dass Beitragssatz und -struktur zwischen den einzelnen Landesverbänden teilweise erheblich variieren. So liegt beispielsweise die jährli-che Beitragshöhe beim Landesverband Berlin/ Brandenburg zwischen 7,20 Euro für Studenten und 240 Euro für Chefärzte. Oberärzte zahlen 192 Euro, Fachärzte 168 Euro und Assistenzärzte 144 Euro im Jahr434 (vgl. Marburger Bund LV Berlin/Brandenburg 2010). In Mecklenburg-Vorpommern sind Studenten bei-tragsbefreit, Assistenzärzte zahlen 150 Euro, Fachärzte 180 Euro, Oberärzte 200 Euro und Chefärzte 220 Euro im Jahr.435 Insgesamt unterscheidet der LV Meck-lenburg-Vorpommern 14 unterschiedliche Beitragsgruppen (vgl. Marburger Bund LV Mecklenburg-Vorpommern 2010: 13). Dagegen leisten Ärzte im Lan-desverband Sachsen-Anhalt unabhängig von ihrer beruflichen Stellung einen Beitrag von 185 Euro (vgl. Marburger Bund LV Sachsen-Anhalt 2009). Der höchste Beitragssatz (240 Euro) fällt für Chefärzte in Berlin/ Brandenburg und Schleswig-Holstein an (vgl. Marburger Bund LV Schleswig-Holstein 2008). Am geringsten sind die Beiträge in Thüringen. Hier wird obendrein nur zwischen

429 Vgl. Interview MB (1) vom 23.04.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 430 Vgl. Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 431 Vgl. Interview MB (14) vom 26.07.2011, Landesverband, Hauptamt. 432 Vgl. Interview MB (1) vom 23.04.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 433 Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt. 434 Teilzeitbeschäftigte erhalten einen Nachlass von 25 Prozent. Arbeitslose Mitglieder zahlen 30 Euro, Mitglieder in Elternzeit und außerordentliche Mitglieder 60 Euro. 435 Ärzte in Teilzeit zahlen einen anteiligen Mitgliedsbeitrag entsprechend ihres Beschäftigungsum-fangs.

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Organisationsstruktur 207

Ärzten (130 Euro) und Chefärzten (165 Euro) unterschieden (vgl. Marburger Bund LV Thüringen 2006). Tabelle 17: Übersicht über die Landesverbände des Marburger Bundes (2010) Landesverband Gesamtzahl der

Krankenhausärzte MB-Mitglieder Netto OG

Anzahl1 Anteil in%2

Baden-Württemberg 18.355 15.600 14,6 85 Bayern 22.009 16.600

(19.073)15,5 75

Berlin/ Brandenburg 11.227 (7.463 + 3.764) 7.500 7

(4,7 + 2,3) 67

Bremen 1.667 1.200 1,1 71 Hamburg 4.563 3.400 3,2 75 Hessen 9.692 8.100

(9.924)7,6 84

Mecklenburg-Vorpommern

3.089 1.400 1,3 45

Niedersachsen 12.030 9.200 (9.479)

8,6 77

Nordrhein-Westfalen/ Rheinland-Pfalz

39.216 (32.781 + 6.435) 32.000 29,8

(25,5 + 4,3) 81

Saarland 2.014 1.600 1,5 80 Sachsen 7.113 2.800 2,6 39 Sachsen-Anhalt 4.144 2.400 2,2 57 Schleswig-Holstein 4.845 3.800 3,5 77 Thüringen 4.003 1.600 1,5 40 Gesamt 143.967 107.150 74

1 Anzahl errechnet aus Anteil an Gesamtmitgliedschaft (in Klammern Angaben der Landesverbän-de).

2 Angabe laut Mitgliederbefragung 2010. Quelle: Marburger Bund 2010b; Statistisches Bundesamt 2011b: 11, Tab. 1.2. Die Heterogenität der Landesverbände manifestiert sich neben den unterschiedli-chen Beitragsordnungen in erster Linie in den Mitgliederzahlen und damit in ihrer unterschiedlichen Größe. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen/ Rhein-land-Pfalz besitzt mit einem Anteil von knapp 30 Prozent an der Gesamtmit-gliedschaft so viele Mitglieder wie die beiden nächstgrößten Landesverbände Baden-Württemberg und Bayern zusammen. Die ostdeutschen Landesverbände dagegen zählen kaum mehr Mitglieder als die Stadtstaaten. Ebenso sind deutli-che Unterschiede im Netto-Organisationsgrad436 feststellbar. Während dieser im

436 Netto-Organisationsgrad: Mitglieder- im Verhältnis zur Ärztezahl. Die angegebenen Werte stellen Richtwerte dar, da die Mitgliederzahlen der einzelnen Landesverbände nicht vorlagen. Diese wurden anhand der Angaben zur Mitgliederverteilung in der Mitgliederbefragung 2010 und der Gesamtmit-gliederzahl abgeschätzt.

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208 Marburger Bund: Historie und Struktur

Westen fast durchgängig im Bereich von 70 bis 80 Prozent liegt, kommen die Ostlandesverbände nur auf 40 bis 60 Prozent. Das Ungleichgewicht in der Mit-gliederverteilung ist theoretisch einflussrelevant, weil die Landesverbände ab-hängig von ihrer Mitgliederzahl Delegierte in die Hauptversammlung auf Bun-desebene entsenden. Praktisch wird das Ungleichgewicht erst dann problema-tisch, wenn die Landesverbände zu einzelnen Themen unterschiedliche Stand-punkte vertreten. Dies ist nicht ausgeschlossen, denn die landesverbandliche Autonomie ist gleichzeitig durch eine stark landsmännische Orientierung ge-prägt, die durchaus zur Bildung von Flügeln oder Strömungen innerhalb der Mitgliedschaft taugt. Auf diesen Zusammenhang wies bereits Gelsner (1985: 332) hin:

„Die föderative Struktur des Marburger Bundes bringt es mit sich, daß Delegierte aus manchen Landesverbänden von Zeit zu Zeit gebeten werden müssen, sich in der Hauptversammlung des Bundesverbandes als Angehörige des obersten Organs der gesamten Organisation zu fühlen und sich zu bemühen, dort bei aller Wichtigkeit ihrer regionalen Interessen die Belange und das Ansehen des Gesamtverbandes so objektiv und wirksam wie möglich zu vertreten.“

Diese historisch begründete, regionale Verwurzelung (vgl. Kapitel 4.1) ist auch heute noch relevant: Einerseits spiele „das Landsmannschaftliche [...] eine ge-waltige Rolle.“437 „Es gibt traditionell gute oder bessere Beziehungen zwischen bestimmten Landesverbänden.“438 Andererseits wird hervorgehoben, dass es kein imperatives Mandat gäbe.439 Weshalb das Landsmännische eigentlich bei Wah-len keine erkennbare Rolle spiele.440 Dem steht entgegen, dass bei der Besetzung des Vorstandes und der Großen Tarifkommission informell sehr wohl die Vertei-lung zwischen den Landesverbänden berücksichtigt werden muss (vgl. Kapitel 4.2.2). Die starke Stellung und Autonomie der Landesebene spiegelt sich hier deutlich wider. 4.2.2 Organe, Gremien, Haupt- und Ehrenamtlichkeit Die Organe und Gremien sind für die Funktionslogik des Marburger Bundes besonders wichtig. Sie binden nicht zuletzt die Landesverbände ein und moderie-ren auftretende Interessendifferenzen. Dass die Landesebene besonders berück-sichtigt und beteiligt wird, verbindet wie ein roter Faden die gesamte Struktur des Bundesverbandes. Dessen Organe – Vorstand (mit Geschäftsführung), Beirat und Hauptversammlung – sowie die Gremien der Kleinen- und Großen Tarif-

437 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 438 Interview MB (7) vom 29.07.2009, Bundesverband, Hauptamt. 439 Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 440 Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt.

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Organisationsstruktur 209

kommission sollen im Folgenden vorgestellt werden. Im Zentrum steht dabei die Frage nach der Einbindung der Landesverbände und dem Verhältnis von Haupt- und Ehrenamt. Vorstand Der Vorstand des MB-Bundesverbandes führt die Geschäfte, vollzieht Beschlüs-se und vertritt den Verband auf der Bundesebene und international gegenüber politischen Akteuren, den Organen der ärztlichen Selbstverwaltung sowie Insti-tutionen und Einrichtungen des Gesundheitswesens. Er besteht laut Satzung aus dem 1. und 2. Vorsitzenden und fünf Beisitzern.441 Seine Mitglieder werden auf drei Jahre gewählt und tagen in der Regel einmal im Monat (vgl. Boeck 1997: 9).442 Der Einfluss der Landesverbände auf den Bundesvorstand wird auf vieler-lei Weise sichergestellt. Bei der Berufung von Arbeitskreismitgliedern haben diese ein Vorschlags- und Unterrichtungsrecht. Um Tarifverträgen zu schließen oder zu kündigen, muss die Tarifkommission beziehungsweise der betroffene Landesverband einwilligen. Grundsätzliche Entscheidungen, „die für die Politik des Verbandes von Bedeutung sind“, sollen nur nach vorheriger Beratung mit dem Beirat, das heißt mit den Landesvorständen, erfolgen (Marburger Bund 2007d: §10).

Die föderale Tradition des Verbandes mit starker, regionaler Autonomie der Landesgruppen schlägt sich nicht zuletzt in der informellen Regelung über die Zusammensetzung des Bundesvorstandes nieder. Bei der Wahl des Vorstandes müsse darauf geachtet werden, dass dieser „Landsmannschaftlich gemischt ist. [...] Es ist undenkbar, dass der Bundesvorstand zum Beispiel nur aus Niederrhei-nern besteht.“443 Momentan (gewählt am 06.11.2010) sind die fünf Landesver-bände Nordrhein-Westfalen/ Rheinland-Pfalz (1. Vorsitzender, 1 Beisitzer), Bayern (2. Vorsitzender, 1 Beisitzer), Baden-Württemberg, Sachsen und Hessen (je 1 Beisitzer) im Vorstand vertreten (vgl. Marburger Bund 2011g). Der Ein-fluss der Landesverbände und ihrer Vorsitzenden relativiert auch die Macht des Bundesvorsitzenden.

Vorsitzende des Bundesverbandes Der Vorsitzende des MB-Bundesverbandes hat formal die höchste Position im Verband inne. Der Bundesvorsitz ist ein Ehrenamt, dessen Hauptaufgabe darin besteht, die Interessen des Verbandes gegenüber der Politik und der ärztlichen Selbstverwaltung zu vertreten. Der Vorsitzende verleiht dem Verband Gesicht

441 Daneben gibt es aktuell ein kooptiertes Vorstandsmitglied und fünf Ehrenvorsitzende, von denen einer verstorben ist (vgl. Marburger Bund 2011g). 442 Vgl. Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. 443 Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt.

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210 Marburger Bund: Historie und Struktur

und Stimme in der Öffentlichkeit. Innerhalb des Verbands bewegt er sich in einem prinzipiellen Spannungsverhältnis. Auf der einen Seite stehen sein Rol-lenverständnis und sein eigener Gestaltungwille. Auf der anderen Seite ist der Vorsitzende auf die Unterstützung der Landesverbände angewiesen. Wie macht-voll der Vorsitzende seine Position ausgestalten kann, ist im Einzelfall auch von der jeweiligen Person abhängig. Im Fall des im Untersuchungszeitraum amtie-renden Vorsitzenden Frank Ulrich Montgomery kann eine ungleich stärkere Position als bei seinen Vorgängern angenommen werden. Er war bereits 16 Jahre lang im Amt, als 2004/05 die Streiks der Assistenzärzte begannen. Heute sagt er selbst, dass er großes Glück gehabt hätte, weil er mit einer Ausnahme alle Hauptamtlichen selber eingestellt habe: „Das heißt, ich hab mir dann natürlich eine auf mich eingeschworene Truppe zusammengebaut. Und dabei auch durch-aus richtige Strukturwechsel beschrieben.“444 Seine Stärke basierte auf seiner langjährigen Erfahrung an der Spitze des Verbands und seiner Überzeugung, sich auf den eigenen Personalapparat verlassen zu können. Nicht nur für den erfolg-reichen Ärztestreiks waren diese Voraussetzungen bedeutsam. Sie müssen auch für den Verlauf des Transformationsprozesses berücksichtigt werden.

In seiner 63jährigen Geschichte standen dem Verband acht Vorsitzende je-weils zwischen 4 und 18 Jahre lang vor.445 Rückblickend meint Gelsner (1985: 349) aus Verbandsinnensicht zu erkennen, dass jeder Vorsitzende dem Verband ein stückweit ein eigenes Profil gegeben habe. „In jeder der Amtsperioden seit 1948 hat sich der Marburger Bund dem Spitzenmann verschrieben, den er unter den gegebenen Umständen gebraucht hat.“ Aufgrund der Organisationsstruktu-ren und der autonomen Landesverbände kann jedoch im Gegensatz zu Gelsners Andeutungen ein umgekehrter Zusammenhang vermutet werden: Wegen der starken Landesverbände446 und der Abhängigkeit von diesen muss sich der Vor-sitzende so ausrichten, dass er deren Erwartungen gerecht wird. Montgomery weist selbst darauf hin, dass „der Bundesverband [...] eine Gemeinschaftseinrich-tung der Landesverbände [ist]. Das heißt, ich muss mich immer nach den Lan-desverbänden strecken.“447 In „welche Richtung [...] der Vorsitzende [will,] [...] hat er im Grunde ja auch vorgetragen bei seiner Wahlrede und für seine Richtung und Ausrichtung ist er ja auch gewählt worden.“448 Dies deutet darauf hin, dass

444 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 445 Die durchschnittliche Amtsdauer der Vorsitzenden beträgt 8,4 Jahre und liegt höher als etwa bei DGB (5,6 Jahre), BDA (7 Jahre) oder BDI (5 Jahre) (vgl. Dietrich 2003: 632; Greef 2010a: 506f., 510f.). 446 Auffällig ist, dass allein fünf der acht Vorsitzenden aus dem Landesverband(steil) Nordrhein Westfalen stammen und die restlichen drei nicht aus den zwei anderen größeren Landesverbände kommen, sondern aus den Stadtstaaten. 447 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 448 Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt.

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Organisationsstruktur 211

der Verband sich einen passenden Vorsitzenden sucht und nicht der Vorsitzende sich einen passenden Verband organisiert, wie Gelsners Darstellung nahelegt. Tabelle 18: Vorsitzende des Marburger Bund Bundesverbandes (1948–2011) Name, (Landesverband), Lebensdaten

Amtszeit,(Dauer)

Alter bei Antritt

Weitere Ämter und Positionen

Dr. Herbert Britz (NRW) (später niedergel.) *17.12.1917 †29.03.2011

05.09.1948 - 28.11.1952

(4) 31

1950: Vorstand ÄK Nordrhein

Dr. Rolf-Detlev Berensmann (NRW) Facharzt *1920 †06.03.1999

28.11.1952 -25.11.1961

(9) 32

1955: Vorstand BÄK

Dr. Dietrich Techen (Hamburg) (später niedergel.) *1931

25.11.1961 - 14.05.1966

(5) 30

1960: Vorsitzender MB-LV Hamburg

Dr. Paul Erwin Odenbach (NRW/RP) Facharzt *13.08.1924 †10.02.2007

14.05.1966 - 04.05.1975

(9) 41

1965: Vorsitzender MB-LV NRW/RLP 1967: Vorstand BÄK 1969: Vizepräsident ÄK Nordrhein 1975: Geschäftsführer BÄK 1989: Hauptgeschäftsführer BÄK

Prof. Dr. Karsten Vilmar (Bremen) Ltd. Oberarzt *24.04.1930

04.05.1975 - 03.11.1979

(4) 45

1970: Vorsitzender MB-LV Bremen 1973: 2. Vorsitzender MB-BV 1975: Vizepräsident BÄK 1976: Präsident ÄK Bremen 1978: Präsident BÄK

Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe (NRW/RP) Chefarzt (später niedergel.) *24.10.1940 †07.11.2011

03.11.1979 - 04.11.1989

(10) 39

1975: Vorstand BÄK 1975: 2. Vorsitzender MB-BV 1991: Vizepräsident BÄK 1993: Präsident ÄK Nordrhein 1999: Präsident BÄK

Dr. Frank Ulrich Montgomery (Hamburg) Oberarzt *31.05.1952

04.11.1989 - 10.11.2007

(18) 37

1983: Vorsitzender MB-LV Hamburg 1985: 2. Vorsitzender MB-BV 1994: Präsident ÄK Hamburg 1987: Vorstand BÄK 2007: Vizepräsident BÄK 2011: Präsident BÄK

Dr. Rudolf Henke (NRW/RP) Oberarzt *05.06.1954

10.11.2007 - (im Nov. 2010 für weitere drei Jahre ge-wählt)

53

1988: Vorstand ÄK Nordrhein 1989: 2. Vorsitzender MB-BV 1991: Vorsitzender MB-LV NRW/RLP 1995: Vorstand BÄK 1995: MdL NRW 2009: MdB 2011: Präsident ÄK Nordrhein

Quelle: Rottschäfer/ Preusker 1997: 247-251; Gelsner 1985: 349-366: 349–366; Webseite des Mar-burger Bundes und der Bundesärztekammer; Deutsches Ärzteblatt; Eigene Darstellung nach Schroeder et al. 2011: 132.

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212 Marburger Bund: Historie und Struktur

Die historische Entwicklung des Marburger Bundes als Jungärzteverband mag das verhältnismäßig junge Alter von durchschnittlich 38,5 Jahren erklären, mit dem die Vorsitzenden ihr Amt antraten.449 Der zuletzt gewählte Vorsitzende Rudolf Henke ist deutlich älter als die meisten seiner Vorgänger, was damit korrespondieren könnte, dass nach der stark gewerkschaftlich geprägten Schlussphase unter Montgomery jetzt die berufspolitische Arbeit wieder stärker in den Mittelpunkt der Verbandsarbeit rücken soll.450 Weiterhin lässt sich unter den Vorsitzenden die gesamte (weitergebildete) Ärztehierarchie, über Fachärzte, Oberärzte, einen leitenden Oberarzt bis hin zum Chefarzt, wiederfinden. Ge-meinsam ist allen Vorsitzenden, dass sie parallel zum Amt weiter ihren Arztbe-ruf ausüben. Nach ihrer Amtszeit ließen sie sich entweder in eigener Praxis nie-der oder übernahmen eine (hohe) Position in der ärztlichen Selbstverwaltung.451

Arbeitskreise Für die inhaltliche, fachliche Arbeit bildet der Vorstand Arbeitskreise, die ihn in speziellen Fragen in verschiedenen Bereichen beraten. Deren Mitglieder werden von den Landesverbänden entsandt (vgl. Boeck 1997: 9). Die Anzahl und Aus-gestaltung der Arbeitskreise ist satzungsrechtlich nicht vorgeschrieben. Momen-tan bestehen 12 Arbeitskreise.452 Diese tragen einerseits „den Belangen der un-terschiedlichen Tätigkeitsbereiche Rechnung“, die der Marburger Bund aufgrund seiner „auf den ersten Blick [...] recht heterogene[n] Mitgliederstruktur“ bearbei-ten muss (ebd. 1997: 8). Andererseits lassen sich an ihnen aber auch aktuelle Problemlagen und Diskussionsbedarfe ablesen. Neben den fortwährend relevan-ten Themenbereichen wie Fort- und Weiterbildung oder Krankenhaus, existieren momentan etwa Arbeitskreise zu den Themenfeldern Ärzteversorgung oder Ver-einbarkeit von Familie und Beruf.453

449 Das durchschnittliche Alter der Vorsitzenden bei Amtsantritt beträgt beispielsweise bei DGB und BDI 59 Jahre, bei der BDA 60 Jahre (vgl. Dietrich 2003: 632; Greef 2010a: 506f., 510f.). 450 Dafür spricht, dass sich die Ausrichtung auf einen gewerkschaftlichen oder berufsständischen Schwerpunkt zwischen jungen (Assistenz-) und alten (in der Hierarchie höher stehenden) Ärzten unterscheidet (vgl. Kapitle 5.2.2). 451 Auf die deutliche Verknüpfung zwischen MB-Vorsitzenden und Funktionsträgern in den Ärzte-kammern ist bereits eingegangen worden (vgl. Kapitel 2.3.2). 452 Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen, Ärzteversorgung, Arbeitsmedizin und Arbeitsschutz, Arzneimittel, Fort- und Weiterbildung, Internationale Angelegenheiten, Krankenhaus, MVZ, Mitar-beitervertretung, Notfall- und Rettungswesen, Universitäten, Vereinbarkeit von Familie und Beruf (vgl. Marburger Bund 2011b). 453 Der letztgenannte Arbeitskreis ist beispielsweise im Vergleich zu 2006 neu hinzugekommen, während es andere wie Ärztinnen oder Ärzte im Management heute nicht mehr gibt (vgl. Marburger Bund 2006a).

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Organisationsstruktur 213

Beirat In beratender Funktion für den Vorstand ist über die Arbeitskreise hinaus der Beirat tätig.

„Beirat, [...] ganz banal hört sich das ja an, aber das ist bei uns was ganz wichtiges. Das sind nämlich die Landesvorsitzenden, die zusammen mit dem Bundesvorstand tagen und die neben den Hauptversammlungen das wichtigste Gremium dazwischen sind“.454

Er setzt sich aus den Vorsitzenden der14 Landesverbänden oder deren Stellver-tretern zusammen. An den mindestens zwei Mal jährlich stattfindenden Beirats-sitzungen nimmt der Bundesvorstand teil, ist jedoch nicht stimmberechtigt. Die Beiratsmitglieder beraten den Vorstand zu allen grundsätzlich für den Verband bedeutsamen Fragen und sind Teil der Großen Tarifkommission. Er kann Be-schlüsse fassen, die vom Vorstand umzusetzen sind. Des Weiteren fungiert der Beirat als Kontrollinstanz gegenüber den Tätigkeiten der autonomen Landesver-bände. In dieser Funktion kann er diese direkt betreffende Beschlüsse fällen, sofern deren Funktionsfähigkeit gefährdet ist oder diese die Interessen oder das Ansehen des Marburger Bundes beschädigen (vgl. Marburger Bund 2007d: §9). Da alle Landesvorsitzenden dem Beirat angehören wird dieser für die Aggregati-on unterschiedlicher Interessenlagen der Landesverbände genutzt. Es würden „Probleme herauskristallisiert und gelöst.“455 Darüber hinaus dient der Beirat zur Vermittlung zwischen Landes- und Bundesebene. So betont ein Landesver-bandsvertreter: „Sehr wichtig als Koordinationsgremium ist der Beirat. Hier bringen die Landesverbände ihre Interessen in den Bundesverband ein.“456 Hauptgeschäftsführung Die laufenden Geschäfte des Verbands liegen in der Hand der Geschäftsführung. Die Satzung des Bundesverbandes (§10 Abs. 4) legt fest: „Der Vorstand bedient sich zur Erfüllung seiner Aufgaben einer Geschäftsstelle und bestellt deren hauptamtliche Mitarbeiter“ (Marburger Bund 2007d). Der Hauptgeschäftsführer und die Mitarbeiter der Geschäftsstelle stehen funktional im Dienste des ehren-amtlichen Vorstandes. Neben den geschäftsführenden Verwaltungs- und Organi-sationstätigkeiten ist es Aufgabe des Hauptgeschäftsführers, den Vorsitzenden zu vertreten. Dabei könne die Geschäftsführung keine „separate, quasi eigenständi-ge Politik [...] fahren, sondern [muss] [...] immer schauen, wie die Ausrichtung [des Vorsitzenden; d. Verf.] ist.“457 Dies bedürfe einer ständigen Abstimmung zwischen dem Vorsitzenden und dem Hauptgeschäftsführer. So seien neben 454 Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. 455 Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt. 456 Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt. 457 Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt.

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214 Marburger Bund: Historie und Struktur

regelmäßigen Sitzungen tägliche Telefonate erforderlich.458 Da die Geschäftsfüh-rung den gesamten operationalen Teil der Verbandsaufgaben übernimmt, ist sie entsprechend der Aufgabenfelder strukturiert. Die vielfältigen Aufgaben des Verbandes, die sich inhaltlich auf Vorstandsebene in den Arbeitskreisen wider-spiegeln, finden ihren funktionalen Ausdruck auf der Geschäftsführungsebene, die in sieben Fachreferate unterteilt ist: Gesundheits- und Berufspolitik, Recht, Personal/ Finanzen/ Verwaltung, Tarifpolitik, Krankenhauspolitik, Verbands-kommunikation sowie Auslandsreferat.

Zu den konkreten Aufgaben der Geschäftsführung gehört es, Themen, die in den Gremien oder auf Sitzungen behandelt werden, zu bearbeiten und Vor-standsbeschlüsse vor- und nachzubereiten:459

„[...] da geht es dann darum, die Beschlüsse abzustimmen, die Alternativen abzuwägen und nachher die Sprachregelung zu finden. [...] man muss die Dinge sehr stark vordiskutieren. Da ist es natürlich auch immer die Aufgabe des Hauptgeschäftsführers mögliche Perspektiven, die sich auftun könnten aus einer Entscheidung die ansteht, abzuwägen.“460

Dafür nutzt der Hauptgeschäftsführer die Expertise der Fachreferate und ihrer Geschäftsführer sowie die der Landesverbände. Mit deren Geschäftsführern finden regelmäßig Treffen in Form von Geschäftsführerkonferenz statt. Diese werden ebenso genutzt, um Positionen zu klären und abzustimmen. Unterschied-liche Interessen oder Konflikte zwischen den Landesverbänden können so ausge-räumt werden, bevor sie zu Konfrontationen in der Mitgliedschaft führen, die dann möglicherweise in der Hauptversammlung ausgetragen würden.461

Wenn die vielfältigen Aufgaben der Geschäftsführung und die Bedeutung des Marburger Bunds in Rechnung gestellt werden, scheint der hauptamtliche Apparat auf Bundesebene mit weniger als 30 Hauptamtlichen „ein relativ kleiner Club“ zu sein.462 Dies wird umso offensichtlicher, wenn die Verteilung des hauptamtlichen Personals auf Bundes- und Landesebene gegenübergestellt wird. So beschäftigt allein der Landesverband Baden-Württemberg 13 hauptamtliche

458 „[Vertreten] was der Vorsitzende vertritt [...] immer dann, wenn er das nicht will. [...] Wenn der Vorsitzende sagt, ich besetze dieses Thema, besetzt er dieses Thema“ (Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt.). 459 „Wir [...] ziehen dann diese Geschichten immer wieder zusammen und in der Vorbereitung dann auf Gremiensitzungen, [...] werden dann die einzelnen Themen zusammengefasst und aufgearbeitet, vorgestellt, damit der Vorstand nur noch Beschlüsse fast. [...] wir machen also Vorbereitung vor Beschlüssen und Nachbereitung von Beschlüssen“ (Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesver-band, Hauptamt.). 460 Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. 461 Vgl. Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. 462 Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt.

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Organisationsstruktur 215

Mitarbeiter.463 Hierin wird erneut die Eigenständigkeit der Landesverbände deut-lich. Zum einen verfügen sie über den Großteil der Mitgliedsbeiträge und haben damit die entsprechenden Ressourcen, sich einen hauptamtlichen Apparat zu leisten. Zum anderen benötigen sie diesen wegen ihrer eigenständigen Tarifzu-ständigkeit auf Landesebene und der angebotenen Rechtsberatung. Gut aufge-stellt sind aber nicht nur die großen Landesverbände. Der kleinere Hessische Landesverband etwa verfügt über 11 hauptamtliche Mitarbeiter.464 Gleichzeitig lässt sich am Beispiel des Hessischen Verbands aufzeigen, welchen Stellenwert das Ehrenamt innerhalb des Marburger Bunds besitzt. Auf der Webseite des Landesverbandes werden insgesamt 428 Mitglieder namentlich als ehrenamtlich Aktive aufgeführt (vgl. Marburger Bund LV Hessen o.J.a). Diese große Zahl an Ehrenamtlichen legt nahe, deren Bedeutung für den Verband und Verhältnis zu den Hauptamtlichen zu hinterfragen.

Verhältnis von Haupt- und Ehrenamt Der viele Jahrzehnte gültige Dreiklang Ausbildung – Weiterbildung – Niederlas-sung, der den Arztberuf nachhaltig prägte,465 schlägt sich innerhalb der Organisa-tionsstruktur des MB nieder. Die zumeist nur vorübergehende Anstellung als Krankenhausarzt begrenzte die Verweildauer der Ärzte im Marburger Bund. Dieser Umstand erschwert es, Funktionsträger anzuwerben und auszubilden, wie Frank Ulrich Montgomery466 verdeutlicht:

„Die Tatsache, dass viele den Marburger Bund oder das Krankenhaus nur als Durchlauferhitzer betrachten, um sich dann sich niederzulassen, führt dazu, dass die durchschnittliche Verweil-dauer eines solchen Mitgliedes bei uns nur so in der Dimension von sechs, sieben Jahren liegt. Das ist zu wenig, um Funktionäre auszubilden.“

Dies trifft verstärkt auf die Assistenzärzte zu. Diese über Ämter in die Organisa-tion zu integrieren ist eigentlich nicht möglich. Zunächst ist die Zugehörigkeit zu dieser Hierarchiegruppe zeitlich auf die Dauer der ärztlichen Weiterbildung im Krankenhaus beschränkt. Hinzu kommt, dass sich die Assistenzärzte auf ihren Facharztabschluss konzentrieren. Aufgrund der generell überdurchschnittlich langen Arbeitszeiten bleibt auch bei vielen anderen Krankenhausärzten neben

463 Geschäftsführerin, stellv. Geschäftsführer, 6 Juristen (davon 2 Halbtagsstellen), 5 Sekretärinnen (davon eine 1/3 eine 50 und eine 30 Prozentstelle) (vgl. Interview MB (14) vom 26.07.2011, Landes-verband, Hauptamt). 464 Geschäftsführer und stellv. Geschäftsführer, beide Fachanwälte für Arbeitsrecht, drei Verbandsju-ristinnen (Fachanwältinnen für Arbeitsrecht), drei Sekretärinnen und drei Mitarbeiterinnen in der Mitgliederverwaltung (vgl. Marburger Bund LV Hessen o.J.c). 465 Für die Auswirkungen dieses Dreiklangs auf die Wahrnehmung des Arbeitsplatzes Krankenhaus und die dort herrschenden Arbeitsbedingungen (vgl. Kapitel 3.2.2). 466 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt.

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216 Marburger Bund: Historie und Struktur

der Arbeit kaum Zeit und nur eine geringe Motivation, um sich ehrenamtlich zu engagieren.467 Der Marburger Bund ist jedoch auf das Engagement von Ehren-amtlichen angewiesen.

„Ehrenamt statt Hauptamt“468 gilt für alle Bereiche mit Ausnahme der Ge-schäftsführer und Juristen. Es gibt eine „strikte Trennung zwischen Hauptamt und Ehrenamt“, „das Hauptamt [hat] Beratungsfunktionen und ist mit wenigen Ausnahmen nicht in Entscheidungspositionen.“469 Diese von einem Bezirksvor-stand als „dualistisches System“470 bezeichnete Ehrenamtlichkeit aller Funkti-onsträger habe den Vorteil der „Unabhängigkeit von Mitgliederbeiträgen und Organisationsbeihilfen durch staatliche Stellen“.471 Darüber hinaus wird die große Mitgliederorientierung hervorgehoben: „Wir wollen keine Hauptamtli-chen, abgehoben von der Basis. Man kriegt mehr mit wenn man ehrenamtlich arbeitet und ist unabhängiger.“471 Gleichwohl beinhaltet der ehrenamtliche Ver-bandscharakter nicht nur Vorteile, sondern birgt auch Gefahren. Haupt- und Ehrenamt können in Konflikt geraten. Dem ehrenamtlichen Vorstand ist be-wusst, dass er sich auf die hauptamtlichen Mitarbeiter und deren Loyalität ver-lassen können und dementsprechend handeln muss. So wird etwa von hauptamt-licher Seite darauf verwiesen,

„[...] dass eben dieses politische Gremium Vorstand ein Wahlamt ist [...] und dadurch die Not-wendigkeit besteht, eigentlich eine Kontinuität auf hauptamtlicher Ebene sicherzustellen. Und diese Kontinuität wird also im Wesentlichen durch die Geschäftsführer der einzelnen Bereiche [...] sichergestellt.“472

Die gegenseitige Angewiesenheit von Haupt- und Ehrenamt gilt für die Bundes- wie für die Landesebene. Aus ehrenamtlicher Perspektive kann dies durchaus zu Problemen führen:

467 Selbst bei Ärzten, die eine ehrenamtliche Tätigkeit beispielsweise als Betriebsrat übernehmen, ist festzustellen, dass sie sich in erster Linie als Arzt, als Vertreter der Ärzte und erst zuletzt als Vertreter des Marburger Bundes sehen (vgl. Interview MB (1) vom 23.04.2008, Bezirksverband, Ehrenamt). 468 Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt. 469 Interview MB (7) vom 29.07.2009, Landesverband, Hauptamt. „Die haben beratende Aufgaben und können nichts beschließen. Ausnahme ist das Stimmrecht in den Tarifkommissionen“ (Interview MB (8) vom 28.09.2009). 470 Die Trennung in ausschließlich ehrenamtlich besetzte Ämter/ Funktionsträger und hauptamtliches, administratives Personal sei in Deutschland eher im Arbeitgeber- als im Gewerkschaftsbereich vorzufinden (vgl. Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt). 471 Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt. 472 Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt.

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Organisationsstruktur 217

„Wir haben in vielen Landesverbänden das Problem, dass die Kontinuität gesichert wird durch sehr starke und dort sehr lang verankerte Geschäftsführer und die Ehrenamtler holen sich sozu-sagen ihre Informationen von denen. Und wenn sie in einem sehr großen Landesverband je-manden haben, der ein ausgesprochenes Machtgepränge braucht, dann haben sie manchmal [selbst als Vorsitzender des Bundesverbandes; d. Verf.] Schwierigkeiten.“473

Diese potenziellen Konflikte zwischen Haupt- und Ehrenamt, mehr noch aber zwischen Landesverbänden und Bundesverband, werden kaum in den Hauptver-sammlungen ausgetragen. Dies ist der konsequenten Einbindung aller relevanten Landesakteure in die vorgelagerten Organe, Gremien und Sitzungen geschuldet. Hauptversammlung Die Hauptversammlung ist das höchste beschlussfassende Organ des Marburger Bundes.

„Die Hauptversammlung entscheidet in allen Verbandsangelegenheiten, soweit nicht die aus-schließliche Zuständigkeit eines anderen Verbandsgremiums gegeben ist; sie bestimmt die Richtlinien der Verbands- und der Tarifpolitik“ (Marburger Bund 2007d: §8 Abs. 5).

Die von der Hauptversammlung getroffenen Beschlüsse besitzen für alle Lan-desverbände verbindliche Wirkung (vgl. ebd.). Diese können über die von ihnen entsandten Delegierten ihre Interessen einbringen. Theoretisch sind die großen Landesverbände bei der Interessendurchsetzung im Vorteil. Ihr Einfluss ist grö-ßer,474 weil die Zahl der Delegierten proportionale zum Mitgliederstand zu-nimmt.475 Um ihre eigenen Anliegen geltend machen zu können, müssen kleinere daher immer „ein oder zwei große Landesverbände gewinnen, um etwas durch-zusetzen.“476 Kooperationen auf der Landesebene sind themenabhängig. „Es gibt keine festen Koalitionen.“477 Auf den Hauptversammlungen kommt es selten zu offenen Auseinandersetzungen unter den Landesverbänden. Ersten unterscheiden sich deren Interessen zumeist eher in Detailfragen und nicht grundsätzlich. Zwei-tens dienen Beiratssitzungen, Sitzungen der Großen Tarifkommission oder Ge- 473 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 474 Vgl. Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 475 Momentan entsendet jeder Landesverband für jeweils 400 Mitglieder einen Delegierten. 476 Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 477 Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. Andererseits heißt es, manche Landesverbände betrieben „echtes Powerplaying. Und da sind auch Leute am Ruder, die das ausnutzen. Und wenn Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg sich zusammentun, dann haben die fast eine Zweidrittelmehrheit und können alle Plätze besetzen. [...] Aber in den Gremien darf man nicht immer nur allein die Machtposition sehen, man muss auch den Proporz beachten und man muss den Kleinen eine Chance geben. Aber der Landes-verband [...] macht leider - und da ist eigentlich mehr ein schwacher Vorsitzender und ein starker Geschäftsführer das Problem - ein Powerplay, was alle anderen verprellt“ (Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt).

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218 Marburger Bund: Historie und Struktur

schäftsführerrunden im Vorfeld der Hauptversammlung dazu, Streitpunkte zwi-schen den Landesgliederungen vorab zu klären.478 Die Satzung schreibt vor, dass vom Vorstand mindestens einmal jährlich eine Hauptversammlung einzuberufen ist (vgl. Marburger Bund 2007d: §8 Abs. 2). Es hat sich jedoch etabliert, zwei Hauptversammlungen abzuhalten. Die erste findet im Frühjahr (Mai) insbesondere zur Vorbereitung auf den Deutschen Ärz-tetag statt.479 Im Herbst (November) folgen dann „die Gremiensitzungen im engeren Sinne“, deren Agenda von organisatorischen Notwendigkeiten (wie die Diskussion und Verabschiedung des Haushalts oder Wahlen) bestimmt wird.480 Neben der Aufgabe thematische, inhaltliche Beschlüsse zu fassen, obliegen der Hauptversammlung satzungsrechtlich weitere Entscheidungsbefugnisse. Sie legt Satzungsfragen, Streik-, Schieds- und Geschäftsordnung, den Haushalt sowie damit zusammenhängend die Höhe des von den Landesverbänden abzuführenden Mitgliedsbeitragsanteils fest. Die Hauptversammlung wählt außerdem den Vor-stand, die Kassenprüfer, den Schiedsausschusses und 15 Mitglieder der Kleinen Tarifkommission (Marburger Bund 2007d: §8 Abs. 6, 7). Tarifkommission Die tarifpolitische Arbeit des Marburger Bundes verteilt sich auf mehrere Gre-mien. Auf Bundeseben existieren die Kleine sowie die Große Tarifkommission. Zusätzlich gibt es in den einzelnen Landesverbänden Tarifkommissionen, die Haustarife mit einzelnen Krankenhäusern oder Klinikketten aushandeln. In den letzten Jahren hat die Tarifpolitik in der Verbandsarbeit und mit ihr die Tarif-kommission an Bedeutung gewonnen.

„Die Tarifkommission wurde erweitert und auch Ärzte sitzen jetzt in der Verhandlungskom-mission. Es gab auch eine Aufstockung der Mitglieder, die sich mit Tarifarbeit beschäfti-gen.“481

Die Tarifkommissionen haben sich im Zuge der Vergewerkschaftung des Mar-burger Bundes stark verändert. Zunächst sind die auf Länderebene angesiedelten Kommissionen neu hinzugekommen. Vor allem aber wurde die Bundestarif-kommission personell aufgestockt. Die Kleine Tarifkommission (KTK) bestand bis zur letzten Satzungsänderung auf der 111. Hauptversammlung am

478 Dies zeigte beispielsweise der Verlauf des frühzeitigen Versuchs des Baden-Württembergischen Landesverbandes, die Trennung von ver.di anzustoßen (vgl. Kapitel 5.1.2). 479 Die letzte Abweichung von diesem Turnus war die auf den 10. September 2005 vorgezogene 108. Hauptversammlung, auf der sich der Verband von ver.di trennte und einen arztspezifischen Tarifver-trag forderte (vgl. Marburger Bund 2005b). 480 Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. 481 Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Hauptamt.

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Organisationsstruktur 219

14.05.2007 (Beschluss Nr. 8) aus 13 Personen, die auf drei Jahre zu wählen wa-ren. Der Vorsitzenden (aus der Mitte des Bundesvorstandes) und zwei weiteren Kommissionsmitgliedern, darunter mindestens ein Mitarbeiter der Hauptge-schäftsführung des Bundesverbandes, sind vom Bundesvorstand zu bestellen. Hinzu kamen zehn von der Hauptversammlung aus der Mitgliedschaft und dem Personal zu wählende Personen (vgl. Marburger Bund 2006c: §12). Mit der letz-ten Satzungsänderung wurde deren Anzahl auf fünfzehn erhöht. Nicht zuletzt um, vor dem Hintergrund des neuen Stellenwerts der eigenständigen Tarifpolitik, die unterschiedlichen Tarif- und Krankenhausträgerbereiche in der Kommission besser abbilden zu können.482

Die Zusammensetzung der Kleinen Tarifkommission, bezogen auf das Ver-hältnis von ehrenamtlichen Ärzten und hauptamtlichem Personal, ist daher maß-geblich abhängig von der Wahlentscheidung der Delegierten auf der Hauptver-sammlung und somit demokratisch legitimiert. Bis zur Satzungsänderung waren unter den zehn gewählten Mitgliedern vier Juristen. Hinzu kam der vom Bun-desvorstand bestellte Mitarbeiter. Insgesamt waren damit fünf von 13 Kommis-sionsmitgliedern Hauptamtliche. Von einer Dominanz Hauptamtlicher oder Ju-risten konnte daher auch zu Beginn der Transformation nicht gesprochen wer-den.483 Die vertretenen Juristen seien ebenfalls gewählt und gestalten aufgrund ihres Sachverstandes mit.484 Im Zuge der Aufstockung auf 18 Mitglieder und dem mit der eigenständigen Tarifpolitik stärkeren Interesse der Ärzte an der Tarifarbeit, hat sich deren Stellenwert in der Kleinen Tarifkommission gestärkt. Aktuell sind vom Bundesvorstand zwei Ärzte und der hauptamtliche Leiter des Tarifsekretariats in die KTK bestellt. Die weiteren 15 Kommissionsmitglieder wurden von der Hauptversammlung zuletzt am 07.09.2009 gewählt und bestehen aus 10 Ärzten und fünf Hauptamtlichen. Deren Verteilung spiegelt wiederum die Kräfteverhältnisse zwischen den Landesverbänden wider. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz entsendet fünf, Baden-Württemberg und Bayern je drei Mitglieder, Hamburg, Niedersachsen, Hessen und Sachsen jeweils ein Mitglied (vgl. Marburger Bund 2010c).

Die Einbindung der Landesverbände erfolgt dabei gleich in doppelter Hin-sicht. Denn neben der Arbeit in der Kleinen Tarifkommission, werden „grundle-gende Entscheidungen [...] immer durch die Große Tarifkommission getrof-fen.“485 In der Großen Tarifkommission (GTK) sind neben der Kleinen Tarif-kommission die Landesverbände über den Beirat eingebunden. Hinzu kommt der

482 Vgl. Interview MB (4) vom 19.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 483 Vgl. Interview MB (4) vom 19.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 484 Interview MB(6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 485 Interview MB (4) vom 19.06.2009, Landesverband, Hauptamt. Explizit zeigte sich dies auch bei der Transformation des Marburger Bundes zur Berufsgewerkschaft (vgl. Kapitel 5.1.2).

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220 Marburger Bund: Historie und Struktur

Vorstand des Bundesverbandes. Die 21 in der GTK zusätzlich vertretenden Per-sonen sind daher automatisch ehrenamtliche Ärzte (vgl. Marburger Bund 2007d: §11).486 Die Große Tarifkommission legt die Leitlinien der Tarifpolitik fest. Daher entscheidet sie grundsätzlich über Art und Höhe der tariflichen Forderun-gen, Schlichtung, Streiks und Arbeitskampfmaßnahmen sowie darüber hinaus, ob Tarifverträge abgeschlossen oder gekündigt werden. Die GTK kann jedoch fallbezogen Befugnisse an die KTK übertragen (vgl. ebd.: §11 Abs. 3; §12 Abs. 3). Für konkrete Tarifverhandlungen wird eine Verhandlungskommission aus der KTK gebildet, in die zusätzlich Ärzte aus den betroffenen Kliniken eingebunden werden. Wirkt sich ein Haustarifvertrag nur auf einen Landesverband aus ver-handelt dessen eigene Tarifkommission,487 sofern er sein Verhandlungsmandat nicht an die KTK abgibt. Sind dagegen mehrere Landesverbände von einem Kliniktarifvertrag betroffen, verhandelt eine Kommission aus der KTK unter Einbeziehung der Landestarifkommissionen.488 Die Einbindung der Landesinte-ressen folgt dem Primat der Mitgliederorientierung:

„[...] das ist bei uns ein Prozess der immer eigentlich aus den Landesverbänden, also quasi von der Mitgliedschaft aus, an uns ran kommt, weil [...] die sind unten an der Basis und die kennen die Stimmung viel mehr. Also der Marburger Bund liegt da relativ flach in der Hierarchie und hört da genau, was die Mitglieder [...] sagen.“489

4.3 Mitgliedschaft Kennzeichnend für Organisationen oder Verbänden ist, dass sie mit der Mit-gliedschaft über eine klare Definition von Zugehörigkeit verfügen. Sie definiert explizit, wann jemand Teil der Organisation ist und grenzt den Verband damit implizit von dem ab, was als Verbandsumwelt beschrieben werden kann. Wer unter welchen Voraussetzungen Mitglied im Verband werden kann, legt die Satzung fest. Für die MB-Landesverbände ist der Arztberuf das entscheidende Merkmal der Mitgliedschaft, was gleichzeitig konstituierend für den Organisati-onstyp des Berufsverbandes ist (vgl. Kapitel 1.4.1). Für die Analyse der Trans-

486 Vgl. auch Interview MB (4) vom 19.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 487 Die großen Landesverbände unterhalten eigene Tarifkommissionen. In kleinen LV übernimmt diese Funktion der Vorstand. Der größte LV NRW/ RP etwa hat eine 25-köpfige Tarifkommission. Jeweils 5 Mitglieder kommen aus Kliniken aller vier Krankenhausträgertypen (Uni-, kommunale, private und freigemeinnützige Kliniken). Hinzu kommen 5 vom Vorstand zu bestimmende Mitglie-der. 2009 waren nur zwei der 25 Mitglieder keine Ärzte (Interview MB (7) vom 29.07.2009, Landes-verband, Hauptamt). 488 Vgl. Interview MB (4) vom 19.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 489 Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt.

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Mitgliedschaft 221

formation des Marburger Bundes, ist die Mitgliedschaft aus drei Blickwinkeln von Interesse490: 1. Mitgliederentwicklung und Organisationsgrad als Macht- und Organisati-

onsressource, 2. Mitgliederstruktur, Homogenität und Heterogenität als Mobilisierungs-

sowie Integrierungsfaktoren und 3. Mitglieder als Bezugspunkt für Verbandshandel, Zieldefinition und Funkti-

onszuschreibung sowie als Träger oder Beteiligte des Transformationspro-zesses.

4.3.1 Mitgliederdefinition und -entwicklung Neben dem beruflichen Merkmal der Arzttätigkeit zählt die Art des Beschäfti-gungsverhältnisses zu den wichtigen Definitionsbestandteilen für die Organisati-onsdomäne des Verbandes. Dies wird bereits am Namen Marburger Bund – Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands deut-lich. Entsprechend umfassend werden die Kriterien der Mitgliedschaft in den Satzungen der Landesverbände (hier beispielhaft für Hessen) geregelt:

„Ordentliches Mitglied kann werden jeder Arzt oder Ärztin, der/die im Bereich des Landesver-bandes in einem Anstellungs- oder Beamtenverhältnis beschäftigt ist oder eine solche Beschäf-tigung anstrebt, ferner Studierende der Medizin nach Ablegen der ärztlichen Vorprüfung und Angestellte und Beamte mit abgeschlossener Hochschulausbildung in einer Ärzten vergleich-baren Stellung an Krankenanstalten, Instituten und ähnlichen Einrichtungen, sofern dort auch Ärzte tätig sind. Mitglieder, die berentet oder pensioniert werden, behalten grundsätzlich den Status eines ordentlichen Mitglieds bei, sind jedoch nicht in Verbandsorgane wählbar, in denen gewerkschaftliche Aufgaben wahrgenommen werden“ (Marburger Bund LV Hessen 2001: §3 Abs. 2).

In der Praxis führt die Beschränkung der Mitgliedschaft auf angestellte und be-amtete Ärzte aufgrund der Arbeitsmarktstruktur abhängig beschäftigter Medizi-ner dazu, dass der Marburger Bund als Interessenvertretung der Krankhausärzte wahrgenommen wird.491 Die überwiegende Mehrheit der angestellten Mediziner ist in Kliniken tätig, darüber hinaus finden sich einige wenige Ärzte in Behörden

490 Auf die berufliche Arbeitsmarkt- und Arbeitsplatzmacht wurde bereits eingegangen (vgl. Kapitel 2.4; 3) 491 Die Beschränkung der Mitgliedschaft auf Ärzte in abhängiger Beschäftigung ist historisch ge-wachsen (vgl. Kapitel 4.1). Sie ist nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen von niedergelassenen (Selbstständigen) und angestellten Ärzten bedeutsam. Sie ist darüber hinaus eine Grundvoraussetzung für die Tariffähigkeit und damit den Gewerkschaftsstatus (vgl. das folgende Kapitel 4.3.2 zur Mitgliederstruktur).

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222 Marburger Bund: Historie und Struktur

und anderen Institutionen.492 Vergleichsweise neu ist die Beschäftigung von Ärzten in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ). Mit 6.534 ange-stellten Ärzten im 2. Quartal 2010 beschäftigen diese bisher nur eine Minderheit der Ärzteschaft. Seit 2006 stieg die Zahl der MVZ-Ärzte jedoch um 680 Prozent oder 960 Ärzte (vgl. KBV 2010). Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass das Beschäftigungsverhältnis MVZ künftig auch im Marburger Bund an Bedeutung gewinnen könnte. Wenn der Trend anhält, werden schon 2012/ 2013 mehr als 10.000 und 2016 mehr als 20.000 angestellte Ärzte in MVZ arbeiten.493 Bei die-sen Zahlen ist zu berücksichtigen, dass 2009 mehr als ein Drittel (38,5 Prozent) aller MVZ in Trägerschaft eines Krankenhauses waren (ebd.). Zugleich gaben 2008 in einer Untersuchung 79 Prozent der krankenhausgetragenen MVZ an, dass sie die Möglichkeit einer gleichzeitigen Anstellung eines MVZ-Arztes im Krankenhaus494 nutzten (KBV 2009: 23f.). Es bleibt daher sowohl die Frage offen, wie groß das Mitgliederpotenzial der neu eingeführten MVZ für den Mar-burger Bund ist, als auch inwieweit ihm eine tarifpolitische Vertretung der dort angestellten Ärzte gelingen kann (vgl. Kapitel 4.4.3; Reschke 2010: 159f.). Bis-lang wird der Marburger Bund jedoch öffentlich als Krankenhausärztegewerk-schaft wahrgenommen. Für die Verbandsarbeit bedeutet der Stellenwert der Kliniken als Arbeitsplatz, dass diese sich maßgeblich an den Interessen der Krankenhausärzte, insbesondere den Arbeits- und Entlohnungsbedingungen, orientiert.

Die nach der Wiedervereinigung stark wachsenden, in den letzten Jahren re-lativ stabilen Mitgliederzahlen des Marburger Bundes belegen, dass dieser in seiner Organisationsdomäne als relevanter Akteur wahrgenommen wird. Dem Verband gelang es demnach bereits vor seiner Anerkennung als eigenständige Gewerkschaft, kontinuierlich Mitglieder zu gewinnen. Die Wiedervereinigung brachte einen Zuwachs in Höhe von 10,6 Prozent mit sich.495 Dieser konnte, nicht zuletzt aufgrund des nachhaltigen Organisationsaufbaus in Ostdeutschland (vgl. Kapitel 4.1.3), in den folgenden Jahren gehalten werden. Zu Beginn der 1990er-Jahre korrespondierte die Mitgliederentwicklung mit den steigenden Ärztezahlen im Krankenhaus und schlug sich in einem konstanten Netto-Organisationsgrad von knapp 37 Prozent nieder. Bereits 1997 konnte jedoch ein

492 Die Statistik der Bundesärztekammer (2011c: Tab. 2) nennt neben den 163.632 stationär tätigen Mediziner weitere 9.684 Ärzte in „Behörden, Körperschaften u.a.“, 18.822 in „sonstigen Bereichen“ und 16.776 angestellte Ärzte im ambulanten Bereich. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (2010) zählte im 2. Quartal 2010 insgesamt 6.534 angestellte Ärzte in Medizinischen Versorgungszentren. 493 Eigene Hochrechnung auf Basis einer polynomischen Trendanalyse der ersten Quartale 2006 bis 2010. 494 Insgesamt nutzten 41,6 Prozent aller MVZ diese Möglichkeit. 495 Die Wiedervereinigung 1990 beendet auch den leichten Mitgliederrückgang der drei Vorjahre von insgesamt 5,6 Prozent.

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Mitgliedschaft 223

Mitgliederzuwachs verzeichnet werden, der die Entwicklung der Ärztezahl über-traf. Es gelang dem Marburger Bund bis 2004 seinen Organisationsgrad auf 45,9 Prozent zu steigern.496 Der Brutto-Organisationsgrad lag mit 49,7 Prozent 1992 und einer Steigerung auf 62 Prozent im Jahr 2004 weit über dieser Schätzung. Damit verfügte der Verband zu dem Zeitpunkt, als die Diskussionen um eine Abspaltung von ver.di und die Forderung nach einem arztspezifischen Tarifver-trag begannen, bereits über eine stabile Organisationsbasis. Der Großteil der nicht dem Marburger Bund angehörenden Krankenhausärzte war nicht Mitglied bei ver.di, sondern unorganisiert. Abbildung 13: Mitgliederentwicklung und Organisationsgrad des Marburger

Bundes (1963–2012)

* Zum 31.12. des Vorjahres; bis 1991 Ärztestatistik der BÄK, ab 1992 Statistisches Bundesamt. Quellen: Marburger Bund; Deutsches Ärzteblatt 2012; Statistisches Bundesamt 2011b: 11, Tab. 1.2;

Ärztestatistik der BÄK n. Gerst 1997:220; Eigene Darstellung und Berechnung.

Im Zuge des 2005 beginnenden Tarifkonfliktes mit TdL und VKA konnte der Verband mit 11,4 Prozent den prozentual höchsten Mitgliederzuwachs seit Ende der 1970er-Jahre verzeichnen. Die größte Beitrittswelle dürfte dabei unmittelbar im Anschluss an die Aufkündigung der Tarifkooperation mit ver.di und die Ab-lehnung des TVöD im September 2005 erfolgt sein.497 Die erfolgreiche Trans- 496 Bei diesen Zahlen handelt es sich um eigene, niedrige Schätzungen auf Basis der aktuellen Mit-gliederstruktur einzelner Landesverbände. Für die Grundlagen der Berechnung des Netto-Organisationsgrades siehe das folgende Kapitel 4.3.2 zur Mitgliederstruktur. 497 Als Beispiel für die Beitrittsdynamik seien Zahlen des Baden-Württembergischen Landesverban-des angeführt. Während von Januar bis August 2005 die Zahlen der Direktbeitritte (eigenständige

0510152025303540455055606570758085

010.00020.00030.00040.00050.00060.00070.00080.00090.000

100.000110.000120.000130.000140.000150.000160.000170.000

1963

1966

1967

1968

1971

1973

1976

1978

1979

1980

1981

1982

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Org

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%Mitglieder Ärztlicher Dienst KH* OG (Brutto) OG (Netto)

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224 Marburger Bund: Historie und Struktur

formation zur Berufsgewerkschaft und die ersten eigenständigen Tarifverträge führten in den folgenden beiden Jahren zu anhaltend großen Mitgliederzugewin-nen von über 10 Prozent jährlich. Die leichten Rückgänge in der Mitgliederzahl nach Ende der Streikaktionen und erfolgreich abgeschlossenen Tarifverträgen (2008 und 2009) konnten in den folgenden Jahren wieder ausgeglichen werden. 2012 wies die Ärztegewerkschaft mit 110.305 Mitgliedern einen geschätzten Brutto-Organisationsgrad von etwa 72 Prozent und einen Netto-Organisationsgrad von über 53 Prozent vor. Diese Werte werden nur von der Vereinigung Cockpit als Berufsgewerkschaft der Piloten mit etwa 90 Prozent (Brutto) übertroffen (vgl. Greef 2009: 67).498

Relevanz der Organisationsfähigkeit für die Gelegenheitsstruktur Der hohe Organisationsgrad des Marburger Bundes zeugt von einer verbandshis-torisch kontinuierlichen Organisationsfähigkeit und belegt eine funktionierende Mitgliedergewinnungsstrategie. Zu dieser gehören Universitätskampagnen, um die Ärzte bereits im Studium für den Verband zu gewinnen. Zur Strategie gehö-ren ebenso die Höhe und Ausgestaltung der Mitgliedsbeiträge. Die Beitragshöhe ist, verglichen mit dem Standardsatz der DGB-Gewerkschaften von einem Pro-zent des Bruttomonatslohns, verhältnismäßig gering (vgl. Kapitel 4.2.1). Da-durch sind die finanziellen Möglichkeiten der Ärztegewerkschaft einerseits be-grenzt, wenn es zum Beispiel darum geht, eine Streikkasse aufzubauen. Anderer-seits sinkt unter Rationalitätsgesichtspunkten mit einem niedrigen Beitrag die Beitrittsschwelle, was sich positiv auf den Organisationsgrad auswirken kann.

Der Organisationsgrad wiederum ist eine maßgebliche Variable für das Durchsetzungs- und Machtpotenzial des Verbandes. Die berufliche Arbeits-markt- und Arbeitsplatzmacht der Ärzte allein ist noch keine ausreichende Be-dingung für eine verbandliche Vetoposition. Diese wird erst erreicht, wenn es der Organisation gelingt, die Primärmacht ihrer Mitglieder in Verbandsmacht zu überführen. Dafür ist, neben einem hohen Organisationsgrad, Mobilisationsfä-

Rücksendung der Beitrittskarten an Landes- und Bundesverband) im Durchschnitt bei 63 im Monat lagen, erfolgten im September 2005 2.013 Direktbeitritte und in den restlichen drei Monaten des Jahres noch einmal 1.305 Beitritte. In den ersten Monaten des Jahres 2006 lagen die monatlichen Beitritte dann im niedrigen dreistelligen Bereich. Sie stiegen jedoch mit dem erfolgreichen Tarifab-schluss mit der TdL im Juni/Juli wieder auf 350. Ab August 2006 pendelten sie sich schließlich wieder auf den Stand vor September 2005 ein (Quelle: Statistik der Mitgliederentwicklung 2005/2006, Direktbeitritte LV + BV im Landesverband Baden-Württemberg). 498 Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer liegt zwar mit einem Brutto-Organisationsgrad von knapp 80 Prozent bei den Lokführern über dem Organisationsgrad des Marburger Bundes, bezogen auf ihre Organisationsdomäne, die das gesamte Fahrpersonal einschließt, liegt der Brutto-Organisationsgrad der GDL aber bei 61 Prozent (vgl. Schroeder et al. 2011: 79). Durch den hohen Anteil von pensionierten Mitgliedern dürfte der Netto-Organisationsgrad noch einmal deutlich nied-riger ausfallen.

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Mitgliedschaft 225

higkeit erforderlich. Die in Form der Mitglieder vorhandenen Ressourcen kann der Verband nur nutzen, wenn diese im Bedarfsfall für Demonstrationen, Streiks und andere Aktionen motiviert und mobilisiert werden können. Für die Frage nach der Mobilisierungsfähigkeit ist nicht zuletzt die Mitgliederstruktur bedeut-sam. Sie gibt Aufschluss über die Heterogenität oder Homogenität innerhalb des Verbandes und wirkt sie sich auf Repräsentativität, Strukturen, Ziele, Funktionen und damit auf das Verbandsprofil aus.

4.3.2 Mitgliederstruktur Der Marburger Bund erscheint in seiner Mitgliederstruktur als ein junger Ver-band. Damit wird die Organisation heute noch dem historisch begründeten Bild eines Jungärzte- oder Assistenzärzteverbandes gerecht (vgl. Kapitel 4.1.2). Zu-gleich erklärt sich aus der Mitgliederstruktur der Unterschied zwischen dessen Brutto- und Netto-Organisationsgrad. Hauptgrund dafür, dass sich diese unter-scheiden, ist der Anteil an Studierenden an der Gesamtmitgliedschaft. In der großen Studierendenzahl drückt sich die erfolgreiche Mitgliedergewinnung an den Universitäten in den letzten Jahren aus. Ein weiterer Grund für den niedrige-ren Netto-Organisationsgrad sind die noch nicht approbierten Ärzte im prakti-schen Jahr sowie die Rentner und Pensionäre in der Mitgliedschaft. Stationär berufstätige Mitglieder Da der Marburger Bund keine Zahlen für die Gesamtmitgliedschaft herausgibt, wird für die Darstellung im Folgenden auf die Daten der 2010 erfolgten Mitglie-derbefragung499 des Bundesverbandes und die vorliegenden Daten des bayri-schen Landesverbandes500 aus dem selben Jahr zurückgegriffen (vgl. IQME 2011; Marburger Bund LV Bayern 2011). Aus dem angegebene Rücklauf der Mitgliederbefragung ergibt sich, dass etwa 80.000 der 110.000 MB-Mitglieder als angestellte oder beamtete Ärzte beschäftigt sind. Dies entspricht einem Anteil von 72 Prozent der Mitgliedschaft. Dieser Wert korrespondiert mit denjenigen aus Bayern für das Jahr 2010. Der bayrische Landesverband gibt an, dass 74 Prozent seiner Mitglieder Ärzte, 13,6 Prozent Studenten, 4,1 Prozent nicht ap-probierte Ärzte im praktischen Jahr und 3,9 Prozent älter als 65 Jahre sind (vgl. Marburger Bund LV Bayern 2011). Unter Berücksichtigung dieser Daten lag der Netto-Organisationsgrad des Marburger Bundes 2012 bei etwa 53 Prozent (vgl. Abbildung 13).

499 Es handelt sich hierbei um eine postalische Erhebung. Fragebogen und Freiumschlag lagen Mitte September 2010 einer Ausgabe der Marburger Bund Zeitung bei. Die Auswertung basiert auf 12.096 gültige Fragebögen von beitragspflichtigen, berufstätigen Mitgliedern. 500 Er ist mit 19.073 Mitgliedern im Jahr 2010 der zweitgrößte Landesverband.

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226 Marburger Bund: Historie und Struktur

Für die berufstätigen Mitglieder ergibt sich aus der Befragung folgende Struktur: Mit einem Anteil von 41 Prozent Ärztinnen und 59 Prozent Ärzten in seiner Mitgliedschaft liegt der Marburger Bund in der Geschlechterverteilung im Rah-men der im Krankenhaus tatsächlich vorzufindenden Verteilung von 43,8 zu 56,2 Prozent (2010) (vgl. IQME 2011: 6; Statistisches Bundesamt 2011b: 40, Tab. 2.5.3.1). Tabelle 19: Altersstruktur Marburger Bund und Ärzteschaft (2010) Marburger Bund 2010 Krankenhäuserärzte 12/2010 30 und jünger 10 34 und jünger 32,2 31-40 38 35-39 16,9 41-50 31 40-49 29,0 51-60 18 50-59 16,9 60+ 2 60-65 4,5

65+ 0,6 Median 41,4 Durchschnitt 41,1

Quellen: IQME 2011: 8; Bundesärztekammer 2010d: Tab. 7; Eigene Berechnungen. Ebenfalls in weiten Teilen repräsentativ501 ist die Altersstruktur (vgl. Tabelle 19)502: 30 Jahre oder jünger sind 10 Prozent der Mitgliedschaft, 38 Prozent der Mitglieder sind zwischen 31 und 40 Jahre. Zwischen 41 und 50 Jahre alt sind 31 Prozent, 18 Prozent 51 bis 60 Jahre und weitere 2 Prozent sind älter als 60 Jahre. Damit sind 48 Prozent der Verbandsmitglieder 40 Jahre oder jünger. Der auf dieser Datenbasis geschätzte Alters-Median von 41,4 Jahren bei den MB-Ärzten liegt auf dem Niveau des Altersdurchschnitts der Krankenhausärzte von 41,1 Jahren. Die Altersstruktur hat demnach nicht nur damit zu tun, dass der Marbur-ger Bund sich historisch als besondere Interessenvertretung der jungen Ärzte oder Assistenzärzte versteht. Vielmehr ergibt sich die vergleichsweise junge Mitgliederstruktur aus dem mehrfach erwähnten Umstand, dass die berufliche Laufbahn der Ärzte in der Regel im Krankenhaus beginnt und die Mitgliedschaft oft zeitlich begrenzt ist. Die Verschiebung der Mitgliederstruktur zwischen den ärztlichen Hierarchieebenen legt nahe, dass sich Letzteres mit der Perspektive auf eine dauerhafte Beschäftigung im Krankenhaus ändert (vgl. Tabelle 20). Der Anteil an Fach-, Ober- und Chefärzten in der MB-Mitgliedschaft hat verglichen mit den Assistenzärzten zwischen 2010 und 2007 deutlich zugenommen.

501 Ein direkter Vergleich aller Altersgruppen ist aufgrund der unterschiedlichen Intervalleinteilungen nicht möglich. 502 Beispielhaft sei hier die Altersstruktur der Gesamtmitgliedschaft des bayrischen Landesverbandes aufgeführt: 17-24 Jahre: 8,8 Prozent, 25-34 Jahre: 33,4 Prozent, 35-44 Jahre: 27,4 Prozent, 45-54 Jahre: 18 Prozent, 55-64 Jahre: 8,4 Prozent, 65 Jahre und älter: 3,9 Prozent (vgl. Marburger Bund LV Bayern 2011).

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Mitgliedschaft 227

Tabelle 20: Ärztliche Hierarchie in Marburger Bund und Krankenhaus (2007/10) Arzthierarchie (Angaben in %)

Assistenz-ärzte

Fachärzte Oberärzte Chefärzte (inkl. Stellvertreter)

Sonstige Tätigkeit503

Marburger Bund 2007 44 24 21 8 2 2010 36 27 24 10 2

Krankenhäuser 2007 46,5 23,3 21,1 9,2 2010 46,0 22,6 22,7 8,8

Quellen: IQME 2011: 10; Statistisches Bundesamt 2008a: Tab. 2.4.3.1; 2011b: 42, Tab. 2.5.3.1; Eigene Berechnungen.

Auf die Jung- oder Assistenzärzte wird, wegen ihres besonderen Stellenwerts für den Verband (vgl. Kapitel 4.3.2) und ihrer Rolle im Transformationsprozess (vgl. Kapitel 5.1), an späterer Stelle noch einmal im Detail eingegangen. Andere Mitgliedergruppen Die vom bayrischen Landesverband genannten 3,9 Prozent der Mitgliedschaft, die älter als 65 Jahre sind, deuten auf einen geringen Anteil an Rentnern in der MB-Mitgliedschaft hin. Hintergrund dafür ist nicht zuletzt, dass das Kranken-haus lange nur als Durchlauferhitzer zum Erwerb des Facharztes auf dem Weg zur Niederlassung fungiert hat (vgl. Kapitel 3.2.2). Nach einer durchschnittlich sechsjährigen Facharztausbildung ließ sich ein Großteil der Ärzte nieder und schied in der Regel aufgrund anders gelagerter Interessen aus dem Marburger Bund aus. Infolge der dargestellten Wandlungsprozesse hat sich jedoch die Per-spektiven von der Niederlassung hin zu einer Karriere im Krankenhaus verscho-ben (vgl. Kapitel 2.4). Dies wirkt sich auch auf die Mitgliederstruktur des Mar-burger Bundes aus. In den Mitgliederbefragungen 2007 und 2010 ging der Anteil der unter 41-Jährigen im Verband von 57 auf 48 Prozent zurück, während gleichzeitig der Anteil der 51 bis 60-Jährigen von 13 auf 18 Prozent anstieg (vgl. IQME 2011: 8). Diese Entwicklung beruht weniger auf Rekrutierungsproblemen oder einer nachlassenden Attraktivität des Verbandes auf die Jungärzte, sondern entspricht in Teilen der Altersstrukturentwicklung der Krankenhausärzte. Von 2006 bis 2010 sank der Anteil der unter 40-jährigen Krankenhausärzte von 49,9 auf 49,1 Prozent, während der Anteil der 50 bis 59-Jährigen von 15 auf 22 Pro-zent zunahm (vgl. Bundesärztekammer 2006b: Tab. 7, 2010d: Tab. 7).

Die Niederlassung ist über die Struktur der Mitgliedschaft hinaus in Bezug auf den Gewerkschaftsstatus von Interesse. Nicht mehr aktiv im Erwerbsleben

503 Es ist nicht ersichtlich, was unter sonstige Tätigkeiten gefasst wird. In der Befragungsauswertung von 2007 wird darauf hingewiesen, dass in die Auswertung ausschließlich angestellt und beamtet tätige MB-Mitglieder aufgenommen wurden. Die Kategorie kann damit allenfalls auf außerhalb der Krankenhäuser angestellte/beamtete Ärzte (z.B. in Behörden/ Körperschaften) hinweisen und nicht als Anteil niedergelassener Ärzte im Marburger Bund aufgefasst werden.

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228 Marburger Bund: Historie und Struktur

stehende Ärzte können weiterhin ordentliche Mitglieder im Verband bleiben. Allerdings sind diese unter Umständen nicht mehr für gewerkschaftlich tätige Gremien wählbar (siehe obiges Satzungsbeispiel des Landesverbandes Hessen). Dagegen ist der Status und Verbleib von sich niederlassenden Ärzten im Ver-band weitaus schwieriger. Im Regelfall scheiden niedergelassene Ärzte aufgrund ihrer stark veränderten Interessen – „standespolitisch drehen die sich um 180 Grad, wenn sie niedergelassen sind“ – freiwillig aus dem Marburger Bund aus.504 Dennoch besteht satzungsgemäß für sie in einigen Landesverbänden die Mög-lichkeit, weiterhin im Verband zu verbleiben. Da niedergelassene Ärzte potenzi-ell in ihrer Praxis Arbeitgeberfunktionen übernehmen, stellt sich damit für den Marburger Bund die Problematik der Gegnerfreiheit.505 Diese ist jedoch Voraus-setzung für die Gewerkschafts- und damit Tariffähigkeit.506 Deshalb versuchen die einzelnen Landesverbände das Problem zu umgehen, indem sie in ihren Sat-zungen festlegen, dass niedergelassene Ärzte nur außerordentliche Mitglieder des Verbandes sein können.507

„Es gibt zwar auch Landesverbände, die diese [außerordentliche Mitgliedschaft; d. Verf.] nicht vorsehen, es würde aber niemand auf die Idee kommen, die [niedergelassenen Ärzte; d. Verf.] zum Beispiel in eine Tarifkommission zu setzen.“508

Genauso sind diese „nicht in Vorständen vertreten, allenfalls als Kooptierte.“509 In einigen Landessatzungen, wie beim Landesverband Hessen, wurden explizite Regeln festgelegt:

„Läßt sich ein ordentliches Mitglied in eigener Praxis nieder, so geht seine ordentliche Mit-gliedschaft in eine außerordentliche Mitgliedschaft über, es sei denn, daß er selbst Arbeitgeber von Ärzten ist. In diesem Fall scheidet er als Mitglied aus“ (Marburger Bund LV Hessen 2001: §3 Abs. 4).

504 Interview MB (4) vom 02.03.2011, Bundesverband, Ehrenamt. 505 Angestellte Ärzte sind zwar typischerweise in der stationären Versorgung der Krankenhäuser eingesetzt (darüber hinaus bei Behörden oder in Medizinische Versorgungszentren). Der 107. Deut-sche Ärztetag hat jedoch durch Änderungen in seiner (Muster-)Berufsordnung (MBO) die Anstellung fachgebietsfremder Ärzte für niedergelassene Vertragsärzte möglich gemacht (§19 Abs. 2 MBO; Bundesärztekammer 2006a: 20). 506 Vgl. Fußnote 26. 507 Beispielhaft in der Satzung des Landesverbandes Baden-Württemberg: „Lässt sich ein ordentli-ches Mitglied unter Beendigung seines Anstellungs- oder Beamtenverhältnisses in eigener Praxis nieder, so geht seine Mitgliedschaft am Ende des jeweiligen Geschäftsjahres in eine außerordentliche Mitgliedschaft über. Außerordentliche Mitglieder haben kein Wahlrecht und können nicht gewählt werden […]“ (§3 Abs. 3.3 Satzung Marburger Bund LV Baden-Württemberg 2009). 508 Interview MB (6) vom 22.06.2011, Landesverband, Hauptamt. 509 Interview MB (5) vom 19.06.2009, Landesverband, Hauptamt.

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Mitgliedschaft 229

Von ver.di wurde im Zuge der Ärztestreiks 2006 die Gegnerfreiheit des Marbur-ger Bundes dennoch in Frage gestellt (vgl. bspw. Dielmann 2006: 14; Busch/ Stamm 2006: 19). Gleichwohl wurde einschränkend eingewandt, Niedergelasse-ne im MB seien zu vernachlässigen, „solange es kaum angestellte Ärzte in Arzt-praxen gibt und der MB die Arzthelferinnen noch nicht organisiert hat“ (Dielmann 2006: 14). Die Kritik richtete sich aber nicht allein auf die niederge-lassenen, sondern auch auf die leitenden Ärzte in der Mitgliedschaft. Der Vor-wurf lautete: „Leitende Ärzte in Arbeitgeberfunktion sind in nicht geringer Zahl im MB organisiert“ (ebd.). Auch hier wurde die Gegnerfreiheit kritisch hinter-fragt. Hintergrund war, dass Chefärzte im Marburger Bund Mitglied bleiben oder werden können und diese leitende Angestellte seien. Die Voraussetzungen, wann ein Angestellter als leitender Angestellter gilt, sind im Betriebsverfassungsgesetz geregelt. Diese sind erfüllt, wenn der Angestellte:

„1. zur selbständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt ist oder 2. Generalvollmacht oder Prokura hat und die Prokura auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend ist oder 3. regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse vo-raussetzt, wenn er dabei entweder die Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflusst […]“ (BetrVG §5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1-3; Bundes-ministerium der Justiz 2009: 4f.).

Für die Chefärzte ist die Frage nach ihrer Personalverantwortung relevant. Denn die Möglichkeit, Einstellungen oder Entlassungen vornehmen zu können, zählt als unternehmerische Tätigkeit. Vom Landesarbeitsgericht Hamm510 und vom Bundesarbeitsgericht wurde jedoch wiederholt festgestellt511, dass der diesem Verfahren zugrundeliegende Chefarztvertrag den Status eines leitenden Ange-stellten nicht rechtfertige. Begründet wurde dies mit zwei Argumenten: Zunächst sei fraglich, wie selbstständig ein Chefarzt Einstellungen oder Entlassungen vornehmen könne. Die letztendliche Entscheidung obliege regelmäßig der Per-sonalabteilung des Krankenhauses. Dem Entschluss des Chefarztes müsse somit ein Dritter zustimmen. Selbst wenn eine selbstständige Entscheidungs- und Aus-führungsbefugnis des Chefarztes vorliegen sollte, bliebe aus arbeitsrechtlicher Sicht die Frage nach der unternehmerischen Bedeutung dieser Kompetenz offen. Da jeder Chefarzt nur für wenige Ärzte und bezogen auf das Gesamtpersonal eines Krankenhauses nur für einen kleinen Teil der Beschäftigten verantwortlich ist, sei die Bedeutung der Chefarztbefugnisse für die Gesamtorganisation Kran-kenhaus als gering einzuschätzen. Aus diesem Blickwinkel mögen Chefärzte 510 LAG Hamm, Beschluss vom 7.07.2006 - 10 (13) TaBV 165/05 und vom 10.10.2008 - 10 TaBV 24/08. 511 BAG, Beschluss vom 10. 10. 2007 - 7 ABR 61/ 06 und vom 05.05.2010 – 7 ABR 97/08.

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230 Marburger Bund: Historie und Struktur

zwar leitende Funktionen übernehmen, dennoch könnten sie nicht zur Gruppe der leitenden Angestellten gezählt werden. Die Gegnerfreiheit des Marburger Bundes steht aus arbeitsrechtlicher Sicht somit nicht in Frage.512 Die Jungärzte Die jungen Ärzte oder Jungärzte – formal korrekt handelt es sich bei diesen um die in der Facharztweiterbildung befindlichen Assistenzärzte (vgl. Kapitel 3.3.1) – sind für den Marburger Bund eine seiner wichtigsten Ressourcen. Sie haben die Proteste getragen und den Streik organisiert, der in letzter Konsequenz zur Durchsetzung eines eigenständigen Tarifvertrages führte. Darüber hinaus waren es die jungen Ärzte, die den Verband – damals noch unter dem Namen der Mar-burger Gemeinschaften – gründeten (vgl. Kapitel 4.1).513 Aus Sicht der Organi-sationssoziologie ergibt sich damit die Frage nach der Machtposition dieser Gruppe innerhalb der Organisation.

„Angesichts der Wichtigkeit der Ziele für das praktische Funktionieren der Organisation ist es von großer Bedeutung, wer die Ziele einer Organisation festlegt, wer sie definiert. Organisatio-nale Zieldefinitionsmacht verleiht organisationale und soziale Macht“ (Edruweit 2004: 105).

Die Jungärzte konnten kurzfristig die Durchsetzung eigenständiger Tarifverträge als neues Organisationsziel definieren. Daher lässt sich zunächst vermuten, dass sie über organisationale und soziale Macht im Verband verfügen. Im Gegensatz zu dieser Annahme steht der konkrete Regelungsinhalt der letztendlich verhan-delten Tarifverträge. Ungeachtet der Tatsache, dass die jungen Assistenzärzte maßgeblich die anfänglichen Proteste und die später folgenden Streikaktionen getragen haben, lassen sich in den ersten eigenständigen Tarifverträgen des Mar-burger Bundes überproportionale Verbesserungen für die Fach- und Oberärzte 512 Schwieriger ist eine Einschätzung bezüglich der Ärztlichen Direktoren im Krankenhaus (vgl. Kapitel 3.3.1). Diese sind, da ins Management mit einbezogen, leitende Angestellte und evtl. in Arbeitgeber(ähnlicher)funktion tätig. Fraglich ist jedoch, inwieweit diese als eigenständige Gruppe im Marburger Bund eine Rolle spielen, da sich ihre Interessen maßgeblich von den anderen Arzt-gruppen im Krankenhaus unterscheiden. Darüber hinaus verfügen sie mit dem Verband der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands (VLK) über ein eigenes Vertretungsorgan (dieser versteht sich zusätzlich als Vertretung von Chefärzten; vgl. Kapitel 2.3.2). 513 Schon im frühen 19. Jahrhundert, als die Zahl der Krankenhäuser und Krankenhausärzte zum ersten Mal stark anstieg, klagten die Assistenten über ihre berufliche Situation. „Sie fühlten sich vielfach ausgebeutet und sahen ihre Interessen […] vom Ärztevereinsbund und Leipziger Verband unzureichend vertreten“ (Herold-Schmidt 1997: 75). Bereits vor der Gründung des Marburger Bun-des setzten sich die Jungärzte für die Belange der Krankenhausärzte ein. Dabei gerieten sie wieder-holt in Konflikt mit ihren älteren Kollegen. Die „schroffe Konfrontation zwischen ‚Alt’ und ‚Jung’“ nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, führte unter anderem 1922 zur Ausgliederung des Bundes der Assistenzärzte aus dem Leipziger Verband (Vorläufer des Hartmannbundes) (Gelsner 1985: 17, 19).

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Aufgaben und Funktionen 231

konstatieren. Das wirft die Fragen auf, warum die Assistenzärzte sich weder während, noch im Anschluss an die Tarifabschlüsse beklagt haben und warum sie ihre scheinbar vorhandene organisationale Macht nicht nutzen konnten oder nicht genutzt haben, um höhere Zuwächse in ihrer Eingruppierungsstufe durch-zusetzen. Diese Fragen werden im Zuge der Darstellung der Transformation des Marburger Bundes aufgegriffen und beantwortet (vgl. Kapitel 5).

Die besondere Rolle der Jungärzte und die tarifvertragliche Umsetzung der Arztstufen machen darüber hinaus auf eine weitere Schwierigkeit in der Ver-bandsarbeit aufmerksam. Die Abbildung der ärztlichen Krankenhaushierarchie in der Mitgliederstruktur des Marburger Bundes gibt diesem einerseits eine reprä-sentative Legitimität, um als Vertretungsorgan der gesamten Krankenhausärzte aufzutreten. Andererseits bedeuten die unterschiedlichen Interessenlagen der Arztgruppen, dass der Verband diese Interessen intern austarieren muss, um eine Flügelbildung innerhalb der Organisation zu verhindern. Die in der Außensicht durch Homogenität gekennzeichnete Krankenhausärzteschaft und MB-Mitgliedschaft existiert so nur in Abgrenzung zur Umwelt. In der Innensicht offenbart sich eine Heterogenität, die für Entwicklung und Transformationspro-zess berücksichtigt werden muss (vgl. Kapitel 3.2.2). Diese wird in den Aufga-ben und Funktionen des Verbandes deutlich, die sich durch einen Dualismus aus berufsständischem und gewerkschaftlichem Schwerpunkt auszeichnen.

4.4 Aufgaben und Funktionen Der Marburger Bund übernimmt für die angestellte und beamtete Ärzteschaft eine Vielzahl von Aufgaben und Funktionen. Als Berufsverband ist er klassi-scherweise für die berufspolitische und berufsständische Interessenvertretung zuständig. Im Zuge des Aufbaus eines eigenständigen gewerkschaftlichen Profils hat er als Berufsgewerkschaft sein Engagement in der betrieblichen Mitbestim-mung und in der Tarifpolitik intensiviert. Dazu kommen dienstleistungsorientier-te Beratungs-, Service- und Vertragsangebote, die nicht zuletzt im Sinne selekti-ver Mitgliedschaftsanreize wirken. Diese Aufgabenvielfalt wird auf der Bundes-ebene in drei Dimensionen unterteilt: Gesundheitspolitik, Berufspolitik und Ta-rifpolitik.514 Diese lassen sich auf die drei Funktionen von Gewerkschaften, wie Neumann (1978) sie definiert hat,515 abbilden. Die tarifpolitischen Aufgaben identifizieren den Verband als Arbeitsmarktakteur. Als politischer Akteur ver-sucht der Marburger Bund Einfluss auf Gesetzgebungsprozesse im Gesundheits- 514 Vgl. Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. 515 Gewerkschaften üben nach Neumann Funktionen als Arbeitsmarktakteur, als politischer Akteur und als Solidarorganisation aus.

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232 Marburger Bund: Historie und Struktur

sektor zu nehmen. Im Bereich der Berufspolitik konzentriert sich der Verband auf den Schutz der Profession der Krankenhausärzte. Alle drei Dimensionen kennzeichnet ein nach innen gerichtetes, exklusives Solidaritätsverständnis.

Darüber hinaus zeichnen sie sich dadurch aus, dass alle drei immer Teil der Verbandsarbeit waren, aber zu verschiedenen Zeiten eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung erfahren haben (vgl. Kapitel 4.1). Entsprechend der Grün-dungssituation als Berufsverband, stand die Berufspolitik von Beginn als wich-tigste Funktion im Mittelpunkt der Verbandsarbeit. Als politischer Akteur agiert der Marburger Bund abhängig von der aktuellen politischen Agenda auf Bundes- und Landesebene. Für die politische Einflussnahme des Verbands ist nicht unwe-sentlich, inwiefern es gelingt, ähnliche Interessenlagen bei anderen gesundheits-politischen Akteuren auszumachen und darauf aufbauend gemeinsame Positio-nen zu formulieren. Als Arbeitsmarktakteur eigenständig die tarifpolitischen Interessen der Krankenhausärzte zu vertreten, blieb dem Marburger Bund lange Zeit aufgrund der Vormachtstellung der ÖTV verwehrt. Den generellen An-spruch, auch diese Dimension abzudecken, hat der MB jedoch nie aufgegeben. Davon zeugen Freundschaftsverträge mit der DAG oder ver.di, die ihm formal eine tarifpolitische Mitarbeit, wenngleich auf niedrigem Niveau, erlaubten. Der marginale tarifpolitische Einfluss und die berufspolitischen Verbandschwerpunk-te wiesen den Marburger Bund bis zum Jahr 2006 als Berufsverband, nicht aber als Berufsgewerkschaft aus. Dies hat sich mit dem Abschluss eigenständiger Tarifverträge grundlegend geändert. Seitdem übernimmt der Verband vielfältige Aufgaben in allen drei gewerkschaftlichen Funktionsdimensionen.

4.4.1 Berufspolitik und Dienstleistungen Zur Verknüpfung der berufspolitischen Arbeit und den verbandlichen Dienstleis-tungsangeboten wurde 1962 die Marburger-Bund-Treuhandgesellschaft (mbt) als Unternehmen gegründet. Sie gibt die Marburger Bund Zeitung (MBZ) her-aus, richtet Fortbildungsseminare aus und vermittelt Versicherungsangebote (vgl. Marburger Bund 2011a; Marburger Bund 2007c: 6). Die MBZ ist mehr als eine reine Mitgliederzeitung, die über Verbandsinterna berichtet. Sie deckt vielmehr das gesamte Spektrum an berufspolitischen, -ständischen und -fachlichen Fragen ab. Sie informiert darüber hinaus über politische wie gesellschaftliche Entwick-lungen im Gesundheitswesen, innerhalb der Ärzteschaft und im Krankenhaus. Die MBZ erscheint 18 Mal im Jahr und ist auch für Nichtmitglieder für 35 Euro jährlich erhältlich (vgl. Marburger Bund 2011c). Zusätzlich werden parallel Informationen in einem öffentlichen sowie einem wöchentlichen MBZ-Newsletter für Mitglieder per Mail herausgegeben. Aktuelle Ereignisse werden darüber hinaus auf den Webseiten der Landesverbände und des Bundesverbandes

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Aufgaben und Funktionen 233

thematisiert. Der Bundesverband ist dabei für die bundesweite Informations-, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig, während die Landesverbände die regionale Ebene übernehmen. Der Marburger Bund ist auch auf der internationa-len Ebene vernetzt. Er ist Gründungsmitglied der 1964 entstandenen Fédération Européenne des Médecins Salariés (FEMS) (vgl. Rottschäfer 1997: 56f.). Eben-so existiert beispielsweise ein Kooperationsvertrag mit der tschechischen Ärzte-gewerkschaft LOK-SCL (vgl. Marburger Bund 2007b: 3).

In den Bereich der berufsbezogenen Angebote fällt des Weiteren die indivi-duelle Rechtsberatung und -vertretung. Der Verband unterstützt seine Mitglieder in sozial-, berufs- und arbeitsrechtlichen Fragen und vertritt sie in beruflichen Rechtsstreitigkeiten sowie arbeitsrechtlichen Verfahren. Dieser Leistungsbereich wird hauptsächlich von den Landesverbänden abgedeckt, die hauptamtliche Juristen als direkte Ansprechpartner für die Mitglieder beschäftigen. Die Rechts-beratung konzentriert sich wesentlich auf den direkten, meist telefonischen Mit-gliederkontakt.516 Weitere klassische Serviceleistungen werden über die Marbur-ger Bund-Treuhand GmbH angeboten. Dazu gehören neben der Vermittlung von Versicherungen (Berufshaftpflicht, Lebensversicherung, Rechtsschutz etc.) viel-fältige von der Ärztekammer als Fortbildungen anerkannte Seminare (vgl. Marburger Bund 2011e; Boeck 1997: 10).

Mit der 1988 gegründeten Marburger Bund Stiftung als eigenständige rechtsfähige Stiftung privaten Rechts, hält der Verband weitere Unterstützungs-leistungen für seine Mitglieder vor. Die Hauptaufgaben der Stiftung haben sich mit der Zeit gewandelt. Historisch zielte die Stiftung, aufgrund der Arbeits-marktsituation zur Gründungszeit, auf die Bewältigung von Arbeitslosigkeit ab. Dazu wurden Beratungen, der Erwerb von Zusatzqualifikationen und Seminare für Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Mediziner angeboten. Diese Angebote bestehen weiterhin, haben jedoch angesichts der veränderten Arbeits-marktlage an Bedeutung verloren. Heute werden insbesondere Stipendien für sozial schwache Medizinstudenten angeboten, um dem Ärztemangel entgegen-zuwirken (vgl. Marburger Bund 2011d).

Die berufspolitischen Kernkompetenzen des Marburger Bundes sind klar zwischen Bundesverband und Landesverbänden verteilt. Der Bundesverband bearbeitet die auf der Bundesebene angesiedelten Fragen. Dazu zählt die Kon-taktpflege mit politischen Akteuren, mit der ärztlichen Selbstverwaltung sowie mit relevanten Organisationen und Institutionen des Gesundheitswesens. Die Landesverbände übernehmen diese Arbeit im regionalen Kontext. Nach eigenen Angaben scheint die landespolitische Arbeit in der jüngeren Vergangenheit wichtiger zu werden:

516 Vgl. Interview MB (13) vom 26.07.2011, Landesverband, Hauptamt.

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234 Marburger Bund: Historie und Struktur

„[...] die [Landesverbände] werden sich auch stärker in die politischen Dimensionen mit einmi-schen. In Berlin ist das schon sehr deutlich geworden, da gibt es seit einiger Zeit einen so ge-nannten politischen Geschäftsführer, der sich hier in die Gesundheitspolitik einmischt und auch die Berufspolitik.“517

Ein wichtiger, wenn nicht der bedeutendste Aspekt der berufspolitischen Tätig-keiten des Marburger Bundes, betrifft die Arbeit mit und in den Ärztekammern auf Bundes- wie Landesebene. Diesen gegenüber tritt der Verband nicht nur als Akteur mit durchaus divergierenden Interessen auf, sondern er ist, über MB-Mitglieder in den Gremien, unmittelbar an der Arbeit der Ärztekammern betei-ligt (vgl. Kapitel 2.3.2). Eine Veränderung hat im Zuge der Transformation zur Berufsgewerkschaft stattgefunden: Um Interessenkonflikte auszuschließen, üben Delegierte in den Ärztekammern kein Amt im Marburger Bund mehr aus.518 4.4.2 Mitbestimmung Das Interesse des Marburger Bundes an dem Themenbereich der betrieblichen Mitbestimmung hat mit der Transformation zur Berufsgewerkschaft erheblich zugenommen. Für die Betriebsratswahlen im Jahr 2010 wurde erstmals eine umfangreiche Kampagne gestartet,519 um die Präsenz der Ärzte in den Betriebs- und Personalräten der Kliniken zu stärken.520 Neben Aufrufen in den Verbands-organen und einer Informationsbroschüre521 wurde auf eine Vielzahl an Weiter-bildungsveranstaltungen verwiesen. Schulungen in der betrieblichen Mitbestim-mung bietet der Verband allerdings nicht direkt an. Stattdessen veranstaltet diese das formal unabhängige KURS-Institut.522 Der Marburger Bund lud zusätzlich im September 2009 zu einer Betriebs- und Personalrätekonferenz ein. Die Kon-ferenz sollte nicht zuletzt dazu dienen, ein bundesweites Betriebsräte-Netzwerk einzurichten (vgl. Steimer-Schmidt 2009). Bereits zur vorhergegangenen Wahl hatte es die bundesweite Kampagne „2005 das Jahr der Personalräte, Betriebsrä-

517 Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. 518 Vgl. Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt. 519 Beispielsweise veröffentlichte die MBZ eine Artikelserie zur Mitbestimmung, die Aufgaben und Arbeit von Betriebs- und Personalräten vorstellte und aus der Praxis berichtete (vgl. Schroeder et al. 2011: 137). 520 Vgl. Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Armin Ehl sagte 2009 in einem Interview der MBZ, dass „sich Ärzte künftig selbst mehr einbringen [müssen]. [...] auf der Ebene der Betriebs- und Personalräte werden sie sich wesentlich stärker engagieren müssen“ (Ehl 2009: 5). 521 „Mitbestimmen. Eine Anleitung zum Erfolg. Personalrat, Betriebsrat, Mitarbeitervertretung“ (Marburger Bund 2009). 522 Das Institut wurde 2004 gegründet. Formal unabhängig vom Marburger Bund bietet das Institut jedoch ausschließlich Angebote für dessen Mitglieder sowie Gremienmitglieder, die mit MB-Vertretern zusammen arbeiten (vgl. MBZ 2007; KURS-Institut o.J.).

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te, Mitarbeitervertretungen und Aufsichtsräte – mit dem Marburger Bund“ gege-ben. Vor der Betriebsratswahl 2010 hatte Josef Ungemach als Vorsitzender des MB-Arbeitskreises Mitarbeitervertretung dazu aufgerufen, „dieses vor Jahren gelegte Netzwerk zu festigen und auszubauen!“ (Ungemach o.J.).523 Diese Ver-stetigung scheint gelungen zu sein. Im Februar 2010 fand eine Betriebs- und Personalrätekonferenz im Bayrischen Landesverband und im Oktober 2011 die zweite große Konferenz auf Bundesebene statt.524

Ver.di sah die mitbestimmungspolitischen Bestrebungen des Marburger Bundes skeptisch. Der Ärzteschaft wurde vorgeworfen, sie würde dem Betriebs-rat nur einen geringen Stellenwert beimessen. „Generell nehmen die Ärzte die Betriebsratsarbeit nicht so wichtig. Die versuchen das eher durch Tarifverträge oder in der Abteilung zu regeln.“525 Auch im Marburger Bund selbst würden Mitbestimmungsfragen eher stiefmütterlich behandelt und nur begrenzt Ressour-cen zur Verfügung gestellt. So sei der Verband „nicht dazu in der Lage [...], regelmäßig Vertreter in die Konzernbetriebsratssitzungen zu schicken. Der MB wird immer mit eingeladen, aber er hat dann oft keine Kapazitäten.“526 Eine Kampagne, die darauf gerichtet sei, die ärztliche Position in den Betriebsräten zu stärken, erkannte ver.di ebenfalls nicht. „Es gab keine systematische Arbeit des Marburger Bundes in die Betriebsräte zu gehen“, was in der Konsequenz auch dazu beigetragen haben mag, dass der „MB nur punktuell dazugewonnen [hat], das hängt aber von den örtlichen Gegebenheiten ab.“ Die Verteilung der Be-triebsratsmandate habe sich jedoch von 2006 auf 2010 nicht signifikant verän-dert.527

Die Ärztegewerkschaft dagegen berichtet von einzelnen großen Erfolgen. Etwa im Klinikum München, wo die Ärzte plötzlich sogar die Mehrheit in den Betriebsräten errangen.528 Wie erfolgreich der Marburger Bund insgesamt war, lässt sich letztendlich nicht umfassend nachprüfen. Der Verband selber führt weder auf der Bundesebene, noch in den einzelnen Landesverbänden eine statis-tische Übersicht über die Vertretung in Betriebs- und Personalräten oder über die Mandatsträger.529 Eine auf den Selbstangaben der Mitglieder beruhende, offen 523 Verwunderlich ist, dass sich kein Punkt zur Mitbestimmung in der Navigation auf der Bundesver-bands- oder den Landesverbandswebseiten, mit Ausnahme von Bayern und Hessen, findet (Abgeru-fen am: 28.09.2011). 524 Vgl. MBZ-Newsletter 10. KW – 05.03. bis 12.03.2010; 38. KW – 17.09. bis 23.09.2011. 525 Interview ver.di (5) vom 13.09.2011, Bundesverband, FB 3 Betriebs- und Branchenpolitik. 526 Interview ver.di (5) vom 13.09.2011, Bundesverband, FB 3 Betriebs- und Branchenpolitik. Ein ver.di-Landesvertreter spricht von einer „dünnen Personalbesetzung“ und das die MB-Ärzte „bei keiner Betriebsversammlung präsent“ sind (Interview ver.di (1) vom 02.03.2009, Landesverband). 527 Interview ver.di (5) vom 13.09.2011, Bundesverband, FB 3 Betriebs- und Branchenpolitik. 528 Vgl. Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. 529 Vgl. Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt; Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt.

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einsehbare Auflistung erstellt lediglich der Hessische Landesverband. Diese wies im Jahr 2011 in Hessen 56 Betriebsratssitze, 25 Personalratssitze und 2 Mitarbei-tervertretungssitze in 40 Gremien sowie 17 Aufsichtsratssitze in 10 Gremien aus.530 Bei insgesamt 182 hessischen Krankenhäusern ist eine Vertretung in 40 Gremien nicht unbedingt als durchschlagender Erfolg zu bewerten (vgl. Statistisches Bundesamt 2011b: 10, Tab. 1.1). Im Gegensatz dazu steht der Er-folg des Marburger Bundes in der eigenständigen Tarifpolitik.

4.4.3 Tarifpolitik Der Marburger Bund verstand sich bereits vor 2006 als „eigenständiger Ver-handlungs- und Vertragspartner“.531 Diese Selbstdarstellung belegte der Verband mit Verweis auf die Verhandlungen zu Konzern- und Haustarifverträgen (HE-LIOS und SRH) auf Landesebene. Gleichwohl wurden diese gemeinsam mit ver.di geführt. Der tatsächliche Einfluss des Marburger Bundes auf die Ab-schlüsse kann als gering eingeschätzt werden (vgl. Kapitel 4.1). Trotz anderslau-tender Selbstdarstellung hat sich der Verband erst mit seinen eigenständigen, arztspezifischen Tarifverträgen im Jahr 2006 als Berufsgewerkschaft und als relevanter Tarifakteur etabliert. Ihm gelangen Abschlüsse mit der TdL, der VKA sowie den großen Klinikketten. Seither ist der Verband von allen maßgeblichen Arbeitgebern im Bereich der öffentlich sowie privat getragenen Krankenhäuser als Tarifpartner anerkannt. Tarifverträge für Ärzte Anlässlich des Erfolges des Marburger Bundes, wurde im Krankenhaus Barome-ter 2007 durch das Deutsche Krankenhaus Institut eine Sonderbefragung zur Tarifsituation im Ärztlichen Dienst durchgeführt. Gefragt wurde nach dem maß-geblich gültigen Tarifvertrag im jeweiligen Krankenhaus.532 Die Daten zeigen, dass sich die MB-Tarifverträge schnell durchsetzen konnten. Fast 75 Prozent der öffentlichen Krankenhäuser wandten 2007 hauptsächlich den TV-Ärzte/ VDK bzw. TV-Ärzte/ TdL an. Der TVöD fand nur in rund 10 Prozent der Fälle maß-geblich Anwendung. In weiteren 6,5 Prozent der öffentlichen Kliniken bestanden Haustarifverträge. Anders stellte sich die Situation bei den privaten Kranken-hausträgern dar. Hier fielen immerhin 26,2 Prozent der Kliniken unter Unter-nehmens- und Haustarifverträge. Der TVöD besaß auch dort mit 6,7 Prozent

530 Eigene Auszählung (vgl. Marburger Bund LV Hessen o.J.b). 531 Bericht über Tarifverhandlungen im Protokoll der Vorstandssitzung des Marburger Bundes Lan-desverbandes Baden-Württemberg vom 30.05.2005, Seite 2. 532 Zur Grundgesamtheit zählten alle Krankenhäuser ab 50 Betten. Die Tarifpluralität durch TVöD und TV-Ärzte blieb unberücksichtigt.

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einen weit geringeren Stellenwert als der TV-Ärzte/ VKA mit 17,8 Prozent und der Tarifvertrag der privaten Krankenanstalten mit 12,4 Prozent. Insgesamt 27,4 Prozent der privaten Krankenhäuser machten keine Angaben oder unterlagen keinem gültigen Tarifvertrag (vgl. Blum et al. 2007: 57ff.; Tabelle 21).533 Ver-gleichbare Werte wies der Marburger Bund in seinen repräsentativen Mitglieder-befragungen 2007 und 2010 aus. Der Anteil derjenigen Ärzte, die angaben, dass sie unter ein arztspezifischer MB-Tarifvertrag fallen, stieg in diesem Zeitraum von 59 auf 67 Prozent (vgl. Marburger Bund 2010b: 14). Tabelle 21: Tarifverträge im Ärztlichen Dienst nach Krankenhausträgerschaft

(2007) Tarifvertrag(in %)

Öffentliche Träger Private Träger Freigemeinnützige Träger KH* Ärzte KH Ärzte KH Ärzte

TV-Ärzte/ VKA 69,2 48,5 17,8 13,2 7,1 (inkl. TVöD)

5,2 (inkl. TVöD)

TV-Ärzte/ TdL 4,8 26,0 - - - - TV PKA* - - 12,4 7,1 - - TVöD KH 10,4 7,3 6,7 7,3 - - Haustarif 6,5 5,4 26,2 30,1 1,5 0,8 AVR* - - - - 73,7 76,8 Sonstige 9,0 12,7 9,5 20,2 14,6 16,9

* KH=Krankenhäuser; PKA=Private Krankenanstalten; AVR=Arbeitsvertragsrichtlinie. Quelle: Blum et al. 2007: 59. Weitere Unterschiede in der Verteilung der Tarifverträge lassen sich ohne Be-rücksichtigung der Trägerschaft im Ost-West-Vergleich feststellen. TVöD und Haustarifverträge spielten im Osten eine größere Rolle als im Westen. Hinter-grund ist nach Ansicht des DKI, dass einige kommunale Kliniken in Ostdeutsch-land nicht mehr Mitglied in der VKA sind (vgl. Blum et al. 2007: 58).

Insgesamt ergeben diese Daten das Bild einer breit gefächerten tarifvertrag-lichen Landschaft. Der Marburger Bund konnte über die Abschlüsse mit TdL und VKA hinaus mit fast allen großen Klinikketten einzelne Unternehmenstarif-verträge aushandeln (Asklepios, Rhön, Sana, Helios, Damp, KMG). Dasselbe gilt für die berufsgenossenschaftlichen und für die Knappschafts-Krankenhäuser sowie für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung. Hinzu kommen (Haus-)Tarifverträge auf Landesverbandsebene (vgl. Marburger Bund 2011f). Ferner kommt es zu einer weiteren Variation der tarifvertraglichen Inhalte durch Sanierungstarifverträge. Nicht zuletzt deshalb sei eine „immer deutlicher wer-dende Zersplitterung der Tariflandschaft“ festzustellen (Lindhorst 2007). Die

533 Dieselben Verteilungstendenzen wie bei den Krankenhäusern zeigten sich auch bei den Anteilen der unter den jeweiligen Tarifvertrag fallenden Ärzte.

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anfängliche Relevanz von Sanierungstarifverträge stagniere jedoch, da der Mar-burger Bund die Erfahrung gemacht habe, dass diese vorrangig zur Senkung der Lohnkosten eingesetzt und die eigentlich notwendigen Sanierungsmaßnahmen nicht vorgenommen würden. Daher sei man nicht länger bereit, außer bei echten Notlagen, weitere Sanierungstarifverträge abzuschließen.534

Weiteres tarifpolitisches Engagement findet im Bereich des ärztlichen Nachwuchses statt. An früherer Stelle ist bereits darauf hingewiesen worden, dass der Marburger Bund sich deutlich um die Mitgliederrekrutierung bei den angehenden Ärzten bemüht. Ein Mittel, um diese für den Verband zu gewinnen, sind Tarifverträge. Der Marburger Bund schloss bereits 2006 einen Tarifvertrag für Studenten im Praktischen Jahr mit der HELIOS Klinik GmbH ab, der (unter Einbezug des Änderungstarifvertrages von 2008) eine „Aufwandspauschale wie ein Grundentgelt im Sinne der Tarifverträge Ärzte“ in Höhe von monatlich 700 Euro brutto festlegt (vgl. HELIOS/ Marburger Bund 2006: 4; HELIOS/ Marburger Bund 2008a: 2). Zwei Jahre später kam ein Tarifvertrag für Studenten im Praktikum hinzu, der eine Aufwandspauschale in Höhe von monatlich 100 Euro brutto festschreibt (vgl. HELIOS/ Marburger Bund 2008b: 4).

Es gibt dennoch weiterhin einzelne Bereiche, in denen die Ärztegewerk-schaft keine eigenständigen Tarifverträge durchsetzen konnte. Dazu zählen ne-ben Einzelträgern wie der Deutschen Rentenversicherung (DRV) hauptsächlich Medizinische Versorgungszentren und Krankenhäuser unter konfessioneller Trägerschaft.

Sonderfall Medizinische Versorgungszentren und konfessionelle Kliniken Bereits 2008 hatte der neue MB-Vorsitzende Rudolf Henke die Betreiber von Medizinischen Versorgungszentren dazu aufgefordert, „einen Verband zu grün-den, mit dem der MB verhandeln könne“ (Ärzte Zeitung 2008). Da eine solche Verbandsgründung von Seiten der hauptsächlich MVZ betreibenden Kassenärz-te535 bisher nicht erfolgt ist,536 basieren die Anstellungsverhältnisse der MVZ-Ärzte auf Individualverhandlungen mit dem betreibenden Kassenarzt. Im Be-reich derjenigen Versorgungszentren, die von Krankenhäusern betrieben wer-den,537 konnte der Marburger Bund in einigen Fällen erste Erfolge verzeichnen.

534 Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt; Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt. Dies bestätigt die zurückgehende Bedeutung von Sanierungstarifverträ-gen in der Krankenhausbranche (vgl. Fußnote 262). 535 Von allen 2009 bestehenden MVZ wurden 48,7 Prozent von Kassenärzten betrieben (vgl. KBV 2010). 536 Der Marburger Bund hat zusätzlich versucht, die Gründung über die Kassenärztliche Bundesver-einigung voranzutreiben (vgl. Deutsches Ärzteblatt 2008: 2358). 537 Von allen 2009 bestehenden MVZ wurden 38,5 Prozent von Krankenhäusern betrieben (vgl. KBV 2010).

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So gelang es, angestellte Ärzte in MVZ mit in den bestehenden Tarifvertrag des betreibenden Krankenhauses oder den Konzerntarifvertrag (im Fall privater Krankenhausbetreiber) aufzunehmen.538

Viel schwieriger gestalten sich indes die Verhandlungen mit den konfessio-nellen Trägern. Dem Marburger Bund ist es bisher nicht gelungen, seine Tarif-verträge auf konfessionelle Krankenhäuser auszuweiten.539 Die oben dargestellte Umfrage des DKI belegt, dass 2007 in fast 74 Prozent der freigemeinnützigen Krankenhäuser beziehungsweise für 77 Prozent der Ärzte in diesen Krankenhäu-sern Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) galten. Von Tarifverträgen werden daher insbesondere die nicht-konfessionellen, freigemeinnützigen Träger erfasst (vgl. Blum et al. 2007: 57, 59). Die bislang erfolglosen Initiativen des Marburger Bundes, in den Bereich der konfessionellen Träger vorzustoßen, bergen ein Image-Problem. Denn der Verband war nicht zuletzt mit dem expliziten An-spruch, diese Spaltung innerhalb der Krankenhauslandschaft und Ärzteschaft zu beenden, in die eigenständige Tarifpolitik gestartet. Dies ist ihm bisher nicht gelungen. Dennoch fallen die realen Gehaltsunterschiede zwischen Ärzten in öffentlichen, privaten, anderen freigemeinnützigen und kirchlichen Krankenhäu-sern oftmals gering aus. Der Grund dafür ist, dass sich viele kirchliche Häuser an den TdL oder VKA-Tarifverträgen orientieren. Diese Orientierung an MB-Tarifverträgen ist aber nicht auf die Durchsetzungsfähigkeit des Verbandes zu-rückzuführen, sondern allein der Arbeitsmarktsituation geschuldet.

„Sowieso werden die Kirchen letztlich gezwungen, eine markgerechte Vergütung zu zahlen. So werden stillschweigende MB-Entgelte bezahlt, weil sie sonst keine Ärzte mehr bekommen würden.“540

Die konfessionellen Kliniken sind, wenn sie Nachwuchs unter den Bedingungen eines Ärztemangels akquirieren wollen, schlicht darauf angewiesen, sich dem Entlohnungsniveau der anderen Krankenhäuser anzuschließen. „Der Markt ent-faltet seine Wirkung [...], sonst bekommen die [kirchlichen Träger; d. Verf.] nur noch die [Ärzte; d. Verf.], die keiner haben will.“541

538 Aufgenommen wurden MVZ-Ärzte beispielsweise in den Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an den Sächsischen Krankenhäusern (Fachkrankenhäuser für Psychiatrie und Neurologie) des Freistaa-tes Sachsen (TV-Ärzte SKH) (Freistaat Sachsen/ Marburger Bund 2007). 539 „Der Versuch, Tarifverträge im Kirchenbereich zu erzwingen ist gescheitert. Das war nur heiße Luft. Jetzt kann der MB mit Glück noch die Tarifverträge unterzeichnen, die ver.di ausgehandelt hat“ (Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik). 540 Interview DKG (1) vom 15.07.2009, Personalwesen Krankenhaus. 541 Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. „Selbst bei den kirchlichen Arbeitgebern, die ja nicht selbst Verhandlungen mit uns führen, die haben aber die Marburger Bund Tarifverträge für die Ärzte übernommen, weil sie sonst keinen Nachwuchs mehr bekommen“ (Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt).

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Streikkasse Seit der Marburger Bund eigenständig Tarifpolitik betreibt, dienen Streiks und Arbeitskämpfe als Druckmittel, um Forderungen in letzter Konsequenz durchset-zen zu können. Zu den klassischen Mobilisierungsinstrumenten einer Gewerk-schaft zählt das Streikgeld, das einen Teil der Einkommensausfälle der Streiken-den kompensieren kann. Die Streikkasse des Marburger Bundes ist analog zum föderalen Aufbau des Verbandes durch eine duale Struktur gekennzeichnet. Eine Kasse existiert auf der Bundesverbandsebene, zusätzlich verfügt jeder Landes-verband über eine eigene Streikkasse, deren (Mindest-)Umfang der Beirat be-stimmt.542 In Anbetracht der niedrigen jährlichen Beitragssätze543 in allen Lan-desverbänden können keine substanziellen Streikkassen im klassischen Sinne aufgebaut werden.544 Damit mag sich auch erklären, warum der Marburger Bund stattdessen von einem Aktions- und Kampffonds spricht.545

„Und wir haben bisher und das ist auch unser Pferdefuß nach wie vor, im Kern keine Streik-kasse aus der wir echte Lohnausfallsunterstützung – also Streikgeld im klassischen Sinne – zahlen können, sondern wir haben ausschließlich eine Streikkasse, mit der wir die sächlichen Kosten, die Organisation von Streiks und Demos, bezahlen können“ (Frank Ulrich Montgome-ry).546

Wegen ihrer Bedeutung als Mobilisierungsinstrument betrachtet ver.di die Streikkasse als ein wichtiges Indiz für die Mächtigkeit einer Gewerkschaft. „Um das Kriterium der Mächtigkeit zu erfüllen wird der MB nicht umhin kommen, über seine Beitragssätze zu diskutieren“ (Dielmann 2006: 14). Zwei Aspekte sind jedoch einschränkend anzumerken. Ein Zusammenhang zwischen Mächtig-keit und Streikkasse kann für die Durchsetzung der Forderung nach eigenständi-gen Tarifverträgen beim Marburger Bund nicht konstatiert werden. Trotz der geringen Beiträge konnten die organisatorischen Ausgaben der Arbeitskämpfe 2006 problemlos durch die Streikkasse gedeckt werden.547 Aber nicht nur des-halb verliefen die Arbeitskämpfe erfolgreich. Zu berücksichtigen ist die große Attraktivität des Streikziels (Eigenständigkeit und hohe Lohnforderung), die dazu geführt haben mag, dass die Streikenden auf materielle Kompensation ver- 542 Vgl. Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 543 Mit dem Großteil der niedrigen Beiträge müssen die tägliche berufsständische und gewerkschaft-liche Arbeit bestritten und Organisationsstruktur sowie Personal des Verbandes unterhalten werden. 544 Klassisch meint hier die Zahlung von Streikgeld, um Lohnausfall im Streikfall zu kompensieren. 545 Vgl. Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. 546 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 547 Dazu zählten alle Sachkosten inklusive Reisekosten. Der Streik 2006 kostete insgesamt zwei Millionen Euro (vgl. Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt; Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt). Berücksichtigt werden muss aber, dass die Streik-kasse in der Vergangenheit ungenutzt geblieben war und sich entsprechend Mittel angesammelt hatten.

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Aufgaben und Funktionen 241

zichteten. Darüber hinaus griffen die Ärzte auf ungewöhnliche Streikformen zurück. Viele streikten in ihrer Freizeit oder nutzen die Möglichkeit über den Streik ihre Überstunden abzubauen (vgl. Kapitel 5.1.4).548 Unter diesen Ge-sichtspunkten ist die Frage nach der Wiederholbarkeit von lang anhaltenden Arbeitskämpfen in zukünftigen Auseinandersetzungen jedoch durchaus berech-tigt.

Daran schließt direkt der zweite Aspekt an: Der Marburger Bund ist sich bewusst, dass das begrenzte Volumen der verbandseigenen Streikkasse problem-behaftet ist. Die Einrichtung von zusätzlichen Streikkassen auf Landesebene kann als Maßnahme verstanden werden, diesem Problem zu begegnen. Ebenso fließen seit 2007 mehr Mittel in die Kassen.549 Montgomery selbst kündigte Ende 2006 an, dass die zusätzlichen Einnahmen, die durch den Mitgliederzuwachs im Zuge der Streiks erzielt wurden, genutzt werden sollen, um „eine schlagkräftige Streikkasse aufbauen, um auch für künftige Arbeitskämpfe gerüstet zu sein“ (Wirtschaftswoche 2006). Darüber hinaus wurde die Beitragshöhe in den letzten Jahren in den meisten Landesverbänden bereits moderat angehoben. Gleichwohl will der Verband weiterhin deutlich unter den Beitragssätzen der DGB-Gewerkschaften bleiben. Eine Streikausfallunterstützungskasse wird sich so kaum aufbauen lassen. Ob sich daraus Konsequenzen für die zukünftige tarifpo-litische Durchsetzungsfähigkeit ergeben ist offen.

4.4.4 Entwicklung der tarifpolitischen Beteiligung In einer Festschrift, die anlässlich des 30-jährigen MB-Jubiläum im Jahr 1978 veröffentlicht wurde, heißt es: „1948 wurde der Marburger Bund [i. O. in Groß-buchstaben; d. Verf.] tariffähig. Er ist bis heute die einzige tariffähige Gewerk-schaft der angestellten Ärzte [...].“ Der Verband stellte sich selbst als „Ärztege-werkschaft“ dar, bezeichnete sich bereits zu diesem frühen Zeitpunkt als „stärks-te gewerkschaftliche Interessenvertretung von Ärzten“ und verwies auf „beacht-liche gewerkschaftliche Erfolge“, die bis dato erzielt worden seien (Marburger Bund 1978: 12; vgl. auch Stobrawa 1979: 72). Das hier vom Verband selbst gezeichnete Bild einer Berufsgewerkschaft muss jedoch stark relativiert werden. Die Bearbeitung berufspolitscher Fragen stand klar im Vordergrund der Ver-bandsarbeit. Zugleich war sein tatsächlicher Einfluss auf die Ausgestaltung von Einkommens- und Arbeitsbedingungen im Krankenhaus marginal. Die im Fol-genden dargestellte Entwicklung der tarifpolitischen Beteiligung des Marburger

548 Der Druck auf den Arbeitgeber entsteht aufgrund der Arbeitszeitgestaltung im Krankenhaus (freiwilliges Ableisten unbezahlter Überstunden; überlange Dienste etc.) (vgl. Kapitel 3.3.3). 549 Vgl. Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt.

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Bundes zeigt unzweifelhaft, dass der Verband von den zunächst durch die ÖTV und später durch ver.di verhandelten Tarifabschlüssen abhängig war.

Bis zur Durchsetzung eigenständiger, arztspezifischer Tarifverträge im Jahr 2006 war der Marburger Bund ein Berufsverband. Das gewerkschaftliche Selbstverständnis des Verbandes, das nicht zuletzt in der Festschrift von 1978 deutlich wird, zeugt indes von tarifpolitischen Ambitionen, die dieser seit seiner Gründung hegte (vgl. Kapitel 4.1.2). Die Realität sah im Jahr 1949 dagegen so aus, dass die neue DGB Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Ver-kehr (ÖTV) dem Marburger Bund die Tariffähigkeit absprach. Gleichzeitig wur-de die Möglichkeit eines Anschlusses an den gewerkschaftlichen Spitzenverband vorgebracht. Dieses Ansinnen wurde von den Delegierten zur letzten Interzonen-tagung des MB im Mai 1949 abschlägig beschieden. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass die Ärzte dort eine Minderheitenposition einnähmen und ihnen eine adäquate Vertretung verwehrt würde (vgl. Rottschäfer 1997: 22; Gelsner 1985: 75f.). Die Anerkennung als eigenständiger Verhandlungspartner gegenüber den öffentlichen Arbeitgebern durchzusetzen, erschien ebenfalls nicht möglich.550 Der erste Vorsitzende Herbert Britz (zit. n. Gelsner 1985: 93) erklär-te gegenüber den Landesverbänden:

„Wir erhielten den Eindruck, daß der Marburger Bund, wie überhaupt jede kleinere Gewerk-schaft, in der großen Lohnpolitik nur dann eine Möglichkeit der Einflußnahme hat, wenn wir die Meinungsbildung der großen Gewerkschaftsbewegung beeinflussen und [...] mitsprechen können.“

Tarifpolitische Kooperationsmöglichkeiten eröffneten sich 1950 über die Deut-sche Angestellten-Gewerkschaft (DAG). Deren primär berufsbezogenes Organi-sationsprinzip,551 das am Statusgedanken anknüpfte, sowie ein leistungs- und nicht nivellierungsorientierter Tarifansatz entsprachen eher den Vorstellungen der Ärzte und des Marburger Bundes.552

Vermittelt über diese Standesgewerkschaft konnte der Marburger Bund sei-nen Anspruch, Tarifpolitik gestalten zu wollen, beibehalten, ohne auf seine orga-nisatorische und berufspolitische Selbstständigkeit verzichten zu müssen.553 Der

550 Der MB soll jedoch auf Landesebene, gegenüber „dem karitativen Bereich und dem Verband der Privatkrankenanstalten, gegenüber Sozialversicherungsträgern und Pharmaindustrie als eigenständi-ger Tarifpartner“ aufgetreten sein (Rottschäfer 1997: 24f.). 551 Vgl. Interview DAG (1) vom 26.03.2010, Bundesverband, Ehrenamt. 552 Vgl. Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 553 „[...] der Marburger Bund war nur über die Kooperation mit uns verbunden. Wir hatten eine Arbeitsteilung. Wir haben das Tarifgeschäft, natürlich unter Einbeziehung von Kolleginnen und Kollegen aus dem Marburger Bund in die jeweiligen Tarifkommissionen, wahrgenommen, die gan-zen berufspolitischen Belange wurden in eigener Autonomie des Marburger Bundes wahrgenom-men“ (Interview DAG (1) vom 26.03.2010, Bundesverband, Ehrenamt).

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Freundschaftsvertrag, den DAG und MB am 19.03.1950 abschlossen, sicherte den Ärzten die Teilnahme an den wirtschafts- und den sozialpolitischen Aus-schüssen der DAG mit beratender Stimme. Gemeinsam hielten beide Verbände fest, dass alle „arbeitsrechtlichen Abmachungen, die im Rahmen dieser Verein-barung abgeschlossen werden sollen, [...] gemeinsam verhandelt und unterzeich-net werden [müssen]“ (zit. n. Gelsner 1985: 92f.). Gleichwohl blieb die Bedeu-tung des Ärzteverbandes in den Verhandlungskommissionen marginal. Gelsner (1985: 93) etwa schreibt, dass „die beiden MB-Vertreter, [...] in der hundertköp-figen Versammlung als Neulinge gar nicht auffallen.“

Zumindest musste der Marburger Bund seine tarifpolitischen Ambitionen auf diese Weise nicht gänzlich aufgeben. Außerdem hoffte er, bei der „Festle-gung allgemeiner Grundsätze für den gesamten Angestellten-Sektor schon vor-her mitzusprechen“ und später „die speziellen Lohn- und Arbeitsbedingungen angestellter Ärzte durch entsprechende Zusatzabkommen zu regeln“ (ebd.). Bei den ersten Verhandlungen mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) zur Überleitung der Tarifordnung (TO) in Tarifverträge zeigte sich allerdings schnell, dass die Arbeitgeber nicht gewillt waren, arztspezifische Zusätze unter einer direkten Beteiligung des Marburger Bundes abzuschließen. In der Folge erteilte der Verband der DAG im Januar 1951 die Vollmacht, in seinem Namen tarifvertragliche Vereinbarungen abzuschließen (vgl. 1985: 93ff.). Mit diesem Kooperationsvertrag sicherte sich der Verband weiterhin formale Einflussmög-lichkeiten, gab jedoch letztendlich seinen Anspruch eigenständiger tarifpoliti-scher Gestaltungs- und Durchsetzungsfähigkeit auf. Denn die DAG, obwohl als Tarifpartner von Arbeitgeberseite anerkannt, war nur im Rahmen der Tarifge-meinschaft mit der ÖTV an Verhandlungen beteiligt und allenfalls ein einfluss-schwacher Juniorpartner.

Streikfrage und BAT Im Zuge der Verhandlungen mit der TdL stellte sich 1952 zum ersten Mal die Frage nach der Streikfähigkeit der Ärzte. Zuvor hatten die Arbeitgeber die von ÖTV und DAG vorgetragene Forderung nach einer 20-prozentigen Lohnerhö-hung abgelehnt. Der Marburger Bund selbst verstand sich als Gewerkschaft und Arbeitskampf als legitimes sowie notwendiges Mittel, um seine Forderungen durchzusetzen. Ein möglicher Ärztestreik warf jedoch rechtliche und berufsethi-sche Fragen auf, die zunächst geklärte werden mussten. Ein genereller Behand-lungsstreik schien sowohl juristisch als auch berufsethisch nicht zu rechtfertigen. Eine dagegen als probat empfundene Form des Arbeitskampfes stellte der Pa-pierstreik554 dar. Dabei werden medizinische Tätigkeiten fortgeführt, während

554 Ebenfalls als Bleistiftstreik und in der moderneren Form als Computerstreik bezeichnet.

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die – teilweise für das Krankenhaus abrechnungsrelevanten – Dokumentations- und Schreibarbeiten eingestellt werden (vgl. Gelsner 1985: 182f.). Die mögli-chen anzuwendenden Maßnahmen formulierte der Marburger Bund in der Ord-nung zur Durchführung von Arbeitskämpfen aus. Wenngleich er die Streikord-nung infolge des Einlenkens der TdL schlussendlich nicht anwenden musste, bewiesen die Mitglieder in den zuvor durchgeführten Urabstimmungen eine hohe Streikbereitschaft (vgl. Gelsner 1985: 95f.).555

Im gleichen Jahr folgte allerdings Ernüchterung. Die ÖTV tarifierte den Hilfsarzt als neue Vergütungsgruppe. Der Hilfsarztlohn wurde mit 50 Prozent der Grundvergütung nach TO.A. III (Assistenzarzt) festgelegt. Dies wurde als offene Provokation verstanden (vgl. Rottschäfer 1997: 29). Denn der Marburger Bund war an den Verhandlungen nicht beteiligt worden und war nunmehr ge-zwungen abzuwarten, dass die Verträge ausliefen.556 In der Folge kam es wie-derholt zu Spannungen zwischen Landesverbänden und Bundesverband. Wäh-rend die Landesverbände vehement gegen den Hilfsarzt aufbegehrten, waren einige Akteure auf Bundesebene weniger kritisch. Sie verwiesen etwa darauf, dass es vorteilhaft wäre, wenn die unbezahlten Volontärärzte so in das Tarifsys-tem integriert werden. Diese innerverbandlichen Interessendifferenzen verhin-derten in der Frage des Hilfsarztes eine gemeinsame Positionsbestimmung des gesamten Verbandes (vgl. Gelsner 1985: 97ff.).

Im Jahr 1952 begannen ebenfalls die Verhandlungen mit TdL und VKA zum Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT), der sowohl die Allgemeine Tarif-ordnung (ATO) als auch die Tarifordnung für Angestellte im öffentlichen Dienst (TO.A.) ablösen sollte. Die Verhandlungen zogen sich neun Jahre hin. Mit dem Abschluss im Januar 1961 trat an die Stelle der Krankenhaustarifordnung (KrT) die Sonderregelung 2c für angestellte Ärzte (SR2c) (als Anhang zum BAT). Diese Sonderregelung will der Marburger Bund „maßgeblich“ und „in enger Zusammenarbeit mit der DAG“ mitgestaltet haben (Rottschäfer 1997: 49). Trotzdem wurde die Ausgestaltung der SR2c auf der außerordentlichen Haupt-versammlung heftig kritisiert. Es sei dem Verband insbesondere nicht gelungen, Forderungen im Bereich Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft gegenüber den Arbeitgebern durchzusetzen. Dennoch stimmte die Hauptversammlung „zur Wahrung der Interessen der angestellten Ärzte“ dem Vertrag schließlich unter der Bedingung, dass dieser nachgebessert werden müsse, zu (Gelsner 1985: 137). 555 Die Zustimmung zu Arbeitskampfmaßnahmen lag zwischen 70 und 90 Prozent. 556 Die ÖTV in NRW kündigte den Hilfsärzte Tarifvertrag 1956. Der MB hoffte, gemeinsam einen neuen Tarifvertrag mit der VKA abschließen zu können. Gleichzeitig schloss jedoch Ende 1955 die ÖTV Niedersachsen einen aus Marburger Bund Sicht für die Krankenhausärzte schlechten Tarifver-trag mit der Stadt Hannover ab. Wiederum zeigten sich die MB-Mitglieder in eine Urabstimmung zu Streiks bereit, zu denen es nicht kam, da die Stadt Hannover vorab einlenkte (vgl. Rottschäfer 1997: 36f.; Gelsner 1985: 184).

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Aufgaben und Funktionen 245

1968 verabschiedeten die Delegierten eine neue Streikordnung. Die zentralen Instrumente, mit denen die Ärzte Druck auf die Arbeitgeber ausüben wollten, blieben indes die Urabstimmung, um die Streikbereitschaft zu demonstrieren, und daran anschließend der Bleistiftstreik (vgl. Rottschäfer 1997: 67). Dabei knüpfte der Marburger Bund an seine erste Definition des ärztlichen Arbeits-kampfes aus dem Jahr 1949 an, die unter anderem den Satz enthielt: „Der Streik kann auch den Charakter einer Demonstration tragen“ (zit. n. Gelsner 1985: 185). 557 Auf die Frage, inwieweit die genannten Maßnahmen überhaupt einen Streik darstellen oder eher eine streikähnliches Instrument558 sind, soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Denn theoretisch wäre, mit dem in der Streikordnung festgelegt Stufenplan, im letzten Schritt auch eine vollständige Arbeitsniederlegung möglich gewesen, wenn die Notfallversorgung gesichert und eine Gefährdung von Patienten ausgeschlossen werden könnte (vgl. Gelsner 1985: 187, 190). Der weitgehende Verzicht auf Arbeitsniederlegung macht deut-lich, warum der Marburger Bund bis 2006 keine Streikkasse im herkömmlichen Sinne benötigte. Durch Streiks ohne Arbeitsniederlegungen entstanden auch keine durch eine Streikkasse auszugleichenden Einkommenskürzungen.

Das begrenzte Drohpotenzial der neuen Streikordnung offenbarte sich eben-so wie die zweifelhafte Einflussmöglichkeit auf das Tarifgeschehen im Jahr 1969. Nachdem ÖTV und DAG gegen den Willen der Ärzte einen Gehaltstarif-vertrag für Medizinalassistenten vereinbart hatten, kam es zu lokalen Demonstra-tionen und Warnstreiks an Universitätskliniken in Hessen und NRW. Nur in Hessen gelang es, das Land zu einer Besitzstandswahrung sowie ÖTV und DAG zur Kündigung des Tarifvertrages zum Jahresende zu bewegen (vgl. Rottschäfer 1997: 70f.; Gelsner 1985: 189f.). Im gleichen Jahr wurde das Thema der zwar akzeptierten, aber nicht favorisierten Ausgestaltung der Sonderregelungen für Ärzte (SR2c) wieder akut. Die Landesverbände beschlossen die Kündigung des SR2c, die der Bundesvorstand im Oktober umsetzte. Gleichzeitig übermittelte er in Absprache mit der DAG „fertig ausformulierten Vorschlägen zur Neufassung“ an TdL und VKA (Gelsner 1985: 190). Die Arbeitgeber indes reagierten bis 1971 weder auf die Kündigung oder die Vorschläge noch auf den tariflosen Zu-stand. Nach mehreren erfolglosen Versuchen des Marburger Bundes in Verhand-lungen über den SR2c einzutreten, gaben die Arbeitgeber zu verstehen, dass sie diese erst zusammen mit den Neuverhandlungen zum gekündigten BAT führen

557 Die Streikordnung enthielt daher nur die „Verpflichtung der Landesverbände einen Streikfonds zu unterhalten, aus dem in Härtefällen Streikunterstützungen gewährt werden können“ (Gelsner 1985: 188). Sie schrieb darüber hinaus vor, dass nach dem Beschluss eine Arbeitskampf durchzuführen, die „Mitglieder des Marburger Bundes [...] verpflichtet [sind], am Arbeitskampf teilzunehmen“ (zit. n. ebd.: 187). 558 Ähnlich dem Dienst nach Vorschrift als Substitut der legal nicht streikberechtigten Beamten.

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246 Marburger Bund: Historie und Struktur

würden. Als auch in den folgenden Monaten nichts dergleichen geschah, berief der Marburger Bund eine Sitzung der Großen Tarifkommission ein, auf der das weitere Vorgehen und mögliche Arbeitskampfmaßnahmen besprochen werden sollte. Einer Entscheidung der GTK kamen die Ärzte zuvor. Sie initiierten wilde Streiks in Berlin, Hessen und Baden-Württemberg. Die nachfolgend vom Ver-band durchgeführten Urabstimmungen dokumentieren die hohe Streikbereit-schaft der Ärzte, die sich flächendeckend für Arbeitskämpfe aussprachen559 (vgl. Gelsner 1985: 191-197).

Von Juli bis September folgten Demonstrationen, ein Bleistiftstreik und zu-letzt Warnstreiks, bis sich die TdL zu Verhandlungen mit ÖTV und DAG bereit erklärte.560 Der Marburger Bund sollte allerdings nicht an den Verhandlungen beteiligt werden, auch nicht in der Verhandlungskommission der DAG. Die VKA andererseits räumte zwar ein, den MB beteiligen zu wollen. Auch hier waren jedoch Protestaktionen erforderlich, bis die MB-Vertreter schließlich im Oktober in der DAG-Kommission zu den Verhandlungen hinzugezogen und die Arbeitskampfmaßnahmen ausgesetzt wurden (vgl. Rottschäfer 1997: 78f.). Der Abschluss der neuen Sonderregelungen erfolgte nach zwei ergebnislosen Ver-handlungsauftakten im dritten Anlauf im Januar 1972. Nicht alle Forderungen des Marburger Bundes wurden umgesetzt. Zentrale Punkte in Bezug auf Anord-nung und Bezahlung von Zusatzdiensten, Leistungsorientierung und die Einstu-fung anhand von Funktionsbereichen konnte er jedoch erfolgreich einbringen.

Im selben Jahr bestätigte das Oberverwaltungsgericht Münster den im Zuge der Debatte um die Streikmöglichkeiten der Ärzte in Frage gestellten Gewerk-schaftsstatus des Marburger Bundes (vgl. Gelsner 1985: 214ff.). Trotz dieser formalen Bestätigung waren die tatsächlichen Einflussmöglichkeiten des Ver-bands auf die Tarifpolitik marginal. Insgesamt muss daher allen Erfolgen zum Trotz eine kritische Bilanz der Tarifarbeit des Marburger Bundes gezogen wer-den. Die Umsetzung eigener Forderungen war nur über die Mitarbeit in der DAG möglich, die wiederum darauf angewiesen war, mit der ÖTV eine einvernehmli-che Lösung zu finden. Es gab für den Marburger Bund keine Möglichkeit, seine Forderungen direkt durchzusetzen. „ Mit der DAG waren wir befreundet und saßen mit am Tisch. Wir waren aber nur ein bis drei Leute von 40. Mit Mehrhei-ten war da nichts zu machen, es ging nur über Argumente.“561 Seine Möglichkei-ten beschränkten sich darauf, zu versuchen, in der Tarifkommission eine Berück-sichtigung eigene Forderungen durch die ÖTV zu erreichen.

559 Die Zustimmung in den Urabstimmungen lag durchgängig zwischen 96 und 100 Prozent. 560 Unterstützt worden waren sie durch Solidaritätsbekundungen von Hartmannbund, NAV, Chef-arztverband, KBV und anderen Akteuren. 561 Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt.

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Tarifgemeinschaft des öffentlichen Dienstes (TGÖ) Nach dem für den Marburger Bund kaum zufriedenstellenden Abschluss der Sonderregelungen stand die nächste große tarifpolitische Veränderung mit den parallel laufenden Verhandlungen der BAT-Vergütungsrunden im Jahr 1976 an. Die zunehmenden Spannungen zwischen der leistungsorientierten DAG/ MB Kommission und der aus deren Sicht nivellierungsorientierten ÖTV entluden sich in der Aufkündigung der Tarifgemeinschaft. Die ÖTV fühlte sich darüber hinaus in ihrer Vorreiterrolle angegriffen,562 weil der in der DAG für den Öffent-lichen Dienst zuständige Grotegut diese als „Herr des Verfahrens“ bezeichnet hatte.563 Nach dem Bruch der Tarifgemeinschaft waren DAG und Marburger Bund gezwungen, sich neu zu orientieren.

„Für uns war es natürlich auch ein Gebot der Mächtigkeit. Nach der Trennung damals zwi-schen DAG und ÖTV in der Tarifpolitik [...] haben wir ja, um nicht irgendwo am Katzentisch nachher Tarifverhandlungen noch führen zu dürfen, die Kooperation mit dem Beamtenbund eingegangen, um da quasi [...] ein gewissen Pendant zur ÖTV zu schaffen und das war dann auch sicherlich eine notwendige Voraussetzung, dass parallele Tarifverhandlungen im öffentli-chen Dienst stattfinden konnten.“564

Es ergab sich eine Annäherung an die Gemeinschaft von Gewerkschaften und Verbänden des öffentlichen Dienstes (GGVöD) die zum Deutschen Beamten-bund (dbb) gehörte. GGVöD, DAG und Marburger Bund gründeten im Novem-ber 1976 die Tarifgemeinschaft des öffentlichen Dienstes (TGÖ). Die Verbände hofften, gemeinsam mächtig genug zu sein, die Arbeitgeber zu parallelen Ver-handlungen mit ÖTV und TGÖ zwingen und „ein Gegengewicht zur ÖTV“ auf-bauen zu können.565 Die ÖTV wiederum sprach der TGÖ „jegliche Existenzbe-rechtigung und die Tariffähigkeit“ ab (Rottschäfer 1997: 97).

In der Praxis erwies sich die TGÖ indes kaum als Gegengewicht. Die Ein-flusslosigkeit der Tarifgemeinschaft zeigte sich an den Neuverhandlungen der Sonderregelungen 2c des BAT, die 1980 gekündigt wurden. Die ÖTV akzeptier-te ein Angebot der Arbeitgeber, das aus Sicht des Marburger Bundes nicht an-gemessen war. Gleichwohl hatten TÖG und Marburger Bund offenbar keine andere Wahl, als den Abschluss trotz deutlicher, verbandsinterner Kritik zu übernehmen. So hofften die Beteiligten, tarifpolitisch „nicht ins Abseits zu gera-ten“ (Gelsner 1985: 251) und die „Position als originärer Tarifpartner“ nicht zu verlieren (Rottschäfer 1997: 117). Obwohl die Tarifgemeinschaft sich als origi-närer Tarifpartner sah, blieb ihr letztlich eine eigenständige tarifpolitische Ge- 562 Der ÖTV Vorsitzende Kluncker sprach davon, dass man Pferd und Maus nicht vor eine Deichsel spannen könne (vgl. Rottschäfer 1997: 95). 563 Interview DAG (2) vom 25.05.2010, Bundesverband, Ehrenamt. 564 Interview DAG (1) vom 26.03.2010, Bundesverband, Ehrenamt. 565 Interview DAG (2) vom 25.05.2010, Bundesverband, Ehrenamt.

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248 Marburger Bund: Historie und Struktur

staltungsfähigkeit verwehrt. Aus rückblickender Perspektive erkennen das auch die beteiligten Akteure an:

„[...] die ÖTV [war] auch zu dieser Zeit der stärkere Tarifpartner [...]. Die Öffentlichen Arbeit-geber hätten mit DAG/ dbb keinen Tarifvertrag abgeschlossen, der der ÖTV diametral entge-gengestanden hätte.“566

In dieser Konstellation verliefen die Tarifverhandlungen bis 1994. Zunächst stand mit der Wiedervereinigung die Übertragung des BAT auf Ostdeutschland auf der Agenda. Bereits 1992 eskalierte jedoch wieder ein Tarifkonflikt im öf-fentlichen Dienst. Erst nach einem Streik aller Gewerkschaften, der die Streikbe-reitschaft der Ärzte zum wiederholten Mal unter Beweis stellte, konnte nach fünf ergebnislosen Verhandlungsrunden ein Abschluss erzielt werden. Diesen charak-terisierte der Marburger Bund als „erträglich“ (Rottschäfer 1997: 156). Erneute Kooperation mit der ÖTV und Übergang zu ver.di 1994 kündigte die DAG die Tarifgemeinschaft mit der GGVöD. Hintergrund der Trennung war, dass die Beamtenbundsgewerkschaft versucht hatte, das beste-hende Kräfteverhältnis in der TGÖ zu ihren Gunsten zu verschieben. Bereits vor diesem internen Konflikt hatte sich die DAG abermals um eine Annäherung an die ÖTV bemüht. Eine erneute Zusammenarbeit setzte ebenfalls voraus, die Tarifgemeinschaft zu kündigen.567 Als die DAG schließlich wieder in eine Ver-handlungsgemeinschaft mit der ÖTV eintrat, blieb dem Marburger Bund kaum eine andere Möglichkeit als diesen Weg mit zu gehen. Drei Jahre später erklärte der Verband rückblickend: „Tarifpolitische und programmatische Eigenständig-keit des Marburger Bundes werden nicht beeinträchtigt“ (Rottschäfer 1997: 168).

Die erneute Kooperation zwischen DAG und ÖTV fand zu einer Zeit statt, als sich in den DGB-Gewerkschaften bereits konkrete Bestrebungen zeigten, die seit 1992 diskutierte Möglichkeit der Gründung einer Dienstleistungsgewerk-schaft in die Tat umzusetzen (vgl. bspw. Müller/ Wilke 2000: 74). Unter dieser Perspektive erschien eine Annährung der DAG an die ÖTV alternativlos, wenn sie nicht irgendwann allein gegen eine riesige Multibranchengewerkschaft antre-ten wollte (vgl. Waddington et al. 2003: 19). Der Prozess bis zur Gründung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) im Jahr 2001 war geprägt von massiven Konflikten zwischen den anfangs noch acht beteiligten Gewerkschaf-ten. Im Verlauf der Fusion führten diese nicht nur zum Rückzug von drei Ge-werkschaften, sondern veranlassten einzelne Berufsverbände dazu, ihre Koopera-tion mit der DAG aufzukündigen. Die Vereinigung Cockpit beschritt daraufhin

566 Interview DAG (2) vom 25.05.2010, Bundesverband, Ehrenamt. 567 Vgl. Interview DAG (1) vom 26.03.2010, Bundesverband, Ehrenamt.

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1999 als erster Berufsverband den Weg in die tarifpolitische Eigenständigkeit (vgl. Kapitel 1; Schroeder et al. 2011: 256f.).

Für die Transformation des Marburger Bundes spielt ver.di erst später eine Rolle. Der Verband entschied sich 1998 zwar dazu, sich nicht an dem Fusions-prozess zu beteiligen und seine Eigenständigkeit zu wahren. Er erklärte sich dennoch bereit, den bestehenden Kooperationsvertag mit der ÖTV zu erneuern, sobald die neue Gewerkschaft gegründet wäre (vgl. Deutsches Ärzteblatt 1998: 2960). Zuvor war eine mögliche Eigenständigkeit des Marburger Bundes disku-tiert worden. Letztendlich wurden entsprechende Überlegungen jedoch verwor-fen, weil verbandsintern an der tatsächlichen Streikbereitschaft der Ärzte gezwei-felt wurde.568 Dementsprechend ging mit der Gründung der neue Dienstleis-tungsgewerkschaft ver.di 2001, die tarifpolitische Verhandlungsvollmacht von der DAG auf diese über.569 Erst als sich 2004 der Übergang vom BAT zum TVöD abzeichnete, entwickelten sich in der Ärzteschaft starke Widerstände, die letztendlich die Abkehr von ver.di und die Transformation des Marburger Bun-des zum eigenständigen Tarifakteur anstießen.

Relevanz der Entwicklung mit Blick auf Marburger Bund und Gelegenheitsstruktur Die Entwicklung der tarifpolitischen Beteiligung des Marburger Bundes verdeut-licht die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Statt eines relevanten Tarifakteurs war der Verband ein Anhängsel der DAG, die ihrerseits tarifpoli-tisch auf die Kooperation mit der ungleich mächtigeren ÖTV angewiesen war, mit bescheidenen Einflussmöglichkeiten.570 Ende der 1970er-Jahre sprach der Marburger Bund dennoch davon, dass er 1948 Tariffähigkeit erlangt und in Ko-operation mit der DAG „beachtliche gewerkschaftliche Erfolge“ errungen habe (Marburger Bund 1978: 12). Aus rückblickender Perspektive der 1990er-Jahre relativierte der Verband diese Sicht. Erst infolge seiner Beteiligung an der Tarif-gemeinschaft TGÖ könne der MB „in seiner Geschichte eindeutig und unbestrit-ten als originärer Tarifpartner“ gelten (Rottschäfer 1997: 97). Wieder einige Jahre später rekapituliert der Marburger Bund seine Zusammenarbeit mit DAG, ÖTV und ver.di folgendermaßen: „Alle hatten damals das Gefühl, das ist doch irgendwie sich selber was in die Tasche lügen, wenn man glaubt da was tarifpoli- 568 Vgl. Interview MB (7) vom 29.07.2009, Landesverband, Hauptamt; Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt. 569 Dieser „Übergang ging lautlos vonstatten“ (Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt). 570 Unberücksichtigt bleibt die Landesebene. Einzelne Gesprächspartner berichten, dass es zum Teil früher „bereits originär eigenständige Tarifverträge“ auf Landesebene gegeben habe (Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt; vgl. Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesver-band, Hauptamt).

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250 Marburger Bund: Historie und Struktur

tische zu gestalten.“571 „Der MB war nicht besonders eigenständig.“572 „So dass für uns der Marburger Bund als Gewerkschaft nicht existiert hat.“573 Diese Sicht bestätigt Montgomery:

„In Wirklichkeit verhandelte ÖTV und dann hatten wir von der DAG [...] so ungefähr eine Stunde Zeit, uns die Begründung zu überlegen, warum wir nun jubelnd zustimmen könnten, was ÖTV ausgehandelt hat. [...] Und wir waren natürlich wieder nur Hintersasser der DAG, das heißt, wir saßen mit einer Stimme da drin und hatten in Wirklichkeit nichts zu vermelden.“

574 Nicht zuletzt wird daran deutlich, dass der Marburger Bund seine tarifpolitische Position seit dem Kooperationsabkommen mit der DAG 1950 eigentlich nicht ausbauen konnte.575 Seine Tarifarbeit wurde selbst zu ver.di-Zeiten im Wesent-lich von einem Rechtsanwalt und einer zugeordneten Sekretärin bestritten. Zu konkreten Verhandlungen wurden vereinzelt weitere Beteiligte hinzugezogen.576 Auch in diesen Fällen zeigte sich ein Pragmatismus, der die kaum vorhandenen tarifpolitischen Einflussmöglichkeiten widerspiegelte: „Viele Tarifverhandlun-gen waren in Stuttgart. Da haben sie dann gesagt, nehmen wir den […] [Rechts-anwalt; d. Verf.], der sitzt vor Ort, dann haben wir nicht so hohe Fahrtkosten.“577

Der Marburger Bund präsentierte sich bis 2006, allen Bemühungen als Ge-werkschaft Einfluss auszuüben zum Trotz, in erster Linie als Berufsverband. Damit korrespondierte, dass der Verband von seinen Mitgliedern nur als Berufs-verband wahrgenommen wurde. Seine kaum vorhandenen Einflussmöglichkeiten in tarifpolitischen Belangen578 stimmten dabei mit der nicht vorhandenen ge-werkschaftlichen Orientierung seiner Mitglieder überein. Ver.di formuliert es wie folgt:

„Ärzte kommen aus gutem Hause. Da ist kein Arbeitnehmerverständnis vorhanden. Die kom-men gar nicht auf die Idee, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Der MB bekommt sie nur als Berufsverband.“ 579

571 Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt. 572 Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 573 Interview MB (17) vom 05.09.2011, Mitglied ohne Funktion. 574 Interview MB (4) vom 02.03.2011, Bundesverband, Ehrenamt. 575 „[...] diese [tarifpolitische; d. Verf.] Dimension der Ärztegewerkschaft Marburger Bund [...] ist tatsächlich erst offen nach außen ausgesprochen worden im Jahr 2005. Bis dahin waren wir der Ärzteverband gewesen [...]“ (Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesebene, Hauptamt). 576 Wenn von ärztlicher Seite jemand vertreten war, dann oft nur Montgomery. 577 Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt. 578 „Der MB hatte 10 bis 15 Jahre lang keine Möglichkeit, seine tariflichen Interessen durchzusetzen“ (Interview MB (9) vom 25.09.2011, Landesverband, Ehrenamt). 579 Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik. „[...] Nur einzelne Gruppen wie Anästhesisten oder Chirurgen, die kaum über Niederlassungsmöglichkeiten verfügen, mit Lebensperspektive Krankenhaus entwickeln Arbeitnehmerbewusstsein.“

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Aufgaben und Funktionen 251

Ebenso erkennt der Marburger Bund heute an: „Damals haben wir uns, aber auch ganz viele Ärzte im Marburger Bund, gesellschaftspolitisch nicht als Gewerk-schaft verstanden.“580 Teilweise scheint dies sogar aktuell noch ein Problem zu sein, wie Montgomery ausführt:

„Ganz viele unserer Mitglieder haben eine ambivalente Bindung zum Marburger Bund. Anders als in den klassischen Gewerkschaften bekennt sich ja kaum ein Arzt dazu, Mitglied im Mar-burger Bund zu sein. Das hängt mit der ärztlichen Sozialisation zusammen, dass man eigentlich solche Verbände meidet: Ärzte sind solche Individualisten, die empfinden es eigentlich als un-anständig, kommune Interessen zu vertreten oder sich diesen anzuschließen.“ 581

Ungeachtet der ambivalenten Einstellung seiner Mitglieder zu gewerkschaftli-chen Fragen und der historischen Entwicklung des Verbands, in der er sich als Gewerkschaft nicht durchsetzen konnte, gereichten ihm einige Punkte bei seiner späteren Transformation zum Vorteil: Trotz seiner kaum vorhandenen Einfluss-möglichkeiten in den Tarifkommissionen, gelang es dem Marburger Bund durch seine Beteiligung tarifpolitisches Know How zu sammeln (vgl. Schroeder et al. 2011: 139). Ein Ehrenamtler auf Bezirksebene stellt rückblickend fest, dass die „Angliederung an ver.di erfolgte, um einen Einblick in die Tarifpolitik zu ge-winnen und einen Fuß in die Tür zu bekommen.“582 Ebenso war es nichts neues, innerhalb des Verbandes tarifpolitischer Themen zu bearbeiten und kontrovers zu diskutieren. Die für die Eigenständigkeit notwendigen Organisationsstruktu-ren waren, wenn auch rudimentär, bereits ausgebildet. Kritische Fragen, wie das Verhältnis zu den Chefärzten, die Streikmöglichkeiten und das zur Verfügung stehende Arbeitskampfinstrumentarium, waren ebenfalls geklärt. Nichtsdesto-trotz bleibt offen, wie es 2004/05 dazu kommen konnte, dass die Ärzte zunächst unabhängig vom Marburger Bund Streiks organisierten und schließlich den Transformationsprozess des Verbandes zur Berufsgewerkschaft anstießen. Diese Fragen zu beantworten, ist zentrales Anliegen des folgenden Kapitels.

580 Interview MB (4) vom 02.03.2011, Bundesverband, Ehrenamt. 581 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 582 Interview MB (1) vom 23.04.2008, Bezirksverband, Ehrenamt.

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5 Transformation: Marburger Bund im Wandel

Der Marburger Bund versuchte seit seiner Gründung, auf die Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen der Krankenhausärzte einzuwirken. Tatsächlichen, inhaltli-chen Einfluss erlangte er jedoch erst in dem Moment, als er sich als eigenständi-ger Tarifakteur durchsetzte. Hinter der Etablierung als Berufsgewerkschaft steht gleichzeitig ein Organisationswandel des Ärzteverbandes. Im vorliegenden Kapi-tel soll in einer Prozessanalyse583 die Transformation des Marburger Bundes untersucht werden: Wie verlief dessen Wandlungsprozess vom Berufsverband zur Berufsgewerkschaft? Im Zuge der Analyse soll indes nicht nur der Ablauf der Transformation rekonstruiert werden. Vielmehr sollen die Motive, Ursachen und kausalen Mechanismen, die zur Entscheidung des Verbandes führten, sich von ver.di zu trennen und arztspezifische Tarifverträge zu fordern, erklärt wer-den. 5.1 Auf dem Weg zur Berufsgewerkschaft Mitte 1999 wurden die Pläne der von der rot-grünen Bundesregierung vorberei-teten Gesundheitsreform 2000 bekannt. Die beabsichtigte Ausgabenbegrenzung traf bei angestellten wie niedergelassenen Ärzten und anderen Gesundheitsberu-fen auf großen Widerstand.584 Prompt kündigte der damaliger MB-Vorsitzende Montgomery einen „heißen Herbst“ an und schloss „sogar Kampfmaßnahmen wie Ärztestreiks nicht aus“ (dpa 1999). Im September kam es bundesweite zu Protesten der Gesamtärzteschaft, unter anderem in Berlin und Wiesbaden (vgl. Bundesärztekammer 2006d; Marburger Bund LV Hessen 1999). Der von Mont-gomery angedrohte Streik blieb jedoch aus. Erst zwei Jahre später rief der Mar-burger Bund auf seiner 100. Hauptversammlung im November 2001 zu einem Computer- oder Abrechnungsstreik auf.585 Ziel war es, die Umsetzung der EU-

583 „The [...] process-tracing takes the form of a detailed narrative or story presented in the form of a chronicle that purports to throw light on how an event came about“ (George/ Bennett 2005: 210). Zur Methode vgl. auch Kapitel 1.3. 584 Als Reaktion bildeten diese das Bündnis Gesundheit 2000 auf Bundes- und Länderebene. 585 Der Protest richtete sich gegen die langen Arbeitszeiten. Außerdem verlangen die Ärzte eine korrekte Ab- und Anrechnung ihrer Bereitschaftsdienste. Zur Durchsetzung ihrer Forderungen sollten

S. Greef, Die Transformation des Marburger Bundes, DOI 10.1007/978-3-531-19574-2_5,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

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254 Transformation: Marburger Bund im Wandel

Arbeitszeitrichtlinie zu erreichen. Denn der Europäische Gerichtshof hatte im Jahr zuvor festgestellt, dass Bereitschaftszeit als Arbeitszeit zu gelten habe (vgl. Kapitel 3.3.3). Obwohl das EuGH-Urteil in den nächsten Jahren folgenlos blieb, kam es zu keinen echten Streikaktionen. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte zwar 2003 die Entscheidung des EuGH, sah jedoch die Bundesregierung in der Verantwortung diese umzusetzen.586 Zum 01.01.2004 wurde das Arbeitszeitge-setz mit vierjähriger Verspätung und weitreichenden Einschränkungen novelliert (vgl. ebd.). Der Marburger Bund beklagte, dass damit „in Sachen Arbeitszeiten alles beim Alten“ bliebe (Marburger Bund 2007a: 23). Offensichtlich waren aber noch weitere Beeinträchtigungen vonnöten, ehe die latente Unzufriedenheit der Ärzte schließlich handfeste Arbeitskämpfe provozierte. Tabelle 22: Chronik Tarifverhandlungen Krankenhaussektor (2003–2006) Datum Ereignis 10.01.2003 ver.di, TdL, VKA: Prozessvereinbarung über Verhandlungen über eine neuen TV

für den ÖD (TV-L, TVöD)17.06.2003 TdL: Kündigung des TV über Urlaubs- und Weihnachtsgeld23.03.2004 TdL: Kündigung der BAT Arbeitszeitregelung02.04.2004 ver.di: Abbruch Verhandlungen TdL; Fortführung Verhandlungen VKA 09.02.2005 ver.di, VKA: Abschluss TVöD 14.04.2005 ver.di, TdL: Beginn Verhandlungen TV-L10.09.2005 MB: Kündigung Verhandlungsvollmacht ver.di; Forderung eigenständiger arzt-

spezifischer Tarifvertrag01.10.2005 ver.di, VKA: Inkrafttreten TVöD12.10.2005 MB, TdL: Beginn Verhandlungen09.03.2006 MB, VKA: Beginn Verhandlungen18.05.2006 ver.di, TdL: Einigung TV-L 16.06.2006 MB, TdL: Einigung TV-Ärzte/ TdL17.08.2006 MB, VKA: Einigung TV-Ärzte/ VKA10.2006 MB, TdL: Abschluss TV-Ärzte/ TdL23.11.2006 MB, VKA: Abschluss TV-Ärzte/ VKA

Quelle: WSI 2005, 2006; Ehl 2005; Ziegler 2006; Eigene Zusammenstellung.587

5.1.1 Vorläufer des Streiks 2005 und Aufkommen ärztlicher Forderungen Die ärztliche Streikwelle begann in den Jahren 2003/ 2004 vor dem Hintergrund eines Tarifkonflikts an den Unikliniken. Ver.di verhandelte mit der Tarifgemein-

die Ärzte ganz im Sinne der früheren Bleistiftstreiks alle „Bürotätigkeiten boykottieren“ (Marburger Bund 2001a) und „ihre Dokumentationsaufgaben verweigern“ (Marburger Bund 2001b). Darüber hinaus sollten alle Ärzte „dem Arbeitgeber konsequent Überlastungsanzeigen und Überstundendo-kumentationen einreichen“ (Marburger Bund 2007a: 21). 586 BAG Entscheidung vom 18. Februar 2003, 1 ABR 2/02. 587 Eine ausführlichere Chronik findet sich im Anhang, Tabelle 25.

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Auf dem Weg zur Berufsgewerkschaft 255

schaft der Länder (TdL) die Ablösung des BAT durch den TVöD (vgl. Martens 2008: 27). Während die Verhandlungen andauerten, schied das Land Hessen 2004 aus der TdL aus. Die verbleibenden 14 Länder588 kündigten im April des-selben Jahres die BAT-Arbeitszeitregelungen. Bereits im Jahr zuvor hatten diese die tariflichen Regelungen zu den Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachts-geld) gekündigt (vgl. Flintrop 2004c: 2779).589 Ziel der Länder war es, Personal-kosten einzusparen und gleichzeitig das Tarifniveau vor der Einführung des TVöD abzusenken.

„Die Kündigung der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) und der Ausstieg aus dem Bundesan-gestelltentarif (BAT) sowie die Einführung längerer Arbeitszeiten und Einschnitte bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld bei neuen Verträgen sind erforderliche Maßnahmen, um ein finanzielles Defizit abzuwenden und Entlassungen sowie starke strukturelle Einschnitte möglichst zu ver-meiden“ (Universitätsklinikum Heidelberg 2004: 1).

Daraufhin brach ver.di die Verhandlungen zum TVöD mit der TdL ab590 und organisierte Warnstreiks gegen die BAT-Kündigung (vgl. WSI 2005). Unabhän-gig davon protestierten auch die betroffenen Assistenzärzte an den Unikliniken gegen das Vorgehen der TdL. Sie beklagten die „wachsenden Belastungen bei immer geringerer Bezahlung“ (Ditsch 2004).

Infolge der BAT-Kündigung erhöhte sich die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 auf 41 Stunden, womit effektiv der Stundenlohn sank. Durch den bereits erfolgten Wegfall der Sonderzahlungen, belief sich der reale Einkommensverlust auf sieben bis zehn Prozent (vgl. Flintrop 2004c: 2779; Ditsch 2004; Lindhorst 2007: 1).591 Betroffen waren zunächst nur neue Arbeits-verhältnisse. Mittelfristig wirkten sich die verschlechterten Arbeits- und Lohn-bedingungen jedoch auf den Großteil der Universitätsärzte aus.592 Denn diese befinden sich mehrheitlich in einem befristeten Angestelltenverhältnis.593 Auch darüber hinaus müssen Krankenhausärzte häufig Neuverträge abschließen.594 Weil nur die TdL, nicht aber der VKA die BAT-Verträge gekündigt hatte, blie-ben die Ärzte an kommunalen Krankenhäusern von den Verschlechterungen 588 Berlin war 1994 ausgeschlossen worden (vgl. Kapitel 2.3.4). 589 Bereits am 15. Juli 2004 hatte es einen Warnstreik durch ver.di gegeben (vgl. Schwarz 2004). 590 Die parallel mit der VKA laufenden Verhandlungen wurden unterdessen fortgeführt. 591 Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg nannte auf eine kleine Anfrage des SPD-Abgeordneten Hans-Martin Haller 2005 wesentlich geringer Zahlen: 1,8 bzw. 4,3 Prozent, wobei „keine generalisierenden Aussagen“ möglich seien (Landtag von Baden-Württemberg 2005: 2f.). 592 Dieser Zusammenhang spielte beim Übergang vom BAT zum TVöD später ebenfalls eine Rolle. 593 Zum damaligen Zeitpunkt verfügten 80 Prozent der Universitätsärzte über befristete Arbeitsver-träge (vgl. Flintrop 2004c: 2780). 594 Neuverträge sind mit einem nicht seltenen Arbeitgeberwechsel, mit dem Wechsel auf eine Ober-arztstelle oder mit der Beendigung der Facharztweiterbildung notwendig (vgl. Lindhorst 2007: 5).

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256 Transformation: Marburger Bund im Wandel

verschont. Diese Ungleichbehandlung in Abhängigkeit vom jeweiligen Arbeit-geber sorgte für weiteren Unmut in der Ärzteschaft.595

Die zunächst lokalen, „völlig unabhängig voneinander entstanden[en]“ Pro-teste der Assistenzärzte an den Universitätskliniken weiteten sich ab 2004 ver-stärkt zu öffentlichen Demonstrationen aus.596 Diese verliefen anfangs parallel zu den von ver.di initiierten Streikaktionen. Ziel war es, die TdL wieder an den Verhandlungstisch für den TVöD zurückzuholen (vgl. Martens 2008: 30, 33). Den Protest organisierten verschiedene Initiativen betroffener Universitätsärz-te.597 Diese übten, falls sie überhaupt Mitglied im Marburger Bund waren, in der Regel keine Funktion aus.598 Diese Ausgangslage ergab, dass einzelnen Initiati-ven zwar dieselbe Thematik bearbeiteten, aber unabhängig und außerhalb der bestehenden Verbandsstrukturen blieben. Der Vorstoß diese dezentrale Protest-bewegung zu bündeln, kam aus Baden-Württemberg: „Ausgangspunkt waren lokale Ärzteinitiativen in Baden-Württemberg, nicht innerhalb des Marburger Bundes.“599 „Die Schubkraft hat sich ganz klar von Baden-Württemberg aus entwickelt.“600 Hervorzuheben ist insbesondere das „initiale“ Engagement eines Assistenzarztes am Heidelberger Uniklinikum.601 Aus Unzufriedenheit über die mit der Erhöhung der Wochenarbeitszeit faktisch einhergehende Gehaltskürzung, vernetzte er sich mit anderen Ärzten in seiner Abteilung und anschließend im gesamten Klinikum.602 Am 27. Mai 2004 wandten sich die Ärzte schriftlich an den Klinikumsvorstand. In ihrem Brief schilderten sie die Auswirkungen der Kündigung auf ihren Arbeitsalltag und boten an, zusammen mit dem Vorstand

595 Vgl. bspw. die Kleine Anfrage an den Landtag von Baden-Württemberg zur „Ungleichbehandlung von Ärzten an den Universitätsklinika in Baden-Württemberg gegenüber Ärzten in kommunalen Krankenhäusern und Ärzten an Universitätsklinika in Bayern“ (Landtag von Baden-Württemberg 2005). 596 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 597 „Initiativen vor Ort entstanden völlig unabhängig vom Marburger Bund“ (Interview MB (15) vom 10.08.2011, Mitglied ohne Funktion). 598 Viele Assistenzärzte, die im Verlauf der Proteste besonderes Engagement an den Tag legten und die als Initiatoren der Streiks gelten können, sind erst in deren Verlauf Mitglied im Marburger Bund geworden (vgl. Interview MB (15) vom 10.08.2011, Mitglied ohne Funktion; Interview MB (16) vom 23.08.2011, Mitglied ohne Funktion; Interview MB (17) vom 05.09.2011, Mitglied ohne Funktion; Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mitglied ohne Funktion). „Auslöser eher umweltbedingt. Es gab schon unorganisierte Unruhen an den Universitätskliniken. [...] Streik vor allem von Unorganisierten, die sich erst später dem MB angeschlossen haben“ (Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesver-band, Berufspolitik). 599 Interview MB (10) vom 27.05.2011, Landesverband, Ehrenamt. 600 Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt. 601 Vgl. Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mitglied ohne Funktion; Interview MB (15) vom 10.08.2011, Mitglied ohne Funktion. 602 Vgl. Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mitglied ohne Funktion.

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„sinnvolle Lösungskonzepte“ zu erarbeiten.603 Dieser Vorstoß traf in der gesam-ten Ärzteschaft des Klinikums auf breite Zustimmung. Es stellte sich aber die Frage, wie die offenkundig angestaute Unzufriedenheit kanalisiert werden könn-te, um den Druck zu erhöhen. So entstand die Idee, die existierenden Assisten-tensprecher der einzelnen Abteilungen, die bisher keine tragende Funktion hat-ten,604 zur Vernetzung zu nutzen und Klinikumsassistentensprecher zu wählen. Diese waren zwar institutionell nicht legitimiert, konnten durch ihre Wahl jedoch als Sprecher der gesamten Assistenzärzteschaft des Krankenhauses gegenüber der Leitung, dem Ärztlichem Direktor und der Öffentlichkeit auftreten.605 Gleichzeitig wurde das Heidelberger Ärztekonvent ins Leben gerufen, um alle Ärzte, den Vorstand und die Verwaltung zu Gesprächen an einen Tisch zu be-kommen. Auf dem ersten Treffen am 29.09.2004 wurde unter anderem das Kon-zept der Klinikumsassistentensprecher vorgestellt.606 Neben dem Versuch, einen Dialog zwischen Ärzten und Management im eigenen Klinikum zu etablieren, begannen die Heidelberger Ärzte parallel, Kontakte zu den Assistentensprechern an anderen Universitätskliniken aufzubauen. Daraus entstand ein E-Mail-Verteiler607 der genutzt wurde, um das Konzept der Klinikärztesprecher in den anderen Krankenhäusern bekannt zu machen. Später diente dieser zur Koordina-tion und zur Mobilisierung der Ärzte für die bundesweiten Streiks.

Ein erster Kontakt der Heidelberger Initiative zum Marburger Bund kam über einen Oberarzt zustande. Dieser war Mitglied und brachte den Geschäfts-führer des Landesverbandes Baden-Württemberg mit den aktiven Assistenzärz-ten zusammen.608 Der Landesvorstand unterstützte daraufhin frühzeitig die Pro-teste, beteiligte sich mit Aufrufen zu Warnstreiks und machte in Politik und Behörden auf die Situation der Assistenzärzte an den Unikliniken aufmerk-sam.609 Die Organisation der Streiks bestritt indes weiterhin eine Handvoll akti- 603 Schreiben der Assistenz- und Oberärzte der Abteilung für Allgemeine, Viszerale und Unfallchi-rurgie des Uniklinikums Heidelberg vom 27.05.2004 an den Klinikumsvorstand. 604 Vgl. Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. „Also [...] in den einzelnen Abteilungen gab es Assistentensprecher. [...] der wurde aber vom Ärztlichen Direktor auserwählt und hatte im Grund aber überhaupt keine Funktion gehabt, außer einer Pro-Form Funktion um den An-schein zu erwecken, dass es da einen Kommunikationsweg von oben nach unten in der Hierarchiepy-ramide gäbe“ (Interview MB (17) vom 05.09.2011, Mitglied ohne Funktion). 605 Vgl. Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mitglied ohne Funktion. 606 Vgl. Tagesordnung des I. Heidelberger Ärztekonvents vom 29. September 2004. 607 Der Verteiler erfasst am Ende etwa 300 Personen. 608 „Der Landesverband Baden-Württemberg war sehr vorbildlich. Der Geschäftsführer Resemann und der Vorsitzende Ungemach sind früh aktiv geworden. Die sind auch an die Standorte gefahren und haben mit den Leuten gesprochen. Und haben auch die Aktivitäten entscheidend mit gefördert“ (Interview MB (15) vom 10.08.2011, Mitglied ohne Funktion). 609 Beispiele sind ein Schreiben an Minister Frankenberg (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg) sowie an das Finanzministerium mit dem Hinweis auf den Warn-streik im Oktober und dem Angebot einer Redebeteiligung (vgl. Schreiben des 1. Vorsitzenden des

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ver Assistenzärzte in Eigenregie. Diese wollten sich das Heft des Handelns nicht vom Marburger Bund aus der Hand nehmen lassen.610 Der Landesverband Ba-den-Württemberg versuchte, die Assistenzärzte in den Verband zu integrieren und lud die Ärztesprecher zu den Sitzungen des Vorstandes ein.611 Die Teilnah-me an diesen Sitzungen beeindruckte die Assistenzärzte kaum:612

„Die wenigen Leute, die da am Anfang unserer Bewegung die Fühler ausgestreckt haben in Richtung Marburger Bund, hatten eher so den Eindruck, dass das so ein bisschen ein vergeigter Haufen war.“613

Die Selbstorganisation schritt unterdessen äußerst erfolgreich voran. Bereits am 11. Oktober 2004 gingen etwa 1.000 Universitätsärzte aus Baden-Württemberg in Stuttgart auf die Straße. Getragen und in die Wege geleitet wurde der Streik von den Assistenzärzten der Universitätskliniken Freiburg, Heidelberg, Ulm und Tübingen, die eine Rückkehr zu den gekündigten BAT-Regelungen forderten.614 Der Marburger Bund hatte den Streikaufruf im Vorfeld unterstützt, war vor Ort anwesend und beteiligte sich mit Redebeiträgen an der anschließenden Kundge-bung. Die Fahrt- und Sachkosten bestritt ebenfalls der Ärzteverband aus seiner Streikkasse. Eine finanzielle Kompensation von Einkommensausfällen, wie sie die DGB-Gewerkschaften in Form des Streikgeldes bereithalten, gab es jedoch nicht.615 Auf der Kundgebung waren zum ersten Mal „Ver.di weg!“ Rufe zu hören. Die Forderung nach einer Trennung des Marburger Bundes von ver.di wurde allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt formuliert.616

Landesverbandes Dr. Josef Ungemach, datiert auf den 29.09.2004); des Weiteren ein Schreiben zur Arbeits- und Tarifsituation der Universitätsärzte an den Ministerpräsidenten Oettinger (vgl. Schrei-ben des 1. Vorsitzenden des Landesverbandes Dr. Josef Ungemach, datiert auf den 13.05.2005). 610 Mit dem Verband erfolgten zu diesem Zeitpunkt nur Terminabsprachen (vgl. Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mitglied ohne Funktion). 611 Vgl. Interview MB (13) vom 26.07.2011, Landesverband, Hauptamt; Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mitglied ohne Funktion. 612 Die Sitzungen wurden als „unglaublich langweilige“ (Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mit-glied ohne Funktion) empfunden: „fürchterlich langweilige Sitzungen, die manche [...] sich angetan haben, um Gehör zu finden“ (Interview MB (16) vom 23.08.2011, Mitglied ohne Funktion). 613 Interview MB (16) vom 23.08.2011, Mitglied ohne Funktion. 614 Vgl. auch Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt; Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt. 615 Hintergrund dürfte eine zwar über die Jahre ohne Streik angewachsene, aufgrund der geringen Beiträge jedoch vergleichsweise bescheidene Streikkasse gewesen sein. Im Zuge der sich bis zum Tarifabschluss auf 21 Wochen ausdehnenden Streikphase wurde eine zusätzliche Unterstützungskas-se angelegt, um in Härtefällen Streikgelder zahlen zu können (vgl. Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt). Ähnliche Kassen gab es auch auf Landesebene. Sogar an einzelner Kliniken wurden Solidaritätsfonds eingerichtet, auch um Ärzte an anderen Krankenhäusern zu unterstützen (vgl. Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mitglied ohne Funktion). 616 Vgl. Interview MB (17) vom 05.09.2011, Mitglied ohne Funktion; Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mitglied ohne Funktion; Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt.

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Als kleiner Erfolg des Stuttgarter Streiks wurde wahrgenommen, dass Wissen-schaftsminister Frankenberger Gesprächsbereitschaft demonstrierte. Er lud die Assistentensprecher und die MB-Vertreter „zu einem Gedankenaustausch ins Ministerium“ ein (Flintrop 2004c: 2779). Zur Vorbereitung auf dieses Treffen fassten die Ärzte der Universitätskliniken im November 2004 ihre Forderungen zu einem Positionspapier an den Minister und das Wissenschaftsministerium zusammen (vgl. Ditsch 2005). Dieser neun Punkte umfassende Katalog (vgl. Tabelle 23) etablierte sich auch als Gesprächsgrundlage an den einzelnen Unikli-niken.617 Weitere Ärzteinitiativen und schließlich der Marburger Bund griffen den Forderungskatalog auf.618 Der Bottom-Up betriebene Einfluss der Assistenz-ärzten auf die Willensbildung im Marburger Bund trug damit erste Früchte, blieb aber zunächst begrenzt. „Der MB hat das zwar begleitet, aber ohne die Kreativi-tät vor Ort hätte das nicht funktioniert.“619

Die ausformulierten Forderungen übermittelten die Baden-Württemberger Assistenzärzte wiederholt der Landesregierung. Zu einem Gespräch über das Positionspapier mit Wissenschaftsminister Frankenberg kam es allerdings erst am 28. Februar 2005. In der Zwischenzeit hatte ver.di mit der VKA den TVöD abgeschlossen. Frankenberger signalisierte Verständnis für die Probleme und Forderungen der Assistenzärzte, verwies jedoch in vielen Punkten auf die tarif-politische Zuständigkeit des Finanzministers.620 Diesen habe er gebeten, „eine Sonderregelung für die Ärzte und Ärztinnen an Universitätsklinika bei der Um-setzung der gekündigten Tarifverträge zu prüfen“. Weil dieser seine Bitte ab-schlägig beschied, vermittelte Frankenberger ein direktes Gespräch zwischen den Assistenzärzte und Finanzminister Stratthaus. Gleichzeitig bat er die Ärztlichen Direktoren der Universitätsklinken um die Prüfung dreier „erklärungsbedürftiger Punkte“: Vertragsdauer, Überstundenvergütung und Mitsprache.621

617 Bspw. am 17.01.2005 beim 2. Heidelberger Ärztekonvent (Universitätsklinikum Heidelberg 2005: 1). 618 Bereits das Schreiben mit dem Positionspapier an Minister Frankenberg (Ministerium für Wissen-schaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg) wurde sowohl von den Assistentensprechern als auch vom 1. Vorsitzenden des MB-Landesverbandes Baden-Württemberg unterzeichnet (vgl. Schrei-ben der Assistentensprecher und des 1. Vorsitzenden des Landesverbandes Dr. Josef Ungemach, datiert auf den 02.11.2004). 619 Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt. 620 Vgl. Ergebnisprotokoll über das Gespräch zwischen Vertretern des Marburger Bundes und Assis-tenzärzten der Universitätsklinika mit Herrn Minister Professor Frankenberg am 28. Februar 2005 im Wissenschaftsministerium; Gesprächsnotizen des Marburger Bundes Landesverband Baden-Württemberg Geschäftsführer Resemann vom 08.03.2005. 621 Schreiben von Wissenschaftsminister Prof. Dr. Peter Frankenberg an die leitenden Ärztlichen Direktoren der Unikliniken Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm, datiert auf den 30.03.2005.

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Tabelle 23: Forderungskatalog der Assistenzärzte an Universitätskliniken in Baden-Württemberg (2004)

1 Wiederherstellung tariflich gesicher-ter Arbeitsbedin-gungen

Beibehaltung der vorher geltenden tariflichen Regelungen zum Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie zur Arbeitszeit für alle Ärzte Geänderte Bedingungen für Neuverträge, Vertragsverlängerungen und Höhergruppierungen betreffen wegen kurzen Vertragslaufzeiten in erster Linie beim Land angestellte Universitätsärzte

2 Längere Vertrags-laufzeiten

Weiterbildungsverträge mit Facharzt als Vertragsgegenstand und Laufzeit über die komplette Weiterbildungszeit Nach der Weiterbildung langfristige Verträge mit einer Laufzeit von min-destens fünf Jahren Klärung einer Verlängerung mindestens drei Monate vor Ende des befriste-ten Arbeitsverhältnisses

3 Vergütung sämtli-cher Arbeitsleis-tungen

Vollständige Erfassung und Vergütung aller Arbeitsleistungen in Kranken-versorgung, Lehre und Forschung Keine Subventionierung durch unabgegoltene Überstunden

4 Angemessene Vergütung

Angemessene Berücksichtigung von Verantwortung und Leistungen der Ärzte im Vergütungssystem der Universitätskliniken Bessere Vergütung an kommunalen Krankenhäusern, im Ausland sowie in Industrie und Wirtschaft führt zu einer kontinuierlichen Abwanderung von hoch qualifizierten Kräften und zum Nachwuchsmangel

5 Verbesserte Be-dingungen für Forschung und Lehre

Definierte Zeiträume für Forschung und Lehre Erklärung von Forschung und Lehre zur Privatsache ist inakzeptabel

6 Originäre ärztliche Tätigkeiten

Konzentration der ärztlichen Arbeit auf originär ärztliche Tätigkeiten Schreib-, Organisations- und Dokumentationsarbeiten wirtschaftlicher und effektiver durch geschultes, nichtärztliches Personal durchführbar

7 Medizinische Qualifikation stärker fördern

Verpflichtung aller Kliniken zur Erstellung eines Weiterbildungscurriculums in Anlehnung an die Weiterbildungsordnung mit verbindlichen Rotationszei-ten und Etappenzielen Zurverfügungstellung ausreichender Mittel für den Besuch von Kongressen und Fortbildungsveranstaltungen und Vergabe der Mittel nach festgelegten Kriterien

8 Nebentätigkeitsre-gelung

Transparente, verständliche und auf die einzelne Tätigkeit abgestimmte Genehmigungsregelung von Nebentätigkeiten Abgelehnt wird ein generelles Verbot von Nebentätigkeiten, zum Beispiel als Notarzt oder für Praxisvertretungen

9 Transparenz und Mitsprache

Einbeziehung der gewählten Sprecher der Ärzte in die Organisation und Entscheidungsprozesse der Kliniken und des Klinikumsvorstandes

Quelle: Flintrop 2004b: 3292; Schreiben der Assistentensprecher und des 1. Vorsitzenden des Mar-burger Bundes Landesverband Baden-Württemberg, datiert auf den 02.11.2004.

Bei dem am 07.06.2005 folgenden Treffen im Finanzministerium legten die Assistenzärzte Minister Stratthaus einen konkreten Forderungskatalog vor. In diesem verlangten sie die Rückkehr zur bisherigen Regelung bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie bei den Arbeitszeiten. Darüber hinaus forderten sie das

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Land Baden-Württemberg auf, sich im Rahmen der TdL für eine 25-prozentige Vergütungserhöhung einzusetzen.622

Unabhängig von den Entwicklungen in Baden-Württemberg und dennoch zeitlich annähernd parallel schlossen sich Ärzte an der hessischen Universitäts-klinik Marburg zusammen. Die Organisation erfolgte ebenfalls aus den einzelnen Abteilungen der Klinik heraus.

„Die gesamte Klinik hat sich formiert. Es gab einen eigenen Sprecherrat, der sich nur für Tarif-fragen und Arbeitsbedingungen einsetzte. Da hatten wir eine Repräsentation der gesamten Ärz-teschaft.“623

Zuvor waren bereits erfolglose Gespräche mit dem Marburger Bund geführt worden. Dieser hatte auf die Tarifzuständigkeit von ver.di verwiesen. Er könne zwar in Tariffragen beraten, konkrete Forderungen müssten jedoch mit ver.di verhandelt werden. Dies sahen die Assistenzärzte als aussichtslos an.623 Vor diesem Hintergrund nahmen die hessischen Ärzte die Organisation der Proteste selbst in die Hand. Sie organisierten sich an den einzelnen Kliniken, formulierten Forderungen und versuchten diesen Gehör zu verschaffen. Die Forderungen betrafen die Arbeitsbedingungen, insbesondere die Erhöhung der Arbeitszeit auf 42 Stunden.

Mit den erfolgreichen Demonstrationen in Baden-Württemberg und Hessen Ende 2004624 wurde schließlich auch der Marburger Bund auf den Unwillen, die Protestbereitschaft und die Mobilisierungsfähigkeit der Universitätsärzte auf-merksam.625 Da „hat dann der MB gemerkt, da geht was, wir müssen die vernet-zen.“626 Im Anschluss an eine Demonstration in Marburg am 17. Dezember 2004 verkündete der Marburger Bund, dass er ein bundesweites Netzwerk aller Assis-tentensprecher (Sprecherrat/ Bundessprechertreffen) schaffen wolle. Dies solle die Zusammenarbeit stärken, einen geregelten Austausch untereinander ermögli-chen und insgesamt die Koordination der Proteste erleichtern (vgl. Flintrop 2004a: 90).627 Die Assistentensprecher waren zu diesem Zeitpunkt bereits in vielen Bundesländern als Ansprechpartner gegenüber dem Klinikmanagement

622 Vgl. Forderungen an Minister Stratthaus zum Gespräch am 07.06.2005 im Finanzministerium Baden-Württemberg. 623 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 624 Zunächst wie oben dargestellt in Baden-Württemberg (Stuttgart; 11.10.2004), später dann in Hessen (Marburg; 17.12.2004 kg42 zusammen mit MB und ver.di). 625 Der Marburger Bund unterstützte die Aufrufe zu Streiks oder Demonstrationen, initiiert wurden sie aber lokal von den Assistenzärzten an den Kliniken. 626 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 627 Vgl. Interview MB (15) vom 10.08.2011, Mitglied ohne Funktion. „Montgomery hat immer alles persönlich begleitet, er war auch immer beim Bundessprechertreffen dabei“ (Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt).

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installiert worden.628 Diese Selbstorganisationsstruktur hat der Marburger Bund aus Sicht einiger Assistenzärzte „versucht zu übernehmen.“629

Anfang 2005 kam es in Nordrhein-Westfalen (Köln) zu einem ersten Tref-fen zwischen Montgomery und dem Sprecherrat der Assistentensprecher von etwa zehn Universitätskliniken. Konkrete Forderungen und eine Idee, wie es weitergehen sollte, waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht formuliert worden. Das Treffen zeigte aber, dass die Problemlagen von allen Beteiligten ähnlich gesehen wurden, weshalb ein gemeinsames strategisches Vorgehen angebracht schien.630 Zunächst wurden weitere gemeinsam koordinierte Proteste beschlos-sen. Das Netzwerk der Assistenzärzte rief daraufhin zu einer Großdemonstration am 8. März 2005 am Universitätsklinikum Marburg auf. Die Ärzte protestierten zu diesem Zeitpunkt noch nicht direkt gegen ver.di. Auch der Ruf nach einer eigenständigen Tarifpolitik wurde erst später laut. Die Kritik richtete sich allem voran gegen die Länder. Diese sollten den Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst anwenden und die Absenkungen zurücknehmen (vgl. Flintrop 2005a: 621). Am 2. Mai 2005 folgte in Marburg ein Warnstreik, den das Klinikum Gie-ßen mit einer aktive Mittagspause631 unterstützte. Die Ärzte forderten das Land Hessen auf, in die TdL zurückzukehren und die Wochenarbeitszeitverlängerung sowie die Streichung der Sonderzahlungen zurückzunehmen (vgl. Marburger Bund LV Hessen 2005).

Am 17. Juni 2005 fand das dritte Assistenzsprecherratstreffen in München statt, an dem auch Montgomery und der Bundesvorstand des Marburger Bundes teilnahmen. Hier erhoben die Assistenzärzte erstmals die Forderungen nach einer 30-prozentigen Lohnerhöhung und verlangten die Trennung von ver.di. Dieser Schritt ging dem Marburger Bund zu weit. „Da hat Montgomery nur gelacht und gesagt, das geht nie.“632 „Von ver.di trennen könnt ihr euch nicht, wir brauchen ver.di zum streiken.“633 Als Montgomery dann noch den Vorwurf erhob, die Ärzte könnten sowieso nicht streiken, kam es zum Eklat. Die Assistenzärztespre-cher verließen, mit dem Kommentar ihre Geschicke unter diesen Umständen eben selber in die Hand zu nehmen, geschlossen die Sitzung.633 Einige Beschlüs-se waren dennoch getroffen worden. Über diese setzte das MB-Tarifreferat die Landesgeschäftsführer in Kenntnis:

628 „Schon frühzeitig vernetzt mit allen anderen Standorten. An den einzelnen Unikliniken wurden schon früh eigenständig Assistentensprecher gegründet. Daraus entstand dann der Ärztesprecherrat“ (Interview MB (15) vom 10.08.2011, Mitglied ohne Funktion). 629 Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mitglied ohne Funktion. 630 Vgl. Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 631 Viele Ärzte nutzten ihre gemeinsame Mittagspause, um vor Ort am Klinikum zu demonstrieren. 632 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 633 Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mitglied ohne Funktion.

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„[…] ab Anfang August [sollen] sowohl in Baden-Württemberg wie auch in Hessen – und vo-raussichtlich auch in Bayern und Berlin – erstmals die Universitätskliniken mit echter Arbeits-niederlegung bestreikt werden […]. Ein Protesthöhepunkt soll eine Zentralkundgebung […] in Berlin werden. […] Im Mittelpunkt der Forderungen sollten dabei stehen: 38,5 Stundenwoche, in Kraft setzen der Tarifverträge zum Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie eine Anhebung der Grundvergütung. Hierzu wurde konkret die Forderung nach 30 Prozent mehr auf das Grundge-halt geäußert.“634

Die Drohung der Assistenzärzte, notfalls ohne den Marburger Bund weiterzuma-chen, führte im Bundesvorstand zunächst nicht dazu, deren Forderungen nach einer Trennung von ver.di zu überdenken. Vielmehr wurde ein anhaltender Wi-derstand auf der Bundesebene sichtbar. Dieser führte bei den Assistenzärzten, die davon ausgingen sehr wohl auf den Marburger Bund angewiesen zu sein, zu „großer Angst, dass der MB nicht bis zum Ende mitgeht.“635 5.1.2 Widerstand und Kontroverse im Marburger Bund In den kommenden Monaten sträubten sich der Bundesverband und insbesondere der Vorstand vehement gegen eine Trennung von ver.di. „Montgomery hatte vergleichsweise viele Sorgen und nicht früh den Mut, diesen Weg zu gehen. […] Montgomery hatte die Sorge, dass der Verband das nicht durchsteht.“636 „Mont-gomery hatte Angst, es könnte ihm alles entgleiten und das er mit einem Pferd unterwegs ist, das nicht laufen kann.“637 Er setzte daher sehr lange auf eine Ver-handlungslösung mit ver.di.638 Rückblickend gesteht auch Montgomery selbst-kritisch ein:

„Wir haben uns am Anfang nicht getraut und ich habe meinen eigenen Leuten noch 2005 nicht zugetraut, was sie hinterher auf die Beine gestellt haben. Ich hätte ja deswegen auch beinahe nicht den Absprung gekriegt.“639

Es war aber nicht nur die Haltung des Vorsitzenden des Marburger Bundes, die den Schritt in die tarifpolitische Eigenständigkeit verzögerte. Auch in den Gre-mien mussten Widerstände überwunden werden, denn „es gab eine klare Ein-gliederung des Vorstandes bei ver.di, auch wenn der MB in der Fachkommission

634 E-Mail des Referates Tarifpolitik des MB-Bundesverbands an die Geschäftsführer der Landesver-bände betreff „Zusammenfassung 3. Assistentensprechertreffen am 17. Juni 2005 in München“ vom 24.06.2005. 635 Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mitglied ohne Funktion. 636 Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt. 637 Interview MB (10) vom 27.05.2011, Landesverband, Ehrenamt. 638 Vgl. auch Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt. 639 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt.

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überhaupt keine Rolle spielte.“640 Auf einer Beiratssitzung am 2. April 2005 wurde auf das zunehmende Drängen von Mitgliedern auf eine Beendigung der Kooperation mit ver.di hingewiesen. Der Beirat kam zu dem Schluss, dass „die-ser Schritt gut zu überlegen“ sei. 641 Schließlich bestehe nur wegen der Koopera-tionsvereinbarung die Möglichkeit, am Tarifabschluss mitzuarbeiten und diesen mitzugestalten: „Bei einem Ausstieg des MB brauche ver.di keine Rücksicht auf den MB und dessen Klientel zu nehmen.“641 Das könne negativ auf die Arbeits-bedingungen zurückwirken. In der Konsequenz hielt der Marburger Bund an der Kooperationsvereinbarung fest, in deren Rahmen er weiterhin auf eine Mitgestal-tungsoption hoffte.

Auch ein Teil der älteren Mitglieder und der Ehrenamtlichen im Verband stand zu diesem Zeitpunkt dem Vorgehen und den Forderungen der „frechen Wilden oder jungen Dynamischen“642 skeptisch gegenüber: „Man hat sich auch geziert, vor allem gewisse Mitglieder. Das sieht man auch wenn man sich die Mandatsträger ansieht. Die waren in saturierter Stellung mit Altverträgen.“643

„Widerstände gab es absolut. Vor allem die Älteren, […] die Oberärzte oder Chefärzte waren und in guten Positionen sind. Die waren zufrieden. Die konnten sich damit gar nicht anfreun-den, dass der MB plötzlich Gewerkschaft wird. […] Die fanden die 30 Prozent illusorisch und haben sich offen auch gegen uns ausgesprochen, nicht wenn wir anwesend waren oder auf den Treffen, aber hinter unserem Rücken.“644

Diese unterschiedlichen Faktoren führten dazu, dass der Verband auf der Bun-desebene und in einem Großteil der Landesverbände lange Zeit keine Bemühun-gen erkennen ließ, den Forderungen der jungen Assistenzärzte, die eine Abspal-tung von ver.di verlangten, zu entsprechen. „Der MB als Verband hatte vieles nicht mitgehen wollen.“645

Nun begannen die Assistenzärzte den Druck auf den Marburger Bund zu erhöhen. „Wir haben den Verband jahrelang vor uns hergetrieben“, betonen einige von ihnen rückblickend.646 Konkrete Ansätze, um den Verband für den Schritt in die Eigenständigkeit zu gewinnen, entwickelte in Hessen etwa die Gruppe KG 42 (Kliniker gegen die 42-h-Woche).647 Diese ist ein weiteres deutli- 640 Interview MB (10) vom 27.05.2011, Landesverband, Ehrenamt. 641 Bericht über die Beiratssitzung aus dem Protokoll der Vorstandssitzung des Marburger Bundes Landesverband Baden-Württemberg von 20.04.2005, Seite 2f.. 642 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 643 Interview MB (9) vom 25.05.2011, Landesverband, Ehrenamt. 644 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 645 Interview MB (10) vom 27.05.2011, Landesverband, Ehrenamt. 646 Interview MB (19) vom 09.09.2011 Mitglied ohne Funktion. 647 Die KG 42 steht im Folgenden für die an der Universität Marburg gestartete Initiative. Diese firmiert später auch unter den Namen KG42-Marburg oder kg42-Hessen (dann für die Unikliniken Gießen-Marburg und Frankfurt).

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Auf dem Weg zur Berufsgewerkschaft 265

ches Beispiel dafür, dass es sich bei dem Anstoß zur Transformation des Mar-burger Bundes zur Berufsgewerkschaft um eine Bottom-Up-Bewegung gehan-delt hat. Die KG 42 gründete sich im Oktober 2004 aus den Protesten der Assis-tenzärzte heraus und stellte das Führungsgremium der protestierenden Assistenz-ärzte zunächst an der Uniklinik Marburg dar.648 Die Marburger Mediziner richte-ten sich am 15. April 2005 in einem sechsseitigen Papier an alle Ärzte an bun-desdeutschen Universitätskliniken. Das Schreiben enthielt unter anderem einen acht Punkte umfassenden Forderungskatalog, der inhaltlich weitestgehend den oben dargestellten Forderungen aus Baden-Württemberg entsprach. Interessant ist jedoch, dass dieser Katalog erst auf der letzten Seite auftauchte. Die fünf vorhergehenden Seiten behandelten praktische Fragen. Unter dem Titel „Jenseits der Schmerzgrenze“ wurde darauf hingewiesen, dass die „Durchsetzung eines neuen Tarif-Systems für Ärzte, in dessen Gestaltung die Betroffenen maßgeblich einzubinden sind“ nur möglich ist, wenn sich alle Ärzte im Marburger Bund zusammenschließen (KG 42 2005: 1). Den Organisationsgrad zu erhöhen, ver-bessere die Durchsetzbarkeit der eigenen Forderungen. Der Beitritt möglichst vieler betroffener Assistenzärzte zum Verband wurde aus einem weiteren Grund als dringend nötig erachtet (ebd.):

„Allerdings sind weder mit der aktuellen Struktur des MB noch mit dessen in der Vergangen-heit und gegenwärtig verfolgten Politik entscheidende Fortschritte zu erwarten, um das pro-klamierte Ziel zu erreichen.“

Verwiesen wurde auf das Beispiel der Vereinigung Cockpit. Der Marburger Bund dagegen halte an der tarifpolitischen Vertretung durch ver.di fest. Ziel müsse es daher sein, „den Marburger Bund aus der Verhandlungsgemeinschaft mit ver.di zu lösen“ (ebd.). Dafür sei es nicht ausreichend, einen hohen Organisa-tionsgrad zu erreichen. Vielmehr müsse „der dargestellten Position innerhalb des MB Gehör und Gewicht“ verliehen werden (ebd.: 2).

Der Rundbrief enthielt daher neben den genannten inhaltlichen Forderungen einige generelle Aspekte, die zu klären seien, bevor sich die materiellen Ansprü-che der Assistenten realisieren ließen. Im ersten Punkt lehnten die Marburger sowohl den TVöD als auch den BAT ab und forderten stattdessen ein neues, arztspezifisches Tarifmodell (vgl. ebd.: 3). Um dieses Ziel zu erreichen, wurde im zweiten Punkt dazu aufgerufen, zu „einer grundlegenden Veränderung der (Tarif)-Politik des Marburger Bundes“ beizutragen und diese aktiv herbeizufüh-ren (ebd.). Dafür „müssen MB-Mitglieder rekrutiert werden, die unsere Position unterstützen und / oder in diesem Sinne aktiv werden“ (ebd.). Diese Bestrebun-

648 Vgl. Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt.

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266 Transformation: Marburger Bund im Wandel

gen zielten kurzfristig darauf ab, die Delegierten für die anstehende MB-Hauptversammlung auf die Seite der Jungärzte zu ziehen.

Neben der Überzeugungsarbeit gegenüber den MB-Mitgliedern bemühte der Medizinernachwuchs seine Beziehungen zu den MB-Landesverbänden. Durch die Unterstützung der Streikaktionen durch einzelne Landesvorstände hatte sich bereits eine Zusammenarbeit zwischen der Assistenzarztbewegung und den Landesorganisation, insbesondere in Baden-Württemberg und Hessen, etab-liert.

„Nur Baden-Württemberg und Hessen haben sich direkt für unsere Sache ausgesprochen. Schwieriger war da schon Nordrhein und auch Bayern war nicht einfach. Aber irgendwann sind alle gekippt.“649

Die Kooperation in den Ländern erwies sich schnell als Erfolg. Den ersten for-mellen Anlauf, die Kündigung des ver.di Verhandlungsmandats im Bundesver-band durchzusetzen, unternahm der Landesverband Baden-Württemberg. Am 20. April 2005, sechs Tage nachdem ver.di die Tarifverhandlungen mit der TdL zum TVöD wieder aufgenommen hatte (vgl. WSI 2006), beschloss die Baden-Württemberger einen entsprechenden Antrag an den Bundesvorstand zu stellen. Auf der Basis dieses Beschlusses der Landeshauptversammlung forderte der Landesvorstand kurz vor der 107. Hauptversammlung am 30. April und 1. Mai 2005 den Bundesvorstand auf, sich von ver.di zu trennen:

„Der Bundesverband des Marburger Bundes, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Bundesvorsitzenden, wird aufgefordert, mit sofortiger Wirkung den Kooperations-vertrag mit ver.di und die damit verbundene Verhandlungsvollmacht für Tarifverhandlungen zu kündigen.“650

Die Forderung wurde auch in die Medien getragen, traf jedoch kaum auf öffent-liche Resonanz (vgl. Flintrop 2005c: 1168).651 Der Bundesvorstand indes wollte 649 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 650 Protokoll der Vorstandssitzung des Marburger Bundes Landesverband Baden-Württemberg vom 20.04.2005, Seite 3. Der Beschluss wird mit vier Ja- und einer Nein-Stimme angenommen. 651 Deutliche Reaktionen riefen im Gegensatz dazu die Äußerungen eines Vorstandsmitglieds des hessischen Landesverbandes hervor, die am 30. April 2005 in der Frankfurter Rundschau erschienen (zit. n. Kronenberg 2005): „Viele Ärzte fühlen sich durch den eigenen Verband inzwischen in kata-strophaler Weise vertreten“. Verwiesen wurde auf die schlecht oder gar nicht bezahlten Überstunden und das „viele Ärzte längst eine Steigerung der Gehälter um 30 bis 50 Prozent […] [forderten]. Aus Angst vor dem Aufschrei in der Öffentlichkeit traut sich aber niemand im Bundesvorstand diese Zahlen zu nennen – oder auch nur überhaupt für Gehaltserhöhungen einzutreten“ (ebd.). Diese öf-fentliche Kritik am eigenen Verband missfiel nicht nur dem Bundesvorstand. Nach der Hauptver-sammlung kritisierte die hessische Ärztekammerpräsidentin Ursula Stüwe in der Ärztezeitung: „Die Diskussion schon vorab über die Presse zu führen, da lacht sich doch jeder Arbeitgeber ins Fäust-chen“ (zit. n. Badenberg 2005).

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über den Antrag aus Baden-Württemberg nicht entscheiden. Die Aufforderung zur Trennung von ver.di sei eine Angelegenheit für die Große Tarifkommissi-on.652 Diese trat am darauffolgenden Tag vor der Hauptversammlung zusammen und befasste sich ausführlich mit dem Antrag. Das Sitzungsprotokoll offenbart, dass sich Montgomery deutlich bemühte, den Antrag abzuschmettern und mög-lichst gar nicht erst in der Kommission abstimmen zu lassen. Die Vertreter aus Baden-Württemberg ließen sich jedoch nicht davon überzeugen, den Antrag zurückzuziehen. Sie plädierten weiterhin dafür, sich von ver.di zu trennen und verwiesen auf den Willen der Basis. In der Diskussion in der Großen Tarifkom-mission überwogen allerdings „ängstliche“ und „vorsichtige Kommentare“, die ein überlegtes Vorgehen anmahnten:

„[…] wir sind vielleicht schon auf dem richtigen Wege. Irgendwann müssen wir wohl schon kündigen aber doch bitte nicht jetzt. Und wir sind ja noch gar nicht inhaltlich vorbereitet. Wir haben noch keine Streikkassen aufgefüllt, wir haben noch was weiß ich eine ideologische Vor-bereitung der Basis erreicht. Es ist einfach alles zu Holter die Polter. Bitte, bitte Vorsicht mit den jungen Pferden.“653

Letztendlich konnte sich der Bundesvorstand mit der von Montgomery, Henke und Hammerschlag vertretenen Linie durchsetzen. Der Verband würde weiterhin versuchen, über die Kooperation mit ver.di in den Verhandlungen Einfluss auf die Umsetzung des TVöD zu nehmen. Im Ergebnis entschied die Mehrheit, dass „die Tarifkommission zum jetzigen Zeitpunkt den Antrag nicht übernimmt.“654 Der Vorstoß aus Baden-Württemberg wurde deutlich mit nur zwei Gegenstim-men und einer Enthaltung abgelehnt.655

Auf der am nächsten Tag folgenden 107. Hauptversammlung kam der An-trag daher gar nicht mehr zur Abstimmung, was deutlich zeigt, dass wichtige Vorentscheidungen im Verband abseits der Hauptversammlungen getroffen werden (vgl. Kapitel 4.2). Dennoch wurde mit dem Baden-Württembergischen Beschluss „eine wichtige Diskussion angestoßen.“656 Denn gänzlich überzeugen ließen sich die Delegierten durch die oben genannten Argumente, die von Ham-merschlag auf der Hauptversammlung vorgetragen wurden, nicht. „Geprägt von starken Emotionen und sehr konträren Positionen ringen die MBler um die zu-künftige gewerkschaftliche Ausrichtung des Verbandes“, konstatierte sogar der

652 Vgl. Interview MB (13) vom 26.07.2011, Landesverband, Hauptamt. 653 Interview MB (13) vom 26.07.2011, Landesverband, Hauptamt. 654 Interview MB (13) vom 26.07.2011, Landesverband, Hauptamt. 655 Ein zweiter abgeschwächter Antrag, der während der Sitzung durch den Vorsitzenden des Lan-desverbandes Baden-Württemberg eingebracht worden war, wurde gar nicht mehr behandelt (vgl. Interview MB 13 vom 26.07.2011). 656 Rückblick auf die Hauptversammlung im Protokoll der Vorstandssitzung des Marburger Bundes Landesverband Baden-Württemberg vom 30.05.2005, Seite 2.

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268 Transformation: Marburger Bund im Wandel

Hauptgeschäftsführer im Jahresrückblick der MBZ (Ehl 2005: 14). Die Debatten gaben den Ausschlag dafür, dass sich die Delegierten für eine stärkere Einbezie-hung in die weitere tarifpolitische Entwicklung aussprachen. Sie beschlossen die nächste Hauptversammlung vorzuziehen. Dadurch bestand die Möglichkeit, die Verhandlungsergebnisse zu überprüfen. Die Entscheidung über eine Zustim-mung sollte nicht, wie eigentlich satzungsrechtlich geregelt, allein der Tarif-kommission überlassen werden (vgl. Dehnst o.J.).

Kritik am TVöD An der bislang verhandelten Ausgestaltung des TVöD wurde kritisiert, dass diese spezifische ärztliche Interessen nicht berücksichtige:

„Hauptargument gegen den TVöD war, dass für die Einstufung bei Neueinstellung und Stufen-aufstieg anstelle des Lebensalters überwiegend nur noch Beschäftigungszeit bei demselben Ar-beitgeber gewertet werden sollte.“657

Eine besonders starke Betroffenheit wurde vor allem bei den Assistenzärzte und jungen Fachärzte aufgrund von Befristungen und häufigen Arbeitgeberwechseln gesehen. Jedes Mal, wenn ihre vorherigen Anstellungen bei der Eingruppierung nicht berücksichtigt worden wäre, hätten sie daher theoretisch wieder in der niedrigsten Stufe starten müssen.658 Die Abkehr vom Prinzip der Lebensalters-stufen wurde des Weiteren für erhebliche Gehaltseinbußen im Erwerbsverlauf verantwortlich gemacht. Ver.di rechnete die im BAT alle zwei Jahre stattfinden-den, lebensaltersbezogenen Stufenaufstiege für den TVöD auf die Betriebszuge-hörigkeit um. Das statistische Durchschnittsberufseinstiegsalter von 25 Jahren diente dafür als Grundlage. Nach zwei Jahren im Beruf wäre ein Beschäftigter mit 27 in die zweite Gehaltsstufe aufgestiegen, was dem alten Lebensaltersstu-fensystem entsprochen hätte. Durch die überdurchschnittlich lange universitäre Ausbildung der Ärzte (selbst im Verhältnis zu anderen Akademikern), wären diese jedoch erst mit 27 in der ersten Stufe gestartet statt wie bisher lebensalters-bezogen in der zweiten Stufe.659 Bei einem Berufseinstieg mit 29 Jahren errech-nete der Marburger Bundes einen Gehaltsverlust von 31.000 Euro nach 10 Jah-ren beziehungsweise 68.000 Euro nach 20 Jahren (vgl. Marburger Bund 2007a: 27).660 657 Interview MB (5) vom 19.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 658 Walger und Köpf (2005: 1077) widersprechen dieser Sicht, denn „die gesammelte Berufserfah-rung bei anderen Arbeitgebern [werde] auf die Stufenzuordnung bedarfs- und sachgerecht angerech-net.“ 659 Vgl. Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. 660 Andere Berechnungen ergaben ab einem Einstiegsalter von 29 Jahren einen Gehaltsverlust von 13.000 Euro nach 10 und 30.000 Euro nach 20 Jahren (bzw. 30.000 Euro und 61.000 Euro bei einem Einstiegsalter von 31), während für einen 27-jährigen Berufsanfänger sogar ein Gehaltszuwachs von

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„Und dann merkt man, dass wird auch mit von ver.di getragen. Und die Tarife werden primär durch ver.di bestimmt. Dann hat man irgendwann das Gefühl, für die Ärzte wird nicht viel ge-macht.“661

Der Vorwurf, die ärztlichen Interessen nicht angemessen zu berücksichtigen, traf nicht nur ver.di. Dem Marburger Bund hielten die Ärzte wiederholt entgegen, sich nicht aktiv genug für sie einzusetzen und als Akteur gar nicht wahrnehmbar zu sein: „[...] den MB sieht man bei der ganzen Geschichte [den TVöD-Verhandlungen; d. Verf.] gar nicht.“662 Nicht zuletzt führte diese Sichtweise zur Entscheidung der Hauptversammlung, vor dem Abschluss des TVöD noch ein-mal gehört zu werden. Gleichzeitig arbeiteten viele Assistenzärzte weiterhin auf eine Trennung des Verbandes von ver.di hin. 5.1.3 Trennung von Ver.di Weil der Vorstoß des Baden-Württembergischen Landesverbandes nicht den erhofften Erfolg brachte, führten die Assistenzärzte ihre Proteste in den eigenen, mittlerweile etablierten Selbstorganisationstrukturen fort.663 Parallel liefen die Verhandlungen zum TVöD unter ver.di-Führung weiter, so dass wenig später der kurz bevorstehende Abschluss zusätzlich dynamisierend wirkte. Einige Assis-tenzärzte zweifelten, ihre Forderung nach tarifpolitischer Eigenständigkeit noch rechtzeitig gegenüber dem Marburger Bund durchsetzen zu können. In einer Mail vom August 2005 aus dem Verteiler der KG 42 hieß es:

„Wir müssen uns jetzt SCHNELL solidarisieren und GANZ SCHNELL HANDELN!!!! Wir müssen auch die anderen Bundesländer aktivieren. Der MB muß mit ausgefüllten Emails ZU-GEBOMBT werden. Sonst herrscht bald Friedenspflicht und wir haben alles verloren. […] Aufgrund der am 10.09.2005 auslaufenden Frist [...] ist es dringend erforderlich, das [sic!] wir den mb Bundesvorstand schnellstmöglich zu einem Entzug des Verhandlungsmandates an ver.di bewegen. Dies wird erzwungen werden müssen, da der mb Bundesvorstand an einer Ko-operation mit ver.di festhält.“664

etwa 6.000 Euro errechnet wurde. Diese Kalkulationen kamen zu dem Schluss, dass bei einem Ein-stiegsalter von 28 Jahren, dem durchschnittlichen Berufseinstiegsalter der Ärzte, der Lebensverdienst nach TVöD demjenigen der alten BAT-Verträge entsprochen hätte (vgl. Walger/ Köpf 2005: 1077). 661 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 662 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. Vgl. auch Fußnote 651. 663 Diese Parallelstrukturen, verbunden mit Kommunikationsdefiziten zwischen Assistenzarztspre-chern und dem Bundesverband, führten auch zu Organisationsproblemen und Unmut. So klagte beispielsweise E2 in einer E-Mail vom 07.07.2005 im Verteiler der kg42 Group gegenüber einem Mitglied des Bundesvorstandes über „fehlende Kommunikation und schlechte Integration“ und das die Aktiven an der Basis „in wichtige Entscheidungen nicht involviert werden“. Hintergrund war die Planung der Zentralkundgebung am 05.08.2005 in Berlin. „Fakt ist, dass wir und nicht Sie die Be-dürfnisse und Probleme der Basis kennen.“ 664 E-Mail vom 12.08.2005 von E1 an den Verteiler der kg42 Group.

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270 Transformation: Marburger Bund im Wandel

Unter dem Betreff „Fünf vor Zwölf“ verbreitete die KG 42 daraufhin ab dem 15.08.2005 per Mail ein Papier, das von allen Mitgliedern des Marburger Bundes an diverse Ansprechpartner auf verschiedenen Ebenen der Landesverbände und des Bundesverbandes gesandt werden sollte. Zu diesem Zweck ließ die Gruppe, „über Spenden [finanziert; d. Verf.], einen e-Mail-Verteiler mit 20.000 Adressen einrichten“.665 Diesen nutzen sie auch, um „spitze Mails gegen den Marburger Bund und gegen Montgomery, dass die uns nicht vertreten wollen“, zu verschi-cken.665 Ähnliche Aktionen fanden in Baden-Württemberg statt. Von dort aus wurde Montgomery mit „Postkartenaktionen bombardiert[en,] genauso wie mit nächtlichen Anrufen.“666 Erneut appellierte ein Organisator der Proteste: „Es muss nun unsere Aufgabe sein, den MB zu bewegen, ver.di das Verhandlungs-mandat zu entziehen [i.O. komplett in Großbuchstaben; d. Verf.] !“667

Das von Anbeginn an als reserviert empfundene Verhalten des Marburger Bundes und seiner Führungsspitze provozierte mitunter panisch anmutende Re-aktionen. Diese intensivierten sich je näher der festgelegte Termin für das Ende der TVöD-Verhandlungen rückte. Einer der aktiven Assistenzärzte erklärte in einer Mail an den Verteiler der KG 42 vom 25.08.2005 unter dem Betreff „Ver-passte Chance ? Sitzen wir jetzt schon im TVÖD-Boot ?“ deutlich:

„Ich habe die Schnauze gehörig voll!!! […] Ich habe Stunden, Tage und Wochen außerhalb meiner Arbeitszeit damit verbracht, die KollegInnen von der Notwendigkeit einer Streikmaß-nahme zu überzeugen, Aufklärung zu betreiben und Hoffnung auf Verbesserung zu schüren: Alles auf dem Boden eines starken Rückhaltes vom MB. Zu Guter letzt [sic!] bin ich dann auch noch da eingetreten. Wir haben Streiks organisiert, uns die Nächte in Reisebussen und Zügen um die Ohren geschlagen, alles zwischen der regulären Arbeitszeit. Und jetzt so was! Was macht eine Berufsgruppe, wenn sie sich nicht durch ihren Berufsverband vertreten fühlt? AUSTRETEN!!! Gründen wir eine eigene Interessengemeinschaft, wir stellen hauptamtliche Vertreter ein und nehmen das Ruder selber in die Hand.“668

Bei den Assistenzärzten führte es offenbar nicht nur zu Unverständnis, dass der Marburger Bund bis kurz vor Verhandlungsende nicht erkennen ließ, ihren For-derungen nachzukommen. Einige sprachen sich offen für eine eigene Verbands-gründung aus. „Mittelfristig stand die Drohung im Raum, dann gründen wir eine Gegengewerkschaft.“669 „Der Marburger Bund geht nicht weiter. Dann auch gegen den MB.“670 Bei einem Sprecherratstreffen in Berlin formulierten die Assistenzärzte ihre Drohung gegenüber Montgomery und dem Bundesvorstand:

665 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 666 Interview MB (15) vom 10.08.2011, Mitglied ohne Funktion. 667 E-Mail vom 15.08.2005 von E1 an den Verteiler der kg42 Group. 668 E-Mail vom 25.08.2005 von E1 an den Verteiler der kg42 Group. 669 Interview MB (10) vom 27.05.2011, Landesverband, Ehrenamt.

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Auf dem Weg zur Berufsgewerkschaft 271

„Wir haben auch Montgomery und dem MB gedroht, wenn ihr nicht offiziell unsere Forderun-gen aufnehmt, dann werden wir uns komplett vom MB trennen. Alle Mitarbeiter der Kliniken in Baden-Württemberg und Hessen. Das haben wir dann provokativ in den Raum geworfen.“670

Ähnliche Überlegungen hatten in Baden-Württemberg bereits zu Beginn der Protestaktionen im Raum gestanden:

„In der Anfangsphase gab es gewisse Sorgen [...]. Schafft das dieser Verband überhaupt? Müs-sen wir den Hund zum Jagen tragen? Dann können wir auch gleich einen neuen Verband grün-den.“671

Die Diskussion ging damals sogar so weit, dass die juristischen Implikationen einer Gewerkschaftsgründung eruiert wurden. Die Vorteile einer etablierten Struktur gaben dann aber den Ausschlag dafür, doch am Marburger Bund festzu-halten.672 Auch die in der KG 42 aktiven Jungärzte in Hessen erwogen zwar die Gründung einer eigenen Gewerkschaft, verwarfen diesen Gedanken jedoch we-gen Zweifeln an der Umsetzbarkeit.673 Im Anschluss an die Austrittsdrohung auf dem Sprecherratstreffen kam Montgomery dennoch nach Marburg. Er erklärte, „dass sich was ändern muss“, es könne aber „nur eine Gewerkschaft geben und das ist der Marburger Bund.“674 Unter den Assistenzärzten riefen gemäßigtere Stimmen zu einer realistischeren Erwartungshaltung und dazu auf, weiter auf den Marburger Bund zu setzen:

„Allerdings wäre es ein großer Fehler jetzt aufzugeben, wo wir bundesweit schon so viele Kol-legen hinterm Fernseher hervor gelockt haben. Noch nie in den letzten Monaten hatten wir eine deratige [sic!] Power wie jetzt. [...] Herr Montgomery ist nicht halb so durchtrieben wie wir annehmen. Wo ich bis vor kurzem eine Taktik vermutet habe, ist in Wirklichkeit lediglich Un-sicherheit, Angst und Unwissenheit zu erkennen. Der MB befindet sich in einer Situation, die einmalig neu ist und erst jetzt den wirklichen Geschmack von Revolution bekommt. All das, was wir begonnen haben und jetzt richtig wächst, führt leider erst über die nächsten 1-2 Jahre zu einem sehenswerten Erfolg.“675

Dennoch war auch diesen Ärzten klar, dass etwas passieren musste, wenn die bereits mobilisierte Bewegung nicht ins Stocken geraten sollte. Der Marburger Bund musste dazu bewegt werden, die Forderungen der Assistenzärzte aktiv mitzutragen und zu übernehmen. Die Überzeugungsarbeit zielte dabei sowohl

670 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. „Süddeutsche und Hessen drohen mit Austritt und Gewerkschaftsausgründungen“ (Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt). 671 Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt. 672 Vgl. Interview MB (15) vom 10.08.2011, Mitglied ohne Funktion. 673 Vgl. Interview MB (10) vom 27.05.2011, Landesverband, Ehrenamt. 674 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 675 E-Mail vom 25.08.2005 von E2 an den Verteiler der kg42 Group.

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272 Transformation: Marburger Bund im Wandel

auf die Mitglieder als auch auf die Entscheidungsgremien im Verband. Obwohl basisbe- und getrieben spielten die Landesverbände dabei eine überaus wichtige Rolle. Denn deren Vorstände trugen dazu bei, dass die jungen Ärzte „in den wichtigen Gremien eine Stimme“ hatten.676 Letztlich gelang es, durch das Zu-sammenspiel der vielfältigen Einflussansätze, innerhalb des Marburger Bundes Mehrheiten für einen Wechsel der tarifpolitischen Strategie des Verbandes zu organisieren. Entscheidend waren sowohl die Streikbereitschaft und das uner-schütterliche Engagement der aktiven Assistenzärzte als auch die Unterstützung einzelner Landesverbände.

Nach anfänglichem Zögern änderten auch diejenigen Landesverbände ihre Meinung, die sich in der Sitzung der Großen Tarifkommission im April 2005 noch gegen eine Aufkündigung des Kooperationsabkommens mit ver.di ausge-sprochen hatten. Nach Baden-Württemberg und Hessen, kam relativ bald der Bayerische Landesverband677 hinzu. Genauso war Nordrhein-Westfalen/ Rhein-land-Pfalz „in der Zwischenzeit umgekippt“.678 Die veränderte Haltung der Lan-desverbände konnte der Bundesvorstand nicht ignorieren. „Mitte August hatten Montgomery und Henke sich noch zurückhaltend geäußert“, doch plötzlich schien sich alles im Sinne der Assistenzärzte zu entwickeln:678

„Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wird auf der Delegiertenversammlung in Berlin die Auflö-sung des Mandats an ver.di beschlossen. Das ist eine politisch sehr große Sensation und bis vor wenigen Monaten undenkbar gewesen. Alles unser Verdienst!“679

Am 7. September680 fand die nächste Sitzung der Großen Tarifkommission statt. Montgomery und Henke versuchten zunächst noch „staatsmännisch zu be-schwichtigen“,681 mussten jedoch schnell erkennen, dass seit der letzten Sitzung weitgehend alle Landesverbände auf den Kurs Baden-Württembergs einge-schwenkt waren.

„Irgendwann hat er dann gemerkt, er hätten den MB vergessen können, wenn er diesen Weg nicht mitgeht. Montgomery hat irgendwann gemerkt, dass auch die Landesvorsitzenden gegen ihn sind.“682

Nicht zuletzt weil der Bundesverband „sich dann erst kurz vor Schluss durchge-rungen“ hatte, unterstellten einigen Ärzten aus dem Marburger Bund ihrem Vor-

676 Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt. 677 Vgl. Interview MB (13) vom 26.07.2011, Landesverband, Hauptamt. 678 Interview MB (14) vom 26.07.2011, Landesverband, Hauptamt. 679 E-Mail vom 25.08.2005 von E2 an den Verteiler der kg42 Group. 680 Die Sitzung wurde nach einer Unterbrechung am 10. September fortgesetzt. 681 Interview MB (13) vom 26.07.2011, Landesverband, Hauptamt. 682 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt.

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Auf dem Weg zur Berufsgewerkschaft 273

sitzenden Montgomery machtopportunistisches Verhalten:683 „Er hat immer Angst gehabt, dass er seinen Job verliert.“684 Ganz ähnlich wurde auch von Sei-ten ver.dis auf machtpolitische Erwägungen verwiesen, aufgrund derer der Bun-desvorstand letztlich dem Druck der Basis nachgegeben habe. So hieß es im Oktober 2005 im ver.di-Magazin Informationsdienst Krankenhäuser unter der Überschrift „Der Marburger Bund und das machttaktische Verhalten seiner Füh-rung“ (Pieper 2005:11): Da der MB an den Verhandlungen beteiligt gewesen sei und die Positionen mit getragen habe, könne die Erklärung für sein Verhalten „nur noch machttaktische verbandsinterne Gründe sein.“ Die Führung habe demnach alles daran gesetzt „die eigene Position im MB zu sichern“ (ebd.: 12f.). „Gleichzeitig ging es auch um die Frage der Wiederwahl Montgomerys. [...] Montgomery musste sich profilieren, dass war mit ein Grund für die Tren-nung.“685 Ein anderer ver.di-Vertreter mutmaßt einen weiteren Zusammenhang und weist auf die „Ambitionen Montgomery[s], Ärztekammerpräsident zu wer-den“ hin.“686

Für die Assistenzärzte zählte indes das Ergebnis. Sie hatten den Marburger Bund und Montgomery zum Umdenken bewegt. Der Vorsitzende und die Große Tarifkommission befürworteten die Kündigung der Verhandlungsvollmacht für ver.di. Wegen der Bedeutung für die zukünftige Arbeit des Verbandes, überließ die GTK es allerdings den Delegierten auf der anstehenden Sonderhauptver-sammlung, endgültig über die Trennung zu entscheiden.687 Diese bestätigten auf der 108. Hauptversammlung den von der GTK vorbereiteten Beschluss mit zwei kleineren Änderungen am 10. September 2005:688

„Die 108. Hauptversammlung des Marburger Bundes hat den Verhandlungsstand (10.09.2005) zum TVöD mit seinen Teilverträgen und ergänzenden Verträgen analysiert und bewertet. Dieses Verhandlungsergebnis genügt nicht den Anforderungen, die die 107. Hauptversamm-lung aufgestellt hatte. Die Hauptversammlung lehnt daher das Verhandlungsergbnis [sic!] ab und fordert die Arbeit-geber von Bund und Kommunen auf, in Verhandlungen zu einem Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte mit dem Marburger Bund einzutreten. Die Verhandlungsvollmacht vom 11. November 1994 für die Gewerkschaft ver.di wird mit so-fortiger Wirkung widerrufen“ (Marburger Bund 2005b: 2, Beschluss Nr. 1).689

683 Interview MB (13) vom 26.07.2011, Landesverband, Hauptamt. 684 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. Andere Assistenzärzte hatten versucht darauf hinzuwirken: „Herr Montgomery muss Angst um seinen Vorstandsvorsitz bekom-men!“ (E-Mail vom 25.08.2005 von E2 an den Verteiler der kg42 Group). 685 Interview ver.di (2) vom 23.03.2009, Bundesverband, FB 3 Betriebs- und Branchenpolitik. 686 Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik. 687 Mit einer Gegenstimme empfahl der Beirat der Hauptversammlung einen dementsprechenden Beschluss. 688 Vgl. Interview MB (13) vom 26.07.2011, Landesverband, Hauptamt. 689 Im Vergleich zu der von der GTK empfohlenen Beschlussfassung wurde das Datum des Verhand-lungsstandes vom 07.09.2005 auf den 10.09.2005 aktualisiert, „zur Kenntnis genommen“ durch

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Insgesamt war etwa ein Jahr – von Oktober 2004 bis September 2005 – vergan-gen, bis die „Ver.di weg!“-Rufe auf der ersten großen Demonstration in Stuttgart zur Trennung des Marburger Bundes von ver.di geführt hatten. Dieser Erfolg der Jungärzte war gleichwohl auf dem Weg zur Berufsgewerkschaft nur der erste Schritt. Denn die sich daran anschließenden Forderung nach eigenständigen, arztspezifischen Tarifverträgen durchzusetzen, stand noch bevor. Reaktionen auf die Trennung von ver.di Wenn im Folgenden die Reaktionen der unterschiedlichen Akteure auf den Bruch zwischen Marburger Bund und ver.di dargestellt werden, müssen mindes-tens zwei Dimensionen unterschieden werden. Zum einen die Ebene des Kollek-tivakteurs (und derjenigen Personen, die in ihrer Rolle und Funktion diesen ver-treten) und zum anderen die Ebene der individuellen Akteure (vgl. Abraham/ Büschges 2009: 233). ver.di Die Kündigung der Verhandlungsvollmacht durch den Marburger Bund am 10.09.2005 blieb nicht ohne Reaktionen. Die Ärzte in der ver.di-Bundesfachkommission Ärztinnen und Ärzte riefen am 8. Oktober den ver.di-Bundesvorstand auf, dieser möge seinerseits die noch bestehenden Kooperati-onsvereinbarungen mit dem MB kündigen (vgl. ver.di-Bundesfachkommission Ärztinnen und Ärzte 2005: 11).690 Der Bundesvorstand kam diesem Anliegen unmittelbar nach. In der Folge beschränkten sich die weiteren kollektiven Reak-tionen von ver.di auf rhetorische und verbale Angriffe gegen den Marburger Bund und die Ärzteschaft. Für ein direktes juristisches Vorgehen gegen die Ärz-tegewerkschaft – wie in Fällen von Unterbietungskonkurrenz durch Christliche Gewerkschaften durchaus üblich – fehlte die Grundlage.691 Stattdessen bemän-gelte die Dienstleistungsgewerkschaft das unsolidarische Verhalten der berufs-gewerkschaftlichen Konkurrenz. Sie warf den Ärzten vor, ihre herausgehobene Stellung im Betrieb und ihre Machtposition auf Kosten schwächerer Berufsgrup-pen auszunutzen. Die Ärzte setzten einseitig ihre Partikularinteressen ohne Rücksicht und auf dem Rücken der übrigen Beschäftigtengruppen im Kranken-haus durch. Dieses Vorgehen breche die Solidarität der Arbeitnehmerschaft auf und trage zu deren Spaltung bei. Der Marburger Bund setze „auf Kosten der

„analysiert und bewertet“ und „arztspezifischen Tarifvertrag“ durch „Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte“ ersetzt. 690 Vgl. Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik. 691 Dennoch wurde der Gewerkschaftsstatus von einzelnen ver.di-Vertretern, bezogen auf die Mit-gliedschaft von niedergelassene und Chefärzten im Marburger Bund, durchaus kritisch gesehen (vgl. Kapitel 4.3.2).

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anderen Berufsgruppen in Krankenhäusern Einkommenserhöhungen“ durch (Pieper 2005: 12).692 Diese externen Effekte seines Handelns berücksichtige der Verband jedoch nicht, weil er sich ausschließlich der eigenen, exklusiven Mit-gliedschaft verpflichtet fühle. Kritisiert wurde von ver.di ferner, wie der Marbur-ger Bund bei den Verhandlungen zum TVöD vorgegangen war:

„Der MB war bei den Verhandlungen bis zuletzt dabei. Er hat bis kurz vor Abschluss nicht zu erkennen gegeben, dass er etwas nicht mittragen kann. [...] Es wurde sogar noch einmal geson-dert für die Ärzte verhandelt [...], noch unter Mitwirkung des MB. Erst in der letzten Nacht ist der MB ausgestiegen.“693

Den Vorwurf, erst alles mitgetragen und dann für ver.di unvorhersehbar den Abschluss abgelehnt zu haben, weisen MB-Vertreter von sich. Es sei frühzeitig gegenüber ver.di kommuniziert worden, dass der Marburger Bund mit der Aus-gestaltung des Tarifabschlusses Schwierigkeiten habe. Gespräche diesbezüglich hätten sich nicht allein auf die Spitzenebene beschränkt. Auch auf Landesebene habe es Kontakte gegeben, bei denen ebenfalls Kritik an den Inhalten geäußert worden wäre.694 Beispielsweise fanden am 12. April 2005 in Baden-Württemberg gemeinsame Gespräche statt, bei denen explizit die „unterschiedli-chen gewerkschaftlichen Standpunkte und Einschätzungen von ver.di und MB, insbesondere zu den Auswirkungen des TVöD“ erörtert wurden.695 Arbeitgeber Die Reaktion der Arbeitgeber war deutlich und einheitlich. Gespräche über einen Ärztetarifvertrag schlossen die Arbeitgeber auf kommunaler wie auf Länder-Ebene rundweg aus. „Möllring [Verhandlungsführer der TdL; d. Verf.] [hat] damals auch gesagt, ihm sei das egal, ob sich der Marburger Bund abspalten würde, man würde sowieso nur mit ver.di verhandeln.“696 Die kommunalen Ar-beitgeber reagierten am 11.10.2005 auf die Forderungen der Ärztegewerkschaft in Form einer Erklärung des Gruppenausschusses der VKA für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Unter der Überschrift „Marburger Bund auf dem Irr- 692 „Der Schritt des MB in die Eigenständigkeit ist eine extra Wurst auf unsere Kosten“ (Interview ver.di (1) vom 02.03.2009, Landesverband). 693 Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik. 694 So berichtet ein ver.di-Landesvertreter, dass ihn die Bundesebene drei Monate vor dem Schritt des MB in die Eigenständigkeit vorgewarnt habe (Interview ver.di (1) vom 02.03.2009, Landesebene). 695 Bericht über die Gespräche im Protokoll der Vorstandssitzung des Marburger Bundes Landesver-bandes Baden-Württemberg vom 20.04.2005, Seite 2. 696 Interview MB (17) vom 05.09.2011, Mitglied ohne Funktion. „Und dann habe wir in dieser Hauptversammlung entschieden: Wir trennen uns von ver.di. [...] Worüber die Arbeitgeber herzhaft gelacht und uns gesagt haben: Wir sind gar nicht bereit mit euch zu verhandeln, es gibt keine eigenen Tarifverhandlungen, ihr bekommt einen Anschlusstarifvertrag. Ihr dürft das unterschreiben, was ver.di ausgehandelt hat“ (Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt).

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weg“ wurde dem Ansinnen der Ärzte eine klare Absage erteilt. Eine Entgelter-höhung von 30 Prozent zu fordern sei abwegig, weil die Budgetdeckelung diese gar nicht zulassen. Sie mahnten darüber hinaus die Solidarität der Krankenhaus-beschäftigten an. Weitere Zugeständnisse an die Ärzte beliefen sich klar zu Las-ten der anderen Beschäftigtengruppen in den Kliniken. Die Arbeitgeber kritisier-ten das Vorgehen der Ärzte ebenfalls als eine Spaltung der Belegschaft. Weiter wurde auf das Bundesarbeitsgericht und den Grundsatz der Tarifeinheit hinge-wiesen. Der TVöD sei daher auch für die MB-Ärzte anzuwenden und separate Tarifverhandlungen mit den Ärzten demnach nicht erforderlich (vgl. VKA 2005). Dem Marburger Bund blieb damit keine andere Wahl, als Tarifverhand-lungen zu erzwingen und seine Forderungen mit dem gewerkschaftlichen Mittel des Arbeitskampfes durchzusetzen. 5.1.4 Durchsetzung der Forderungen – Der Streik 2005/ 2006 Die unmissverständliche Ablehnung der Arbeitgeber, mit dem Marburger Bund in Tarifverhandlungen zu treten, ließen dem Ärzteverband keine andere Wahl, als seine Forderung notfalls im Arbeitskampf durchzusetzen und Gespräche mit den Arbeitgebern zu erzwingen. Visarius und Lehr (2010: 277) konstatieren rückblickend:

„Ausgetragen wurden und werden diese Auseinandersetzungen zwar letztlich in den Tarifrun-den, aber durchgesetzt hat der Marburger Bund seine Forderungen mit Streiks auf der Straße, vor allem auf der Straße und in den Medien.“

Dabei setzte sich „Montgomery elegant an die Spitze der Bewegung“.697 Auf-grund der vorangegangenen Widerstände und Kontroversen wurde dies von „Insidern mit einem Kopfschütteln quittiert“ und sorgte „an der Basis für eine kleine Irritation“.697 Der Streikbereitschaft tat dies allerdings keinen Abbruch. Die Arbeitskämpfe knüpften beinahe nahtlos an die Streiks im Rahmen der TVöD-Verhandlungen an. Nachdem im September 2005 der Kooperationsver-trag mit ver.di gekündigt, die Verhandlungen zum TVöD für gescheitert erklärt und die Arbeitgeber zu separaten Tarifverhandlungen aufgefordert worden wa-ren, kam es am 15.09.2005 zu ersten Sondierungsgesprächen mit der TdL in Stuttgart. Die offiziellen Verhandlungen mit den Ländern begannen am 12./13. Oktober. Die Ärzte forderten eine eigene Gehaltsordnung, eine 30-prozentige Erhöhung der Grundentgelte sowie die vollständige Vergütung aller anfallenden Überstunden und Bereitschaftsdienste. Weiterhin sollten die Arbeitszeit-, Weih-nachts- und Urlaubsgeldregelungen der gekündigten Tarifverträge wiederherge-

697 Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt.

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stellt werden (vgl. Marburger Bund 2007a: 27; WSI 2006). Unterdessen wurden die Streikaktionen im Bereich der VKA fortgesetzt, die ihre Aussage, der BAT wirke fort, zurückgezogen hatte. Stattdessen bestanden die kommunalen Arbeit-geber nun darauf, dass auch für die MB-Ärzte der am 01.10.2005 in Kraft getre-tene TVöD anzuwenden sei. Die VKA weigerte sich daher, in Verhandlungen einzutreten, weil dazu keine Notwendigkeit bestehe (vgl. Ehl 2005: 15). Der Marburger Bund drohte daraufhin, ab dem 13. Dezember 2005 die kommunalen Krankenhäuser zu bestreiken. Die VKA blieb dennoch bei ihrer ablehnenden Haltung. „Es gebe keinen Spielraum mehr für die Kommunen […] [und deshalb] keine Möglichkeit, Tarifverhandlungen anzubieten“ (Deutsches Ärzteblatt 2005: 3297). Auf die angedrohten Streiks reagierten die Arbeitgeber, indem sie juristi-sche Schritte ankündigten. Sollten die Ärzte die Arbeit niederlegen, wollte die VKA eine einstweilige Verfügung gegen diese und den Marburger Bund erwir-ken. Tatsächlich untersagte das Landesarbeitsgericht Köln in zweiter Instanz die angekündigten Streiks. Begründet wurde dies mit der aufgrund des ungekündig-ten BAT bestehenden Friedenspflicht (vgl. Krankenhausgesellschaft NRW 2005).698 Daraufhin kündigte die Ärztegewerkschaft den BAT gegenüber den kommunalen Arbeitgebern. Diese gaben ihre Blockadehaltung zunächst auf und es kam am 26.01.2006 zu einem Gespräch auf Spitzenebene. Das Präsidium der VKA beschloss Gespräche über Tarifverhandlung aufzunehmen. Daraufhin sagte der Marburger Bund die für Februar im gesamten Bundesgebiet geplanten Streiks ab (vgl. Deutsches Ärzteblatt 2006). Nach einer gemeinsamen Sitzung der Kommissionen Ende Februar folgte am 9. März schließlich der offizielle Verhandlungsauftakt. Es zeigte sich jedoch, dass die VKA nicht bereit war, über einen arztspezifischen Tarifvertrag, sondern allenfalls über Änderungen am TVöD zu verhandeln.

Ebenfalls am 9. März erklärte der Marburger Bund die Verhandlungen mit der TdL nach der achten ergebnislosen Verhandlungsrunden für gescheitert. Knapp 99 Prozent seiner Mitglieder sprachen sich in der folgenden Urabstim-mung für unbefristete Streiks an den Universitätskliniken aus. Diese begannen am 16. März zunächst in zehn Kliniken und wurden bis zum April auf 26 Uni-klinken und psychiatrische Landeskrankenhäuser ausgeweitet. Der Marburger Bund verfügte weder auf Bundes- noch Landesebene über eine Streikkasse, die flächendeckend die Zahlung von Streikausfallunterstützung ermöglicht hätte. Daher wurden die Kosten des Streiks – mit Ausnahme der Sach- und Reisekos-ten, die der MB aus der Streikkasse bezahlte – von den Ärzten selbst getragen (vgl. Kapitel 4.4.3). In einigen Kliniken und Abteilungen war es möglich die

698 Vgl. auch Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt.

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Ausfallzeiten mit Überstunden zu verrechnen. Andere Ärzte meldeten sich krank.

„Teilweise wurde der Streik auch durch den Abbau von Überstunden getragen. Aber bei eini-gen Ärzten ist das nach einiger Zeit sicher auch richtig ins Geld gegangen, die haben den Streik privat getragen.“699

Unter den streikenden Ärzten war eine große Solidarität erkennbar. Viele unter-stützten die Streiks in ihrer Freizeit oder finanziell. So wurden über die bereits erwähnten Streikunterstützungskasse für Härtefälle auf Bundesebene hinaus (vgl. Kapitel 4.4.3) die Ärzte auf der Landesebene selber aktiv, um ihren Kollegen zu helfen und die Streikmobilisierung aufrecht zu erhalten.

„Da sind auch wirklich Gehälter gekürzt worden. Bevor die sich klein machen lassen, werden wir jetzt Geld sammeln. Denn der MB hatte ja keine Streikkasse. Also haben wir privat Geld gesammelt und das dann dem Landesverband Baden-Württemberg gespendet.“700

Zusätzlich zu dieser Selbsthilfe über die MB-Landesverbände richteten die Ärzte an einzelnen Kliniken ähnliche Solidaritätsfonds ein.701 Es war aber nicht nur die selbstorganisierte Hilfe, welche die Streiks auszeichnete. Vielmehr bewiesen die Mediziner ein hohes Maß an Kreativität, um öffentliche Aufmerksamkeit und Akzeptanz für die eigenen Forderungen zu erreichen. Zu den Aktionen zählten beispielsweise die Schließung und Verlegung ganzer Abteilungen, Streiks an Flughäfen unter dem Motto „Ab ins Ausland“ oder Aktionen wie „Ärzte gehen Baden“.702 Martens (2008: 35) ist überzeugt, dass das „hohe Maß an Selbstorga-nisation, der Einfallsreichtum und die Flexibilität der Streikenden [...] zwingend erforderlich [waren], um diesen Streik erfolgreich führen zu können.“

Zunächst war die Bilanz allerdings ernüchternd. Die zweite Sitzung mit der VKA Ende März 2006 verlief ergebnislos. Manche Beobachter vermuten, die VKA wollte erst die Entwicklung in den Ländern abwarten (vgl. WSI 2006). Aber auch bei der TdL brachten die Streiks an den Universitäten nicht den er-hofften Durchbruch. Kleinere Erfolge konnten Ende April verbucht werden, als die Berliner Charité einen Tarifvertrag mit dem Landesverband Berlin/ Branden-burg abschloss und sowohl TdL als auch VKA wieder in Gespräche einwilligten. Im gleichen Monat reichte der Marburger Bund dennoch eine Verbandsklage gegen die VKA vor dem Arbeitsgericht Köln ein, weil diese die MB-Ärzte vom 699 Interview MB (15) vom 10.08.2011, Mitglied ohne Funktion. 700 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 701 Vgl. Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mitglied ohne Funktion. Für Beispiele improvisierter Streikkassen und Verrechnung von Streikzeiten vgl. auch Martens 2008: 36. 702 Vgl. Interview MB (19) vom 09.09.2011, Mitglied ohne Funktion. Eine Bildergalerie unterschied-licher Aktionen findet sich unter Ärzte Zeitung 2006.

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BAT in den TVöD überführen wollte. Der erste Warnstreik bei der VKA erfolgte am 2. Mai, während zuvor im Bereich der TdL die Tagesstreiks auf Wochen-streiks, an den Unikliniken in Baden-Württemberg sogar auf unbefristete Voll-streiks, ausgeweitet worden waren (vgl. Ziegler 2006: 16; WSI 2006). Am 18. und 19. Mai 2006 einigten sich ver.di und TdL unterdessen über den neuen Ta-rifvertrag der Länder (TV-L).

Einen Monat später am 16. Juni 2006 willigte die TdL schließlich in den Abschluss eines arztspezifischen Tarifvertrages mit dem Marburger Bund ein. Zwischen dieser Einigung und der Urabstimmung im März lag ein insgesamt 13-wöchiger Streik, an dem nach MB Angaben insgesamt 43 Universitätskliniken und psychiatrische Landeskrankenhäuser sowie 14.000 Ärzte beteiligt waren. Der Konflikt mit der VKA indes hielt an. Die Verhandlungen wurden nach der fünften Runde am 9. Juni abgebrochen. Es folgten eine Urabstimmung und Ar-beitskämpfe, die in den ersten Wochen bereits 52 Krankenhäuser erfassten. Im Verlauf der folgenden Wochen stieg die Zahl nach Angaben des Marburger Bundes auf bis zu 190 kommunale Kliniken und bis zu 19.000 streikende Ärzte. Nachdem die VKA sich am 7. Juli wieder zu Verhandlungen bereit erklärt hatte, konnte am 17. August endlich eine Einigung über den Ärztetarifvertrag erzielt werden (vgl. Ziegler 2006: 17). Beobachter sahen den Durchbruch darin, dass es dem MB-Landesverband Baden-Württemberg gelungen war, einen eigenen Ta-rifvertrag für kommunale Kliniken mit der Stadt Stuttgart abzuschließen. Damit sei die Blockadepolitik der VKA unterlaufen worden. Dieser Tarifvertrag habe als Pilotmodell, angelehnt an den TdL-Abschluss, den Weg für eine Einigung mit der VKA auf Bundesebene geebnet (vgl. Höfle 2006). Im September folgte nachträglich der Abschluss mit dem aus der TdL ausgetretenen Land Hessen und im November mit dem Krankenhausarbeitgeberverband Hamburg (KHAV). Bis dahin waren auch die Redaktionsverhandlungen mit der TdL (Ende Oktober) und der VKA (17. November) abgeschlossen. Ende 2006 waren damit alle arztspezi-fischen Tarifverträge für öffentliche Krankenhäuser verhandelt und unterzeichnet worden. Der erste Tarifabschluss mit einem privaten Klinikträger (Helios) ge-lang ebenfalls noch im November desselben Jahres (vgl. Ziegler 2006: 17; Marburger Bund 2007a: 30f.).

Reaktionen auf die Streiks der Ärzte Trotz seiner Dauer und obwohl einige als Patienten selbst unmittelbar von den Auswirkungen der Streiks betroffen waren, traf der Arbeitskampf der Kranken-hausärzte in der Bevölkerung auf eine erstaunlich breite Zustimmung. Eine im Mai 2006 durchgeführte Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF-Politbarometer bestätigte die öffentliche Unterstützung. Eine Mehrheit von 76 Prozent aller Befragten wertete die Streiks der Ärzte für bessere Arbeitsbedin-

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gungen und mehr Gehalt richtig. Nur 20 Prozent stimmten gegen sie (vgl. Forschungsgruppe Wahlen 2006). Nicht zuletzt dürfte dies auf ein positives „gesellschaftliches Umfeld aufgrund einer Debatte über die schlechten Arbeits-bedingungen von Ärzten“ zurückzuführen sein.703 Einen Teil dazu mögen die kreativen Streikaktionen der Ärzte beigetragen haben, die immer wieder die Arbeitsbedingungen in den Mittelpunkt rückten. Dies anscheinend so erfolg-reich, dass die bestehende 30-Prozent-Forderung offenbar keine Entrüstung her-vorrief. Darüber wunderte sich auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (2006b: 42) im März 2006: „Mit so einer Forderung würde IG-Metall-Chef Jür-gen Peters für verrückt erklärt werden. Doch die Ärzte erhalten einfühlende Aufmunterung quer durch die Bevölkerung.“ Pflegepersonal Das Pflegepersonal reagierte differenziert auf die Ärztestreiks. Der Marburger Bund berichtet, dass das bei ver.di organisierte Pflegepersonal, insbesondere Betriebsratsmitglieder, versucht habe, die Pflegekräfte gegen die Streiks und die Ärzte zu mobilisieren.704 Zugleich verhielt sich ein Großteil des übrigen Pflege-personals vielfach solidarisch. Pflegekräfte hätten etwa an Warnstreiks teilge-nommen, so Vertreter des Marburger Bundes.705 Ver.di dagegen meint: „Der Pflegebereich ist [...] eher kontrovers mit dem MB umgegangen.“706 Nicht zu-letzt da die Berufsgewerkschaft die Ärzte als „Leistungsträger“ hingestellt und damit implizit alle anderen Berufsgruppen auf den Status von „Zuarbeitern“ degradiert habe.707 Chefärzte Die Reaktionen der Chefärzte auf den Streik der Assistenzärzte und des Marbur-ger Bundes fiel ebenfalls sehr unterschiedlich aus. Eine ablehnende Haltung erklärt sich zum einen aus der ärztlichen Krankenhaushierarchie (vgl. Kapitel 3.3.1). Zum anderen spielt die eigenverantwortliche Zuständigkeit der Chefärzte für ihre Abteilung eine Rolle.708 Die Klinikleitung hat unter anderem die Mög- 703 Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik. 704 „Man hat probiert da einen Keil rein zu treiben. Krankenschwestern versucht zu instrumentalisie-ren um den Streik auszuhebeln. Letztlich konnte man denen im Gespräch aber klar machen worum es ging. Insgesamt fühlt sich die Pflege von ver.di ja auch nicht gut vertreten“ (Interview MB (15) vom 10.08.2011, Mitglied ohne Funktion). 705 Vgl. Interview MB (1) vom 23.04.2008, Bezirksverband, Ehrenamt; Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 706 Interview ver.di (1) vom 02.03.2009, Landesverband, Hauptamt. 707 Interview ver.di (1) vom 02.03.2009, Landesverband, Hauptamt. Andersherum wird ver.di vom MB auch vorgeworfen, über die „Sozialneidschiene: Die nehmen euch das Geld weg“, Stimmung gegen die Ärzte gemacht zu haben (Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt.). 708 Vgl. Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt.

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lichkeit, Ressourcen zwischen den einzelnen Fachabteilungen umzuverteilen. Damit verfügte sie über ein Druckmittel gegenüber den Chefärzten, die sich öffentlich auf die Seite ihrer streikenden Assistenzärzte stellten. „Einige haben das mitgetragen, andere hatten Angst um ihre Abteilung gehabt. Insgesamt gab es viel Widerstand, massiven Widerstand.“709 Dies bestätigen weiter Stimmen aus dem Marburger Bund, die eher auf erhebliche Widerstände seitens der Chef-ärzte hindeuten.

„Also von den Chefärzten gab es ganz wenige die uns vollumfänglich unterstützt haben. Es gab, die Mehrheit würde ich sagen, hat massiv gegen uns gearbeitet und hat gleichzeitig in der Öffentlichkeit Lippenbekenntnisse abgegeben, wie sehr sie den Streik und bessere Arbeitsbe-dingungen und dergleichen unterstützten würden.“710 „Früher war die Nichtsolidarität 100 Prozent und wir haben es schon als einen riesen Erfolg be-trachtet, dass es jetzt 50 Prozent waren. Aber natürlich waren Chefärzte ganz vehement gegen den Streik.“711

Aber nicht nur die Chefärzte „haben sich als Vorgesetzte negativ zum Streik positioniert. […] [Auch der] VLK712, der ja vor allem Chefärzte vertritt, […] wendete sich gegen alle Streiks.“713 Diese Haltung vieler Chefärzte führt nicht zuletzt dazu, dass der Marburger Bund (2006b: 3) auf der 110. Hauptversamm-lung in einem Beschluss unter dem Titel „Kollegialität“ anmerkte:

„Der Marburger Bund nimmt mit Empörung zur Kenntnis, dass in der zurückliegenden Streik-phase die Position einer Reihe von Chefärztinnen und -ärzten in ihrer Doppelverantwortung gegenüber den ärztlichen Mitarbeitern und den Trägern zumeist nicht hat erkennen lassen, dass die kollegiale Solidarität dominante Maxime ihres Handelns war.“

5.1.5 Erste eigenständige Tarifverträge Die ersten eigenständigen Tarifverträge zeigen, dass es dem Marburger Bund nicht gelang, alle Forderungen in den Bereichen Entgelt, Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten durchzusetzen. Die Berufsgewerkschaft musste zahlreiche Zugeständnisse machen. Beispielsweise gelang es nicht, einheitliche Gehaltsta-bellen für Ost- und Westdeutschland festzuschreiben. Die in Tabelle 24 darge-stellten Entgelte des TV-Ärzte/ VKA waren für Ostdeutschland auf 95,5 Prozent der West-Entgelte festgelegt worden714 (vgl. VKA/ Marburger Bund 2006: 19, §18; VKA/ ver.di 2005: 17, §15). Des Weiteren war der Gültigkeitsbereich der 709 Interview MB (15) vom 10.08.2011, Mitglied ohne Funktion. 710 Interview MB (17) vom 05.09.2011, Mitglied ohne Funktion. 711 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 712 Verband der Leitenden Krankenhausärzte. 713 Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 714 Diese Regelung unterschied sich nicht von derjenigen im TVöD/ VKA.

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Tarifverträge mit der TdL auf die Universitätskliniken begrenzt. Die an den Streiks beteiligten Assistenzärzte in den psychiatrischen Landeskrankenhäusern dagegen konnte der MB in die Abschlüsse nicht einbeziehen (vgl. Ziegler 2006: 16f.). Das gleiche galt für vorrangig wissenschaftlich tätige Ärzte. Der Geltungs-bereich der Tarifverträge war auf Ärzte die überwiegend klinische Tätigkeiten ausüben begrenzt (vgl. Lindhorst 2007).

Viele Mitglieder waren darüber hinaus enttäuscht, dass die von den Assis-tenzärzten benannten Missstände in puncto Arbeitsbedingungen ihrer Ansicht nach nicht hinreichend behandelt wurden. Besonders deutlich wird dies am Bei-spiel von vier der insgesamt sieben im Streik 2004 besonders engagierten Jung-ärzte.715 Diese sind mittlerweile ausgewandert und arbeiten in australischen Krankenhäusern. Den Ausschlag für die Auswanderung hätten nicht monetäre Anreize, sondern die besseren Arbeitsbedingungen gegeben.716 Die Schuld für die weiterhin vorhandenen Missstände sehen sie aber nicht beim Marburger Bund und dessen Tarifabschlüssen. Vielmehr sei durch diese deutlich geworden, dass sich nicht alles tarifieren lasse. Daran habe auch das eigenständige Verhand-lungsmandat nichts ändern können. Bei den Arbeitsbedingungen habe sich ge-zeigt, dass die Arbeitgeber nicht gewillt sind, auf die Hauptkritikpunkte der As-sistenzärzte einzugehen. Dies betreffe an erster Stelle die unzumutbare Bürokra-tisierung des Arztberufes infolge der DRG Einführung.717 Hier hätten auch die eigenständigen Verträge keine Verbesserungen gebracht. Auch die Gehaltsforde-rung „BAT + 30%“ konnte nicht realisiert werden. Im Nachhinein gestanden die Beteiligten ein, dass es ein Fehler gewesen wäre, mit einer derart konkreten For-derung in die Verhandlungen zu starten. Allerdings lag dieser ein Beschluss der Hauptversammlung zugrunde, der sich nicht zurücknehmen ließ (vgl. (Ehl 2006: 15). Der erreichte Abschluss blieb letztlich weit hinter den geforderten 30 Pro-zent zurück.

Dessen ungeachtet konnte der Marburger Bund sehr wohl Erfolge erzielen. Im BAT gab es für Krankenhausärzte nur zwei Entgeltgruppen. Unterschieden wurden ausschließlich zwischen Assistenz- und Facharzt. Gleiches galt für den neuen TVöD. Die arztspezifischen Tarifverträge definieren stattdessen vier Ent-geltgruppen, welche die gesamte ärztliche Weiterbildungs- und Hierarchiestruk-

715 Diese waren an der Selbstorganisation und den Streiks in Baden-Württemberg maßgeblich betei-ligt und wurden auch vom MB-Landesverband so wahrgenommen und namentlich benannt. 716 Vgl. Interview MB (16) vom 23.08.2011, Mitglied ohne Funktion; Interview MB (17) vom 05.09.2011, Mitglied ohne Funktion. 717 In Australien dagegen, dem Ursprungsland des DRG-Systems, könnten sich die Ärzte voll auf den medizinischen Aspekt ihrer Tätigkeit konzentrieren. Zum Beispiel wird die Fall-Eingruppierung hier nicht von den Ärzten, sondern von extra dafür angestellten Kräften vorgenommen (vgl. Interview MB (16) vom 23.08.2011, Mitglied ohne Funktion; Interview MB (17) vom 05.09.2011, Mitglied ohne Funktion).

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tur abdecken. „Neue Tarifstufen wurden definiert: Assistenzarzt, Facharzt, Ober-arzt, das war im BAT nicht vorgesehen und ist eine Errungenschaft des MB.“718 Die vierte Stufe stellt der leitende Oberarzt (ständige Vertretung des Chefarztes) dar (vgl. Lindhorst 2007). Die auf den neuen Tarifstufen basierende Gehaltsta-belle bracht zwar keine 30-prozentigen Einkommenszuwächse mit sich, führte aber dennoch zu einer merklichen Anhebung der Grundvergütung. Für die tat-sächlichen Einkommenszuwächse sei beispielhaft der Vergleich der Entgelt-gruppen und -stufen der Ärzte nach TVöD/ VKA beziehungsweise TV-Ärzte/ VKA angeführt (vgl. Tabelle 24).719 Tabelle 24: Entgelte TVöD und TV-Ärzte VKA West im Vergleich* (2005/06) Arzthie-rarchie

Zeit der Tätig-keit innerhalb derselben Entgeltgruppe

TVöD/ VKA West(ab 01.10.2005)

TV-Ärzte/ VKA West (ab 01.08.2006)

Entgeltgruppe/ Stufe Entgeltin €

Entgeltgruppe/ Stufe

Entgelt in €

Assistenz-arzt

Einstellung 14 / 1 3.060 I / 1 3.420 Nach 1 Jahr 14 / 2 3.400 I / 2 3.640 Nach 2 Jahren I / 3 3.760 Nach 3 Jahren 14 / 3 (Entgelt nach Stufe 4)

(4 ab 6 Jahren) 3.900 I / 4 4.000 Nach 5 Jahren I / 5 4.200

Facharzt Im ersten Jahr 14 / 3 (Entgelt nach Stufe 4) 3.900 II / 1 4.450 Nach 5 Jahren 14 / 4 (Entgelt nach Stufe 5) 4.360 II / 2 (3 ab 6 J.) 4.800 Nach 9 Jahren 15 / 5 4.780 II / 3 (4 ab 10 J.) 5.110 Nach 13 Jahren 15 / 6 5.100 II / 4 (5 ab 15 J.) 5.300

Oberarzt Im ersten Jahr 14 / 3 (Entgelt nach Stufe 4) – 15 / 6

3.900 – 5.100

III / 1 5.650

Nach 3 Jahren 14 / 4 (Entgelt nach Stufe 5) – 15 / 6

4.360 – 5.100

III / 2 6.000

Leitender Oberarzt

Im ersten Jahr 14 / 3 (Entgelt nach Stufe 4) – 15 / 6 + Funktionszulage

4.250 – 5.450

IV / 1 6.500

* Aufgrund der generell überlangen Arbeitszeiten von Ärzten und oftmals unbezahlten Überstunden bleibt in der Gegenüberstellung unberücksichtigt, dass bei TVöD/ VKA West die wöchentliche Arbeitszeit 38,5 Stunden, beim TV-Ärzte/ VKA West jedoch 40 Stunden beträgt.

Quellen: VKA/ ver.di 2005: 19, 49, 54, Anhang A (VKA); VKA/ Marburger Bund 2006: 19f., 37, Anhang A; Eigene Darstellung und Berechnung.

In nur einem Fall fiel das Tabellenentgelt nach TVöD höher aus als das des MB-Tarifvertrages.720 Dabei handelte es sich um Assistenzärzte, denen es in sechs 718 Interview MB (9) vom 25.05.2011, Landesverband, Ehrenamt. 719 Die Entgelttabelle TV-Ärzte/ TdL war gleich aufgebaut, fiel aufgrund von 42 Wochenstunden jedoch in allen Gruppen höher aus und enthielt in der Entgeltgruppe III eine und in IV zwei weitere Stufen (vgl. TdL/ Marburger Bund 2006: Anlage A1, S. 31). 720 Aufgrund der generell überlangen Arbeitszeiten von Ärzten und oftmals unbezahlten Überstunden bleibt in der Gegenüberstellung unberücksichtigt, dass bei TVöD/ VKA West die wöchentliche Arbeitszeit 38,5 Stunden, beim TV-Ärzte/ VKA West jedoch 40 Stunden betrug.

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Jahren nicht gelungen war, ihre fachärztliche Weiterbildung abzuschließen.721 Der Marburger Bund hatte hier keine weitere Stufe tarifiert, da die Facharztaus-bildung in der Regel nach 6 Jahren abgeschlossen ist.722 Bezogen auf Tabelle 24 erhöhte der MB-Tarifvertrag im Vergleich zum TVöD – allerdings ohne Berück-sichtigung der unterschiedlichen Wochenarbeitszeit – das Grundentgelt der As-sistenzärzte um durchschnittlich knapp 8 Prozent und das der Fachärzte um 19 Prozent. Des Weiteren muss berücksichtigt werden, dass mit dem TVöD das Grundentgelt verglichen zum BAT deutlich abgesenkt wurde. Dem Marburger Bund gelang es mit seinem Abschluss letztendlich die Vergütung wieder auf das alte BAT-Niveau anzuheben.723 Reaktionen auf die eigenständigen Tarifverträge Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), quasi Spitzenwirtschaftsverband der Krankenhausträger, bezifferte die Höhe der Mehrkosten infolge des TVöD Abschluss, nicht zuletzt aufgrund der deutlichen Tariferhöhung durch die eigen-ständigen Tarifverträge des Marburger Bundes, für das Jahr 2006 auf etwa 1,5 Milliarden Euro (DKG 2006: 647). Demzufolge hätten sich die Kosten für den Ärztlichen Dienst im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozent erhöht. Das Deut-sche Krankenhausinstitut (DKI) fragte daraufhin im Krankenhaus Barometer 2007 in den Kliniken nach, „welche Maßnahmen sie infolge der Tariferhöhung im Ärztlichen Dienst konkret planen“ (Blum et al. 2007: 70). Die genannten Maßnahmen umfassten neben Prozessoptimierungsabsichten im Ärztlichen Dienst, die zwei Drittel der Krankenhäuser anwenden wollten, insbesondere tätigkeits- und stellenrelevante Instrumente. Dabei wären in größerem Maße die nichtärztlichen Beschäftigtengruppen betroffen. Fast die Hälfte der Kliniken plante, ärztlichen Tätigkeiten auf andere Beschäftigtengruppen zu übertragen. Während 38 Prozent der Krankenhäuser einen Stellenabbau im nichtärztlichen Dienst ins Auge fassten, kam dies im Ärztlichen Dienst nur für 11 Prozent der Einrichtungen in Betracht. Darüber hinaus erklärten 28 Prozent der Kliniken, offene ärztliche Stellen zeitweise nicht neu besetzen zu wollen (ebd.).

Diese Daten bestätigen zumindest teilweise den Vorwurf ver.dis, die Ärzte hätten ihre Einkommenszuwächse auf dem Rücken der anderen Beschäftigten durchgesetzt. Wenn auch nicht bewusst vom Marburger Bund betrieben, schei-

721 Deren Entgelt hätte nach TVöD Tabelle 4.360 Euro und nach TV-Ärzte nur 4.200 Euro betragen. 722 Diese wurden im TV-Ärzte in die erste Facharztstufe mit 4.450 Euro eingruppiert und lagen damit wieder über dem entsprechenden Gehalt eines Facharztes nach 5 Jahren in der TVöD Tabelle von 4.360 Euro. 723 Der MB errechnete einen leichten Gehaltsanstieg, die Arbeitgeber hingegen in einzelnen Fällen – je nach Hierarchiestufe und VKA- oder TdL-Abschluss – auch leichte Einkommensrückgänge im Vergleich zum BAT (vgl. Marburger Bund 2006d: 9-11; Flintrop 2006a: 2670).

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nen dessen Tarifverträge gleichwohl über die geplanten Maßnahmen auf das übrige Krankenhauspersonal zurückzuwirken. Abbildung 14: Geplante Maßnahmen infolge der Tariferhöhungen bei Ärzten

(2007)

Quelle: Blum et al. 2007: 70. Eine weitere Strategie einzelner Arbeitgeber die Mehrkosten durch den MB-Tarifvertrag zu umgehen, bestand darin, die Stellenstruktur in ihren Häusern zu verändern. So wurden etwa Oberarztstellen einfach zu Facharztstellen umdefi-niert. Die betroffenen Oberärzte fanden sich daher in der entsprechend niedrige-ren Entgeltgruppe wieder. Ein Vorgehen, das in der Folge allerdings die Arbeits-gerichte beschäftigte (vgl. Marburger Bund 2007e: 11).724 ver.di Ver.di äußerte unterschiedliche Kritikpunkte an den vom Marburger Bund abge-schlossenen Tarifverträgen. Zunächst wurde der Ärztegewerkschaft unsolidari-sches Verhalten vorgeworfen. Der Marburger Bund habe durch sein elitäres Vorgehen und seine Partikularinteressenvertretung die Entsolidarisierung der Beschäftigten sowie eine Spaltung der Gewerkschaften vorangetrieben (vgl. Dielmann 2006: 14). Darüber hinaus wurde die konkrete inhaltliche Ausgestal-tung der Tarifverträge bemängelt. Zum einen hätten die Assistenzärzte den „Streik getragen, profitiert haben vor allem die leitenden Ärzte.“725 Die Tarifab-schlüsse übervorteilten die Oberärzte, während die Entgelterhöhungen für die Assistenzärzte als Träger des Streiks deutlich geringer ausfielen. Diesen Um-stand erklärt ver.di damit, dass die Entscheidungsfunktionen im Marburger Bund

724 Vgl. auch Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt. 725 Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik.

6,0

11,0

28,2

37,7

46,6

67,7

0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0

Sonstige Maßnahmen

Stellenabbau im Ärztlichen Dienst

Zeitweise Nichtbesetzung offener Stellen im Ärztlichen Dienst

Stellenabbau in anderen Berufsgruppen

Delegation ärztlicher Tätigkeiten an andere Berufsgruppen

Prozessoptimierung im Ärztlichen Dienst

Krankenhäuser in %

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nach wie vor den Oberärzten vorbehalten seien. Hauptgrund wäre damit die hierarchisch organisierte Struktur der Ärzteschaft.

„Er [der Marburger Bund] konnte dann auch Einfluss nehmen [auf den von den Assistenzärz-ten getragenen Streik und deren Forderungen; d. Verf.], deswegen sind die Oberärzte so gut weggekommen, denn die sind im MB in den Positionen, die was zu sagen haben.“725

Tatsächlich werden die Funktionen und Ämter im Marburger Bund in der Regel nicht von Assistenzärzten ausgefüllt (vgl. Kapitel 4.2.2). Der Verband versucht jedoch sicherzustellen, dass deren Interessen eingebunden werden. Deshalb wur-den etwa die im Zuge der Streiks geschaffenen Assistenzärztesprechertreffen institutionalisiert. Regelmäßig finden Netzwerktreffen statt, beispielsweise bei anstehenden und laufenden Tarifverhandlungen oder um Streiks vorzubereiten und Forderungen zu formulieren.726 Die ver.di-Argumentation erscheint bei nä-herer Betrachtung auch aus anderen Gründen fraglich. Denn die höheren Zu-wächse bei den Fach- und Oberärzten waren den Assistenzärzten nicht nur be-kannt, sondern wurde durchgängig als nicht problematisch wahrgenommen oder sogar gewünscht. Auch ver.di bestätigt, dass diese nicht unzufrieden gewesen seien.727 Für diese Haltung der Assistenzärzte lassen sich unterschiedliche Grün-de anführen. Ein ausschlaggebender Aspekt ist in der für viele Ärzte charakteris-tischen Grundhaltung, dass Leistung sich bezahlt machen soll, zu suchen:

„Forderung war immer auch eine Perspektive. Also durch Fortbildung und Leistung weiterzu-kommen. Es sollte eine Motivation zu sehen sein, um sich anzustrengen. [...] Assistenzärzte müssen besser verdienen und in den ersten fünf Jahren auch Gehaltssteigerungen haben. [...] Aber die Oberärzte haben auf jeden Fall 20 Prozent mehr, leitenden Oberärzten sogar 30 Pro-zent mehr bekommen. Aber das ist überhaupt kein Problem, es heißt doch nur, ich weiß wofür ich das alles mache. Ich arbeite mich hoch. [...] Wir wollten eine Perspektive auch für das Alter sehen.“728

Der Assistenzarzt wird als unterste Stufe der Karriereleiter gesehen. Daher hängt die Akzeptanz der Tarifabschlüsse direkt mit der ärztlichen Berufsperspektive zusammen:

„Wir möchten, dass der Arzt im Krankenhaus als Assistenzarzt eine berufliche und finanzielle Perspektive hat, deshalb muss sich die Karriere auch in den Tabellen abbilden. Früher war das Krankenhaus ein Durchlauferhitzer und die Ärzte waren nach der Weiterbildung weg, jetzt wollen viele eine berufliche Karriere da machen.“729

726 Vgl. Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. 727 Interview ver.di (2) vom 23.03.2009, Bundesverband, FB 3 Betriebs- und Branchenpolitik. 728 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Landesverband, Ehrenamt; vgl. auch Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 729 Interview MB (8) vom 28.09.2011, Bundesverband, Hauptamt.

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Die Assistenzposition ist als Übergangsphase nur zeitlich begrenzt relevant. Gleichzeitig wird das Krankenhaus – damit die Fach- und Oberarzttätigkeit – beruflich immer stärker zur Karriereperspektive. Aus dieser langfristigen Per-spektive erklärt sich, warum die Jungärzte das Tarifergebnis als positiv und kei-nesfalls als nachteilig wahrnahmen. Der vorübergehende Verzicht auf unmittel-bare Einkommenssteigerungen wurde als Investition in die Zukunft interpretiert.

Die Vorwürfe ver.dis betrafen jedoch nicht nur die Ausgestaltung der Tarif-verträge. Weitergehend wurde deren Eigenständigkeit bestritten:

„Schon vor der Abtrennung des MB hat es eine kritische Auseinandersetzung innerhalb von ver.di gegeben. Die Trauer hat sich bei den ver.di-Ärzten in Grenzen gehalten, dass die jetzt mal was tun müssen. [...] Der MB wurde auch als Trittbrettfahrer betrachtet. Er tut nichts für die Tarifverträge. [...] Der MB hatte es dann auch nicht schwer, den TV von ver.di zu über-nehmen. Einige Anpassungen bei Eingruppierung, Tabelle und Überstunden – aber alles andere bis auf Weiterbildung einfach übernommen.“730

Dieser Vorwurf ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Er trifft insofern zu, als dass ver.di sowohl mit der VKA den TVöD als auch mit der TdL den TV-L be-reits abgeschlossen hatte, bevor der Marburger Bund seinen Tarifvertrag durch-setzen konnte. Unter ökonomischen Gesichtspunkten wäre es für den MB und die Arbeitgeber unsinnig gewesen, die vorhandenen Verträge nicht als Grundlage zu nehmen und stattdessen die Ärzteverträge durchgehend neu zu konzipieren. Der Marburger Bund sieht darin allerdings keinen Beleg mangelnder, eigener Kompetenz. Ver.di habe ebenfalls die vom ihm verhandelten Verbesserungen für die Ärzte einfach nachträglich in die eigenen Tarifverträge aufgenommen.731 Es kann aber nicht bestritten werden, dass der Marburger Bund an der zuvor geleis-teten Arbeit ver.dis stark partizipiert hat. Dies betrifft sowohl die Verhandlung und Formulierung der Verträge als auch deren Durchsetzung, die auch im Fall von ver.di mit Streiks verbunden war. Dennoch unterscheiden sich die MB-Tarifverträge in zentralen Punkten von den ver.di-Verträgen (Entgelttabelle, Tarifierung Oberarzt, etc.). Die Berufsgewerkschaft musste diese darüber hinaus in eigenen Arbeitskämpfen durchsetzten. Eine eigenständige Leistung des Mar-burger Bundes kann daher nicht geleugnet werden.

730 Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik. 731 „[...] die Verbesserungen, die wir erreichen, werden dann einfach übernommen. Deswegen gibt es heute nur verhältnismäßig kleine Unterschiede zwischen TVöD und unseren Tarifverträgen (Inter-view MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt). „Die fehlenden Abweichungen in den Tarifergebnissen waren darin begründet, dass ver.di zunächst die von uns abgelehnten Zwischenstände der Tarifverhandlungen mit der VKA/ TdL tarifiert hat und dann nach endgültigem Abschluss noch einmal nachgezogen hat. Die Verbesserung der Faktorisierung/ Bewertung des Bereitschaftsdienstes wurde zum Beispiel vom MB errungen und ver.di profitierte davon“ (Interview MB (5) vom 19.06.2009, Landesverband, Ehrenamt).

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Ein weiterer Kritikpunkt ver.dis betraf erneut die inhaltliche Ausgestaltung der eigenständigen Tarifverträge. Der Marburger Bund habe vorrangig hohe Entgelte tarifiert, anstatt die in den Streiks angemahnten schlechten Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das zeige sich besonders deutlich in den Arbeitszeitregelungen.

„Der Tarifvertrag des MB beinhaltete ein großzügiges Angebot an die Arbeitgeber die Wo-chenarbeitszeit bis auf 66 Stunden zu erhöhen, das wäre mit ver.di nicht machbar gewesen. [...] Meist ein Tausch von Zeit gegen Geld.“732

Diese einseitige Betonung der Vergütung zu Lasten der Arbeitszeitfrage konsta-tiert auch Füllekrug (2008: 20f.). Er weist darauf hin, dass der Marburger Bund nach dem SIMAP-Urteil von 2000 (vgl. Kapitel 3.3.3), das Bereitschaftszeit als Arbeits- und nicht als Ruhezeit definierte, für „Moderne Arbeitszeiten für das Krankenhaus“ geworben habe. Gleichzeitig habe Montgomery viele Jahre lang unermüdlich auf die übermüdeten Krankenhausärzte mit ihren 60 bis 80 Arbeits-stunden in der Woche hingewiesen. In den abgeschlossenen Tarifverträgen wür-den aber „nahezu alle in der Vorgeschichte dieser Tarifauseinandersetzung be-mühten Argumente für eine Verbesserung der ärztlichen Arbeitszeiten“ fehlen. Stattdessen „tarifierten [Marburger Bund und letztlich auch ver.di; d. Verf.] den bestehenden Status quo in der Arbeitszeitfrage (ebd.: 21). Dieses Vorgehen er-klärt Füllekrug (ebd.) damit, dass es dem Marburger Bund trotz des „historisch einmaligen Streiks“ nicht gelang, die Grundvergütung weit genug anzuheben. Die Ärzte konnten daher unter den Bedingungen einer 48-Stunden-Woche ihr bisheriges Einkommensniveau nur mit der tarifierten Möglichkeit durch Über-stunden dazuzuverdienen, aufrecht erhalten.

Der Marburger Bund argumentiert in dieser Angelegenheit pragmatisch. Die Arbeitgeber hielten die bestehenden Arbeitszeitrichtlinien ohnehin nicht ein. Wenn sowieso viel und lange gearbeitet werden müsse, dann solle das wenigs-tens bezahlt werden. „42 Stundenwoche? Kein Problem, die hab ich Mittwoch-abend erreicht.“733 Doch auch der Marburger Bund ist sich der Arbeitszeitprob-lematik bewusst. Bereits auf der 113. Hauptversammlung im Mai 2008 wurde beschlossen:

„Der Marburger Bund wird bei seiner Tarifarbeit noch mehr als bisher darauf achten, dass die Aspekte des Arbeitsschutzes tariflich verankert werden. [...] Deshalb legt sich der Marburger Bund darauf fest, bei der Gestaltung des Tarifrechts die Erkenntnisse der Arbeitswissenschaft zu berücksichtigen“ (Marburger Bund 2008: 3, Beschluss Nr. 3).

732 Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik. 733 Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt.

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Damit nahm der Marburger Bund die Kritik, die auch in Teilen der Mitglied-schaft formuliert wurde, auf. „Der zukünftige Schwerpunkt liegt aber nicht mehr allein auf dem Geld, sondern vor allem auf den Arbeitsbedingungen. Auch weil die Ärzte uns das sagen und so wollen.“734 Ver.di erkennt an, dass der Marburger Bund die Problematik erkannt habe. „Das hat der MB versucht, in den folgenden Tarifverträgen zu ändern. Er hat generell versucht, seine gemachten Fehler aus-zubügeln. Der MB ist lernfähig.“735

Während das Verhältnis zwischen ver.di und Marburger Bund auf der Bun-desebene dennoch weiterhin stark konflikthaltig geprägt ist, kommt es vor Ort primär auf die generelle Situation der Klinik und die persönliche Konstellation an. So wird das Verhältnis in den Mitbestimmungsgremien beispielsweise als „gegenseitige Akzeptanz, aber konkurrierend“ beschrieben.736

„Auf lokaler Eben gibt es durchaus Zusammenarbeit mit anderen Gewerkschaften, insbesonde-re mit ver.di. Auf Bundesebene gibt es zurzeit wenig Kontakt zu ver.di, jedoch verstärkte Zu-sammenarbeit mit anderen Spartengewerkschaften.“737

Auf Landesebene kommt es bei Tarifverhandlungen vereinzelt zu Absprachen, manchmal sogar zu Verhandlungskommissionen. Wobei jede Gewerkschaft natürlich weiterhin für ihren Bereich zuständig sei.738 Ver.di stellt das Verhältnis gleichfalls als stark different dar. Auf der einen Seite wird beschrieben, dass das Verhältnis im beruflichen und gewerkschaftlichen Alltag nicht sehr konflikthal-tig sei. So würden etwa im Aufsichtsrat gemeinsame Vorbesprechungen mit den MB-Vertretern stattfinden.739 Es sei „vor Ort nicht so kritisch“, es gibt „betrieb-liche Bündnisse“, „teilweise sogar Doppelmitgliedschaften“ und in Punkten wie der Arbeitszeitrichtlinie sogar auf Bundesebene „eigentlich eine gemeinsame Interessenlage.“740 Auf der anderen Seite gäbe es jedoch auch Beispiele, da sei „in den Betriebsräten das Verhältnis teilweise konfliktär bis ins persönliche.“741 Der Marburger Bund beschreibt die Situation ähnlich. Es würde „keinen Krieg in den Häusern“ geben, es gäbe zwar „ein schlechtes Verhältnis in einigen wenigen Krankenhäusern vor Ort. Aber das ist kein Problem zwischen ver.di und MB, sondern zwischen Personen.“742

734 Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt. 735 Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik. 736 Interview MB (1) vom 23.04.2008, Bezirksebene, Ehrenamt. 737 Interview MB (3) vom 13.05.2008, Bundesebene, Hauptamt. Zur Zusammenarbeit mit anderen Spartengewerkschaften vgl. Fußnote 752. 738 Vgl. Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 739 Interview ver.di (1) vom 02.03.2009, Landesverband, Hauptamt. 740 Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik. 741 Interview ver.di (2) vom 23.03.2009, Bundesverband, FB 3 Betriebs- und Branchenpolitik. 742 Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt.

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Gesondert zu betrachten ist das nicht bei ver.di organisierte Pflegepersonal. Die-ses unterstütz e in der Streikphase in vielen Fällen die Krankenhausärzte und akzeptierte deren Forderungen. Des Weiteren war die Pflege, wohl nicht zuletzt angesichts des Erfolges der Ärzte, teilweise ebenfalls unzufrieden mit der Vertre-tung durch ver.di. Einige bekundeten gar Interesse daran, dem MB beizutreten.

„Dann gab es Anruf von Pflegern, Schwestern die auch gerne beitreten würden. Ob man die Gewerkschaft nicht zu einer Gesundheitsgewerkschaft erweitern könnte, da sich auch diese Be-rufsgruppen von ver.di nur unzureichend vertreten sehen.“743

Diese Beitrittsanfragen standen in Zusammenhang mit der Debatte um die Grün-dung einer Gesundheitsgewerkschaft. 5.1.6 Diskussion um die Gesundheitsgewerkschaft Die Diskussion um eine Gesundheitsgewerkschaft begann während der laufen-den Tarifauseinandersetzungen im Oktober 2005. Der damalige Vorsitzende des Marburger Bundes Montgomery lud im Nachrichtenmagazin Focus „Schwestern, Pfleger und technisches Personal […] zur Gründung einer ‚Gesundheitsgewerk-schaft‘ ein“ (Mayer 2005: 66). Dieser Aufruf führte tatsächlich dazu, dass Pfle-gekräfte anfragten, ob sie dem Marburger Bund beitreten könnten. Im Nachhin-ein wurde der Aufruf Montgomerys als „Testlauf“ deklariert, um das Interesse der Beschäftigten an einer Gesundheitsgewerkschaft zu eruieren (Ärzte Zeitung 2005: 4). Gleichwohl hatten die Rückmeldungen und Beitrittswünsche aus dem Bereich der Krankschwestern und Pfleger zur Folge, dass sich der Vorstand und die Hauptversammlung auf der Bundesebene mit dem Thema beschäftigten. Letztendlich wurde die Möglichkeit einer Gesundheitsgewerkschaft aber nicht weiter verfolgt.744

Dennoch wiederholte Montgomery gegenüber dem Focus (Weber 2006: 30) bereits zehn Monate später: „Wenn wir diese Auseinandersetzung beendet haben, könnte ich mir vorstellen, dass wir alle medizinischen Verbände um uns herum gruppieren zu einer Gesundheitsgewerkschaft.“ Anschließend war in allen gro-ßen Zeitungen zu lesen, dass der Marburger Bund die Gründung einer Gesund-heitsgewerkschaft planen würde (bspw. FAS 2006a: 1). Konkrete Bestrebungen 743 Interview MB (1) vom 23.04.2008, Bezirksverband, Ehrenamt. „[...] seit 2006 bekomme ich regelmäßig Anfragen aus dem Pflegebereich, ob wir uns nicht öffnen, weil ver.di die Pflege nicht richtig vertritt. [...] die Pflege ist unterfinanziert und die Pflege hat zum Beispiel auch Bereitschafts-dienst- und Schichtprobleme. Also spezielle Krankenhausthemen, die ver.di nicht abdeckt. [...] ver.di hat nicht viel Expertise bei der Pflege“ (Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Haupt-amt). 744 Vgl. Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt; Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt.

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Auf dem Weg zur Berufsgewerkschaft 291

in dieser Richtung waren jedoch weiterhin nicht zu erkennen. Vielmehr können die Äußerungen Montgomery als eine bewusste Provokation in Richtung ver.di verstanden werden. Ver.di solle sich nicht gegen die Ärzte und ihre Tarifinteres-sen stellen, sondern lieber ein Auge auf die anderen Berufsgruppen haben. Diese seien ebenfalls nicht mit der tarifpolitischen Vertretung von ver.di zufrieden.745

Warum die Option einer Gesundheitsgewerkschaft bislang nicht ernsthaft diskutiert wurde, macht der Verweis auf Homogenität und exklusive Solidarität deutlich. Ver.di gibt zu bedenken: „Als Gesundheitsgewerkschaft müsste der MB genau das tun, was er ver.di heute vorwirft: Unterschiedliche Interessen austarie-ren und zu gemeinsamen Zielsetzungen bündeln“ (Dielmann 2006: 14). Die Identität des Marburger Bundes als berufsständische Vertretung der Ärzte sei nur schwerlich mit dem Anspruch einer Gesundheitsgewerkschaft in Einklang zu bringen (vgl. bspw. auch Busch/ Stamm 2006: 21). Dies erkennt nicht nur ver.di. Ebenso erklären MB-Vertreter: „Wir haben uns ja getrennt, um eben einen be-sonders angesehenen Beruf zu vertreten. Warum sollten wir uns wieder zusam-menschließen?“746 Es wäre „Satzungsgemäß gar nicht möglich gewesen“, und gleichzeitig hätte der Verband „viel Profil verloren“.747 Noch eindeutiger formu-liert es der damalige Vorsitzende Frank Ulrich Montgomery:

„Ich würde ja mein Geschäft kaputt machen, wenn ich jetzt eine Gesundheitsgewerkschaft hät-te. Dann müsste ich ja den Kompromiss suchen. Momentan habe ich ja das Glück, dass ich ei-gentlich nicht Kompromisse mit den anderen Berufsgruppen suchen muss, sondern relativ un-geniert unsere Interessen durchsetzen kann.“748

Montgomery weist hier deutlich auf die Orientierung an einem exklusiven Solidaritätsverständnis hin. Nur aufgrund der relativ homogenen Klientel, die der Marburger Bund als Berufsgewerkschaft vertritt, können am Gedanken der Leis-tungsgerechtigkeit anknüpfende Forderungen erhoben und durchgesetzt werden. Diese Handlungslogik müsste der MB als Gesundheitsgewerkschaft zugunsten einer inklusiven Solidarität aufgeben. Denn mit der heterogenen Mitgliedschaft würde eine „gewisse Nivellierung hoher gruppenspezifischer Forderungen“ not-wendig (Keller 2008a: 369). Aber nicht nur die tarifpolitische, sondern auch die berufspolitische Dimension der Verbandsarbeit wäre von einem Wandel zur Gesundheitsgewerkschaft betroffen. Die Organisationsveränderung hätte direkte Auswirkungen auf das Verhältnis des Verbandes zu den Ärztekammern (vgl. Kapitel 2.3.2). Die sich derzeit bietenden Einflussmöglichkeiten auf die Kam-mern, die für die Interessenvertretung der Krankenhausärzte von großer Rele- 745 Vgl. Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 746 Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt. 747 Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 748 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt.

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292 Transformation: Marburger Bund im Wandel

vanz sind,749 wären für eine MB-Gesundheitsgewerkschaft stark eingeschränkt. Diese könnte gegenüber den Kammern weder als ärztlicher Berufsverband auf-treten noch würde sie von der Ärzteschaft als solcher wahrgenommen.750 Es könnte sogar sein, dass der Marburger Bund als Interessenvertretung des Pflege-personals vermehrt Gegenpositionen zur Ärztekammer formulieren und vertreten müsste. Damit würde eine MB-Gesundheitsgewerkschaft faktisch die be-rufsständische Repräsentation von Ärzten zugunsten der gewerkschaftlichen Vertretung aller Krankenhausbeschäftigten aufgeben.

Hinzu kommt, dass der Marburger Bund zu dem Zeitpunkt, als das Thema auf der Agenda auftauchte, „hinreichend mit der Bewältigung der Folgen des erfolgreichen Streiks beschäftigt“ war (Martens 2008: 38). Organisationspoli-tisch notwendigere und dringendere Angelegenheiten hätten demnach eine um-fassende Diskussion unterbunden.

„Der Marburger Bund hatte im Zuge der ersten bundesweiten Ärztestreiks in 2006 die Idee aufgegriffen, sich zu einer Gesundheitsgewerkschaft für alle Klinikbeschäftigten zu entwi-ckeln. Da sich der MB jedoch noch in den Anfangsjahren seiner gewerkschaftspolitischen Entwicklung befindet, muss er sich zunächst auf seine originäre Klientel der angestellten und beamteten Ärzte konzentrieren.“751

Das trotz allem durchaus ambivalente Verhältnis des Verbandes zum Thema Gesundheitsgewerkschaft macht der damalige Vorsitzende Montgomery gegen-über dem Deutschen Ärzteblatt deutlich (zit. n. Flintrop 2006b: 2212):

„Ich plädiere für eine ergebnisoffene Diskussion innerhalb des Verbandes. Dafür spricht, dass die Ärzte in den Krankenhäusern gerade einmal 15 Prozent der Belegschaft ausmachen und der Marburger Bund gegen Verdi deshalb oft den Kürzeren zieht. Allerdings sollten wir uns auch fragen, ob wir wirklich wieder in ein solches Solidaritätskorsett zurückwollen, wie wir es jah-relang an der Seite von Verdi erduldet haben.“

In der näheren Zukunft könnte für den Marburger Bund die Debatte um die Gründung einer Gesundheitsgewerkschaft nichtsdestotrotz wieder auf der Tages-ordnung stehen. Nämlich dann, wenn es doch noch zu einer gesetzlichen Rege-lung der Tarifeinheit kommt.752 Dadurch würde der Marburger Bund gezwungen 749 Vgl. bspw. Kapitel 3.2 zur ärztlichen Aus- und Weiterbildung. 750 Vgl. Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt. 751 Interview MB (3) vom 13.05.2008, Bundesverband, Hauptamt. 752 Durch den auf Druck der Mitgliederbasis erfolgten Rückzug des DGB, ist eine gesetzliche Rege-lung jedoch unwahrscheinlich geworden. Hinzu kommt, dass nicht alle juristischen Bedenken bezüg-lich einer Auflösung von Tarifpluralität auf dem Weg der Mehrheitsgewerkschaft ausgeräumt sind. Der Rechtswissenschaftler Däubler (2010: 47f.) gelangt in seinem im Auftrag von sechs Berufsge-werkschaften erstellten Rechtsgutachten zu dem Schluss, dass die vorgeschlagene Regelung sowohl gegen die im Grundgesetz verankerte Koalitionsfreiheit (§9 Abs. 3 GG) als auch gegen entsprechen-de Bestimmungen in der Europäische Menschenrechtskonvention (§11) verstoße. Rieble (2010: 147),

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Zwischen Berufsverband und Berufsgewerkschaft 293

zu verhindern, dass seine Tarifverträge durch ver.di-Verträge verdrängt werden. Unter diesen Umständen könnte es plötzlich lohnenswert erscheinen, die Organi-sationsdomäne auf die Pflegekräfte auszuweiten.753 Fraglich wäre dann aber nicht nur, ob es dem Marburger Bund gelingen kann, eine ausreichende Zahl an Beschäftigten aus anderen Berufsgruppen zu organisieren. Nicht zuletzt müsste sich erst zeigen, ob die Gewerkschaft trotzdem von ihrer Kernklientel weiterhin als ärztliche Interessenvertretung wahrgenommen würde. Dafür müsste es der MB schaffen, sein berufsständisches Profil und seine Einflussmöglichkeiten, insbesondere auf die Ärztekammern, zu erhalten. Gleichzeitig wäre es notwen-dig, die neue verbandliche Heterogenität einzuhegen. Als eine mögliche Lösung entwirft ein Hauptamtlicher das Modell eines gemeinsamen Dachverbands mit berufsspezifischen Untergliederungen:

„[...] nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch wäre ein krankenhausspezifischer Tarifver-trag, der würde schon Sinn machen [...]. Das widerspricht aber unserer alten traditionellen Auf-stellung. Jetzt kann man aber, [...] da macht man einen Dachverband, also das wäre nicht das Problem, da machen wir eine Tarifgemeinschaft Krankenhaus, da gibt es eine Säule Marburger Bund Pflege und [eine Säule Marburger Bund Ärzte; d. Verf.].“754

5.2 Zwischen Berufsverband und Berufsgewerkschaft Die historische Entwicklung des Marburger Bundes zeichnet das Bild eines Be-rufsverbandes. Dennoch hat sich der Verband, trotz seiner Schwerpunktsetzung auf den Bereich der berufspolitischen und -ständischen Vertretung der Kranken-hausärzte, immer auch für deren tarifpolitische Interessenvertretung zuständig gefühlt (vgl. Kapitel 4.1).

im Auftrag derselben Berufsgewerkschaften, kommt bezogen auf die Menschrechtskonvention wegen der stark unterschiedlichen Gestaltung der nationalen Tarifsysteme zu einem gegenteiligen Urteil. Er stimmt jedoch in der Einschätzung, dass es sich bei einer gesetzlichen Regelung um einen unverhältnismäßigen Eingriff in die grundgesetzliche Koalitionsfreiheit handeln würde, mit Däubler überein. Zu ähnlichen Schlüssen gelangt das Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsfor-schung im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Autoren sehen in der bisherigen Entwicklung des Phänomens keinen Handlungsbedarf begründet, der die massive Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit durch eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit rechtferti-gen würde. Die Funktionsfähigkeit von Tarifautonomie und Tarifsystem sei bisher durch das Auftre-ten der Berufsgewerkschaften nicht gefährdet (RWI 2011: 50ff.). 753 „[...] ich sag mal, das [Gründung der Gesundheitsgewerkschaft; d. Verf.] war der Plan B 2 [wenn das Vorgehen mit Verweis auf Koalitionsfreiheit nicht funktioniert hätte; d. Verf.]. Also Plan B aber dann die zweite Alternative. Ja sicher, ich sage mal, bevor wir in Ehren sterben, müssen wir das überlegen“ (Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt). 754 Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt.

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294 Transformation: Marburger Bund im Wandel

„Der MB hatte schon immer zwei Standbeine, nur hat man auf dem einen Bein früher gelahmt. Jetzt ist das zweite Standbein gestärkt worden, aber man wird immer auf beiden Beinen lau-fen.“755 „Der MB ist schon immer beides gewesen, da er auch immer an Tarifverhandlungen beteiligt war. Wir sind seit der Gründung 1947 eine Gewerkschaft, jetzt nur mehr Regelungstiefe und -verantwortung.“756

Lange Zeit musste der Marburger Bund jedoch die Vormachtstellung der DGB-Gewerkschaften, zunächst der ÖTV und dann ver.dis, akzeptieren. In der prakti-schen tarifpolitischen Arbeit war er nicht als originärer Verhandlungspartner oder einflussrelevanter Akteur eingebunden. „Der MB war auch damals Gewerk-schaft, vom Status her. Die Gestaltungsmöglichkeiten waren aber stark be-grenzt.“757 Sein Profil entsprach dem eines Berufsverbandes und nicht dem einer Berufsgewerkschaft. Dies spiegelte sich nicht zuletzt in der Struktur und Ausge-staltung seiner Gremien sowie in seinen Funktions- und Aufgabenschwerpunkten wider. Daher ist es gerechtfertigt, die jüngste Entwicklung des Verbands als Transformation zu charakterisieren.

Der Entwicklungsprozess des Marburger Bundes vom Berufsverband zur Berufsgewerkschaft hatte, wie der Funktions-, Ziel- und Strukturwandel belegt, einen typverändernden Charakter. Wenn die Transformation im Sinne der Orga-nisationsoziologie als organisationaler Wandel verstanden wird, dann handelt es sich nicht um einen dauerhaft fortlaufenden Prozess.758 Kennzeichnend ist viel-mehr ein Veränderungsverlauf, der mit relativ festen Anfangs- und Endzeitpunk-ten versehen werden kann (vgl. Edruweit 2004: 268). Dessen Beginn ist durch die Gelegenheitsstruktur und die Nutzung des sich öffnenden Gelegenheitsfens-ters definiert. Es bleibt aber die Frage offen, inwieweit der bisherige Transforma-tionsprozess des Marburger Bundes als abgeschlossen oder noch im Verlauf befindlich zu bewerten ist. Es ist zu klären, wo die Organisation derzeitig zwi-schen den beiden Polen Berufsverband und Berufsgewerkschaft einzuordnen ist. Um diese Frage zu beantworten, werden die zwei Dimensionen des Struktur- sowie des Kulturwandels herangezogen.

755 Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt. 756 Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 757 Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt. 758 Dem steht nicht entgegen, dass es in Organisationen beständig Anpassungsverfahren an in- und externe Gegebenheiten gibt und damit auch Formen von Wandel. Streeck (2009: 118) nennt Wand-lungsprozesse den Normalfall und nicht die Ausnahme („The normal state of a social structure is that it is changing.“). Aber „Veränderungen, die den Typ der Organisation ändern, so wie sie hier für den Begriff des organisationalen Wandels vorausgesetzt wurden, kann es auch in der dynamischsten Gesellschaft nicht pausenlos geben“ (Edruweit 2004: 268).

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Zwischen Berufsverband und Berufsgewerkschaft 295

5.2.1 Strukturwandel Ausgehend von der Grundannahme, dass organisationaler Wandel den Typ der Organisation verändert, ist der Gewerkschaftsstatus des Marburger Bundes die entscheidende Variable. Seine Tariffähigkeit hat der Marburger Bund 2006 be-wiesen, indem er seine Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag durch-setzte. Die Rechtmäßigkeit seines Gewerkschaftsstatus hat implizit auch das Bundesarbeitsgericht bestätigt. Denn das Verfahren zur Tarifeinheit im Jahr 2010 beschäftigte sich explizit mit der Geltung eines vom Marburger Bund abge-schlossenen Ärzte-Tarifvertrages. Aus arbeitsrechtlicher Perspektive ist der Ärz-teverband daher als tariffähige Gewerkschaft zu betrachten. Er hat ver.di die tarifpolitische Vollmacht entzogen und eigenständige Tarifverträge abgeschlos-sen. Darüber hinaus verfügt er über einen hohen Organisationsgrad und hat seine Durchsetzungsmacht in mehreren Arbeitskämpfen unter Beweis gestellt. Dem Marburger Bund können damit sowohl Tariffähigkeit als auch Gewerkschaftssta-tus zugeschrieben werden.759 Beides spricht für einen abgeschlossenen Typwan-del vom Berufsverband zur eigenständigen Berufsgewerkschaft.

In dieselbe Richtung deutet die Entwicklung der Organisationsstruktur. Die Strukturänderungen, die für eine adäquate Bearbeitung einer eigenverantworteten Tarifpolitik erforderlich sind, wurden umgesetzt. Tarifkommissionen wurden um- oder aufgebaut und deren Zuständigkeiten geklärt. Genauso wurden not-wendige Satzungsänderungen vorgenommen. „Damals war auch das Tarifreferat entsprechend klein gebaut. Eigentlich eine Ein-Mann-Show.“760 Aktuell besteht allein die Kleinen Tarifkommission auf Bundesebene aus 15 Mitgliedern und die Landesverbände haben eigene Tarifkommissionen aufgebaut (vgl. Kapitel 4.2). Bezogen auf die organisationssoziologische Kategorie des organisationalen Wandels kann daher die Transformation des Marburger Bundes als abgeschlos-sen gelten. Wie steht es aber um die nicht strukturell fassbaren Veränderungen? Wie erleben die Mitglieder den Wandel des Verbandes?

5.2.2 Kulturwandel Der Kulturwandels erstreckt sich auf zwei Dimensionen. Zum einen stellt sich die Frage, ob sich die Veränderungen der Strukturen in den tatsächlichen Tätig-keiten und veränderten Rollen des haupt- und ehrenamtlichen Personals nieder-schlägt. Zum anderen ist zu klären, inwieweit sich mit der strukturellen Trans-formation des Verbandes auch das Verständnis der Mitglieder über ihre Organi- 759 Bisher hat keine DGB-Gewerkschaft vor Gericht den Gewerkschaftsstatus des Marburger Bundes in Frage gestellt. 760 Interview MB (11) vom 01.06.2011, Landesverband, Hauptamt.

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296 Transformation: Marburger Bund im Wandel

sation und deren Aufgaben verändert hat. Letztlich wird sich in beiden Dimensi-onen ein Spannungsverhältnis zwischen berufspolitischer und gewerkschaftlicher Ausrichtung nicht gänzlich vermeiden lassen, wie die beiden folgenden Zitate deutlich machen:

„Früher war der Marburger Bund ein Standesverband mit gewerkschaftlichem Anhängsel und heute ist es andersrum: Gewerkschaft mit standespolitischem Anhängsel.“761 „Hauptamtlichen haben sich schon immer eher als Gewerkschaft gesehen. Der Ehrenamtliche, der nirgendwo bei Tarifverhandlungen dabei war, hat das vielleicht anders gesehen.“762

Der Anteil an berufspolitischer und berufsständischer Interessenvertretung nimmt derzeit immer noch einen großen, im Vergleich zur Streikzeit 2006 viel-leicht sogar wieder größeren Stellenwert ein. Zu dieser Beobachtung passt, dass die Ziel- und Aufgabenhierarchie in der Satzung nicht verändert wurde.763 Wäh-rend es beispielsweise in der Satzung der IG Metall heißt, die Gewerkschaft „hat die Aufgabe, die wirtschaftlichen, sozialen, beruflichen und kulturellen [Herv. d. Verf.] Interessen der Mitglieder zu fördern“ (IG Metall 2008: 8), findet sich in der Satzung des MB-Bundesverbandes (Marburger Bund 2007d: 1) in der aktua-lisierten Fassung vom 13.05.2007 weiterhin die Formulierung:

„Der Verband bezweckt die Wahrung der beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen [Herv. d. Verf.] Belange seiner Mitglieder im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unter Zugrunde-legung ärztlicher Berufsauffassung.“

Unter der Annahme, dass die Aufzählung bewusst und nicht zufällig erfolgt, kann anhand dieser Reihenfolge der Stellenwerte oder die Hierarchie der einzel-nen Ziele für die Organisation abgeleitet werden (vgl. Edruweit 2004: 104f.). Satzungsgemäß müsste daher für den Marburger Bund die Umsetzung der beruf-lichen sowie sozialen (und damit berufsständischen) Interessen vor den wirt-schaftlichen (und damit tarifpolitischen) Belangen stehen. Wenn diese Zielrei-henfolge in Verbandsführung und Mitgliedschaft gleichermaßen vorherrschend und anerkannt ist, sollten bei Zielkonflikten die beruflichen Belange Vorrang vor tarifpolitischen Zielen haben.

Um zu klären, ob die Transformation als abgeschlossen betrachtet werden kann, ist daher von Interesse, ob die veränderten Ziele und deren Stellenwert zu Zielkonflikten führen. Die Frage nach der eher berufsverbandlichen oder berufs-gewerkschaftlichen Ausrichtung zielt dabei nicht primär auf widersprüchliche oder inkompatible Organisationsziele. Denn berufsständische und gewerkschaft- 761 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt. 762 Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 763 Im Gegensatz zur Funktionsaufzählung auf der Webseite des Marburger Bundes (vgl. Kapitel 4).

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Zwischen Berufsverband und Berufsgewerkschaft 297

liche Ziele müssen sich zunächst einmal nicht widersprechen. Interessant ist vielmehr, wie (un)einheitlich die Prioritätssetzung in der Organisation verläuft. Eine unterschiedliche Priorisierung zwischen den beiden Zielrichtungen kann zu „Interessendissens“ innerhalb der Gruppe führen oder sich gerade aus diesen verschiedenen Interessenlagen heraus speisen (Edruweit 2004: 105). Im Ergebnis bestände ein Zielkonflikt zwischen gewerkschaftlich und berufspolitisch ausge-richteten Mitgliedern. Ungeachtet dessen, dass dieser Konflikt nicht offen ausge-tragen werden muss, könnte er als Moment der Flügelbildung im Verband dienen und damit eine innerverbandliche Heterogenität offenbaren, die von der homo-genen Außendarstellung der Krankenhausarztinteressen abweicht. Es stellt sich darüber hinaus die Frage, ob mit der Transformation eine Veränderung der Or-ganisationskultur einhergegangen ist oder ob sich zwei unterschiedliche Kulturen innerhalb des Verbandes herausbilden. Die Organisationskultur nimmt „eine wesentliche Orientierungsfunktion“ wahr (Miebach 2007: 52). Sie sichert inner-halb eines Verbandes Integrität sowie Identität und dient damit als Abgrenzungs-instrument gegenüber anderen Verbänden und der Umwelt (vgl. ebd.). Darüber hinaus ist sie ein Indiz für die zukünftige Organisations-, Mobilisierungs- und damit für die Durchsetzungsfähigkeit des Marburger Bundes.

Die möglichen Konfliktlinien innerhalb des Verbandes skizziert ein Ge-sprächspartner auf Landesebene und beschreibt damit vier Mitgliedertypen. Dem Typus des Altmitgliedes, für den die Ärztekammerarbeit im Vordergrund steht, stehe der Typus des Gewerkschaftsorientierten gegenüber. Daneben ließen sich zwei Minderheit ausmachen. Die eine plädiere für eine „Supergewerkschaft“, während die andere nur ihre persönlichen Interessen und „die Spezifika ihres Fachs“ sehe.764 In der Verbandswirklichkeit scheint der Spagat zwischen den beiden Haupttypen sowie damit der berufspolitischen, -ständischen und gewerk-schaftlichen Verbandsarbeit nichtsdestotrotz zu gelingen:

„Es gibt keinen Konflikt zwischen standespolitischer und gewerkschaftlicher Ausrichtung. [...] Es gibt aber wohl einige, die sagen: Lasst uns nicht nur die Tarifpolitik machen, lasst uns die traditionelle und erfolgreiche Berufspolitik nicht vergessen. Aber eigentlich harmoniert das al-les ganz gut.“765 „Flügel im Sinne von Kämpfen gibt es nicht. Es gibt bei uns Menschen, die sind viel mehr standespolitisch interessiert und welche, die sind sehr viel mehr tarifpolitisch interessiert. Aber das es jetzt schon soweit ginge, dass man sich bekämpft, so ist das nicht. Auch uns klassischen Standespolitiken ist einfach klar, dass im Moment eine starke tarifpolitische Phase da ist. […] die Fragen Standespolitik/ Tarifpolitik spielt eine Rolle, aber nicht konfliktiv, sondern es gibt Leute, die haben ihren Standpunkt hier und welche, die haben ihren Standpunkt dort.“766

764 Interview MB (2) vom 13.05.2008, Landesverband, Ehrenamt. 765 Interview MB (7) vom 29.07.2009, Landesverband, Hauptamt. 766 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt.

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298 Transformation: Marburger Bund im Wandel

Obwohl offene Konflikte verneint werden, ist mit Altmitgliedern und Gewerk-schaftsorientierten weiterhin eine heterogene Gemengelage vorhanden. Diese führt zu einer organisationalen „Doppelung der Struktur[en]“ und in den beiden Schwerpunkten zu „teilweise unterschiedliche[n] Interessen zum Beispiel hin-sichtlich des Ärztemangels.“767 Diese Ambivalenz findet sich gleichfalls im Phänomen wechselnder Schwerpunkte in den Verbandsaufgaben:

„[...] zunächst einmal war es so gewesen, dass die Ärztegewerkschaft so in den letzten Jahren sicherlich ein bisschen überbetont war, aber mittlerweile kommt auch diese andere Dimension wieder sehr stark. Und wir gehen jetzt wieder mehr in programmatische und inhaltliche Dis-kussionen [...].“768

Vor diesem Hintergrund müssen innerverbandliche Spannungen zukünftig wei-terhin einkalkuliert werden. Derzeit wird das Mitgliedschaftsbild durch entweder berufsständisch oder gewerkschaftlich orientierte Mitglieder geprägt, die sich dennoch weitgehend konfliktfrei in den Verband integrieren. Es bleibt jedoch fraglich, wie es um die verbandliche Homogenität bestellt ist, wenn Entschei-dungen getroffen werden müssen, die von beiden Mitgliedertypen unterschied-lich interpretiert werden. Davon ausgehend die Transformation zur Berufsge-werkschaft als nicht abgeschlossen zu betrachten, würde aber zu weit greifen. Denn obgleich es unterschiedliche Mitgliedertypen gibt, messen alle Mitglieder der Tarifpolitik heute neben der berufspolitischen und -ständischen Interessen-vertretung einen wichtigen Stellenwert in der Verbandsarbeit bei. „Dass der MB Tarifs- und Berufspolitik macht, ist in allen Köpfen drin, eine Spaltung gibt es da nicht.“769 Genau dasselbe trifft auf den Status des Verbandes als Ärztegewerk-schaft zu.

„Die Reihe durch sieht man sich heute als Gewerkschaft. […] Die berufsständische Vertretung ist selbstverständlich, aber die gewerkschaftliche Arbeit wird als elementar verstanden.“770

Der Marburger Bund stellt sich heute als Berufsgewerkschaft dar und wird auch als solche von seinen Mitgliedern sowie den anderen Akteuren in der Kranken-hausbranche wahrgenommen. Seine Transformation kann damit sowohl in der kulturellen, ungeachtet aller möglichen zukünftigen Spannungen, wie in der strukturellen Dimension als abgeschlossen gelten.

767 Interview MB (2) vom 13.05.2011, Landesverband, Ehrenamt. 768 Interview MB (18) vom 06.09.2011, Bundesverband, Hauptamt. 769 Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt. 770 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt.

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6 Schlussbetrachtung: Transformation des Marburger Bundes

Die tarifpolitischen Interessen der angestellten und beamteten Ärzte werden heute vom Marburger Bund vertreten. Erst 2005 hatte sich der Verband auf Drängen der Assistenzärzte an den Uniklinken entschieden, die ver.di erteilte Verhandlungsvollmacht für die Krankenhausärzte zu widerrufen. Damit beschritt er den Weg in die tarifpolitische Eigenständigkeit. Rückblickend scheint diese Entscheidung, die der Verbandsführung zunächst nicht leicht fiel, richtig gewe-sen zu sein. Der Marburger Bund konnte arztspezifische Tarifverträge durchset-zen und sich als vetostarke Interessenvertretung der Krankenhausärzte in der tarifpolitischen Arena etablieren. Zugleich wurde damit aus einem berufsstän-disch orientierten Berufsverband eine eigenständig tarifpolitisch agierende Be-rufsgewerkschaft. Damit ordnet sich der Marburger Bund nun in eine Reihe mit anderen Organisationen wie der Vereinigung Cockpit oder der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer ein, denen es ebenfalls gelungen ist, eigenständige und berufsspezifische Tarifverträge durchzusetzen.

„Die Pilotenvereinigung Cockpit und der Marburger Bund waren die Vorreiter. […] [Berufs-gewerkschaften versuchen; d. Verf.] für eine einzelne Berufsgruppe im Alleingang das Maxi-male herauszuschlagen […]. Sie nutzen ihre exponierte Stellung, kündigen der Mehrheit die Solidarität auf, reißen tiefe Gräben in den Belegschaften.“ […] Wenn die IG Metall […] oder ver.di […] 31 Prozent Lohnerhöhung fordern würden, erklärte man uns wahrscheinlich entwe-der zu Volksfeinden oder schlicht für wahnsinnig. Nur, so mag sich manch einer sagen, was für viele unrealistisch ist, muss es ja vielleicht nicht für wenige sein“ (Bsirske 2007).

Alle drei genannten Beispiele haben im letzten Jahrzehnt mit ihren eigenständi-gen Tariferfolgen von sich Reden gemacht. Die Erfolge der neuen Berufsge-werkschaften gingen aus Sicht der Branchengewerkschaften, wie der ver.di-Vorsitzende in oben stehendem Zitat auf den Punkt bringt, jedoch zulasten ande-rer, weniger vetostarker Gruppen. Die Berufsverbände mussten sich daher nicht nur gegenüber den Arbeitgebern, sondern auch gegen die vormals tarifpolitisch verantwortliche DGB-Gewerkschaft durchsetzen. Die Bedingungen und Voraus-setzungen, unter denen dies gelingen konnte, lassen sich in einer Gelegenheits-struktur zusammenfassen.

S. Greef, Die Transformation des Marburger Bundes, DOI 10.1007/978-3-531-19574-2_6,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

Page 296: Die Transformation des Marburger Bundes: Vom Berufsverband zur Berufsgewerkschaft

300 Schlussbetrachtung: Transformation des Marburger Bundes

Durch die Gelegenheitsstruktur lässt sich die erfolgreiche Transformation von Berufsverbänden zu Berufsgewerkschaften erklären. Berücksichtigt werden müssen Veränderungen in der Branche und im Beruf(sprofil), das Verhalten der anderen relevanten Akteure, die Ressourcenausstattung des Verbandes und deren Mobilisierungsmöglichkeiten. Diese Elemente zusammen können ein Gelegen-heitsfenster öffnen, das für eine erfolgreiche Transformation genutzt werden kann, wen es vom Verband erkannt wird. Im Zentrum der vorliegenden Arbeit stand der Wandel des Marburger Bundes zur Berufsgewerkschaft. Die relevanten Elemente für dessen Gelegenheitsstruktur sind zwar oben benannt. Offen bleiben aber deren konkrete Wirkungsweise und der Anlass für den Organisationswandel des Ärzteverbandes. Transformation ist darüber hinaus ein Prozess und als sol-cher verlaufsbetont. Die erste zentrale Fragestellung der Arbeit betraf daher die Motive und den Anlass für den Wandel des Marburger Bund zur eigenständigen Berufsgewerkschaft sowie den Verlauf des Transformationsprozesses.

6.1 Vergangenheit: Gelegenheitsstruktur und Transformation Ausgangspunkt der Entscheidung des Marburger Bundes, eigenständige Tarifpo-litik zu betreiben, waren die Streiks der Assistenzärzte an den Universitätsklini-ken. Diese organisierten sich zunächst selbstständig und unabhängig vom Mar-burger Bund. Die Assistenzärzte waren die ersten, die sehr früh und zu diesem Zeitpunkt im Widerspruch zum Marburger Bund eine tarifpolitische Trennung von ver.di forderten. Deren Motivation lässt sich durch die Wandlungsprozesse in Gesetzgebung, Branche und Beruf sowie Veränderungen in der Akteurskons-tellation erklären. Diese unterschiedlichen Faktoren bildeten die Gelegenheits-struktur, die der Marburger Bund zur Transformation nutzen konnte. 6.1.1 Gelegenheitsstruktur Der Strukturwandel in der Krankenhausbranche stellt sich als Teil vielfältiger Wandlungsprozesse dar, denen das deutsche Gesundheitssystem in seiner Ge-samtheit ausgesetzt ist. Ausgangspunkte dieses Wandels sind sowohl Gesetzesre-formen als auch gesellschaftliche Veränderungen wie die demographische Ent-wicklung. In den letzten Jahrzehnten haben Gesetzesreformen als die maßgebli-chen Antriebskräfte einen umfassenden Branchenwandel im Krankenhaussektor ausgelöst. Die Gesetzesreformen selbst sind unmittelbarer Ausdruck eines Wan-del der Staatstätigkeit. Der Staat zieht sich im Zuge dieses Wandels sukzessive aus Aufgabenbereiche zurück, die vormals dem öffentlichen Sektor zugerechnet wurden (vgl. Kapitel 2.1.2, 2.1.3). Diese Entwicklung findet auch im Bereich der

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Vergangenheit: Gelegenheitsstruktur und Transformation 301

öffentlichen Daseinsvorsorge und damit in der Krankenhausbranche statt. Der Wandel der Staatstätigkeit zeigt sich an Liberalisierungs- und Privatisierungsbe-strebungen vor dem Hintergrund knapper öffentlicher Haushalte. Verstärkter Wettbewerb und betriebswirtschaftlich orientierten Anreizstrukturen sollen als Modernisierungsdruck wirken. Die Krankenhäuser werden damit am Leitbild der Effizienz ausgerichtet, um unter Marktbedingungen zu bestehen. Diese Zielset-zung spiegelt sich in der Entwicklung der für Krankenhäuser und Ärzteschaft relevanten Gesetzgebung wider. Seit den 1970er-Jahren zielen die Gesetzesre-formen in zwei Richtungen: 1. Mit den Finanzierungsgesetzen wurde die duale Krankenhausfinanzierung

eingeführt und das Selbstkostendeckungsprinzip aufgehoben. Die seit dem Gesundheitsstrukturgesetz 1993 bestehende strikte Deckelung der Kranken-hausbudgets begrenzt die Ausgabensteigerung auf die Zuwachsrate der GKV Einnahmen. Ziele sind die Beitragssatzstabilität der GKV und die Ausgabenbegrenzung im Gesundheitsbereich, deren Erfordernis mit der Haushaltslage von Bund, Ländern und Kommunen begründet wird.

2. Die nachfolgenden Strukturgesetze, zuletzt durch das 2002 eingeführte DRG-Fallpauschalsystem, etablierten eine Markt- und Wettbewerbsordnung in der Krankenhausbranche. Diese soll eine effizientere und kostengünstige-re Gestaltung der Krankenhausleistungen forcieren und führte zu erhebli-chen Veränderungen im Krankenhaussektor.

Branche Die Gesetzesänderungen haben messbare Auswirkungen auf die Krankenhaus-branche, die sich zunächst an den Kennzahlen festmachen lassen. Die Zahl der Krankenhäuser und Betten ist rückläufig. Gleichzeitig steigt die Zahl der behan-delten Fälle rapide an, während die durchschnittliche Verweildauer der Patienten stark abnimmt. Hinter dem Wandel stehen drei Branchenentwicklungen (vgl. Kapitel 2.2). Die damit verbundenen Veränderungen gehen insbesondere an den Beschäftigten und ihren Arbeitsbedingungen nicht spurlos vorbei. 1. Budgetdeckelung und Fallpauschalen verstärken die Managementorientie-

rung der Krankenhausleitung. So soll dafür Sorge getragen werden, dass die Klinik unter Wettbewerbsbedingungen bestehen kann. Mit der Manage-mentorientierung wird die Deutungshoheit in den Kliniken auf Betriebswirte übertragen, während gleichzeitig die Ärzte an Einfluss verlieren. Der Stel-lenwert wirtschaftlicher Abwägungen übernimmt gegenüber medizinischen Aspekten die Vorherrschaft.

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302 Schlussbetrachtung: Transformation des Marburger Bundes

2. Die zunehmende Privatisierung von Krankenhäusern intensiviert die Wett-bewerbssituation. Der Anteil der Kliniken in privater Trägerschaft ist in den letzten Jahren auf ein Drittel angewachsen. Mittlerweile sind auch große Häuser und Uni-Kliniken betroffen. In den weiterhin in öffentlicher Hand befindlichen Krankenhäusern nehmen parallel formale Privatisierungsfor-men zu. Unabhängig von formaler oder materieller Privatisierung erfolgt ei-ne Ökonomisierung der Handlungsorientierung bei allen Krankenhäusern. Diese forciert auf Kostenreduktion zielende Strategien wie Outsourcing oder Stellenabbau mit entsprechenden Auswirkungen auf die Beschäftigten.

3. Der Arbeitsmarkt ist durch einen Ärztemangel geprägt. Fehlender Nach-wuchs und die Feminisierung des Arztberufes sind zwei Gründe für den Mangel. Verstärkt wird er durch die Umsetzung der EU-Arbeitszeitricht-linie, die den Bedarf an Ärzten weiter erhöht. Des Weiteren korrespondieren zunehmende Fallzahlen und kürzere Verweildauer mit einer steigenden Nachfrage nach Krankenhausärzten. Beides hat zusätzlich Auswirkungen auf den Arztberuf.

Beruf Gesetzgebung und Branchenveränderungen bedingen einen Wandel der Arzttä-tigkeiten und des ärztlichen Berufsprofils, der sich in fünf Dimensionen zusam-menfassen lässt (vgl. Kapitel 3.3 und 3.4). 1. Die Bürokratisierung des Arztberufes hat zugenommen. Dafür kann insbe-

sondere die Einführung der Fallpauschalen verantwortlich gemacht werden. Dokumentationspflichten sowie administrative – und damit berufsfremde – Tätigkeiten nehmen einen immer größeren Anteil an der ärztlichen Arbeits-zeit ein.

2. Steigende Fallzahlen, eine verkürzte Verweildauer und Bürokratisierung führen zu Arbeitsverdichtung und einer Verschlechterung der Arbeitsbedin-gungen. Diese werden gerade im internationalen Vergleich, in Verbindung mit der Einkommenssituation, als nicht tragbar empfunden.

3. Mit der Feminisierung des Arztberufes weitet sich die Teilzeitarbeit aus und verändert Zeit- und Arbeitsorganisation im Krankenhaus. Die Zunahme von Teilzeitstellen verstärkt den strukturellen Mangel an Ärzten auf dem Ar-beitsmarkt. Gleichzeitig verändern sich mit der wachsenden Zahl an Ärztin-nen die Interessenlagen. Neue Themen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden damit wichtiger. Ein dritter Aspekt betrifft das Ansehen des Berufes und damit des Ärztestandes, auf das eine Feminisierung negati-ve Auswirkungen haben kann.

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Vergangenheit: Gelegenheitsstruktur und Transformation 303

4. Die berufliche Perspektive der Ärzte verengt sich auf den Arbeitsplatz Krankenhaus. Hintergrund sind die Niederlassungsbeschränkung und eine sinkende Attraktivität, sich in eigener Praxis niederzulassen. Die Klinik fun-giert nicht mehr länger als Durchlauferhitzer, in dem nur in sechs Jahren die Facharztweiterbildung absolviert wird. Für viele junge Ärzte wird die An-stellung im Krankenhaus vielmehr zu Dauerperspektive. Damit steigt deren Interesse an der Mitgestaltung von Arbeitsbedingungen und Einkommen.

5. Mit der im Zuge von Wettbewerb und Budgetdeckelung zunehmenden Öko-nomisierung und Managementausrichtung verlieren die Ärzte in ihrer Be-rufsausübung an Autonomie. Der Krankenhausbetrieb orientiert sich stärker am Primat der Wirtschaftlichkeit und nicht am medizinisch Möglichen. Hin-zu kommen Bestrebungen, aus Kostengründen ärztliche Tätigkeiten auf das Pflegepersonal und andere Berufsgruppen zu übertragen. Die Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit und die Unterminierung des ärztlichen Heilkunde-monopols verstehen die Ärzte als Abwertung ihrer ärztlichen Profession und damit als Angriff auf ihren Berufsstand und Status.

Ausdruck finden die Auswirkungen der Branchenveränderungen und der Wandel des ärztlichen Berufs(bildes), Aufgabenprofils und der Profession in dem von der Krankenhausärzteschaft empfundenen Statusverlust. Eine solche Gemengelange kann als Mobilisierungs- und Organisationsanreiz dienen, wie sich bereits zu Beginn der Arbeiterbewegung zeigte. Schneider (2000: 30) weist für die Grün-dung des Buchdrucker-Vereins im Jahr 1848 darauf hin, dass die standesbewuss-ten Buchdruckergesellen die Verbandsgründung als Mittel gegen den „Schutz vor sozialem Abstieg“ und das „Herabdrücken zur Fabrikarbeit“ betrieben ha-ben.771 Für die Krankenhausärzte und den Marburger Bund lassen sich analoge Befunde aufzeigen. Die Ärzte sahen sich vom „Halbgott in Weiß“ zum „Fachar-beiter in der Gesundheitswirtschaft“ abgewertet (Martens 2008: 20ff.). Dabei ist der Zusammenhang von Umwelt-, Berufswandel und Statusempfinden, als Mobilisationsfaktor für individuelles und davon abhängig verbandliches Handeln zu verstehen. Der empfundene Statusverlust vermag die Vehemenz zu erklären, mit dem die Assistenzärzte ihre Forderung nach eigenständigen Tarifverträgen und hohen Lohnzuwächsen vertraten. Mit ihrer Forderung nach Eigenständig-keit, weil sie sich in ihrer spezifischen Problemlage durch ver.di nicht vertreten fühlten, trieben die Ärzte gleichzeitig die Transformation des MB voran.

771 Schönhoven (1987: 22) spricht ebenfalls von „hochqualifizierten und statusbewußten Arbeitskräf-ten, die auf eine jahrhundertealte Organisationstradition zurückblicken konnten und ihr »aristokrati-sches« Zusammengehörigkeitsgefühl […] pflegten.“ Die Organisation erfolgte aufgrund einer Krise des Buchdruckergewerbes, die nicht nur mit Entlassungen, sondern gleichzeitig mit „Dequalifikation“ einherging (Tenfelde 1987: 50).

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304 Schlussbetrachtung: Transformation des Marburger Bundes

Akteurskonstellation Entscheidenden Anteil an der Transformation des Marburger Bundes hat das Verhältnis der Assistenzärzte zur Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Nach der Fusion im Jahr 2001 übernahm ver.di die tarifpolitische Interessenvertretung der Ärzte von der DAG. Die Krankenhausärzte fühlten sich jedoch in den TVöD-Verhandlungen von der Multi-Branchengewerkschaft in ihren spezifischen Inte-ressen und Problemlagen nicht ausreichend vertreten. Mit ihrer Kritik an ver.di waren die Ärzte nicht allein. Zuvor hatten bereits die Piloten ver.di den Rücken gekehrt und vermittelt über die Vereinigung Cockpit eigenständig berufsspezifi-sche Tarifverträge abgeschlossen. Kahmann (2005: 75f.) stellte in einer Studie über Gewerkschaftsfusionen für ver.di heraus:

„Von besonderer Relevanz für die zukünftige Mitgliederentwicklung und Interessenvertre-tungspolitik der Fusionsgewerkschaften ist die Entwicklung der Berufsverbände. [...] Das Wachstum dieser Verbände kontrastiert mit den Mitgliederverlusten von ver.di und ihrer Grün-dungsgewerkschaften. [...] Der Fall VC verdeutlichte damit zugleich die Fragilität der Bezie-hungen zu den insgesamt 17 kooperierenden Organisationen mit zuletzt 60.475 Mitgliedern, die ver.di von der DAG übernahm.“

Die Fragilität, die Kahmann beschreibt, hatte die Dienstleistungsgewerkschaft aus Sicht der Ärzte durch die Nichtberücksichtigung ihrer spezifischen Interes-sen überstrapaziert. Anknüpfend an Hirschman (1970) konnten sich die Ärzte, die offensichtlich nicht gewillt waren zu schweigen, zwischen exit und voice entscheiden. Die Möglichkeit, direkten Widerspruch (voice) innerhalb von ver.di zu formulieren, war allein aus Mitgliedschaftsgründen kaum möglich. Die Zahl der in ÖTV und anschließend in ver.di organisierten Ärzte war seit jeher ver-schwindend gering. Indirekt versuchte der Marburger Bund bis zuletzt in der Tarifkommission mit ver.di den Interessen der Ärzte Gehör zu verschaffen. Nachdem auch diese Voice-Strategie erfolglos blieb, sahen die Ärzte keine ande-re Möglichkeit, als von der Exit-Strategie Gebrauch zu machen und die Koopera-tion zu beenden. Die Forderung nach eigenständiger Vertretung kann als „eine Gegenreaktion auf die als defizitär wahrgenommene Interessenrepräsentation durch Monopolverbände“ oder auch als „eine explizite Abgrenzung gegenüber deren Normen und Strategien“ interpretiert werden (Rehder 2009: 268). Das Verhalten ver.dis trägt zu den Fragmentierungstendenzen bei, die sich als Plura-lisierung der Gewerkschaftslandschaft niederschlagen. Für den Fall des Marbur-ger Bundes bestätigen unterschiedliche Akteure diese Sichtweise. Eine Mit-schuld ver.di formuliert etwa die Deutsche Krankenhausgesellschaft:

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Vergangenheit: Gelegenheitsstruktur und Transformation 305

„Bei der Etablierung des Marburger Bundes als Tarifakteur muss auch ver.di kritisch sagen: Das der Marburger Bund ausgeschert ist, ist auch ein Versagen ver.dis, diese Berufsgruppe zu integrieren. Sämtliche Verbesserungen der unteren Gruppen laufen zu Lasten der oberen Grup-pen – das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.“772

Die DAG hebt hervor, dass nicht nur tarifpolitische Kontroversen kennzeichnend für das Verhältnis zwischen Ärzten, Marburger Bund und ver.di waren. Ein wei-terer zu berücksichtigender Aspekt sei die berufspolitische Gestaltungskompe-tenz. Die DAG ermöglichte dem Marburger Bund die völlig eigenständige „Wahrnehmung seiner berufspolitischen Interessen und Zielsetzungen und Zie-len“, denn die Berufspolitik „war originäre Angelegenheit des Marburger Bun-des“.773 Ver.di hingegen sei nicht bereit gewesen dem Marburger Bund ein „sol-ches Maß an Eigenständigkeit“ zu gewähren.“773 6.1.2 Ressourcenmobilisierung Nur der Dualismus aus einer wirkenden Gelegenheitsstruktur und dem Mobili-sierungspotenzial vorhandener Ressourcen eröffnet ein Gelegenheitsfenster. Die Mobilisierungsfähigkeit verbandlicher Ressourcen ist daher unabdingbar, um ein Gelegenheitsfenster, das allerdings auch als solches erkannt werden muss, nutzen zu können. In der vorliegenden Arbeit wurden drei Zusammenhänge dargestellt, die für die Frage nach den Ressourcen und nach der Mobilisierungsfähigkeit des Marburger Bundes wichtig sind: Organisationsstruktur, Verbandsgeschichte und Mitgliedschaft. Ressourcen Die primären Ressourcen des Marburger Bundes stellen seine Mitglieder dar. Die Ärzte verfügen über eine große Primärmacht, die auf zwei Variablen basiert. Aufgrund ihrer hohen beruflichen Qualifikation und der sich daraus ergebenen Schlüsselposition im Krankenhaus, verfügen die Krankenhausärzte über eine ausgesprochen große Arbeitsplatzmacht. Allein über die Androhung von Ar-beitskraftentzug können sie Druck auf den Arbeitgeber ausüben. Die ärztliche Arbeitsmarktmacht verstärkt die auf den Arbeitsplatz bezogene Macht zusätzlich. Die Arbeitsmarktmacht speist sich aus konjunkturellen Einflüssen wie dem der-zeit herrschenden Ärztemangel und strukturell wesentlich aus der Professionali-sierung des Arztberufes. Die lange Qualifikationszeit verbunden mit dem von staatlicher Seite gestützten Berufsmonopol (Verkammerung), führt zu einer zweidimensionalen Nichtsubstituierbarkeit. Auf den Ärztemangel können Ar-

772 Interview DKG (1) vom 15.07.2009, Personalwesen Krankenhaus. 773 Interview DAG (1) vom 26.03.2010, Bundesverband, Ehrenamt.

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306 Schlussbetrachtung: Transformation des Marburger Bundes

beitgeber nicht mit der Einstellung von Quereinsteigern oder kürzeren Ausbil-dungszeiten reagieren. Der einzelne Arzt ist kurzfristig kaum zu ersetzen. Darü-ber hinaus sind aufgrund des ärztlichen Heilkundemonopols ärztliche Tätigkeiten nur eingeschränkt auf andere Berufsgruppen übertragbar. Langfristig kann ein großer Teil der ärztlichen Aufgaben nicht anderweitig kompensiert werden.

Die Übersetzung dieser (doppelten) Primärmacht der Ärzte in verbandliche Vetomacht und Durchsetzungsfähigkeit des Marburger Bundes basiert auf drei Voraussetzungen. Erstens muss der Marburger Bund die Ärzte organisieren, um deren Macht für seine Verbandszwecke abrufen zu können. Hier gereichte dem Marburger Bund seine Verbandsgeschichte zum Vorteil. Er konnte sich seit seiner Gründung als berufspolitische Vertretung der Krankenhausärzte etablie-ren. Daher verfügte er bereits vor dem Beginn seiner Transformation zur Berufs-gewerkschaft über einen hohen Organisationsgrad innerhalb der Krankenhaus-ärzteschaft. Dieser stellt eine wichtige Ressource dar. Aufwand und Kosten, zunächst einen relevanten Anteil der Ärzte unter dem Dilemma rationalen Han-delns bei der Gründung kollektiver Akteure organisieren zu müssen, entfielen damit. Zweitens verfügte der Marburger Bund ebenfalls schon vor Beginn der Transformation über tarifpolitisches Know How, das er im Rahmen seiner Betei-ligung in den DAG/ ver.di-Tarifkommissionen erwerben konnte. Dazu kommen drittens etablierte (Organisations-)Strukturen und Verfahrensweisen. Diese Res-sourcen wirken positiv auf die zweite Voraussetzung für die Ausbildung von Vetomacht auf Verbandsseite. Diese betrifft die Fähigkeit des Marburger Bun-des, die vorhandene mitgliederbezogene Primärmacht mobilisieren zu können.

Mobilisierungspotenzial Aus Sicht der Organisation Marburger Bund stellte sich von Beginn der Trans-formationsbewegung an die Frage nach der Mobilisierungsfähigkeit. Im Bundes-verband herrschte lange Zeit Unsicherheit darüber, wie diese Frage zu beantwor-ten war. Diese Zweifel waren der Hauptgrund, weshalb der Bottom-Up angesto-ßene Abkopplungsprozess so zögerlich aufgenommen wurde und erst spät zur Trennung von ver.di führte. Der MB-Bundesvorstand ging lange Zeit davon aus, dass sich keine kritische Masse an Ärzten dazu bewegen lassen würde, an Streik-aktionen teilzunehmen. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass weder Ärzteschaft noch Marburger Bund über praktische Streikerfahrung verfügten. Darüber hinaus gab es die Einschätzung, die Ärzte wären wegen ihres Berufsethos nicht dazu bereit, auf Kosten der Patienten materielle Interessen durchzusetzen. Die Mobilisierungsfähigkeit der vorhandenen Ressourcen wurde von der Verbandsspitze insgesamt negativ eingeschätzt. Zugleich war sich die Führung jedoch sicher, dass die Arbeitgeber nicht freiwillig in Tarifverhandlun-gen mit dem Marburger Bund einwilligen würden. Daraus ergab sich, dass Ver-

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Vergangenheit: Gelegenheitsstruktur und Transformation 307

handlungen durch Streiks erzwungen werden müssten. Die dafür nötige Fähig-keit zur Mobilisierung der Ärzteschaft wurde jedoch als nicht ausreichend einge-schätzt.

Zusätzlich zeigte sich auf der Spitzenebene des MB-Bundesverbandes eine deutlich einflusslogische Ausrichtung. Die Möglichkeit, über die bestehende Tarifkooperation mit ver.di eventuell doch noch Einfluss auf den TVöD-Abschluss ausüben zu können, war leitendes Handlungsmotiv des Bundesvor-standes. Damit einher ging eine konsensuale Ressourcenmobilisierungsstrategie. „Consensus mobilization is a process [...] to obtain support for its viewpoints“ (Klandermans 1984: 586). Dafür musste der Verband sich argumentativ mit den relevanten Organisationen auseinandersetzen und seinen Standpunkt deutlich machen. Diese Strategie verfolgte der Marburger Bund sowohl im Konflikt (ge-genüber den Arbeitgebern mit Streiks) als auch in Kooperation (gegenüber ver.di durch Beteiligung in den Tarifverhandlungen). Erst als kurz vor Schluss der Verhandlungen, aufgrund des sich abzeichnenden Nichterfolges dieser Strategie, der Druck auf den Bundesvorstand anstieg, erfolgte mit der Trennung von ver.di der Wechsel auf die mitgliederlogische Perspektive. Nicht zuletzt, weil die vor-handenen Mobilisierungspotentiale vom Bundesverband erst sehr spät als belast-bar wahrgenommen wurden. Der Selbstmobilisation der Assistenzärzte an den Universitätskliniken war es letztlich zu verdanken, dass diese überhaupt erkannt wurde.

Zunächst wird damit der Zusammenhang von Gelegenheitsstruktur und Ressourcenmobilisierungspotenzial deutlich. Das volle Mobilisierungspotenzial entwickelte sich erst durch den Unmut der Assistenzärzte. Dieser speiste sich aus dem Vorgehen ver.dis bei den TVöD-Verhandlungen, den BAT-Kündigungen der Arbeitgeber sowie den Veränderungen von Branche und Beruf. Diese Verän-derungen erhöhten darüber hinaus gleichzeitig die Machtressourcen der Ärzte. Des Weiteren zeigt sich, dass ein sich bietendes Gelegenheitsfenster von den relevanten Akteuren als solches wahrgenommen werden muss.

6.1.3 Gelegenheitsfenster Es gibt keine einfache Ursache-Wirkung-Beziehung anhand derer sich die Trans-formation des Marburger Bundes nachvollziehen ließe. Ausschlaggebend war das Zusammenspiel aus Gelegenheitsstruktur und Ressourcenmobilisierungspo-tenzial. Damit öffnete sich ein Gelegenheitsfenster, das der Marburger Bund nutzen konnte, um eine eigenverantwortlich betriebene Tarifpolitik für die Ärzte zu formulieren und umzusetzen. Zwei formale Bedingungen rahmen das sich bietende Gelegenheitsfenster.

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308 Schlussbetrachtung: Transformation des Marburger Bundes

Einerseits lief der Bundes-Angestelltentarifvertrag aus. Die Tarifkooperation mit ver.di band den Marburger Bund an die mit bestehendem Tarifvertrag gültige Friedenspflicht. Erst als dieser Tarifvertrag auslief, konnte der Marburger Bund den BAT kündigen und Verhandlungen über einen eigenständigen Tarifvertrag verlangen. Aus dem gleichen Grund musste der Marburger Bund vor Unter-zeichnung des TVöD nicht nur die Verhandlungen für gescheitert erklären. An-dererseits musste der Marburger Bund seine eigenständige Zuständigkeit in tarif-politischen Fragen erklären. Diese Zuständigkeitserklärung erfolgte im Zuge der formalen Auflösung der Kooperationsvereinbarung mit ver.di. Gleichzeitig wur-de ver.di die tarifpolitische Vertretungsberechtigung für Krankenhausärzte ent-zogen. Dies geschah so spät, dass sich das Gelegenheitsfenster auf der strukturel-len Ebene – durch die mit erfolgtem TVöD-Abschluss einhergegangene Frie-denspflicht – fast wieder geschlossen hätte.

Die Gelegenheitsstruktur wird durch den Auslöser der Transformation ver-vollständigt. Ob dieser, organisationssoziologisch gesehen, exogenen oder endo-genen Typs war, bedarf einer Abwägung. Für einen exogen induzierten Wandel spricht, dass die Wandlungsprozesse in der Verbandsumwelt als Gelegenheits-struktur eine entscheidende Rolle gespielt haben. Ohne diese Veränderungen zu berücksichtigen, kann die Transformation nicht erklärt werden. Hinzu kommt, dass die Forderung nach einer eigenständigen tarifpolitischen Vertretung zu-nächst außerhalb des Marburger Bundes von Nichtmitgliedern formuliert wurde. Wenn jedoch Edruweit (2004: 263) endogenen Wandel als „ohne äußere Not-wendigkeit, nur aus dem Inneren durchgeführte typtreffende Veränderung der Organisation“ beschreibt, scheint diese Zuschreibung ebenfalls zutreffend. Es kann argumentiert werden, dass aus Verbandssicht die äußeren Bedingungen einen Organisationswandel nicht zwingend erforderlich machten. Der Marburger Bund hätte weiterhin als Berufsverband seine berufspolitischen und -ständischen Funktionen ausüben und die Tarifkommission an ver.di delegieren können. Die Forderung nach Organisationswandel wurde zwar anfänglich außerhalb des Ver-bandes formuliert (exogen), jedoch wurde diese für die Organisation erst rele-vant, als die Mitglieder (endogen) über die Landesverbände Druck ausübten.

Der Auslöser für die Forderung nach einer Verbandstransformation basierte auf zwei ineinandergreifenden Komponenten. Die Kündigung von BAT-Bestandteilen durch die TdL mobilisierte die bereits durch Branchenveränderun-gen unter Statusdruck geratenen Assistenzärzte an den Unikliniken. Schnell zeichnete sich aus deren Sicht jedoch ab, dass ihre Forderungen bei den Ver-handlungen zum TVöD keine Rolle spielten (exogen). Ver.di ließ aus deren Sicht keine Absicht erkennen, Rücksicht auf arztspezifische Interessen zu nehmen. Stattdessen schien die Gefahr groß, dass ver.di „wieder alle über einen Kamm“

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Vergangenheit: Gelegenheitsstruktur und Transformation 309

scheren würde.774 Da ver.di auf ihre Forderungen nicht in der erwarteten Weise reagierte, blieb den Assistenzärzten aus ihrer Sicht nur die eigenständige tarifpo-litische Vertretung. Für die Umsetzung schien der Marburger Bund die praktika-belste Lösung zu sein. Daraus resultierte der Anstoß für die Transformation des Marburger Bundes, der in einem von den Assistenzärzten getragenen Bottom-Up-Prozess durchgesetzt werden musste (endogen).

6.1.4 Transformation als Bottom-Up-Prozess Die Transformation zur Berufsgewerkschaft wird von der Bundesebene des Marburger Bundes aus rückblickender Perspektive als Bottom-Up Prozess dar-gestellt:

„Vieles, was in den Ländern geschehen ist, war eine typische Bottom-up-Bewegung, bei der wir als Marburger Bund versucht haben, das Gerüst darzustellen und das zu unterstützen, was engagierte Kollegen und Kolleginnen vor Ort mit viel Engagement gemacht haben“ (Montgo-mery zit. n. Marburger Bund 2005c).

Dieses Zitat des damaligen MB-Vorsitzenden Montgomery erweckt den Ein-druck, als hätte der Verband die Initiative der Assistenzärzte von Anfang an unterstützt. Der tatsächliche Verlauf bis zur Abkopplung von ver.di unterschied sich jedoch wesentlich von dieser Darstellung (vgl. Kapitel 5.1). Genauso irre-führend ist es, von einem „von oben und unten“ getriebenen Prozess zu spre-chen, bei dem „man sich in der Mitte getroffen“ hätte.775 Vielmehr ging die Pro-testbewegung und mit dieser auch die Transformation des Ärzteverbandes ein-deutig von den Assistenzärzten an den Universitätskliniken aus. Aufgrund sich verschlechternder Arbeits- und Entlohnungsbedingungen776 begannen diese, sich selbstständig zu organisieren. Anfangs waren diese Zusammenschlüsse lokal auf einzelne Klinikstandorte begrenzt. Die Assistenzärzte agierten zunächst unab-hängig vom Marburger Bund. Mit ihrer Forderung nach einer Aufkündigung der tarifpolitischen Vertretung durch ver.di, standen sie darüber hinaus lange Zeit in Konflikt mit dem Bundesverband(svorstand). „[Dieser] hatte vieles nicht mitge-hen wollen [...], es gab sogar die mittelfristige Drohung, dann gründen wir eine Gegengewerkschaft.“777 Unter diesen Umständen ist „viel in Eigenarbeit der Assistenzärzte ohne den Marburger Bund gemacht worden.“778 Im Gegensatz

774 Interview MB (1) vom 23.04.2008, Bezirksverband, Ehrenamt. 775 Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt. 776 In Folge der Aufkündigung von BAT-Bestandteilen (Weihnachts- und Urlaubsgeld) durch die TdL und Arbeitszeitverlängerungen (vgl. Kapitel 5.1.1). 777 Interview MB (10) vom 27.05.2011, Landesverband, Ehrenamt. 778 Interview MB (10) vom 27.05.2011, Landesverband, Ehrenamt.

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310 Schlussbetrachtung: Transformation des Marburger Bundes

zum Bundesverband setzte sich der Landesverband Baden-Württemberg frühzei-tig (später zusätzlich Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen/ Rheinland Pfalz) für die Forderungen der Assistenzärzte, nicht zuletzt gegenüber dem Bundesvor-stand, ein.

„Die Landesverbände […] waren eher auf eine Trennung aus. Das war ein Bottom-Up Prozess. […] Wenn die Mitglieder nicht diesen massiven Druck auf die Straße gebracht hätten, hätte das nicht geklappt. Auch die Führungsebene muss manchmal geschoben, gedrückt und getreten werden.“779

Erst nachdem die Ärzte ihre Streikbereitschaft und -fähigkeit unter Beweis ge-stellt hatten und die Landesverbände den Verhandlungskurs des Bundesverban-des nicht mehr mit trugen, nahm der Bundesvorstand deren Forderungen auf. Da auf Druck von Basis und Landesverbänden letztlich keine andere Möglichkeit blieb, setzte sich der Bundesverband mit dem Vorsitzenden Montgomery konse-quent an die Spitze der Streikbewegung:

„Der Aufbruch kam wirklich von unten. Wir waren eine Zeitlang – und da hatte ich richtig Schwierigkeiten an die Spitze der Bewegung zu kommen – Ende 2005 mit Mitte 2006 waren wir eine von der Basis getriebene Organisation.“780

Den Druck der Basis innerhalb des MB erkennt auch ver.di:

„In Bezug auf die Aufkündigung der Tarifkooperation war Montgomery ein Getriebener, der aufgrund der Mehrheitsmeinung im Marburger Bund so reagieren musste. Er hat dann die Ent-scheidung getroffen, sich kompromisslos an die Spitze der Bewegung zu stellen.“781

Dieser basisgetriebene, von der Organisationsspitze zunächst bekämpfte Bottom-Up-Prozess, ist einer der wesentlichen Unterschiede, der die Transformation des Marburger Bundes auszeichnet, etwa im Vergleich zur Top-Down initiierten Organisationsentwicklung der GDL.782 Der Wandlungs- und Transformations-prozess wurde im Fall des Marburger Bundes nicht durch die Organisationsfüh-rung initiiert. Des Weiteren gab es kein Einzelereignis, das einen Verbandswan-del erzwungen hätte. Für den Marburger Bund kann vielmehr an Munir (2005: 107) angeknüpft werden, der die Rolle einzelner Akteure und deren Reaktion auf Ereignisse in der Organisationsumwelt betont: „Events by themselves are not capable of destabilizing established practices.“ Das heißt, dass Ereignisse oder

779 Interview MB (7) vom 29.07.2009, Landesverband, Hauptamt. 780 Interview MB (4) vom 02.03.2011, Bundesverband, Ehrenamt. 781 Interview ver.di (1) vom 02.03.2009, Landesverband, Hauptamt. 782 Zum Top-Down organisierten Transformationsprozess der Gewerkschaft Deutscher Lokomotiv-führer vgl. Schroeder et al. 2011: 250ff..

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Vergangenheit: Gelegenheitsstruktur und Transformation 311

externe Anstöße „erst innerhalb des Feldes oder der Organisation ‚theoretisiert‘ werden müssen, um handlungswirksam zu werden“ (Weik 2011). Dafür bedarf es Agenten, die das Ereignis durch einen Problemdiskurs überhaupt erst als ein signifikantes Problem wahrnehmbar machen. In diesem konkreten Fall waren es die Assistenzärzte an den Uniklinken, die nicht nur öffentlich über Streiks auf die Probleme aufmerksam machten, sondern auch die Lösung in Form der Ab-kopplung von ver.di formulierten und gleichzeitig ihre Bereitschaft demonstrier-ten, dafür aktiv zu werden.

Munir (2005: 107) weist in diesem Kontext ebenso auf die Wichtigkeit von „institutional entrepreneurs“ hin.783 Diese verleihen einem Ereignis die nötige Signifikanz, um organisationale Wandlungsprozesse anzustoßen oder sind sogar „actively looking for events in order to bring about institutional change“. Im Marburger Bund fiel die Funktion des institutional entrepreneur den Landesver-bänden und ihren Vorständen zu, allen voran Baden-Württemberg, zu. In diesem Sinne kann folgendes Zitat eines MB-Landesvorstandsmitglieds verstanden wer-den: „Das Ganze war ein Bottom-Up-Prozess, den ich auch schon seit 10 Jahren versucht habe, zu befördern.“784 Dass ein Diskurs, der Entwicklungen erkennt, aufnimmt, interpretiert und Antworten in Form von Lösungen oder Reaktionen formuliert, notwendig ist, gilt in gleicher Weise für die entgegengesetzte Per-spektive. Der Bundesvorstand folgte derselben Logik. Er versuchte ebenfalls, argumentativ eine andere Interpretation der Ereignisse und damit verbunden eine andere Lösungsstrategie durchzusetzen.

„Theoretisierung [kann] auch dazu genutzt werden, bestimmte Ereignisse nicht wirksam wer-den zu lassen. Beispiele dafür finden sich vor allem in der Rhetorik der momentanen Machtha-ber, die für eine Erhaltung des Status quo eintreten“ (Weik 2011).

Weiks Erklärungen legen nahe, warum es den Assistenzärzten so schwer fiel, ihre Interpretation der Ereignisse gegenüber dem Bundesverband durchzusetzen. Hier setzten die Verantwortlichen lieber auf den Status Quo, auch um die eigene Position nicht zu gefährden.

Die Durchsetzung der assistenzärztlichen Interpretation und damit einher-gehend der Forderung nach einer Trennung von ver.di, verlief außer- wie inner-halb der Organisation auf verschiedenen, parallelen Wegen. So erfolgte die Überzeugungsarbeit direkt gegenüber dem Vorsitzenden Montgomery. Die Akti-vitäten der Assistenzärzten sowie ihrer Forderungen und ihr Auftreten bei den 783 Gleiches findet sich bei Campbell (2006: 513): „Institutional entrepreneurs are the key actors to the process of institutional change. They are the ones who suggest how to recombine institutional elements in innovative ways; the ones who frame situations as problems; and the ones who frame innovations as promising solutions.“ 784 Interview MB (9) vom 25.05.2011, Landesverband, Ehrenamt.

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312 Schlussbetrachtung: Transformation des Marburger Bundes

Sprechertreffen, wo Montgomery anwesend war, liefen jedoch zunächst ins Lee-re. Montgomery ließ sich erst spät von der Umsetzbarkeit ihrer Forderungen zu überzeugen. Dazu trug die gezeigte Streikbereitschaft bei. Wichtiger jedoch war die Überzeugungsarbeit im Marburger Bund. Auch in den Gremien gab es zu-nächst Widerstände, etwa von einzelnen Vorsitzenden oder Geschäftsführern der Landesverbände. Die Bestrebungen, den Bundesvorstand umzustimmen, hatten erst Erfolg, als es den Assistenzärzten gelang, die Landesverbandsvorsitzenden nach und nach auf ihre Seite zu ziehen. Beides zusammengenommen führte schließlich dazu, dass die Delegierten sich auf der 108. Hauptversammlung dafür aussprachen, die tarifpolitische Vertretung durch ver.di aufzukündigen.

Insgesamt betrachtet, kann das Verhalten der Spitze des Bundesverbandes über das Ziel des Selbsterhalts und damit einer konsequenten Ausrichtung am Primat der Risikoaversion erklärt werden. Dies kann letztendlich zu einem auto-nomen Handeln der Führung entgegengesetzt zu den Mitgliederinteressen füh-ren. An diesem Beispiel verdeutlich sich das Spannungsverhältnis von Mitglie-der- und Einflusslogik. Bezogen auf den Selbsterhalt erschien es dem Bundes-vorstand lange Zeit zu risikoreich, dem Bestreben der Mitglieder nach einer Abspaltung von ver.di nachzukommen. Denn wenn diese misslungen wäre, hätte der Verband seine bestehenden, wenngleich stark begrenzten Einflussmöglich-keiten über die Teilnahme an den Verhandlungen mit ver.di verloren.785 Ein Festhalten an dem einmal eingeschlagenen Kurs erschien der Spitze daher solan-ge der richtige Weg zu sein, wie dieser von den Vorständen der Landesverbände und den Delegierten der Hauptversammlung mitgetragen wurde. Diese akzeptier-ten den Kurs, bis sie auf den Druck ihrer Mitglieder, die nicht zuletzt mit Austritt drohten, reagieren mussten.786 Diesen Druck vermittelten die Landesverbände auf den Bundesverband. Letztlich blieb diesem, auch zur Selbsterhaltung, keine andere Wahl, als den Kurswechsel einzuleiten und damit kurzfristig der Mitglie-derlogik auf Kosten der Einflusslogik den Vorrang einzuräumen. Der Vorstand konnte sich zwar an die Spitze der Bewegung setzen, verlor andererseits jedoch einen Teil seiner Kontrolle.787 785 Interessant ist unter diesem Blickwinkel eine Untersuchung des Führungspersonals des Marburger Bundes aus soziologischer, psychologischer oder biographischer Perspektive. So könnten Fragen zu Rollenansprüchen und -erwartungen und ihrer Relevanz für Handeln und Entscheidungen (insbeson-dere beim Vorsitzenden Frank Ulrich Montgomery und dem für den Bereich Tarifpolitik verantwort-lichen Lutz Hammerschlag) gestellt werden. Von Interesse wäre auch, welche Rolle die Persönlich-keit Montgomerys bei den Konflikten innerhalb der Mitgliedschaft und bei der Durchsetzung der tarifpolitischen Unabhängigkeit gespielt hat. 786 Im Gegensatz zur Konstellation mit ver.di war es den Assistenzärzten beim Marburger Bund möglich mit voice und der Androhung von exit auf das Vorgehen des Verbandes zu reagieren. 787 Beispielhaft sei auf die Übernahme der Forderung „BAT +30%“ verwiesen, was auf unterschied-lichen Ebenen des Verbandes als nicht vorteilhaft angesehen wurde.

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Vergangenheit: Gelegenheitsstruktur und Transformation 313

Abbildung 15: Zusammenspiel von Gelegenheitsstruktur, Ressourcenmobilisierung und Gelegenheitsfenster

Quelle: Eigene Darstellung. Hier zeigt sich der deutliche Unterschied zwischen einem Top-Down und einem Bottom-Up initiierten Transformationsprozess. Bei einem Top-Down-Prozess steht am Anfang zunächst das Erkennen eines vorliegenden Gelegenheitsfensters durch die Verbandsspitze. Daraufhin erfolgt eine Mobilisierung der Ressourcen,

Gelegenheitsfenster

Ressourcen (Verband) Gelegenheitsstruktur (Verbandsumwelt)

Krankenhausbranche

Nutzen des Fensters durch die Verbandsführung

Trennung von ver.di Arbeitskampf

Abschluss eigenständiger arztspezifischer Tarifverträge

Verbandsressourcen Gesetzgebung

Ressourcenmobilisierung

Mobilisierungsfähigkeit

Organisationsfähigkeit

Verbandliches Wissen

Organisationsstrukturen

Budgetdeckelung

Fallpauschalensystem

Wettbewerb

Ökonomisierung

Managementorientierung

Ärztemangel

Arztberuf/ Berufsprofil

Öffnen des Fensters/ Auslösefaktoren

Arbeitsbedingungen

Streik der Assistenzärzte

Akteurslandschaft

Verhandlungen TVöD

Stat

usve

rlust

Mitgliederressourcen

Arbeitsplatzmacht

Arbeitsmarktmacht

Vertretung durch ver.di bei TVöD Verhandlungen

Feminisierung

Nichtärztliche Tätigkeiten

Eingeschränkte Autonomie TdL: Kündigung BAT Teile

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314 Schlussbetrachtung: Transformation des Marburger Bundes

um dieses Gelegenheitsfenster zu nutzen. Bei dem Bottom-Up-Prozess im Mar-burger Bund stand andersherum die Selbstmobilisierung der Assistenzärzte am Anfang. Erst nachdem diese hinreichend Streik- und Mobilisierungsfähigkeit gezeigt und Druck auf den Verband ausgeübt hatten, erkannte die Verbandsspit-ze das sich bietende Gelegenheitsfenster.

Diese Erkenntnisse bestätigt die eingangs aufgestellte These, dass die Grün-de für die Transformation des Marburger Bundes auf Veränderungen in der Ver-bandsumwelt und in deren Rückwirkungen auf die Ärzte zu suchen sind. Die Ärzte mussten erkennen, dass ihre auf diese Veränderungen bezogenen tarifli-chen Forderungen innerhalb ver.dis nicht durchzusetzen waren. Daher sollte der Marburger Bund ihrer tarifpolitischen Interessen vertreten, wofür dieser sich von ver.di trennen musste. Ebenso zeigt sich deutlich, dass die Transformation zum Tarifakteur in einem Bottom-Up-Prozess gegen Widerstände im Verband durch-gesetzt werden musste. Im Hinblick auf die Wiederstände auf der MB-Bundesebene könnte von einer Gelegenheitsstruktur wider Willen gesprochen werden.

Die Widerstände im Verband und der Verlauf des Transformationsprozesses lassen die Frage aufkommen, ob der Marburger Bund für das Erreichen eigen-ständiger, arztspezifischer Tarifverträge eine notwendige oder nur eine hinrei-chende Bedingung darstellte. Das genutzte Gelegenheitsstrukturkonzept kann auf diese Frage allenfalls Hinweise, jedoch keine endgültige Antwort liefern. Aus organisationssoziologischer Sicht bietet eine bestehende Organisation(sstruktur) bei vorhandener Mitgliederbasis und entsprechender Mobilisierungsfähigkeit erhebliche Vorteile. Darüber hinaus kann sie die Mitgliederressourcen durch zusätzliche, verbandsgebundene Ressourcen erweitern. Zugleich können beste-hende Strukturen, im Sinne einer zu überwindenden pfadabhängigen Trägheit, auf Veränderungsprozesse jedoch auch dämpfende Effekte haben. Letztlich bleibt die Frage offen, wie die Entwicklung verlaufen wäre, wenn die Assistenz-ärzten versucht hätten, eine Gewerkschaft unabhängig vom Marburger Bund zu gründen. Ob dieser Gegengewerkschaft jedoch vergleichbare Erfolge wie dem Marburger Bund hätten gelingen können, scheint aufgrund mangelnder Erfah-rung und fehlender Ressourcen äußerst fragwürdig. Für den Marburger Bund stellt sich die Entscheidung für die Transformation rückblickend als gewinnbrin-gend dar. „Hätte der MB den Schritt nicht gemacht, hätten wir sonst heute viel-leicht nur noch einen Versicherungsverein.“788 Mit seinem Wandel zur Berufs-gewerkschaft und der Durchsetzung eigenständiger Tarifverträge ist dem Ver-band sogar weit mehr geglückt als die bloße Bestandssicherung. Neben der Ge-legenheitsstruktur waren für diesen Erfolg die (Macht-)Ressourcen der Ärzte und

788 Interview MB (12) vom 07.06.2011, Bezirksverband, Ehrenamt.

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Gegenwart: Gewerkschaftlicher Standesverband 315

deren Mobilisierbarkeit unabdingbar. Alle drei notwendigen Bedingungen zu-sammen – Gelegenheitsstruktur, Ressourcenmobilisierungspotenzial und erkann-tes Gelegenheitsfenster – haben die erfolgreiche Transformation des Marburger Bundes ermöglicht. Inwieweit diese Transformation heute als abgeschlossen angesehen werden kann, betraf die zweite Fragestellung, die mit der vorliegen-den Studie beantwortet werden sollte.

6.2 Gegenwart: Gewerkschaftlicher Standesverband Werden die vorangehend zusammengefassten Ergebnisse der Untersuchung in Rechnung gestellt, muss die eingangs aufgestellte These, dass die Transformati-on des Marburger Bundes nicht abgeschlossen ist, revidiert oder zumindest ein-geschränkt werden. Denn der Verband hat seine Strukturen und Funktionen seit Beginn des Transformationsprozesses an die neuen tarifpolitischen Schwerpunk-te der Verbandsarbeit angepasst. Es erfolgte ein Aus- beziehungsweise Aufbau der Tarifkommissionen und die tarifpolitischen Zuständigkeiten wurden geklärt. In anderen Strukturfragen wie der Streikkasse scheint eine endgültige Antwort noch nicht gefunden. Gleichwohl hat aber eine prinzipielle Klärung stattgefun-den. Damit unterscheidet sich der Verband in seinem heutigen Erscheinungsbild strukturell sowie funktional von seinen berufsverbandlichen Wurzeln und ver-körpert einen neuen Organisationstyp. Der Marburger Bund ist formal eine Be-rufsgewerkschaft.

Die Übersetzung der strukturellen und funktionalen Transformation in einen Kulturwandel innerhalb der Mitgliedschaft des Marburger Bundes stellt sich hingegen als schwierig dar. Bei den Mitgliedern kann eine Spaltung in einen eher berufsständisch und einen eher gewerkschaftlich orientierten Teil festgestellt werden. Das zentrale Kriterium, an dem sich die Orientierung der Ärzteschaft zwischen berufspolitischer und gewerkschaftlicher Interessenlage scheidet, ist die Position des Einzelnen in der Arzthierarchie. Die primäre Orientierung eines Arztes in Richtung Gewerkschaft oder Berufsverband wechselt daher mitunter im Verlauf der beruflichen Karriere. Obwohl unterschiedliche Schwerpunkte in der Mitgliederorientierung vorliegen, kann nach bisherigem Stand dennoch nicht von einer Spaltung der Mitgliedschaft gesprochen werden. Flügelkämpfen sind bislang nicht ersichtlich. Der Marburger Bund kann daher nach derzeitigem Stand als Gewerkschaftlicher Standesverband betrachtet werden. Der Stellenwert der tarifpolitischen Arbeit hat an Bedeutung geworden, ohne damit berufspoliti-sche und -ständische Funktionen zu verdrängen. Dieser Dualismus kann jedoch nicht als Zeichen einer nicht abgeschlossenen Transformation zur Gewerkschaft verstanden werden. Vielmehr stellt die gleichzeitige Orientierung an gewerk-

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316 Schlussbetrachtung: Transformation des Marburger Bundes

schaftlichen und berufsständischen Fragen ein elementares Kennzeichen des Typus einer Berufsgewerkschaft dar. In diesem Sinne ist ein Gewerkschaftlicher Standesverband letztlich nichts anderes als eine Berufsgewerkschaft.

Eine Einschränkung soll dennoch gemacht werden – gerade vor dem Hin-tergrund, dass viele Ärzte einem gewerkschaftlichen Habitus immer noch kri-tisch gegenüberstehen. Der Marburger Bund bleibt in vielerlei Hinsicht eine berufsstandbezogene Interessenvertretung. In diesem Zusammenhang könnte die neue tarifpolitische Betätigung auch als das gerade opportune Mittel zur Durch-setzung standespolitischer Anliegen erscheinen. Die Tarifpolitik wäre damit Mittel zum Zweck, nicht aber originäres Verbandsinteresse. Für diese Sichtweise mag sprechen, dass der ehemalige Vorsitzenden Montgomery die eigenständige Verhandlung von Tarifverträgen nicht zwingend als für alle Zeiten festgeschrie-ben betrachtet.

„[…] ich habe ihm [Frank Bsirske, ver.di; d. Verf.] auch immer gesagt, dass ich persönlich ei-gentlich von dem gemeinsamen Verhandeln überzeugt bin – übrigens auch für die Zukunft. Weil es ist ja nur im Moment so, dass wir ein sehr günstigen Markt für Ärzte haben. Wenn wir mal wieder einen schlechteren Markt für Ärzte hätten und wir einen ärztlichen Überschuss ha-ben, dann ist unser Verhandlungsposition wieder ganz anders. Und dann macht es vielleicht wieder Sinn, auch zusammen mit den anderen im Krankenhaus zu verhandeln.“789

Unter dieser Perspektive einer sich möglicherweise wieder verändernden Rele-vanz der tarifpolitischen Eigenständigkeit, stellt sich umso mehr die Frage nach dem zukünftigen Umgang mit dem neuen Tarifakteur. 6.3 Zukunft: Eine Frage des Umgangs Mit der Etablierung des Marburger Bundes als eigenständiger Akteur in der tarifpolitischen Arena rückt die Frage nach der Zukunft der Arbeitsbeziehungen im Krankenhaussektor in den Blick. Selbst wenn Montgomery in obigem Zitat eine Rückkehr zu gemeinsamen Tarifverhandlungen nicht generell ausschließt, hat sich der Marburger Bund vorerst als eigenständige Gewerkschaft durchge-setzt und wird diesen Status nicht grundlos aufgeben. Die Frage des weiteren Umgangs mit der Ärztegewerkschaft wird daher gerade für die Multi-Branchengewerkschaft ver.di evident. Eine Strategie die darauf abzielt, die Be-rufsgewerkschaft zu marginalisieren oder zu ignorieren kann als wenig erfolgs-versprechend gelten. Ebenso wie sie als unsolidarische Partikularinteressenver-tretung zu stigmatisieren. Vielmehr sollte das Interesse darin bestehen zu klären, ob und wie wieder eine Annäherung zwischen beiden Organisationen möglich 789 Interview MB (4) vom 02.03.2009, Bundesverband, Ehrenamt.

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Zukunft: Eine Frage des Umgangs 317

ist. Fraglos trifft es zu, dass dafür Zugeständnisse, Gesprächsbereitschaft und Entgegenkommen von ver.di sowie Marburger Bund nötig sind.

Wenngleich derzeit beide Seiten keine Möglichkeit für eine Zusammenar-beit sehen,790 sind die Bedingungen dafür, dass eine solche Annährung gelingen könnte, im Krankenhaussektor besser als in anderen Branchen. Zum einen exis-tiert zwischen Marburger Bund und ver.di keine historisch gewachsene Feind-schaft. Anders als beim Verhältnis zwischen GDL und Transnet (heute EVG) lässt sich daher kein Konflikt auf der Ebene eines Kulturkampfes ableiten (vgl. Schroeder et al. 2011: 264). Zum anderen spiegelt sich die stark arbeitsteilige Gestaltung des Krankenhauses zwar in separierten Hierarchiestrukturen wider. Nichtsdestotrotz ist die Arbeitsorganisation im Krankenhaus gleichzeitig durch ein hohes Maß an erforderlicher Kooperation zwischen den Berufsgruppen ge-kennzeichnet. Auf der individuellen Ebene ist eine Abschottung wie zwischen Piloten und Kabinenpersonal, die sich gleichfalls im Verhältnis zwischen Verei-nigung Cockpit und ver.di widerspiegelt, nicht möglich.791 Dazu sind Ärzte und Pflegekräfte beiderseitig zu sehr auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ange-wiesen. Darüber hinaus wirken sich viele Veränderungen in der Krankenhaus-branche, die für Berufswandel und Statuseinschnitte bei den Ärzten verantwort-lich sind, gleichzeitig negativ für die anderen Beschäftigtengruppen aus. Die mit dem Wandel der Staatstätigkeit verbundene Budgetdeckelung und Privatisierung im Krankenhaussektor betreffen auch das Pflegepersonal. Denn Ökonomisierung und Managementorientierung verdichten die Arbeitszeiten und verändern die Tätigkeitsanforderungen aller Beschäftigten. Damit sind bereits zwei Aspekte benannt, bei denen grundlegende Interessen von Ärzten und Pflegepersonal – wie auch von ver.di und Marburger Bund – nicht konfliktiv und konträr, sondern tendenziell gleichgerichtet verlaufen.

Auf der einen Seite bestehen aufgrund der Umweltbedingungen mögliche Ansatzpunkte für Kooperationen. Konkret zeigte sich dies etwa in der Kampagne „Der Deckel muss weg“, an der ver.di und Marburger Bund beteiligt waren.792 Die gemeinsame Basis auf kollektiver wie individueller Ebene könnte für den Versuch genutzt werden, vom konfliktiven zu einem eher kooperativen oder komplementären Miteinander zu gelangen. Darin könnte eine mögliche Antwort auf die Integrationskrise der Arbeitsbeziehungen im Krankenhaussektor liegen. 790 „[Eine] Zusammenarbeit von ver.di und MB [ist] im Augenblick nicht vorstellbar. Der MB tritt bewusst als Konkurrent zu ver.di auf“ (Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik). „Es ist keine Konstellation denkbar, in der man Tarifpolitik wieder gemeinsam mit ver.di macht“ (Interview MB (8) vom 28.09.2009, Bundesverband, Hauptamt). 791 Vgl. Interview MB (6) vom 22.06.2009, Landesverband, Hauptamt. 792 Ver.di merkt allerdings kritisch an, dass der Marburger Bund bei der Kampagne „nicht zu sehen [war] und [...] auch finanziell nichts dazu beigetragen“ hat (Interview ver.di (3) vom 07.05.2009, Bundesverband, FB 3 Berufspolitik).

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318 Schlussbetrachtung: Transformation des Marburger Bundes

Auf der anderen Seite zeigt sich mit Blick auf die Diskussion um eine Gesund-heitsgewerkschaft auch die mögliche Gefahr einer weiteren Ausdifferenzierung der gewerkschaftlichen Interessenvertretung. Der Wunsch, dem Marburger Bund beizutreten, zeugt auch beim Pflegepersonal von einer tendenziellen Unzufrie-denheit mit der gewerkschaftlichen Vertretung durch ver.di. Dies ist nicht nur vor dem Hintergrund vielfältiger Organisationsversuche im Berufsfeld bedeut-sam.793 Gleichzeitig können seit den 1980er-Jahren verstärkte Bemühungen um eine Professionalisierung des Pflegeberufes beobachtet werden (vgl. bspw. IPP 2009; Krampe 2009; Neumann 2009; Sprondel 1972). Gleichwohl lässt sich daraus nicht schließen, dass das Auftreten einer Pflegegewerkschaft kurz bevor-steht. Die vorliegende Studie hat anhand des Marburger Bundes deutlich gezeigt, wie anspruchsvoll die Voraussetzungen und Bedingungen für die Transformation zum Tarifakteur sind und mit welchen Widrigkeiten die Ärzte selbst innerhalb des Verbandes zu kämpfen hatten.794

Anknüpfend an den Wandel der Arbeitsbeziehungen verdeutlichen die Hin-tergründe des Transformationsprozesses, wie sich die Integrationsdefizite ver.dis gegenüber den Ärzten zu einer tarifpolitischen Integrationskrise auswachsen konnten. Für Ärzte und Marburg Bund kann hierbei sogar an dem medizinischen Krisenbegriff angeschlossen werden, der aus ärztlicher Sicht immer ein positives Element beinhaltet: Die Erkenntnis, so wie bisher geht es nicht mehr weiter. In der Medizin ist damit der Zeitraum gemeint, in dem sich entscheidet, ob der Krankheitsverlauf eine gute oder schlechte Wendung nimmt. Im Fall der Ärzte hat die Integrationskrise für diese, mit der erfolgreichen Etablierung des Marbur-ger Bundes als eigenständigem Tarifakteur, eine positive Wendung genommen. Für ver.di dagegen leitet sich die Notwendigkeit ab, es nicht zu weiteren Integra-tionskrisen kommen zu lassen. Dazu müssen bestehende Integrationsdefizite ernst genommen und bearbeitet werden.

Damit erbringt diese Einzelfallstudie, allen Spezifika des Einzelfalles zum Trotz, grundlegende Erkenntnisse, die das Verständnis über das übergeordnete Phänomen des Entstehens berufsgewerkschaftlicher Konkurrenz vertiefen. Die in der vorliegenden Studie gewonnenen Erkenntnisse bestätigen gleichfalls, dass nicht mit vielen weitere Berufsgruppen zu rechnen ist, die den Schritt in die tarifpolitische Eigenständigkeit wagen und dabei erfolgreich sein werden. Nur 793 Deutscher Pflegeverband (DPV), Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK). Hinzu kommen Organisationsversuche etwa durch die Gewerkschaft für Beschäftigte im Gesundheitswesen (BIG) und den CGB-Verband medsonet. Die Gesundheitsgewerkschaft. 794 Ersichtlich wird außerdem, dass es für die Untersuchung des Phänomens der Berufsgewerkschaf-ten wichtig ist, die Ausgangspunkte und den Verlauf des organisationalen Wandels herauszuarbeiten. Letztlich können nur so Fragen nach der Dauerhaftigkeit, Akzeptanz und Stringenz dieser Verände-rungen in der Organisationsstruktur sowie in den -zielen und -funktionen und nicht zuletzt in organi-sationskulturellen Belangen beantwortet werden.

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Zukunft: Eine Frage des Umgangs 319

aufgrund spezifischer Gegebenheiten und Bedingungen war dem Marburger Bund die Transformation vom standesorientierten Berufsverband zur Berufsge-werkschaft möglich. Diese lassen sich weder auf andere Berufsgruppen noch auf andere Verbände ohne weiteres übertragen. Der voraussetzungsvolle Transfor-mationsprozesses des Marburger Bundes kann vielmehr als Beleg angeführt werden, dass es sich bei dem Phänomen der Vergewerkschaftung um eine Aus-nahmeerscheinung handelt. Eine Ausnahmeerscheinung, die fraglos auf die Ar-beitsbeziehungen im konkreten Branchenkontext weitereichende Auswirkungen hat. Die empirischen Erkenntnisse dieser Studie untermauern jedoch die in der Literatur formulierte Perspektive der zukünftigen Entwicklung des deutschen Modells der Arbeitsbeziehungen (vgl. Schroeder et al. 2011: 272ff.): Es deutet sich keinesfalls ein Wandel des gesamten Systems der industriellen Beziehungen an. Eine weitere Ausdehnung des Phänomens von Berufsgewerkschaften auf andere Branchen und insbesondere in die Kernbereiche des Deutschen Modells kann aus heutiger Erkenntnis verneint werden.

Gleichwohl ist das Auftreten weiterer berufsgewerkschaftlicher Konkurrenz nicht generell ausgeschlossen. Das zeigt sich auch im Krankenhaussektor. Eine weitere Ausdifferenzierung der gewerkschaftlichen Akteurslandschaft erscheint unter Rückblick auf die Debatte um die Gesundheitsgewerkschaft sowie die Akademisierungs- und Professionalisierungsversuche der Pflege möglich. Ein Blick auf den Luftfahrtbereich unterstützt diese Überlegungen. Hier haben sich im Anschluss an die Piloten der Vereinigung Cockpit weitere Berufsgruppen in der Etablierung von Berufsgewerkschaften versucht. Der Erfolg hält sich zwar sowohl bei der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (UFO) als auch der Vereinigung Boden (VB) in Grenzen. Dennoch verschärft sich die Konfliktkons-tellation (vgl. Greef 2009: 70f.). Ähnliche Konfliktlagen wie sie bereits in der Luftfahrt zu finden sind, können in den Arbeitsbeziehungen im Krankenhauswe-sen möglicherweise verhindert werden. Die Gründung einer Pflegegewerkschaft würde die Verteilungskämpfe im Krankenhaussektor verstärken. Leittragende wären insbesondere die gering qualifizierten Beschäftigten, die schon heute von Outsourcing und prekärer Beschäftigung betroffen sind. Für die DGB-Gewerkschaften leitet sich aus dieser Erkenntnis die Notwendigkeit ab, die Ent-wicklungen um Marburger Bund, GDL und Co. ernst zu nehmen. In diesem Zusammenhang scheint nicht zuletzt eine größere Aufmerksamkeit und Sensibi-lität gegenüber beruflichen Belangen, vor allem, aber nicht nur bei Hochqualifi-zierten, unabdingbar. „Die Erkenntnis aus dem Prozess: Bei erkennbarem Stan-desbewusstsein muss von Anfang an darauf reagiert werden. Früher erkennen – früher reagieren.“795

795 Interview ver.di (1) vom 02.03.2009, Landesebene; Hauptamt.

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Page 340: Die Transformation des Marburger Bundes: Vom Berufsverband zur Berufsgewerkschaft

8 Anhang

Tabelle 25: Lange Chronik Tarifkonflikte Krankenhaussektor (2003–2006) Datum Ereignis 10.01.2003 ver.di, TdL, VKA: Prozessvereinbarung über Verhandlungen über einen neuen TV

für den ÖD (TV-L, TVöD)17.06.2003 TdL: Beschluss über Kündigung des TV über Urlaubs- und Weihnachtsgeld 01.2004 TdL: Kündigung des TV über Urlaubs- und Weihnachtsgeld

Gehaltseinbußen bei Neuverträgen26.03.2004 TdL: Kündigung BAT Arbeitszeitregelung

Ausweitung wöchentlicher AZ von 38,5 auf 41 Stunden02.04.2004 ver.di: Abbruch Verhandlungen TdL; Fortführung Verhandlungen VKA27.05.2004 Beginn Organisation Assistenzärzte Uniklinik Heidelberg10.2004 Gründung KG42 in Hessen11.10.2004 Erster großer Warnstreik Stuttgart11.2004 Assistenzärzte formulieren Forderungen/ Positionspapier17.12.2004 Demonstration Marburg

MB BV: Gründung bundesweites Netzwerk Assistentensprecher (ASR) (Sprecherrat) Anfang 2005 1. ASR-Treffen Köln: Gemeinsame Protestkoordination; Interessenkongruenz 09.02.2005 ver.di, VKA: Tarifabschluss TVöD08.03.2005 Demonstration Marburg02.04.2005 MB BV Beirat: Diskussion über drängen einiger Mitglieder auf Trennung von ver.di 14.04.2005 ver.di, TdL: Begin Verhandlungen TV-L15.04.2005 KG42: Forderungskatalog an alle Unikliniken20.04.2005 MB LV BaWü: Antrag an BV Kooperationsvertrag mit ver.di zu kündigen 30.04.2005 MB BV GTK: Diskussion über Antrag aus BaWü; eine Übernahme des Antrags für

die 107. HV wird abgelehnt01.05.2005 MB BV 107. HV: Beschluss nächste HV vorzuziehen um Verhandlungsergebnis

TVöD überprüfen zu können02.05.2005 Warnstreik Marburg; aktive Mittagspause Gießen17.06.2005 3. ASR-Treffen München; Forderung 30% Lohnerhöhung, Trennung von ver.di 15.08.2005 KG42: Mail-/Briefaktion an BV und LV 07.09.2005 MB BV GTK: Antrag an HV sich von ver.di zu trennen und die AG aufzufordern in

Tarifverhandlungen einzutreten10.09.2005 MB BV 108. HV: Kündigung Verhandlungsvollmacht ver.di; Forderung eigenstän-

diger arztspezifischer Tarifvertrag15.09.2005 MB, TdL: Sondierungsgespräche01.10.2005 ver.di, VKA: Inkrafttreten TVöD12.10.2005 MB, TdL: Beginn Verhandlungen12.2005 MB, VKA: Kündigung BAT26.01.2006 MB, VKA: Spitzengespräch

S. Greef, Die Transformation des Marburger Bundes, DOI 10.1007/978-3-531-19574-2,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

Page 341: Die Transformation des Marburger Bundes: Vom Berufsverband zur Berufsgewerkschaft

346 Anhang

01.03.2006 MB, TdL: Warnstreik09.03.2006 MB, VKA: Beginn Verhandlungen

MB, TdL: Verhandlungen für gescheitert erklärt14.03.2006 MB, TdL: Urabstimmung Streik: 98,4%16.03.2006 MB, TdL: Beginn Streiks10.04.2006 MB: VKA: Verbandsklage gegen VKA wegen Überführung Ärzte in TVöD 02.05.2006 MB, VKA: Warnstreik18.05.2006 ver.di, TdL: Einigung TV-L09.06.2006 MB, VKA: Verhandlungen für gescheitert erklärt16.06.2006 MB, TdL: Einigung TV-Ärzte/ TdL25.06.2006 MB, VKA: Urabstimmung Streik: 97,1%26.06.2006 MB, VKA: Beginn Streiks07.07.2006 MB, VKA: Verhandlungen werden weitergeführt17.08.2006 MB, VKA: Einigung TV-Ärzte/ VKA10.2006 MB, TdL: Abschluss TV-Ärzte/ TdL23.11.2006 MB, VKA: Abschluss TV-Ärzte/ VKA

Quellen: WSI 2005, 2006; Ehl 2005; Ziegler 2006; Interviews; Eigene Zusammenstellung.

8.1 Abkürzungsverzeichnis ÄAppO Approbationsordnung für Ärzte AiP Arzt im Praktikum AiW (Assistenz-) Arzt in Weiterbildung ÄK Ärztekammer ATO. Allgemeine Tarifordnung BAG Bundesarbeitsgericht BÄK Bundesärztekammer BÄO Bundesärzteordnung BAT Bundesangestelltentarifvertrag BDA Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände BDI Berufsverband Deutscher Internisten BIG Gewerkschaft für Beschäftigte im Gesundheitswesen BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales BMG Bundesministerium für Gesundheit BO Berufsordnung BPflV Bundespflegesatzverordnung (1973) BV Bundesverband CGB Christlicher Gewerkschaftsbund DAG Deutsche Angestellten-Gewerkschaft dbb Deutscher Beamtenbund DBfP Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DKG Deutsche Krankenhausgesellschaft DKI Deutsches Krankenhausinstitut DPV Deutscher Pflegeverband DRG Diagnosis Related Groups (Diagnosebezogene Fallgruppen)

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Abkürzungsverzeichnis 347

FEMS Fédération Européenne des Médecins Salariés GDL Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer Gedag Gesamtverband Deutscher Angestelltengewerkschaften GFB Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände GGVöD Gemeinschaft von Gewerkschaften und Verbänden des öffentlichen Dienstes GKV Gesetzliche Krankenversicherung GSG Gesundheitsstrukturgesetz (1993) IG BCE Industriegewerkschafte Bergbau, Chemie, Energie IGM Industriegewerkschaft Metall HÄV Deutscher Hausärzteverband KAV Kommunaler Arbeitgeberverband KBV Kassenärztliche Bundesvereinigung KG 42 Kliniker gegen die 42-h-Woche KH Krankenhaus KHG Krankenhausfinanzierungsgesetz (1972) KHKG Krankenhaus-Kostendämpfungsgesetz (1981) KHRG Krankenhausfinanzierungsreformgesetz (2009) KK Krankenkasse KrT Krankenhaustarifordnung KV Kassenärztliche Vereinigung KVD Kassenärztliche Vereinigung Deutschland KVKG Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (1977) LA Leitende Angestellte LÄK Landesärztekammer LBFW Landesbasisfallwert LV Landesverband MB Marburger Bund MBO Musterberufsordnung mbt Marburger Bund Treuhandgesellschaft MBZ Marburger Bund Zeitung MVZ Medizinisches Versorgungszentrum MVZ Medizinisches Versorgungszentrum NERA National Economic Research Associates NSDÄB Nationalsozialistischer Deutscher Ärztebund ÖD Öffentlicher Dienst OT Ohne Tarifbindung ÖTV Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr PE Pflegeeinrichtung PJ Praktisches Jahr POS Political Opportunity Structure (Politische Gelegenheitsstruktur) PPR Pflegepersonalregelung RMT Resource Mobilization Theory (Ressourcenmobilisierungstheorie) RRG Rentenreformgesetz SR Sonderregelung (SR 2 c zum BAT für Ärzte) TdL Tarifgemeinschaft deutscher Länder TGÖ Tarifgemeinschaft des öffentlichen Dienstes TO.A. Tarifordnung A TV Tarifvertrag TV-L Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder TVöD Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst

Page 343: Die Transformation des Marburger Bundes: Vom Berufsverband zur Berufsgewerkschaft

348 Anhang

VAA Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter in der chemischen Industrie

VB Vereinigung Boden VC Vereinigung Cockpit VDI Verband Deutscher Ingenieure ver.di Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft VKA Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände VLK Verband der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands VmF Verband medizinischer Fachberufe WBO Weiterbildungsordnung WOO Window of Opportunity (Gelegenheitsfenster)

8.2 Interviewliste

DAG (1) Bundesverband Vorstand Ehrenamt 26.03.2010 DAG (2) Bundesverband Vorstand Ehrenamt 25.05.2010 DKG (1) Personalwesen Krankenhaus Hauptamt 15.07.2009 DKG (2) Krankenhausfinanzierung Hauptamt 15.07.2009 MB (1) Bezirksverband 1 Vorstand Ehrenamt 23.04.2008 MB (2) Landesverband 1 Vorstand Ehrenamt 13.05.2008 MB (3) Bundesverband Hauptamt 13.05.2008 MB (4) Bundesverband Vorstand Ehrenamt 02.03.2009 MB (5) Landesverband 1 Hauptamt 19.06.2009 MB (6) Landesverband 1 Hauptamt 04.07.2009 MB (7) Landesverband 2 Hauptamt 29.07.2009 MB (8) Bundesverband Hauptamt 28.09.2009 MB (9) Landesverband 1 Vorstand Ehrenamt 25.05.2011 MB (10) Landesverband 1 Vorstand Ehrenamt 27.05.2011 MB (11) Landesverband 3 Hauptamt 01.06.2011 MB (12) Bezirksverband 2 Vorstand Ehrenamt 07.06.2011 MB (13) Landesverband 3 Hauptamt 26.07.2011 MB (14) Landesverband 3 Hauptamt 26.07.2011 MB (15) Mitglied ohne Funktion 10.08.2011 MB (16) Mitglied ohne Funktion 23.08.2011 MB (17) Mitglied ohne Funktion 05.09.2011 MB (18) Bundesverband Hauptamt 06.09.2011 MB (19) Mitglied ohne Funktion 09.09.2011 ver.di (1) Landesverband Vorstand Ehrenamt 02.03.2009 ver.di (2) Bundesverband FB3 Betriebs- und Branchenpolitik 23.03.2009 ver.di (3) Bundesverband FB3 Berufspolitik 07.05.2009 ver.di (4) Bundesverband FB3 Betriebs- und Branchenpolitik 31.08.2011 ver.di (5) Bundesverband FB3 Betriebs- und Branchenpolitik 13.09.2011

Page 344: Die Transformation des Marburger Bundes: Vom Berufsverband zur Berufsgewerkschaft

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 349

8.3 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: "opportunity model" nach Tilly ....................................................................................... 47 Abbildung 2: "mobilization model" nach Tilly ..................................................................................... 48 Abbildung 3: Gelegenheitsstrukturelles Theoriekonstrukt dieser Arbeit ............................................. 49 Abbildung 4: Integrationsdefizite der Branchengewerkschaften .......................................................... 56 Abbildung 5: Krankenhausbetten im europäischen Vergleich (1997–2008) ........................................ 85 Abbildung 6: Anzahl Studierender im Medizinstudium (1975–2010) ............................................... 146 Abbildung 7: Horizontale und vertikale Krankenhausstruktur ........................................................... 154 Abbildung 8: Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus (1990–2010) ..................................................... 163 Abbildung 9: Einkommen von Krankenhausärzten in ausgewählten Ländern (1999–2003) ............. 174 Abbildung 10: Berufsprestige (1966–2011) ........................................................................................ 185 Abbildung 11: Organigramm Marburger Bund Bundesebene ............................................................ 204 Abbildung 12: Organisationsstruktur des Marburger Bundes ............................................................ 205 Abbildung 13: Mitgliederentwicklung und Organisationsgrad des

Marburger Bundes (1963–2012) ................................................................................. 223 Abbildung 14: Geplante Maßnahmen infolge der Tariferhöhungen bei Ärzten (2007) ..................... 285 Abbildung 15: Zusammenspiel von Gelegenheitsstruktur, Ressourcenmobilisierung und

Gelegenheitsfenster .................................................................................................... 313 Tabelle 1: Für den Krankenhaussektor relevante Gesetze (1972–2009) .............................................. 61 Tabelle 2: Entwicklung der Krankenhausstatistik (1991–2010) .......................................................... 81 Tabelle 3: Entwicklung von Verweildauer und Bettenauslastung (1991–2010) .................................. 84 Tabelle 4: Klinikkonzerne nach Größe (2010) ..................................................................................... 89 Tabelle 5: Krankenhäuser nach Trägerschaft (1991–2010) .................................................................. 90 Tabelle 6: Beschäftigte in Krankenhäuser nach Trägerschaft (2010) ................................................ 91 Tabelle 7: Ärztliches und nichtärztliches Personal (1991–2010) ......................................................... 96 Tabelle 8: Zusammensetzung der Personalkosten (2010) .................................................................... 97 Tabelle 9: Aus- und Einwanderung von Ärzten (2001–2010) ............................................................ 101 Tabelle 10: Konkurrenz- und Konflikttypologie ................................................................................ 107 Tabelle 11: Tarifpolitische Konkurrenz .............................................................................................. 109 Tabelle 12: Funktionsträger des Marburger Bundes in Ämtern der Ärztekammern (1951–2011) .... 121 Tabelle 13: Krankenhausärzte nach Hierarchiestufen (2005/10) ....................................................... 157 Tabelle 14: Krankenhausärzte nach Geschlecht und Hierarchiestufen (2010) .................................. 162 Tabelle 15: Normalerweise je Woche geleistete Arbeitsstunden (2010) ........................................... 166 Tabelle 16: Kurzchronik des Marburger Bundes (1946–2006) .......................................................... 192 Tabelle 17: Übersicht über die Landesverbände des Marburger Bundes (2010) ............................... 207 Tabelle 18: 1. Vorsitzende des Marburger Bund Bundesverbandes (1948–2011) ............................. 211 Tabelle 19: Altersstruktur Marburger Bund und Ärzteschaft (2010) ................................................. 226 Tabelle 20: Ärztliche Hierarchie in Marburger Bund und Krankenhaus (2007/10) .......................... 227 Tabelle 21: Tarifverträge im Ärztlichen Dienst nach Krankenhausträgerschaft (2007) .................... 237 Tabelle 22: Chronik Tarifverhandlungen Krankenhaussektor (2003–2006) ...................................... 254 Tabelle 23: Forderungskatalog der Assistenzärzte an Universitätskliniken in Baden-Württemberg

(2004) ............................................................................................................................... 260 Tabelle 24: Entgelte TVöD und TV-Ärzte VKA West im Vergleich (2005/06) ............................... 283 Tabelle 25: Lange Chronik Tarifkonflikte Krankenhaussektor (2003–2006) .................................... 345