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Die Trocken- oder Körnerbohnen. Von den Wanderungen und den Wandlungen der Kulturpflanzen Thomas Gladis Die Thatsache ist nicht abzustreiten, die Gründe sind jedoch allgemein menschlicher Natur. Das Fremde reizt unsere Auf- merksamkeit mehr als dasjenige, was wir von Jugend auf all- jährlich vor unseren Augen haben und daher 'nicht weit her' ist. Friedrich August Körnicke Zusammenfassung „Bohnen“ werden definiert, deren Vielfalt auf inter- und infraspezifischem Niveau dargestellt, ihre Veränderungen während der Wanderung mit und zwischen unterschiedlichen Kulturen geschildert. Es wird der Frage nachgegangen, wie Pflanzen zu ihren Volksnamen kommen und es werden schließlich einige Veränderun- gen im Umgang mit Kulturpflanzen am Beispiel dieser wichtigen Eiweißpflanzen aufgezeigt. Der Einfluß großer weltgeschichtlicher Ereig- nisse auf die Erzeugung und auf die Verteilung menschlicher Nahrung wird anhand der beiden Jahreszahlen 1492 und 1992 verdeutlicht. Einführung Vor zwei Jahren, nach der Wahl der Kalebasse zum „Gemüse des Jahres“, wurde in Witzen- hausen die ganze Pflanzenfamilie der Kürbis- gewächse behandelt. Im vergangenen Jahr lag der Schwerpunkt immerhin noch auf einer hoch polymorphen Art, der Kartoffel. Wenn das so weitergeht, wird sich mancher Besucher in Hamm gesorgt haben, wie lange wird es dau- ern bis wir uns mit den Pflanzenzüchtern tref- fen, um uns mit ihnen über den Einsatz von Markertechniken zu unterhalten, weil es keine morphologischen oder sensorisch ermittelba- ren Sortenunterschiede mehr gibt – die jeweils letzten ihrer Art unter sich? Die Wahl einer Nutzungsform scheint die Tendenz zur Veren- gung des Blickwinkels zu bestätigen. Was kann man nicht alles mit und aus Bohnen machen! Nehmen wir nur das Beispiel der türkischen Immigranten: Eine ganz wichtige, in der deutschen Küche unbekannte Nutzungs- form ist die der vollreifen, aber eben noch nicht trockenen Samen. Wenn die Hülsen und die Samen noch etwas weich sind, kochen die Bohnen kürzer und geben ein sehr wohl- schmeckendes und bekömmliches Gemüse. Warum fiel die Wahl ausgerechnet auf die tot- reifen Samen, die wohl trockenste aller denk- baren Varianten? Weiße Bohnen mit Speck – dazu muß es schon so kalt, naß und windig draußen sein wie in diesem Sommer. Norma- lerweise interessiert einen das Thema das ganze Jahr über doch nicht die Bohne... Versuch einer Definition: Bohnen kennt wirklich jeder, nur sind es immer die gleichen? Schon die deutschsprachigen Lexika vertreten ganz unterschiedliche Auffas- sungen. Von denen sollen hier nur zwei wie- dergegeben werden: Im Duden (vgl. DROS- DOWSKI 1977) sind Bohnen „Vertreter einer Gattung buschig wachsender oder an Stangen sich hochwindender Schmetterlingsblütler mit länglichen, flachen Früchten, in denen mehrere nierenförmige Samen nebeneinanderliegen; Gemüsepflanzen“, laut BROCKHAUS-Enzyklo- pädie (1967) „verschiedene Schmetterlingsblü- ter der Gattungen Vicia, Phaseolus, Dolichos, Vigna, Glycine; meist wichtige Gemüse- und Futterpflanzen.“ Den Begriff „Körnerbohne“ sucht man in diesen Werken vergeblich. Sich nur auf die Form der Samen zu beziehen, führt nicht weit. Wie unterscheiden sich denn eigentlich Erbsen und Linsen von Bohnen, bei denen es ja auch rund- und flachsamige Arten bzw. Sorten gibt – oder von den eßbaren Lupi- nen? Und was wird aus den Kaffeebohnen? Offenbar sind das alles weniger triviale Fragen als ursprünglich gedacht. In Ermangelung einer schlüssigen und wirklich zutreffenden Definition wird folgende hier vor- und zur Diskussion ge- stellt, die etwas komplizierter als die vorange- stellten klingt, die aber all diejenigen Gattungen auszuschließen versucht, die eben keine „Bohnen“ sind: Als Bohnen bezeichnet werden ein- oder mehrjährige, meist krautige Schmetterlingsblü- tengewächse (Fabaceae) mit wenig gefieder- ten Blättern, die oft Schlingpflanzen sind, aber keine Blattranken haben. Ihre oberirdisch wachsenden unreifen Früchte bzw. unreifen oder reifen, meist großen, in der Regel nicht kugeligen Samen finden als Gemüse Verwen- dung, seltener auch die Blätter und die Keim- linge. Samensurium 15/2004 - 11 -

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Die Trocken- oder Körnerbohnen.Von den Wanderungen und den Wandlungen der Kulturpflanzen

Thomas Gladis

Die Thatsache ist nicht abzustreiten, die Gründe sind jedochallgemein menschlicher Natur. Das Fremde reizt unsere Auf-merksamkeit mehr als dasjenige, was wir von Jugend auf all-jährlich vor unseren Augen haben und daher 'nicht weit her' ist.

Friedrich August Körnicke

Zusammenfassung„Bohnen“ werden definiert, deren Vielfalt aufinter- und infraspezifischem Niveau dargestellt,ihre Veränderungen während der Wanderungmit und zwischen unterschiedlichen Kulturengeschildert. Es wird der Frage nachgegangen,wie Pflanzen zu ihren Volksnamen kommenund es werden schließlich einige Veränderun-gen im Umgang mit Kulturpflanzen am Beispieldieser wichtigen Eiweißpflanzen aufgezeigt.Der Einfluß großer weltgeschichtlicher Ereig-nisse auf die Erzeugung und auf die Verteilungmenschlicher Nahrung wird anhand der beidenJahreszahlen 1492 und 1992 verdeutlicht.

EinführungVor zwei Jahren, nach der Wahl der Kalebassezum „Gemüse des Jahres“, wurde in Witzen-hausen die ganze Pflanzenfamilie der Kürbis-gewächse behandelt. Im vergangenen Jahr lagder Schwerpunkt immerhin noch auf einer hochpolymorphen Art, der Kartoffel. Wenn das soweitergeht, wird sich mancher Besucher inHamm gesorgt haben, wie lange wird es dau-ern bis wir uns mit den Pflanzenzüchtern tref-fen, um uns mit ihnen über den Einsatz vonMarkertechniken zu unterhalten, weil es keinemorphologischen oder sensorisch ermittelba-ren Sortenunterschiede mehr gibt – die jeweilsletzten ihrer Art unter sich? Die Wahl einerNutzungsform scheint die Tendenz zur Veren-gung des Blickwinkels zu bestätigen. Waskann man nicht alles mit und aus Bohnenmachen! Nehmen wir nur das Beispiel dertürkischen Immigranten: Eine ganz wichtige, inder deutschen Küche unbekannte Nutzungs-form ist die der vollreifen, aber eben noch nichttrockenen Samen. Wenn die Hülsen und dieSamen noch etwas weich sind, kochen dieBohnen kürzer und geben ein sehr wohl-schmeckendes und bekömmliches Gemüse.Warum fiel die Wahl ausgerechnet auf die tot-reifen Samen, die wohl trockenste aller denk-baren Varianten? Weiße Bohnen mit Speck –dazu muß es schon so kalt, naß und windig

draußen sein wie in diesem Sommer. Norma-lerweise interessiert einen das Thema dasganze Jahr über doch nicht die Bohne...

Versuch einer Definition:Bohnen kennt wirklich jeder, nur sind es immerdie gleichen? Schon die deutschsprachigenLexika vertreten ganz unterschiedliche Auffas-sungen. Von denen sollen hier nur zwei wie-dergegeben werden: Im Duden (vgl. DROS-DOWSKI 1977) sind Bohnen „Vertreter einerGattung buschig wachsender oder an Stangensich hochwindender Schmetterlingsblütler mitlänglichen, flachen Früchten, in denen mehrerenierenförmige Samen nebeneinanderliegen;Gemüsepflanzen“, laut BROCKHAUS-Enzyklo-pädie (1967) „verschiedene Schmetterlingsblü-ter der Gattungen Vicia, Phaseolus, Dolichos,Vigna, Glycine; meist wichtige Gemüse- undFutterpflanzen.“ Den Begriff „Körnerbohne“sucht man in diesen Werken vergeblich.Sich nur auf die Form der Samen zu beziehen,führt nicht weit. Wie unterscheiden sich denneigentlich Erbsen und Linsen von Bohnen, beidenen es ja auch rund- und flachsamige Artenbzw. Sorten gibt – oder von den eßbaren Lupi-nen? Und was wird aus den Kaffeebohnen?Offenbar sind das alles weniger triviale Fragenals ursprünglich gedacht. In Ermangelung einerschlüssigen und wirklich zutreffenden Definitionwird folgende hier vor- und zur Diskussion ge-stellt, die etwas komplizierter als die vorange-stellten klingt, die aber all diejenigen Gattungenauszuschließen versucht, die eben keine„Bohnen“ sind:Als Bohnen bezeichnet werden ein- odermehrjährige, meist krautige Schmetterlingsblü-tengewächse (Fabaceae) mit wenig gefieder-ten Blättern, die oft Schlingpflanzen sind, aberkeine Blattranken haben. Ihre oberirdischwachsenden unreifen Früchte bzw. unreifenoder reifen, meist großen, in der Regel nichtkugeligen Samen finden als Gemüse Verwen-dung, seltener auch die Blätter und die Keim-linge.

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Zur Erläuterung sei ergänzt, daß alle Nicht-Leguminosen damit ausgeschlossen sind(Kaffee), Arten mit handförmig oder ungeteiltenBlättern (z.B. Ginster, Lupine), solche mit reichgefiederten Blättern (z.B. Kichererbse und Ro-binie), alle mit Blattranken ausgestatteten (z.B.Erbse, Linse) und alle Arten, deren Früchtebzw. reife oder unreife Samen, Blätter oderKeimlinge nicht wenigstens auch als GemüseVerwendung finden (z.B. Frühlings-Platterbseund Weißklee; Arten mit auch in gekochtemZustand giftigen Samen und Früchten). Dieunterirdisch reifende, aus Amerika stammendeErdnuß (Arachis hypogaea L.) und die afrikani-sche Bambara (Vigna subterranea [L.] VERDC.)gehören ja ebenfalls nicht zu den Bohnen. DieGröße der Samen ist ein relativer Begriff. Sievariiert bei den einzelnen Arten stark. Insofernkönnen beispielsweise Bockshornklee und Lu-zerne nach dieser Definition nicht sicher aus-geschlossen werden. Deren Samen dienen alsGewürz und Heilmittel bzw. werden sie alsKeimsaat gegessen. Auch die Blätter findenmancherorts als Gemüse Verwendung. Es gibteine ganze Reihe von Bohnengattungen und -arten, an die man auch als Autor eines Lexi-kons offenbar nicht gleich denkt.

Wanderungen der Kulturen und ihrer Pflan-zen am Beispiel von Kuba:In der prä-kolumbianischen Periode besiedelnandine Taíno- und Siboney-“Indianer“ die kari-bischen Inseln und schließlich auch Kuba vonSüden kommend über den Antillenbogen. Siehaben bereits eine eigene Agrikultur. Wichtige,vom amerikanischen Festland stammende Kul-turpflanzen führen sie bei der Einwanderungmit oder finden sie unterwegs vor (kuban.Volksnamen in Klammern; „Bohnen“ fett), unteranderen Erdnuß (cacahuete; maní: Arachishypogaea L.), Jack- oder Riesen- undSchwertbohne (frijol de bibijagua; frijol café:Canavalia spp.), Paprika- (ají: Capsicum spp.)und Kürbisarten (calabaza; pipian; chilacayoteazteca: Cucurbita spp.), Yams (ñame llampin:Dioscorea trifida L.f. und andere Arten), Süß-kartoffel (boniato: Ipomoea batatas (L.) LAM.,Maniok (yuca: Manihot esculenta CRANTZ),Tabak (tabaco; [taíno:] cohiba: Nicotiana ta-bacum L.), Yamsbohnen (jícama: Pachyrhizussp.), Mond- (frijol caballero; haba de Lima:Phaseolus lunatus L.) und Gartenbohne (frijolcomún: Phaseolus vulgaris L.), Tania (yautía:Xanthosoma spp.), Schneckenbohne (Vignacaracalla [L.] Verdc.) und Mais (maíz: Zeamays L.), ferner in Europa auch heute nochweitgehend unbekannte Obstarten wie Annona

spp., Chrysobalanus icaco L., Chrysophyllumcainito L., Genipa americana L., Inga fagifolia(L.) WILLD. ex BENTH., Pouteria sapota (JACQ.)H. MOORE et STEARN, Spondias mombin L.. Die„Rothäute“ benutzen den in der Karibik als„bija“ oder „biche“ bekannten Orlean-Strauch(Bixa orellana L.) als Farbpflanze.Im Jahre 1492 gelingt den Spaniern nach derÜberquerung des Atlantik als ersten Europäerndie „nachhaltige“ Eroberung und Besiedlungamerikanischen Festlands. Beim Export dereigenen und der Zerstörung der ihnen fremdenKultur stellen sie verwundert fest, daß die dortlebenden Menschen unter anderem Gold be-sitzen, doch ein merkwürdiges Wertesystemhaben, in anderen sozialen Strukturen lebenund so ganz andere Bohnen anbauen als dieSpanier – „... y tienen faxones y fabas muydiversos de los nuestros...“ (HAMMER et al.1992 - 1994). Unter dem Einfluß der Europäervollzieht sich ein gewaltsamer, plötzlicherWandel. Parallel zur Zerstörung der Lebens-grundlage und zur vom Staat legitimierten, vonder Kirche tolerierten physischen Vernichtungder Eingeborenen beginnt ein immer regerwerdender Menschen-Transfer und Warenaus-tausch: Werkzeuge, Rohstoffe, Wertgegen-stände sind davon betroffen, natürlich auchwildlebende Organismen, Haustiere und Kul-turpflanzen. Deren Einflüsse auf natürlicheÖkosysteme erweisen sich später als so gra-vierend, daß man noch heute von invasiven Ar-ten spricht, von Neophyten und Neozoen. AufAnhieb erfolgreich eingeführt werden z.B. fol-gende Pflanzenarten [Angaben zur Ursprungs-region]: Rüben (acelga; remolacha: Beta vul-garis L. [Europa]), Gemüsekohl (berza; col;coliflor; colinabo: Brassica oleracea L. [Euro-pa]), Agrumen (Citrus spp. [SO-Asien]), Feigen(higuera: Ficus carica L. [Europa, Asien, NW-Afrika]), Reis (arroz: Oryza sativa L. [SO-Asien]), Dattelpalmen (datil: Phoenix dactyliferaL. [NO-Afrika, SW-Asien]), Granatapfelbäume(granada: Punica granatum L. [SW-Asien]),Zuckerrohr (caña de azúcar: Saccharumofficinarum L. [SO-Asien]) und Dicke Bohnen(haba: Vicia faba L. [Mittelmeergebiet, Asien]).Zunächst weniger erfolgreich verlaufenVersuche mit Ölbäumen (olivo: Olea europaeaL. [Mittelmeergebiet]), Weichweizen (trigo: Tri-ticum aestivum L. em. FIORI et PAOL. [SW-Asien]) und Reben (uva: Vitis vinifera L. [Mittel-meergebiet]). Vom mittel- und südamerikani-schen Festland bringen sie weitere Arten bzw.Sorten ihnen geeignet erscheinender Kultur-pflanzen nach Kuba, darunter Avocado (agua-cate: Persea americana MILL.), Kakao- (cacao:

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Theobroma cacao L.) und Kautschukbaum(jebe: Hevea brasiliensis [WILLD. ex A. JUSS.]MÜLL. ARG.). Auf infraspezifischem Niveau läßtsich ähnliches beobachten. CASTIÑEIRAS et al.(1991) belegen mit Hilfe unterschiedlicherPhaseolin-Typen, daß die damaligen Kolonial-herren andere, aus Mittel- und Nordamerikastammende Genotypen der Garten- undMondbohne nach Kuba brachten. Diese unter-scheiden sich teils auch physiologisch von denursprünglich über den Antillenbogen mitgeführ-ten südamerikanischen Gartenbohnen der In-dios.SMOHALLA1 (zitiert nach KORTH 2005) äußertenoch gegen Ende der siebziger Jahre des 19.Jahrhunderts: „Meine jungen Männer werdenniemals arbeiten. Menschen, die arbeiten,können nicht träumen, und Weisheit kommtaus Träumen.“ Da sich bereits die Ureinwohnerder Plantagenarbeit verweigern und auch nicht(wie erhofft und zur Refinanzierung der Expe-dition geplant) versklaven lassen – eine bisheute viel zu wenig bedachte und gewürdigtesoziokulturelle Leistung dieser Menschen –wurden willigere Arbeitskräfte in die Neue Weltverschleppt (BRINKBÄUMER und HÖGES 2004).Als die Sklaven in Afrika aufgegriffen wurden,hatten auch sie gelegentlich Saatgut undPflanzen dabei oder waren bei ihren Tieren.Außerdem mußten sie genau wie die mitge-führten Haustiere auf den Transportschiffenverpflegt werden, möglichst billig natürlich dochmit ihnen vertrauter, für sie bekömmlicher Nah-rung. Weitere tropische Kulturpflanzen afrika-nischen Ursprungs fanden so nach Amerika,um dort auf Plantagen oder als Gemüse- undStärkepflanzen bzw. als Futterpflanzen für dieViehherden angebaut zu werden, darunterWeidegräser wie Brachiaria spp., die Strauch-bohne (gandul: Cajanus cajan [L.] HUTH),Kaffee (café: Coffea arabica L.), altweltlicheYams-Arten (ñame: Dioscorea spp.), Helm-oder Hyazinthbohne (frijol caballero; habas demons: Lablab purpureus [L.] SWEET), Kamp-fer-Basilikum (albahaca alcanforada: Ocimumkilimandscharicum BAKER ex GÜRKE), Rizinus(ricino: Ricinus communis L.) und die Augen-oder Kundebohne (caupí; frijol de vaca: Vignaunguiculata [L.] WALP. ssp. unguiculata).Nicht zu vergessen sind weitere wichtige Plan-tagenpflanzen asiatischen Ursprungs und auchder direkte Einfluß der später eintreffenden

asiatischen Immigranten. Okra (nafé: Abel-moschus esculentus [L.] MOENCH), Rakkyo(rackio: Allium chinense G. DON), Wachskürbis(calabaza china: Benincasa hispida [THUNB. exMURRAY] COGN.), Sareptasenf (mostaza china:Brassica juncea (L.) CZERN.), Taro (ñameisleño: Colocasia esculenta [L.] SCHOTT), Ko-riander (cilantro: Coriandrum sativum L.), Zitro-nengras (caña limon; caña santa: Cymbo-pogon citratus [DC.] STAPF), Sojabohne (frijolde soya: Glycine max [L.] MERR.), Bananen(plátano: Musa spp.), Schwarzer Pfeffer (pi-mienta negra: Piper nigrum L.), Adzukibohne(Vigna angularis [WILLD.] OHWI et OHASHI),Urdbohne (Vigna mungo [L.] HEPPER), Mung-bohne (frijolito chino: Vigna radiata [L.] R.WILCZEK, Spargelbohne (frijol grande: Vignaunguiculata ssp. sesquipedalis [L.] VERDC.)und Reisbohne (frijol arroz: Vigna umbellata[THUNB.] OHWI et OHASHI) seien stellvertretendfür viele weitere wichtige Kulturpflanzenartengenannt.Die „freundlichen Eingeborenen“, die nach Co-lumbus hätten „gute Diener“ abgeben sollen,verloren ihr Leben, er selbst ein geliehenesVermögen. Was aus heutiger Sicht als unge-sühntes Verbrechen anzusehen ist, schuf dieökonomische Basis für die Ausbeutung derKolonien durch ihre „Mutterländer“ und bildetegleichzeitig die Grundlage für das Entsteheneiner völlig neuen, der afro-amerikanischenbzw. hier der afro-kubanischen Kultur. Die eu-ropäische Kolonialpolitik, europäische Anbau-verfahren und die Exportorientierung lassendem Genozid auf dem so gewonnenen Neu-land kein kulturelles Vakuum folgen.Gern übersehen werden in dem Zusammen-hang neben den erwähnten qualitativen auchdie quantitativen Änderungen in der Faunen-und Florenzusammensetzung, die auf kulturellbedingte Präferenzen oder Traditionen zurück-zuführen sind. Genannt sei hier die Förderungbzw. der Erhalt alter Kapok-Bäume (Ceibapentandra [L.] GAERTN.), ein typisches Elementder afro-kubanischen Kultur. Die Haltung vonHühnern, Pferden, Hausrindern und Ziegen hatallein durch deren Anzahl, Nahrungswahl, mit-gebrachte Symbionten und Parasiten erhebli-che Auswirkungen auf die natürlichen wie auchauf die althergebrachten Agroökosysteme.

Der Name der BohneEs fällt auf, daß die eingangs wiedergegebe-nen deutschen, die kubanischen und auch diewissenschaftlichen Pflanzennamen oft ähnlichklingen oder einfache Übersetzungen darstel-len, die den betreffenden Sinnzusammenhang

1 Der berühmte Wanapum-Schamane wareiner der bedeutendsten religiösen Führer dernordamerikanischen Indianer, Stifter und Weg-bereiter des Träumerkultes.

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vermitteln. Eine Ursache hierfür ist sicher derehemals dominante, auch die Namensgebungprägende Einfluß der Europäer. MARZELL(1977) hat in seinem Wörterbuch der deut-schen Pflanzennamen eine Vielzahl regionalervolkstümlicher Pflanzennamen zusammen-getragen und zu systematisieren versucht,

darunter auch die der Bohnen. Buschförmigwachsende und rankende Gartenbohnen faßter als zwei Arten auf und behandelt sie geson-dert. Werden beide Sippen seiner Gliederungfolgend zusammengeführt, ergibt sich ein et-was unübersichtliches Bild (Tab. 1).

Tabelle 1. Kleine Auswahl von Volksnamen der Gartenbohne in der Systematik nach MARZELL (1977)1B niedriger Wuchs (Boden-, Busch-, Stauden-, Zwergbohnen)1S Namenswandel von Vicia zu Phaseolus1S-a) Wuchsform (Stangen- und Reiserbohne; letztere bis 1,50m hoch, windend)2B Beschaffenheit der Früchte und Samen (Eier-, Perl-, Prinzessinbohnen)1S-b) Beschaffenheit der Hülsen (Schwert-, Speck-, Spargelbohnen)1S-c) (angebliche) Herkunft (Römische, Türkische, Welsche Bohnen)1S-d) volksetymologischer Deutungsversuch

– nach dem letzten Saatzeitpunkt oder dem Blühbeginn [Veit, Viti, 15. Juni] (Veits- oderVietsbohne)

– von Fese für Schale, Hülse (Fese-, Fise-, Fitzebohne)– von Vicia (Feiksbaun, Fize-, Vitsebohne)

1S-e) Sonstige Namen sortenspezifisch (Adlerbohne), Gebrauch (Brechbohne, Schnittbohne),Fadenlosigkeit (Faule-Weiber-Bohne), Anbau (Gartenbohne [Unterschied zur Ackerbohne]),Verwendung (Schminkbohne, Gemüsebohne [Unterschied zur Saubohne: Futter]),Samenform und -farbe (Kirschbohne)

2S Nebenwirkungen des Genusses (Musikant)3S (abgewandelte) Entlehnung von fasol, phasol (Faseln, Fasole, Fisole)4S Übertragungen: (Bohnenerbse, Türkische Erbsen, Schwabenkicher)3B sonstige Namen (Dresch-, Einbohne)5S sonstige Namen (Huhn ohne Schwanz)

Legende:B steht für (Garten-) Busch-Bohnen-Namen (Phaseolus nanus JUSL.)S für (Garten-) Stangen-Bohnen-Namen (Phaseolus vulgaris L.)

Folgende allgemeine Regeln für die Bildungvon Volksnamen bei Kulturpflanzen lassen sichjedoch erkennen, die am Beispiel der Feuer-und anderer Bohnen anhand konkreter Bei-spiele diskutiert werden:– Je wichtiger eine Kulturpflanze ist und je

auffälliger ihre Eigenschaften sind, destomehr komparative und deskriptive Na-men gibt es für sie und desto eigenstän-diger werden sie gebildet (für Phaseoluscoccineus auch: Feuerfisole, Feuer- oderScharlachbohne [nach der Blütenfarbe],Prunk- oder Prahlbohne [nach der auffälli-gen Tracht], Große oder Riesenbohne[Größe der Samen], Rauh- oder gar Woll-bohne [Oberfläche der Hülsen]).

– Herleitung des Namens nach phäno-logischen Aspekten (vgl. Tab. 1, Saat-,Blüte- oder Erntezeitpunkt) und Lebens-formen (Strauchbohne für Cajanus cajan[einjährige oder ausdauernde Arten, Kräu-ter, Ranker, Stauden, Gehölze]).

– Namensgebung nach der Verwendung(Blumen-, Plaisir- oder Zierbohne [als Zier-pflanze]) bzw. den verwendeten Pflan-zenteilen (Fisole [Früchte]) und nach derVerarbeitung (Speckbohne [für mehrereArten, auch Vicia faba]).

– Benennung nach tatsächlichen bzw. derPflanze zugesprochenen Bedeutungen,Eigenschaften oder Wirkungen (Füchz-pillen; vgl. Tab. 1, Aphrodisiaka bis Zau-berkräuter, auch Aberglaube, gesellschaft-liche und religiöse Bezüge).

– Volksnamen geben die (oft vermeintliche)Herkunft an (die Feuer- oder Prunkbohneheißt im deutschsprachigen Raum ebenauch Arabische, Spanische, Türkischeoder Welsche Bohne (MARZELL 1977), inFrankreich ebenfalls haricot d'Espagne(SCHULTZE-MOTEL 1986).

– Eher selten ist die Herleitung des Volksna-mens für die Art aus einer Sortenbezeich-nung zu beobachten (z.B. „Grazerinnen“).

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– Besondere Attribute kennzeichnen diemitunter irrtümliche Beziehung zu ähn-lichen Arten oder Sorten (hier: der Oberbe-griff „Bohnen“ für mehrere Leguminosen).(Wuchs-)Orte, besondere Anlässe, Perso-nen etc. können namensgebend sein. NachGAMS und HEGI (1924) sind für die Feuer-bohne auch die Bezeichnung Roßbohne,Roßerbse und Hainsbohne2 gebräuchlich.

– Namen (teils auch nur die wissenschaft-lichen Bezeichnungen) werden aus ande-ren Sprachen übersetzt oder entlehntund ggf. dem eigenen Sprachgebrauchangepaßt, dabei nicht selten sogar völligentstellt3 (z.B. „Ungerer Fisolen“).

– Es kommt zu unabhängigen Neubildun-gen, die von degenerierten Bezeichnun-gen schwer zu unterscheiden sind (Prun-ker, Rindsert).

– Die Verbindung mehrerer Kategorien:Bei der ’Witzenhäuser Riesenbohne’ wer-den z.B. Herkunft und Eigenschaft imNamen kombiniert.

– Hat eine Pflanze gar keinen Volksnamen,spielt sie in der betreffenden Kultur offen-bar keine wesentliche Rolle (Samen vonPhaseolus flavescens PIPER werden in Mit-telamerika gesammelt, in Europa ist die Artkaum bekannt) (vgl. auch BERLIN 1992:273ff). – Es fehlt jedoch nicht an mehr oderweniger gelungenen Versuchen, auch sol-chen Pflanzen deutsche Namen zu geben.

Die Bildung und Änderung von Volksnamenwie auch die Einbürgerung bzw. Verdrängungvon Kulturpflanzen auf Grund wechselnder Ak-zeptanz in der Bevölkerung sind Prozesse. Ausden Ableitungen selbst und der Zahl der Na-men läßt sich nur vermuten, wie lange die be-treffende Pflanze in die jeweilige Kultur inte-griert und wie fest sie darin verankert ist.„Bohnen“ waren und sind bei vielen Völkern einsehr wichtiger Bestandteil der menschlichenNahrung. Wo kein bzw. nicht ausreichend tieri-sches Eiweiß zur Verfügung steht oder wo die-ses aus bestimmten Gründen nicht konsumiertwerden kann, sind Hülsenfrüchte oft die einzigeEiweißquelle. Insofern finden sich die obenpostulierten Regeln wenigstens bei all den„fabas“ oder „habas“ und den „frijoles“ bestä-tigt. Eine umfangreiche Sammlung noch heute

gebräuchlicher Volksnamen für die Garten-bohne hat der VEN zusammengetragen [1].Nicht minder interessant als die Bildung vonVolksnamen für die Kulturpflanzenarten ist dieEntstehung der Sortennamen. Je nach demZeitgeschmack, als Spiegel der Wertschätzungder Kultur oder im Hinblick auf potentielleKäufer für Saat- und Erntegut erinnern die Sor-tennamen– an konkrete Personen, wurden ihnen zu

Ehren vergeben (’Fürst Bismarck’, ’Ge-heimrat Ramm’, ’Kapitän Weddingen’) oderum von deren Ruhm zu zehren [Be-nennungen nach Personengruppen oderVolksstämmen sollten eher den jeweiligenUrsprungsgebieten zugeordnet werden(vgl. dort)].

– Sie gehen auf Familien oder Sortenerhalterzurück (“Domaca Stojanovic“, “Schöne vonFrau Waitzel“),

– enthalten den Namen von Zuchtfirmen(’Dippes Speck’, ’Hinrichs Riesen’, ’Schrei-bers Lange Brech’) bzw.

– appellieren an bäuerlich-gärtnerische Tra-ditionen (’Fleißige Berta’, ’Gärtnerstolz’).

– Andere lassen Bindungen an eine be-stimmte Stadt oder Region vermuten(’Kasseler’, ’Limburgische’),

– beziehen sich auf

) morphologische Merkmale wie dieForm der Hülsen (’Kipfler’), Frucht- undSamenfarben (’Grüne Neger’) oderForm und Zeichnungen der Samen(’Kidney’, ’Schnurrbartbohne’),

) die Kälteunempfindlichkeit der Sorte(’Eisbohne’),

) ihre Reifezeit (’Allererste’),

) auf Ertrags- (’Unerschöpfliche’),

) Qualitäts- (’Delikatess’, ’Zuckerspar-gel’),

) Verarbeitungs- (’Pahlbohne’) und

) Resistenz-Eigenschaften (’ResistantCherokee’) oder auf die

) Wettbewerbsfähigkeit am Markt (’Im-perator’, ’Triumph’).

– Reine Phantasienamen, die der jeweiligenMode folgend in Anlehnung z.B. an tech-nische Begriffe, die Mythologie oder ohneerkennbaren Bezug vergeben werden.Schönheit und Klang des Namens spieleneine große Rolle, auch politische Hinter-gründe sind nicht immer auszuschließen.Die Übertragung des Sortennamens aufeine Gruppe ähnlicher Sorten ist möglich

2 Die Art soll 1635 durch den holländischenAdmiral HAINS eingeführt worden sein.3 Ein schönes Beispiel hierfür ist die Avocado-oder Avocato-Birne (Persea americana MILL.),die zur Advokaten-Birne oder Alligator-Birne„mutiert“ ist.

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(’Prinzeßbohne’). Hierzu auch dem Laienunverständliche Kürzel, mehrdeutige Be-zeichnungen, (fehlerhafte) Übersetzungenetc.

– Bei Namensgebungen gibt es natürlichauch eine Kombination dieser Varianten(’Südmährische Schwefelgelbe Feldfisole’).

– Hinzu kommen die „verbesserten“ Sorten(’Burpee’s Improved Tendergreen’), darun-ter einige mit schon fast detaillierten Be-schreibungen der von der Ausgangssorteabweichenden Merkmale (vom ’Schlacht-schwert’ zur Sorte ’Schlachtschwert ExtraLange, Weiße, Breit’),

– durchnumerierte Erfolgsserien (’Great Nor-thern 59’) und die phantasielose Übernamevon Nummern der Zuchtstämmen (’No.643’).

Bei vielen der frei erfundenen Sortennamenstellen sich beim Leser dieser Zeilen wohlkeine Assoziationen zu konkreten Bohnen-sorten ein (’Alfa’, ’Fluture’, ’Ida’, ’Kompas’,’Taro’). Andere sind allgemein bekannt und

man verbindet sehr wohl eine Vorstellung mitNamen wie ’Borlotti’, ’Saxa’, ’Zucker Perl Per-fektion’. Die in den Niederlanden heute nochvon Liebhabern als Kuriosität angebauten, hier-zulande als Soldatenbohnen bekannten altenTrockenbohnen werden nach ZEVEN (2004,pers. Mitt.) dort auch “Soldatenbohnen“ oder“Soldatenboontje“ genannt, “Tekenbohnen“(strammstehender Soldat) und “Adelaarsboon“(Adlerbohne). Vielleicht ist es nur eine Legen-de, jedenfalls läßt sich kein schriftlicher Hin-weis darauf finden, daß es sich bei der auffälli-gen Zeichnung ursprünglich um ein Sorten-schutzmerkmal gehandelt haben könnte. In derAbbildung 1 wird versucht, die Veränderungenin den Motiven für die Benennung von Kultur-pflanzen und Haustieren in einem zeitlichenRahmen darzustellen. Die naheliegende Ge-genüberstellung der Motive für die Namens-gebung bei Haustieren (mit deren Rassen) undKulturpflanzen (mit ihren Sorten) kann andieser Stelle leider nicht erfolgen.

Abbildung 1. Veränderung der Begriffe als Ausdruck einer veränderten Wertschätzungvon Haustieren und Kulturpflanzen (nicht maßstabsgerecht und stark vereinfacht).

Bei den Bohnen – wie bei vielen anderen Kul-turpflanzen auch – gibt es all die beschriebe-nen Variationen bei der Namensgebung bis

heute. Eine Verwechslungen und fehlerhafteZuordnungen fördernde regelwidrige Unart derZüchter besteht darin, den einmal gegebenen

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Sortennamen zurückzuziehen und gegen einenoder mehrere andere zu ersetzen, ihn zu än-dern oder innerhalb der Art mehrfach zu ver-geben. Beweggründe für die Namensgebungoder für unzulässige Änderungen der Sorten-bezeichnungen werden in der Regel nicht mit-geteilt. Erwähnt seien noch die vielen namen-losen Landsorten, die in den Genbanken häufignur Sortimentsnummern tragen. Jenen werdenvon privaten Sammlern wie auch von Nicht-Staatlichen Organisationen (NGO’s) sor-tenäquivalente Bezeichnungen gegeben, umsie besser bekannt und nutzbar zu machen.Oft sind es Erhalter, denen zu Ehren dieseNamen vergeben werden. Auch lokale Bezügeund beschreibende Elemente können Eingangfinden. Von den oft genug zahlreichen Syno-nymen einmal ganz abgesehen, bedenkt manneben mechanischen Vermischungen undVerwechslungen noch den Effekt der „StillenPost“ bei der Weitergabe von Sortennamenund Saatgut, ist es eigentlich kein Wunder, daßdie Konfusion zwischen den amtlich registrier-ten, in Hochkommata zu setzenden Land- undZuchtsorten und den nicht offiziell registrierten,in hochgestellten Anführungsstrichen stehen-den, ursprünglich oft namenlosen Landsortengroß ist. Wer weiß schon, ob manchen dernamenlosen Herkünfte die Sortenbezeichnun-gen nicht einfach nur abhanden gekommensind?Wie kompliziert selbst die Zuordnung von ver-bürgten geschichtlichen Sortenbezeichnungenund historischen wie auch rezenten Pflanzen-beständen ist, legt EMMERLING-SKALA (2003)dar. In dem Zusammenhang soll kurz auf dieDynamik der spontanen Entstehung neuer Ty-pen beim Nachbau eingegangen werden. Wererhaltungszüchterisch tätig ist, hat eine unge-fähre Vorstellung von der Stabilität seiner Sor-ten. Von der Lokalsorte über die vom Züchternach sich selbst benannte Kreation bis hin zurpatentierten Registriernummer sind die Unter-schiede innerhalb einer Art diesbezüglich nichtsonderlich groß. Die Gartenbohne macht dakeine Ausnahme. Die Wandlungen diesesSelbstbefruchters haben in den gut 500 Jahrenseit ihrer Einführung zur Ausweisung sekundä-rer Mannigfaltigkeitszentren in der Alten Weltgeführt. Aufspaltungen bei Handels- und Land-sorten wie auch bei Genbankmaterial könnenbei fast jedem Regenerations- und Vermeh-rungsschritt beobachtet werden. Selbst beiKlonen treten sie regelmäßig, oft sogar nacheinem bestimmten Muster auf (QUEST-RITSON2003). Wie ist es um die angeblich so „sichervererbenden“ Eigenschaften bestellt? Werden

wir der Sorten- und Namensvielfalt eigentlichnoch Herr? Wäre es nicht sinnvoller, einfacherund besser, der Natur in der Kultur ihren Laufzu lassen und wieder Sortenmischungen anzu-bauen, wie es die zahlreichen Immigranten seitJahrzehnten auch in Deutschland praktizieren?Kurz, kann es ein schöneres Lehrstück für dasvergebliche Streben des modernen, zivilisier-ten, technisch geprägten Menschen nach Uni-formität überhaupt geben? Hat sich die Struk-tur unseres Denkens überlebt?Es waren Pflanzenzüchter, keine Genetikerund keine Biologen, die vor weit mehr als 100Jahren auf die Gefahren – wie wir heute sagen- der Generosion, des Verlustes ehemals wirt-schaftlich bedeutender Sorten, aufmerksammachten und die fundierte wissenschaftlicheBegründungen für die ex-situ-Erhaltung in gro-ßen Sortimenten entwickelten, jenen aus derganzen Welt zusammengetragenen Kultur-pflanzensammlungen, die wir heute Genban-ken nennen. Wie recht sie hatten, ist allein ausder Fülle ganz unterschiedlich geformter, far-benprächtiger Samen von Bohnen-Landsortenzu ersehen, wenn man das Handelssortimentoder modernes Zuchtmaterial daran mißt. Daßes sich bei dieser unüberschaubaren Vielfaltdennoch nur um einen winzigen Ausschnitt ausder Gesamtvariabilität der Art handeln kann,wird aus den riesigen Abständen der Sammel-punkte deutlich, aus fehlenden Übergängen,aus missing links.Auf der einen Seite steht der nicht zu unterbin-dende Neubildungsprozeß, auf der anderen dieSorge um einen gesicherten Fortbestand derVielfalt. Zur Abwechslung läßt sich am Beispielder Entwicklung des Tomatensortimentes inden zurückliegenden 20 Jahren ein bei dieserPflanzenart erfolgreich beschrittener Lösungs-weg aufzeigen: Anfang der 1980er Jahre gabes auf dem Markt nur noch wenige ähnlicheSorten mit roten, runden und einheitlich fadeschmeckenden Früchten. Die Verbraucher be-gannen, den Konsum zu verweigern. Daraufhinreagierten die Züchter und suchten in den To-matenkollektionen nach Geschmackseigen-schaften und Aromen. Doch erst der Initiativeeiniger NGO’s und engagierter Privatpersonenist zu danken, daß in den 1990er Jahren farb-lich und geschmacklich stark von der bis dahingeltenden Norm abweichende Sorten aus denGenbanken vermehrt wurden und in den Um-lauf kamen. Größere Pflanzenzuchtunterneh-men haben erkannt, dass sie das Interesseund den Bedarf des Hobbybereiches gewaltigunterschätzt hatten und nahmen daraufhin ei-nige der mittlerweile schätzungsweise 1.000 im

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Umlauf befindlichen Sorten und Herkünfte wie-der in ihre Sortimente auf. Weiße, gelbe, oran-gefarbene, violette, braune und gestreifte Sor-ten in unterschiedlichen Formen und mit unter-scheidbarem Geschmack können seither wie-der regulär im Handel bezogen werden. DieseErfolgsgeschichte bei anderen Kulturpflanzen-arten fortzuschreiben und die wirtschaftlicheNutzung der Biologischen Vielfalt zum Wohlealler Menschen voranzutreiben ist ein Ziel, dassich lohnt, nicht aus den Augen zu verlieren.

Tofu aus AckerbohnenDie Sojakultur ist bei asiatischen Völkern weitverbreitet. Die ältesten Nachweise stammenaus China und sind bis ca. 800 v. Chr. datiert.Soja weist eine sehr enge physiologische Bin-dung an die Tageslänge des Anbaugebietesauf, weswegen diese Eigenschaft bei der Sor-tenwahl eine große Rolle spielt.Eine Auslese kältetoleranter und tagneutralerbzw. Langtag-Biotypen hat in Europa u.a. zuden Sorten 'Heimkraft' (Deutschland) und'Fiskeby' (Schweden) geführt. Die reifen Sa-men enthalten rund 40% Eiweiß, 20% Öl und20% Stärke (BRÜCHER 1982). Soja-Eiweiß ent-spricht in seiner biologischen Wertigkeit derMilch und gehört zu den hochwertigsten pflanz-lichen Proteinen. Es ist reich an mehrfach un-gesättigten Fettsäuren, die in der modernenErnährung bevorzugt werden. Die härtere Sa-menschale und die abweichende Zuberei-tungsweise (längere Kochzeit als z.B. Garten-bohne) stehen einer Akzeptanz in den Küchenanderer Kulturen entgegen. Der Löwenanteilan der Welternte wird daher auf riesigen Ro-dungsflächen angebaut und für die Tierfütte-rung verwendet. Ein verschwindend kleiner Teilsteht in Hausgärten z.B. Süd-Tirols, wo diereifen Samen zur Bereitung von Kaffee-Ersatz

genutzt werden, genau wie die von Lupinuspilosus MURRAY. Andrea HEISTINGER (2004)berichtet: „In Naturns erzählten mir die Bäue-rinnen, dass sie zwei verschiedene Bohnenangebaut hatten für die Nutzung als 'Kaffee-Bohne'. Eine dieser Bohnensorten ist erhalten,es handelt sich um grüne Sojabohnen, die imklimatisch begünstigten Vinschgau noch abrei-fen.“Wenn man aus gerösteten Sojabohnen in Eu-ropa seit Jahrzehnten, vielleicht gar Jahrhun-derten ein wohlschmeckendes, koffeinfreiesGetränk herstellt, wenn diese Leguminose ne-ben anderen in China seit Jahrtausenden alswertvolles Futter und vielfältig verarbeitet dermenschlichen Ernährung bzw. Gesundheitdient – wie ist es dann möglich, daß dieMenschheit die unendlich vielen Verarbeitungs-und Verwendungsmöglichkeiten der Sojabohnenach dem Muster der VAVILOV’schen homolo-gen Reihen nicht auf andere kultivierte Artenzu übertragen versucht? Die Zahl interessanterGeschmacksrichtungen und Produkte ließesich gewaltig erhöhen. Läge es an unsererkonservativen Ernährungskultur, gäbe es wohlkeine fast-food-Ketten, keine Farb- und Kon-servierungsstoffe in den Nahrungsmitteln,keine food-Designer. Bedürfte es einer komp-lizierten Veredlung, ließen sich geeigneteTechniken ganz sicher (er)finden. Offenbarhandelt es sich aber nicht einmal um ein inter-essantes, förderungswürdiges Forschungs-thema. In Tabelle 2 stehen die Namen vonVicia faba in germanischen Sprachen nachHAMMER (1992) und HANELT (1972), und in Ta-belle 3 sind einmal all diejenigen alt- und neu-weltlichen Bohnenarten zusammengestellt, diehierzulande bekannt sind und die deutschebzw. eingedeutschte Volksnamen tragen.

Tabelle 2. Namen von Vicia faba L. in germanischen Sprachengot. baun, baunô altnord. bon, baun althdt. bôna mhdt. bone nhdt. Bohneniederdt. bône holl., fläm. booon dän, norw. bonne schwed. böna engl. bean

Tabelle 3. Bekannte (fett) und weniger bekannte alt- und neuweltliche „Bohnen“1. Neuweltliche Arten

Bohne, Wissenschaftliche Bezeichnung UrsprungsgebietFeuer- Phaseolus coccineus L. Mittel-AmerikaGarten- Phaseolus vulgaris L. Mittel- und S-AmerikaMond- Phaseolus lunatus L. Mittel-AmerikaRiesen- Canavalia ensiformis (L.) DC. NeotropischTepary- Phaseolus acutifolius A. GRAY Mittel-AmerikaVielblütige Phaseolus polyanthus GREENM. Mittel-AmerikaYams- Pachyrhizus erosus (L.) URB. Neotropisch

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2. Altweltliche ArtenBohne, Wissenschaftliche Bezeichnung Ursprungsgebiet

Acker- Vicia faba L. EuropaAdzuki- Vigna angularis (WILLD.) OHWI et OHASHI JapanAfrikan. Yams- Sphenostylis stenocarpa (HOCHST. ex RICH.) HARMS trop. W-AfrikaAugen- Vigna unguiculata (L.) WALP. AfrikaGoa- Psophocarpus tetragonolobus (STICKM.) DC. AsienGuar- Cyamopsis tetragonoloba (L.) TAUB. AsienHelm-/ Hyazinth- Lablab purpureus (L.) SWEET trop. AfrikaJack- Canavalia gladiata (JACQ.) DC. PalaeotropischKandela- Macrotyloma geocarpum (HARMS) MARÉCH. et BAUD. AfrikaMatten- Vigna aconitifolia (JACQ.) MARÉCHAL Arabien – IndienMung- Vigna radiata (L.) R. WILCZEK O-Afrika, AsienPferdeaugen- Mucuna sloanei FAWC. et RENDLE AfrikaReis- Vigna umbellata (THUNB.) OHWI et OHASHI AsienSamt- Mucuna pruriens (STICKM.) DC. AsienSand-/ Trift- Strophostyles helvula (L.) S. ELL. AfrikaSoja- Glycine max (L.) MERR. AsienStrauch- Cajanus cajan (L.) HUTH trop. AfrikaUrd- Vigna mungo (L.) HEPPER Asien

Konventionell oder doch lieber unkonven-tionell?Bis zum Jahre 1992 haben sich Nutzung undSchutz lebender natürlicher Ressourcen imUnterschied beispielsweise zu Grund und Bo-den, Kohle und Öl nicht zwingend an die wirt-schaftliche Entwicklung koppeln lassen. Diepflanzen- und tiergenetischen Ressourcen,auch Kulturpflanzen und Haustiere, galten bisdahin als weltweit frei verfügbares lebendeskulturelles Erbe der ganzen Menschheit. DieKonferenz im brasilianischen Rio de Janeiro istzu einem Meilenstein in der Menschheits-geschichte geworden. Der dort verabschiedete,„Convention on Biological Diversity“ (CBD)oder deutsch „Übereinkommen über die Biolo-gische Vielfalt“ (ÜBV) genannte, völkerrecht-liche Vertrag hat als erster Teil des internatio-nal geltenden Umweltrechtes mit dieser globalpraktizierten Tradition gebrochen. Wer meint,daß es sich dabei um ein weiteres Instrumentzur Unterbindung des Handels mit gefährdetenArten oder daraus hergestellten Produktenhandeln würde, der irrt, denn die Conventionon International Trade in Endangered Species(CITES = Washingtoner Artenschutzabkom-men) gibt es schon seit 1973. Nein, es geht inder CBD hauptsächlich um wirtschaftlich ver-wertbare Kultur- und Nutzpflanzen, darunterhalt auch die Bohnen. Wenn Anton ZEVEN imJuli 2004 (pers. Mitt.) noch über die Soldaten-bohnen schreiben kann: „I even got materialfrom the USA sent by people who took ’their’

beans with them when emigrating“, bleibt nurzu hoffen, daß das alles noch vor 1992 unddamit legal erfolgte – sofern auch die erforder-lichen phytosanitären Zeugnisse vorlagen. Derzitierte Satz belegt, daß die (Garten-)Bohnenden Atlantik mindestens drei mal überquerthaben müssen. Damit dürfte es wohl vorbeisein, im Falle der USA auch aus vorgeschobe-nen Sicherheitsgründen. Andere Staaten wer-den sich über kurz oder lang an dem Beispielorientieren. Deutlich erkennbar wird ein grenz-überschreitender Transfer von Saat- undPflanzgut im Zeitalter der Globalisierung zu-nehmend erschwert und teils unter drakoni-sche Strafen gestellt. Nur wenn es darum geht,transgene Pflanzen zu verbreiten und erschli-chene Patentrechte durchzusetzen, fallen nachund nach alle moralischen Grenzen und ge-setzlichen Schranken. Rechte indigener Völker,Gewissen und Anstand müssen auf derStrecke bleiben, wo sich die freien Kräfte einesfreien Marktes frei entfalten.Wenig bekannt ist das Beispiel der in den An-den Boliviens, Perus, Ecuadors und Kolum-biens als Suppenbohne gebräuchlichen nuña.In den Höhenlagen kocht das Wasser schonbei Temperaturen unter 100°C. „Normale“Suppenbohnen werden dort einfach nicht gar.Die reifen Samen dieser regionalen Sorten-gruppe werden traditionell wie Puffmais undPuffreis gepoppt und erst dann gekocht [2].Bleichgesichter4 können sich derartige „Ent- 4 Patents on Phaseolus vulgaris: US 6,040,503

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deckungen“ offenbar noch immer patentierenlassen [3, 4]. Die gelben Enola-Bohnen5 gehö-ren offenbar auch nicht mehr den Mexikanern,die sie ihrerseits vermutlich von den ursprüng-lich dort ansässigen Indios übernommen hat-ten. An diesen beiden Beispielen wird derHarmonisierungsbedarf zwischen unterschied-lichen internationalen Abkommen deutlich. DieWurzeln dieser Widersprüche reichen aber vieltiefer.Die CBD richtet sich an ihre Vertragsstaatenund „bekräftigt“ bereits in der Präambel, aus-führlicher dann in den Artikeln 3 und 15 derensouveräne Rechte über die eigenen (!?) biolo-gischen Ressourcen. Staatliche Besitz- undEigentumsrechte an Tier- und Pflanzenartenbzw. Rassen und Sorten hat es bis dahin nichtgegeben. Es kann und darf sie auch nicht ge-ben, denn diese Rechte sind sehr viel älter undstabiler als Staaten und deren Grenzen einstwaren, heute sind und jemals werden können.Es muß also eine pauschale, widerrechtlicheEnteignung all derjenigen Personen und Or-ganisationen erfolgt sein, die bis dahin dieRechte, vor allem aber auch die Pflichten vonBesitzern und Eigentümern wahrgenommenhaben und die dies häufig bis heute tun. Gegendiesen unerhörten Vorgang und die Bindung andas Hoheitsgebiet eines Staates ist bisher keinWiderspruch eingelegt, keine Beschwerde er-hoben und keine Klage eingereicht geworden.„Die eigentliche Umsetzung der Konventionmuß durch eine Vielzahl von Akteuren geleistetwerden, zu denen in besonderem Maße dieBotanischen Gärten gehören“ meinen RAUERet al. (1999). Neben Politikern und Wissen-schaftlern haben sich Ökonomen und vor allemJuristen bereits eingefunden. Botanische Gär-ten hoffen durch die Übernahme entsprechen-der Aufgaben auf mehr Anerkennung und Un-terstützung. Folgerichtig hat der Verband Bo-tanischer Gärten e.V. als erstes nationalesNetzwerk eine „Erklärung zur BiologischenVielfalt“ in bezug auf die CBD veröffentlicht, inder die Forschungs- und Bildungsaufgabensowie die Bereitstellung von Pflanzen hervor-gehoben, ausdrücklich gegen PatentierungStellung bezogen, Kooperation und eine Be-rücksichtigung der Rechte indigener Völkereingefordert wird, wonach bei kommerziellerNutzung die Rechte der Ursprungsländer zuberücksichtigen sind, mehr Engagement für dieErhaltung in situ verlangt und schließlich auchan die zur Lösung dieser Aufgaben nötige fi-nanzielle und personelle Ausstattung erinnert

wird. Mit dieser Erklärung wird ferner begrün-det, wenn Botanische Gärten immer seltenerSaatgut und Pflanzen an Privatpersonen abge-ben (EMMERLING-SKALA 2004, pers. Mitt). Vonder „offiziellen Seite“ wird nur zu gern verges-sen, was sie privatem Engagement an Daten,Belegen und wertvollem Wissen verdankt.Diese Einstellung führt zwangsläufig dazu, daßsich engagierte Hobbybotaniker und Freizeit-forscher anderer Quellen bedienen oder sichvon der Thematik gänzlich abwenden – eineTendenz, die leider auch auf anderen Gebietender biologischen Feldforschung zu beobachtenist. Die restriktive Auslegung der Naturschutz-bestimmungen und die intransparente Praxisder Erteilung von zeitlich und örtlich streng be-grenzten Sammelgenehmigungen tun ein übri-ges.Hat ein Land die Konvention ratifiziert, darf dortohne Erlaubnis der zuständigen Behördennichts Lebendes oder Totes mehr gesammeltbzw. ausgeführt werden. „Dies gilt für alle Or-ganismen, nicht nur für bedrohte oder ge-schützte Arten, da es sich hierbei generell umGenetische Ressourcen handelt. Betroffen sindnatürlich auch alle lebenden oder konserviertenPflanzenteile, aus denen DNA isoliert werdenkann“ (RAUER et al. 1999). Auch wenn Aus-nahmeregelungen für weltwirtschaftlich wichti-ge Arten die größten Defizite der Konventionrelativieren sollen, stellt sich die Frage, ob dieUmsetzung der CBD als Instrument nicht mehrSchaden verursacht als Nutzen stiftet. Ähnlichwie bei der Entdeckung Amerikas wird manaber wahrscheinlich erst in 500 Jahren unge-fähre Schätzungen darüber wagen dürfen undsich einen anderen Umgang der „Entdeckerdes Wertes der Vielfalt an sich“ mit ihrerjuristisch perfekt angeeigneten Materie wün-schen.Die bereits heute erkennbaren negativen Aus-wirkungen des bürokratischen Umgangs mitder Kulturpflanzenvielfalt auf staatlicher undüberstaatlicher Ebene werden von HERMANN(2003) am Beispiel der Novel Food Regulationder Europäischen Union (EU Regulation158/97) diskutiert. Wohl zur Vermeidung vonProdukten aus transgenen Organismen er-dacht, darf nach dieser Verordnung alles, wasnicht nachweislich auch schon vor dem 15. Mai1997 als Stichtag auf den Märkten eines Mit-gliedsstaates für die angegebenen Zwecke ge-handelt wurde, nur unter strengsten Auflagengelistet werden. Zu diesen Auswirkungen ge-hört, daß den Erzeugern von Produkten ausvernachlässigten Arten der ohnedies schwereZugang zum europäischen Markt gänzlich ver-

5 Patents on Phaseolus vulgaris: US 5,894,079

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sagt wird. Durchaus wertvolle, in den Entwick-lungsländern kultivierte und seit Jahrhundertenin anderen Erdteilen konsumierte Arten be-kommen keine Zulassung. In der Folge werdennoch mehr cash crops angebaut, vernachläs-sigte Arten geraten in Vergessenheit oder blei-ben nur regional bekannt, ihre Potentiale kön-nen weder erkannt noch dürfen sie genutztwerden. Nur einzelne starke Konzerne erhaltenMonopolstellungen für die betreffenden selte-nen Produkte, wenn es ihnen gelingt, die Hür-den der Zulassung zu überwinden. Wirkungs-voller können Innovationen nicht verhindertwerden.

Ein bißchen ZukunftDie Lösung des Ernährungsproblems ist sichernicht nur in der Aufhebung des globalen Wi-derspruchs zwischen Produktion und Vertei-lung der Nahrungsmittel zu suchen. HeinzBRÜCHER (1982) beobachtete Waldarbeiter inParaguay und schrieb: „Sie haben einen einfa-chen Ackerbau, der sich durch Familien- undNachbarschaftshilfe ohne kostspielige Land-maschinen durchführen läßt. Dank der in Pa-raguay traditionellen Gemeinschaftsweide aufStaatsland halten sie gemeinsam etwas Vieh.Ihre Hausgärten liefern das ganze Jahr hin-durch Gemüse und Früchte, deren Abfälle wie-derum der Kleintierhaltung dienen. Feldbestel-lung und Ernte werden oft genossenschaftlichvorgenommen. Zwar werden diese Familienkeine Reichtümer anhäufen (im übrigen liegt esihrem Charakter ziemlich fern, danach zustre-ben), doch wird ihnen auf jeden Fall dasfreudlose Proletarier-Dasein wie in afrika-nischen oder asiatischen Slums erspart odereine Arbeitslosigkeit, wie sie jetzt über Millio-nen Menschen in den Industriestaaten Ameri-kas und Europas hereingebrochen ist.“Der Konzentration von Macht, Reichtum undArmut auf engstem Raum folgen meist Expan-sionsbestrebungen. Im Rückblick auf die Er-oberer und ihre Leistungen fällt auf, daß einevergleichende Analyse der jeweiligen Ernäh-rungssituation in der Geschichtsschreibungkaum berücksichtigt wird. Sei es 1. beim Einfallder Hunnen in Mitteleuropa unter König Attila(Etzel) und der Zerschlagung ihres Reichesbald nach dessen Tod oder 2. bei der Ent-deckung der „Neuen Welt“, der beiden Ameri-ka, durch den genuesischen Seefahrer Cristo-foro Colombo, besser bekannt als der in Dien-sten der spanischen Krone stehende CristóbalColón mit seinen Gefolgsleuten oder 3. bei denersten tapsigen Schritten des Erdenmenschenauf dem Mond, der wenig später sogar seine

Fühler nach dem Mars ausstreckt und sich nunin bekannter Manier anschickt, das Weltall zuerobern, unter seinesgleichen aufzuteilen, eszu vermarkten (KNEIP 2004): Diese drei bei-spielhaft gewählten Ereignisse standen im Zei-chen der rücksichtslosen Aneignung von„Neuland“, das bereits besiedelt und kultiviertsein kann. Die Ausdehnung einer Kultur aufKosten und zu Lasten anderer führt häufig da-zu, daß Teile der unterlegenen Kultur in dieWeiterentwicklung der überlegenen einfließen.Früher wie heute verlaufen die Auseinander-setzungen teils aggressiv und kriegerisch, teilsfreund- und friedlich, oder sie sind vertraglichgeregelt. Der Ansturm der Hunnen brach nichtallein durch den Tod des Anführers zusam-men, sondern maßgeblich durch fehlendenNachschub; die Spanier kamen halbtot inAmerika an, obwohl sie reichlich Vorräte anBord ihrer Flotte hatten, der Atlantik reich anFischen war und es gelegentlich regnete. Inbeiden Fällen gelang die Unterwerfung militä-risch unterlegener Völker gleicher Artzugehö-rigkeit. Über den Ausgang des dritten Experi-ments wissen wir noch rein gar nichts. Trotzzahlreicher science-fiction-Szenarien gibt esnoch keinen Kontakt zu außerirdischen Lebe-wesen. Doch eines wissen wir ganz sicher:Eventuelle künftige menschliche Bewohner an-derer Planeten werden sich nicht über Genera-tionen hinweg mit auf der Erde hergestellterFertignahrung zufrieden geben und die Zivilisa-tionsabfälle auf die Erde zurückschicken, damitdiese ihrer Ressourcen nicht gar zu schnellberaubt wird. Mit anderen Worten, sind sienicht vorhanden, müssen Lebensbedingungengeschaffen werden, die dem Menschen einmenschenwürdiges Überleben in einer unwirt-lichen, gegebenenfalls abiotischen Umwelt er-möglichen. Homo sapiens L. wird sich auchkünftig nicht ausschließlich von hochprodukti-ven Algen und Hefen ernähren wollen, die mitsynthetischen Geschmacksstoffen angerei-chert wurden, sondern in himmlischen Sied-lungen wohnend an irdischen Genüssen fest-halten wollen. Das darf er nach heute gelten-dem Recht so einfach wohl nicht mehr. Mate-rial Transfer Agreements (MTAs), Patente undandere Regelungen wurden erfunden, um diefrüher scheinbar so einfach erfolgte „unkon-trollierte“ Über- oder Rückführung von Wild-und Kulturpflanzen aus anderen Florengebie-ten oder auch nur aus den meist staatlichenSammlungen in die landwirtschaftliche Praxisund Verarbeitung zu unterbinden. Eine kultu-relle Bindung an bestimmte Arten, Sorten undRassen, wie sie gegenwärtig bei der weltweit

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anhaltenden Migration noch immer gegeben ist(vgl. GLADIS 2001), wird damit zunehmend ge-lockert, erschwert, schließlich verhindert. Es istunglaublich schwer, die einmal unterbrocheneVerbindung wiederherzustellen (GLADIS undSCHULZE 2004).Angesichts der gerade beginnenden Eroberungdes Weltalls durch den Menschen, im Zwie-spalt zwischen der Sicherung der Grundernäh-rung und in der Erwartung immer neuer Gau-menfreuden, aber auch vor dem Hintergrundunserer Kulturgeschichte, des seit rund 10.000Jahren währenden Domestikationsprozessesvon Haustieren und Kulturpflanzen müssen wiruns fragen, ob die jüngst eingeführten, plötzlichweltweit geltenden Konventionen und Rege-lungen über den Austausch genetischer Res-sourcen zwischen irdischen Ländern, über dieaktuellen politischen Grenzen unseres fragilenirdischen Wertesystems hinweg, das einzigrichtige Instrument zur Lösung gegenwärtigerund künftiger Ernährungsfragen sind. Genügtes zum Beispiel wirklich, sich bei der Erhal-tungsarbeit auf die vor rund 100 Jahren ge-gründeten Landsorten-Sammlungen zu verlas-sen? Einst Stätten einer im besten Sinne desWortes umfassenden Kulturpflanzenforschungentwickeln sich die Genbanken immer mehr zuDeponien für ausgemusterte Zeugnisse desZüchtungsfortschrittes, seien es kostspieligerzeugte Mutanten (1950er Jahre), Hybridlinien(seit den 1970er Jahren) oder transgene Pflan-zen (spätestens seit den 1980ern). Das ge-genwärtig nicht auflösbare Dilemma läßt sichvielleicht folgendermaßen in Worte fassen:Wer, um unanfechtbar zu bleiben, Verantwor-tung delegiert, mag ruhig darauf vertrauen, daßdie Vielfalt in uniformen, zentralen Strukturenam besten aufgehoben ist. Eine nachhaltigeNutzung konnte auf diese Weise allerdingsbisher nirgendwo gesichert werden. Wenn sichandererseits heterogene, dezentrale Netz-werke mit ausgeprägter persönlicher Verant-wortung ausschließlich die Rosinen heraus-picken, um diese zu erhalten, zu nutzen und zuvermarkten, bleibt das Interesse an dem gan-zen Kuchen der Biologischen Vielfalt über kurzoder lang auf der Strecke. Dann sterben dieunendlich vielen namenlosen, heute bereitsscheintoten Sammlungsmuster eines Tageswirklich. Der in der Einleitung beschriebenenTendenz zur Verengung des Blickwinkels wirddie Einengung des Handlungsspielraumes fol-gen.

DanksagungDen Herren Dr. A. Emmerling-Skala, Prof. Dr.K. Hammer, Dr. habil. H.-D. Krausch und Dr.habil. P. Hanelt sei an dieser Stelle herzlich fürAnregungen und interessante Hinweise ge-dankt.

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privat:Silbergrasweg 5012439 Berlin

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