Die vielen Gesichter des psychischen Leids Falldarstellungen von Erwachsenen Referentinnen: Vanessa...
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Die vielen Gesichter des psychischen LeidsFalldarstellungen von Erwachsenen
Referentinnen: Vanessa Mees, Patricia SchmitzSeminar: Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen WS 2009/10Dozent: Joachim Wutke
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen2
Gliederung
Fall 1: Die besten Pizzas am Ort
Fall 2: Ein bescheidenes Mädchen
Fall 3: Keiner mag mich
Fall 4: Der unglückliche Kosmetiker
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen3
Fall 1:Die besten Pizzas am Ort
Herr Zanetta, 35jähriger Belgier Schleuderte einem Kunden die Pizza ins Gesicht und
wurde daraufhin festgenommen Hat dafür und auch für die Kritik des Kunden keinerlei
Verständnis Sagt, dass er klar „die besten Pizzas am Ort“ backe und
der Kunde nur seinen verdienten Lohn erhalten habe Zeigt sich bei psychiatrischer Untersuchung höflich, offen
und charmant Gibt zu, sein Temperament nicht immer kontrollieren zu
können, besteht aber darauf, kein schlechter Mensch zu sein, da er noch niemanden umgebracht habe
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen4
Fall 1:Vorgeschichte
Wuchs in einer Kleinstadt auf; Vater verbrachte meiste Zeit in Kneipen, Mutter brachte Familie durch
Eltern waren selten zu Hause, niemand kümmerte sich richtig um ihn
War kein schlechter Schüler, aber schien immer Pech zu haben
Hatte stets glaubhafte Entschuldigungen, wenn seine Lehrer sich über seine Fehlzeiten beklagten
Wurde als Jugendlicher oft beim Ladendiebstahl erwischt, hatte aber immer rührende Ausreden parat
Bei Schlägereien war er stets mit von der Partie
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Fall 1:Vorgeschichte
Wurde von den meisten Mitschülern gemocht, vom Großteil der Eltern seiner Freunde jedoch nicht
Hatte nach der Schule verschiedene Jobs, unter anderem als Manager eines schäbigen Nachtclubs
War kurze Zeit verheiratet; als seine Frau ihn verließ, sah er keine Notwendigkeit ihr Alimente für das gemeinsame Kind zu zahlen
Wurde zweimal beim Kokainhandel erwischt und saß einige Zeit im Gefängnis; bestand aber darauf, nie etwas Schlimmes verbrochen zu haben
Zanettas Vater starb an Leberzirrhose, mit seinen beiden Brüdern hatte er sich zerstritten, gelegentlich nahm er etwas Unterstützung von der Mutter an
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Fall 1:Befunde
Zu Zeit, Ort und Person orientiert Weder ängstlich noch depressiv oder misstrauisch Hatte auf alle Fragen rasche, einleuchtende Antworten Es war unmöglich zu erkennen, ob er die Wahrheit sagte Sein Denken war nicht beeinträchtigt, er war nicht
wahnhaft Er spürte kein Bedauern über sein Verhalten, machte alle
anderen für die Probleme in seinem Leben verantwortlich Die körperliche Untersuchung zeigte keine Auffälligkeiten Alkoholtest: 0,5g/l Bot selbst an, bei jeder Untersuchung mitzumachen
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Fall 1:Diskussion Tief verwurzeltes und anhaltendes Verhaltensmuster
charakterisiert durch: Herzloses Unbeteiligtsein gegenüber Gefühlen
anderer Andauernde verantwortungslose Haltung Missachtung sozialer Normen Niedrige Frustrationstoleranz und Schwelle für
aggressives Verhalten Fehlendes Schuldbewusstsein Deutliche Neigung, andere zu beschuldigen Keine Schwierigkeit, Beziehungen aufzubauen, aber
unfähig diese zu erhalten
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Fall 1:Auflösung
Die Diagnose lautet:→ F60.2 Dissoziale Persönlichkeitsstörung
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen9
Fall 1:Verlauf
Der Psychiater schlug Herrn Zanetta vor, regelmäßig zu einem Kollegen zu gehen
Zanetta akzeptierte sofort, hielt aber schon die erste Verabredung nicht ein
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen10
Fall 2:Ein bescheidenes Mädchen
Frau Emery, 50 jährige Belgierin Gefühl des Unwohlseins und der
Beängstigung
Bitte um Krankenhausaufnahme Mehrmalige Konsultierung von Psychiatern
und Beginn & Abbruch von Psychotherapien
Ausführliche Beschreibung ihrer Probleme, dennoch Schwierigkeiten Fragen klar zu beantworten
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen11
Fall 2:Vorgeschichte
Stammte aus Stadt aus Ost-Belgien Vater Buchhalter; jüngere Schwester, die vom Vater
bevorzugt wird In Schule erfolgreich; hätte College besuchen können,
wenn sie mehr Unterstützung von der Familie erhalten hätte
Chefsekretärin bei bekanntem Anwalt Mit 25 Jahren Heirat des Anwaltes, obwohl „sie ihn nicht
sehr liebte, er aber sehr ausdauernd war“ Gemeinsame Tochter; diese erhält all ihre Liebe; kommt
Frau Emery kaum noch besuchen
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen12
Fall 2:Vorgeschichte Suchte in Vergangenheit einige Fachärzte wegen
diverser Beschwerden auf; diese konnten nie eine plausible körperliche Ursache für die Beschwerden finden
Aufsuchen von Psychiatern erhielt Benzodiazepine & Antidepressiva; Psychotherapie
Raucht täglich 10 Zigaretten und trink am Abend 1-2 Gläser Champagner
Vater, Mutter und Schwester sind nie in psychiatrischer Behandlung gewesen
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen13
Fall 2:Befunde
Orientierung zu Zeit, Ort, Person Fühlte sich während des Interviews wohl; schien es zu
genießen Lächelte; versuchte zu scherzen
kein depressiver Eindruck Sprach ausführlich, blieb jedoch ungenau bzgl.ihrer
Vorgeschichte Häufiges Nutzen der Wörter „irrsinnig“, „enorm“,
„furchtbar“ Benutzen dramatischer Gesten & Gesichtsausdrücke
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen14
Fall 2:Befunde
Entschuldigte sich für ihr Aussehen, trotz tadellosen Auftretens
Zu Beginn gutes Verhältnis zum Personal; nach einigen Tagen Klage darüber, dass sie vernachlässigt würde
Ankleiden & Make Up dauerten Stunden Stand meistens im Mittelpunkt der Gespräche und des
Geschehens; genoss die Aufmerksamkeit der Anderen Sah sich selbst als zurückhaltend und bescheiden Keine Auffälligkeiten bei den körperlichen
Untersuchungen
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen15
Fall 2:Diskussion Tief verwurzeltes und anhaltendes Verhaltensmuster
charakterisiert durch: Selbstdramatisierung Suggestibilität Oberflächlicher & labiler Affekt Suche nach Aufmerksamkeit Unpassende Art zu verführen Übermäßige Beschäftigung mit körperlicher
Attraktivität Egozentrik Selbstbezogenheit
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Fall 2:Auflösung
Die Diagnose lautet:→ F60.4 Histrionische Persönlichkeitsstörung
Möglicherweise auch zeitweise eine somatoforme Störung
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Fall 2:Verlauf
Anordnung täglicher Therapiesitzungen und eines Antidepressivums durch den Psychiater
Medikamente wirkten schon nach 2 Tages und Fr. Emery behauptete nun endgültig geheilt zu sein
Nachdem ein anderer Patient behauptete, sie würde eine Versuchsmedikation erhalten, mussten die Medikamente direkt abgesetzt werden und sie beklagte erneut körperliche Beschwerden
Sie „weigerte“ sich als „Versuchskaninchen“ missbraucht zu werden, drohte dem Krankenhaus mit einem Prozess und verließ selbiges sofort
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Fall 3:Keiner mag mich
Herr Ferrand, 24jähriger Franzose Kommt zum Psychiater auf Anraten eines Schulfreundes Klagt, dass in den vergangenen sechs Jahren alles
schief lief: Kein Schulabschluss, verschiedene berufliche Anfänge, geschieden → ging zurück ins Haus seiner Eltern und fühlt sich nun unfähig und abgelehnt
Hat sich, abgesehen von seiner Mutter, nie mit jemandem zusammen wirklich wohlgefühlt
Ist überzeugt, dass niemand ihn leiden kann
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Fall 3:Vorgeschichte Begabter Schüler, fürchtete sich aber Fragen zu stellen
und meldete sich nie Blieb schüchtern und fürchtete das Reden vor der Klasse Tätigkeiten in der Gruppe widerstrebten ihm Obwohl er ein guter Fußballspieler war und Sport mochte,
schaffte er es nie in ein Team hineinzukommen
→ er fühlte sich den Mitschülern unterlegen, kam aber distanziert und arrogant rüber
War sehr belesen, hatte in vielen Bereichen großes Wissen, die meisten Lehrer hielten ihn aber für faul und oberflächlich
Seine Gedichte zeigte er nur seiner Mutter
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Fall 3:Vorgeschichte
Beim Abschlussexamen war er überzeugt, versagt zu haben und weigerte sich, die weiteren Aufgaben zu machen → verließ die Schule
Versuchte es mit verschiedenen Anstellungen, konnte nirgends Fuß fassen
Ging seiner Frau zuliebe mit aus, fühlte sich aber nie recht wohl in solchen Situationen; sie reichte die Scheidung ein
Flüchtete sich in den Alkohol; wieder bei seiner Familie trank er weniger, seine Eltern waren Alkoholgegner
Bruder und Schwester studierten; keine psychischen Störungen in der Familie; gutes Verhältnis zur Mutter, schlechtes zum Vater
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Fall 3:Befunde
Zu Zeit, Ort und Person orientiert Zunächst verspannt und ängstlich Wirkte erst feindselig, gleichgültig, enttäuscht Entspannte sich zunehmend und beschrieb seine
Probleme in allen Einzelheiten Fürchtete immer Kritik und Missbilligung Klagte, keine engeren Freunde zu haben, gab aber auch
zu, sich nicht auf Menschen einlassen zu können, bevor er sicher war, dass sie ihn wirklich mochten
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen22
Fall 3:Befunde
Starkes Bedürfnis nach Sicherheit, das ihn von vielen Dingen abgehalten hatte, die er sonst gerne versucht hätte
Fühlte sich in vielen geselligen Situationen unwohl, hatte aber nie Panikattacken erlitten
Litt niemals unter Halluzinationen Die körperliche Untersuchung zeigte keinerlei
Auffälligkeiten
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen23
Fall 3:Diskussion Tief verwurzeltes und anhaltendes Verhaltensmuster
charakterisiert durch: Überzeugung sozial unfähig, persönlich unattraktiv
und minderwertig im Vergleich zu anderen zu sein Übertriebene Sorge in sozialen Situationen abgelehnt
zu werden Widerwille gegenüber Beziehungen ohne die
Sicherheit, akzeptiert zu werden Einschränkungen im Lebensstil wegen des
Bedürfnisses nach körperlicher Sicherheit Vermeidung sozialer Aktivitäten, die intensiven
zwischenmenschlichen Kontakt bedingen, aus Furcht vor Missbilligung, Ablehnung, Kritik
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen24
Fall 3:Auflösung
Die Diagnose lautet:→ F60.6 Ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung
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Fall 3:Verlauf
Der Psychiater schlug eine Verhaltenstherapie vor, Ferrand stimmte zu
Zögerte etwas, als der Psychiater vorschlug, später auch an Gruppentherapie zu denken
Gewann im Verlauf der Therapie an Selbstvertrauen, stimmte der Gruppentherapie zu und beschloss seine Studien wieder aufzunehmen
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen26
Fall 4:Der unglückliche Kosmetiker
Herr Ahmed, 28 jähriger Indonesier, arbeitet als Kosmetiker in Jakarta in einem Schönheitssalon
Möchte OP: Ersetzen seiner Geschlechtsteile durch eine Vagina
→ Psychiatrisches Untersuchung Hatte sich schon immer mehr weiblich als männlich
gefühlt Führte manchmal zu Problemen Es war normal für ihn, wenn er als „Frau mit einem
männlichen Liebhaber zusammenkam“
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen27
Fall 4:Vorgeschichte
Stammte aus Südsumatra, wo seine Eltern lebten 3 ältere Schwestern & 3 jüngere Brüder Bis zum Alter von 6 Jahren völlig normale Entwicklung Guter Schüler und beliebt bei den Lehrern Trug seit seiner Einschulung lieber Mädchenkleidung;
trug manchmal Make Up Eltern verurteilten sein Verhalten und bestraften ihn
streng War meistens mit Mädchen befreundet und ging zur
Damentoilette Seine Empfindungen und sein Verhalten wurden mit den
Jahren immer stärker
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen28
Fall 4:Vorgeschichte
Verliebte sich in Jungen, traute sich aber nicht seine Gefühle zu gestehen
Wurde in der Schule „gehänselt“ wegen seines weiblichen Auftretens
Mit 18 Jahren verließ er seinen Heimatort und zog zu seinem Onkel nach Jakarta
Lebte von da an seine Wünsche frei aus Machte Ausbildung zum Kosmetiker Mit 21 Jahren Beginn der Hormontherapie, mit 22 Jahren
Brustvergrößerung
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen29
Fall 4:Vorgeschichte
Verliebte sich in den folgenden Jahren mehrmals in Männer und einige Male kam es auch zu intimen Beziehungen
Entwickelte eine starke Bindung zu seinen Liebhabern; konnte jedoch die Beziehungen meist nur wenige Wochen aufrechterhalten
Entschied sich für OP; musste aber vorher zu einem Psychiater, um ein Gutachten erstellt zu bekommen
Eltern stimmten der OP widerwillig zu; Onkel unterstütze ihn immer
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen30
Fall 4:Befunde
Beim Gespräch mit dem Psychiater erschien Herr Ahmed attraktiv und sorgfältig als Frau zurecht gemacht
Sehr feminine Gesten beim Sitzen und Sprechen Schien den chirurgischen Eingriff als völlig normal
anzusehen und als logischen nächsten Schritt im Prozess eine Frau zu werden
OP als Voraussetzung dafür, glücklicher zu werden War umgänglich und gesprächig Keine psychopathologischen Auffälligkeiten
→ kein psychotischen Symptome, keine Depression, kein „Theater“, keine Beeinflussbarkeit, kein manipulierendes Verhalten
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen31
Fall 4:Diskussion
Wünscht sich als Person des anderen Geschlechts zu leben
Hat jenen Umwandlungsprozess schon eingeleitet, durch die hormonelle Behandlung und die Operation seiner Brüste
Möchte als nächsten Schritt die Entfernung seiner Genitalien
Seine Transsexuelle Identität besteht durchgehend seit seinem 6. Lebensjahr
Keine Symptome einer psychischen oder einer Verhaltensstörung
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen32
Fall 4:Auflösung
Die Diagnose lautet:
→ F64.0 Transsexualismus
Laut ICD-10 sollte eine chromosomale Abweichung ausgeschlossen sein; in diesem Fall wird nicht erwähnt, ob eine Chromosomuntersuchung stattgefunden hat
Gibt es noch Fragen?
5.11.2009Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen34
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Literatur
Dilling, H. (2000). Die vielen Gesichter des psychischen Leids. Bern: Verlag Hans Huber.