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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ärzteschaft in National-Sozialismus und Demokratie — wie war es, wie ist es Unter dem Titel „From Nazi Holocaust to Nuclear Holocaust: A Lesson to Learn?" ist in der weltweit verbreiteten englischen Medizin-Zeitschrift „The Lancet"*) ein Beitrag erschienen, der wegen vieler Fehlurteile und falscher Behauptungen über die deutsche Ärzteschaft in der Bundesrepublik auf Widerspruch gestoßen ist. Verfasser ist ein Arzt namens Hartmut M. Hanauske-Abel, der bis vor kurzem in der Kinderklinik der Universität Mainz tätig war (danach offenbar im Kinderkrankenhaus der Harvard Medi- cal School in Boston/USA und derzeit vermutlich in Skandinavien). Zu den Passagen, die aus deutscher Sicht Richtigstellungen erfordern, nahm der Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, Dr. Kar- sten Vilmar, in einem Gespräch mit dem Journalisten Kurt Gelsner Stellung. Die „Vergangenheitsbewältigung" Interview mit darf nicht kollektiv Dr. Karsten Vilmar die Ärzte diffamieren Frage: Wie mag zu erklären sein, daß eine Zeitschrift vom medi- zinisch-wissenschaftlichen Rang der „Lancet" ihre Spalten einem Arti- kel öffnet, der — was in diesem Blatt allein schon ungewöhnlich wäre! — nicht einmal als politische Aussage, sondern nur als polemisches Pamph- let verstanden werden kann? Vilmar: Mir ist sehr wohl erklär- lich, wie es zu dieser Veröffentli- chung in „Lancet" kommen konnte: Der Autor bedankt sich dafür ja aus- drücklich bei deutschen und ameri- kanischen IPPNW-Repräsentanten. Unbestreitbar hat der Autor des Artikels einige Grundzüge schuld- haften Verhaltens einer bestimmten Gruppe von Ärzten während des „Dritten Reiches", dessen sich die heutige deutsche Ärzteschaft schämt, weil es ebenso unethisch wie unwürdig war, in einigen Phasen zu- treffend dargestellt. Aber die Quer- verbindungen, die Hanauske-Abel zwischen solchen Phasen gezogen hat, die Erklärungen, die er dafür The Lancet, London, August 2, 1986 gibt, gehen weit an den tatsächlichen Vorgängen und Verhältnissen vor- bei. Insgesamt kann man in dem Ar- tikel in der weltweit verbreiteten englischen Zeitschrift den Versuch sehen, die deutsche Ärzteschaft von heute und ihre aktuellen Bekundun- gen in ein zweifelhaftes Licht zu rük- ken, um der Welt zu suggerieren, im Umgang mit deutschen Arzten sei heute wie damals Vorsicht geboten. Holocaust-Vergleich: Unzulässig polemisch Frage: Könnte dieser Versuch vielleicht nur einem „organisations- politischen" Zweck dienen? Liegt diese Vermutung nicht schon des- halb nahe, weil der Autor zwischen dem geschichtlichen Holocaust und einem möglichen nuklearen Holo- caust eine direkte Verbindung her- stellt und dabei gezielt den Arzten der Bundesrepublik Deutschland die Rolle eines Unsicherheitselements zuweist? Vilmar: Die Verwendung des Begriffes Holocaust ist natürlich we- gen der grundlegend verschiedenar- tigen historischen Situationen im Zusammenhang mit Problemen der deutschen Gegenwart unzulässig po- lemisch. Schon vor und erst recht nach der „Machtübernahme" durch die Nationalsozialisten haben radikale Ärztekader begonnen, den Weg zu beschreiten, der folgerichtig nur in einem medizinischen Beitrag zum Holocaust enden konnte. Die daran beteiligten Ärzte haben also vorsätz- lich betrieben, was dann kam. Von der keineswegs geringen Zahl ausländischer Kollegen, die da- mals ebenfalls eugenischen Träumen und sozialdarwinistischen Irrtümern anhingen, unterschieden sie sich al- lerdings dadurch, daß das rassisti- sche NS-Regime sie ermutigte, ihren pervertierten Darwinismus nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zu betreiben. Auf die menschlichen Rassen bezogen, reduzierten sie den langdauernden Darwin'schen Ausle- seprozeß auf einen radikalen Ein- Ärztebl. 84, Heft 18, 30. April 1987 (17) A-1185 Dt.

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ärzteschaft in National-Sozialismus und Demokratie — wie war es, wie ist es

Unter dem Titel „From Nazi Holocaust to Nuclear Holocaust: A Lesson to Learn?" ist in der weltweit verbreiteten englischen Medizin-Zeitschrift „The Lancet"*) ein Beitrag erschienen, der wegen vieler Fehlurteile und falscher Behauptungen über die deutsche Ärzteschaft in der Bundesrepublik auf Widerspruch gestoßen ist. Verfasser ist ein Arzt namens Hartmut M. Hanauske-Abel, der bis vor kurzem in der Kinderklinik der Universität Mainz tätig war (danach offenbar im Kinderkrankenhaus der Harvard Medi-cal School in Boston/USA und derzeit vermutlich in Skandinavien). Zu den Passagen, die aus deutscher Sicht Richtigstellungen erfordern, nahm der Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, Dr. Kar-sten Vilmar, in einem Gespräch mit dem Journalisten Kurt Gelsner Stellung.

Die „Vergangenheitsbewältigung" Interview mit darf nicht kollektiv

Dr. Karsten Vilmar die Ärzte diffamieren Frage: Wie mag zu erklären

sein, daß eine Zeitschrift vom medi-zinisch-wissenschaftlichen Rang der „Lancet" ihre Spalten einem Arti-kel öffnet, der — was in diesem Blatt allein schon ungewöhnlich wäre! —nicht einmal als politische Aussage, sondern nur als polemisches Pamph-let verstanden werden kann?

Vilmar: Mir ist sehr wohl erklär-lich, wie es zu dieser Veröffentli-chung in „Lancet" kommen konnte: Der Autor bedankt sich dafür ja aus-drücklich bei deutschen und ameri-kanischen IPPNW-Repräsentanten.

Unbestreitbar hat der Autor des Artikels einige Grundzüge schuld-haften Verhaltens einer bestimmten Gruppe von Ärzten während des „Dritten Reiches", dessen sich die heutige deutsche Ärzteschaft schämt, weil es ebenso unethisch wie unwürdig war, in einigen Phasen zu-treffend dargestellt. Aber die Quer-verbindungen, die Hanauske-Abel zwischen solchen Phasen gezogen hat, die Erklärungen, die er dafür

The Lancet, London, August 2, 1986

gibt, gehen weit an den tatsächlichen Vorgängen und Verhältnissen vor-bei. Insgesamt kann man in dem Ar-tikel in der weltweit verbreiteten englischen Zeitschrift den Versuch sehen, die deutsche Ärzteschaft von heute und ihre aktuellen Bekundun-gen in ein zweifelhaftes Licht zu rük-ken, um der Welt zu suggerieren, im Umgang mit deutschen Arzten sei heute wie damals Vorsicht geboten.

Holocaust-Vergleich: Unzulässig polemisch

Frage: Könnte dieser Versuch vielleicht nur einem „organisations-politischen" Zweck dienen? Liegt diese Vermutung nicht schon des-halb nahe, weil der Autor zwischen dem geschichtlichen Holocaust und einem möglichen nuklearen Holo-caust eine direkte Verbindung her-stellt und dabei gezielt den Arzten der Bundesrepublik Deutschland die Rolle eines Unsicherheitselements zuweist?

Vilmar: Die Verwendung des Begriffes Holocaust ist natürlich we-gen der grundlegend verschiedenar-tigen historischen Situationen im Zusammenhang mit Problemen der deutschen Gegenwart unzulässig po-lemisch.

Schon vor und erst recht nach der „Machtübernahme" durch die Nationalsozialisten haben radikale Ärztekader begonnen, den Weg zu beschreiten, der folgerichtig nur in einem medizinischen Beitrag zum Holocaust enden konnte. Die daran beteiligten Ärzte haben also vorsätz-lich betrieben, was dann kam.

Von der keineswegs geringen Zahl ausländischer Kollegen, die da-mals ebenfalls eugenischen Träumen und sozialdarwinistischen Irrtümern anhingen, unterschieden sie sich al-lerdings dadurch, daß das rassisti-sche NS-Regime sie ermutigte, ihren pervertierten Darwinismus nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zu betreiben. Auf die menschlichen Rassen bezogen, reduzierten sie den langdauernden Darwin'schen Ausle-seprozeß auf einen radikalen Ein-

Ärztebl. 84, Heft 18, 30. April 1987 (17) A-1185 Dt.

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Äußeres Zeichen von Machtübernah-me und Gleich-schaltung: Die Titelseite des Deutschen Ärzteblattes vom 1. Juli 1933 brachte die Ha-kenkreuzfahne. Sowohl „Lan- cet" wie der 1984 erschiene-ne Sammelband von Kudlien (Abbildung) erinnern daran

griff, den sie „hier und heute" er-zwingen wollten — notfalls mit allen Mitteln der Gewalt, über die sie in erschreckendem Umfang durch die nationalsozialistischen Machthaber verfügten.

■ War also am Zustandekom-men des rassistischen Holocaust der Wahn nationalsozialistischer Ärzte —aber auch anderer Naturwissen-schaftler! — beteiligt, so wird doch wohl heute kein vernünftiger Zeitge-nosse auf den abenteuerlichen Ge-danken kommen, deutsche Ärzte könnten in ähnlicher Verblendung einem nuklearen Holocaust Vor-schub leisten wollen.

Anfang der dreißiger Jahre bis zum Ende des „Dritten Reiches" gab es — kaum vorstellbar, aber den-noch wahr — in Deutschland, leider auch bei einem Clan von Ärzten, ei-nen verbrecherischen Willen. Heute jedoch wird das allgemeine und da-mit auch das ärztliche Denken durch

eine überzeugte Verurteilung jeder Politik bestimmt, die erneut zu Ver-nichtung und Zerstörung führen könnte.

Übrigens leben und arbeiten auch noch genug Kollegen, die das Heulen der Stalinorgeln so deutlich im Ohr und die schreckliche Szene-rie der Frontverbandsplätze und der Flächenbombardements ä la Bom-ber-Harris oder die von Feuerstür-men verwüsteten Städte weit ab von der Front so lebhaft vor Augen ha-ben, daß sie niemals in einen Hurra-Patriotismus verfallen und mit ir-gendeiner Form von Kriegsvorberei-tung auch nur sympathisieren könn-ten.

Frage: Dem Autor Hanauske-Abel liegt offenbar daran, den von ihm mit Recht als „Urtyp des hei-lenden Arztes" bezeichneten Albert Schweitzer posthum gegen die Ärzte der Bundesrepublik auszuspielen, indem er durchblicken läßt, Schweit-

zers Argumente gegen die Atomrü-stung — illusionärer Charakter von Katastrophenschutz und Zivilvertei-digung nach Atomexplosionen, mögliche irrtümliche Auslösung ei-nes Atomkrieges, verheerende bio-logische Folgen eines radioaktiven Fall-out — seien nicht auch von der deutschen Ärzteschaft aufgegriffen worden. Wie beurteilen Sie diese Fehldarstellung?

Vilmar: Sie ist für mich ein wei-teres Indiz dafür, daß der Autor die Ärzte der Bundesrepublik Deutsch-land außerhalb unserer Grenzen zu diskreditieren wünscht. Um so lie-ber stelle ich fest, daß der große Arzt Albert Schweitzer bei uns in menschlicher und beruflicher Hin-sicht stets die ungeteilte Verehrung genossen hat, die ihm zukommt. Da-für spricht eindeutig, daß Schweitzer im Jahr 1952 nicht nur den Friedens-nobelpreis, sondern auch die von der Bundesärztekammer damals ge-stiftete, vom Präsidium des Deut-schen Ärztetages verliehene „Para-celsus-Medaille der deutschen Ärz-teschaft" erhielt, und zwar als einer der ersten drei Träger dieser höch-sten deutschen Auszeichnung von Ärzten für Ärzte.

Der Autor des Artikels hat of-fenbar versäumt nachzulesen, daß nach dem Zweiten Weltkrieg auf vielen Deutschen Ärztetagen, die bekanntlich während des „Dritten Reiches" verboten waren, auch Schweitzers Argumente gegen die Atomrüstung vorgetragen und ent-sprechende dringliche Warnungen in zahlreichen Entschließungen an die verantwortlichen Politiker gerichtet worden sind.

Keine Kollektivschuld der deutschen Ärzte

Frage: Halten Sie die Behaup-tung von Herrn Hanauske-Abel für gerechtfertigt, die meisten Deut-schen — „insbesondere die Ärzte" —hätten sich an der historisch-publizi-stischen Aufarbeitung des Themas „Ärzte im Nationalsozialismus" kaum beteiligt und das Problem ver-drängt? War es nicht die wiederer-standene demokratische Berufsorga-

A-1186 (18) Dt. Ärztebl. 84, Heft 18, 30. April 1987

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nisation der deutschen Ärzte selbst, die schon zu einem sehr frühen Zeit­punkt mit rückhaltlosen Mitteilun­gen über verbrecherisches Verhalten von Ärzten an die Öffentlichkeit trat?

Vilmar: Sie denken gewiß an die Berichte " Das Diktat der Men­schenverachtung" und " Wissen­schaft ohne Menschlichkeit: medizi­nische und eugenische Irrwege unter Diktatur , Bürokratie und Krieg'' von Alexander Mitscherlieh und Fred Mielke.

• Die unter diesen Titeln her­ausgegebenen Dokumente wurden in der Tat noch während der Nürn­berger Ärzteprozesse aus den amt­lichen Akten des Alliierten Ge­richtshofes zusammengestellt und dürfen daher als erste authentische Information einer breiten Öffent­lichkeit über teuflische Entartungen der Medizin im , ,Dritten Reich '' gelten. Auftraggeber der Kommis­sion, die in Nürnberg den Prozeß­verlauf beobachtete und die Prozeß­dokumente sammelte, war nicht et­wa eine Instanz der Alliierten, son­dern die Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern , also die heutige Bundesärztekammer!

Herr Hanauske-Abel scheint nicht zu wissen oder verdrängt zu haben , daß der freigewählten Be­rufsvertretung der deutschen Ärzte nach den Ärzteprozessen auch im Ausland bestätigt wurde, mit ihrer Nürnberg-Kommission und der Ver­öffentlichung der Dokumente ein "Zeugnis demokratischer Gesin­nung" erbracht zu haben. Für die Richtigkeit dieser Einschätzung spricht, daß es eben diese Doku­mentation war , die den nach Kriegs­ende gegründeten, zunächst äußerst skeptischen und ablehnenden Welt­ärztebund (World Medical Associa­tion , WMA) dazu bewog , von seiner ursprünglichen Forderung nach dem Bekenntnis einer Kollektivschuld der deutschen Ärzteschaft Abstand zu nehmen.

Zu dieser bemerkenswerten Sin­nesänderung hatte nicht zuletzt das von Mitscherlieh und Mielke über­einstimmend hervorgehobene Beob­achtungsergebnis beigetragen , daß die deutschen Ärzte "in ihrer über­wältigenden Mehrheit an den überlie-

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Wenige Wochen nach der "Machtübernahme" brachte am 23. März 1933 der "Völkische Beobachter" , Zentralorgan der NSDAP, einen Aufruf des nationalsozialistischen deut­sehen Ärztebundes; er enthielt scharfe Angriffe auf die Standesführung der Ärzteschaft

ferten Grundsätzen ihrer Berufsa uf­fassung festgehalten" hatten und daß sie nun die ersten waren, die verbre­cherische Handlungen einzelner Be­rufsangehöriger ebenso scharf verur­teilten wie die gesamte zivilisierte Welt.

Daß viele deutsche Ärzte nach der Lektüre der fü rchterlichen Er­öffnungen nur wenig Neigung zeig­te , sich öffentlich mit ihnen ausein­anderzusetzen, ja daß Repräsentan­ten der Integren und Nichtschuldi­gen in Mitscherlichs und Mielkes

Berichten gar Züge von " Landes­verrat" entdecken konnten, spricht nach meiner Meinung nicht gegen, sondern gerade für die tiefe Betrof­fenheit der Mehrheit über die Schan­de , die eine Minderheit deutscher Ärzte - man kann mit Recht auch von einem (makabren) " Orden" sprechen - dem Ansehen unseres Berufes zugefügt hatte .

Frage: Es fällt auf, daß in dem "Lancet" -Artikel jeder Hinweis auf Eugen Kogon fehlt , der noch unter dem Eindruck der Befreiung aus der

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Lagerhaft stand, als er sich im De-zember 1945 dagegen wandte, ein undifferenziertes Urteil über eine Mitschuld aller Deutschen („Kol-lektivschuld") am nationalsozialisti-schen Gewaltsystem und die Beteili-gung von Ärzten an den Greueln der Menschenvernichtung zu fällen .. .

Vilmar: Ich wünschte, daß das Anliegen der Differenzierung zum Allgemeingut aller geworden wäre, die über das Thema „Ärzte und Na-tionalsozialismus" reden und schrei-ben. Ohne jeden Zweifel haben die Ärzte zu den ersten Berufsgruppen in Deutschland gehört, die der For-derung Eugen Kogons (Verfasser des Buches „Der SS-Staat") an alle Deutschen entsprachen, „wenig-stens nachträglich mit den Tatsachen fertig zu werden".

Nebenbei gesagt, übergeht Herr Hanauske-Abel nicht nur den KZ-Zeugen Kogon, der das Konzentra-tionslager sieben Jahre lang selbst erleiden mußte und dessen aufwüh-lende Schilderung trotzdem nicht, wie es durchaus verständlich wäre, von Haß, sondern von Tatsachen-treue diktiert wurde.

Unerwähnt bleiben auch die um historische Objektivität bemühten Bücher „Les Wdecins allemands et le National-Socialisme" von Dr. Yves Ternon und Dr. Socrate Hel-man und „Histoire de la Gestapo" von Jacques Delarue. Ich muß dar-aus schließen, daß diese harten, aber gerechten französischen Untersu-chungen wegen ihrer peniblen, auf Wahrheitsfindung gerichteten Quel-lenerschließung wohl nicht ins politi-sche Konzept des Autors gepaßt ha-ben.

Berufsethos - auch unter der Diktatur

Frage: Erlauben Sie mir den Hinweis auf einen anderen wichti-gen Satz des KZ-Zeugen Eugen Ko-gon: „Ein berechtigtes Gefühl von Millionen wehrte sich gegen die Kol-lektivanklage, die einen gleichma-cherischen Anschein hatte". Was besagt dieser Kernsatz, nach heuti-gen Erkenntnissen, auf die Ärzte an-gewandt?

Vilmar: Man sollte doch nicht vergessen, daß gegenüber der Ge-samtzahl der in Deutschland tätigen Ärzte die Anzahl der an Medizinver-brechen unmittelbar Beteiligten mit höchstens 400 relativ klein war.*) Man sollte auch bedenken, daß die Mehrzahl verbrecherischer ärzt-licher Maßnahmen einschließlich der Hitze-, Kälte- und Seuchen-Ex-perimente nur wegen der Sonder-stellung stattfinden konnte, die dem SS- „Orden" mit den ausschließlich durch ihn selbst verwalteten Kon-zentrationslagern und seinen sonsti-gen unkontrollierten Machtbefug-nissen zufiel.

Nicht zuletzt aus den Dokumen-ten des Alliierten Gerichtshofes in Nürnberg geht ja hervor, daß so-wohl die menschenverachtenden Versuche der SS-Ärzte als auch die Schauplätze dieser Tragödien unter Bedrohung von Leib und Leben ge-gen jeden Einblick von außen abge-schottet waren. Innerhalb der von der Außenwelt ohnehin abgeriegel-ten Lager bildeten sie noch einmal einen Geheimbezirk, zu dem nur Peiniger und Gepeinigte „Zutritt" hatten.

Wenn ich zwischen der erwiese-nen und durch ernstzunehmende Autoren belegten geringen Zahl ak-tiver medizinischer Verbrecher und dem Gros der deutschen Ärzte un-terscheide, die auch unter der Dikta-tur ihrem Berufsethos verpflichtet blieben, so tue ich das vor allem, weil die Mitteilung von Hanauske-Abel, schon bald nach der „Macht-übernahme" hätten 45 v. H. der deutschen Ärzte der NSDAP als Mitglieder angehört, nicht ohne Kommentar hingenommen werden kann.

*) In ihrer Erläuterung der Absichten ihrer Chronik „Wissenschaft ohne Menschlichkeit — medizinische und eugenische Irrwege unter Diktatur, Bürokratie und Krieg" formulier-ten Alexander Mitscherlich und Fred Mielke 1949: „. . . darf man auch das andere Fak-tum nennen, daß im Verhältnis zu einer run-den Zahl von 90 000 während der Kriegsjah-re in Deutschland tätigen Ärzten, die Zahl der in diesem Prozeß und in ähnlichen Ver-fahren als schuldig Befundenen verschwin-dend gering ist." In der Einleitung einer Neuauflage 1960 als Fischer-Taschenbuch formulierte Mitscherlich: „Von ungefähr 90 000 damals in Deutschland tätigen Arzten haben etwa 350 Medizinverbrechen began-gen". — Die Redaktion

Erstens steht die behauptete Prozentzahl 45 auf unsicheren Fü-ßen, und zweitens hatten, wie unter jedem Gewaltregime, im „Dritten Reich" viele Deutsche gewichtige Gründe für eine vielleicht nicht un-bedingt mannhafte, aber damals ver-ständliche äußere Anpassung an Postulate des Regimes. Denken Sie nur an die Sippenhaftung, die jede Familie bedrohte, wenn eines ihrer Mitglieder versuchte, gegen den po-litischen Strom zu schwimmen. Mär-tyrertum zählt doch ohnehin nicht zu den verbreiteten menschlichen Ei-genschaften.

‚Gleichschaltung' nach der ,Machtübernahme`

Frage: Aus dem Umstand, daß auf der Titelseite des „Deutschen Ärzteblattes" vom 1. Juli 1933 ne-ben den damaligen Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot eine Haken-kreuzfahne wehte, folgert Herr Ha-nauske-Abel, die „Machtübernah-me" im Januar 1933 sei von der „Reichsärztekammer" begrüßt wor-den. Dabei weiß jeder Kundige, daß die Reichsärztekammer überhaupt erst nach den Januar-Ereignissen des Jahres 1933 gebildet wurde, ihre Gründung also Folge und Bestand-teil der „Machtübernahme" war. Darf das, was sich damals unter dem Stichwort „Gleichschaltung" auf al-len Gebieten des deutschen öffent-lichen Lebens abspielte, mit der „Sehnsucht der Deutschen nach na-tionaler Erneuerung" in Verbin-dung gebracht werden, wie es Ha-nauske-Abel tut?

Vilmar: Mehr noch als in ande-ren Abschnitten seines Artikels be-weist der Autor hier eine profunde Unkenntnis der neueren deutschen Geschichte.

Richtig ist, daß die erste Deut-sche Republik, jene von Weimar, aus vielen, auch höchst unterschied-lichen Gründen in den Herzen ihrer Staatsbürger keine Wurzeln geschla-gen hatte und daß sich insoweit gro-ße Teile der Bevölkerung nach na-tionaler Erneuerung sehnten. Un-

• Fortsetzung auf Seite A-1194

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DEUTSCHES 199313 ÄRZTEBLATT

Aus Bund und Ländern

Arbeitsministerium: „Selbstverwaltung ist am Zuge"

BONN/DÜSSELDORF. Die Fachabteilung „Gesund-heit, Krankenversicherung" des Bundesarbeitsministeri-ums hat die Deutsche Kran-kenhausgesellschaft (DKG) und die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversi-cherung aufgefordert, erneut Verhandlungen über gemein-same „Empfehlungen über Maßstäbe und Grundsätze über Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der Kran-kenhäuser, insbesondere für den Personalbedarf und die Sachkosten, nach § 19 Kran-kenhausfinanzierungsgesetz

(KHG)" aufzunehmen. Be-reits Ende 1986 hatte die DKG auch im Namen der Spitzenverbände der gesetzli-chen Krankenversicherung dem Bundesarbeitsministeri-um gegenüber erklärt, die gemeinsamen Sondierungen und Verhandlungen gemäß § 19 Abs. 1 KHG seien end-gültig gescheitert.

Demgegenüber steht das Krankenhausreferat des Bun-desarbeitsministeriums auf dem Standpunkt, die bilate-ralen Verhandlungen seien formalrechtlich noch nicht gescheitert, da nicht alle Spit-zenorganisationen, die in § 19 KHG erwähnt werden (dazu zählen die Verbände der Krankenhausberufe, die Ärzteschaft, Sozialpartner und die PKV), nach Maßga-be der gesetzlichen Auflagen die zwingend notwendigen Einigungsversuche unter-nommen hätten. Deswegen sei nicht der Bundesverord-nungsgeber am Zuge, nach Ablauf der im Gesetz vorge-gebenen Jahresfrist entspre-chende Empfehlungen und Anhaltszahlen per Bundes-verordnung mit Zustimmung der Länder zu erlassen.

Die DKG weist darauf hin, daß sie bereits vor einem Jahr nach einem (neuen) ana-lytischen Verfahren Entwür-fe für Anhaltszahlen für den

Arzt- und Pflegedienstbe-reich entwickelt hätte (die al-lerdings auf schroffe Ableh-nung seitens der Krankenkas-sen und Skepsis der Ärzte-schaft gestoßen sind).

Dem Bundesarbeitsmini-sterium hat die Krankenhaus-gesellschaft vorgeschlagen, die zur Zeit laufenden Per-sonalbedarfsermittlungskon-zepte (Ärzte, Pflegedienst) „intensiv fortzusetzen" und alle in § 19 Abs. 1 KHG ge-nannten Verbände zu beteili-gen. Zumindest für den Pfle-gedienstbereich sollte das Konzept der „analytischen Berechnungsmethode" wei-terhin als Verhandlungs-grundlage gelten. Als dring-liche Empfehlungskonzepte bezeichnet die DKG:

—Verfahren und Anhalts-werte für die Personalbe-darfsermittlung in psychiatri-schen Krankenhäusern und psychiatrischen Fachabtei-lungen an Allgemeinkran-kenhäusern;

—DKG-Positionspapier zur Anrechnung von Schü-lern/Schülerinnen für Kran-kenpflege auf den Stellenplan des Krankenhauses. HC

Beiträge zur Wehrmedizin

BONN. Der Wehrmedizi-nische Beirat (Wissenschaft-licher Beirat für das Sanitäts-und Gesundheitswesen beim Bundesminister der Verteidi-gung) trat zu seiner 28. Voll-versammlung zusammen Dabei wurden Hinweise zur Gestaltung von Reihenunter-suchungen beschlossen. Das Gremium sprach sich auch dafür aus, daß die Behand-lung des posttraumatischen Nierenversagens in einem Kriege nur in zivilen und mi-litärischen Krankenhäusern der Maximalversorgung er-folgen sollte; hierfür ist eine enge zivil-militärische Zu-sammenarbeit erforderlich. Ferner befaßte sich der Wehrmedizinische Beirat mit der Auswahl von verschiede-nen wichtigen Arzneimitteln zur Bevorratung bei den Streitkräften. hpb

Die zweite Notfall-Praxis in Hamburg

HAMBURG. Seit Mitte April besteht in Hamburg ei-ne zweite Notfall-Praxis (Stresemannstraße 54, 2000 Hamburg 50). In dieser Pra-xis sind ständig rund um die Uhr ein Allgemeinarzt oder Internist und nichtärztliche Mitarbeiter verfügbar. Im

Die zweite Hamburger Notfall-Praxis im dichtbesiedelten Al-tona (nahe St. Pauli) wurde für 700 000 DM mit allen notwendi-gen Geräten für Notfälle ein-schließlich Kardiologie, einer Röntgeneinrichtung und einem Notfall-Labor ausgestattet.

Bedarfsfall können jederzeit ein Augen-, HNO- und ein Kinderarzt sowie ein Chirurg oder Orthopäde hinzugeru-fen werden. DA-H

Naturheilverfahren werden gefördert

HANNOVER. Auf In-itiative des Niedersächsi-schen Sozialministers ist in Celle die „Akademie für Ho-möopathie und Naturheilver-fahren" gegründet worden.

Diese Institution will von der Schulmedizin abweichen-de, aber gleichwohl aner-kannte, alternative Heilver-fahren fördern. Mit der Ein-richtung der Akademie wird nach den Worten von Sozial-minister Hermann Schnipko-weit dem „zunehmenden In-teresse der Bevölkerung und der Ärzte an der Naturheil-kunde Rechnung getragen".

Damit werde Ärzten erstma-lig in der Bundesrepublik ein Forum für Fort- und Weiter-bildung auf diesem Gebiet gegeben.

Träger der Akademie sind neben dem Niedersächsi-schen Sozialministerium und der Stadt Celle das Institut für Homöopathie in Celle, die Landesversicherungsan-stalt Hannover, der Bundes-verband der Praktischen Ärz-te, der Deutsche Zentralver-ein homöopathischer Ärzte sowie der Kneipp-Bund. Das Unternehmen wird unter an-derem durch Mitgliedsbeiträ-ge, Teilnehmergebühren und Spenden finanziert. WZ

Koordinationsstelle zur AIDS-Bekämpfung

DÜSSELDORF. Zur Koordinierung aller Maßnah-men zur Bekämpfung von AIDS in Nordrhein-Westfa-len wird nach Angaben von Gesundheitsminister Her-mann Heinemann in seiner Behörde eine „Koordina-tionsstelle AIDS Nordrhein-Westfalen" eingerichtet.

Die Düsseldorfer Landes-regierung wird darüber hin-aus in diesem Jahr außerplan-mäßig 4,25 Millionen DM zur Verfügung stellen. Mit diesen Mitteln sollen insbesondere die Beratung und die außer-klinische Versorgung der HIV-Infizierten und AIDS-Erkrankten verbessert wer-den.

In Köln und Düsseldorf werden mobile Betreuungs-einrichtungen erprobt. Sie sollen dem Patienten pflege-rische Hilfe zu Hause anbie-ten. Für die klinische Versor-gung sollen zunächst in den Uni-Kliniken Bonn, Köln, Düsseldorf, Essen und Mün-ster Behandlungsschwer-punkte gebildet werden. Die-se Kliniken bieten, so Heine-mann, aufgrund ihrer Erfah-rungen und „vor allem we-gen einer wenigstens in An-sätzen schon vorhandenen außerklinischen, ehrenamt-lichen Beratung und Betreu-ung von AIDS-Patienten be-ste Voraussetzungen". WZ

Dt. Arztebl. 84, Heft 18, 30. April 1987 (21) A-1189

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Ohne ärztliche Tätigkeit

41,9

Gesardza , , der Arzte

2069

Struktur der Ärztestatistik 1986 (Zahlen in Tausend)

Berufstätige Arz e 195,0

Nichtleitend

70,4

In Kranken-hausern

79,2

Kassen-praxis

65,6

Nieder. gelassen

673,7

Privatpraxis

3,1

Bei Behörden oder Körper-

schaften 7,3

Leitend

4,8

In anderen Bereichen

9,8

Quelle: Statistik der BAK

Ende vergan-genen Jahres waren in der Bundesrepu-blik Deutsch-land und in Berlin (West) 206 900 Ärztin-nen und Ärzte registriert. Be-rufstätig wa-ren 165 015 Ärztinnen und Ärzte, ohne ärztliche Tä-tigkeit 41 900

Aus Bund und Ländern

Erfolgreiche Perinatalerhebung

MÜNSTER. Seit Anfang des Jahres beteiligen sich sämtliche geburtshilflichen Kliniken und Krankenhaus-abteilungen in Westfalen-Lippe an der 1983 eingeführ-ten perinatologischen Erhe-bung, die von der Ärztekam-mer, der Kassenärztlichen Vereinigung und mit finan-zieller Unterstützung der Krankenkassen durchgeführt wird.

Es werden nunmehr auch alle Neugeborenen erfaßt, die während der ersten sie-ben Tage nach der Geburt von der Geburts- in eine Kin-derklinik verlegt werden.

Die jetzt vorliegende Aus-wertung der Erhebung für 1985 (bei der etwa 60 Prozent aller in Westfalen-Lippe le-bend geborenen Kinder er-faßt wurden) ergab einen Rückgang der Säuglings-sterblichkeit gegenüber dem Vorjahr von 9,3 auf 8,8 pro Tausend. Gleichzeitig erhöh-te sich der Anteil der Risi-koschwangerschaften von 53,8 auf 58,3 Prozent.

Als erfreulich bezeichnete der Präsident der Ärztekam-mer, Dr. Wilhelm Baldus, die wachsende Einsicht der Mütter in die Notwendigkeit

der Vorsorgeuntersuchungen während der Schwanger-schaft. Fast vier Fünftel der werdenden Mütter suchten im Berichtsjahr den Arzt zum ersten Mal bereits vor der 13. Schwangerschaftswoche auf; zwei Drittel nahmen während ihrer Schwangerschaft min-destens 10 Vorsorgeuntersu-chungen wahr. AP-WL

Aus der DDR

„Völliger Einklang" mit IPPNW-Anliegen

OSTBERLIN. Völlige Übereinstimmung zwischen der „Friedenspolitik der DDR" und den Zielen der In-ternationalen Ärzte zur Ver-hütung eines Atomkrieges (IPPNW) konstatierten deren amerikanischer Ko-Präsident Professor Dr. Bernard Lown und DDR-Staatsratsvorsit-zender Erich Honecker bei ei-nem Treffen in Berlin.

Honecker erklärte, das Wirken der IPPNW entspre-che dem zutiefst humanisti-schen Grundanliegen des ärztlichen Berufes und sei be-züglich der katastrophalen Auswirkungen atomarer Ex-plosionen auf das Leben durch sachkundiges Urteil begründet.

Professor Lown und der sowjetische Präsident des Or-

ganisationskomitees des 7. Weltkongresses der IPPNW, der vom 29. Mai bis 1. Juni 1987 in Moskau stattfindet, Professor Dr. Michail Kusin, nahmen in Ostberlin an einer Tagung der DDR-Sektion der IPPNW teil.

Bei dieser Gelegenheit wurden Lown und der lang-jährige sowjetische IPPNW-Ko-Präsident und jetzige Ge-sundheitsminister der So-wjetunion, Professor Dr. Jewgeni Tschasow, mit der Fritz-Gietzelt-Medaille aus-gezeichnet, der höchsten Auszeichnung des Koordinie-rungsrates der medizinisch-wissenschaftlichen Gesell-schaften der DDR.

In einem Interview des DDR-Fernsehens unterstrich Professor Lown die Tatsache, „daß Herr Honecker als Re-präsentant der DDR so nach-drücklich gegen Kernwaffen-tests, für die Beseitigung der Kernwaffen eintritt". gb

Militärarzt wird Präsident des DRK

DRESDEN. In einer Grußadresse an den General-sekretär der SED, Erich Honecker, haben die 1100 Delegierten des X. Kongres-ses des Deutschen Roten Kreuzes der DDR versichert, daß sie mit neuen Initiativen ihren Beitrag zur weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR leisten werden. Das Deutsche Rote Kreuz der DDR hat gegenwärtig an-nähernd 690 000 aktive Mit-glieder.

Als Nachfolger des bishe-rigen Präsidenten, des Ro-stocker Professors für Sozial-hygiene, Dr. Siegfried Ak-kermann, wurde Obermedi-zinalrat Professor Dr. sc. med. Dr. h. c. Gerhard Reh-wald zum Präsidenten ge-wählt.

Professor Rehwald ist Facharzt für Sozialhygiene und für Arbeitsmedizin, Ge-neralleutnant der Reserve und war bisher Leiter des Medizinischen Dienstes der Nationalen Volksarmee. gb

Aus aller Welt

Niedergelassen und angestellt

WIEN. In einem Grund-satzurteil wurde festgestellt, daß es nicht verboten ist, daß ein niedergelassener Arzt ei-nen anderen Arzt anstellt. Ebenso ist es erlaubt, daß ein approbierter Arzt sich als Angestellter in die Dienste eines niedergelassenen Kolle-gen begibt. Die österreichi-schen Ärztekammern warnen jedoch vorerst davor, diese Möglichkeit zu nutzen. Tat-sächlich müßte nun das Ärz-tegesetz geändert werden, zum Beispiel um festzulegen, ob ein Arzt einer Fachrich-tung einen Spezialisten aus einem anderen Gebiet anstel-len kann, oder — was beson-ders interessant sein könnte —ein praktischer Arzt einen Facharzt. bt

Aktion gegen AIDS und Hepatitis B

ZÜRICH. In einer dreitä-gigen Großaktion haben die Gesundheitsbehörden des Kantons Zürich den Versuch gemacht, an Drogenabhängi-ge heranzukommen — nicht um sie zu bestrafen, sondern zu behandeln. Unter dem Ti-tel „Fixer, schütz dich!" wur-den in allen Drogenbera-tungsstellen, im kantonalen Impfzentrum, in Entzugssta-tionen, Notschlafstellen und therapeutischen Wohnge-meinschaften anonyme Tests auf Hepatitis B und AIDS so-wie Hepatitis-B-Impfungen angeboten. Außerdem doku-mentierte der Kanton eine grundlegende Änderung sei-ner Politik: Gratis werden ab sofort Einmalspritzen abge-geben, wobei jedem Sprit-zenset auch ein Kondom bei-gegeben ist. Die Umstellung auf Methadon wird großzügi-ger gehandhabt als bisher: Nach Einholung einer Gene-ralbewilligung darf jeder Arzt im Kanton Methadon verschreiben. Man schätzt die Zahl der Fixer im Kanton auf etwa 2000. bt

A-1190 (22) Dt. Ärztebl. 84, Heft 18, 30. April 1987

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT T URZBERICHTE

„Strukturreform”: Freiberuflichkeit ist weiter in Gefahr

Skepsis darüber, ob den Bemü-hungen der neuen Bundesregierung um eine Strukturreform der gesetzli-chen Krankenversicherung der —auch von den Ärzten gewünschte —Erfolg beschieden sein wird, be-herrschte die Gespräche beim be-rufspolitischen Seminar während des Meraner Oster-Fortbildungskon-gresses der Bundesärztekammer. Diese Bemühungen hätten in ganz eigenartiger Weise angefangen, be-richtete BAK-Hauptgeschäftsführer Dr. Heinz-Peter Brauer: Zwar habe rechtzeitig das Sachverständigengut-achten vorgelegen, das als Grundla-ge für die weiteren Arbeiten der Konzertierten Aktion im Gesund-heitswesen bestellt worden war. Aber es nützte dieser Veranstaltung aus zwei Gründen nicht: Zum einen hatten die Sachverständigen ihren Auftrag weit überschritten, als sie nicht nur eine Analyse vorlegten, sondern auch nicht erbetene, mit den Ergebnissen der Analyse zum Teil nicht einmal kongruente Emp-fehlungen. Zum zweiten fanden sich Teile dieses für die Konzertierte Ak-tion gedachten Gutachtens bereits in der Regierungserklärung. Brauer nannte dies einen „Treppenwitz".

Prof. Dr. Horst Bourmer, Präsi-dent der Ärztekammer Nordrhein und Vorsitzender des Hartmann-bundes, urteilte noch schärfer. Ins-besondere beklagte er sich über die Bezeichnung „Leistungsanbieter", die immer häufiger — auch von Bun-desarbeitsminister Blüm — verwen-det wird. An den Begriff „Lei-stungserbringer" habe er, so sagte Bourmer, sich inzwischen gewöhnt, wenn auch ungern; immerhin sei er im volkswirtschaftlichen Sprach-schatz sinnvoll und logisch. Aber: „,Leistungsanbieter' haben uns nicht einmal die Sozialisten zugemu-tet!" Mit diesem Wort werde die Freiberuflichkeit des Arztes in Frage gestellt: „Leistungsanbieter" sei derjenige, der eine Ware oder eine Dienstleistung im Wettbewerb des

Marktes feilbietet, also ein Gewer-betreibender.

Bourmer sah insgesamt in den Ereignissen der letzten Zeit Anzei-chen, daß die Freiberuflichkeit der Ärzte, Zahnärzte und der anderen Heilberufe in Gefahr gerät: insofern gab es, meinte er, die „Wende" nicht, oder es waren „zwei" Wen-den — nämlich um insgesamt 360 Grad. Dem Bundesarbeitsminister warf Bourmer vor, er versuche, Kei-le zwischen die einzelnenen Grup-pen der „Leistungserbringer" zu treiben. Diese dürften das nicht zu-lassen: „Wenn wir uns auseinander-dividieren lassen, kann man mit uns einzeln Schlitten fahren!"

Die Solidargemeinschaft werde mit politisch motivierten Belastungen überhäuft, sagte Professor Bourmer: Flexible Altersgrenze, Vorruhe-standsregelungen, Notlagenindika-tion für den Schwangerschaftsab-bruch, Mutterschaftshilfe, das bei-tragsfreie Erziehungsjahr — dies alles seien zwar bisweilen gerechtfertigte, aber nicht von den Beitragszahlern in Renten- und Krankenversicherung zu finanzierende Aufgaben. Wenn diese „Gemeinschaftsaufgaben" auch von der Gemeinschaft getragen würden, könnten die Beiträge in der Krankenversicherung um 3 Prozent-punkte gesenkt werden.

Die Deutsche Krankenhausge-sellschaft (DKG) sieht sich durch das Gutachten des Sachverständi-genrates für die Konzertierte Aktion vom Februar 1987 in ihrer Auffas-sung bestätigt, daß das bundesdeut-sche Krankenhauswesen eine „Spit-zenstellung im internationalen Ver-gleich" einnehme. Auch begrüßt die DKG die Aussage des Rates, daß der pauschale Vorwurf, die Kran-kenhäuser seien „Kostentreiber Nummer eins", unbegründet sei.

DKG-Hauptgeschäftsführer Dr. jur. Klaus Prößdorf stellte fest: Die

Für Bourmer ist die einzig denk-bare wirkliche Strukturreform die Beseitigung des Sachleistungssy-stems. Allerdings sieht er dafür kei-ne Chance: Das Parlament sitze vol-ler Sozialversicherter, und auch die Krankenkassen würden nicht mitzie-hen.

Über den neuen Einheitlichen Bewertungsmaßstab wurde in dieser Diskussion verblüffenderweise so gut wie gar nicht gesprochen. Bour-mer rügte auch hier heftig den Bun-desarbeitsminister, der dem EBM eine Vorbildfunktion für die Amt-liche Gebührenordnung zugespro-chen habe: Genau dies dürfe der EBM nicht sein, sonst seien wir so-fort bei der Einheitsgebührenord-nung angelangt.

Dr. Erwin Odenbach, Ge-schäftsführender Arzt der Bundes-ärztekammer, wies darauf hin, daß das „Modellprogramm Psychiatrie" in diesem Jahre auslaufe. Sollten die Modelle weitergeführt werden, dann müßten die Länder sie finanzieren. In manchen der bisher vom Bund fi-nanzierten Modelle kämen heute auf 15 Patienten 7 Vollzeitbetreuer. Wenn ein solcher Schlüssel schon früher bestanden hätte statt des ei-nen Stationsarztes mit 140 Betten, hätte man sich die ganze Psychiatrie-reform ersparen können . . . bt

3100 Krankenhäuser nehmen zwar im Akutbettenbereich eine Spitzen-stellung ein, was die Bettenkonzen-tration (Betten je 10 000 Einwoh-ner) betrifft. Im Durchschnitt aller Versorgungsbereiche und beim Ge-samtvolumen der vorgehaltenen Betten nimmt die Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zum euro-päischen Ausland jedoch nur einen Mittelplatz ein. Tatsache sei aber auch, und auch dies bestätige der Sachverständigenrat, daß es neben fächerspezifischen Bettüberhängen und Strukturverwerfungen auch re-

Krankenhausträger:

Sachverständigengutachten als „Schutzschild"

Dt. Ärztebl. 84, Heft 18, 30. April 1987 (23) A-1191

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Krankenhausbetten je 10 000 Einwohner

Im europäischen Vergleich liegt die Bundesrepublik mit dem Angebot an Krankenhaus-betten („ Bettendichte") bei den Akutbetten an der Spitze; was die Gesamtbettenzahl be-trifft, nimmt sie einen Mittelplatz ein. Die unterschiedliche Gestaltung der Gesundheitssi-cherungssysteme, die den Krankenhäusern unterschiedliche Aufgaben zuweisen, er-schweren allerdings den direkten Vergleich. Im Akutbettenbereich entfallen in der Bun-desrepublik 76 Betten, in den Niederlande 51 Betten auf 10 000 Einwohner. Im Vergleich sämtlicher Betten ergibt sich jedoch ein anderes Verhältnis: Bundesrepublik 111, Nie-derlande 125 Betten auf 10 000 Einwohner

gionale und fächerdifferenzierte De-fizite gebe, insbesondere im Bereich der Orthopädie, der Urologie, der Gefäßchirurgie, der Neurologie und der Geriatrie.

In Zukunft seien infolge der de-mographischen Verschiebungen und der geänderten Verhältnisse im Be-völkerungsaufbau deutliche Nach-fragesteigerungen in den Bereichen der Transplantationschirurgie, der Wirbelsäulenchirurgie, der Gefäß-chirurgie, Angiologie und der Geria-trie zu erwarten. Daraus folgert die Krankenhausgesellschaft: Neben ei-nem erheblichen Umstrukturie-rungs- und Anpassungsbedarf be-steht künftig auch ein sektoraler Ausbaubedarf. Diesem gesell-schafts- und gesundheitspolitischen Erfordernis würden weder die starre Deckelungspolitik der Krankenkas-sen noch die fiskalpolitisch motivier-te Globalsteuerung des Bundes ge-recht. Zudem trieben die für 1987 getätigten Pflegesatzabschlüsse viele Krankenhäuser in die roten Zahlen (von mehr als 50 Porzent der Häuser ist die Rede).

Hinzu komme. Zahlreiche sta-tionäre Einrichtungen — Onkologie, Neurologie, Transplantations- und Neurochirurgie, Kinder- und Ju-gendpsychiatrie u. a. — seien perso-

nell unterbesetzt. Daraus folgert die DKG: Die Ausgabenempfehlungen der Konzertierten Aktion (1987 kam es für die Krankenhäuser gar nicht zu einer solchen!) dürften „in kei-nem Fall verbindlicher Maßstab für die Budgetbemessung des einzelnen Krankenhauses" sein. Es komme entscheidend auf den Versorgungs-auftrag, die Leistungsqualität und -quantität sowie auf die Personalaus-stattung der Kliniken an, die der Budgetbemessung zugrunde zu le-gen seien. Die Deutsche Kranken-hausgesellschaft verweist auf die in § 405 a Abs. 2 der Reichsversiche-rungsordnung verankerte „Schutz-klausel", wonach die Empfehlungen der Konzertierten Aktion für die Pflegesatzanpassungen in jedem Fall einen wirtschaftlichen und bedarfs-notwendigen Krankenhausbetrieb gewährleisten müßten.

Ohnedies sorge der ständige Bettenabbau infolge der verkürzten Liegezeiten der Patienten (sie be-trägt bei Akutkrankenhäusern im Schnitt vierzehn Tage) für einen jährlichen automatischen Bettenab-bau in der Größenordnung von 4000 bis 5000 Akutbetten. Zur Zeit wer-den im Akutbereich rund 675 000 Betten in mehr als 3000 Kranken-häusern vorgehalten.

Als völlig unrealistisch und illu-sorisch kritisiert die Deutsche Kran-kenhausgesellschaft die Prognose des Sachverständigenrates, künftig könnte allein im Aktubereich das Pflegesatzvolumen um rund ein Drittel reduziert werden — mit der Folge eines parallelen und entspre-chenden Bettenabbaus in diesem Sektor. Die von „interessierter" Seite, vor allem von den Kranken-kassen, ins Gespräch gebrachte Be-hauptung, es gebe in der Bundesre-publik zur Zeit einen Bettenüber-hang von rund 100 000 Betten (rund 15 Prozent des vorgehaltenen Volu-mens), ließe sich weder begründen noch widerlegen, so die Kranken-hausgesellschaft mit dem Sachver-ständigenrat unisono. Die Klinikträ-ger bestreiten, daß die Effizienz, die Leistungsqualität und das Leistungs-volumen allein nach der „Meßlatte Bett" orientiert werden dürften. Auch die Verknüpfung der wesent-lichen Finanzierungsbedingungen an das Zähl- und Meßkriterium „war-mes Bett" müsse endlich außer Dienst gesetzt werden.

Die Strukturreform müsse aus der Sicht der Krankenhausträger zwei Komplexe in Angriff nehmen:

1. Maßnahmen zur Reduktion der Einweisungsfrequenz in die Krankenhäuser und in die vollstatio-näre Versorgung.

2. Ausreichende Absicherung des Pflegerisikos vor allem alter Mit-bürger.

3. In den „Verdünnungszo-nen" rund um den Krankenhausbe-reich müsse „aufgeforstet" werden, damit außerhalb des Akutbereichs ausreichende qualifizierte Einrich-tungen für die semistationäre Ver-sorgung, für die Pflege und für dau-erchronisch-kranke Fälle vorgehal-ten werden können. Nur auf diesem Wege ließen sich kostentreibende „Schnittstellenprobleme" zwischen ambulantem und stationärem Ver-sorgungsbereich lösen.

Die Krankenhausgesellschaft prognostiziert Verschiebungen im Langzeitversorgungsbereich. Volks-wirtschaftlich und für den einzelnen Kranken sinnvoll wäre es, so die DKG, in Akutkrankenhäusern spe-zielle Pflegeabteilungen und -ein-richtungen vorzuhalten. HC

A-1192 (24) Dt. Ärztebl. 84, Heft 18, 30. April 1987

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Einladung

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Deutscher Sportbund Deutscher Leichtathletik•Ve AOK

Sportmuffel sollen aktiviert werden

„Gemeinsam aktiv" - unter diesem Motto steht die neue vierjährige Trimmaktion des Deutschen Sportbundes. Die auslaufende Kampagne „Trim-ming 130" wollte vor allem ge-sundheitliche Aspekte in ver-ständlicher Aufmachung unters Volk bringen. Mit der Aktion „Gemeinsam aktiv" sollen nun alle diejenigen mobilisiert wer-den, die bisher im sportlichen Abseits standen, und zwar zum Sport im Verein.

Ausdrücklich betonten die Ver-treter des Deutschen Sportbundes zum Start der Aktion, daß man die Aufmerksamkeit dafür gewinnen wolle, daß dort das eigentliche Zu-hause des Sportes sei: „Nicht der einsame Fitneß-Anhänger ist unsere Hauptfigur des Freizeitsports, son-dern der Aktive im geselligen Um-feld."

Jürgen Palm, Geschäftsführer des Sportbundes, gab sich optimi-stisch: „Sportmuffel gibt es nicht, sondern nur Leute mit schlechten Erfahrungen", meinte er. Damit sie zukünftig gute Erfahrungen ma-chen, bedarf es nach Palm folgender Voraussetzungen:

• Das Einstiegsangebot muß einfach sein;

• jemand muß einen Zögern-den ansprechen und einladen in den Verein (Freunde, Nachbarn, Kolle-gen . . .);

• die Gelegenheit zum kosten-losen und unverbindlichen Auspro-bieren muß gegeben sein.

Dafür hat der Deutsche Sport-bund spezielle Kennenlern-Karten entwickelt, die — in einer Mischung aus Euroscheck und Kindergeburts-tagseinladung (Abbildungsbeispiel oben) — ganz offiziell überreicht wer-den können.

Selbstbewußt erklärten die Ver-treter des Sportbundes, daß sie sich

So sehen sie aus, die (im Original farbigen) Kennenlern-Karten der Aktion „Gemein-sam aktiv" - eine Mischung aus Euro-scheck und Kindergeburtstagseinladung. Es gibt sie bereits für 56 Sportarten und mit unterschiedlichen Sponsoren-Aufdruk-ken, hier zum Beispiel mit dem Emblem der Allgemeinen Ortskrankenkassen

- -6

von kommerziellen Sportanbietern nicht bedroht fühlten. Fitneßstudios und Bodybuildingzentren seien trotz ihrer Anzahl (schätzungsweise 3000 Zentren mit zwei Millionen Mitglie-dern) keine Konkurrenz. Dennoch müssen sich die Sportvereine um ih-re Mitglieder sorgen: Die bundes-deutsche Bevölkerung geht zurück, der Anteil an älteren Menschen steigt. Und so hat sich denn der Deutsche Sportbund bei seiner jüng-sten Aktion auf Erfolgversprechen-des von der Konkurrenz eingelas-sen: Er wirbt heftig. Denn die groß-angelegte Werbung ist bei den Ver-einen bisher zu kurz gekommen

Wer weiß schon, daß viele Ver-eine neue Sportarten anbieten? Daß

in den letzten Jahren Senioren- und Rehabilitationsgruppen dazugekom-men sind? Daß sich in fast allen Ball-sportarten lockere „Jedermann"- Gruppen treffen und es auch schon mal Kurse gibt, für deren Besuch man nicht gleich Vereinsmitglied werden muß?

Der Deutsche Sportbund also wirbt für die Vereine: Er schaltet zu-künftig (gestiftete) Anzeigen, in de-nen Durchschnittssportler erzählen, was sie an ihrem Verein mögen. Kennenlern-Karten werden ebenso wie peppige Broschüren und Plakate an die Vereine abgegeben — Hilfelei-stungen mit Beispielen aus der gan-zen Bundesrepublik.

Anläßlich eines Experten-hearings bestätigten etliche Wissen-schaftler dem Sportbund, daß er mit seiner Aktion richtig liege: So glaubt Prof. Dr. Volker Rittner von der Deutschen Sporthochschule Köln, daß „der Trend auch Zukunft hat, daß ,natürliche Gruppen' ihren Weg in den Sport suchen — also Pärchen, Mutter und Kind, Freunde . . .". Rittner konstatierte auch eine ver-änderte Einstellung in Vereinen, ge-messen an einem asketischen Lei-stungsideal vergangener Tage: Ver-eine seien offen gegenüber neuen Sportarten und pflegten weichere Betriebsformen. Doch der Trend, den die Fitneßzentren anzeigen —Bevorzugung eines anonymen Trai-nings fürs Äußere ohne Vereinsver-pflichtungen - ist nicht unbedingt aufzuhalten: Der Anspruch der for-mellen Elemente des Sportvereins ist nach Rittner eher schwach. th

Dt. Ärztebl. 84, Heft 18, 30. April 1987 (27) A-1193

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richtig ist dagegen, daß die Deutschen sich nach einem totalitä-ren Staat gesehnt hätten, wie er ih-nen nach dem 30. Januar 1933 be-schert wurde.

Mit einer Geschwindigkeit, die man nur noch mit „im Handstreich`

kann, sahen die Deut-schen die demokratischen Struktu-ren und Einrichtungen ihres Staates in Nacht- und Nebelaktionen gekne-belt oder zerschlagen. Auch die tra-ditionellen Interessenvertretungen, Verbände und Standesorganisatio-nen der Ärzte wurden entweder auf-gelöst oder in längst vorbereitete NS-Kader überführt, von „Ärzte-Führern" übernommen. Den ge-wählten Repräsentanten blieb kaum eine Chance, die eine oder andere der ärztlichen Überzeugungen und Positionen in die „neue Zeit" hin-überzuretten.

Daß eine Hakenkreuzfahne et-wa die Titelseite des „Deutschen Ärzteblattes" vom 1. Juli 1933 zierte und daß diese Ausgabe mitten im laufenden Jahrgang eine nochmalige Nummer 1 trägt, ist also bereits von den neuen Machthabern veranlaßt worden und beweist bezüglich einer „besonderen" Einstellung der deut-schen Ärzte insgesamt aber auch gar nichts. Zu diesem Zeitpunkt hingen bereits vor allen öffentlichen Gebäu-den Hakenkreuzfahnen, und selbst ehemals oppositionelle Verleger konnten sich auf Dauer nicht dem Druck der neuen Machthaber ent-ziehen, ihre Publikationen mit den Insignien des Staates zu versehen —soweit es dem Machtapparat über-haupt opportun erschien, sie weiter-hin erscheinen zu lassen. Außerdem war die Hakenkreuzfahne ja schon am 5. März 1933 durch Göring prak-tisch zum Staatsemblem erhoben worden.

Natürlich war es, wie der Autor zutreffend bemerkt, kein Zufall, daß der Medizinstudent Leonardo Con-ti, der maßgeblich zum Ausschluß des verdienstvollen Berliner Medi-

zinlehrers Nicolai beigetragen hatte, bald nach der „Machtübernahme" als Reichsärzteführer zum „rang-höchsten Arzt" des Staates avan-cierte. Er hatte seit seinen Studien-jahren zum harten Kern der rassi-stisch denkenden und handelnden, vor allem unversöhnlich antisemiti-schen Nationalsozialisten gehört und war, wie viele seiner Gesinnungsge-nossen, frühzeitig in die Kader der SS-Ärzte integriert worden.

Der Zustand, den diese Kader im ärztlichen Bereich planmäßig herbeiführten und danach rigoros ausbauten, wurde auf dem 51. Deut-schen Ärztetag im Oktober 1948 in Stuttgart, dem ersten nach der Ver-botszeit, in inhaltsschwere Sätze ge-faßt: „Der Nationalsozialismus dul-dete die freie Meinungs- und Wil-lensbildung und das Weiterbestehen eines freigewählten deutschen Ärz-teparlaments nicht; er ersetzte die Selbstverwaltung des Berufes durch eine Standesdiktatur von Führern und Unterführern, die von der eben-so diktatorischen Staatsobrigkeit oh-ne Mitwirkung und Anhörung der Ärzteschaft eingesetzt wurden."

Für demokratische Kammer gekämpft

Frage: Lassen Sie mich noch einmal auf die zeitlich falsche Ein-ordnung der Reichsärztekammer in den geschichtlichen Ablauf zurück-kommen. Gab es damals eigentlich Ärzte, die die Gründung dieser In-stitution abgelehnt hätten, weil sie nicht auf das neue Regime einge-schworen waren?

Vilmar: Aus vielen zeitgenössi-schen Publikationen geht hervor, daß die Ärzteschaft gehofft hatte, endlich dieses oberste demokratische Standesorgan zu erhalten, um das sie jahrzehntelang vergeblich ge-kämpft hatte, weil es ihr immer wie-der nur versprochen worden war. So

allerdings, wie die dann gegründete Reichsärztekammer tatsächlich aus-sah — ein alle demokratischen Grundsätze strangulierendes Instru-ment autoritärer Führung als eine von vielen gleichartigen Einrichtun-gen im damaligen Deutschland —hatten sie sich die Erfüllung ihrer Wünsche und das Ergebnis ihrer Kämpfe nicht vorgestellt.

Schließlich hatten zu ihrer Ideal-vorstellung ja auch eine einheitliche Reichsärzteordnung und die Wie-dergutmachung aller Unbill gehört, die sie seit der Sozialgesetzgebung Bismarcks hatten hinnehmen müs-sen. Als die Ärzte erkennen konn-ten, welche Form von Reichsärzte-kammer sie aus den Händen der na-tionalsozialistischen Machthaber tat-sächlich erhalten hatten, war es für jedes Aufbegehren schon zu spät.

Frage: In „Lancet" wird gleich zweimal ein Satz aus einer Artikelse-rie zitiert, die unter dem Dachtitel „Die Gleichschaltung kam über Nacht" im Sommer 1983 im „Deut-schen Ärzteblatt" erschien und an die Entmündigung der deutschen Ärzteschaft 1933 erinnerte. Der bei-demal ungenau wiedergegebene Satz war eine Frage und lautete: „Hätte es etwas geändert, wenn die Ärzteverbände sich dem Drängen der neuen Führung widersetzt hät-ten und ihre Macht nicht ‚freiwillig' an Dr. Wagner (den ersten Reichs-ärzteführer) und dessen Gefolgsleu-te abgegeben hätten?" Hanauske-Abel bezeichnet diese Frage als „unverschämt". Wie stehen Sie dazu?

Vilmar: Der Verfasser der Serie des „Deutschen Ärzteblattes" räumt ein, die damaligen Pressionen nur aus Dokumenten zu kennen, weil er sie nicht miterlebt hat. Herr Hanauske-Abel hätte sich mit der gleichen Begründung der gleichen Vorsicht befleißigen sollen. Den zi-tierten Satz als „unverschämt" ab-zuqualifizieren, wird den histori-schen Tatsachen nicht gerecht. Auch Herr Hanauske-Abel verdankt sei-nem Lebensalter die Wohltat, die politische Zäsur von 1933 und deren schreckliche Folgen nur aus ge-druckten Berichten und vom Hören-sagen zu kennen. Aber: Wie wenig er sich in die Zwangslage der damali-

Die „Vergangenheitsbewältigung" darf nicht kollektiv

• Fortsetzung von Seite A-1188 die Ärzte diffamieren

A-1194 (28) Dt. Ärztebl. 84, Heft 18, 30. April 1987

Page 11: Die Vergangenheitsbewältigung darf nicht kollektiv die ... · kel öffnet, der was in diesem Blatt allein schon ungewöhnlich wäre! nicht einmal als politische Aussage, sondern

MITSCHERLICH - MIELKE

WISSENSCHAFT

OHNE MENSCHLICHKEIT

MEDIZINISCHE UND EUGENISCHE IRRWEGE

UNTER DIKTATUR . EUROKRATIE

UND KRIEG

Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern verfaßten A. Mitscherlich und A. Mielke ihre Dokumentation „Wissenschaft ohne Menschlichkeit" (hier: Ausschnitt des Titels der bei Schneider im Jahr 1949 erschienenen Buchfassung)

gen Ärzte hineinzudenken vermag —was er überdies gar nicht erst ver-sucht! — geht beispielsweise daraus hervor, daß er von einer bloßen „Auffassung der neuen Regierung" schreibt. Da gab es überhaupt keine „Auffassung", die so oder so hätte diskutiert werden können, sondern nur einen eiskalt und minutiös auf-gestellten Fahrplan zur Erstickung aller liberalen und demokratischen Regungen und die wahnwitzige, mit vorgeblicher Wissenschaftlichkeit getarnte Absicht, die Menschheit zunächst in Deutschland und dann auch in Europa und darüber hinaus in eine Herrenschicht und eine Skla-venmasse einzuteilen. In Kenntnis dieser Sachlage wird ein einsichtiger Mensch die im „Deutschen Ärzte-blatt" gestellte Frage eher als be-rechtigt empfinden können.

Frage: Herr Hanauske-Abel wirft den deutschen Ärzten in pole-mischer Gleichsetzung vor, damals auf das NS-Regime und heute auf die atomare Aufrüstung politisch nur auf der „kleinen Ebene der be-ruflichen Pflichterfüllung" reagiert zu haben. Als Beispiel für eine Poli-tik auf „größerer Ebene" ruft er das Andenken an die Münchner „Weiße Rose" wach, die 1942/43 in Flug-blättern dazu aufgerufen hatte, „das Böse dort anzugreifen, wo es am mächtigsten ist" und „Feigheit nicht mit dem Mantel des Intellektualis-mus zu tarnen".

Halten Sie dieses Beispiel für aussagekräftig?

Vilmar: An das Opfer der Stu-denten und ihres Professors Huber, die wenige Tage nach der Aufdek-kung der universitären Widerstands-gruppe „Weiße Rose" in München hingerichtet wurden, denke ich stets mit dem höchsten Respekt. Ich habe es immer als ein Zeichen dafür emp-funden, daß sich im deutschen Volk trotz aller Knebelung Widerstand regte, sowohl auf der Hochschule als auch in anderen Bereichen. Es läßt sich aber nicht leugnen, daß eine un-beschränkte Staatsmacht die er-kannten Träger eines idealistischen, im Namen der Humanität geleiste-ten Widerstandes auslöschte und daß die Vorstellung der „Weißen Rose", jeder könne einen Beitrag zum Fall eines unmenschlichen Ge-

waltsystems leisten, eine zwar edle, aber nicht realisierbare Fiktion ge-blieben ist.

Ich sehe deshalb keinen wahren Sinn darin, die ganz anders geartete Herausforderung, die als Folge der nuklearen Entwicklung auf das ärzt-liche Ethos zugekommen ist, in ir-gendeine Verbindung mit der „Wei-ßen Rose" zu bringen. Im Gegen-satz zu diesen jungen Idealisten braucht ja eine „Widerstandsbewe-gung" heute nicht in ständiger Furcht vor Verhaftungen oder gar Todesurteilen zu leben!

Tragische ,Entjudung` des ganzen Volkes

Fragen: In der Polemik des Herrn Hanauske-Abel nimmt, was ohne Frage einem Schwerpunkt des Themas „Arzte und Nationalsozia-lismus" gerecht wird, die „Aus-schaltung" der jüdischen Ärzte aus dem Berufsleben breiten Raum ein. Dazu drei Fragen:

Kann es einer sachlichen Klä-rung dieses Vorgangs dienen, wenn

man ihn isoliert von seiner Vorge-schichte beschreibt und seinen Be-ginn, gleichsam als Ergebnis eines angeblichen allgemeinen Konsenses der deutschen Arzte, auf den Zeit-punkt der „Machtübernahme" da-tiert?

Muß man nicht annehmen, daß auf diese Weise dem unbefangenen Leser — zumal dem ausländischen und einer späteren Generation ange-hörenden — suggeriert werden soll, nicht die Kader der NS-Ärzte und späteren SS-Ärzte, sondern die deutschen Ärzte in ihrer Gesamtheit hätten auf Grund vorhandener rassi-stischer Strömungen die Eliminie-rung der jüdischen Kollegen betrie-ben?

Kann man hinnehmen, daß der Autor schlichtweg konstatiert, da-mals sei „die ärztliche Elite" ausge-schaltet worden?

Vilmar: Um mit der letzten Fra-ge zu beginnen:

Tatsächlich sind auch der Medi-zin in Deutschland überragende Geister und höchste Kapazitäten verlorengegangen, als die Zugehö-rigkeit zu Ariern oder Nichtariern darüber bestimmte, wer würdig war,

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in Deutschland zu arbeiten und Arzt zu sein. Die menschlichen Schicksa-le, die sich damit verbanden und die fachlichen Folgen, die dem Arztbe-ruf daraus erwuchsen, können nur Scham und tiefes Bedauern auslö-sen.

Zu behaupten, daß damals „die ärztliche Elite" ausgeschaltet wor-den sei, dürfte aber wohl zu weit ge-hen. Korrekterweise sollte von den „jüdischen Teilhabern der Elite" gesprochen werden, denn auch un-ter den nichtjüdischen Ärzten waren große Geister, die das Prädikat „Elite" für sich in Anspruch neh-men durften oder dürfen.

Doch nun zu den ersten beiden Fragen. Umfeld und Ablauf der „Ausschaltung" der jüdischen Ärz-te werden klarer, wenn man davon ausgeht, daß dieser Vorgang in die umfassend betriebene „Entjudung" des gesamten Volksleben eingebet-tet war, die bekanntlich durch die Nürnberger Rassengesetze (1935) legalisiert wurde und später in die physische Vernichtung der Juden und die Wahnsinnsidee der „Endlö-sung" mündete.

Ich glaube, wir brauchen nicht daran zu zweifeln, daß die Erkennt-nisse der französischen Historiker Ternon und Helman der geschicht-lichen Wahrheit entsprechen oder ihr zumindest sehr nahe kommen -Danach hatten den Sturmabteilun-gen der NSDAP (SA) schon seit 1925 aktive NS-Ärzte angehört, de-ren Zahl 1933 zwischen 2000 und 3000 lag — „darunter wohl alle, die nach der ‚Machtübernahme' in Füh-rungspositionen aufstiegen". Von diesen über das ganze Deutsche Reich verteilten Kadern sagen die französischen Autoren, man müsse sie als den Stoßtrupp (Troupe de choc) der NS-Medizin betrachten, aus dem sich nach zahlenmäßiger Ausweitung der ideologischen Basis jene höchstens 400 Ärzte rekrutier-ten, deren zum Teil selbstgewählte „Forschungsprogramme" mit der Errichtung der Konzentrationslager und unter dem Eindruck mancher Kriegsentwicklungen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit entarte-ten.

Aber auch hier möchte ich noch einmal unterstreichen, daß die men-

schenverachtenden Versuchs- und Ausrottungsmaßnahmen nur des-halb stattfinden konnten, weil sie bei höchster Absicherung und Anteil-nahme durch Heinrich Himmler, den omnipotenten „Reichsführer SS", an Orten ablaufen konnten, die von der Außenwelt hermetisch abgeschlossen waren. Ich erwähne die Zahlen auch nicht, um Zweifel an der grausigen Menge der Opfer zu wecken, sondern um zu zeigen, mit wie wenigen „Tätern" sich Mas-senvernichtung bewerkstelligen ließ.

Mit ihrem statistisch belegten Urteil, es könne einer mit unbe-schränkten Machtkompetenzen aus-gestatteten staatlichen „Berufsfüh-rung" und ihren Pressure-Groups nicht schwergefallen sein, dreizehn v. H. „Nichtarier" aus dem ärzt-lichen Berufsstand hinauszudrän-gen, entlasten Ternon und Helman überdies das Gros der Ärzte von dem Vorwurf, auch für die „Aus-schaltung" der jüdischen Kollegen verantwortlich gewesen zu sein. Als objektive Geschichtsforscher unter-schlagen die Franzosen auch nicht, daß in mehreren Regionen des Rei-ches, namentlich an den medizini-schen Fakultäten, Solidaritätserklä-rungen mit den jüdischen Kollegen verabschiedet und antijüdische De-monstrationen verhindert wurden —natürlich nur solange die sich rasch konsolidierende Alleinmacht des NS-Staates das zuließ. Zeitgenössi-sche Quellen besagen überdies, daß die jüdischen Ärzte zu ihren „ari-schen" Kollegen wie zur deutschen Bevölkerung ein gutes Verhältnis unterhielten und daß sich der plan-mäßig genährte Antisemitismus auch eher gegen Geschäftsleute als gegen Ärzte richtete.

Ich hätte es begrüßt, wenn Herr Hanauske-Abel in seinem „Lan-cet"-Artikel auch auf eine andere noch nachträglich alarmierende Ge-fahr verwiesen hätte: den Versuch nämlich, den gesamten universitären Unterrricht auch und vor allem in der Medizin auf die pseudowissen-schaftlichen Grundlagen der Ras-senlehre umzustellen. Auf diese Weise wäre das gesamte Feld medi-zinischen Lehrens, Lernens und Handelns bei den nachwachsenden Generationen irreparabel ideolo-

gisch umfunktioniert worden. Glücklicherweise war diesem Ver-such kein dauerhafter Erfolg be-schieden, weil das „Tausendjährige Reich" nur zwölf Jahre dauerte.

Schuldzuweisungen im Zusam-menhang mit der „Machtübernah-me" an das Gros der deutschen Ärz-te sind also nicht berechtigt. Auch hierzu möchte ich Ternon und Her-man zitieren, die zu dem Schluß ge-kommen sind, daß Hitler es aus Un-kenntnis und „mystischem Desinter-esse" seinen Gefolgsleuten überlas-sen habe, eine Gesundheitspolitik zu entwickeln, die in seine Doktrin hin-einpaßte. Wörtlich heißt es bei den Franzosen: „Die ersten Redakteure eines rassistischen Medizin-Pro-gramms waren mit größter Sicher-heit keine Ärzte, sondern Rassenhy-gieniker" .

Gros der Ärzte achtet Ethik und Humanität

Frage: Was halten Sie davon, daß Herr Hanauske-Abel die heuti-gen deutschen Ärzte eines „törich-ten und unbarmherzigen Nationalis-mus" bezichtigt, der angeblich „selbst in den neuesten Veröffentli-chungen der Bundesärztekammer noch die Oberhand gewinnt" — bei-spielsweise weil die oberste Reprä-sentanz der bundesdeutschen Ärzte-schaft nicht bereit ist, bestimmte po-litische Auffassungen und Verhal-tensweisen der bundesdeutschen Sektion der IPPNW unkritisch hin-zunehmen?

Vilmar: Die Veröffentlichun-gen, die der Autor offenbar an-spricht, haben weder mit Torheit oder Unbarmherzigkeit noch mit Nationalismus etwas zu tun. Sie ent-sprechen vielmehr dem Auftrag und der Aufgabe der Bundesärztekam-mer, den Standpunkt der Mehrheit der Ärzteschaft zu vertreten und ihn der Öffentlichkeit verständlich zu machen. Nur wirklich törichte Op-ponenten können von uns erwarten, daß wir unsere ethischen und hu-manitären Überzeugungen außer acht lassen und uns über demokrati-sche Mehrheitsvoten unserer Be-schlußgremien hinwegsetzen oder

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„Der NS-Ärztebund wird die Fehrang der irrinchen Verbinde übernehmen, wenn die Hakenkreuzfahne auf dem Brandenburger Tor webt-

gar ein allgemeinpolitisches Mandat beanspruchen, das den ärztlichen

Selbstverwaltungskörperschaften nach Gesetz und Rechtsprechung nicht zusteht, nur weil eine nach ih-rer Zielsetzung einseitig ausgerichte-te, eine Minderheit erfassende Ärz-te-Organisation meint, einen „rich-tigeren" bzw. den alleinrichtigen Weg entdeckt zu haben.

Frage: Würden Sie hier noch einmal die Überzeugungen skizzie-ren, die das Engagement der Bun-desärztekammer gegenüber nukle-aren Problemen bestimmen?

Vilmar: Schon seit nunmehr drei Jahrzehnten ist die Bundesärz-tekammer — ebenso wie eine speziel-le ärztliche Gruppierung seit 1980 —der Überzeugung, daß bei atomaren Auseinandersetzungen im Megaton-nenbereich eine planmäßige organi-sierte ärztliche Hilfe unmöglich ist. Für diese gemeinsame Überzeugung spricht, daß im Falle eines Nuklear-krieges die organisierten Versor-gungssysteme zusammenbrechen müßten. Die Zahl der Verletzten —nicht anders als die der Toten — wür-de alle bekannten Dimensionen übersteigen. Diese Auffassung wird auch von der Weltgesundheitsorga-nisation (WHO) geteilt.

Nun folgern IPPNW-Sprecher aus dieser Uberzeugung, daß die Ärzte sich überhaupt nicht durch Fortbildung auf die medizinischen Konsequenzen von Katastrophen vorzubereiten bräuchten, wobei das Spektrum denkbarer Katastrophen auf einen atomaren Krieg — neuer-dings auch einen Kernreaktorunfall — eingeengt wird.

Die Bundesärztekammer dage-gen hält — wegen der zahlreichen Möglichkeiten von Katastrophenur-sachen und -folgen — an der Ver-pflichtung zur Fortbildung auch in Katastrophen-Medizin und in Über-einstimmung mit der WHO an dem Grundsatz fest, daß die Ärzte auch dann zur Hilfeleistung fähig sein müssen, wenn diese zwangsläufig nur noch in Einzelfällen oder durch improvisierte Maßnahmen erfolgen kann Bei diesen grundsätzlichen Überlegungen dürfen wir ja nicht nur an einen „großen Atomschlag" denken, sondern müssen leider auch in Rechnung stellen, daß bei einem

DA-Titel von Heft 27/28 des Jahres 1983

„begrenzten Konflikt" die soge-nannten atomaren Gefechtsfeldwaf-fen eingesetzt werden könnten, wo-bei die Folgen der von manchen ver-niedlichend „konventionell" ge-nannten Waffen ebenso verheerend sein können. Von anderen Großka-tastrophen einmal abgesehen, wie sie überall auf der Welt geschehen.

Aufgabe einer medizinischen Versorgung muß es aber immer und überall sein, möglichst viele Men-schenleben dort zu retten, wo dies noch möglich ist und wo noch Hilfs-kräfte verfügbar sind.

Bei jedem Massenanfall von Verletzten, also auch bei Katastro-phen in Friedenszeiten und dem da-bei bestehenden Mißverhältnis zwi-schen der Zahl der Hilfsbedürftigen und der Zahl der zur Hilfe Fähigen, werden die Ärzte nach unserer Überzeugung ihren Berufsauftrag nur dann erfüllen können, wenn sie die drei grundlegenden Prinzipien des Katastropheneinsatzes kennen bzw. erlernt haben: die Sichtung der Verletzten und deren Einteilung in Dringlichkeitsstufen für Behandlung und Transport (Triage), die ange-messene Erstversorgung und die Evakuierung.

Sprecher der deutschen Sektion der IPPNW haben — übrigens in be-

merkenswertem Gegensatz zu der Meinung in der DDR-Sektion — die-ser Forderung der Bundesärztekam-mer mit der Behauptung widerspro-chen, „Triage" mißachte Kriterien der individualmedizinischen Versor-gung, bezwecke das „Aussortieren Schwerstgeschädigter ohne Überle-benschance" und sei daher mit dem ärztlichen Berufsethos nicht verein-bar. Das ist eine simple, wenn auch propagandistisch wohlklingende Diffamierung ärztlicher Pflichterfül-lung bei einem Massenanfall von Verletzten, gleich bei welcher Art von Katastrophe.

Im Gegensatz zum „Lancet"- Autor Hanauske-Abel haben wir stets an dem Prinzip festgehalten —und werden das auch weiterhin tun —, daß das Wirkungsfeld der Ärzte tatsächlich die angeblich so „kleine Ebene" der beruflichen Pflichterfül-lung ist und sie dabei keinen Un-terschied machen dürfen, weder nach Religion, Nationalität, Rasse noch nach Parteizugehörigkeit oder sozialer Stellung und natürlich auch nicht nach der Ursache der Schädi-gung.

Sooft der Deutsche Ärztetag sich zum Thema „Ärzte und Atom-rüstung" geäußert hat — und das ist seit 1957 bei unterschiedlichen Aspekten viele Male geschehen —hat er sich zu den dargelegten Prinzi-pien bekannt, die übrigens auch in anderen Ländern (einschließlich der Sowjetunion und der DDR) aner-kannt sind und befolgt werden. Er hat allerdings auch keine Gelegen-heit ausgelassen, die Welt daran zu erinnern, daß die deutschen Ärzte Krieg und jede Art der offensiven Kriegsvorbereitung entsprechend Artikel 26 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ableh-nen.

Übrigens weise ich nicht ohne Genugtuung darauf hin, daß es ein Abgesandter der „Lancet"-Redak-tion war, der im Juni 1986 vom 89. Deutschen Ärztetag in Hannover berichtete, die Wolken (von Tscher-nobyl) hätten denjenigen Delegier-ten eine Lektion erteilt, „die jede Einübung in Katastrophenmedizin verweigern, weil sie glauben, bei ei- ner nuklearen Katastrophe könne nichts mehr getan werden". ❑

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