Die Vorgeschichte Des Zweiten Weltkriegs

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 Die Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs Von Gerd Schultze-Rhon hof Start  Die britisch-deutsche Rivalität 1900-1914  Die Französisch-deutsche Rivalität 1872-1914 Marokko-Kris en 1904 und 1911  Bagdadbahn 1900 - 1914 Sarajewo und Folgen Vertrag von Versailles Saar Abstimmung 1935  Rheinlandbeset zung 1936 Österreich-Anschluß  Anschluß des Sudetenlandes Tschechoslowak ei - Protektorat  Anschluß Memelland Wirtschaftl iche Kriegsgründ e 1918-1939  Aufrüstung  Polens Minderheiten 1920-1939  Polens Bündnispol itik  Deutschland-Polen 1918-1939  Die Zuspitzung um Danzig 1939  Der Hitler-Stalin-Pakt 23.8.1939  Deutsch-polnis che Verhandlungen vor Kriegsausbr uch  Hitlers Kriegsabsichten 1939  Zusammenfassung  

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 Die Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs

Von Gerd Schultze-Rhonhof 

Start  Die britisch-deutsche Rivalität 1900-1914

 Die Französisch-deutsche Rivalität 1872-1914Marokko-Krisen 1904 und 1911

 Bagdadbahn 1900 - 1914Sarajewo und FolgenVertrag von VersaillesSaar Abstimmung 1935

 Rheinlandbesetzung 1936 Österreich-Anschluß

 Anschluß des SudetenlandesTschechoslowakei - Protektorat 

 Anschluß Memelland Wirtschaftliche Kriegsgründe 1918-1939

 Aufrüstung  Polens Minderheiten 1920-1939

 Polens Bündnispolitik  Deutschland-Polen 1918-1939

 Die Zuspitzung um Danzig 1939 Der Hitler-Stalin-Pakt 23.8.1939

 Deutsch-polnische Verhandlungen vor Kriegsausbruch Hitlers Kriegsabsichten 1939

 Zusammenfassung 

 

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Die Ursachen, die zum Zweiten Weltkrieg führen, liegen wie bemalteGlasscheiben übereinander. Ganz klar sieht man nur das bunte Bild auf dem obersten, zuletzt aufgelegten Glas. Das Bild auf der nächsten,darunter liegenden Scheibe ist noch erkennbar, doch schon erheblich

matter. Die Bilder auf den unteren, älteren Glasplatten schimmern nur noch ganz schwach durch, doch ihre Farben und Konturen sind nochimmer ein Teil dessen, was man von oben sieht. So zeigt dasOberflächenbild, dass 1939

- Deutschland über Polen herfällt,

- Russland sich die Hälfte Polens raubt,

- Polen dabei nur das Opfer ist,

- Frankreich und England den bedrängten Polen helfen

- und die USA zu guter letzt die Helfer unterstützen und retten.Doch schon das Bild darunter - von 1920 an - zeigt die schwerenMenschenrechtsverletzungen an den 11 Millionen Menschen der nichtpolnischen Minderheiten im Vielvölkerstaat Polen. DieDrangsalierung der Millionen von Ukrainern, Deutschen und Weißrussenin Polen nimmt 1939 Formen an, dass schon sie allein ein Kriegsgrund für die Sowjetunion und Deutschland gegen Polen hätten sein können. ZumBild auf dieser zweitobersten Glasscheibe gehören außerdem der deutsch- polnische Streit um Danzig und um freie Verkehrsverbindungen durch den„polnischen Korridor“ ins damals vom Reich abgetrennte Ostpreußen unddie noch offene sowjetische Rechnung für die Gebiete der Ukraine undWeißrusslands, die ihnen Polen 1920 abgenommen hatte. Auf einer weiteren Schicht darunter sind die Rüstungswettläufe der Amerikaner,Briten und Japaner ab 1920 erkennbar, die Rüstungsaufholjagd der Sowjets ab 1930, die von den Franzosen bis 1933 blockierten Genfer Abrüstungsverhandlungen und dann die deutsche Wiederaufrüstung ab1934. Aus den Schichten tieferer Gläser schimmern noch dieDemütigungen bis oben durch, die die Siegermächte 1920 den Deutschen,den Österreichern und den Ungarn durch „Versailles“ und dieentsprechenden Verträge bereitet hatten, die Kriegsvorbereitungen der 

Briten ab 1906 gegen das kaiserliche Deutschland die Rache der Franzosenfür ihre 1871 erlittenen Gebietsverluste und die Demütigung der Polen bei

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den drei Teilungen ihres Staates aus der Zeit davor. Dieses alles und vielanderes mehr zeigt 1939 Wirkung.

Die folgenden Seiten sollen einen raschen Überblick über dieses

schicksalshafte Kapitel deutscher Geschichte verschaffen. DieEinzelthemen widmen sich daher allein den Vorkriegsjahren und bietenStoff für das Erstellen von Schularbeiten, Hausaufgaben, Seminar- oder Magisterarbeiten. Sie sind dem Schüler, der ein Referat vorbereitet,genauso ans Herz gelegt, wie dem Studenten, der sein Studium vertiefen,oder dem Lehrer, der sein Wissen erweitern möchte. Einen ausführlichenÜberblick über den Inhalt dieser Seite finden Sie unter dem Menüpunkt"Zusammenfassung". (Am Ende)

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Die britisch-deutsche Rivalität 1900-1914

Viele englische Politiker z. B. die Premierminister Winston Churchill undJohn Major sahen den Ersten und den Zweiten Weltkrieg als eine

historische Einheit, in der es um die Vorherrschaft in Europa ging. Siesprachen deshalb auch von einem „Zweiten Dreißigjährigen Krieg“ von1914 bis 1945. Ich will dieser plausiblen Logik folgen.

Eine der Ursachen für den Zweiten Weltkrieg liegt in der deutsch- britischen Rivalität, die sich seit etwa der Jahrhundertwende von 1900entwickelt. Mit der deutschen Einigung von 1871 entsteht einWirtschaftsraum von erheblicher Dynamik. Von 1880 bis 1907 zumBeispiel vervierfacht Deutschland seine Steinkohleförderung und schließtdamit fast zu England auf. An Stahl erzeugt Deutschland 1907 bereitsdoppelt so viel wie man in England produziert. Dementsprechendentwickelt sich auch der Außenhandel Deutschlands. Obwohl London1887 mit der „Merchandise marks act“ den Versuch macht, deutscheExporte mit dem Verbraucherwarnhinweis „Made in Germany“einzudämmen, wächst der deutsche Außenhandel von 1887 bis 1907 um250 Prozent, während der englische in den gleichen 20 Jahren nur um 80Prozent steigt. Auch Frankreich wird in diesem Zeitraum wirtschaftlichvon Deutschland abgehängt. Damit ist für England die „balance of power“auf dem Kontinent bedroht.

In Kenntnis dieser Entwicklung argwöhnt man in England, Deutschlandstrebe danach, ganz Europa zu beherrschen. DeutschlandsWirtschaftsaufstieg und seine Konkurrenz werden in England vor demErsten Weltkrieg als Bedrohung angesehen. So bemühen sich dieenglischen Regierungen seit 1904, das Deutsche Reich auf dem Feld der Außenpolitik zu isolieren.

Am 1. Januar 1907 verfaßt ein Beamter des englischenAußenministeriums, Sir Eyre Crowe, eine Denkschrift, in der er schreibt,nun und in Zukunft hieße der einzige potente Gegner EnglandsDeutschland. Die Deutschen strebten mit Konsequenz und Energie nachder Vorherrschaft in Europa. Sie werden zum Schluß Groß Britannienzerbrechen, um sich an seinen Platz zu schieben.

 

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Englands Vertragspolitik 

England und Frankreich schließen 1904 eine „Entente cordiale“, mit der 

sie zunächst nur ihre kolonialen Interessen koordinieren. Doch 1906 schonvereinbaren die Kriegs- und Außenminister beider Staaten, dieMilitäraktionen beider Länder für die Zukunft aufeinander abzustimmen.1911 sagt der englische Generalstabschef dem französischen Kollegensechs Heeresdivisionen für den Fall eines Kriegs mit Deutschland zu. Solegt sich England gegen Deutschland fest, ohne daß von letzterem auch nur die leiseste Drohung mit einem Kriege ausgegangen wäre. Und Frankreichkann ab 1911 mit Englands Hilfe rechnen, und im Falle einer Spannungmit Deutschland dementsprechend pokern.

Im August 1907 schließen England und Russland einen Vertrag, in dem sieihre „Einflußzonen“ in Afghanistan und Persien markieren. Bereits im November 1907 reist der Oberbefehlshaber des englischen Heeres nachSankt Petersburg, um dort mit russischen Generalen und Ministern über weit mehr als nur Afghanistan und Persien zu sprechen. Er legt den Russennahe, ihre Truppen an der Westgrenze gegenüber Deutschland zuverstärken. So zieht Großbritannien auch hier die Fäden gegenDeutschland, das außer Wirtschaftsexpansion zu der Zeit keine anderen,vor allem keine territorialen Ziele hat.

 

Das Flottenwettrüsten

Ein verhängnisvolle Fehler, den Deutschland gegenüber EnglandsMachtanspruch begeht, ist es, den eigenen Aufschwung mit einer maritimen Komponente zu versehen. Kaiser Wilhelm II. läßt ab 1898 eineFlotte bauen, die über die bisher betriebene Küstenverteidigung hinaus dieHandels- und Überseeverbindungen bei internationalen Krisen oder imVerteidigungsfall vor Unterbrechungen schützen soll. Der deutscheFlottenbau soll sowohl Deutschland befähigen, im Rennen der modernenStaaten um Märkte und Einfluß in der Welt Schritt zu halten als auch, eineneue Position gegenüber England aufzubauen. Deutschland will damit

erstens seine Fischfangflotte vor den rüden Übergriffen der englischenFischer schützen. Es will zum zweiten seinen Im- und Export über See und

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damit einen Großteil seiner Wirtschaftsadern von Englands „Gnaden“lösen. Deutschland will sich zum dritten militärisch gegen Englands Flottesichern, dabei vor allem gegen deren Seeblockademöglichkeiten. Und diedeutsche Politik hofft viertens, mit einer angemessenen Flotte ein

interessanter Bündnispartner für Großbritannien zu werden. Admiral vonTirpitz und die Marineleitung entwickeln die Vorstellung, daß einedeutsche Kriegsmarine in Stärke von etwa 60% der englischen der Königsweg zur Lösung der vier gesteckten Ziele ist: dem Schutz der  Nordsee-Fischerei, des eigenen Handels auf den Meeren, dem Schutz vor Seeblockaden und der Bündnisfähigkeit mit England. Mit einer solchen60%-Flotte kann man nach Tirpitz’ Überzeugung Englands Sicherheit undSeeherrschaft nicht in Wirklichkeit gefährden. Außerdem, so kalkulierenAdmiral von Tirpitz und der Kaiser, könnte Großbritannien im Falle einesKrieges mit seinen zwei Kolonialrivalen Frankreich und Rußland, die nachEngland die nächststarken Marinen unterhalten, ein Interesse an einemBündnis mit dem flottenstarken Deutschland haben. Doch diese Rechnunggeht nicht auf.

Das rasche deutsche Wirtschaftswachstum und die deutscheHandelskonkurrenz auf dem Festland und in Übersee lassen sich nicht miteinem Krieg bekämpfen, ohne dabei den Makel der Schuld an einensolchen Krieg zu übernehmen, es sei denn, man spielt die KriegsschuldDeutschland zu. So wird der deutsche Flottenbau in Englands öffentlicher Meinung zu einem Kriegsgrund aufgebaut und Deutschland unterstellt,nach Weltherrschaft zu streben.

 

Englands Feindbild

Erkennbar wird die deutsch-englische Entfremdung auch an dem Wandeldes Bildes, das die Historiker in England von der Geschichte ihresdeutschen Nachbarn zeichnen. Politisch im besonderen wirksam ist dasBild, das sich die englischen Historiker von Preußen machen. Bis etwa1910 beherrschen die für ihre Zeit sehr liberalen, effizienten und auf dieRechte ihrer Bürger achtende Preußenkönige, das tüchtige Militär und der Patriotismus von Steins und Hardenbergs die Szene. Danach verkehrt sich

das bis dahin so positive Preußenbild in das Image eines Preußen als Hortder Unfreiheit, der Obrigkeitshörigkeit, des Militarismus und der Gewalt.

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Dies Preußen wird pars pro toto mit ganz Deutschland gleichgesetzt undstellt als solches in den Augen vieler britischer Historiker den Gegensatzzum positiv gesehenen liberal-parlamentarischen England dar. Der „Teutone“, vor Jahrzehnten noch Ahnherr der Deutschen und der Briten,

wird im Ersten Weltkrieg sogar zum Schimpfwort für die Deutschen, unddas Preußentum zur „Bedrohung der Zivilisation“. Der Unterstaatssekretär im Londoner Außenministerium Sir Charles Hardinge schreibt in einer Denkschrift vom 30. Oktober 1906:

„Man muß ganz allgemein zur Kenntnis nehmen, daß Deutschland infolgeseiner ehrgeizigen Pläne für eine Weltpolitik, eine maritime Vorherrschaftund eine militärische Vorherrschaft in Europa der einzige Störfaktor ist.“

 

Die Marokkokrisen und der Bau der Bagdadbahn

Englands klare Position an Frankreichs Seite und gegenüber Deutschlandzeigt sich 1904-06 und 1911 in den zwei Marokkokrisen und ab 1900 beimBau einer deutschen Eisenbahn nach Bagdad im Irak. In Marokko versuchtFrankreich, dieses bis dahin souveräne Land in sein Kolonialreicheinzugliedern, was die deutschen Handelskonzessionen und Bergbaurechtedort gefährdet. Frankreich bricht mit diesem Vorgehen zwar einen Vertragvon 1880, doch England steht trotzdem auf Frankreichs Seite undantwortet auf die Entsendung eines kleinen deutschen Kriegsschiffs nachAgadir mit der Drohung, notfalls mit Frankreich gegen Deutschland in denKrieg zu ziehen. Es geht England offensichtlich darum, Frankreich alsGegenkraft zu Deutschland stark zu machen, und es geht um die ernstgemeinte Warnung, der deutschen Konkurrenz bei weiterer Rührigkeit mitKrieg ein Ende zu bereiten.(Einzelheiten dazu siehe unter dem Stichwort„Marokko-Krisen)

Ein weiterer Reibungspunkt zwischen Berlin und London bildet sich beimBau einer Eisenbahn in die Türkei, mit der sich Deutschland zunächst denWirtschaftsraum Kleinasien erschließt. Als etwa 1900 der Bahnbau inRichtung Bagdad fortgesetzt wird und zu der Zeit Erdöl beiderseits der Trasse im Raum Mossul entdeckt wird, gerät Deutschland unversehens in

Konflikt mit Englands neuen Ambitionen auf die Erdölfelder in Persien,Irak und Kuwait.

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(Einzelheiten dazu siehe unter dem Stichwort Bagdadbahn )

So gibt es 1914 , als sich nach dem Mord an Erzherzog Franz Ferdinand in

Sarajewo der Konflikt zwischen Serbien und Habsburg entzündet,zahlreiche Großmächte, die sofort Partei ergreifen und sich auf der einenwie der anderen Seite hinter die beiden Kontrahenten stellen: Russland undFrankreich hinter Serbien und Deutschland hinter Österreich. Englandhatte mehrmals vorher angekündigt, im Falle eines Krieges Frankreichgegen Deutschland auf der Seite der Franzosen gegen Deutschlandmitzukämpfen. Trotzdem gibt es für einen kurzen schicksalsschwerenAugenblick die Chance, daß Großbritannien dem Ersten Weltkriegfernbleibt. ( Siehe dazu unter Stichwort Sarajewo und die Kettenreaktion )Doch Großbritannien erklärt dem Deutschen Reich den Krieg. Die Briten bringen hohe Opfer und entgehen einer Niederlage nur Dank desKriegseintritts der USA auf ihrer Seite im Jahre 1917.

Welche Ziele konnten es dann wert sein, die Männer Englands 1939 erneutin einen Weltkrieg gegen Deutschland marschieren zu lassen? 1919,wenige Monate nach Ende des Ersten Weltkriegs, findet sich dazu in der angesehenen britischen Tageszeitung „TIMES“ folgende, verblüffendehrliche Notiz: „Wenn Deutschland in den nächsten 50 Jahren wieder Handel zu treiben beginnt, ist dieser Krieg umsonst geführt worden .“

Die französisch-deutsche Rivalität 1872-1914

Elsaß-Lothringen

Die Spannungen zwischen Deutschen und Franzosen, die das Verhältnis beider Völker 1914 prägen, haben tiefe Wurzeln. Schon 1555 beginnen dieKönige von Frankreich, ihr Staatsgebiet nach Osten zum Rhein hinauszudehnen. Sie nutzen innerdeutsche Streitigkeiten und den Druck der Türken auf das Reich, um sich zuerst die deutschen Festungsstädte Metz,Toul und Verdun, dann zehn elsässische Städte, dann Teile Lothringensund zum Schluß das ganze Elsaß anzugliedern. Die deutsche

Muttersprache der Elsässer Bevölkerung ist den Franzosen dabei keinHinderungsgrund. Der französische Versuch, dann auch noch das damals

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deutsche Luxemburg zu annektieren, mißlingt jedoch. Im 30jährigen undim Pfälzischen Krieg nutzt Frankreich die Gelegenheiten, in Deutschlandeinzudringen und in Kurpfalz und Baden-Durlach ein Gebiet von 160Kilometer Länge und etwa gleicher Breite einzuäschern. Dörfer, Felder,

Weinberge und Städte werden abgebrannt, dabei Heidelberg, Worms,Bingen, Mannheim, und Speyer. Die Franzosen schaffen damit einenÖdlandgürtel, der verhindern soll, daß die Annexion des Elsaß je vondeutschem Boden aus rückgängig gemacht werden kann. Der Vandalismusder Franzosen in der Pfalz hinterläßt in Deutschland ein Frankreichbild,das bis zum Zweiten Weltkrieg mit dem bösen Wort vom Erbfeind inErinnerung bleibt. In Norddeutschland ist es die französischeBesatzungszeit der Jahre 1806 bis 13, die mit hohen Kontributionen,Steuerlasten, Einquartierungen und dem Zwang, an Napoleons Kriegenteilzunehmen, ein unangenehmes Bild der Franzosen hinterläßt.

1870 versucht Frankreich ein weiteres Mal, sich das damals deutscheLuxemburg, die Pfalz und das Saarland anzugliedern und seine Grenzezum Rhein hin vorzuschieben. Es verursacht, erklärt, beginnt und verliertden Krieg mit Deutschland und muß dafür mit der Abtretung Elsaß-Lothringens bezahlen. Deutschland seinerseits zahlt mit dem Haß der Franzosen und damit, daß Frankreich nun ein neuer Kriegsgrund gegenDeutschland bleibt. Der Wechsel Elsaß-Lothringens zwischen beiden Nachbarländern ist stets ohne das Votum der Betroffenen erfolgt.Volksabstimmungen zur Zugehörigkeit sind 1681, 1766 und 1871 nochnicht üblich. 1872 kann die Bevölkerung „optieren“. 10,3% bekennen sichzu Frankreich und 5 % wandern dorthin ab. Doch die Stimmung in beidenLandesteilen bleibt lange pro-französisch.

Frankreich sucht sich rechtzeitig Verbündete, um Elsaß und Lothringen beiGelegenheit zurückzuholen. 1894 schließt es den Zweibund mit Rußland.1912 gibt Präsident Poincaré der russischen Regierung die Zusicherung,daß Frankreich Rußland militärisch unterstützen werde, gleichgültig, obRußland angegriffen werde oder selbst den Krieg beginne. Frankreichschließt 1904 die „entente cordiale“ mit Großbritannien und holt sich 1911die Zusage Englands auf Heeresunterstützung für den Fall des Krieges mitdem Deutschen Reich. Damit stehen Frankreich zwei mächtigeVerbündete zur Seite, Großbritannien und Russland.

 

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Die Rivalität in den Kolonien

 Neben dem Elsaß-Streit ist es der Wettlauf um die letzten „offenen“

Kolonien, der die französisch-deutsche Nachbarschaft vergiftet. DasRennen um die Kolonien ist um die Jahrhundertwende 1900 weltweit nochvoll im Gange. Bei dieser Jagd nach Überseegebieten kommt Frankreich inMarokko in Konflikt mit Deutschland. 1880 waren im Vertrag von Madriddem Sultan von Marokko die Souveränität in Tanger und Deutschlandfreie Handelsrechte im ganzen Land zugesichert worden. Als Parisversucht, sich auch das Gebiet von Tanger anzueignen, will die deutscheReichsregierung den französischen Vertragsbruch und den eigenen Nachteil so nicht schlucken. Kaiser Wilhelm II. begibt sich persönlich mitseiner Yacht nach Tanger und protestiert dort in Absprache mit der Reichsregierung gegen das französische Bemühen, ganz Marokkoinklusive Tanger „friedlich zu durchdringen“, wie das die Franzosennennen. Das Ergebnis dieser Intervention in der Ersten Marokko-Krise von1904 bis 05 ist ein deutsch-französischer Vertrag, in dem sowohl das„besondere politische Interesse“ Frankreichs an Marokko anerkannt alsauch Deutschland eine Beteiligung an der wirtschaftlichen Erschließungdes Landes zugestanden wird. Doch der Kompromiß ist nicht einmal einhalber Sieg. Dafür ist der Preis zu hoch. Deutschland rutscht mit demMarokko-Streit in eine internationale Isolation, die sich bis 1914 nichtmehr löst. Deutschland besteht zwar mit Recht auf dem noch gültigenVertrag von Madrid, aber England und Italien stellen sich hinter Frankreich, weil sie sich dafür vorher freie Hand für eigene kolonialePläne eingehandelt haben. So bleibt der Kompromiß um Marokko eher einSieg für Frankreich.

1911 in der Zweiten Marokko-Krise geht der nächste Punkt an Frankreich.Die französische Regierung läßt Marokko unter dem Vorwand, dort beiinneren Unruhen für Ordnung sorgen zu müssen, von eigenen Truppen besetzen. Paris erklärt Marokko zu seinem Protektorat, was nichts anderes bedeutet, als daß nun auch Marokko zu Frankreichs Kolonien zählt. Wasfolgt, ist in der Schilderung des deutsch-britischen Verhältnisses zum Teil bereits erwähnt. Das deutsche Kanonenboot Panther läuft Agadir an.Deutschland verlangt von Frankreich Kompensation im Kongo und erhält

für den Verlust des deutschen Handels in Marokko ein Stück FranzösischKongo, das Deutsch Kamerun als Grenzland zugeschlagen wird. Ein

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 bedeutungsloser Landgewinn drei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Vielschwerer wiegt dagegen der Ärger der Franzosen über Deutschlands neueKonkurrenz in Afrika.

So schieben sich in Frankreich viele Gründe aufeinander, mit Deutschlandabzurechnen. Es ist der Wille, Elsaß und Lothringen wiederzugewinnen.Es ist der Ärger über den kolonialen Mitbewerber Deutschland, und es istdie Sorge, daß der deutsche Nachbar als Land- und neue Seemacht weiter stärker werden könnte. In Deutschland ist man sich zwar des tiefen Grolls bewußt, den die Franzosen wegen des Verlusts von Elsaß und Lothringenhegen, aber ein Gefühl von Unrecht hat man in Deutschland deshalb nicht.Landabtretungen nach verlorenen Kriegen sind damals üblich. Und dieeroberte Bevölkerung ist nach der Muttersprache überwiegend deutsch.Vor dem Ersten Weltkrieg sprechen im Elsaß und in Lothringen immerhinnoch 1,3 Millionen Bürger Deutsch; Französisch dagegen nicht ganz200tausend. Aus deutscher Sicht werden Elsaß und Lothringen deshalbauch nicht als Anlaß für den Krieg begriffen. Der liegt für jedermannerkennbar 1914 auf dem Balkan. Die furchtbare Rache, die die Franzosennach dem Kriege an den Deutschen nehmen, stößt deshalb in Deutschlandauch auf kein Verständnis. Hitler wird vom Unmaß dieser Rache profitieren.

Die Marokko-Krisen 1904 und 1911

Deutsch-französische Handelsrivalität in Marokko

Englands klare Position an Frankreichs Seite zeigt sich 1904 und 1911 inden sogenannten zwei Marokkokrisen. In beiden geht es darum, daß Parisversucht, seinen Einfluß auf Marokko auszudehnen, und daß es dabei denVertrag von Madrid von 1880 bricht, in dem die Souveränitätsrechte desSultans von Marokko und deutsche Handelskonzessionen festgeschriebenworden waren.

Die Erste Marokkokrise

Die erste dieser beiden Krisen entsteht, als 1904 ein französisch-englischer Geheimvertrag bekannt wird, in dem die Briten den Franzosen die

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alleinige "friedliche Durchdringung Marokkos" überlassen. Paris sichertLondon dafür "freie Hand in Ägypten" und 30 Jahre Handelsfreiheit inMarokko zu. Die deutsche Reichsregierung glaubt nun, ihre in Madridverbrieften Wirtschaftsrechte und die Hoheitsrechte des Sultans durch

einen Einspruch erhalten zu können. Kaiser Wilhelm II. , 1905 gerade mitseiner Yacht im Mittelmeer auf Reisen, läuft in Absprache mit der Reichsregierung den Hafen Tanger an und verlangt vor Ort demonstrativdie Einhaltung der Vertrages von Madrid.

Die an Marokko interessierten Mächte legen daraufhin 1906 den Konfliktauf einer Konferenz in der südspanischen Stadt Algeciras bei. Nach der Akte von Algeciras darf Frankreich Marokko fortan "friedlichdurchdringen" und Deutschland bekommt die "offene Tür" für seinenMarokko-Handel zugestanden.

Die Zweite Marokko-Krise und der Panther-Sprung nach Agadir 

Die Zweite Marokkokrise von 1911 - drei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg- geht mit dem „Panthersprung“ in die Geschichte ein. Der Vorfall zeigt,daß Großbritannien schon jetzt bereit und willens ist, selbst um eine Nichtigkeit wie diese in einen Krieg mit Deutschland einzutreten. 1911nimmt Paris den zweiten Anlauf innerhalb nur weniger Jahre, Marokko insein Kolonialreich einzugliedern. Das Außenministerium in Berlin, ausAngst, den deutschen Handel und die Bergbaukonzessionen in Marokko zuverlieren, weist ein deutsches Kriegsschiff namens Panther an, den Hafenvon Agadir außerhalb der französischen Besatzungszone anzulaufen unddort zur Wahrung deutscher Interessen „Flagge“ zu zeigen. Die „Panther“,ein kleines Mehrzweckschiff zum Fluß- und Küstendienst in deutschenKolonien, ist zu der Zeit reif zur Überholung und deshalb auf demRückweg von Westafrika zur Werft in Deutschland. Es läuft KursCasablanca, um dort Kohlen für die Weiterfahrt zu bunkern, wird aber vorher umgeleitet. So legt die Panther fast ohne Treibstoff und reif für dieInstandsetzung am 1. Juli 1911 in Agadir im Hafen an. Die englischeRegierung bewertet das sogleich als gewaltsame Demonstration deutscher Macht in Übersee und unterstellt der Reichsregierung, sie wolle einendeutschen Kriegshafen in Agadir anlegen lassen. Die britische Regierungfordert die deutsche zur Stellungnahme auf, doch ehe diese eingeht,

 bezieht sie selber Stellung. Ein Teil der Royal Navy wird mobil gemacht,der Kohlevorrat für die Schiffe der Marine wird ergänzt, und

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Schatzkanzler Lloyd George erklärt am 21. Juli im Namen der englischenRegierung, „daß sein Land im Falle einer deutschen Herausforderung ander Seite Frankreichs in den Krieg ziehen werde.

Die Regierungen in London und Paris hatten sich offensichtlich 1904 bereits ohne Wissen der Regierung in Berlin darauf verständigt, daßMarokko französisches Interessengebiet sei und daß England dafür freieHand in Ägypten und Sudan bekomme. Da stören deutscher Handel unddeutsche Bergbaurechte in Marokko. Doch ein Streit zwischen denFranzosen und den Deutschen um ein paar deutsche Rechte in Marokkound das Erscheinen eines kleinen Kolonialdienstschiffes sind an sich keinGrund, mit Krieg zu drohen. Es geht England erneut darum, Frankreich alsGegenkraft zu Deutschland stark zu machen und es geht um die ernstgemeinte Warnung, der deutschen Konkurrenz bei weiterer Rührigkeit mitKrieg ein Ende zu bereiten.

Im Deutschland der Jahre 1914 und 1918 begreift noch kaum jemand denAufstieg des eigenen Landes in Industrie und Handel als Grund für einenKrieg. Auch solche Krisen, wie die beiden in Marokko, bei denenDeutschland lediglich versucht, ein letztes Stück vom kolonialen Kuchenabzukriegen, hinterlassen bei den Deutschen kein Gefühl von deutscher Schuld. Sie nähren höchstens die Befürchtung, sich in der Welt zuisolieren. Schließlich hat das Deutsche Reich - anders als das BritischeImperium der letzten 20 Jahre - kein anderes weißes Volk angegriffen undihm Kolonien abgejagt.

Die Bagdadbahn 1900-1914

Das Osmanische Reich als Wirtschaftsraum für Deutschland

Deutschland tritt auch im Nahen Osten als neuer Konkurrent für Englandauf; zunächst im Handel und ein paar Jahre vor Beginn des ErstenWeltkriegs auch bei dem Versuch, die frisch entdeckten Erdölquellen desdamals noch osmanischen Irak zu nutzen. Ab 1888 , schon zehn Jahre bevor das englische Interesse für die Golf-Region erwacht, bemühen sich

deutsche Industrielle und Bankiers, das Osmanische Reich alsWirtschaftsraum für Deutschland zu erschließen. Die deutschen

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Aktivitäten in dieser Richtung – zunächst ohne weitere außenpolitischeBedeutung – werden zu einem Tanz auf dem Vulkan, sobald manzwischen Mossul und Kuwait Erdöl entdeckt.

Bis zur Jahrhundertwende um 1900 fördern nur die USA, Mexiko undRußland Erdöl in nennenswerten Mengen. Die neue Energie verändertschnell die Technik. Ab 1870 schon gibt es Schiffe, die mit Erdölfeuerungstatt mit Kohle fahren, wodurch sich der Aktionsradius solcher Schiffevervierfacht, was für die Handelsflotten und die Kriegsmarinen einepochaler Fortschritt ist. Als 1883 der Benzinmotor und 1893 der Dieselantrieb erfunden werden, bekommt der Besitz von Erdölquellenendgültig wirtschafts- und gegebenenfalls auch kriegsentscheidendeBedeutung.

Das britische Protektorat Kuwait

Die Seemacht England – um das Jahr 1900 noch ohne eigene Erdölquellen – bemüht sich zu der Zeit, im damals osmanischen Irak und in Persien Fußzu fassen und sich die dort gerade erst entdeckten Erdölvorkommen zusichern. 1899 schließen die Briten mit dem Scheich von Kuwait einenVertrag, in dem der verspricht, daß weder er noch seine Erben jemalsVerträge über die Niederlassung dritter Mächte in Kuwait unterzeichnenwerden. 1901 entsendet London Kriegsschiffe nach Kuwait und zwingt dieosmanische Regierung, zu deren Reich Kuwait gehört, ein britisches„Protektorat“ über das Scheichtum Kuwait zu akzeptieren. 1913 läßt sichEngland außerdem die dortigen Erdölförderkonzessionen gegenGeldgeschenke vom Scheich von Kuwait übertragen. Im selben Jahr kauftdie Londoner Regierung die Aktien-mehrheit an der persischenErdölgesellschaft. Als Folge der Erwerbungen in Persien und des„Protektorats“ über das damals noch osmanische Kuwait betrachtetEngland die Golf-Region schon bald nach der Jahrhundertwende als seinewesentliche Einfluß- und Interessensphäre.

Die Anatolische Eisenbahn

Zehn Jahre bevor die Briten Kuwait für sich entdecken – nämlich 1889 –  beginnen deutsche Unternehmer und Bankiers ein wirtschaftliches

Großprojekt in gleicher Richtung, den Bau der Eisenbahn von Istanbulnach Ankara. Die deutsch-türkische Zusammenarbeit trägt Früchte, und

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1890 schließen die deutsche und die osmanische Regierung einenFreundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag, der drei Jahre später dazuführt, daß der osmanische Sultan Abdul Hamid II. der Deutschen Bank anbietet, eine weitere Strecke von Eskischehir nach Konya zu bauen. 1896

ist die Bahn bis Konya fertig. Noch ahnt niemand, daß sie in eine Richtungläuft, in der in Kürze Öl gefunden wird. 1898 bietet Abdul Hamid II.Kaiser Wilhelm II. an, daß deutsche Firmen die Bahn von Konya über Bagdad bis Basra und an den Persischen Golf ausbauen. Als 1903 jedochder Bau der Bagdadbahn beginnt, sitzen die Briten schon zwei Jahre mitMilitär und Ölfachleuten in Kuwait, nur 100 Kilometer südlich von Basra,wohin die deutsche Bahn nach Fertigstellung führen soll.

Die Finanzierung der Bagdad-Bahn

Die deutsche Reichsregierung sieht bereits sehr früh, daß das Bagdadbahn-Projekt ohne die Billigung der Regierungen in London und Paris zuSchwierigkeiten führen wird. Die Deutsche Bank weiß außerdem, daß dieBahn ohne englische und französische Kapitalbeteiligung so gut wie nichtzu finanzieren ist. So reist Kaiser Wilhelm II. schon 1899 zu seiner Großmutter Queen Victoria nach London, um sie zu bitten, daß sichLondons Banken am Bau der Bahn beteiligen. Auch die Deutsche Bank versucht, Kapital in Paris und London aufzutreiben. Es gibt jedoch inFrankreich nur ein geringes und in England gar kein Echo. Der englischePremierminister Lord Balfour sagt zwar zunächst die britische Beteiligungzu, doch er muß sie später widerrufen, weil das Unterhaus und EnglandsPresse den Bau der Bahn aufs Schärfste kritisieren. So bleiben dieMitfinanzierungen aus London und Paris gering. Statt dessen gibt es 1903in Englands Presse eine äußerst heftige Kampagne gegen das deutsch-osmanische Projekt, die Bahn nach Bagdad, die letztendlich bis zum Golf von Persien führen soll.

Erdölkonzessionen entlang der Bagdadbahn

Die Trasse der Bagdadbahn führt über die Stadt Mossul, um die herumman um die Jahrhundertwende reichlich Öl entdeckt. 1912 überschreibt dietürkische Regierung der Deutschen Bank die Konzessionen für alle Erdöl-und Mineralvorkommen 20 Kilometer beiderseits der Bahn bis Mossul als

Kompensation für ihre Kosten beim Bau der Eisenbahn. So eröffnet sichfür Deutschland mit der Bagdadbahn nicht nur die Erschließung eines

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neuen Marktes, sondern auch die Aussicht auf ein reiches Erdölfeld zur eigenen Verfügung, was für seine industrielle und wirtschaftlicheEntwicklung ausgesprochen wichtig ist.

Deutsch-englische Rivalität im ZweistromlandDeutschland ist im Begriff, sich mit der neuen Eisenbahn nach Bagdad undin die anatolische Türkei auch den Irak als Wirtschaftsraum zu öffnen. DasMittel dazu, die alten Karawanen-routen zu modernen undleistungsfähigen Transportwegen auszubauen, bindet den Nahen Osten anEuropa an. Was hier so positiv erscheint, hat jedoch zwei negative Seiten.Zum einen entwertet Deutschland damit Großbritanniens alten Seeweg inden Golf von Persien und das Transportmonopol, das England und die Niederlande bislang mit ihren Handelsflotten dorthin innehaben. Zumzweiten würde die Bahn, wenn sie bis Basra und an den Schat el Arabfertig würde, den Deutschen einen Festpunkt an Englands Seeweg vomMutterland nach Indien bieten. Damit würde sich das Deutsche Reich demLebensnerv des kolonialen Weltreichs Großbritanniens nähern.

Daß dies in England Argwohn weckt, kann man in einer als Buch ( „TheSerbs“ ) veröffentlichten Vortragsreihe des englischen HistorikersProfessor Laffan lesen, mit der dieser im Jahre 1917 die Offiziere desBritischen Beratercorps in Serbien über den strategischen Hintergrundihrer Mission auf dem Balkan im Ersten Weltkrieg unterrichtet. Laffansagt und schreibt:

„Deutschlands ... Grundidee war, ein eine Kette von verbündeten Staatenunter deutscher Vorherrschaft zu errichten, die sich von der Nordsee biszum Golf von Persien erstreckt... Würde die Bahn Berlin-Bagdadfertiggestellt, wäre eine riesige Landmasse unter deutscher Herrschaftvereinigt worden, in der jeder erdenkliche wirtschaftliche Reichtumhergestellt werden könnte, die aber für eine Seemacht unangreifbar wäre. ... Die deutsche und die türkische Armee könnten leicht auf Schussweite an unsere Interessen in Ägypten herankommen und vom persischen Golf aus würde unser indisches Empire bedroht.“ ...: „EinBlick auf die Weltkarte zeigt, aus welchen Gliedern sich die Kette der Staaten zusammensetzt, die zwischen Berlin und Bagdad liegen: das

Deutsche Reich, Österreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei. Nur einkleiner Gebietsstreifen verhindete, daß die beiden Enden der Kette

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miteinander verbunden werden konnten. Dieser kleine Streifen ist Serbien.Serbien war in der Tat die erste Verteidigungslinie für unsere Besitzungenim Osten. ...“

So zieht sich ein roter Faden von der Bagdadbahn zum Ersten Weltkrieg.

Das Attentat von Sarajewo 1914 und die politischen Folgen

Der Reihe der Daten der langen und komplizierten Kettenreaktion vomMord in Sarajewo bis zum Kriegsausbruch sei diese Kurzversionvorausgeschickt, um eine Übersicht zu geben.

Als 1914 ein bosnisch-serbischer Attentäter im bosnisch-österreichischenSarajewo den Habsburger Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinandermordet, spitzt sich die Lage zwischen Habsburg und Serbienunversehens zu. Das Deutsche Reich stellt sich sofort in Bündnistreuehinter Habsburg. Die Regierung in Wien mißbraucht dies alsBlankoscheck und überzieht ihre Drohungen und Ultimaten an dassouveräne Serbien, zu dessen „Nutzen“ das Attentat begangen worden ist.Serbien holt sich Rückendeckung bei seiner Schutzmacht Rußland. Diewiederum versichert sich der Bündnistreue Frankreichs. Und das kannvereinbarungsgemäß auf die Hilfe Englands zählen. So stehen sich kurznach dem Mord von Sarajewo Serbien, Rußland, Frankreich und Englandauf der einen Seite und Österreich-Ungarn und Deutschland auf der anderen Seite gegenüber. In dieser zugespitzten Lage schickt Österreich-Ungarn den Serben eine Kriegserklärung. Dem folgenKriegsvorbereitungen in Frankreich und in Rußland. Als beide Staaten ihreTruppen mobilmachen und England das gleiche mit der Flotte tut, kommtdas Deutsche Reich in Zugzwang, mobilisiert später aber schneller undgreift als erstes Frankreich an. Dabei läßt die deutsche Heeresleitung einenTeil der Truppen durch das neutrale Belgien aufmarschieren. Daraufhinerklärt England dem Deutschen Reich den Krieg. Dem folgen

Kriegserklärungen Englands, Frankreichs und Rußlands an die Türkei. Alsnächstes klinkt sich Japan ein, das dem Deutschen Reich den Krieg erklärt,

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um dadurch Deutschlands Kolonien im Pazifik zu erwerben. Und Italien -zunächst im Bund mit Deutschland und Österreich-Ungarn - wechselt1915 auf die andere Seite, erklärt seinen Bündnispartnern ebenfalls denKrieg, um seine Grenzen von Süden her bis zum Kamm der Alpen

vorzuschieben. So bleibt die Konstellation bis zum Kriegseintritt der USAim Jahre 1917. Es kämpfen Österreich-Ungarn, Deutschland und dieTürkei gegen Großbritannien, Frankreich, Rußland, Japan und Italien. DieBalkanländer schlagen sich teils auf die eine und teils auf die andere Seite.

 

Die Kettenreaktion vom Juli 1914

28.06.1914 Ermordung des Habsburger Thronfolgers Erzherzog FranzFerdinand in Sarajewo.

 

Danach: Die politischen und militärischen Spitzen des Deutschen Reichs,der Kaiser, der Reichskanzler, der Außenminister, der Generalstabschef und der Chef der Marineleitung treten ihren Sommerurlaub an, weil sienichts Schlimmes vorhersehen. Die Presse wird gebeten, nichts über Kriegsgefahr zu schreiben.

 

23.07.1914

Habsburger Regierung stellt serbischer Regierung ein 48-Stunden-Ultimatum, jede antiösterreichische Hetzpropaganda in Serbien zuunterbinden, österreichische Organe bei der Terrorbekämpfung in Serbienzuzulassen und österreichische Beamte zu den gerichtlichernUntersuchungen des Sarajewo-Mordes hinzuzuziehen. Die letzten beidenForderungen gehen der serbischen Regierung zu weit.

 

15.-25.07.

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Englische Seekriegsleitung ordnet Mobilmachungsübung für die Flotte an. Nach Übungsende wird nicht demobilisiert, sondern die Flotte inKriegsbereitschaft gehalten. Die Briten haben damit 14 Tage Vorsprungvor der deutschen Mobilmachung.

 

20.-23.07.

Französischer Staatspräsident Poincaré und sein Ministerpräsident Vivianiin Sankt Petersburg. Sie bekräftigen den Französisch-RussischenZweibund von 1894 gegen Deutschland und sichern den Russen ihreBündnistreue für den Fall des Krieges zu. So steht dem LeichtsinnWilhelms II. mit seiner Bündnistreueerklärung an Habsburg der gleicheLeichtsinn Poincarés mit solch einer Zusicherung an Rußland gegenüber.

 

25.07.1914

Russische Regierung beschließt, Serbien zu unterstützen. Sie gibt der serbischen Regierung ein Hilfsversprechen. Die lehnt daraufhin dasWiener Ultimatum mit einer teils abweisenden und teilsentgegenkommenden Note ab und macht die serbische Armee mobil. Demfolgt noch am gleichen Abend die Teilmobilmachung der österreich-ungarischen Streitkräfte gegen Serbien.

 

25.07.1914

Kaiser Wilhelm II. liest den Text der serbischen Antwort vom 25. Juli1914 Er urteilt: „... Damit fällt jeder Kriegsgrund fort. ... Daraufhin hätteich niemals Mobilmachung befohlen“

 

26.-31.07.

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Deutschland und England versuchen mehrfach zu vermitteln. Londonschlägt eine Balkankonferenz vor.

 

27.07.1914

Kaiser Wilhelm II. bemüht sich vergeblich, die Höfe in Petersburg undWien zu bewegen einzulenken. Wien erklärt daraufhin lediglich, daß es beidiesem Streit mit Belgrad nicht die Absicht hege, serbisches Territoriumzu erwerben.

 

28.07.1914

Habsburg erklärt trotz aller deutschen und englischen Bemühungen denKrieg an Serbien. Jetzt handelt auch der Hof in Petersburg. (siehe 29.07.)

 

 Nacht 28. auf 29. 07.

Der deutsche Reichskanzler von Bethmann Hollweg versucht EnglandsAbsicht für den Fall auszuloten, daß sich der Balkankonflikt auf Frankreich und Deutschland ausweiten sollte. Von Bethmann Hollweg bestellt den englischen Botschafter in Berlin, Sir Goschen, zu sich underklärt ihm, daß Deutschland mit England Frieden halten wolle und imFalle einer Ausweitung des Krieges auf Frankreich keineGebietserwerbungen auf französische Kosten beabsichtige. Von BethmannHollweg deutet an, daß Deutschland je nach Frankreichs Verhaltengezwungen sein könnte, Belgiens Neutralität für eine begrenzte Dauer zuverletzen. Auf die Frage nach Englands Haltung und Absicht antwortetBotschafter Sir Goschen, daß sich seine Regierung zu diesem Zeitpunktnoch nicht festlegen wolle.

 

29.07. und danach:

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Der britische Außenminister Sir Grey beginnt ein Doppelspiel. Er informiert nacheinander den deutschen und den französischen Botschafter in London über Englands Haltung. Dem deutschen, Fürst Lichnowsky, teilt

er mit, daß sein Land gedenkt, nur neutral zu bleiben, solange sich der Krieg auf Rußland und Österreich beschränkt. Wenn aber Deutschland undFrankreich in diesen Krieg hineingezogen würden, könne England nichtmehr lange abseits stehen. Den Franzosen, Botschafter Cambon, läßt er verklausuliert das gleiche wissen, so daß die französische Regierung mitEnglands Waffenhilfe rechnen kann. Grey gibt Frankreich auf diese Weisediskret englisch zu verstehen, daß es im Streit der Russen, Österreicher und Serben freie Fahrt zum Krieg mit Deutschland hat. Es kann sich - dasdrückt Grey so aus - getrost in einen Krieg „hineinziehen“ lassen.

 

29.07.1914

Rußland mobilisiert 13 Armeekorps an den Grenzen zu Österreich-Ungarn. Am gleichen Tag bittet die Regierung in London die in Berlin,noch einmal in Wien zu intervenieren. Das britische Außenministeriumteilt dabei aber bereits mit, daß England nur so lange neutral zu bleibengedenke, wie Frankreich nicht am Krieg beteiligt sei. Das ist die erste leiseDrohung an die Adresse Deutschlands, denn mit Österreich kannGroßbritannien schließlich keinen Seekrieg führen. England steht „Gewehr  bei Fuß“ gegen Deutschland, das verrät dieser frühe Hinweis auf dieBereitschaft, an der Seite Frankreichs Krieg zu führen. Das ist seit der Marokkokrise von 1911 die zweite Drohung in drei Jahren.

30.07.1914

Rußland macht generalmobil. Deutschland steht damit infolge desVertrags mit Österreich-Ungarn automatisch gegen Rußland. Frankreichhat einen Vertrag mit Rußland und steht damit gegen Deutschland.

 

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30.07.1914

General von Moltke, Chef des deutschen Generalstabs, sieht diemilitärische Gefahr, die aus dieser Krise für das Deutsche Reich

erwachsen kann. Er drängt seinen österreichischen Kameraden, Generalvon Hötzendorf, die Allgemeine Mobilmachung der Truppen Österreich-Ungarns zu beschleunigen. Am gleichen Tag rät Kanzler BethmannHollweg dem österreichischen Außenminister Graf Berchtold dringend,vom Krieg mit Serbien abzulassen. Das sind zwei gegenläufige Impulse.Auch an diesem Tag versucht Kaiser Wilhelm II. ein weiteres Mal, seinenangeheirateten „Vetter“ Zar Nikolaj II. vom Kriege abzubringen. Er bittetihn eindringlich, die Teilmobilmachung vom Vortag zurückzunehmen. Der Zar lenkt zunächst ein, fügt sich dann doch dem Druck seinesAußenministers und der Kriegspartei im eigenen Lande. Nun machtRußland total mobil, das heißt, auch gegenüber Deutschland.

31.07.1914

Kaiser Wilhelm II. fordert die russische Regierung mit einem Ultimatumauf, die Mobilmachungsbefehle binnen zwölf Stunden zurückzuziehen,anderenfalls sei der Kriegszustand zwischen Deutschland und Rußlandunvermeidlich. Die russische Regierung geht darauf nicht mehr ein. Sie hatden Angriff ihrer Truppen gegen Deutschland offensichtlich bereitsangeordnet. Mit dieser so plötzlich eingetretenen Entwicklung stehtDeutschland unversehens vor der Gefahr, zwischen zwei Fronten zugeraten. Die zwei großen Nachbarn im Osten und im Westen sind seit1894 vertraglich gegen das Deutsche Reich verbunden. Ein Krieg nachzwei Seiten ist für Deutschland eine existentielle Bedrohung, zumal daDeutschland zu der Zeit noch immer nicht mobilgemacht hat.

 

31.07.1914

Berlin fragt deshalb in Paris an, wie Frankreich gedächte, sich in einer 

russisch-deutschen Auseinandersetzung zu verhalten. Paris hält Berlin hinund antwortet vieldeutig: „Man werde nach den französischen Interessen

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entsprechend handeln“. Das kann Frieden heißen oder Krieg um Elsaß-Lothringen.

 

31.07.1914

In London weiß man, daß Deutschland nun in der Klemme steckt und zur eigenen Rettung höchstwahrscheinlich Belgiens Neutralität verletzen muß.Das ist Englands Eintrittskarte in den Krieg. Die britische Regierungfordert die deutsche und die französische auf, Belgiens Neutralität zuachten. Frankreich sichert das den Briten sofort zu; es plant ja, den Kriegam Oberrhein zu eröffnen. Deutschland fragt zurück, ob Englandseinerseits Neutralität und Frieden gegenüber Deutschland wahren werde,wenn es auf den Durchmarsch durch belgisches Gebiet verzichten würde. Nun hätte es England in der Hand gehabt, die Belgier vor dem deutschenDurchmarsch zu bewahren. Doch London, das seine Kriegserklärung anBerlin drei Tage später mit der deutschen Verletzung der belgischen Neutralität begründet, ist nicht bereit, dem Krieg, der sich zusammenbraut,zugunsten Belgiens fernzubleiben. London sagt auf diesem Höhepunkt der Krise weder Neutralität noch Frieden zu.

 

01.08.1914

Um 19 Uhr, nach Ablauf des deutschen Ultimatums an die Russen,überreicht der deutsche Botschafter in Sankt Petersburg die deutscheKriegserklärung, und fast gleichzeitig überschreiten die ersten russischenKavallerieverbände die deutsche Grenze in Ostpreußen. Die Entfernungzwischen Petersburg und der deutsch- russischen Grenze und der Dienstweg zwischen dem Hof des Zaren und den russischenSchwadronschefs in ihren Aufmarschräumen an der Grenze sind - vor allem damals - viel zu weit, als daß ein Angriffsbefehl binnen einer oder auch nur weniger Stunden von da nach dort hätte durchgegeben werdenkönnen. Der Befehl zum Angriff und damit zur Kriegseröffnung gegen dasnoch immer abwartende Deutschland ist in Sankt Petersburg ohne jeden

Zweifel schon vor der deutschen Kriegserklärung erlassen worden.

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01.08.1914

Die französische Regierung ordnet die Mobilmachung der Streitkräfte an.Deutschland hängt nun schon vier Tage hinter der Teilmobilmachung unddrei Tage hinter der Generalmobilmachung in Rußland her und 17 Tagehinter der inoffiziellen Mobilmachung der englischen Flotte. Die Tage, indenen der Kaiser und die Reichsregierung versucht haben, zwischenHabsburg und Rußland zu vermitteln, fehlen nun für die eigenenVorbereitungen auf einen Krieg.. Nach Eingang der schlechten Nachrichtaus Paris versucht Berlin, das aufzuholen.

 

Daß die Befürchtungen des deutschen Generalstabs nicht aus der Luftgegriffen sind, zeigt sich zu Kriegsbeginn, als sich erweist, daßFrankreichs Truppen nicht nur zur Verteidigung des eigenen Landesaufmarschieren, sondern von Anfang an auch für einen Angriff gegenDeutschland mit einer Offensive in Richtung auf den Oberrhein. DaFrankreich ab dem 1. August mobil macht, die Vorbereitungen zum Kriegtrifft, offensichtlich darauf wartet, daß die deutschen Truppen in RichtungRußland abmarschieren und sich weigert, seine Neutralität zu erklären,muß man in Deutschland damit rechnen, daß Frankreich losschlägt, sobaldsich Rußland regt. So ist der strategisch schlimmste Fall für Deutschlandeingetreten.

02.08.1914

Die deutsche Regierung fragt die belgische ultimativ um die Erlaubnis,Truppen durch belgisches Gebiet nach Nordfrankreich marschieren lassenzu dürfen. Berlin garantiert dabei die Unversehrtheit des belgischenGebiets und sagt zu, dem Staat Belgien alle Durchmarschkosten zu bezahlen und etwaige Schäden zu ersetzen. Die belgische Regierung lehntdas ab. Inzwischen sind die Würfel in London längst gefallen. An diesem

2. August, noch ehe deutsche Truppen belgisches Gebiet betreten, gibtEngland die Mobilmachung seiner schon seit Mitte Juli kriegsbereiten

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Flotte offiziell bekannt. Am gleichen Tag teilt der englischeAußenminister Grey der französischen Regierung mit, daß die britischeFlotte der französischen zu Hilfe kommen werde, falls die deutsche mitfeindlichen Handlungen gegen die französische beginnen werde.

Außerdem hatte England den Franzosen bereits1911 sechsHeeresdivisionen für den Fall des Krieges heimlich zugesagt. So istGroßbritannien am 2. August schon kriegsbereit und festgelegt.Wahrheitswidrig stellt sich Minister Grey am Tag danach, dem 3.8., vor das Unterhaus in London und erklärt den offensichtlich ahnungslosenAbgeordneten, England habe sich in Bezug auf den in Europa beginnendenKrieg bisher in keiner Weise festgelegt.

Die Nutzung belgischen Gebiets für einen eigenen Aufmarsch in einem befürchteten Krieg mit Frankreich oder sogar mit Frankreich und Englandist auf deutscher Seite seit langem gedanklich in alleVerteidigungsvorbereitungen einbezogen worden. Der Große Generalstabgeht von der Annahme aus, daß sich auch Engländer und Franzosen ineinem Krieg nicht scheuen werden, gegen Deutschland durch Belgien,Luxemburg und Holland aufzumarschieren. (England hat 1906 versucht,Belgien aus seiner Neutralität zu lösen und in seine Kriegsvorbereitungengegen Deutschland einzubeziehen.) So ist die komplizierteAufmarschplanung der deutschen Heerestruppen für den Kriegsfall unter Einbeziehung des belgischen Eisenbahnnetzes vorgenommen worden.Dies vor allem deshalb, weil man sich deutscherseits die größtenErfolgschancen gegen das französische Heer durch eine Nordumfassungentlang der Kanalküste ausgerechnet hat. Und der Weg nach Nordfrankreich führt nun einmal durch Belgien. Dieser Aufmarschplan desGroßen Generalstabs ist zwar außenpolitisch töricht und ihn dann auchnoch gegen den Willen der belgischen Regierung durchzusetzen, ist einVölkerrechtsverstoß. Doch militärisch verspricht der Plan Erfolg zumSchutz des eigenen Landes, vor allem, wenn Deutschland zur gleichen Zeitnach zwei Seiten um seine Existenz kämpfen muß.

 

03.08.1914

Berlin erklärt Paris den Krieg. Deutscher Angriffsbeginn.

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03.08.1914

Als deutsche Truppen am 3. August beginnen, durch Belgien gegenFrankreich vorzugehen, stellt London Berlin ein Ultimatum und verlangt,die Truppen unverzüglich aus Belgien zurückzuziehen. Deutschland kannauf den Durchmarsch durch das neutrale Land jetzt nicht mehr verzichtenund setzt den Aufmarsch fort.

Dem folgt am Tag darauf:

14.08.1914

Englands Kriegserklärung an das Deutschland.

 

04.08.1914

Der deutsche Reichskanzler von Bethmann Hollweg drückt die Skrupelder deutschen Reichsregierung , Belgiens Neutralität zu verletzen, vor demReichstag mit den Worten aus:

„So waren wir gezwungen, uns über den berechtigten Protest der luxemburgischen und der belgischen Regierung hinwegzusetzen. DasUnrecht - ich spreche offen - das Unrecht, das wir damit tun, werden wir wieder gutzumachen suchen, sobald unser militärisches Ziel erreicht ist.Wer so bedroht ist wie wir und um sein Höchstes kämpft, der darf nur daran denken, wie er sich durchhaut“ .

Der Versailler Vertrag und seine Folgen 1920

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Die Vorgeschichte

Das deutsche Drama nach dem Ersten Weltkrieg beginnt damit, daß US-Prädident Wilson der deutschen Seite noch im Kriege einen

Friedensschluß anbietet, den die Sieger später ignorieren. WilsonsFriedensangebot – die sogenannten 14 Punkte - enden mit den Sätzen:

„Wir sind nicht eifersüchtig auf die deutsche Größe und es ist nichts indiesem Angebot, das sie verringert. ... Wir wünschen nicht, Deutschlandzu verletzen oder in irgendeiner Weise seinen berechtigten Einfluß oder seine Macht zu hemmen. ... Wir wünschen nur, daß Deutschland einenPlatz der Gleichberechtigung unter den Völkern einnimmt, statt einesPlatzes der Vorherrschaft.“

Dem US-Angebot folgen je fünf Noten von amerikanischer und vondeutscher Seite, in denen man sich gegenseitig versichert, daß man sich andie 14 Punkte halten wolle. Die einzige Abtrennung deutsch besiedeltenGebietes, die schon dort vereinbart wird, ist die Abtretung Elsass-Lothringens an Frankreich. Mit der Zusicherung „Wir wünschen nur, daßDeutschland einen Platz der Gleichberechtigung unter den Völkerneinnimmt.“ legt Deutschland seine Waffen nieder und beginnt, dieTruppen aufzul&;ouml;sen.

 

Die Konferenz

Es kommt zum Waffenstillstand und der Konferenz von Versailles, die infataler Weise Geschichte schreiben wird. Die Konferenz leitet nun nichtmehr Woodrow Wilson, dessen 14-Punkte-Vorschlag die deutsche undösterreichisch-ungarische Seite verleitet hatte, ihre Truppen von denFronten abzuziehen und in der Heimat aufzulösen. Die Konferenz leitetder französische Ministerpräsident Georges Clemenceau. Clemenceauerkennt die 14 –Wilson-Punkte in den Teilen, die Deutschlands Nachkriegsrechte sichern sollten, nicht mehr an, und er lässt die deutscheKonferenzdelegation auch nicht zu den Verhandlungen zu. So verhandelnBriten, Franzosen, Amerikaner, Belgier, Polen und weitere 22

Siegerstaaten geschlossen unter sich. Sie beschließen die Abtrennungdeutscher Gebiete und die Geld- und Sachreparationen, die Deutschland an

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sie abtreten, zahlen oder leisten soll. Sie legen die nach Versaillesgenannte Nachkriegsordnung für Europa zu den alleinigen Lasten der Besiegten fest.

Am 7. Mai 1919 werden die von den 27 Siegerstaaten festgelegtenBedingungen erstmals der deutschen Delegation eröffnet. Clemenceauüberreicht sie mit den Worten: „Die Stunde der Abrechnung ist da.“ DieBitte der deutschen Delegation, den „Vertrag“, den sie nun unterschreibensoll, vorher zu verhandeln, wird abgelehnt. Um dem Ausmaß ihrer Forderungen den Anschein von Berechtigung zu geben, versteigen sich dieSieger dazu, Deutschland und seinen Kriegsverbündeten die Alleinschuldam Ersten Weltkriegs zuzuschreiben. Der Vertrag verlangt vonDeutschland eine große Zahl von Land- und Bevölkerungsabtretungen: daszu 88% deutschsprachige Elsaß-Lothringen an Frankreich, die ProvinzenPosen, fast das ganze, zu 70% deutschsprachige Westpreußen und dasoberschlesische Industriegebiet an Polen, das Memelgebiet an denVölkerbund, das Hultschiner Ländchen an die Tschechoslowakei, Nordschleswig an Dänemark, das Gebiet um die zwei Städte Eupen undMalmedy an Belgien und Danzig mit dem Umland als Freistaat unter dieHoheit des Völkerbunds. Der Vertrag stellt das Saargebiet für 15 Jahreunter Frankreichs Herrschaft. Er verbietet außerdem den Anschluß Rest-Österreichs an Deutschland, den die neue Wiener Nationalversammlunggleich nach dem Krieg gefordert hatte. Mehr als die Landverlusteschmerzen die erzwungenen Bevölkerungsabtretungen. Die Ausgliederungvon 7 Millionen Menschen aus dem Deutschen Reich und die Grenzenneuer Staaten trennen Millionen von Familien auf unbestimmte Dauer. Mitdem Vertrag verliert Deutschland seine Kolonien, zumeist an England. DieStreitkräfte werden auf 100.000 Mann im Heer und 15.000 in der Marinereduziert. Das Deutsche Reich muß den größten Teil der Handelsflotte undder Goldreserven an die Sieger übergeben, dazu einen Großteil seiner  jährlichen Eisenerz- und Kohleförderung, Unmengen von Nutzvieh undLandwirtschafts-maschinen, 150.000 Eisenbahnwaggons und viele tausendLokomotiven und Lastkraftwagen. Das gesamte privateAuslandsvermögen und unzählige Industriepatente werden konfisziert. DieGeldzahlungen sind exorbitant und über 70 Jahre zu bezahlen.Deutschland wird sie, wie sich später zeigen wird, nie in voller Höhezahlen können.

 

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Die Folgen

Die unmittelbarste Folge sind die Ausweisung oder Flucht von über einer 

Million Deutscher aus ihrer Heimat in das deutsche Kernland, das zu der Zeit weder Arbeitsplätze noch Wohnraum noch soziale Hilfe für dieVertriebenen im nötigen Maße bieten kann. Dazu kommen über 20 Jahrelang für viele Millionen Deutsche, die sich entschlossen hatten, in ihrer angestammten Heimat zu verbleiben, eine Mischung von unfreundlicher Duldung, Diskriminierung, Entrechtung und Verfolgung in den Staaten,denen sie nun ungefragt und ungebeten angehören müssen. Die kurze Zeit bis 1939 läßt kein Vergessen der selbst erlebten Schicksalsschläge zu. Alsab 1934 die wirtschaftliche Lage Deutschlands wieder deutlich besser wird, und die Vertriebenen in ihrer Mehrzahl wieder Arbeit, Lohn undWohnraum finden, und als zwischen 1935 und ´38 erst des Saargebiet,dann die Sudetenlande und dann das Memelgebiet und damit über 3Millionen Deutsche „heim ins Reich“ kehren, wollen vor allem diesegerade von der Fremdherrschaft erlösten Menschen sicher nicht schon1939 wieder eine nächsteNiederlage gegen ihre Fremdherrschaft vongestern. Für sie - wie für die Mehrheit aller Deutschen - ist der neueKriegsanlaß von 1939 - Danzig, die Verkehrswege ins abgetrennteOstpreußen und die Garantie der Menschenrechte für die in Polenlebenden Volksdeutschen - nur die konsequente Fortsetzung einer Außenpolitik, die ihnen gerade selbst die Befreiung von einer Fremdherrschaft beschert hat.

Der Erste Weltkrieg ist für fast alle kämpfenden Parteien auch einfinanzieller Opfergang gewesen. Die Deutschen hatten ihreKriegsausgaben mit Steuern und mit Staatsanleihen selber finanziert.Briten und Franzosen hatten sich die nötigen Gelder größtenteils beiBanken in Amerika geliehen. Die Kriegskosten der USA dagegen warendurch den späten Eintritt in den Krieg relativ gering geblieben. Soversuchen die Regierungen Englands und Frankreichs, ihre Kriegsschuldenund Kriegslasten nach 1919 aus dem besiegten Deutschland einzutreiben.

Deutschland werden demzufolge nicht nur Kolonien, Auslandsvermögen,Patente und Industrieanlagen von immensen Werten abgenommen,

sondern die neue deutsche Republik soll neben Sachleistungen wie Kohle,Holz, Vieh und anderem auch in „barem“ Geld bezahlen.

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Reparationen in Geld, Gold und Devisen

Als erstes muß Deutschland 1919 zur Sicherung der noch nichtfestgelegten Reparationen bei ausländischen Banken eineSchuldverschreibung über 100 Milliarden Goldmark unterschreiben unddafür ab der Unterzeichnung 5% Zinsen - das sind 5 Milliarden Goldmark  jährlich - zahlen. Um die Größenordnung zu verstehen, sei erwähnt, daßFrankreich 1871 nach einem Kriege, den es selbst verursacht, erklärt unddann verloren hatte, mit einer Gesamtreparation von ca. 5 MilliardenGoldfranken ( gleich ca. 4 Mrd. Goldmark ) davongekommen war. Diealliierten Sieger verlangen 1919 statt dessen einen Beitrag in fast der gleichen Höhe, aber einmal jährlich, und das ohne Tilgungsanteil.

Im Januar 1921 legen die Siegermächte dann die Gesamthöhe der Reparationen Deutschlands für die nächsten 42 Jahre fest: ca. 331Milliarden Goldmark. Auch hier zwei Zahlen zum Vergleich. Die KostenDeutschlands für den gesamten Ersten Weltkrieg hatten nur halb soviel betragen ( 163 Mrd. ). Und das besiegte Russland hatte 1918 im Friedenvon Brest-Litowsk überhaupt keine Reparationen an die Sieger Deutschland und Österreich-Ungarn zahlen müssen. Man sieht imAusland schon damals, wie völlig maßlos die eigenen Forderungen inVersailles sind. Dazu drei Siegerstimmen: Der damalige italienischeMinisterpräsident Nitti: „Noch niemals ist ein ernstlicher und dauerhafter Friede auf die Ausplünderung, die Quälerei und den Ruin eines besiegtenVolkes gegründet worden.“ Der amerikanische Außenamts-Staatssekretär Lansing noch während der Versailler Sitzungen: „DieFriedensbedingungen erscheinen unsagbar hart und demütigend, währendviele von ihnen mir unerfüllbar erscheinen.“ Und Churchill in seinenErinnerungen: „Die wirtschaftlichen Bestimmungen des Vertrages warenso bösartig und töricht, daß sie offensichtlich jede Wirkung verloren.Deutschland wurde dazu verurteilt, unsinnig hohe Reparationen zuleisten.“ Doch die rechtzeitigen und auch die späteren Einsichten führtnicht dazu, dem besiegten Deutschland eine Brücke zu bauen.

Die junge deutsche Republik hat außer den Reparationen auch noch dieeigenen Kriegsanleihen abzutragen, die Unterstützung für die Kriegsopfer 

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aufzubringen, die Entschädigungen für die in Elsaß-Lothringen verlorenenSachwerte zu leisten und obendrein den Siegern die Besatzungskosten zu bezahlen. So kommt es, daß das Deutsche Reich schon die zweiteMonatsrate nicht mehr voll bezahlen kann. Die Sieger besetzen daraufhin

zum ersten Mal als Straf- und Repressionsmaßnahme einen Teil desRuhrgebiets, die Städte Duisburg, Düsseldorf und Ruhrort.

Im Mai 1921 legen die Siegermächte dann einen „endgültigenReparationsplan“ fest, der allerdings nicht lange ( end- ) gültig bleibt. Dieneue Schuld beträgt noch 132 Milliarden Goldmark plus einer 26%-Abgabe auf alle deutschen Exporte, was jährlich noch einmal bei 2 bis 3Milliarden liegt. Auch 1922 kann die Weimarer Republik die Schuldennicht bezahlen. Als gegen Ende ´22 noch 1,6% der Jahresrate fehlen,marschieren belgische und französische Truppen ein zweites Mal insRuhrgebiet und besetzen Oberhausen und Essen. Die ReichsregierungCuno ruft daraufhin zum „Passiven Widerstand“ gegen dieBesatzungstruppen auf, was zur Erschießung von 14 deutschen Arbeiternund der Vertreibung von 80.000 Männern aus dem Ruhrgebiet führt, diedamit Heim, Arbeitsplatz und Lohn verlieren. Frankreich unterbindetaußerdem die Lieferung von Kohle von der Ruhr ins nicht besetzteDeutschland. Da die Weimarer Republik schon die Kohlereviere Saar andie Franzosen und Oberschlesien an die Polen hatte übergeben müssen, bricht mit dem Kohle-Embargo an der Ruhr die Energieversorgung imganzen Deutschen Reich zusammen. Dem folgen der Kollaps der deutschen Industrieproduktion und kurz darauf auch der Zusammenbruchder Reichsmark-Währung. Es kommt zur Inflation, bis 4 MilliardenReichsmark nur noch den Wert von einem Dollar haben. Es kommt zuhoher Arbeitslosigkeit und zur Verelendung eines großen Teiles der Bevölkerung in Deutschland.

1924 folgt der nächste Zahlungsplan der Sieger, der DAWES-Plan, der wieder keine Obergrenzen für die deutschen Zahlungspflichten nennt, aber geringere Jahresraten ansetzt. Deutschland - nach wie vor nichtzahlungsfähig - leiht sich das verlangte Geld bei US-Banken und zahltseine Reparationen nun fünf Jahre lang mit immer neuen Schulden. 1930wird der DAWES-Plan vom YOUNG-Plan abgelöst, der die „endgültige“Höhe der Reparationen festlegt und die Zahlungsdauer 1988 enden läßt.

Auch die YOUNG-Raten muß sich die Weimarer Republik bei Banken inden USA besorgen. Die Reste der DAWES- und der YOUNG-Anleihen

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zahlt die Bundesrepublik Deutschland noch bis zum Jahr 2010 bei Bankenin den USA ab.

1930 beginnt die Weltwirtschaftskrise in Nordamerika. Die US-Banken -

nun selbst in Schwierigkeiten - verlangen von den deutschen Schuldner-Banken, alle kurzfristigen Kredite der letzten Jahre sofort zurückzuzahlen,worauf im Sommer 1931 fast alle deutschen Banken Konkurs anmeldenmüssen. Es folgt die Zeit der Depression in Deutschland, die Zeit der 6Millionen Arbeitslosen und der Versuch der Reichsregierung Brüning, dieWeimarer Republik am Parlament vorbei mit Notverordnungenwirtschaftlich zu retten. Dies ist der Tod der Republik von Weimar .

Die Volksabstimmung an der Saar 1935

Der erste Anschluß fällt Hitler sozusagen in den Schoß. Während der Siegerkonferenz in Versailles versichert der französische MinisterpräsidentClemenceau wiederholt , daß die Saarländer französischer Abstammungseien und, soweit doch von deutscher Herkunft, Bürger Frankreichswerden wollten. Trotz des festen Willens der Franzosen findet ihreAbsicht, auch das Saargebiet zu schlucken, in Versailles keine Mehrheit.Die Russen, die ihnen die Saar noch in einem Geheimvertrag von 1917zugesichert hatten, sind bei der Versailler Konferenz nicht mehr beteiligt.Und US-Präsident Wilson sowie der englische Premier Lloyd George sindnicht einverstanden, daß Frankreich das Saarland samt Bevölkerung undBodenschätzen annektiert. Als Kompromiß der drei großen Siegermächtewird das Saargebiet zunächst für 15 Jahre unter die Verwaltung desVölkerbunds gestellt. Dann erst soll nach einer Volksabstimmungentschieden werden, ob es auf Dauer französisch, selbständig oder wieder deutsch wird. Die Einzelheiten dieses Wechsels regelt der Versailler Vertrag, Artikel 49, mit dem "1. Saarstatut".

Das Saarland und das Erste Saarstatut

Eine fünfköpfige, international besetzte "Saarkommission” soll dasSaarland in diesen 15 Jahren im Auftrag des Völkerbunds regieren. Die

Saarkommission steht unter dem Vorsitz eines französischen Präsidenten.Sie entpuppt sich bald als alleinige Vertretung französischer Interessen.

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Das ändert sich auch nicht, als das kanadische und das deutsche Mitgliedder Kommission deshalb aus Protest dies Gremium verlassen. DieVerhältnisse an der Saar verschlimmern sich dadurch nur noch weiter zumSchaden der betroffenen Bevölkerung. Frankreich schaltet und waltet de

facto als neuer Herrscher an der Saar. Die Proteste der angestammtenBevölkerung werden auf Weisung der Franzosen in der Kommission inaller Regel dem dafür zuständigen Völkerbund nicht einmal zugeleitet.Die Regierung in Paris verlegt gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags 5.000 französische Soldaten in das Saargebiet. Die deutscheBeamtenschaft wird zum größten Teil ausgewiesen und durch französischeersetzt. Das gleiche passiert mit den deutschen Firmenleitungen in der Industrie und im Bergbau an der Saar.

Zankapfel Saargebiet

1935 sind die 15 Jahre Saarstatut zu Ende, und Frankreich muß die 1920 inVersailles festge-legte Volksabstimmung dulden. So ist die Tatsache der Volksabstimmung an der Saar kein Verdienst des Kanzlers Hitler. In denMonaten vor der Abstimmung tobt ein heftiger Wahl-kampf an der Saar, bei dem die französische Verwaltung vor Ort den Heimvorteil besitzt, unddas Deutsche Reich dagegen keinen unmittelbaren Zutritt hat. Der Wahlkampf wird von französischer Seite bewußt gegen den Nationalsozialismus und die neuen Mißstände im Dritten Reich geführt.Die Emotionen schlagen dabei hoch, und die Volksabstimmung droht, zuharten Auseinandersetzungen auszuarten. Da schlägt der deutscheRegierungschef Hitler der französischen Regierung vor, die Zukunft der Saar durch eine freundschaftliche Vereinbarung zwischen beidenRegierungen zu regeln und auf die Volksabstimmung zu verzichten SeinVorschlag lautet, das Saargebiet Deutschland wieder anzuschließen unddurch einen Wirtschaftsvertrag zu regeln, daß die französische Industriedie Bodenschätze an der Saar so ausbeuten dürfe wie bisher. Diefranzösische Regierung lehnt den Vorschlag ab. Sie wertet ihn als HitlersEingeständnis der schlechten deutschen Chancen bei der Wahl.

Die Saarabstimmung 1935

Am 13. Januar 1935 wird unter der Aufsicht des Völkerbunds gewählt.

90,8 Prozent der Saarländer votieren für den Anschluß an das DeutscheReich, 8,8 Prozent für die Selbständigkeit der Saar und 0,4 Prozent für den

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Anschluß an Frankreich. Diese Wahl außerhalb des deutschenStaatsgebiets hat ohne jeden Zweifel ohne deutsche Manipulationen undPressionen stattgefunden. Und sie wirkt, dank des Wahlkampfthemas der Franzosen “Nationalsozialismus in Deutschland” statt einer Entscheidung

für Deutschland und gegen Frankreich wie eine breite Zustimmung zumneuen nationalen Sozialismus des deutschen Kanzlers Hitler. So bescherendie Franzosen Hitler einen innenpolitischen Triumph, der stärker nachwirkt als sie ahnen. Für Hitler wird der erste Anschluß nach der  Niederlage von 1918 zugleich ein Plebiszit für die “Bewegung”. Am 1.März 1935 geht die Hoheit über das Saargebiet wieder auf das DeutscheReich über.

( In der gängigen Literatur sind diese Geschehnisse auch unter denStichworten Beitritt des Saargebiets , Rückgabe des Saargebiets ,Anschluss des Saargebiets und Angliederung des Saargebiets zufinden. )

Die Rheinlandbesetzung 1936

Das entmilitarisierte Rheinland

In den 20er Jahren hat Deutschland durch den Versailler Vertrag nicht nur gewaltige Einbußen an Menschen, Land und Industriepotenzialen erfahren.Es hat im „Frieden“ von Versailles vor allem keinen Friedensschlußerreicht. Der Versailler Vertrag hatte Deutschland u. a. auferlegt, dasRheinland mit der Pfalz links des Rheins und eine 50 Kilometer tiefe Zonerechts des Rheins von der Schweiz bis zu den Niederlanden von eigenenTruppen und Befestigungen freizuhalten. Damit stand zukünftigenFriedensbrüchen eine Türe offen.

Der Pakt von Locarno (auch Rheinpakt 1925)

1921 und 1923 nutzen Frankreich und Belgien diese ungeschützte Grenze,um Deutschland für nicht geleistete Reparationen zu “bestrafen” und erstDüsseldorf und Duisburg und dann das ganze Ruhrgebiet mit fünf 

Heeresdivisionen zu besetzen. Dennoch bestätigt die deutscheReichsregierung 1925 im Pakt von Locarno noch einmal diese

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Entmilitarisierung der deutschen Grenzregion in Richtung Frankreich, umsich damit die Mitgliedschaft im Völkerbund und den Abzug der französischen Besatzungstruppen aus der „Kölner Zone” zu erkaufen.Gleichzeitig garantieren sich Frankreich, Deutschland und Belgien

gegenseitig den Verlauf ihrer gemeinsamen Grenzen, und sie vereinbaren,in Zukunft „in keinem Falle zu einem Angriff oder zu einem Einfall oder zum Kriege gegeneinander zu schreiten“.

Der Französisch-Sowjetische Vertrag 1935

Das Ende des Locarnopakts beginnt mit einem französisch-russischenVertrag. 1935 ersetzen Frankreich und die Sowjetunion einenauslaufenden Nichtangriffspakt von 1932 durch einen neuenBeistandspakt. In einem Zusatzprotokoll sagen sich Paris und Moskau ihreWaffenhilfe auch für den Fall zu, daß eines ihrer Länder von einemDrittland angegriffen wird, und - das ist das Besondere – das auch wennder Völkerbund eine solche Waffenhilfe nicht empfiehlt. Damit behaltensich Paris und Moskau vor, bei einem Streit mit dritten Staaten in eigener Machtvollkommenheit zu entscheiden, wer der Aggressor ist. Da dieinzwischen wieder gut aufgerüstete Sowjetunion nicht von den kleinenBaltenstaaten und auch nicht von den militärisch weit unterlegenen Polenoder Rumänen bedroht ist, macht der Pakt nur in einem Krieg mitDeutschland einen Sinn. Frankreich hatte sich jedoch im Locarnopaktverpflichtet, keine militärischen Operationen gegen Deutschland mehr zuführen, es sei denn zur eigenen Verteidigung oder aufgrund früherer Verpflichtungen, die Frankreich gegenüber den Polen und den Tschecheneingegangen war. Ein französisches Versprechen, der Sowjetunion imFalle eines deutsch-sowjetischen Krieges mit Waffenhilfe beizustehen, istalso ein Bruch des Paktes von Locarno. Und in Locarno - und das ist hier von Bedeutung - wird deutscherseits die Entmilitarisierung des Rheinlandszugesagt, die Hitler nun im Gegenzuge kündigt.

Dem französisch-sowjetischen Vertragsschluß am 2. Mai 1935 geht eineMonate dauernde diplomatische Auseinandersetzung zwischen Paris undBerlin voraus, an der auch die Garantiemächte des Locarno-Paktes ihrenAnteil haben. Im April 1935 warnt der britische Außenminister Simon diefranzösische Regierung,

„daß England beunruhigt sein würde, wenn Frankreich einen Vertrag

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unterschriebe, der es eventuell in einen Krieg mit Deutschlandhineinziehen könnte und das unter Bedingungen, die mit dem § 2 desLocarno-Paktes unvereinbar sind.”

Am 25. Mai 1935 übersendet die deutsche Regierung der französischen einMemorandum, in dem sie geltend macht, daß der neue sowjetisch-französische Vertrag Artikel 16 der Völkerbundsatzung verletze und nachdeutscher Auffassung auch den Locarno-Pakt. Am 27. Februar 1936 wirdder Sowjetisch-Französische Beistandspakt ungeachtet dessen von der französischen Nationalversammlung ratifiziert.

Für Hitler ist der Sowjetisch-Französische Vertrag ein Rückschlag in demBemühen, Deutschland nach außen abzusichern. Sein Erfolg von 1934, der  Nichtangriffspakt mit Polen, hatte Frankreichs Ring um Deutschlandaufgebrochen. Nun stopft Paris die Lücke mit einem neuen Waffenbruder.Damit wird für die deutsche Seite dreierlei erkennbar: erstens, daß man inParis den deutschen Garantien von Locarno keinen unbedingten Glaubenschenkt, zweitens daß man in Paris durchaus noch einen weiteren Krieg insAuge faßt und drittens, daß sich die Allianz der potentiellen Gegner Deutschlands an Frankreichs Seite um eine weitere Million Soldatenverstärkt. Für Deutschland ist dies in Erinnerung an das französisch-russische Zusammenspiel von 1914 eine schlechte Perspektive. Beinüchterner Betrachtung zeigt sich, daß Frankreich 1935 seinBündnissystem ein weiteres Mal zu deutschen Lasten ausbaut und daßDeutschlands Grenze zu Frankreich schutzlos offenliegt. Die DrohungFrankreichs während der oberschlesischen Kämpfe von 1921, inDeutschland einzumarschieren, und die ja tatsächlich erfolgten Einmärscheder Belgier und Franzosen vom 8. März 1921 und vom 11. Januar 1923sind in Deutschland schließlich nicht vergessen.

Die französische Verletzung des Locarno-Vertrages durch den Abschlußdes Beistands-abkommens mit der Sowjetunion ist für Hitler Anlaß, sichnun auch nicht mehr an diesen Pakt zu halten und das eine mit demanderen zu begründen. Hitler faßt den politischen Entschluß, das vondeutschen Truppen nicht geschützte Rheinland wieder zu besetzen.

Anfang März 1936 eröffnet der Diktator Hitler den Entschluß dazu den

Spitzen des Auswärtigen Amtes und der Wehrmacht. Von beiden Seitenwird ihm schärfstens abgeraten.

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Die Besetzung des Rheinlands März 1936

Am 7. März 1936 läßt Hitler 19 Wehrmachtsbataillone in die

entmilitarisierte Zone einmarschieren. Um der politischen Provokationnicht noch eine militärische Drohgebärde hinzuzufügen, überschreitenzunächst nur drei der 19 Bataillone den Rhein nach Westen und rücken inSaarbrücken, Trier und Aachen ein. Hitler verletzt mit diesem Handeln dieVerträge von Locarno und Versailles. Doch er schafft damit auch dieVoraussetzung für die Verteidigungsfähigkeit des Deutschen Reichs nachWesten. Hitler begleitet diesen Schritt mit einem neuen Angebot anFrankreich. Er regt an, in Zukunft eine entmilitarisierte Zone auf beidenSeiten der deutsch-französischen Grenze einzurichten, die deutschen unddie französischen Streitkräfte bei gemeinsamen Höchstzahlen zu begrenzen und einen Nichtangriffspakt von 25 Jahren Dauer abzuschließen. Frankreich lehnt das ab und lässt statt dessen Truppen vonSüdfrankreich in Richtung Deutschland vorverlegen.

Am 14. März 1936 tritt der Rat des Völkerbunds zusammen, um über dendeutschen Bruch des Versailler Vertrages zu befinden. Frankreich fordert,Deutschland wegen der Vertrags-verletzung zu verurteilen. Der britischeVertreter erklärt jedoch :

„Es ist offensichtlich, daß der Einmarsch der deutschen Truppen in dasRheinland eine Verletzung des Versailler Friedensvertrages darstellt.Dennoch stellt diese Aktion keine Bedrohung des Friedens dar underfordert keinen unmittelbaren Gegenschlag. Zweifellos schwächt dieWiederbesetzung des Rheinlandes die Macht Frankreichs, aber sieschwächt in keiner Weise seine Sicherheit.“

In der Literatur erscheint dieser Vorgang meist als Remilitarisierung desRheinlands. Dieser Terminus verbirgt, dass es hier letztlich um dieVerteidigungsfähigkeit Deutschlands gegen noch immer möglicheAngriffe aus Frankreich und Belgien ging. Immerhin waren 1921 und1923 französische und belgische Truppen durch diese offene Westgrenzeins Ruhrgebiet und nach Frankfurt am Main marschiert.

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Der Österreich-Anschluß 1938

Die Wiedervereinigung Deutschlands und Österreichs 1938, genannt „der Anschluß“, hat eine sehr lange Vorgeschichte. Die staatliche

Gemeinsamkeit der deutschen Länder einschließlich derer, die später denStaat Österreich bilden, beginnt im Jahr 911 mit der Wahl Konrad I. zumKönig des Ostfrankenreiches, für das sich bald der Name “Reich der Deutschen” und später “Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation”durchsetzt. Im Jahr 1273 geht die Krone dieses Reiches erstmals an einenFürsten aus dem Hause Habsburg über, ehe sie dann ab 1438 inununterbrochener Herrscherfolge bis 1806 dort verbleibt. So sind dieLandesteile des Hauses Habsburg fast ein Jahrtausend lang ein integraler Teil des Deutschen Reichs, und die Fürsten Habsburgs während der letzten368 Jahre zugleich die Könige und Kaiser Deutschlands. Auch nachAuflösung des ersten deutschen Reichs im Jahre 1806, als 1815 der Deutsche Bund gegründet wird, steht diesem bis 1866 wieder der Chef desHauses Habsburg, vor.

Es folgt ein halbes Jahrhundert der österreichisch-deutschen Trennung. Als1918 das geschlagene Österreich und das geschlagene DeutschlandRepubliken gründen, beschließen die ersten Parlamente in Berlin undWien, ihren Staaten neue Verfassungen zu geben. In beide Verfassungenschreiben die Abgeordneten ein Wiedervereinigungsgebot. In der österreichischen heißt es:

„Deutsch-Österreich ist eine demokratische Republik. ... Deutsch-Österreich ist ein Bestandteil der deutschen Republik.“

In der ersten deutschen Verfassung steht ein vergleichbarer Satz. Am 6.September 1919, verkündet der österreichische Staatskanzler Dr. Renner noch einmal in der Wiener Nationalversammlung:

“Deutsch-Österreich wird niemals darauf verzichten, dieWiedervereinigung mit dem Deutschen Reich als das Ziel seiner friedlichen Politik zu betrachten.”

Beide Wiedervereinigungsgebote, sowohl das österreichische als auch das

deutsche, müssen bald darauf auf Druck der Siegermächte aus den zweiVerfassungen entfernt werden. Doch der Wunsch nach einer Vereinigung

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Österreichs und Deutschlands ist damit nicht erloschen.

Die Zeit der deutsch-österreichischen Trennung von 1866 bis 1918 hatÄhnlichkeit mit der deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die

54 Jahre der deutsch-deutschen Trennung seit 1866 haben das Empfinden,zum selben Volke zu gehören, in Deutschland und in Österreichgenausowenig sterben lassen, wie die 45 Jahre deutscher Teilung bei denDeutschen in West- und Mitteldeutschland nach 1945.

1931 wagen Österreich und Deutschland noch einmal einenAnnäherungsversuch, die deutsch-österreichische Zollunion. Auch diesescheitert wieder am Protest der Sieger. Aus der Sicht der Sieger hat dasVerbot der deutsch-österreichischen Vereinigung zunächst durchaus einenSinn. Mit einem angeschlossenen Österreich hätte das besiegteDeutschland seine Verluste an Land und Menschen wieder ausgeglichen.Doch dieses Rechenspiel der Sieger mißachtet ihre selbst aufgestellteRegel vom Selbstbestimmungsrecht der Völker.

 

Das Nachkriegsösterreich

Die 20er Jahre sind für Österreich arm und bitter. Das wirtschaftliche Netzwerk Habsburgs ist zerschlagen. Die Zahl der Arbeitslosen klettert auf 557.000. Die Auslandsschulden Österreichs sind bald nicht mehr abzutragen. Die Hoffnung auf spätere Vereinigung mit Deutschland bleibtin Österreich ungebrochen, und alle politischen Parteien - außer Monarchisten und Marxisten - sind sich darin einig und äußern dies auchimmer wieder. So erinnert der Führer der Sozialdemokraten Dr. Renner 1928 in einer öffentlichen Rede:

„Heute, zehn Jahre nach dem 10. November 1918, und immerdar haltenwir in Treue an diesem Beschluß fest und bekräftigen ihn durch unsereUnterschrift. ... Der Friede von Saint-Germain hat dasSelbstbestimmungsrecht der Deutschen in Österreich vernichtet. ... LaßtÖsterreichs Bürger frei abstimmen und sie werden mit 99 von 100Stimmen die Wiedervereinigung mit Deutschland beschließen.“

Die 30er Jahre sind in Österreich politisch ähnlich turbulent wie die im

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Deutschen Reich. Eine Parlamentskrise im März 1933, in der es zunächstnur um einen Eisenbahnerstreik gegangen ist, endet damit, daß der österreichische Bundeskanzler Dollfuß den Nationalrat auflöst und fortangestützt auf eine so genannte Vaterländische Front als Diktator allein

regiert. Er verbietet erst die Kommunistische, dann die Nationalsozialistische Partei in Österreich, dann die Sozialdemokraten unddie Gewerkschaften. Politische Gegner werden in „Anhaltelagern“inhaftiert, die den Konzentrationslagern entsprechen, die im gleichen Jahrein Deutschland eingerichtet werden. Dollfuß, der als Diktator schon imeigenen Lande keine Lust hat, seine Macht und Herrschaft mit neuenWahlen zu riskieren, will beides erst recht nicht bei einem AnschlußÖsterreichs an das Deutsche Reich verlieren. So endet ÖsterreichsAnschluß-Politik mit Dollfuß und dem Ende der Demokratie im Nachkriegs-Österreich. Die Ära des Bundeskanzlers Dollfuß endet im Juli1934 mit seiner Ermordung durch österreichische Nationalsozialisten.Dem Diktator folgt Bundeskanzler Schuschnigg, der den Regierungsstilseines Vorgängers mit aufgelöstem Parlament, mit Parteienverboten undKZ´s fortsetzt. Auch er versucht, eine Vereinigung Österreichs mitDeutschland zu verhindern.

Im Sommer 1936 kommt es unter dem sanften Druck Italiens zu einemWiederannäherungs-versuch der beiden deutschsprachigen Staaten. Im Juli36 wird ein Deutsch-Österreichisches Abkommen über die Normalisierungund die freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Staatengeschlossen. Deutschland erkennt darin die “volle Souveränität desBundes-staates Österreich” an, und Österreich bekennt sich ausdrücklichdazu, ein „deutscher Staat“ zu sein. Zusätzlich sichert Schuschniggschriftlich zu, „Vertreter der bisherigen sogenannten NationalenOpposition in Österreich” zur Mitwirkung an der politischenVerantwortung heranzuziehen. Trotz des geschlossenen Abkommens läßtder Druck der Diktatur im Donau-Staat nicht nach. Zudem läßt einWirtschaftsaufschwung wie der in Deutschland auf sich warten. Besondersviele Menschen aus der Arbeitnehmerschaft sehen im Anschluß einewirtschaftliche Hoffnung. So wird der Anschluß Österreichs an dasDeutsche Reich für die Bürger Österreichs wieder zur attraktivenPerspektive. Hinzu kommt, daß sich die Diktatur in Österreich kaum vonder in Deutschland unterscheidet, so daß letztere kein Grund ist, einen

Anschluß abzulehnen. Im gleichen Zeitraum schließen sich die Saarländer mit 90,8% Pro-Deutschland-Stimmen an das Deutsche Reich an.

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Bundeskanzler Schuschnigg, der den Drang weiter Bevölkerungskreise zueinem Anschluß kennt, bittet um einen Staatsbesuch bei Hitler.

Am 12. Februar 1938 kommt der Besuch zustande. Hitlers

Wunschvorstellung ist sicherlich gewesen, daß ein frei gewählter  Nationalrat und eine österreichische Regierung kraft desSelbstbestimmungsrechts der Völker von sich aus den AnschlußÖsterreichs an das Deutsche Reich verkünden, den Anschluß den dieVerfassungsväter Österreichs schon vor zwei Jahrzehnten fest beschlossenhatten. Doch Hitler ist inzwischen klar, daß mit der Diktatur des christ-sozialen Schuschnigg, ohne Parlament und ohne Wahlen kein legaler Wegfür einen Anschluß offensteht.

Das Gespräch der zwei Diktatoren Schuschnigg und Hitler ist ein einziger Streit gewesen. Hitler hält Schuschnigg vieles vor, das Vorgehen der Polizei in Österreich gegen die Nationalsozialistische Partei,Grenzbefestigungen gegen Deutschland und anderes mehr. Hitler legtSchuschnigg eine „Liste mit deutschen Vorschlägen für eine endgültigeRegelung der österreichischen Frage” vor. Die wesentlichen Forderungenlauten:

- politische Betätigungsfreiheit der österreichischen Nationalsozialistischen Partei zur legalen Betätigung im Rahmen der „Vaterländischen Front”,

- Amnestie für alle wegen nationalsozialistischer politischer Betätigunginhaftierten Österreicher,

- Wiederherstellung der Pressefreiheit,

- Vorbereitung der Angleichung der Wirtschaftssysteme beider Länder.

Dafür sichert die Deutschen Reichsregierung zu, daß sich reichsdeutscheParteidienststellen

nicht in innerösterreichische Verhältnisse einmischen. Die „Vorschläge”enden mit einem Ultimatum, nach dem sich Bundeskanzler Schuschnigg

schließlich widerstrebend bereiterklärt, die vereinbarten Maßnahmen biszum 18. Februar 1938 durchzuführen.

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Dr. Schuschniggs “Volksabstimmung”

 Nun tritt der Bundeskanzler Schuschnigg die Flucht nach vorne an. Er setzt am 9. März, ganz überraschend eine Volksabstimmung zur Anschlußfrage für den nächsten Sonntag an, das ist vier Tage später. Diekurzgesteckte Frist und manches andere zeigen, daß der Bundeskanzler hier in Panik handelt. Er unterlässt, wie in der Verfassung vorgeschrieben,das Kabinett zu seiner Absicht einer Volksabstimmung zu befragen. Da esseit 1929 auf Bundesebene und seit 1932 auf Landesebene keine Wahlenmehr gegeben hat, gibt es in Österreich keine aktuellen Wählerlisten mehr.Zudem hat Schuschnigg angeordnet, daß die Stimmauszählung allein vonder „Vaterländischen Front” vorzunehmen sind, also vomRegierungslager. Des weiteren begrenzt Schuschnigg das Wahlalter nachunten auf 25 Jahre. Er befürchtet, daß besonders junge Wähler zu einemAnschluß an das Deutsche Reich tendieren. Es wird außerdem angeordnet,daß die Angehörigen des Öffentlichen Dienstes am Tage vor der Wahl inihren Abteilungen geschlossen unter Aufsicht zur Wahl zu gehen habenund ihre ausgefüllten Wahlzettel ihren Vorgesetzten offen zu übergebenhaben. Und als letztes verfügt Dr. Schuschnigg, daß in den Wahllokalennur Stimmzettel mit dem Aufdruck “JA” ausgegeben werden, was ein Jazur Unabhängigkeit bedeutet. Ansonsten verhandelt Kanzler Schuschniggin aller Eile mit den Führern der bisher verbotenen Parteien und der aufgelösten Gewerkschaften, um sie für Wahlaufrufe gegen einenAnschluß zu gewinnen. Als Preis verlangen die so plötzlichangesprochenen Führer, daß ihre Parteien unverzüglich wieder zugelassenwerden, und sie fordern, daß ihre zu Tausenden in denKonzentrationslagern inhaftierten Parteimitglieder endlich freigelassenwerden.

Dr. Schuschniggs getürkte Volksabstimmung bleibt nicht ohneWiderspruch. Innenminister Seyß-Inquart und Minister Glaise-Horstenau,teilen ihrem Kanzler unverzüglich mit, daß die Wahl so verfassungswidrigist, und sie verlangen die Verschiebung der Volksabstimmung,damit sievorbereitet werden kann. Bundeskanzler Schuschnigg lehnt die Forderung

ab. Seyß-Inquart und Glaise- Horstenau versuchen in den folgenden vier Tagen noch dreimal, Schuschnigg umzustimmen. Die letzte Forderung

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enthält fünf verfassungsgemäße Bedingungen und das Ultimatum, dieBedingungen „noch heute, bis spätestens 13 Uhr“ anzunehmen. AlsSchuschnigg das erneut ablehnt, wendet sich Seyß-Inquart telefonischdirekt vom Kanzleramt in Wien an Minister Göring in Berlin und fragt um

Rat. 

Die Wiedervereinigung

In Deutschland hat man die Turbulenzen in Österreich seit dem 9. Märzverfolgt. Hitler wird unverzüglich von den ÜberrumpelungswahlenSchuschniggs informiert. Es ist nicht schwer, die Absicht hinter denWahlauflagen zu durchschauen. Die Stimmauszählung nur durch eigeneLeute riecht nach Fälschungsabsicht, und, die jungen Wähler auszuschließen, ist der offensichtliche Versuch, pro-deutsche Wähler vonden Urnen fernzuhalten. Hitler sieht die Chance schwinden, daß sichÖsterreichs Bürger zu einem späteren Zeitpunkt in freien und korrektenWahlen für den Anschluß an das Deutsche Reich entscheiden können,wenn zuvor nach einer manipulierten Volksbefragung das Gegenteil beschlossen worden ist. Hitler ist verärgert, hat aber zunächst noch keinKonzept, wie er reagieren soll. Die politischen Stränge zieht auf deutscher Seite nun vor allem der Minister Göring.

Am 11. März etwa 14.30 Uhr, erfolgt der schon erwähnte Anruf von Seyß-Inquart aus Wien bei Göring in Berlin. Der österreichische Innenminister teilt Minister Göring mit, daß Bundeskanzler Schuschnigg noch immer nicht gewillt ist, die Volksabstimmung zu verschieben. Göring informiertHitler von der Neuigkeit aus Wien. Beide sehen, daß es so keine Chancemehr für eine faire Volksabstimmung in der Anschlußfrage gibt. Sie beschließen, nun direkt in das österreichische Geschehen einzugreifen undSchuschnigg durch Seyß-Inquart zu ersetzen. Göring übermittelt demösterreichischen Bundeskanzler Dr. Schuschnigg mit HitlersEinverständnis die Forderung, die Volksabstimmung zu verschieben undDr. Seyß-Inquart mit der Bildung einer neuen Regierung zu beauftragen.Schuschnick versucht nun, sich in einer Blitzaktion der RückendeckungMussolinis zu versichern. Doch der lehnt eine Unterstützung für ihn ab.Schuschnigg gibt anschließend „auf Raten“ nach. Er läßt Hitler 

übermitteln, daß er mit der Verschiebung der Volksabstimmungeinverstanden ist. Doch Göring gibt sich allein mit einer 

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Wahlverschiebung nun nicht mehr zufrieden. Er schickt ein nächstesUltimatum und verlangt die sofortige Ernennung Dr. Seyß-Inquarts zumBundeskanzler, andernfalls erfolge ein deutscher Einmarsch in Österreich. Nachdem Seyß-Inquart Kanzler Schuschnigg auch diese Botschaft

übermittelt haben, gibt der auf und über Radio bekannt, daß er zurücktritt.In den Morgenstunden des neuen Tages - es ist inzwischen Samstag, der 12. März 1938 - marschieren deutsche Truppen in Richtung Salzburg, Linzund Innsbruck. Blumenschmuck und Fahnen auf den Militärfahrzeugensollen zeigen, daß dies eine Wiedervereinigung nach langen Jahrendeutscher Trennung und kein Eroberungsfeldzug ist. Dies Zeichen wirdauch so verstanden. Die österreichische Bevölkerung beiderseits der Straßen reagiert erst freundlich, dann bald mit steigender Begeisterung. Esgibt Umarmungen, Winken, Händeschütteln, Freudentränen,Fahnenschwenken. Als Hitlers Wagenkolonne gegen Abend auf denMarktplatz der Stadt Linz rollt, warten dort schon 60.000 Menschen zumEmpfang. Hitler hält eine kurze Rede und wird dabei wieder und immer wieder von Beifallsstürmen unterbrochen. Die Begeisterung der Menschenmenge hinterläßt ihm, der sich bis dahin der ungeteiltenZustimmung der Österreicher nicht sicher sein konnte, einen tiefenEindruck.

Bundeskanzler Seyß-Inquart, frisch vom österreichischenBundespräsidenten vereidigt, und einige der neu ernannten Minister sindzur Begrüßung Hitlers nach Linz gekommen. Seyß-Inquart, der keinFreund des Einmarschs ist, schlägt Hitler vor, auch österreichischeTruppen nach Deutschland zu entsenden, um aller Welt zu zeigen, daß sichhier eine freiwillige Vereinigung vollzieht und keine einseitige Eroberung.Hitler ordnet auf der Stelle an, so zu verfahren. Schon tags darauf marschieren österreichische Truppen nach München, Dresden, Stuttgartund Berlin. Sonntag morgen, den 13. März 1938 um 1 Uhr früh, rollt dieerste Wehrmachtseinheit in Österreichs Hauptstadt Wien ein. Die Straßensind trotz Nacht und Kälte voll von Menschen. Vor der Oper ist einösterreichisches Musikkorps angetreten und empfängt die ersten deutschenTruppen zu einer improvisierten Militärparade. Die Polizeiabsperrungen,die die Menschen von den vorbeimarschierenden Wehrmachts-kompanientrennen sollen, brechen unter dem Ansturm der begeisterten Menge bald

zusammen. Der Militäreinmarsch vollzieht sich so, als wäre der politischeAnschluß Österreichs schon vorausgegangen.

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Doch noch sind Seyß-Inquart Bundeskanzler und Miklas Bundespräsidentvon Österreich. Gegen Abend erklärt Miklas seinen Rücktritt vom Amt desBundespräsidenten. Damit gehen nach geltender Verfassung, Artikel 77,

die Befugnisse des Präsidenten auf den Bundeskanzler über. So ist Seyß-Inquart für ganz kurze Zeit Regierungschef und Staatsoberhaupt in einem.Schon am Vormittag des Tages hatten Seyß-Inquart als neuer Bundeskanzler, Glaise-Horstenau als Vizekanzler und Justizminister Hueber ein neues “Bundesverfassungsgesetz” verfaßt und unterschrieben,in dem es in Artikel I heißt: „Österreich ist ein Land des DeutschenReiches.“ Artikel II verkündet, daß am 10. April 1938 eine freie undgeheime Volksabstimmung über die Wiedervereinigung mit demDeutschen Reich stattfindet.

Am 3. April, eine Woche vor der Volksabstimmung, erklärt sich der erste Nachkriegs-Bundeskanzler Dr. Renner in einem Interview im NEUENWIENER TAGEBLATT:

“Als Sozialdemokrat und somit als Verfechter desSelbstbestimmungsrechts der Nationen, als erster Kanzler der Republik Deutsch-Österreich und als gewesener Präsident ihrer Friedensdelegationzu Saint-Germain werde ich mit JA stimmen.”

 Noch vor der Legitimation durch eine Wahl nimmt auch das AuslandStellung. Die Regierungen in London und Paris erkennen beide schon am2. April den Anschluß an, und Mussolini vergleicht ihn mit der EinigungItaliens im Jahre 1856. Damit ist auch Artikel 88 des Vertrags von Saint-Germain gefallen.

Die für den 10. April angesetzte Volksabstimmung wird zur Bestätigungder österreichischen Verfassungsväter von 1918. Von 4.284.795 Wählernstimmen 4.273.884 für die Wieder-vereinigung Österreichs undDeutschlands und 9.852 dagegen. Das sind 99,73 % pro Anschluß. DieDeutschen in Österreich und im so genannten Altreich – so zeigt die Wahl – sind an jenem 10. April 1938 durch das verbunden, was die Nationausmacht: die gleiche Sprache und Kultur, die gemeinsame Geschichte,das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit und der Wille, zusammen zu

gehören .

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Der Anschluß der Sudetenlande 1938

Die Deutschen in der TschechoslowakeiDer Name Sudetendeutsche leitet sich von ihrer Heimat, den Sudeten ab,wie die Gebirge rund um Böhmen und Mähren bis 1945 heißen. Ab 1204rufen böhmische Könige deutsche Bauern, Handwerker und Kaufleute zur Aufsiedlung und Entwicklungshilfe in ihr Land, wodurch die RandgebieteBöhmens und Mährens und einige Sprachinseln im Lande deutsch besiedelt werden und es über 700 Jahre bleiben. Die Deutschen sind dort,wie die Tschechen, Angehörige des Habsburger Reichs. So ist es nur natürlich, daß sie sich nach der Zerschlagung Habsburgs zunächstÖsterreich zugehörig fühlen. Am 29. Oktober 1918, nach dem Untergangder Habsburg-Monarchie, rufen die Abgeordneten der deutschsprachigenWahlkreise Böhmens, Nordmährens und Österreichisch-Schlesiens die„Provinz Deutschböhmen“ aus und teilen der Wiener  Nationalversammlung und dem US-Präsidenten Wilson mit, daß dieProvinz ein Teil Deutsch-Österreichs werden soll. Trotz dieses klarenVotums landen die Sudetendeutschen 1918 erst durch die militärischeGewalt der Tschechen und dann 1919 durch den Spruch der Siegermächteim Staat der Tschechen und Slowaken. 1918 nutzen tschechische Soldaten,die bisher Untertanen des Kaisers von Österreich waren, denZusammenbruch der habsburgischen Armeen, bilden die "TschechischeLegion", erobern die nun schutzlosen Randgebiete Böhmens und Mährensund schaffen damit Fakten gegen den Willen der dort lebendenSudetendeutschen. Im Vertrag von St. Germain schreiben dieSiegermächte diese Landeroberungen der Tschechen zu Lasten Österreichsspäter fest.

Tschechoslowakische Minderheitenpolitik 

Die Tschechoslowakei ist ein erst 1919 entstandener Kunststaat. Der Doppelname Tschechoslowakei verweist nur auf die Völker der Tschechenund Slowaken. Er verschleiert, daß die größten Völker die Tschechen mit6,7 Millionen Bürgern und die Sudetendeutschen mit 3,1 Millionen

Bürgern sind. Das Leben der Sudetendeutschen in „ihrem“ neuen Staateerweist sich bald als unerfreulich. Staatsapparat, Polizei und Militär sind

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überwiegend tschechisch und spiegeln den Proporz der Völker in keiner Weise wider. Wirtschaft, Schulen und Verwaltung in den bis dahin reinund überwiegend deutsch bewohnten Städten und Gemeinden werdengegen den Willen der ansässigen Bevölkerung und auch gegen die

Garantien der Verfassung mit Nachdruck tschechisiert. 354 deutscheVolksschulen und 47 Mittelschulen müssen schließen. Etwa 40.000deutsche Staatsbeamte werden aus dem Dienst entfernt. Die deutschenStädte werden umgetauft und erhalten tschechische Namen. Alledeutschen Landerwerbungen seit 1620 werden enteignet und an dentschechischen Bevölkerungsanteil „zurückerstattet” ( 1 ). DieBestimmungen der Verträge von Saint-Germain und Trianon, dieTschechoslowakei zu einem Bundesstaat mit gleichen Rechten für alleVölker zu entwickeln, werden niemals umgesetzt. ( ( 1 ) 1620 war der  protestantische Adel Böhmens nach einem Aufstand gegen das Kaiserhausin Wien in der "Schlacht am Weißen Berge" vernichtend geschlagen undanschließend im "Prager Strafgericht" enteignet worden. Das damals inden Besitz des deutschen katholischen Adels übergegangene Land soll1920 nach dem Willen der tschechischen Regierung wieder intschechisches Eigentum übergehen. )

Die Sudetendeutsche Frage

In den 20er und 30er Jahren nimmt der Verdruß der Sudetendeutschen ander Vorherrschaft und an der Selbstbedienung der Tschechen in ihremneuen Staate stetig zu. 1933 gelingt es einem 35jährigen Sudetendeutschennamens Konrad Henlein , die deutschsprachigen Bürger der Tschechoslowakei in einer Bewegung, die er die "SudetendeutscheHeimatfront” nennt, zu sammeln. Henlein erkennt die Tschechoslowakeials den Staat der Sudetendeutschen an, doch er versucht, die Kultur, dasHeimatrecht, die wirtschaftliche Stellung und die Arbeitsplätze der deutschen Bevölkerung in ihrem neuen Staate zu erhalten und, wo nötig,durchzusetzen. Aus der Sudetendeutschen Heimatfront bildet sich alsbalddie “Sudetendeutsche Partei” (SdP), die schon bei den Mai-Wahlen 1935stimmenstärkste Partei im Lande wird. Die Sudetendeutschen und dieSlowaken drängen nun auf die in Saint-Germain versprochene innereAutonomie der Nationen im Vielvölkerstaate Tschechoslowakei.

Im Februar 1937 versucht Henlein, ein „Volksschutzgesetz” in die Prager  National-versammlung einzubringen. Der Gesetzentwurf fordert die

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Autonomie der vielen Völker dieses Staates. Dem folgt ein ergebnislosesGespräch Henleins mit Ministerpräsident Hodscha zur Frage der deutschenSelbstverwaltung. Weitere Gespräche zu dieser Frage lehnt Hodschadanach ab. Im Oktober kommt es im Wahlkampf zu Gemeindewahlen zur 

offenen Konfrontation zwischen Tschechen und Sudetendeutschen.Konrad Henlein , der zu der Zeit noch immer um die Zukunft der Deutschen innerhalb der Tschechoslowakei kämpft, schicktStaatspräsident Beneš nun ein förmliches Ultimatum mit der Aufforderung, die innere Autonomie der Sudetenlande zu erklären. Benešwürdigt Henleins Ultimatum nicht einmal einer Antwort. Da Henlein beiHodscha und Beneš kein Gehör gefunden hat, richtet er am 19. November 1937 ein schriftliches Ersuchen an Hitler, die deutsche Bevölkerung in der Tschechoslowakei zu unterstützen Das ist sein erster Hilferuf nach außen,der letzte Schritt vor der offiziellen Bitte, die Sudetengebiete demDeutschen Reiche anzugliedern.

 

Die deutsche Einmischung in die tschechische Sudetenkrise

und der Fall GRÜN

Schon am 5. November 1937 weiht Hitler die Spitzen der Wehrmachterstmals in seine Absicht ein, die Tschechei eines Tages zu erobern und,wie vor 1918, in das Deutsche Reich einzugliedern. Aus einer Weisung andie Wehrmacht vom 21. Dezember 1937 entnimmt man, daß Hitler zu der Zeit noch keine schnelle Lösung anvisiert. Es heißt dort: „Entwickelt sichdie politische Lage nicht oder nur langsam zu unseren Gunsten, so wirddamit auch die Auslösung des Falles „Grün“ von unserer Seite her nochum Jahre hinausgeschoben werden müssen.“

Grün ist fortan der Tarnname der Wehrmacht für die Tschechoslowakei.Hitler läßt intern die Eroberung der Tschechoslowakei vorbereiten undverlangt nach außen und öffentlich nicht mehr, als daß die Staatsführung inPrag „die Sudetendeutschen anständig behandelt”. Am 21. April 1938 gibtHitler dem Oberkommando der Wehrmacht den Auftrag, sich mit der Tschechoslowakei zu befassen und die Möglichkeit eines Angriffs gegen

sie als sog. Studie GRÜN zu untersuchen.

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Im Februar 1938 bieten Hodscha und Beneš den SudetendeutschenZugeständnisse bei der Pflege und Anerkennung der deutschen Spracheund Kultur an, doch sie verbinden dieses Angebot mit einer scharfenZurückweisung aller Forderungen nach Autonomie der Nationen innerhalb

der Tschechoslowakei. Die Anerkennung der deutschen Sprache undKultur ist jedoch nur das, was den Sudetendeutschen nach der tschechoslowakischen Verfassung ohnehin schon zugestanden hätte. Diesudetendeutsche Bevölkerung ist nun mit kulturellen Zugeständnissenallein nicht mehr zu gewinnen. Arbeitslosigkeit und materielle Not der inihren eigenen Gebieten vom tschechischen Staat wirtschaftlich benachteiligten Deutschen verschärfen den Konflikt. Am 20. Februar 1938äußert sich Hitler zum ersten Male öffentlich zum Los der Deutschen inder Tschechoslowakei. Er fordert in einer Reichstagsrede das von Amerika proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker auch für die Deutschenin Österreich und in der Tschechoslowakei. Hitler verlangt mit seiner Februar-Rede vor dem Reichstag noch keinen Anschluß. Er gießt kein Ölins Feuer.

Die DAILY MAIL kommentiert den Zustand am 6. Mai 1938 in einemLeitartikel:

„Die Deutschen sind ein sehr geduldiges Volk. Ich kann mir auch nichteinen Augenblick lang vorstellen, daß Großbritannien zwanzig Jahre langruhig zugesehen hätte, wie drei und eine halbe Million Briten unter der Knute eines durch und durch verabscheuten Volkes lebten, das einefremde Sprache spricht und eine völlig verschiedene nationaleWeltanschauung hat. Soweit ich meine Landsleute kenne, wären sie nachwenigen Jahren gegen eine solche Vergewaltigung eingeschritten.”

 

Die Zuspitzung der Sudetenkrise 1938

Ab dem 24. April 1938 entwickelt die Sudetenfrage ihre eigene Dynamik.Henlein verkündet auf einem Parteitag der SdP in Karlsbad einenForderungskatalog an die Prager Regierung. Er verlangt die volleGleichberechtigung der deutschen Volksgruppe mit der tschechischen,

eine deutsche Selbstverwaltung für die Angelegenheiten der Deutschen inden Sudetenlanden, einen gesetzlichen Schutz für die Deutschen und die

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volle Freiheit des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum und zur deutschen Weltanschauung. Er verlangt damit noch keinen Anschluß der Sudetenlande an das Deutsche Reich. Kaum daß das „Karlsbader Programm“ verkündet worden ist, verlangen die Slowaken, die Polen und

die Ungarn in der Tschechoslowakei die gleiche Autonomie für sich.England und Frankreich drängen nun die Tschechoslowakei, mit denSudetendeutschen zu verhandeln. Doch Henlein geht jetzt nicht mehr darauf ein. Im Mai 1938 werden bei Übergriffen 3 Sudetendeutsche getötetund 130 verletzt, viele davon schwer. Dazu kommen 40 Überfälle mitMißhandlungen von sudetendeutschen Bürgern in der Tschechoslowakei.

Die Runciman-Mission

Präsident Beneš macht am 20. Mai die Armee der Tschechoslowakeimobil, beruft 180.000 Reservisten zu den Waffen und behauptet zur Begründung, Deutschland habe zuvor mobilgemacht. Das tschechischeKriegsministerium ergänzt, die deutsche Wehrmacht sei bereits mit 8 bis10 Division auf dem Marsch zur Tschechoslowakei. Doch beide Nachrichten sind falsch. Beneš hat versucht, die Briten, Russen undFranzosen durch diesen Schachzug für sich und gegen Deutschlandeinzunehmen. Am 8. August 1938 entsendet die britische Regierung eineKommission unter Sonderbotschafter Runciman nach Prag, um dort denStand der sudetisch-tschechischen Differenzen zu ermitteln und, wennnötig, zu vermitteln. Lord Runciman erfährt sehr schnell, daß einAusgleich zwischen Tschechen und Sudetendeutschen nicht mehr möglichist. Sein Bericht vom 21. September 1938 fällt vernichtend für dieTschechen aus. Er gibt Henlein zwar die Alleinschuld für den letztenAbbruch der Gespräche. Doch im Runciman-Bericht steht auch:

„ Mein Eindruck ist, daß die tschechische Verwaltung im Sudetengebiet,wenn sie auch in den letzten 20 Jahren nicht aktiv unterdrückend undgewiß nicht “terroristisch” war, dennoch einen solchen Mangel an Taktund Verständnis und so viel kleinliche Intoleranz und Diskriminierung anden Tag legte, daß sich die Unzufriedenheit der deutschen Bevölkerungunvermeidlich zu einem Aufstand fortentwickeln mußte. ...Sogar“ so beklagt Runciman, “jetzt noch, zur Zeit meiner Mission, habe ich bei der tschechischen Regierung keinerlei Bereitwilligkeit gefunden, diesem

Sachverhalt in erschöpfendem Maße abzuhelfen.”

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Runciman schließt mit der Empfehlung, die Grenzbezirke mitüberwiegend deutscher Bevölkerung unverzüglich von der Tschechoslowakei zu trennen und Deutschland anzugliedern.

Die Regierungen in London und Paris warnen nun zwar dieReichsregierung in Berlin vor einem Gewaltakt zugunsten der Sudetendeutschen. Doch beide stellen intern fest, daß sie zu einem Kriegenicht gerüstet sind, und London lehnt es ab, eine Garantieerklärung für dieTschechoslowakei abzugeben.

 

Chamberlains erster Vermittlungsversuch und Benešs Vorschlag zur Aussiedlung der Sudetendeutschen

Chamberlain sieht realistisch, daß die Ereignisse auf einen Kriegzutreiben, der die Briten gegen ihren Willen auf die Seite der Tschechenzwingen würde. In dieser Lage versucht er zu retten, was zu retten ist. Er  bietet Hitler an, gemeinsam mit ihm eine friedliche Lösung der anstehenden Probleme in der Tschechoslowakei zu suchen. Am 15.September sucht Chamberlain Hitler in Berchtesgaden auf. Hitler fordertnicht weniger und nicht mehr als die von einer deutschen Mehrheit bewohnten Grenzgebiete für das Reich und für umstrittene Bezirke eineVolksabstimmung. Der deutsche Kanzler kündigt an, er werde dieProbleme der Sudetendeutschen in Bälde „so oder so aus eigener Initiativelösen”. Chamberlain versteht die Drohung dieser Worte. „So oder so”heißt in Hitlers Art, sich auszudrücken: Einlenken der Gegenseite oder Einmarsch der Wehrmacht in die Tschechoslowakei. Chamberlain sagtHitler zu, die Frage des Selbstbestimmungsrechts für dieSudetendeutschen sofort mit seinem Kabinett in London zu beraten unddann baldmöglichst zu einem zweiten Gespräch nach Deutschlandzurückzukommen.

Chamberlain, der ohne Mandat der Tschechen verhandelt, kann derenEinverständnis zu Henleins und Hitlers Anschlussforderung nichterreichen. Hitler sagt Chamberlain jedoch zumindest zu, daß dieWehrmacht solange nicht marschiert, wie die deutsch-englischen

Gespräche laufen. Am 19. September fordern die englische und diefranzösische Regierung die tschechische auf, selbst und auf eigenen

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Entschluß mit oder ohne Volksabstimmung die Gebiete mit mehr als 50%sudetendeutscher Bevölkerung an das Deutsche Reich zu übergeben. Am20. September, 20 Uhr, übermittelt der tschechische Außenminister Kroftaden Botschaftern Englands und Frankreichs die Prager Antwort. Die

Regierung der Tschechoslowakei lehnt es ab, die Sudetenlande abzutreten.Doch schon zwei Stunden später schwenkt Ministerpräsident Hodscha einund läßt Paris und London übermitteln, daß die tschechoslowakischeRegierung im Falle eines Krieges ohne britische Unterstützung zum Nachgeben bereit wäre. Die Antwort aus Paris folgt auf dem Fuß. Sielautet: "Indem die tschechoslowakische Regierung den französisch- britischen Vorschlag ablehnt, übernimmt sie die Verantwortung dafür, daßsich Deutschland dazu entschließt, zu den Waffen zu greifen!" DieAntwort aus London ist nicht minder klar. England und Frankreich lehnenes also ab, den Tschechen im Falle eines deutschen Angriffs beizustehen.Am 21. September um 17 Uhr übergibt der tschechoslowakischeAußenminister Krofta den Botschaftern Englands und Frankreichs dieendgültige Entscheidung seiner Regierung . Der englisch-französischePlan zur Abtretung der mehrheitlich von Sudetendeutschen bewohntenGebiete wird darin "mit dem Gefühl des Schmerzes" akzeptiert. Der Wegist nun frei für weitere Gespräche zwischen Chamberlain und Hitler.Dieser wenig formelle Akt des Akzeptierens wird in der Geschichtsschreibung bisweilen als die "Prager Abtretung vom 21.September 1938" bezeichnet, die in der Tat der eigentlichevölkerrechtliche Akt beim Wechsel der Sudetenlande von der tschechoslowakischen Hoheit unter deutsche Hoheit ist. Damit hätte dieAuseinandersetzung um die Sudetenfrage eigentlich beendet werdenkönnen. Doch es kommt anders.

Auch der tschechische Staatspräsident Beneš sucht noch eine Lösung,allerdings in seinem Sinne. Er schlägt dem französischen PräsidentenDaladier vor, böhmische Landesteile mit 800-900.000 Sudetendeutschenan Deutschland abzutreten und dafür 1,5 bis 2 Millionen Sudetendeutscheaus der Tschechoslowakei nach Deutschland auszusiedeln. Als Beneš´Abtretungsplan auf keine Gegenliebe stößt , fragt er am 19. September inMoskau an, ob ihn die Sowjetunion in einem Kriege gegen Deutschlandunterstützen würde. Doch auch dieser Plan schlägt fehl. Die Polen undRumänen gewähren den Sowjets keine Durchmarscherlaubnis für die Rote

Armee hin zur Tschechoslowakei.

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Chamberlain und Hitler in Bad Godesberg vom 22. bis 24. September 1938

Am 22. September treffen sich Chamberlain und Hitler ein zweites Mal,diesmal in Bad Godesberg bei Bonn. Ministerpräsident Chamberlain berichtet Hitler von der nur mit Druck und Mühen erreichten Annahme desenglisch-französischen Plans durch die Regierung der Tschechoslowakei.Er rechnet nun mit Hitlers Dank, doch der schiebt zu seiner Bestürzungzwei neue Forderungen nach. Er verlangt die gleichen Regelungen für dieungarische und die polnische Minderheit sowie die sofortige Besetzungder mehrheitlich von Sudetendeutschen bewohnten Zonen durch dieWehrmacht innerhalb von nur vier Tagen. Die Konferenz von Godesbergdroht, an Hitlers Nachforderungen zu scheitern. Daß die zweite Forderungdes deutschen Kanzlers nicht ganz unberechtigt ist, erweist sich nochwährend der Gespräche. In Prag wechselt die Regierung, und am zweitenKonferenztag um 22.30 Uhr verkündet die neue Regierung der Tschechoslowakei die Allgemeine Mobilmachung und ruft 1,5 MillionenSoldaten zu den Waffen. Chamberlain versucht, Hitler dieseMobilmachung als Defensivmaßnahme zu erklären, doch auch der Naivstemuß jetzt merken, daß die Tschechen den französisch-englischen Plan nunnicht mehr akzeptieren.

In den Folgetagen steht Europa am Rande eines neuen Krieges. Diedeutsche Wehrmacht ist mit sieben Divisionen aufmarschiert. Dietschechische Regierung lehnt Hitlers Forderungen - besonders wegen der verlangten Volksabstimmung - ab und bringt das Heer mit Reservisten auf 43 Divisionen. Hitler beharrt darauf, daß die tschechische Regierung seineGodesberger Forderungen bis zum 28. September akzeptiert. Andernfalls -so seine Drohung - werde die Wehrmacht die Sudetengebiete am 1.Oktober 1938 mit Gewalt besetzen.

 

Die Münchener Konferenz vom 29. und 30. September 1938

Dank der Vermittlung des italienischen Ministerpräsidenten Mussolinikommt es am 29. und 30. September 1938 dann doch zu einer Lösung.

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Hitler lädt die Staats- und Regierungschefs aus Rom, Paris und Londonnach München ein. Die Prager Regierung wird aus London informiert,doch nicht von Hitler eingeladen. Der „Führer” will mit der Regierung, dieden Sudetendeutschen keine Freiheit geben wollte, nicht verhandeln. Es

folgen zwei Tage harten Ringens. Am 30. September 1938 frühmorgens istder Vertrag formuliert und unterschrieben. Die wesentlichen Punkte diesesnach dem Tagungsort benannten Münchener Abkommens lauten :

- Die Räumung der vorwiegend deutsch bewohnten Sudetengebiete beginnt am 1. Oktober 

und ist bis zum 10. Oktober 1938 abzuschließen.

- Ein internationaler Ausschuß unter tschechischer Beteiligung bestimmtzusätzliche Gebiete, in denen die spätere Zugehörigkeit durch eineVolksabstimmung geklärt wird.

- Ein Optionsrecht für Tschechen und Sudeten innerhalb von sechsMonaten stellt einen freiwilligen Bevölkerungsaustausch sicher.

Dieses Münchener Abkommen von 1938 der vier Mächte wird denTschechen mit der dringenden Empfehlung eröffnet, es unverzüglichanzunehmen. Bis zum 10. Oktober 1938 werden die Sudetengebiete mitzirka 3 Millionen Deutschen dem Deutschen Reiche angeschlossen. Damitsind der Wählerwille und das Selbstbestimmungsrecht der Bürger in der 1918 ausgerufenen „Provinz Deutschböhmen“ mit 20jähriger Verzögerungdoch noch eingelöst worden.

Das Münchener Abkommen 1938

Der genaue Wortlaut des Münchener Abkommens ist es wert, aufmerksamstudiert zu werden. Die Präambel lautet: "Deutschland, das VereinigteKönigreich, Frankreich und Italien sind unter Berücksichtigung desAbkommens, das hinsichtlich der Abtretung des sudetendeutschen Gebiets bereits grundsätzlich erzielt wurde, über folgende Bedingungen undModalitäten dieser Abtretung ... übereingekommen." Hiermit drücken dievier Unterzeichner aus, daß die Abtretung nicht in München, sondern im

Grundsatz schon zuvor entschieden worden ist. Die Formulierung "desAbkommens, das ... bereits grundsätzlich erzielt wurde," bezieht sich

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ausdrücklich auf die "Prager Abtretung" vom 21. September. DieAbtretung ist zwar auf massiven deutschen Druck erfolgt, aber dennochnicht zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei vereinbart worden.Und das hat seine Vorgeschichte, die mit Punkt 2 des Abkommens

erkennbar wird. Punkt 2 lautet: "Das Vereinigte Königreich, Frankreichund Italien vereinbaren, daß die Räumung des Gebiets bis zum 10.Oktober vollzogen wird." Hier ist Deutschland nicht erwähnt, und das hatseinen Grund. Nur die drei Siegermächte des Ersten Weltkriegsvereinbaren die Räumung der Sudetenlande mit der Tschechoslowakei,weil nur sie es sind, die den Tschechen die Rechte an den deutschenGebieten wieder aberkennen können, die sie ihnen im November 1918unter falschen Voraussetzungen zugesprochen hatten. Beneš hatte denSiegern 1918 in Paris falsche Angaben zu dem Bevölkerungsanteil der Deutschen und zu ihren Siedlungsflächen vorgelegt und zudemversprochen, die nationalen Minderheiten nach Art der Schweiz an ihremneuen Staate zu beteiligen. Mit Punkt 2 des Abkommens korrigieren dieSiegermächte von 1918 einen ihrer in Saint-Germain gemachten Fehler.

Das Münchener Abkommen wird nach dem Zweiten Weltkrieg annulliert,und es dient den Tschechen und den Siegern, die Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer angestammten Heimat und die Dekrete desMinisterpräsidenten Beneš zu begründen. Das Abkommen wird dabei imnachherein zur Ursache der Vertreibung und der Dekrete umgedeutet.Doch das Abkommen von München ist nicht zuerst die Ursache für dieVerbrechen der Tschechen an den Deutschen im Jahre 1945 sondernvorher 1938 die Wirkung der vielen Wortbrüche, Diskriminierungen,Vergehen und Verbrechen der Tschechen an „ihren” Deutschen seit 1918.Mussolini, Daladier und Chamberlain setzen ihre Unterschriften inMünchen nicht alleine unter den Vertrag, um Kriegsgefahr zu bannen. Sieunterzeichnen dies Abkommen über die Köpfe der Tschechen hinweg auchdeshalb, weil sie nur zu gut wissen, daß die Tschechen sich die Gebiete der Sudetendeutschen 1918 ohne Rechtstitel, mit der Gewalt der Waffenangeeignet haben. Sie haben zur Kenntnis nehmen müssen, daß dieTschechen und Slowaken den Deutschen und Ungarn die in Saint-Germainversprochenen und in der Verfassung von 1920 festgeschriebenenMinderheitenrechte niemals völlig zugestanden haben.

(In der gängigen Literatur sind diese Geschehnisse auch unter den

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Stichworten Beneš-Minderheitenpolitik - in deutscher SchreibweiseBenesch-Minderheitenpolitik -, unter Sudetenland und unter Appeasement-Politik zu finden.)

Die Tschechoslowakei auf ihrem Weg zum Protektorat 1939

Die Tschechoslowakei als Vielvölkerstaat

Die Tschechoslowakei ist nach dem Ersten Weltkrieg von denSiegermächten aus Landesteilen zusammengefügt worden, die vormalsösterreichisch, ungarisch, deutsch oder polnisch waren, aber nie in der Geschichte einen Staat gebildet haben. Der Name verschleiert, daß im neugeschaffenen Staat die größten Völker Tschechen und Sudentendeutschesind und nicht Tschechen und Slowaken, und er läßt nicht erkennen, daßder neue Staat drei Landesteile hat und nicht nur zwei. Die Karpato-Ukraine, ganz im Osten der Tschecho-slowakei, bildet mit ihrer ruthenisch-ukrainischen Bevölkerung ein eigenes Gebiet. 1938 zählt dieTschechoslowakei neben 6,7 Millionen Tschechen auch 3,1 MillionenDeutsche, 2 Millionen Slowaken, 734tausend Ungarn, 460tausendRuthenen (Ukrainer), 180tausend Juden, 75tausend Polen und 240tausendMenschen anderer Herkunft. Die Tschechen stellen damit im eigenen Staatnicht einmal die Hälfte der Bevölkerung. Der Status dieses neuenStaatsgebildes ist in den Verträgen von Saint-Germain, von Trianon undvon Versailles festgeschrieben. Die Verträge bestimmen, daß jede dagenannten Minderheiten ihre innere Autonomie in der neuenTschechoslowakei erhalten soll. Von Seiten der Tschechen wird das auchso zugesagt. Der tschechische Delegierte in Saint-Germain Eduard Benešteilt den Siegermächten diese Absicht als Versprechen in einer Note vom20. Mai 1919 schriftlich mit:

„Die tschechoslowakische Regierung hat die Absicht, ihren Staat so zuorganisieren, daß sie als Grundlage der Nationalitätenrechte dieGrundsätze annimmt, die in der Verfassung der schweizerischen Republik zur Geltung gebracht werden, d.h., sie will aus der TschechoslowakischenRepublik eine bestimmte Art Schweiz machen.”

Schon die Verfassung von 1920 löst die Zusagen für eine Autonomie

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nicht für alle Minderheiten ein. Den Slowaken gegenüber erkennen dieTschechen ihr Versprechen nicht mehr an und verweigern ihnen daszugesagte eigene Landesparlament. Auch die Deutschen, die Ungarn unddie Polen werden in dieser Hinsicht nicht bedacht. Sie stehen lediglich

unter dem Schutz von Minderheitenartikeln in der Staatsverfassung. Der neue Staat entwickelt sich statt dessen bald zu einem Zentralstaat in der Hand der Tschechen. Staatsapparat, Polizei und Militär sind überwiegendtschechisch. Die einsetzende Bedrückung der vielen Minderheiten durchdie Tschechen belastet fortan das Verhältnis der Tschechoslowakei zuallen ihren Nachbarstaaten.

Das deutsch-tschechische Verhältnis ist dabei durch zweierleiEntwicklungen in einem besonderen Maß belastet. Die eine ist diehistorische Konkurrenz der Deutschen und der Tschechen, die nun offenan den Tag tritt. So veröffentlicht zum Beispiel ein tschechischer Jurist Namens Stěhule 1919 eine Denkschrift mit dem Titel „Der tschechoslowakische Staat im internationalen Recht“, in der er die Stellungder Deutschböhmen in seinem neuen Staat wie folgt beurteilt:

„... Der Deutsche als Feind der Menschheit kann das Recht auf Selbstbestimmung nicht nach seinen egoistischen Bedürfnissenwahrnehmen. ... Es sind die Slawen, auf deren Kosten sich der Deutscheausgebreitet hat, und dieses Unrecht muß nach der Meinung der Menschheit wieder gutgemacht werden, d.h. das deutsche Volk muß diesesTerritorium seinen rechtmäßigen Eigentümern herausgeben.“

Mäßigendere tschechische Stimmen dringen kaum noch durch.

Die andere Entwicklung zeigt sich in der gegen Deutschland gerichtetenBündnispolitik Prags mit Moskau und Paris. 1936, während der Rheinlandkrise bieten die Tschechen den Franzosen ihre Waffenhilfegegen Deutschlands „Rücken“ an. Verbündete sowjetische Offiziereerkunden Flugplätze in der Tschechoslowakei, um sie gegebenenfalls ineinem Kriege zu nutzen. Der französische Luftfahrtminister Cot äußertnoch am 14. Juni 1938 in einem Interview: „... daß gemeinsame Angriffeder französischen und der tschechischen Luftwaffe sehr schnell alledeutschen Produktionsstätten vernichten könnten.“ So bildet die

Tschechoslowakei mit ihrer weit in deutsches Staatsgebiethineingeschobenen geo-strategischen Lage und ihrer Bündnispolitik eine

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latente Bedrohung für das Deutsche Reich.

Hitler erwähnt in einer - von Oberst Hoßbach protokollierten -Generalsbesprechung im November 37 erstmals, daß er gedenkt, den

tschechischen Landesteil der Tschechoslowakei, der bis 1918 fast 1000Jahre lang zum Deutschen Reich gehört hat, als „Lebensraum im Osten“und wegen der latenten Bedrohung von dort bei Gelegenheit zuannektieren. Im Dezember 1937 ordnet Hitler der Wehrmachtsführunggegenüber erstmals an, Pläne für eine spätere Eroberung der Tschechei zuerarbeiten.. Mit einer weiteren Weisung vom 21. Dezember 1937 wird dieTschechei zum eigenen Kriegs- und Eroberungsziel. Jetzt geht es auchnicht mehr alleine um die „Heimkehr“ der Sudetendeutschen. Nun stehtdie Tschechoslowakei als Erweiterung des deutschen Lebensraums und alsmilitärisch dauerhaftes Risiko für Deutschlands Sicherheit auf HitlersTagesordnung.

Das tschechisch-slowakische Verhältnis

Abgesehen von der zunächst vertraglich vereinbarten und dann doch nichtzugestandenen Autonomie für die Slowakei übernehmen die Tschechenvon Beginn an in vielen Gemeinden der Slowakei die kommunale Gewalt,die nun eigentlich auf die Slowaken übergehen sollte. Als 1928 einführender slowakischer Politiker, der spätere Staatspräsident der Slowakei,Professor Dr. Vojtech Tuka in einer von ihm verfassten Schrift die einstzugesagte Autonomie für sein Volk verlangt, wird er mit 15 Jahren Haft bestraft. Die Unzufriedenheit der Slowaken wächst, je länger dieTschechen die Tschechoslowakei als "ihren" Staat regieren. 1937 fordertder Chef der Slowakischen Volkspartei Andrej Hlinka noch einmal diezugesagte Autonomie für die Slowaken, dazu die Anerkennung seinesVolkes als politische Körperschaft mit Minderheitenrechten und eineBesitzstandsgarantie für den Landbesitz des slowakischennBevölkerungsanteils. Im selben Jahr schreibt der "Slowakische Rat" der Exilslowaken aus den USA an die tschechische Regierung einen offenenBrief, in dem es heißt:

"Mit welchem Recht habt ihr die Slowakei und Ruthenien besetzt? Wir sind keine Tschechen, keine Tschechoslowaken. Wir sind Slowaken und

wollen Slowaken bleiben. Unser Volk leidet Mangel. Tschechische Polizeischießt bei Demonstrationen auf Slowaken. ... Gebt uns unsere Freiheit

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wieder."

Die tschechoslowakische Ehe ist Ende der 30er Jahre zerrüttet.

Die SudetenkriseIm. März 1938 wird Österreich an Deutschland angeschlossen. Von da ansteht das Thema „Tschechoslowakei” in London, Paris und Moskau auf die Tagesordnung. Hier argwöhnt man zu Recht, daß Hitler der Sudetendeutschen wegen und um sich der Tschechen im eigenen Rückenzu entledigen, als nächstes die Tschechoslowakei erobern könnte. Auchinnerhalb der Tschechoslowakei spitzt sich nun die Lage zu. DieForderungen der Sudetendeutschen nach der Verwirklichung der in der Verfassung vorgesehenen Autonomie innerhalb der Tschechoslowakeiwerden immer direkter vorgetragen. Die Benachteiligung und Verfolgungder Sudetendeutschen hört indes nicht auf. Vom 1. bis 31. Mai 1938werden in der Tschechoslowakei bei Übergriffen 3 Sudetendeutschegetötet und 130 verletzt, viele davon schwer. Des weiteren sind 40Überfälle mit Mißhandlungen von sudetendeutschen Bürger bekanntgeworden.

Im August 1938 entsendet die britische Regierung eine Kommission unter Sonderbotschafter Runciman nach Prag, um dort den Stand der sudetisch-tschechischen Differenzen zu ermitteln und, wenn möglich, zu vermitteln.Lord Runciman erfährt sehr schnell, daß ein Ausgleich zwischenTschechen und Sudetendeutschen nicht mehr möglich ist. RuncimansBericht vom 21. September 1938 fällt vernichtend für die Tschechen aus.Runciman empfiehlt, die Grenzbezirke mit überwiegend deutscher Bevölkerung unverzüglich von der Tschechoslowakei zu trennen und anDeutschland anzugliedern. Für weitere Gebiete, in denen die Sudeten nichtdie große Mehrheit bilden, schlägt er Volksabstimmungen vor und einenautonomen Status innerhalb der verbleibenden Tschechoslowakei.

In dieser Lage versucht der britische Premierminister Chamberlain zuretten, was zu retten ist.

Chamberlain verhandelt am 15. September in Berchtesgaden mit dem

deutschen Kanzler Hitler und noch einmal vom 22. bis 24. September inBad Godesberg bei Bonn, um das Problem der über drei Millionen

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Sudetendeutschen ohne Krieg zu lösen. Hitler verlangt den Anschluß der Sudetenlande bis zum 1. Oktober 1938 und droht anderenfalls mit Krieg.Dank der Vermittlung des italienischen Ministerpräsidenten Mussolinikommt es am 29. und 30. September 1938 auf der Münchener Konferenz

dann doch zu einer Lösung. Hier beschließen die Staats- undRegierungschefs aus Rom, Paris, London und Berlin in einemKompromiß:

1. Die Räumung der vorwiegend deutsch bewohnten Sudetengebietezwischen dem 1. und dem 10. Oktober 1938 und

2. daß ein internationaler Ausschuß unter tschechischer Beteiligungzusätzliche Gebiete bestimmen soll, in denen die spätere Zugehörigkeitdurch eine Volksabstimmung geklärt wird.

Dieses Münchener Abkommen der vier Mächte wird den Tschechen vonden Botschaftern Englands und Frankreichs wie ein Urteil ohneBerufungsmöglichkeit eröffnet mit der dringenden Empfehlung, esunverzüglich anzunehmen. So verliert die Tschechoslowakei im Oktober 1918 ihre überwiegend deutsch bewohnten Landesteile.

 

Der Zerfall der Tschechoslowakei

Die Trennung der deutschsprachigen Bevölkerung vom Staat der Tschechen und Slowaken nach der Konferenz von München löst dasProblem nicht, das dieser Staat seit seiner Gründung hat. Den Slowaken,Ungarn, Polen und Ruthenen (Ukrainern) sind 1919 in der „Vereinbarungvon Pittsburgh“ und im Minderheitenabkommen von Saint-GermainRechte zugesprochen worden, die sie nun - wie jetzt die Sudetendeutschen- endlich haben wollen. Doch die Tschechen kämpfen trotz des bitterenLehrgelds, das sie in München hatten zahlen müssen, weiterhin um ihreVorherrschaft über die Slowaken und Ruthenen. Zum Druck von innenfolgt nun neuer Druck von außen. Im Oktober 1938 fordert PolenGrenzgebiete von den Tschechen, im März 1939 folgen ungarischeAnsprüche. Am 13. März teilt der rumänische Außenminister Gafencu der 

deutschen Reichsregierung mit, daß

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„Rumänien kein Interesse an einem Fortbestand der Tschechei oder der Slowakei habe, und daß es sich in keiner Weise mehr an Prag gebundenfühle”.

An diesem Tage lösen sich die Slowakei und die Karpato-Ukraine aus der Tschechoslowakei. Die slowakische Regierung bittet Hitler unverzüglich,die Schutzherrschaft über ihren neuen Staat zu übernehmen. Die Karpato-Ukraine wird sofort von Ungarn annektiert. Am 14. März 1939 hat dieTschechoslowakei aufgehört, zu existieren.

 

Die Tschechei wird zum Protektorat

Am 13. März 1939, nimmt der englische Botschafter Henderson in BerlinVerbindung zu Staatssekretär von Weizsäcker im Auswärtigen Amt auf. Er will erfahren, was Hitlers weitere Absicht ist. Von Weizsäcker, der HitlersEinmarschpläne kennt, weicht aus und sagt nur: „Was auch immer getanwird, wird in einer anständigen Weise geschehen”. Henderson warnt vonWeizsäcker in aller Eindringlichkeit vor dem Eingreifen Englands für denFall, daß das Münchener Abkommen verletzt werden sollte. DieseWarnung bleibt, was Hitler später wohl vermerkt, eine leere Drohung.Henderson drängt am gleichen Tag noch seinen tschechischen Kollegen, er möge seinem Außenminister in Prag nahelegen, sofort nach Berlin zureisen und die tschechoslowakische Entwicklung mit der Reichsregierungabsprechen.

Ob auf Druck des englischen Botschafters oder aus eigenem Entschluß, am14. März wendet sich der bisherige Staatspräsident der Tschechoslowakei,und ab diesem Tag nur noch Präsident der Tschechen, Dr. Hacha an dendeutschen Kanzler. Er bittet um einen baldigen Besuchstermin. Noch am14. nachmittags reisen Dr. Hacha und sein Außenministers Chvalkowskymit der Bahn von Prag nach Berlin. Dr. Hacha trifft spät abends ein undwird mit allen zeremoniellen Ehren, die einem ausländischenStaatsoberhaupt gebühren, in der Reichshauptstadt empfangen. ImVorgespräch, das der tschechische Präsident noch im Hotel mit demdeutschen Außenminister führt, sagt Dr. Hacha zu von Ribbentrop, daß er 

gekommen sei, „um das Schicksal der Tschechei in die Hände des Führerszu legen”. Von Ribbentrop meldet Hitler diese hachasche Redewendung,

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worauf der von Ribbentrop beauftragt, sofort ein deutsch-tschechischesAbkommen zu diesem Zwecke zu entwerfen.

Als Dr. Hacha bei Hitler eintrifft, ist es inzwischen 1.15 Uhr morgens; für 

den alten und herzleidenden Präsidenten eine arge Strapaze. Hacha kannauf das, was nun auf ihn zukommt, nicht ganz unvorbereitet gewesen sein.Bereits beim Empfang am Bahnhof hatte ihn der tschechische Botschafter davon unterrichtet, daß soeben deutsche Truppen in Mährisch-Ostrau auf tschechisches Territorium vorgedrungen wären. Ansonsten sind diedeutschen Verbände, die zur Besetzung vorgesehen sind, während sich Dr.Hacha und Hitler gegenübertreten, bereits auf ihrem Marsch zur Grenze.Hitler hatte den Einmarsch deutscher Truppen schon vor zwei Tagen für diesen Morgen auf 6 Uhr in der Frühe festgelegt.

Präsident Hacha geht mit ausgestreckten Armen auf Hitler zu und eröffnetdas Gespräch mit einem Schwall von Freundlichkeiten:

„Exzellenz, Sie wissen gar nicht, wie ich Sie bewundere. Ich habe alle IhreWerke gelesen, und ich habe es möglich gemacht, daß ich fast alle ihreReden hören konnte.”

 Nach der Konferenzeröffnung ist es wieder der tschechische Präsident, der sofort das Wort ergreift. Nachdem er zunächst erklärt, daß er den nunselbständigen Slowaken „keine Träne nachweint” kommt er zum deutsch-tschechischen Verhältnis:

„Jahrhunderte lang haben unsere Völker nebeneinander gelebt und denTschechen ist es nie so gut gegangen wie dann, wenn sie mit denDeutschen im Einvernehmen lebten. Deshalb habe ich Sie auch um eineUnterredung gebeten, denn ich will die Mißverständnisse, die zwischenunseren beiden Ländern aufgetaucht sein mögen, ausräumen. Ich lege dasSchicksal meines Volkes in Ihre Hände mit der Überzeugung, daß ich es ingar keine besseren legen könnte.”

Hitler erwidert zunächst freundlich, doch dann beginnt er aufzuzählen,wie die alte Tschechoslowakei das deutsch-tschechische Verhältnisruiniert hat. Auch nach der Konferenz von München vor sechs Monaten

und nach der Ausgliederung der Sudetengebiete habe sich am alten Geistder Feindschaft nichts geändert. Die tschechische Armee sinne nur auf 

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Rache.

„So sind”, sagt Hitler, „bei mir am letzten Sonntag die Würfel gefallen. ...Ich habe der Wehrmacht den Befehl gegeben, in die Rest-Tschecho-

Slowakei einzurücken und sie in das Deutsche Reich einzugliedern. ....Jetzt gibt es nur noch zwei Möglichkeiten: entweder leistet dietschechische Armee dem Vormarsch der deutschen Truppen keinenWiderstand. In diesem Falle hat Ihr Volk noch gute Aussichten für dieZukunft. Ich werde ihm eine Autonomie gewähren, die weit über alleshinausgeht, wovon es zu Zeiten Österreichs hätte träumen können. Oder aber ihre Truppen leisten Widerstand. In diesem Falle werden sie mit allenmir zur Verfügung stehenden Mitteln vernichtet werden.”

Eine Verhandlung zwischen Hitler und Hacha findet nicht mehr statt. Der „Führer” drängt den tschechischen Präsidenten, seinen Truppen sofort zu befehlen, keinen Widerstand zu leisten. Der anwesende Oberbefehlshaber der Luftwaffe Göring, setzt nach und droht, andernfalls am nächstenMorgen Prag zu bombardieren. Dr. Hacha gibt schweren Herzens der Erpressung nach und weist Verteidigungsminister Sivory an, jedenWiderstand der tschechischen Armee zu unterbinden. Nachdem das klar ist, wird auch auf deutscher Seite ein Schießverbot für dieWehrmachtsteile ausgesprochen, die ab 6 Uhr die Grenzen überschreitensollen.

Morgens um 3.55 Uhr schreiten Hitler und Dr. Hacha zur Unterzeichnungder Erklärung, die Außenminister von Ribbentrop nach seinem erstenGespräch mit Hacha am vergangenen Abend auf Hitlers Geheiß entworfenhatte:

„... Auf beiden Seiten ist übereinstimmend die Überzeugung zumAusdruck gebracht worden, daß das Ziel aller Bemühungen die Sicherungvon Ruhe, Ordnung und Frieden in diesem Teil Mitteleuropas sein müsse.Der tschecho-slowakische Staatspräsident hat erklärt, daß er um diesemZiel zu dienen und um eine endgültige Befriedung zu erreichen, dasSchicksal des tschechischen Volkes und Landes vertrauensvoll in dieHände des Führers des Deutschen Reiches legt. Der Führer hat dieseErklärung angenommen und seinem Entschluß Ausdruck gegeben, daß er 

das tschechische Volk unter den Schutz nehmen und ihm eine seiner Eigenart gemäße autonome Entwicklung seines völkischen Lebens

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gewährleisten wird.”

Das Protektorat Böhmen und Mähren

Der Vollzug dieser erpreßten Abmachung geht erstaunlicher Weise ohnealle Reibungen über die Bühne der Tschechei. Die Wehrmacht besetztnoch bis zum Abend die Landesteile Böhmen und Mähren. Hacha bleibtRegierungschef bis 1945. Der frühere deutsche Außenminister von Neurath wird ihm als „Reichsprotektor” und Hitlers persönlicher Vertreter vorgesetzt. Die deutsche Reichsregierung übernimmt die RessortsAußenpolitik, Finanzen, Wirtschaft und Verteidigung in eigene Regie.Hachas tschechische Regierung verfügt mit der Hoheit über Inneres,Kultur und weitere Ministerien dann nur noch über die Befugnis, ein imInneren autonomes Eigenleben zu gestalten. Die Polizei bleibt demnachtschechisch. Das Militär wird von 150.000 Mann auf 7.000 abgerüstet.

Diese Darstellung darf nicht verdecken, daß die ProtektoratsmachtDeutschland die Tschechei bis 1945 mit einem Heer von 5.000Polizeibeamten kontrolliert und damit alle antideutschen Bestrebungen imKeim erstickt. Eine geschätzte Zahl von 36 bis 55tausend Tschechen wirdin den sechs Jahren Opfer deutscher Herrschaft, wobei - auch das gehörtzum deutsch-tschechischen Verhältnis - mehr als 90 Prozent der Denunziationen und Anzeigen, die zur Verhaftung von Tschechen führen,auch von Tschechen stammen .

Der Anschluß des Memellandes 1939

Die Geschichte des Memellandes

Im 12. und 13. Jahrhundert missionieren und erobern der LivländischeSchwertbrüderorden von Norden und der Deutsche Orden von Süden die baltischen Gebiete entlang der Ostseeküste. Die dort ansässigen Kurenund die deutschen Eroberer vermischen sich. Das Kurische als Sprachedieses Landstrichs stirbt dabei langsam aus. So wird das Memelgebietschon um das Jahr 1200 deutsch. Die Litauer siedeln zu der Zeit noch

weiter östlich hinter dem Siedlungsgebiet der benachbarten Szamaiten alsübernächste Nachbarn.

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1252 gründen deutsche Ordensbrüder dort, wo die Danje in die Ostseemündet, an einer Stelle, die auf Kurisch "Klajs peda" ( deutsch: flacheStelle ) heißt, ihre erste Burg und unmittelbar daneben eine deutsche

Siedlung. Daß die "Memelburg" der Ordensritter die erste Burg an diesemPlatze war, ist daraus zu schließen, daß die Kuren ihre Burgen auf denHöhen bauten und nicht wie Klajs peda an einer flachen Stelle in der  Niederung am Meer. So weist der heutige litauische Name Klaipeda für die früher deutsche Stadt Memel auf den kurischen Namen einer deutschen Burg hin und nicht auf eine frühere litauische Siedlung.

Ein Weiteres verdient erwähnt zu werden. Schon zur Zeit der erstendeutschen Besiedlung wandern getaufte Litauer - wenn auch in geringenZahlen - von Osten in das Ordensland. Sie sind im damals nochheidnischen Litauen der Verfolgung ausgesetzt und suchen Schutz beimOrden. Drei Jahrhunderte danach, nach der Reformation und der Umwandlung Ostpreußens und des Memellands von einem geistlichenOrdensstaat in ein weltliches Herzogtum, werden diese so genanntenKleinlitauer zusammen mit ihren deutschen Nachbarn Protestanten. Sie behalten zwar die Muttersprache, doch entwickeln sie einen eigenenlitauischen Dialekt und eine deutsch-litauische Zweisprachigkeit in ihrer Alltagspraxis. Zu Ende des Ersten Weltkriegs stellen diese Kleinlitauer im Memelland 48% der ansässigen Bevölkerung. Trotz der Bezeichnungund trotz der Muttersprache fühlt sich die Mehrheit der Kleinlitauer zumdeutschen Kulturkreis und zum Deutschen Reich gehörig. Bei der Memeler Volksbefragung nach den "Familiensprachen" im Jahre 1922 bekennen sich 71.156 Memelländer zur deutschen Sprache und 67.259 zur litauischen Sprache, doch nur 2,2% der Kleinlitauer wünschen, den Lese-und Rechtschreibunterricht in den Schulen von Deutsch auf Litauisch zuwechseln. Deutsch ist inzwischen ihre zweite angestammte Sprache.Soweit zur Vorgeschichte des Memellandes.

Versailles und das Memelland

Der Landzipfel zwischen dem Fluß Memel im Süden und dem Ort Nimmersatt im Norden, der den Staat Litauen nach der geographischenGegebenheit so ideal ergänzt, ist vor 1923 niemals litauisch gewesen. 1919

in Versailles beanspruchen die zwei Staaten Polen und Litauen dasMemelland für sich. Beide sehen im Zusammenbruch des besiegten

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Deutschen Reichs die Chance, ihre neu formierten Länder zu LastenDeutschlands "aufzurunden". Die Polen wollen ganz Litauen samtMemelland für sich, die Litauer das Memelland mit der Stadt und demHafen Memel als Tor zur nahen Ostsee. Die alliierten Siegermächte

erfüllen weder Polens noch Litauens "Ansprüche" auf das Memelland.Auch die deutschen Versuche, das Memelland zu halten, werden von denSiegermächten abgewehrt. Drei Vorstöße der Deutschen Reichsregierungund der memelländischen Volksvertretung im Mai, im August und imSeptember 1919 werden mit der Begründung abgelehnt, das Memelgebietsei nach dem Versailler Vertrag nicht mehr Teil des Deutschen Reichs,und man könne deshalb mit Deutschland in dieser Sache nicht verhandeln.Das Memelland wird 1919 von den Siegermächten von Deutschlandabgetrennt und als Völkerbundsmandat unter französische Verwaltunggestellt und dann 1923 völkerrechtswidrig von Litauen annektiert.

Die Annexion des Memellandes 1923 durch Litauen

Vom 10. Januar 1923 dringen 5 bis 6.000 litauische Freischärler und zivilgekleidete Soldaten in das Memelgebiet ein und vertreiben die 200französischen Soldaten, die bis dahin das Memelland kontrollieren. DieStändige Botschafterkonferenz der Siegermächte legt Protest ein, dochLitauen weigert sich, das Memelland herauszugeben. Die Siegerstaatengeben nach und übertragen am 16. Februar 1923 die Souveränität über dasMemelgebiet an Litauen. Damit haben die Siegermächten den Versailler Vertrag ein weiteres Mal gebrochen. Sie setzen allerdings den Abschlußeiner „Memelkonvention“ durch, die am 8. Mai 1924 im Namen desVölkerbunds mit Litauen geschlossen wird. Mit dieser Konvention wirdLitauen auferlegt, den Memelländern eine weitgehende Autonomie inihrem neuen Staate einzuräumen. Zur Memelkonvention gehört alsAnhang das „Memelstatut“ , die Verfassung für das übertragene Gebiet.

Das Memelland unter dem Memelstatut

Die litauische Regierung ist fortan durch einen Gouverneur im Memellandvertreten. Das Land regiert sich durch ein Direktorium selbst. Die Gesetzeerlässt der Memeler Landtag . Die Memelländer werden, ohne daß man siedazu befragt hat, Litauer. Die Wahl des ersten Memeler Landtags am

29.Oktober 1925 erbringt 94% der Stimmen für die Parteien der deutschenEinheitsfront und 6% für die litauischen Parteien. Der litauische

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Gouverneur in Memel verweigert der deutschen 94%-Mehrheit das Recht,den Regierungschef im Direktorium zu stellen. Er setzt statt dessen einenLitauer als Chef des Memeler Direktoriums ein. Eine Beschwerde desLandtags beim Völkerbund hierzu bleibt ohne Wirkung.

Die Folgejahre bleiben für die memelländische Bevölkerung und dieLitauer eine Zeit der unerfreulichen Auseinandersetzungen. Die Litauer werfen den Memelländern mangelnden Integrationswillen und Illoyalitätenvor. Die Memelländer ihrerseits beklagen eine nicht endende Kette vonVerstößen der Litauer gegen die Memelkonvention. Es gibt Streit über dieBenutzung des Deutschen als Schul- und zweite Amtssprache, über dieVerwaltung des Memeler Hafens, über die staatliche Finanzausstattung desautonomen Memelgebiets, über die vom Staat zu leistendenPensionszahlungen, über litauische Gerichtsurteile ohne Verfahren undAnhörung, über die konventionswidrigen Anwendungen des Kriegsrechts,über die wiederholte Absetzung des deutsch-memelländischen Chefs desDirektoriums, über die Pressezensur, über die Verhaftung vonLandtagsabgeordneten, über die ständige Blockierung vonLandtagsgesetzen durch den litauischen Gouverneur und so weiter und sofort.

Die 11 Klagepunkte

Im Laufe des Jahres 1935 bemüht sich Litauen um einen Nichtangriffspaktmit Deutschland. Reich zu schließen. Die Reichsregierung lehnt das mitHinweis auf die zu oft verletzte Memelkonvention ab. Im März 1938verlangt die deutsche Regierung von der litauischen in einer Note, dieKonvention ohne Abstrich einzuhalten. Die Note besteht aus “11Klagepunkten” von denen die Reichsregierung fordert, sie alsbaldabzustellen. Die Klagepunkte sind: Der Kriegszustand im Memelgebietseit 1926, die Beschränkungen der Vereins-, Versammlungs- undPressefreiheit, Verhaftungen durch den litauischen Kriegskommandantenund die litauische Politische Polizei, die weitgehende Lahmlegung der gesetzgeberischen Tätigkeiten des Memeler Landtags durch das häufigeVeto des litauischen Gouverneurs im Gegensatz zu den Bestimmungen der Konvention, unangemessen umfangreiche Enteignungen vonMemeldeutschen im Memeler Stadtgebiet im September 1937, Druck auf 

die Betriebe, deutsche durch litauische Arbeitskräfte zu ersetzen und soweiter. Bemerkenswert bei der Note der “11 Klagepunkte” ist, daß die

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Reichsregierung mit keiner Silbe das Verlangen äußert, das Memelland anDeutschland abzutreten.

Hitler faßt eine militärische Lösung des Problems allerdings schon im

Oktober 1938 als Möglichkeit ins Auge. Am 21. Oktober gibt er der Wehrmacht die lapidare Weisung,

„Die Wehrmacht muß jederzeit darauf vorbereitet sein, das Memelland inBesitz zu nehmen“.

Konkrete Pläne und Befehle folgen daraus jedoch zunächst noch nicht.

Die ersten deutsch-litauischen Verhandlungen 1938

 Nachdem Österreich und die Sudetenlande 1938 an Deutschlandangeschlossen worden waren, fordern auch die Memelländer ihreRückkehr in ihr deutschen Mutterland. Als sich die litauische Regierungihren Herrschaftsanspruch über das Memelland von Frankreich und vonEngland garantieren lassen will, winken beide Mächte ab. Als Konsequenzdieser außenpolitischen Lage beginnt die litauische Regierung nun, bei der deutschen zu sondieren. Der litauische Gesandte Šaulys trägt am 31.Oktober in Berlin den Wunsch vor, die deutsch-litauischen Beziehungenneu zu gestalten, und er bittet um eine Erklärung der deutschen Seite zur Unverletzbarkeit des litauischen Staatsgebiets. Das kommt dem Wunschgleich, daß Deutschland endgültig auf das Memelland verzichtet. DieReichsregierung verlangt jedoch vor weiteren Gesprächen erst einmal dievöllige Einhaltung der Autonomie fürs Memelland. Inzwischen ist der Verdruß der Memelländer über ihre litauische Herrschaft allerdings zugroß geworden, als daß sie noch mit der Autonomie hätte befriedigtwerden können. Ab November 1938 kommt es im Memelland zu prodeutschen Aufmärschen und Fackelzügen und zu der offenenForderung nach baldiger Rückgliederung ins Deutsche Reich. DieReichsregierung hält sich trotzdem zunächst weiterhin zurück.

Die Memeler Landtagswahl 1938

Am 20. November 1938 läßt die litauische Regierung die deutsche wissen,

daß sie bereit sei, mit Deutschland über alle offenen Fragen zu verhandeln.Am 1. Dezember erklärt sie auch die Bereitschaft, dem Memelgebiet die

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volle Autonomie zu geben. Reichsaußenminister von Ribbentrop erwägtdie Einladung seines litauischen Kollegen und läßt zwei Verträgeausarbeiten. Entwurf eins sieht die Rückkehr des Memellands zuDeutschland vor und als Gegenleistung einen litauischen Freihafen und

Wirtschaftsprivilegien in Memel. Entwurf zwei verlangt nur die volleAutonomie für das Memelland. Ansonsten informiert der Außenminister sein Haus, daß eine gewaltsame Rückeroberung des Memelgebietes nichtin der Absicht Hitlers liegt.

Am 11. Dezember 1938 wird erneut gewählt.. Die deutsche Liste bekommt87% der abge-gebenen Stimmen. Das Ergebnis wirkt wie ein Votum der Bevölkerung für den Anschluß an das Deutsche Reich.

Die Reaktionen aus Berlin und Kaunas auf die Landtagswahlen sind soetwas wie die Ruhe vor dem Sturm. Der “Stellvertreter des Führers”Rudolf Heß erläßt am 2. Februar 1939 eine streng geheime Weisung an diedeutschen Dienststellen im Memelgebiet und im Deutschen Reich, “daß jedes Hinarbeiten deutscher Parteistellen nach dem Memelgebiet zuunterbleiben habe, daß vor der Hand jeder Konflikt mit der litauischenRegierung zu vermeiden sei und daß die memeldeutsche Führung für dieDurchführung dieser Weisung verantwortlich gemacht werde”.

Als am 15. März 1939 der im Dezember1938 neu gewählte Landtag nochimmer nicht vom litauischen Gouverneur zu seiner ersten Sitzungeinberufen worden ist, hält der Vertreter der deutschen Parteienliste Dr.Ernst Neumann eine öffentliche Rede. Er beklagt die Verletzung desSelbstbestimmungsrechts der Memelländer. Er prangert denwirtschaftlichen Niedergang des Gebiets unter litauischer Herrschaft an,und er verlangt vom Gouverneur, den Landtag bis zum 25. März zu seiner ersten Sitzung einzuberufen. Und Dr. Neumann gibt Vertretern der Agentur Reuter und des DAILY TELEGRAPH ein Interview, in dem er erstmals öffentlich erklärt, die deutsche Bevölkerung des Memellandserwarte den Anschluß an das Deutsche Reich und hoffe, die litauischeRegierung werde das Gebiet freigeben. Er fügt hinzu, daß dieMemelländer keine Feindschaft gegen die litauische Bevölkerungempfinden würden, auch nicht gegen die litauischen Soldaten. - Damit istdie Katze aus dem Sack.

Der Deutsch-Litauische Staatsvertrag 1939

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 Nun will sich die litauische Regierung ihren Anspruch auf das Memellandvon England und Frankreich garantieren lassen, doch die Regierungen inParis und London winken ab. Am 20. März, nachdem Litauen in Paris und

London keinen Rückhalt findet, reist Außenminister Urbšys nach Berlin zuRibbentrop. Der deutsche Minister nutzt nun die ausweglose Lage deslitauischen Kollegen. Er weiß, daß Litauen das Memelland einst ohneRecht und mit Gewalt genommen hat, daß es die Memelkonvention dielängste Zeit nicht eingehalten hat, daß die Memelländer sich mitübergroßer Mehrheit für das Deutsche Reich entschieden haben und daßLitauen nun bei den Siegermächten keinen Rückhalt findet. VonRibbentrop stellt Urbšys vor die Wahl.

„Es gibt zwei Möglichkeiten”, so von Ribbentrop, “eine freundschaftlicheRegelung mit nachfolgendem freundschaftlichem Verhältnis zwischen den beiden Ländern. Hierbei würden wir wirtschaftlich großzügig sein und dieFreihafenfrage zu Gunsten Litauens lösen. Anderenfalls ist nicht zu sehen,wo die Entwicklung endet. Kommt es im Memelgebiet zu Aufständen undSchießereien, wird Deutschland nicht ruhig zusehen. Der Führer wird blitzartig handeln und die Situation wird dann von den Militärs bestimmt.”

Von Ribbentrop beendet das Gespräch mit dem Angebot eines Vertrages,der beides regeln soll, die Rückkehr Memels und den Freihafen für Litauen. Am Folgetag berät das litauische Kabinett das deutsche Angebotund beschließt, das Memelland zurückzugeben. Am Tag danach, dem22.März, schließen beide Länder den von Deutschland angebotenenVertrag, der das Memelland zurück ins Reich bringt und Litauen einenFreihafen in Memel und gewisse Rechte garantiert. Zeitgleich gehen Notender litauischen Regierung an die in London, Rom, Paris und Tokio, dienach Artikel 15 der Memelkonvention als Signatarmächte dieser Konvention “der Übertragung der Souveränitätsrechte über dasMemelgebiet zustimmen” müssen. Die angeschriebenen Mächte bekunden,daß sie nichts gegen die Rückübertragung des Memellands an Deutschlandunternehmen werden. So wird das Memelgebiet am 22. März 1939völkerrechtlich wieder deutsch.

Die Heimkehr des Memellandes 1939

Schon in der Nacht zum 23. beginnt das litauische Militär, vertragsgemäß

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aus Memel abzurücken. In den frühen Morgenstunden marschieren dafür drei nahe stationierte deutsche Heeresbataillone von Tilsit kommend ein,und ein Dutzend Schiffe der Kriegsmarine legt im Memeler Hafen an. Dieganze Übergabe ist kein kriegerisches Unternehmen.

Der Anschluß des Memellandes entspricht dem Willen der großenMehrheit der betroffenen Bevölkerung, und er folgt einem völkerrechtlichgültigen Vertrag. Am 15. Mai 1939 erkennt die britische Regierung dieRückkehr des Memellandes in einer Note an, in der sie schreibt:

„Ihrer Majestät Botschaft ... hat die Ehre, das (deutsche)Außenministerium ... davon in Kenntnis zu setzen, daß Ihrer MajestätRegierung des Vereinigten Königsreichs entschieden hat, die deutscheVereinigung mit Memel de jure anzuerkennen. ...”

Diese de-jure-Anerkennung ist insofern bemerkenswert, als sie in Englandund bei den anderen Erste-Weltkrieg-Siegermächten bald danachvergessen ist. Auf der Siegerkonferenz von Potsdam 1945 legen der englische Premier Churchill und US-Präsident Truman gemeinsam fest,was nach ihrer Lesart „Deutschland” ist. Für sie ist es das "Deutschland inden Grenzen von 1937" ohne Memel. Auch das InternationaleMilitärtribunal von Nürnberg erklärt die Heimkehr Memels in ihrem Urteil1946 zu einer von sechs Verletzungen des Versailler Vertrags. Dies Urteilübergeht, daß die Regierungen Englands und Frankreichs der Rückgabe1939 auf litauisches Befragen nicht widersprochen und den Artikel 99 desVersailler Vertrags damit selber aufgehoben haben. Es übergeht die „de- jure-Anerkennung” der englischen Regierung, mit der die Briten 1939sagen, daß ihre Anerkennung „von Rechts wegen” geschieht und nichtetwa aufgrund der geschaffenen Fakten oder infolge von Gewalt .Wirtschaftliche Kriegsgründe 1918-1939

Weltweite ökonomische Verwerfungen

Die Jahre zwischen den beiden großen Kriegen sind eine Epocheweltweiter ökonomischer Verwerfungen . Staaten finden sich dabei zuwirtschaftlichen Bündnissen zusammen und gehen bei Notwendigkeit auchwieder auseinander. So haben wir als erstes die Gold-Block-Staaten

Frankreich, Schweiz, Belgien und Niederlande, die ihre Währungen in einfestes Verhältnis zum Preis des Goldes setzen und ihr Papiergeld zu einem

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Wertanteil mit ihrem Staatsgold decken. Dies nennt man Goldstandard .Auch andere Staaten, wie die USA, England und die britischen Dominionsführen den Goldstandard nach dem Weltkrieg wieder ein, doch sie gehenzu Beginn der 30er Jahre wieder davon ab. Sie versuchen, mit einer 

Mischung von freiem Handel, Manipulationen ihrer Wechselkurse, mitSchutzzöllen und Einfuhrquoten durch die wirtschaftlich schweren Zeitender frühen 30er Jahre durchzu-kommen. Dann gibt es eine dritte Gruppe,die sogenannten Devisen-Kontroll-Staaten, die sich einerseits an denGoldstandard halten und andererseits ihre Außenhandels-Geldgeschäfteund den Außenhandel staatlich lenken. Dazu gehören Deutschland,Österreich, die Sowjet-union und eine Reihe südosteuropäischer Länder.Die vierte Gruppe sind der Sterling-Club, also England und die Dominion-Staaten, die ihre Währungen nach der Loslösung vom Goldstandard andas Pfund Sterling binden. Die Regierungen aller Staaten versuchen, denMenschen ihrer Länder „Lohn und Brot“ zu bieten, doch dieses oft zuLasten anderer Völker. Einen weltweiten Konsens über die „einzigrichtigen“ Wirtschaftsregeln gibt es nach dem Ersten Weltkrieg nicht. Soführt der Kampf um „Lohn und Brot“, der zugleich ein Kampf um Macht,Reichtum und Ressourcen ist, in aller Regel auch zuAuseinandersetzungen zwischen den beteiligten Nationen.

Die Kriegsschulden aus dem Ersten Weltkrieg

 Nach 1919 ist die Welt verändert. Die USA sind vom größtenVorkriegsschuldner zum größten Nachkriegsgläubiger geworden. Britenund Franzosen haben sich die Kosten des Ersten Weltkriegs zu großenTeilen von US-Banken finanzieren lassen. Sie müssen ihreKriegsschulden nun in Amerika begleichen. Das Deutsche Reich hatReparationen in einer Höhe an die Sieger zu bezahlen, die sogar dasDoppelte der gesamten deutschen Kriegskosten von 1914 bis 1918übersteigen ( 164 Mrd. RM deutsche Kriegskosten 1914-1918[ inflationsbereinigt ] zu 331 Mrd. RM Reparationen nach der Forderungvon 1921 ). Aus diesen deutschen Zahlungen hoffen Frankreich undEngland, ihre Kriegsschulden in den USA tilgen zu können. Auch dieSowjetunion muß noch Kriegsschulden bei ihren früheren Alliierten bezahlen, doch sie unterläßt es, da sie finanziell vom Kriege und von der Revolution stark angeschlagen ist. Mit diesen Hypotheken geht die

Weltwirtschaft der frühen 20er Jahre an den Start.

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Geld ist der Treibstoff für jede Art von Wirtschaft: für Handel,Investitionen, Modernisierungen, für die Finanzierung vonIndustrieansiedlungen, Verkehrsinfrastruktur, Handelsflotten usw. Ohneeigenes oder geliehenes Kapital kommt nichts in Gang. So arbeiten die

Volkswirtschaften aller Länder in den 20er Jahren mit Leih- undEigenkapital unter recht unterschiedlichen Bedingungen. Dazu kommt,daß die Regeln des Marktes und der Wirtschaft durch denvorhergegangenen Krieg und die Friedensverträge zu großen Teilen außer Kraft gesetzt sind. Das Geld fließt zwischen den Nationen jetzt nicht nur zur Verrechnung von gelieferten Waren und geleisteten Diensten. Es fließtin exorbitanter Menge auch zur Bezahlung der Kriegsschulden zwischenden Siegerstaaten und zur Entrichtung der Reparationen von den Besiegtenan die Sieger, dies alles ohne wirtschaftlichen Gegenwert. So werden dieeinen Länder immer reicher und die anderen immer ärmer, bis einnormaler internationaler Warenaustausch nicht mehr möglich ist. Das alles belastet und verfälscht die Weltwirtschaft der 20er Jahre.

Die deutsche Wirtschaft nach Versailles

Für Deutschland kommt hinzu, daß es durch den Versailler Vertragzunächst als Handels-partner weitestgehend ausgeschlossen wird.Deutsches Eigentum, das für den Außenhandel nötig wäre, wird enteignet,wie die Handelsagenturen, die Warenlager und die Immobilien imAusland, und wie die deutsche Handelsflotte. Ab 1921 wird der deutscheAußenhandel außerdem durch einen 26%-Zoll auf alle ausgeführten Warenzusätzlich behindert. Der Zoll geht an die Siegerstaaten. Trotz dieser Lageist Deutschland zum Export gezwungen. Es müßte nicht nur dielebensnotwendigen Importe durch Exporte in gleichem Wert verdienen.Deutschland müßte auch das Geld für seine Reparationen, die ja zunächstfür 70 Jahre vorge-sehen sind, erst einmal durch die Ausfuhr deutscher Güter im Ausland einnehmen. Da das nur in sehr geringem Umfangmöglich ist, lebt das Deutsche Reich in den Nachkriegsjahren vor allemvon ausländischen Krediten.

Die golden twenties

In den 20er Jahren boomt die Weltwirtschaft. Nur Deutschland stürzt

infolge seiner bisher nicht zurückgezahlten Kriegsanleihen, infolge der Reparationen und weiterer Kriegsfolge-lasten, wegen der Erschöpfung von

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Industrie und Rohstoffen und durch den gebremsten Außenhandel 1923 ineine schlimme Inflation. Im November 23 wird eine Billion „Papiermark“in eine Rentenmark getauscht. Hinzu kommt, daß das Deutsche Reich abSommer 1923 zunehmend verschuldet. Nach der Inflation kommt es zu

einer kleinen Konjunktur, den „golden twenties“, aber auch die beruht vor allem wieder auf Krediten aus dem Ausland. Deutschland blüht für kurzeZeit auf Pump.

Die Weltwirtschaftskrise

Englands wirtschaftliche Lage ist solang solide, bis Frankreich mit seinemAußenhandel Englands Handel abhängt und bis höhere Zinsen in Paris ingroßem Umfang Kapital aus London abzieht. 1926 beginnt schließlichauch Großbritanniens Goldvorrat nach Frankreich abzufließen. Frankreichschädigt so zu sagen England. 1929-30 wird Nordamerika von dreiBankenkrisen nacheinander heimgesucht, ausgelöst vom Preisverfall für Landwirtschafts-produkte und in dessen Folge vom Konkurs von 600kleinen Banken und „gekrönt“ vom Zusammenbruch der Börse in NewYork im Oktober 1929. Der Börsenkrach in den USA und EnglandsFinanz- und Wirtschaftsschwäche schlagen weltweit durch. Die USAziehen ihr verliehenes Kapital kurzfristig aus Deutschland ab, sodaß der  New Yorker Börsenkrash auf Deutschland überspringt. Was nun folgt,sind drei Jahre weltweiter Depression.

Zu Beginn der 30 er Jahre gehen viele Staaten, wie die USA, Kanada undEngland vom Goldstandard ab. Weltweit beginnen die Industrienationen,ihre heimischen Volkswirt-schaften und Gold- und Devisenreserven mitSchutzzöllen, Importquoten und anderen Handelshemmnissen vor der Konkurrenz des Auslandes abzuschirmen. Frankreich und die USA sindzunächst in einer komfortablen Lage. Die US-Wirtschaft fährt trotz hoher Arbeits-losigkeit und Bankenkrisen nach wie vor Gewinne ein. Der US-Goldvorrat nimmt bis zum Kriegsbeginn hin kräftig zu. Frankreich lebt für ein paar Jahre gut von Industrie und Handel, von gesunden Banken, vonExporten und den Reparationsleistungen und –zahlungen aus Deutschland.Die Franzosen finanzieren und rüsten in der Zeit die Länder Osteuropas„in Deutschlands Rücken“ auf. England leidet zur gleichen Zeit schonunter seinem defizitärem Außenhandel, unter Kapitalflucht, dem Abfließen

eines Teiles seines Goldvorrats und hoher Arbeitslosig-keit. DeutschlandsLage ist bereits beschrieben.

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Die Konferenz von Lausanne 1932

Mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 verändert sich das Bild. Die großen

Industrienationen versuchen, nach recht unterschiedlichen Methoden demDilemma der Krise zu entrinnen. 1932 bemühen sich Sieger und Besiegteauf einer Konferenz in Lausanne, die Restschulden Österreichs undDeutschlands aus den noch offenen Reparationen einvernehmlichfestzulegen, doch kein fremdes Land gibt Deutschland die nötigen Kredite,um die Restschuld abzutragen. Deutschland stellt die Zahlungen ein. Nunweigern sich Paris und London ihrerseits, ihre Kriegsschulden in NewYork zu zahlen. Dem folgt ein Kreditverbot der USA gegenüber Großbritannien und Frankreich, das bis zum Zweiten Weltkrieg gilt. Ein jeder gibt die Schuld dafür den Anderen.

 beggar-my-neighbour policy

Die USA und England lösen sich vom Goldstandard und entdecken dieGeldentwertung als wirtschaftliche Waffe. Der Wert von Pfund und Dollar läßt sich nun nach den Beschlüssen von Zentralbank und Regierunggegenüber dem Preis des Goldes senken. Und eine billigere eigeneWährung fördert die Exporte, verbilligt die Kredite, hebt die Inlandspreiseund damit die Einkommen in Industrie und Landwirtschaft, und hälttendenziell ausländische Produkte vom eigenen Markte fern. Die Staatenversuchen, mit billigen eigenen Währungen möglichst viele Waren imAusland abzusetzen und damit Inlandsarbeitsplätze zu schaffen oder zuerhalten. Doch das verschiebt nur die eigene Arbeitslosigkeit ins Ausland.Der englisch-amerikanische Ausdruck von damals für diese Währungs-und Wirtschaftspolitik heißt deshalb „beggar-my-neighbour-policy“ ; inholperigem Deutsch: „ Mach-meinen-Nachbarn-zum-Bettler-Politik“. Dasist Wirtschaftskampf mit monetären Mitteln. Die ersten Opfer dieser Manipulationen sind Frankreich, die andere Gold-Block-Staaten und dasDeutsche Reich. Die USA riegeln ihren Inlandsmarkt außerdem bis Ende1932 durch hohe Zölle und Importquoten von der Einfuhr fremder Warenab. Als das die Massenarbeitslosigkeit nicht lindert, wirft Roosevelt beiseinem Amtsantritt das Ruder um. Er setzt auf freien Handel und verlangtvon allen Staaten, ihre Märkte für Waren und Produkte aus den USA zu

öffnen. Er erhebt den „freien Handel“ ohne Zölle und Quoten zu einem der Ziele der amerikanischen Außenpolitik.

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Die Konferenz von Ottawa 1932

Ab Sommer 1932 geht England einen eigenen Weg. Es bildet auf der 

Konferenz von Ottawa einen Wirtschaftsblock der Empire-Staaten, dieihre Währungen von nun an statt an Gold an das Pfund Sterling binden.Dieser Sterling-Club ist damit eine der neuen Sonderwirtschafts-zonen, diesich mit Handelsprivilegien nach innen und Schutzzöllen nach außenVorteile zu schaffen suchen. Der Sterling-Block ist für die USA einwirtschaftsschädigender Konkurrent. 1939 gelingt es Roosevelt, die„Ottawa-Zone“ zu knacken, als England Kapital und Waffen aus den USAfür den Zweiten Weltkrieg braucht. Frankreich, Belgien und die anderenGold-Block-Länder halten ihre Währungen noch für ein paar Jahre an dasGold gebunden und damit stabil. Da Franc, Belga, Gulden usw. jetztgegenüber Pfund und Dollar teurer werden, verlieren diese Länder viel anihren Exporten und am Volkseinkommen. Die Kapital- und Goldverlustesind so hoch, daß Frankreich 1936 den Goldstandard aufgibt und 1938 denFranc ans Pfund ankoppelt. Damit gehört auch Frankreich ab 1938 zumSterling-Club und damit zum wirtschaftlichen „Gegnerlager“ der USA.

Die Wirtschaft im Dritten Reich

Deutschland und Österreich, sowie viele Länder Südosteuropas, des NahenOstens und Südamerikas haben Anfang der 30er Jahre alle ähnlicheProbleme. Ihnen mangelt es an eigenem Kapital, und Deutschland fehlenseit Hitlers Wahl zum Kanzler zusätzlich die Kreditgeber im Ausland. Sostagniert ihr Außenhandel und damit die Einnahmen, mit denen dienotwendigsten Importe zu bezahlen wären. Dem folgen sinkendeVolkseinkommen, hohe Arbeitslosigkeit und die Verelendung der ärmerenBevölkerungsschichten.

Deutschland sucht sich seit 1933 einen eigenen Weg aus dem Dilemma:die wirtschaftliche Autarkie. Die Reichsregierung beginnt, mit zweiVierjahresplänen die Volkswirtschaft zu steuern. Der Erste Vierjahresplanvon 1933 soll die Ernährung der Bevölkerung verbessern und denschnellen Abbau der hohen Arbeitslosigkeit bewirken. Der Plan hat inerster Linie Binnenwirkung. Der Zweite Vierjahresplan von 1936 soll die

wirtschaftliche Abhängigkeit des Deutschen Reichs vom Auslandminimieren. Nach der jahrelangen Abschnürung Deutschlands von seinen

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Rohstoff- und Nahrungsmitteleinfuhren während des vergangenen Kriegeswill Hitler Deutschland vor der Wiederholung einer solchen Zwangslagesichern. ( siehe hierzu Fußnote ) Der Plan von 1936 soll dieSelbstversorgung Deutschlands steigern, die wirtschaftliche

Unabhängigkeit vom Ausland verbessern und der Förderung des eigenenExportes dienen. Der Zweite Vierjahresplan schlägt folglich störend auf die Volkswirtschaften anderer Länder durch. Die Reichsregierung steuertdamit einen Kurs, die eigene Wrtschaft weitgehend ohne ausländischeWaren, Produkte und Kredite zu sanieren. Zwei Gleise liegen auf demKurs, das eine für die Binnenwirtschaft, das andere für den Außenhandel.In der Binnenwirtschaft entwickeln Wissenschaft und IndustrieErsatzstoffe und Produkte, die bisher aus dem Ausland kamen. Der Geldkreislauf im Inland für die Aufbauleistungen im Straßenbau,Wohnungsbau und in der Rüstung wird mit einem Kunstgeld, densogenannten Mefo-Wechsel , angestoßen. Die Zinssätze der Bankenwerden drastisch abgesenkt. Der Devisen- und Goldverkehr mit demAusland wird staatlich kontrolliert und der Privatwirtschaft entzogen.Dabei dürfen Gewinne ausländischer Firmen nur noch als Waren, nichtmehr als Geld ins Ausland fließen. Mit alledem wird die Volksversorgungund die Schaffung neuer Arbeitsplätze angekurbelt.

Die deutsche Sonderwirtschaftszone

Auf dem zweiten Gleis spielt sich der deutsche Außenhandel ab. DasDeutsche Reich schließt mit 25 devisenschwachen Ländern inSüdosteuropa, im Nahen Osten und in Südamerika zweiseitige Verträgeüber einen zahlungsfreien d.h. devisenlosen Außenhandel , also Waregegen Ware, z.B. Linsen aus Chile gegen Lokomotiven aus Deutschland.Der Warenaustausch zwischen Deutschland und den Partnerländern wirdmonatlich Wert gegen Wert verrechnet , ohne daß noch Devisen zur Bezahlung fließen, und ohne daß der Handel mit geliehenem undverzinsten Geld vorfinanziert werden müßte. So baut sich Deutschlandzwischen 1932 und 1936 eine informelle Sonderwirtschaftszone auf, eindeutsches Präferenzsystem . Die meisten der Vertragspartnerländer sindseit der Weltwirtschaftskrise so knapp an Devisen, daß sie IhrenDevisenaußenhandel staatlich kontrollieren müssen; daher dieBezeichnung Devisen-Kontroll-Staaten. An dem System des devisenlosen

und weitgehend zinsfreien Außenhandels profitiert jedes Land, das sichvertraglich an Deutschland bindet. Dabei aber - und das ist der Pferdefuß -

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verlieren die USA, Großbritannien und Frankreich auf Märkten großeMarktanteile, auf denen sie bisher beherrschend waren, besonders die USAin Südamerika. Außerdem verlieren New York und London ihreKreditgeschäfte bei der Vorfinanzierung des Außenhandels in den Staaten,

die jetzt Tauschhandel mit den Deutschen treiben.Deutschland als wachsender Konkurrent vor dem Zweiten Weltkrieg

Es sieht so aus, als würde Deutschland vom finanziellen Zwerg zumwirtschaftlichen Riesen wachsen, und zwar zu Lasten der Sieger aus demErsten Weltkrieg. Das Wachstum zu einem Wirtschaftsmittelpunkt ist inder Wahrnehmung der Amerikaner, Briten und Franzosen 1939 noch nichtabgeschlossen. Hitlers und von Ribbentrops Bemühen um „freie Hand“ für eine politische Hegemonie in Ost- und Südosteuropa signalisiert, daß der deutsche wirtschaftliche Aufstieg offensichtlich weitergehen soll. Für dieUSA ist damit neben England und seinem Sterling-Club ein zweiter Konkurrent entstanden. Präsident Roosevelt muß sich nun Sorgen machen,daß Deutschland in Südamerika wirtschaftlich Erfolge hat und die US-Exporte dorthin behindert, daß es damit in den Ländern Südamerikas politisches Ansehen und Gewicht bekommt, daß die US-Kreditgeschäfte inSüdamerika abnehmen und zuletzt auch, daß das deutsche „Modell“ in denUSA an Attraktivität gewinnen und seine - Roosevelts - Popularität beschädigen könnte. Immerhin gelingt es dem deutschenReichsbankpräsidenten und Handelsminister Hjalmar Schacht und HitlersPolitik, die Arbeitslosigkeit in Deutschland bis 1938 abzubauen und dasVolkseinkommen zu verdoppeln, während Roosevelt mit seinem New-Deal-Programm trotz guten Außenhandels immer noch auf 10,4 MillionenArbeitslosen sitzt.

Roosevelts Forderung nach weltweitem Freihandel

Wie ernst es Roosevelt mit der deutschen Konkurrenz ist, zeigt, daß er häufig vor einer Durchdringung Lateinamerikas durch die Achsenmächtewarnt, und daß er sich bemüht, die südamerikanischen Staaten mitwirtschaftlichen und finanziellen Repressalien wieder aus dem deutschenPräferenzsystem herauszubrechen. Präsident Roosevelt verpackt die US-Handels- und Finanzinteressen in seinem politischen Programm der 

„friedlichen Weltordnung“ als Programmpunkt „friedliche und freieHandelspolitik“. In den beiden Begriffspaaren bedeutet „friedlich“ zuerst

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einmal US-amerikanisch. Der sogenannte freie Handel ist für Roosevelt -wie sich später zeigt - ein Kriegsgrund. Als er im März 1940 nach Polens Niederlage in Berlin, Paris und London sondieren läßt, wie man in Europazu einem Frieden kommen könnte - England und Frankreich haben zu der 

Zeit Deutschlands Angebot zu einem Frieden abgelehnt - , stehen fünf Fragen auf der Tagesordnung: die Zukunft Polens und die der Tschechei,die Wirtschaftsordnung in Europa, die Abrüstung und nachgeordnet auchdie Menschenrechte. Bei den Sondierungen, die der US-Unterstaatssekretär Welles in Roosevelts Auftrag bei den Deutschenvornimmt, ist der von Hitler und Göring vorgebrachte Standpunkt, daßman deutscherseits bereit ist, sich aus Polen - ohne Korridor und Danzig -zurückzuziehen, desgleichen aus der Tschechei als einem in Zukunftweitgehend entmilitarisierten Staat. Nur in den Wirtschaftsfragen beharrensowohl Hitler als auch Göring auf der deutschen Wirtschafts- undWährungspolitik, wozu das System des devisenlosen Tauschhandels mitLändern in Südosteuropa und Südamerika gehört. Auf dieser Basis istRoosevelt nicht an einem Frieden interessiert. Er setzt seine Politik der Vorbereitung der USA auf eine Kriegsteilnahme fort. Mit einem Kriege inEuropa kann der amerikanische Präsident zwei Fliegen mit einer Klappeschlagen. England muß die Ottawa-Sonderwirtschaftszone als Preis für den Kriegseintritt der USA an seiner Seite opfern. Und Amerika undGroßbritannien können bei einem Sieg gemeinsam DeutschlandsSonderwirtschaftszone tilgen.

Deutschlands Handel als ein Kriegsgrund unter anderen

Auch Großbritannien ist von Deutschlands eigenem Weg betroffen.Obwohl die Ottawa-Staaten sich selbst nach außen hin abriegeln und soden freien Handel unterbinden, ist Deutschlands Art, den internationalenKapitalmarkt auszuschließen und sich durch Vorzugsregelungen dieMärkte von 25 anderen Ländern zu erschließen, aus ihrer Sicht nichtakzeptabel. Wie man den deutschen Handel von London aus beurteilt, istschon an früherer Stelle dieses Buchs beschrieben. Der englische Generalund Historiker Fuller schreibt nach dem Krieg rückschauend zum deutsch-englischen Verhältnis:

„Hitlers Traum war daher ein Bündnis mit Großbritannien. ... Ein solches

Bündnis war jedoch unmöglich, hauptsächlich deshalb, weil unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung dessen Wirtschaftspolitik des direkten

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Tauschhandels und der Exportprämien dem britischen und amerikanischenHandel einen tödlichen Streich versetzte.“

US-Präsident Roosevelt drückt das Gleiche an dem Tage, an dem er 

 beschließt, die USA an der Seite Englands in den Krieg zu führen, kürzer aus, als er zu seinem Sohne Elliott sagt:

"Will irgendwer behaupten, daß Deutschlands Versuch, den Handel inMitteleuropa zu dominieren, nicht einer der Hauptgründe für den Kriegwar?"

Die Methoden, welche die Staaten zwischen der Weltwirtschaftskrise unddem Krieg anwenden, nutzen den Anwendern und schaden allenKonkurrenten, egal ob Schutzzoll, Geldabwertung, Zinsanhebung,Vorrangvertrag, Tauschhandel oder Importquoten. Sie alle sindInstrumente finanz- und handelstechnischer Natur. Doch die USA , wieauch Britannien, umhüllen diese Instrumente mit einem moralischesGewand. Sie deklarieren ihre eigenen Konkurrenzmethoden als„friedlichen und freien“ Handel. Zum Schluß sind Pfund und Franc undMark dem Dollar angekoppelt, der das Stück bis 1971 noch mit 0,7Gramm Gold gedeckt ist und danach mit nichts mehr. Ab da können dieUSA ihre Importe mit selbstgedruckten Dollar finanzieren, während alleanderen Staaten sich ihre Importe erst verdienen müssen, meist in Dollar.Der Weg zu diesem Sieg der USA beginnt in den 30er Jahren, und der Krieg gegen das Deutsche Reich ist auf dem Weg ein Schritt .

Fußnote zu Vierjahresplan 1936: Hitlers schriftliche Aussagen in seinemVierjahresplan beziehen sich auf einen von ihm als unausweichlichangesehenen Abwehrkampf Deutschlands gegen einen zukünftigen Angriff der bolschewistischen Sowjetunion .

Polens Minderheiten 1920-1939

Das neue Polen ist mit der Angliederung ehemals ukrainischer,weißrussischer, litauischer, tschechischer und deutscher Landesteile einVielvölkerstaat geworden. Die Bevölkerung des Landes besteht 1921 aus

30 Millionen polnischen Staatsbürgern, von den 19 Millionen - das sindzwei Drittel - als Muttersprache Polnisch sprechen. 5 Millionen sind

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Ukrainer, 2,5 Millionen Juden, 2 Millionen Deutsche und 1,2 Millionensind Weißrussen. Dazu kommen weitere Minderheiten litauischer,tschechischer oder ungarischer Herkunft sowie Kaschuben und Slonzaken.Im eroberten „Ostpolen“ sind die Polen selber eine Minderheit. Auf 7,4

Millionen Ukrainer, Juden und Weißrussen kommen dort gerade einmal1,5 Millionen angestammte Polen, also knapp ein Sechstel aller Menschen,die dort wohnen.

Polen hat die Rechte seiner Minoritäten zunächst in dem zum Versailler Vertrag gehörenden Minderheitenschutzvertrag garantieren müssen. Dochdie Polen und die Siegermächte entwerten diesen Schutzvertrag alsbaldmit einer Serie von gegen die Minderheiten gerichteten Handlungen undVerordnungen. Die Polen rächen damit die früher erduldete Russifizierungund Eindeutschung aus der Zeit der polnischen Teilungen. Doch sie gehenmit der Polonisierung derer, die nun Minderheit in Polen sind, weit über das hinaus, was ihnen selbst zuvor - zumindest unter deutscher undhabsburger Herrschaft - zugemutet worden ist.

Der Völkerbund macht die Lage der Minderheiten in Polen wiederholtzum Thema, doch er greift kaum ein. Am 15. Juni 1932 berichtet Lord Noel-Buxton vor dem Unterhaus in London über eine Tagung desVölkerbund-Rats zu diesem Thema:

„In den letzten Tagen sind auf den Tagungen des Rats des Völkerbundeswichtige Fragen, die die nationalen Minderheiten betreffen, behandeltworden. Vor allem wurde auf der Januar-Tagung ein Bericht verhandelt,der sich mit der so genannten Terrorisierung beschäftigte, die im Herbst1930 in der Ukraine stattgefunden hat. .... Assimilierung durch Zerstörungder Kultur ist an der Tagesordnung. ... Aus dem Korridor und aus Posensind bereits nicht weniger als 1 Million Deutsche seit der Annexionabgewandert, weil sie die Bedingungen dort unerträglich finden. ... Im polnischen Teil Ostgaliziens wurden vom Ende des Krieges bis 1929 dieVolksschulen um zwei Drittel vermindert. In den Universitäten, in denendie Ukrainer unter österreichischer Herrschaft elf Lehrstühle innehatten, besitzen sie jetzt keinen, obwohl ihnen 1922 von der polnischen Regierungeine eigene Universität versprochen worden war. In dem Teil der  polnischen Ukraine, der früher zu Rußland gehörte, in Wolhynien, sind die

Bedingungen noch härter... Wir können in diesem Zusammen-hang eine besonders beklagenswerte Tatsache nicht beiseite lassen, nämlich die

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Heimatland verlassen und Zuflucht im benachbarten Deutschland und auf dem Weg über Deutschland im westlichen Ausland suchen, meist in denUSA..

Eine weitere Minderheit, jedoch mit nur 106.000 Menschen, sind dieKaschuben, die Urbevölkerung im küstennahen Pomerellen aus der Zeitvor der ersten polnischen Eroberung. Sie pflegen neben ihrer eigenenSprache auch ihre eigene Identität. Die politische Bedeutung der Kaschuben in den 20er Jahren ergibt sich aus ihrem Siedlungsgebiet in Norden Westpreußen-Pomerellens, dort wo Pommern und Ostpreußen sicham nächsten kommen. Die Polen zählen die Kaschuben als Polen, umdamit nachzuweisen, daß die Bevölkerung im Korridor schon immer  polnisch war. Die Unzufriedenheit der Kaschuben mit ihrer neuenStaatsgewalt in Warschau wird ihnen von den Polen als Undank und alsDummheit ausgelegt.

Die deutsche Minderheit in Polen - zunächst gut 2 Millionen Menschen -nimmt bis 1923 auf 1,2 Millionen ab. Als erstes inhaftiert man 16.000Deutsche als „Staatsfeinde“ in zwei Konzentrationslagern im Posener Gebiet. Ab 1922 werden die Deutschen ausgewiesen, die nach 1908 insLand gekommen sind. Dann stellt man die Deutschen vor die Wahl, sichfür Polen zu entscheiden oder für Deutschland oder andere Länder zu„optieren“ und dorthin auszuwandern. Die „Optanten“, die sich zuDeutschland oder Österreich bekennen, müssen ab 1925 das Landverlassen und werden für die zurückgelassene Habe, für das Bauernlandund ihre Forsten zunächst nicht entschädigt. Zudem entläßt man diedeutschsprachigen Beamten. Etwa die Hälfte der russischen, jüdischen unddeutschen Schulen und Universitäten wird geschlossen. Der doppelsprachige Unterricht, soweit nach Kriegsende noch erteilt, wird per Gesetz verboten. Einem großen Teil der Deutschen, genauso wie der Ukrainer, Weißrussen, Juden und Österreicher werden ihre Arzt- undApothekerapprobationen und die Geschäfts- und Verlagslizenzenentzogen. Und ansonsten wird polnischerseits geschäftlich alles boykottiert, was nicht polnisch ist.

Als 1938 erst Österreich und dann die Sudentengebiete mit dem DeutschenReich vereinigt werden – oder okkupiert, wie das die Polen sehen - steigt

die Angst der Polen, Deutschland könnte auch von ihnen Land undMenschen aus dem Bestand des früheren Deutschen Reichs

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zurückverlangen. Nach der Annexion des Teschener Gebiets durch Polenim September 38, als Hitler Verhandlungen über die Zukunft der StadtDanzig fordert und eine Garantie für sichere Verkehrsverbindungen insabgetrennte Ostpreußen, nimmt die Feindschaft der Polen gegen ihre

deutsche Minderheit wieder scharfe Formen an. Terrorakte gegenDeutsche, die Zerstörung deutscher Geschäfte und Brandstiftungen auf deutschen Bauernhöfen werden zum Pogrom. Nach der Rückgliederungdes Memellandes an das Reich im März wird die Lage der Deutschen inPolen gänzlich unerträglich. Im Sommer 1939 wird die Zahl der Deutschen, die dem entkommen wollen und Polen „illegal“ verlassen,immer größer. Bis Mitte August sind über 76.000 Menschen ins Reichgeflohen und 18.000 zusätzlich ins Danziger Gebiet. Die Berichte über denUmgang der Polen mit ihrer deutschen Minderheit und die Schilderungender Geflohenen sind Öl aufs Feuer des deutsch-polnischen Verhältnisses inden letzten Wochen und Tagen vor dem Kriegsausbruch. Der damaligeStaatssekretär von Weizsäcker schreibt dazu in seinen Erinnerungen:

„Unsere diplomatischen und Konsularberichte zeigten, wie 1939 die Welleimmer höher auflief und das ursprüngliche Problem, Danzig und diePassage durch den Korridor überdeckte.“

Polen hat sich, anders als von den Siegermächten des Ersten Weltkriegsvorhergesehen und gewünscht, nicht zu einem Vielvölkerstaat nach Art der Schweiz entwickelt. Es verspielt von Anfang an die Chance, dieMinderheiten in ein neues Vaterland zu integrieren. Man macht im neuenPolen nicht einmal den Ansatz des Versuchs, die großen Minderheiten der Deutschen, Juden, Weißrussen und Ukrainer für das eigene Land zugewinnen. Das Bemühen, die Identität der Minderheiten zu zerstören,dreht Haß und Terror in einer Spirale fast zwei Jahrzehnte lang nach oben.So ist 1939 in Deutschland und in Rußland auch niemand mehr bereit, diePolen als die Opfer der drei früheren Teilungen zu betrachten, denen manhistorisch etwas schuldet. Man sieht in ihnen mittlerweile die Täter gegenDeutsche und Ukrainer, denen ein schlimmes Schicksal das Los der Minderheit in Polen aufgebürdet hat .

Polens Bündnispolitik 1920-1939

Polens Sicherheit beruht auf einem Netzwerk von Verträgen. Zunächstknüpfen Frankreich und das Kollektiv der Siegermächte dieses Netz.

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Letztere binden Polen an einen Minderheitenschutzvertrag, um denvorhersehbaren Sprengstoff, den die neu geschaffenen Minoritäten bilden,zu entschärfen und um den Vaterländern dieser Minderheiten den Grundfür spätere Interventionen oder Rückeroberungen zu nehmen. Polen

empfindet diese Regelung als Diskriminierung und kündigt 1934 denVertrag, der jedoch Teil des Vertragswerks von Versailles ist. Polen rütteltdamit zum zweiten Mal an der Konstruktion der Pariser Vorortverträge.Das erste Mal war das die Nichtanerkennung der Curzon-Linie. Die polnischen Regierungen demontieren damit eine Friedensordnung, auf diesie sich trotzdem immer wieder selbst berufen; eine Ordnung, die Polenspäter vielleicht hätte schützen können.

 

Das Verhältnis Polen - Frankreich

 Nach 1920 knüpft Frankreich sein Netz von bilateralen Verträgen mit denStaaten Mittel-Osteuropas, um Deutschland mit einer so genannten„Kleinen Entente“ einzukreisen. Am 19. Februar 1921 schließen Polen undFrankreich einen Allianzvertrag mit dem Versprechen, sich im Falle einesnicht provozierten Angriffs durch dritte Staaten gegenseitig beizustehen.Der Vertrag wird durch eine geheime Militärkonvention ergänzt, die diefranzösische Unterstützung im Falle eines deutschen oder sowjetischenAngriffs gegen Polen regelt. Frankreichs Absicht hinter den Verträgen istindessen, daß Polen Frankreich mit Truppen gegen Deutschlandunterstützt, sollte Frankreich dessen irgendwann einmal bedürfen.

1936, als Hitler Truppen in die Rheinlandzone einmarschieren läßt unddamit die Wehrhoheit im eigenen Lande wiederherstellt, fühlt Frankreichsich zu schwach, das zu verhindern. Es macht keinen Gebrauch mehr vonder Möglichkeit, die Kleine Entente zu einer „Strafaktion“ gegenDeutschland zu aktivieren. Spätestens von da an weiß man auch inWarschau, daß Paris nun nicht mehr auf die polnische Karte setzt.

Am 16. März 1939 ändert sich das wieder. Hitler bricht an diesem Tagsein Münchener Versprechen und macht die Rest-Tschechei zumProtektorat. Das ist für die Polen, Briten und Franzosen Grund zu der 

Befürchtung, daß die Deutschen bald auch Danzig übernehmen werden. Nun bittet Polen England und Frankreich um ein Garantieversprechen für 

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sich selbst. Am 25. März 1939 gibt London das Versprechen. Am 31.März folgt Paris mit einer Garantieerklärung. Am 15. Mai besprechen der  polnische Kriegsminister General Kasprzycki und sein französischer Kamerad General Gamelin, wie Frankreich Polen in einem Kriege

unterstützen würde. Man sagt sich gegenseitig zu, gemeinsam gegenDeutschland vorzugehen. Polen stellt dabei in Aussicht, der deutschenWehrmacht größtmögliche Verluste beizubringen und, sobald dieWehrmacht angeschlagen ist, Ostpreußen anzugreifen. Der FranzoseGamelin verspricht seinerseits eine französische Großoffensive ab dem 15.Tag der Allgemeinen Mobilmachung in Frankreich. Für Deutschland istdabei bedeutend, daß die Zusage eines Angriffs der Franzosen gegenDeutschland auch dann gilt, wenn nicht Polen angegriffen, sondern nur Danzig an Deutschland angeschlossen wird.

 

Das Verhältnis Polen - Großbritannien

Großbritannien übernimmt erst kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegsdie Rolle einer „Schutzmacht“ Polens. Die Haltung Londons gegenüber Warschau bleibt zunächst lange Zeit sehr distanziert. Man registriert inEngland, daß Polen zwischen 1918 und 1938 mit der Sowjetunion, mitDeutschland, Litauen und der Tschechoslowakei Kriege anfängt, um sichnach allen Seiten auszudehnen. Desgleichen sieht man dieUnterdrückungspolitik der Polen gegenüber den Ukrainern, Weißrussen,Juden und Deutschen mit großem Unbehagen. So ist Polen für Großbritannien bis 1939 das, was man heute als „Schurkenstaat“ bezeichnet.

Mit Hitlers Tschechei-Handstreich im März 1939 rückt Polen plötzlichwieder in das Zentrum des englischen Interesses. In London weiß man sehr genau, daß nach einer Heimkehr Danzigs irgendwann die Kolonien an dieReihe kämen, die Großbritannien 1919 Deutschland abgenommen hat.England will dem weiteren Gang der Revisionen deshalb rechtzeitig einEnde setzen, und dazu eignet sich der deutsche Streit mit Polen um denFreistaat Danzig. Es schlägt vor, Frankreich und die Sowjetunion alsweitere Garantiemächte mit ins Boot zu nehmen. Doch Polen will

vermeiden, daß die Sowjetunion auf diesem Wege zur eigenenSchutzmacht wird, und bemüht sich, die Russen außen vor zu halten. In

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Warschau befürchtet man zu Recht, daß Moskau sich in einem Kriegegegen Deutschland die ihm 1920 abgenommenen Gebiete der West-Ukraine und Weißrußlands wiederholen könnte. Die polnische Regierungersucht deshalb die britische um ein bilaterales Schutzabkommen gegen

Deutschland. Am 31. März 1939 spricht Lord Halifax vor dem Unterhausin London eine Garantieerklärung für Polen aus. Am 25. August, schließenLondon und Warschau das Beistandsabkommen, das sich die Briten unddie Polen im März in London zugesichert hatten

Die Garantien aus London und Paris sind nicht nur Warnung, sie sind auchzugleich Verlockung. So sehr man in Berlin nun damit rechnen muß, daßkein weiterer Gewaltschritt ohne Antwort bleiben wird, so sehr verlocktder Schutz die Polen, in Zukunft kompromißlos gegenüber Deutschlandaufzutreten. So wechselt Polen 1939 in das antideutsche Lager. Aufschlußüber Englands Interessenlage gibt ein Geheimes Zusatzprotokoll, dasBriten und Polen in Ergänzung zu ihrem Beistandsabkommenunterzeichnen. Im Geheimen Zusatzprotokoll vom 25. August wird präzisiert, daß das abgeschlossene Bündnis nur gegen Deutschland gültigist. Als die Rote Armee am 17. September 1939 nach Polen einmarschiertund „Ostpolen“ annektiert, nimmt die britische Regierung dies auch ohneKonsequenz zur Kenntnis.

Das Verhältnis Polens zur Sowjetunion

ist zunächst durch den Vertrag von Riga bestimmt, in dem die Sowjets1921 Teile der Ukraine und Weißrußlands an Polen abzutreten hatten. Für die Russen bleibt das eine offene Wunde, für die Polen ein Etappenziel.Marschall Piłsudski, dem ein neues Polen in den Grenzen der altenPolnisch-Litauischen Union von 1470 vorschwebt, verfolgt als Fernzieleine Föderation mit Litauen, ganz Weißrußland und der ganzen Ukraineunter Polens Protektorat.

1929 gelingt es dem sowjetischen Außenminister Litwinow, Polen,Rumänien und die Baltenstaaten für einen regionalen„Kriegsächtungspakt“ zu gewinnen. Sie unterzeichnen am 29. Februar 1929 das „Litwinow-Protokoll“, nach dem Kriege zwischen diesen Staatenzur Lösung internationaler Streitfälle in Zukunft ausgeschlossen werden

sollen. Damit ist Polen, einschließlich seiner umstrittenen Gebiete in„Ostpolen“ vertraglich zunächst gegen Rußland abgesichert.

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Am 23. Januar 1932 wird dann noch ein Polnisch-Sowjetischer  Nichtangriffspakt paraphiert, im Juli unterschrieben, der die für Polenwichtige Bestimmung enthält, daß die Sowjetunion dem Deutschen Reich

im Falle eines deutsch-polnischen Konflikts keinen Beistand leisten darf.Damit ist Polen durch einen weiteren Vertrag vor der Sowjetuniongeschützt. Doch die Verträge von 1929 und 1932 verlieren ihre Wirkung,als Polen der Tschechoslowakei 1938 gegen Rußlands Warnung den Restdes Teschener Gebiets entreißt. Die Sowjetunion, seit 1935 ebenfalls mitder Tschechei verbündet, hatte Polen zuvor angedroht, den Polnisch-Sowjetischen Nichtangriffspakt im Falle eines Angriffs der Polen auf dieTschechoslowakei zu kündigen. So hat Polen mit der Teschener Annexiongleich zwei Verträge mit der Sowjetunion verletzt und faktisch annulliert.Man kann zwar mit Recht feststellen, daß die Sowjets später andere Nichtangriffsverträge z.B. mit Finnland und weiteren Ländern auch nichteingehalten haben, und daß die zwei Verträge mit Polen vermutlich beiBedarf ebenfalls gebrochen worden wären, doch der Vertragsbruch desLitwinow-Protokolls geht eindeutig von den Polen aus. Die Polen habenmit dieser eigenmächtigen Landerwerbung zu Lasten ihrer tschechischen Nachbarn auch den Kellogg-Pakt ( s. u. ) mißachtet. Sie haben dieVerträge, die ihr „Ostpolen“ vor den Sowjets hätte schützen können, selbstzerrissen. Polen jagt als Hai im Haifischbecken solange mit, bis es selbstgefressen wird.

 

Das Verhältnis Polens zur Tschechoslowakei

Das Verhältnis der Nachbarn Tschechoslowakei und Polen bleibt in den 20Jahren ihrer Unabhängigkeit kühl und distanziert. Ein paar Gegensätzetrennen diese beiden Nachbarn. Das ist zum ersten Polens Forderung nachdem tschechoslowakischen Teil des Teschener Industriegebiets. Das istzweitens in umgekehrter Richtung die offene Unterstützung des Tschechenfür die Unabhängigkeitsbestrebungen der Ukrainer im benachbarten polnischen Galizien. Und das ist zum dritten die Unterstützung der Polenfür die Ungarn, die die ungarisch besiedelten Randgebiete der Tschechoslowakei zurückerhalten wollen.

So paktiert in diesem Raum ein jeder mit dem Feind des Nachbarn, statt

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mit dem Nachbarn Ausgleich und Schulterschluß zu suchen. Die polnischeFührung kommt überdies schon sehr früh zu der Auffassung, daß dieTschechoslowakei als Versailler Kunstprodukt nicht lebensfähig ist unddurch den inneren Nationenkonflikt von selber auseinanderbrechen wird.

Als die französische Diplomatie vor der Sudetenkrise 1938 den Versuchmacht, Polen gegen Deutschland einzunehmen, läßt Polens Außenminister Beck den französischen Botschafter Noël in Warschau wissen, daß die„Tschechoslowakei in naher Zukunft verschwinden müsse“ und „daß mansich in Polen selbst darauf vorbereite, einen Teil des Erbes an sich zunehmen.“

 

Das Verhältnis Polens zum Deutschen Reich

Die deutsch-polnischen Beziehungen werden in Einzelheiten imnachfolgenden Kapitel „Das deutsch-polnische Verhältnis zwischen 1918und 1939“ noch beschrieben werden. Als Außenminister Stresemann 1925seine Versöhnungsbemühungen gegenüber Frankreich mit dem Rheinpaktund mit der Anerkennung der deutsch-französischen Grenze krönt,versucht Marschall Piłsudski, die gleichen Garantien für die deutsch- polnische Grenzen und für Polens Landgewinne zu bekommen. Der deutsche Außenminister weist Piłsudskis Wünsche ab und erklärt, daßDeutschland zwar keinen Krieg beginnen werde, doch auf Gelegenheit zueiner Neuregelung in den Grenzregionen warte. Polen seinerseits läßt nichtmit dem Bemühen nach, Danzig in kleinen Schritten und mit vielenWinkelzügen aus dem Völkerbundmandat zu lösen und sich selber einzugliedern. Zudem wollen die vielen halbamtlichen Stimmen aus Polennicht verstummen, die Schlesien, Ostpreußen und Pommern für Polenfordern. So steht das Verhältnis beider Länder zueinander bis 1933 unter der doppelten Hypothek der deutschen Ansprüche an Polen und der  polnischen Wünsche nach weiterem deutschen Land.

Erst Adolf Hitler bricht mit dieser starren deutschen Haltung. Für Hitler istder Staat Polen ein Puffer zwischen dem „Dritten Reich“ und der ihm soverhaßten kommunistischen Sowjetunion. Unter Hitler und Piłsudskischließen Deutschland und Polen im Januar 1934 einen Freundschafts- und

 Nichtangriffspakt für die Dauer von 10 Jahren.

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Von da an gestalten sich die Beziehungen zwischen Berlin und Warschauzunächst recht positiv. Selbst bei den polnisch-deutschen Differenzen umMinderheiten und Gebiete sieht es zwischendurch so aus, als seienLösungen zu finden. Nun folgt, eine Serie von sechs vergeblichen

Versuchen von deutscher Seite, das Danzig- und das Korridor-Problem auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Kern der deutschenKompromißvorschläge ist das Angebot, die polnischenGebietserwerbungen in Oberschlesien, Westpreußen und Posen alsendgültig anzuerkennen. Um diese Anerkennung hatte Marschall Piłsudski bis zu seinem Tode mehrfach vergeblich nachgefragt. Die 16Reichsregierungen vor Hitler hatten diesen Wunsch der Polen nichterfüllen wollen. Hitler bietet die erbetene Garantie nun gegen zwei„Tauschobjekte“: die Angliederung Danzigs, das völkerrechtlich ohnehinnicht polnisch ist, zurück ans Reich und exterritoriale Zugangswege in dasabgetrennte Ostpreußen. Die Serie der Gespräche beginnt am 24. Oktober 1938 und setzt sich mit immer neuen Versuchen am 19. November, am 5.Januar 1939, am 25. und 26. Januar, am 21. März und am 28. April fort, bis am 30. August 1939 die letzte Offerte an Polen geht.

Am 24. Oktober 1938 schlägt Außenminister von Ribbentrop seinem polnischen Kollegen ein Acht-Punkte-Programm zur Lösung der deutsch- polnischen Probleme vor. Die wichtigsten von ihnen lauten:

1. Der Freistaat Danzig kehrt zum Deutschen Reich zurück.

2. Durch den Korridor wird eine exterritoriale, Deutschland gehörendeReichsautobahn und eine ebenso exterritoriale mehrgleisige Eisenbahngebaut.

3. Polen behält im Danziger Gebiet ebenfalls eine exterritoriale Straßeoder Autobahn und Eisenbahn und einen Freihafen.

4. Polen erhält eine Absatzgarantie für seine Waren im Danziger Gebiet.

5. Die beiden Nationen anerkennen ihre gemeinsamen Grenzen (Garantie)oder die beiderseitigen Territorien.

6. Der deutsch-polnische Vertrag wird von 10 auf 25 Jahre verlängert.

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Trotz allen bisherigen Bemühens beider Seiten, die Beziehungenzueinander intakt zu halten, beginnt nun eine innerpolnische Entwicklung,die den Dialog zwischen polnischer und deutscher Regierung überrollt.Seit 1937 verändert sich in Polen die innere Großwetterlage. Zum ersten

wird Becks „Verständigung“ mit Deutschland angegriffen. Zum zweitenerreicht die Drangsalierung der Minderheiten einen neuen Höhepunkt unddrittens schießt sich die Presse in Polen auf alles Deutsche ein. Damit hatBeck so gut wie keinen Spielraum mehr. Am 19. November 1938 läßtBotschafter Lipski von Ribbentrop in einer Unterredung wissen, daß seinAußenminister Beck den deutschen Danzig-Wünschen ausinnenpolitischen Gründen nicht werde zustimmen können.

Am 5. Januar unterbreitet Hitler ein zweites Mal den Vorschlag vomOktober und bietet erneut die Anerkennung der verlorenen Gebiete als polnischen Bestand. Den Danzig-Vorschlag bringt Hitler nun auf eineentgegenkommendere Formel:

„Danzig kommt politisch zur deutschen Gemeinschaft und bleibtwirtschaftlich bei Polen.“

Selbst der Korridor soll dabei polnisch bleiben. Auch diesmal kommt ihmder polnische Außenminister kein Stück entgegen.

Im März 1939 ergibt sich für Polen eine Chance, das deutsche Drängen inZukunft mit Englands Rückendeckung offen abzuwehren, als Hitler deutsche Truppen in die Tschechei marschieren läßt. PolensAußenminister Beck nutzt die Verärgerung der Briten und bittet dieLondoner Regierung um ein Schutzabkommen gegen Deutschland. PolensMarschall Rydz-Śmigły läßt die polnischen Streitkräfte durch eineMobilmachung verdoppeln und läßt Kampfverbände in Richtung Danzigund Pomerellen aufmarschieren. Diese Drohgebärde als Antwort auf einVerhandlungsersuchen widerspricht dem Geist des deutsch-polnischenVertrages, in dem zur Lösung von Streitigkeiten vereinbart worden ist:

„Unter keinen Umständen werden die Vertragsparteien zum Zweck der Austragung solcher Streitfragen zur Anwendung von Gewalt schreiten.“

Zu der Zeit gibt es von deutscher Seiten noch keine einzige Drohunggegenüber Polen.

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Am 21. März ersucht Außenminister von Ribbentrop Botschafter Lipski,nach Warschau zu fahren und seiner Regierung die deutsche Bitte um neueVerhandlungen zu übermitteln. Am 26. März 1939 kehrt Lipski nach

Berlin zurück und übergibt ein Antwortmemorandum, das ein mitdiplomatischen Freundlichkeiten garniertes klares Nein zu den zweideutschen Wünschen darstellt. Die Brisanz der Note liegt in demWortwechsel, mit der sie übergeben wird. Nachdem von Ribbentrop das polnische Memorandum gelesen hat, sagt er zu Lipski, daß diese Antwortkeine Lösung darstellt. Er beharrt darauf, daß der einzig gangbare Weg dieWiedereingliederung Danzigs in das Reich und exterritoriale Transitwegeseien. Lipskis Antwort darauf ist, daß

„er die unangenehme Pflicht habe, darauf hinzuweisen, daß jeglicheweitere Verfolgung dieser deutschen Pläne, insbesondere soweit sie dieRückkehr Danzigs zum Reich beträfen, den Krieg mit Polen bedeuten“.

Hier taucht die erste Drohung mit dem Kriege auf. Und es ist der Pole, der sie ausspricht.

Drei Tage nach dem klaren Nein aus Polen, am 31. März 1939, verkündetdie britische Regierung, daß England die Unversehrtheit Polens gegenüber Deutschland garantiert.

Die Ankündigung der Polen, statt einen Kompromiß zu schließen lieber Krieg zu führen, die provozierende Mobilmachung und dasDazwischentreten Englands nehmen Hitler in den letzten Märztagen 1939 jede weitere Hoffnung, in der Danzig-Frage auf dem bisherigen Weg alleinzum Ziel zu kommen. Er setzt die militärische Option erst jetzt nebenweitere Verhandlungen. Am 3. April gibt Adolf Hitler der Wehrmachterstmals den Auftrag, einen Angriff gegen Polen so vorzubereiten, daß er ab 1. September 1939 möglich ist. Polen tanzt ab dem 3. April 1939 auf dem Vulkan. Der Ausbruch ist für den 1. September angesagt.

Hitler sieht in der polnischen Mobilmachung als Antwort auf einVerhandlungsanerbieten und im Britisch-Polnischen Abkommen einenBruch des Deutsch-Polnischen Freundschafts- und Nichtangriffsvertrages

von 1934, den er deshalb am 27. April mit einem Memorandum kündigt.Im Memorandum erkennt Hitler noch einmal Polens Anspruch auf 

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Westpreußen-Pomerellen und den Ostsee-Zugang an. Er schlägt vor, dieStreitpunkte zwischen Deutschland und Polen durch neue vertraglicheRegelungen endgültig aus der Welt zu schaffen. Hitler droht Polen imMemorandum mit keinem einzigen Wort mit Gewaltmaßnahmen oder 

Krieg. Noch immer wäre bei einer Rückkehr Danzigs der Weg zumFrieden zwischen dem Deutschen Reich und Polen offen.

In Polen beurteilt man die Dinge völlig anders. Am 5. Mai 1939 begründetAußenminister Beck seine Politik des Status quo und der Abweisung der deutschen Forderungen vor dem Seijm. Der Status der Freien Stadt - sosagt er - beruhe nicht auf den Verträgen von Versailles, sondern auf der  jahrhundertelangen Zugehörigkeit der Stadt zu Polen. Das Angebot der Deutschen, alle Gebietserwerbungen früher deutscher Territorien durchPolen nach dem Ersten Weltkrieg als endgültig polnisch anzuerkennen, seikein Angebot. Die Gebiete seien „de jure und de facto“ längstunbestreitbar polnisch.

Am gleichen Tag, dem 5. Mai, antwortet die polnische Regierung der deutschen auf die Kündigung des Nichtangriffspaktes mit einer Note, inder sie die Respektierung der Rechte Polens im Freistaat Danzig fordert.Doch genau die sind im abgelehnten deutschen Vorschlag zugesichertworden. Zudem fordert Polen in der Note, daß Deutschland den Nichtangriffspakt von 1934 einhält, weil der vor Ablauf von 10 Jahrennicht gekündigt werden darf. Dabei wird tunlichst übergangen, daß dieTeilmobilmachung in Polen und der Aufmarsch von Truppen vor denToren Danzigs selbst Verstöße gegen das Abkommen von 1934 waren.Außerdem beruft sich die polnische Regierung in ihrer Note auf denKellogg-Pakt, den sie schon viermal selbst gebrochen hat. Im Kern schlägtdie polnische Note vom 5. Mai 1939 nichts anderes vor, als daßDeutschland den Verbleib Danzigs außerhalb des deutschenReichsverbandes im Verein mit Polen selber garantieren soll.

Was nun folgt, ist wie der Rutsch auf schiefer Ebene. Im Juni und Juli1939 nehmen die Drangsalierungen der Minderheiten in Polen, dieGrenzzwischenfälle und der Druck aus Danzig derart zu, daß einspannungsfreies Verhandeln zwischen der polnischen und der deutschenRegierung nicht mehr möglich ist. Ende Juli, Anfang August belastet ein

Streit zwischen Polen und dem Danziger Senat um den Zolldienst imFreistaat zusätzlich das deutsch-polnische Verhältnis. Der Danziger Senat

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gibt auf Anraten Hitlers nach, und polnische sowie französische Zeitungen berichten, Hitler sei vor der festen Haltung Polens in die Knie gegangen.Der Streit beginnt nun auch psychologisch abzugleiten.

Am 30. August 1939 schiebt Hitler in allerletzter Stunde ein neuesAngebot - wie es die Deutschen meinen - beziehungsweise eine neueForderung - wie es die Polen sehen - nach. Hitler baut eine Brücke, über die die Polen gehen könnten. Das Angebote umfaßt 16 Punkte. Dazugehören:

 

- Danzig kehrt heim ins Reich.

- Im nördlichen Korridor soll die Bevölkerung in einer Abstimmung selbstentscheiden, ob das Gebiet polnisch oder deutsch wird.

- Die Hafenstadt Gdingen bleibt dabei auf jeden Fall polnisch.

- Je nach Abstimmungsergebnis im Korridor erhält entweder Deutschlandexterritoriale Verkehrswege nach Ostpreußen oder Polen exterritorialeVerkehrswege nach Gdingen.

- Die Beschwerden der deutschen Minderheit in Polen und die der  polnischen Minderheit in Deutschland werden einer internationalenKommission unterbreitet und von dieser untersucht. Beide Nationenzahlen Entschädigungen an betroffene Geschädigte nach Maßgabe der Kommission.

- Im Falle einer Vereinbarung nach diesen Vorschlägen demobilisierenPolen und Deutschland sofort ihre Streitkräfte.

Dies ist das sechste und letzte Angebot von deutscher Seite. Hitler läßt denPolen nun keinen Raum mehr, auf Zeit zu spielen. Er setzt eine Frist für den Gesprächsbeginn. Er „erwartet“, daß Warschau bis zum 30. August1939 um 24 Uhr einen bevollmächtigten Unterhändler nach Berlinentsendet. Außenminister Beck dagegen will weder den Zeitdruck noch

den Verhandlungsort Berlin akzeptieren. Er weist Lipski in der deutschenHauptstadt an, den neuen deutschen Vorschlag nicht entgegenzunehmen.

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Einen Tag und fünf Stunden nachdem der vorgeschlagene und „erwartete“Termin für den Beginn neuer Gespräche ergebnislos verstrichen ist,marschiert die Wehrmacht in Polen ein.

Polen und der Kellogg-Pakt

Ein weiteres Vertragswerk, das die Polen hätte schützen können, ist der schon erwähnte Kellogg-Pakt von 1928, in dem die USA, Belgien,Frankreich, Großbritannien, Polen, Deutschland und andere erklären,

„daß sie den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälleverurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihrengegenseitigen Beziehungen verzichten.“

und

„daß die Regelung und Entscheidung aller Streitigkeiten ..., die zwischenihnen entstehen könnten, ..., niemals anders als durch friedliche Mittelangestrebt werden sollen.“

Der Pferdefuß an dem Vertrag für Polen ist die Präambel. Sie bestimmt,daß

„jede Signatarmacht, die zum Kriege schreitet, der Vorteile, die dieser Vertrag gewährt, verlustig erklärt werden sollte.“

 Nachdem Polen versucht hat, Frankreich 1933 zum Kriege gegenDeutschland zu bewegen, und nachdem es 1938 erst Litauen und dann dieTschechoslowakei mit Krieg bedroht hat, liegt auf der Hand, daßDeutschland und die Sowjetunion der Empfehlung folgen und denKellogg-Pakt nicht mehr für Polen gelten lassen.

 

Die Bilanz

In der Bilanz hat Polen 1939 wenig zu seinen Gunsten vorzuweisen. Die

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genannten Probleme nach langer Verhandlungsdauer schließlich mitGewalt löst. Warum erst 1939?

Das deutsch-polnische Verhältnis ist zwischen beiden Kriegen nicht immer 

so schlecht wie 1939. Der Start ist schlecht und auch das Ende. 1918nehmen sich die Polen, nachdem das Deutsche Reich im Westengegenüber den USA, Großbritannien und Frankreich hatte kapitulierenmüssen, im Osten die bis dahin deutschen Provinzen Posen undWestpreußen. Das im Westen geschlagene Deutschland kann es militärischund diplomatisch nicht verhindern. Die Polen nehmen sich die zweiProvinzen, ehe ihnen diese Gebiete durch die Siegermächte in Versailleszugestanden werden. Für die mehrheitlich von Polen bewohnte ProvinzPosen wird das in Deutschland akzeptiert. Aber die Provinz Westpreußenist zu 70% deutsch bevölkert, so daß dieser eigenmächtige GewaltstreichPolens in der Weimarer Republik von keiner der demokratischlegitimierten Reichsregierungen anerkannt wird.

1918 und 1919 fordert Polen in Versailles außerdem Teile Pommerns,Schlesiens und ganz Ostpreußen für sich, was ihm jedoch nichtzugestanden wird, aber doch Ängste in Deutschland hinterläßt. 1921 startetPolen den Versuch, ganz Oberschlesien mit Milizen und den dortüberwiegend in dritter Generation ansässigen polnischen Gastarbeitern zuerobern. Nach einer Volksabstimmung, die Polen zu verhindern versucht,erhält es das ostoberschlesische Industriegebiet von den Siegerstaatenzugesprochen. 1933 fordert Polen Frankreich dreimal zu einemZweifrontenkrieg gegen Deutschland auf, was Frankreich allerdingsablehnt. Polen verfügt 1933 mit 298.000 Mann im Heer immerhin nochüber dreimal so viel Militär wie Deutschland mit seinem 100.000-Mann-Heer. So wird Polen vor Hitlers Amtsantritt 1933 von allendemokratischen Parteien in Deutschland und von der Reichswehr alsBedrohung angesehen.

Erst unter den Diktatoren Hitler in Deutschland und Pilsudski in Polen gibtes eine Annäherung für ein paar Jahre, die auch nach Pilsudskis Tod 1935noch für eine Weile anhält. Nach Pilsudskis Versuch von 1933, Frankreichzu einem Krieg gegen Deutschland aufzurufen - der ja gescheitert ist -lenkt Pilsudski ein. Er schließt 1934 mit Hitler einen Freund-

schaftsvertrag. Das nun stabile deutsch-polnische Verhältnis führt dazu,daß die polnische Regierung sich 1938 ihre Landerwerbung in der damals

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Ostpreußen von seiner Energieversorgung abgeschnitten und demwirtschaftlichen Ruin preisgegeben, wie zwei Jahrzehnte später beinahedie Stadt Berlin während der sowjetischen Blockade. So kommt imReichswirtschaftsministerium die Idee auf, mit den Polen statt über Zloty-

Zahlungen über exterritoriale Verkehrsverbindungen in deutscher Hoheitund Regie zu verhandeln.

Damit stehen 1939 die drei deutsch-polnischen Differenzen auf der Tagesordnung: das Los der deutschen Minderheit in Polen, dieTransitwege nach Ostpreußen und die Zukunft der Stadt Danzig.Interessant ist, daß auch Politiker im Ausland die Brisanz der deutsch- polnischen Probleme sehen. Churchill warnt schon am 24. November 1932- also noch vor der Wahl, die Hitler 1933 an die Macht bringt - dasOberhaus in London. Er sagt: “Wenn die englische Regierung wirklichwünscht, etwas für die Förderung des Friedens zu tun, dann sollte sie dieFührung übernehmen und die Frage Danzigs und des Korridors ihrerseitswieder aufrollen, solange die Siegermächte noch überlegen sind. Wenndiese Fragen nicht gelöst werden, kann keine Hoffnung auf einendauerhaften Frieden bestehen.“ In Frankreich gibt es zu der Zeit vereinzeltähnliche Ansichten. Doch nichts geschieht. Die Siegermächte hatten dieseUrsachen für einen neuen Krieg in Versailles selbst geschaffen und siedann nicht beseitigt, als dafür die Zeit längst reif war.

Hitler glaubt 1938 zwei Trümpfe für die Lösung dieser Probleme in der Hand zu haben. Der erste: die polnischen Regierungen hatten die 16deutschen Reichsregierungen vor Hitler gebeten, ihre Gebietsgewinne inPosen, Westpreußen und Oberschlesien als endgültig anzuerkennen. AlleRegierungen der Weimarer Republik hatten das abgelehnt. Hitler bietetdiese Anerkennung an. Der zweite Trumpf: Die Polen hatten 1938 bei der Annexion des tschechischen Industriegebiets von Teschen auch die schonerwähnte, überwiegend deutsch bewohnte Stadt Oderberg mit annektierenwollen. Das Auswärtige Amt in Berlin hatte Einspruch dagegen eingelegt.Doch hier schreitet Hitler ein und gesteht Oderberg den Polen zu. SeinArgument: „Wir können nicht um jede deutsche Stadt mit Polen streiten.“Seine Hoffnung ist, daß Polen dafür der Wiedervereinigung der deutschenStadt Danzig mit dem Deutschen Reich zustimmen werde.

 Nach der Annexion des Teschener Gebiets und Oderbergs durch Polen imSeptember 1938 beginnt Hitler Oktober 1938 die Verhandlungen mit

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Polen um Danzig, die Transitwege und die Einhaltung der Menschenrechtefür die Deutschen in Polen. Sein erstes Angebot ist die Anerkennung der  polnischen Gebietserwerbungen seit 1918 und die Verlängerung desdeutsch-polnischen Freundschaftsvertrags von 10 auf 25 Jahre. Im Januar 

1939 legt Hitler noch einmal nach. Er schlägt vor: „Danzig kommt politisch zur deutschen Gemeinschaft und bleibt wirtschaftlich bei Polen.“Eine faire Kompromisslösung, denn Danzig gehört ja bislang politischauch nicht zu Polen, sondern zum Völkerbund. Bis in den März 1939hinein gibt es bei den deutsch-polnischen Verhandlungen leichteAnnäherungen, aber keinen Durchbruch.

Zu der Zeit ist Polen in Europa wegen seiner vielen Kriege seit 1920 undwegen der Teschen-Annexion vom vergangenen September noch geächtet.Ende März 1939 aber wendet sich das Blatt. Hitler begeht einen großenFehler. Er erklärt die Tschechei - entgegen früher gegebener Versprechen- zum deutschen Protektorat und läßt sie besetzen. Nun brauchen dieBriten Verbündete gegen Deutschland. Sie bieten den Polen einenBeistandspakt gegen Deutschland an. Polen wechselt seinen Partner undgeht auf Englands Seite über. Obwohl die deutsch-polnischen Gesprächezunächst noch weiterlaufen, schließt Polen Ende März 1939 den Vertragmit England, macht seine Truppen teilweise mobil, so daßdas Heer verdoppelt wird, stellt Korpsstäbe auf und läßt Truppen in RichtungOstpreußen aufmarschieren. März 1939!

Hitler reagiert und gibt am 3. April 1939 der Wehrmachtsführung erstmalsden Befehl, einen Angriff gegen Polen vorzubereiten, so daß er am 1.September beginnen kann. Nun herrscht Eiszeit zwischen Deutschland undPolen. Dennoch macht die deutsche Reichsregierung noch ein paar Anläufe weiterzuverhandeln. Doch die polnische Regierung erklärt nun,der Status des Freistaats Danzig beruhe nicht auf dem Vertrage vonVersailles, sondern auf der jahrhundertelangen Zugehörigkeit Danzigs zuPolen. Und Posen und Westpreußen gehörten de jure und de facto längstzu Polen. Die angebotene deutsche Anerkennung sei keine Gegenleistung.Hitler bittet danach die englische Regierung, zwischen Deutschland undPolen zu vermitteln. In den letzten neun Tagen vor Kriegsbeginn laufendie Verhandlungsdrähte heiß. Die Verhandlungen gehen nun über denenglischen Botschafter Henderson in Berlin und von dort über die

englische Regierung nach Warschau und zurück, doch ohne daß es dabeieine Annäherung zwischen Berlin und Warschau gäbe. In die

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Verhandlungen zwischen Berlin und London wird außerdem einVermittler eingeschaltet, der schwedische Industrielle Dahlerus.

Am 30. August 1939 unternimmt die deutsche Reichsregierung nach neun

Verhandlungstagen einen letzten von insgesamt sechs Versuchen. Siemacht der polnischen Regierung einen 16-Punkte-Vorschlag zur Lösungder deutsch-polnischen Probleme und verlangt, daß Polen noch bisMitternacht des gleichen Tages einen bevollmächtigten Unterhändler zuVerhandlungen nach Berlin entsendet. Die wesentlichen Punkte diesesVorschlags lauten: Die Bevölkerung im Korridor soll in einer Volksabstimmung unter internationaler Kontrolle selbst entscheiden, obsie zu Polen oder zu Deutschland gehören will. Der Wahlverlierer  bekommt exterritoriale Verkehrswege durch den Korridor. Bleibt der Korridor bei Polen, erhält Deutschland exterritoriale Verbindungen nachOstpreußen. Kommt der Korridor an Deutschland, bekommt Polenexterritoriale Verbindungen an die Ostsee nach Gdingen. Der Hafen unddie Stadt Gdingen bleiben - so der deutsche Vorschlag - unabhängig vomWahlausgang bei Polen, und Polen behält seine Handelsprivilegien inDanzig. Das ist der letzte deutsche Vorschlag vor dem Krieg.

Was während dieser neun Verhandlungstage so erstaunt, ist daß Hitler denschon für den 23. August befohlenen Angriff der Wehrmacht gegen Polennoch dreimal verschieben läßt, obwohl der Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion bereits geschlossen ist, und Deutschland damit„Rückendeckung“ für die Eröffnung des Feldzugs gegen Polen hat. DochHitler läßt den Beginn des Angriffs - wie schon erwähnt - dreimal mit der Begründung verschieben, er brauche noch Zeit zum Verhandeln. HätteHitler ganz Polen erobern wollen, hätte er den Krieg nicht wegen der Verhandlungen um viel geringere Kriegsziele, nämlich Danzig und dendeutsch bewohnten Teil des Korridors mehrmals verschoben.

Die Zuspitzung um Danzig 1939

Ein Teil der früheren Provinz Westpreußen ist die Stadt Danzig alsHauptstadt der Provinz. Doch 1920 rückt sie gesondert in das Rampenlicht

der Weltgeschichte. Die Hansestadt wird am 15. November 1920 nachdem Beschluß der Siegermächte ohne Volksabstimmung vom Deutschen

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Reich getrennt und „unter den Schutz des Völkerbunds gestellt“. DieBürger Danzigs verlieren die deutsche Staatsbürgerschaft und sind nunBürger eines neu gebildeten „Freistaats Danzig“. In Stadt und Umlandleben zu der Zeit 340.000 Menschen. 97% der Bevölkerung sind bis dahin

deutsch. Die Bevölkerung verlangt in den Jahren zwischen beiden Kriegenmehrmals eine Volksabstimmung über ihre Zugehörigkeit zum DeutschenReich. Der Völkerbund lehnt alle Begehren in dieser Richtung ab.

Polen und Danzig

Auch Polen ist nicht mit dem Status Danzigs als Freistaat unter Völkerbunds-Herrschaft zufrieden. Während der Siegerkonferenz vonVersailles hat die polnische Delegation gefordert, Danzig dem neuen Polenanzugliedern. Die Begründung wird hier wieder weitgehend aus einer frühen Zugehörigkeit der Stadt zu Polen abgeleitet.

Der Freistaat Danzig ab 1920

Artikel 104 des Versailler Vertrags bestimmt, daß Danzig fortan eine„Freie“ Stadt mit eigener, autonomer Verwaltung unter der Regie einesvom Völkerbund ernannten Hochkommissars sein soll. Die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten Danzigs obliegt nach dem Vertrag der  polnischen Regierung. Die Interessen Danzigs im Ausland werden also inden nächsten 19 Jahren von Warschau aus vertreten und nicht mehr vonBerlin. Nach Artikel 104 gehört Danzig von 1920 an außerdem zu PolensZollgebiet. Die Danziger Wasserstraßen und der gesamte Hafen stehen denPolen ohne Einschränkung zur Benutzung zur Verfügung. Polenüberwacht den Eisenbahn- und Wasserstraßenverkehr in Danzig undUmgebung. Die Post und Telefonverbindungen von Polen in den Hafen -allerdings nur diese - werden polnischen Behörden übertragen. PolensEinfluß auf den Freistaat ist damit klar begrenzt. Doch in den 19 Jahren bis1939 versucht der Staat Polen, sich den Freistaat in einer Folge kleiner Schritte Zug um Zug einzuverleiben.

Polens Danzig-Politik 

Polen dehnt das eigene Postnetz auf den ganzen Freistaat aus, obwohl der 

 polnische Postdienst nach Versailler Vertrag ausschließlich für den Hafenvorgesehen ist. Es weigert sich, die Völkerbundwährung, den Danziger 

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Gulden, auf Danziger Gebiet als Zahlungsmittel anzunehmen. Das polnische Militär legt gegen den ausdrücklichen Protest des Danziger Senats ein Munitionsdepot im Hafen an. Dann versucht es, die eigenenTruppen im Hafen zu verstärken, um - wie es heißt - das Depot zu

schützen. Die Verstärkung der polnischen Soldaten im Hafen von Danzigscheitert allerdings am Einspruch des Völkerbunds. 1932 nutzt Polen einenenglischen Flottenbesuch in Danzig, um eigene Kriegsschiffe dorthin zuverlegen. Als der Senat der Freistadt dagegen Einspruch einlegt, wird ihmmitgeteilt, daß „polnische Kriegsschiffe das nächste öffentliche Gebäude beschießen werden, falls die Danziger Bevölkerung die polnische Flaggeauf den polnischen Schiffen beleidige“. Ab August 1932 beanspruchtPolen dann generell das Recht zum Aufenthalt seiner Flotte im Danziger Hafen. So weitet sich der Zugriff Polens auf den Freistaat langsam aber unaufhörlich aus.

In Danzig steigt das Verlangen nach Anschluß an das Mutterland. InDeutschland glaubt man das Recht auf eigener Seite, als Hitler denAnschluß Danzigs und sichere Verkehrswege ins abgeschnitteneOstpreußen fordert. Und in Polen nehmen Wut und Haß gegen die„illoyalen“ Danziger Bürger zu.

Ab Juni 1939 mehren sich im Freistaat Danzig die gegenseitigenBeschuldigungen und Verdächtigungen zwischen der deutsch-Danziger Bevölkerung und den polnisch-Danziger Behörden. PolnischeMilitärtransporte fahren durch den Freistaat, ohne daß sie, wie esvereinbart ist, vorher beim deutschen Danziger Senat gemeldet werden.Die polnische Militärbesatzung auf der Westerplatte neben DanzigsHafen wird auf 240 Soldaten verstärkt, obwohl der Völkerbund nur 88zugelassen hat. Die polnischen Zöllner, ursprünglich sechs Beamte, sindinzwischen 110 geworden.

Der Zollinspektorenstreit 1939

Besonders kritisch wird im Sommer 1939 ein Zwist, der als der „Zollinspektorenstreit“ bekannt geworden ist. Ab Mai verschärfen sichKontrollen und Verhalten der polnischen Zollbeamten gegenüber denDanzigern im kleinen Grenzverkehr, der für die Menschen dort in ihrer 

Insellage von besonderer Bedeutung ist. Die polnischen Zollbeamtenmaßen sich gegenüber ihren deutschen Kollegen Befehlsbefugnisse an, die

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sie so nicht haben, und die Zahl der polnischen Beamten wird wesentlicherhöht. Die deutsche Polizei behauptet, ein Teil der zusätzlichenZollbeamten gehöre dem polnischen Nachrichtendienst an und werde auf diese Weise nach Danzig eingeschleust. Die deutschen Beamten arbeiten

daraufhin mit den polnischen nicht mehr recht zusammen. Die wiederumverzögern die Ausfuhr Danziger Agrar- und Fischereiprodukte, die imheißen 39er Sommer besonders leicht verderben. In dieser angespanntenLage beschwert sich der Präsident des Danziger Senats Greiser beim polnischen Generalkommissar über die beschriebenen Vorfälle undkündigt an, daß deutsche Zollbeamte von den polnischen zu Zukunft keineWeisungen mehr entgegen nehmen werden. Der Generalkommissar Chodacki schickt dem Präsidenten Greiser als Antwort postwendend einUltimatum, diese Weisung bis 18 Uhr des gleichen Tags zurückzunehmen,andernfalls

„wird die polnische Regierung unverzüglich Vergeltung gegen die freieStadt anwenden“.

Außerdem teilt Chodacki mit, daß der polnische Zoll ab sofort bewaffnetwerde. Hitler, vom Senatspräsidenten um Rat gefragt, drängt, für Entspannung zu sorgen und „die Angelegenheit nicht noch mehr zuvergiften“. Es gelingt dem Präsidenten Greiser den Generalkommissar Chodacki zu bewegen, das Ultimatum aufzuheben.

Kriegsgefahr um Danzig

So belanglos dieser Zwischenfall auch scheint, er zeigt doch, wie nah dieWelt am Rand des Krieges steht. Staatssekretär im Auswärtigen Amt vonWeizsäcker übermittelt dem polnischen Geschäftsträger in Berlin dieMißbilligung der Reichsregierung zum Zollinspektorenstreit, zumUltimatum und zur Drohung gegenüber der Danziger Bevölkerung. Der nimmt Rücksprache mit seinem Ministerium in Warschau und teilt vonWeizsäcker tags darauf offiziell mit, daß Polen jede Einmischung der Reichsregierung in die polnisch-Danziger Beziehungen zu Lasten Polensals „Angriffshandlung“ betrachten werde. Das polnische Außenamt gibtdamit zu verstehen, daß schon jedes Parteiergreifen der Reichsregierung zuGunsten Danzigs und zu Lasten Polens Krieg bedeuten werde. Angesichts

des unbedeutenden Zollstreits in Danzig ist das eine ganz massiveDrohung, zumal England und Frankreich zugesichert hatten, Polen in

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kommenden Auseinandersetzung zur Neutralität verpflichtet. Derweil wirddie Hintergrundmusik aus Danzig und aus Polen immer schriller.

Botschafter Hendersons Mäßigungsversuch

Am 16. August versucht Englands Botschafter Henderson noch einmal vonBerlin aus zu Vernunft und Mäßigung zu raten. Er schickt Außenminister Halifax ein Telegramm:

„Ich würde persönlich empfehlen, der polnischen Regierung nahezulegen- und zwar sofort - ,ihren hiesigen Botschafter anzuweisen, irgendeinendiplomatischen Schritt zu unternehmen, was ihm über Göring ein leichtessein sollte. ... Lipski ist, trotz allem, was vorgefallen ist, hier immer noch„persona grata“. Die Polen könnten vorschlagen, zum Verhandlungsstandvor dem März zurückzukehren ... um es zu ermöglichen, wieder inGespräche einzusteigen.“

Zwei Telegramme am Folgetag von Halifax an Kennard in Warschauzeigen keine Reaktion auf Hendersons Empfehlung.

In der letzten Woche vor dem Kriegsausbruch versuchen polnische Flak-Batterien noch ein paar Mal, Passagiermaschinen der Deutschen Lufthansaauf ihrem Flug von Berlin nach Königsberg über der Ostsee abzuschießen.Es kommt zu zahlreichen Schießereien an den Grenzübergängen zwischen polnischen und deutschen Zollbeamten und Soldaten, wobei es viele Totegibt. Das „Abfackeln“ deutscher Bauernhöfe im polnischen Grenzlandgeht unvermindert weiter. Die deutsch-polnische Grenze steht im August1939 auch ohne Krieg in Flammen .

Der Hitler-Stalin-Pakt 23.8.1939

Die deutsch-sowjetische Verständigung 1939

Als Warschau den antideutschen Kriegspakt zwischen London, Moskauund Paris aus Angst vor der Sowjetunion verhindert, nutzt Berlin die

unvorhergesehene Chance und bietet Moskau Gespräche zur Verständigung an. Am 4. August 1939 gibt der sowjetische Außenminister 

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Molotow dem deutschen Botschafter Graf von der Schulenburg eineAudienz. Der Graf nutzt die Gelegenheit, Molotow dreierlei zu sagen.Erstens daß es aus deutscher Sicht keine territorialen Interessengegensätzezwischen der Sowjetunion und Deutschland gäbe, zweitens, daß man in

Berlin gedenke, die Integrität der Baltenstaaten weiterhin zu respektieren,und drittens, daß man hoffe, die deutschen Forderungen an die Polen auf dem Verhandlungswege durchzusetzen. Sei dies nicht möglich, so sei manin Berlin bereit, bei einer gewaltsamen Lösung die Interessen der Sowjetunion zu wahren.

Die deutsch-sowjetischen Verhandlungen 1939

Am 15. August, dem zweiten Tag der noch laufenden britisch-französisch-russischen Verhandlungen, beginnen in Moskau deutsch-sowjetischeGespräche. Außenminister Molotow gibt dem Grafen gegenüber zuerkennen, woran die Sowjets Interesse haben. Das sind vier Angelegenheiten. Zuerst hofft man in Moskau auf einen mäßigendenEinfluß Berlins auf Tokio, denn die Sowjetunion und Japan liegen noch imKrieg. Zum zweiten und zum dritten wünscht Molotow einen Nichtangriffspakt und einen Handels- und Kreditvertrag mit Deutschland.Der vierte Wunsch ist offensichtlich eine Täuschung. Molotow fragt, obDeutschland die Existenz der Baltenstaaten gemeinsam mit der Sowjetunion garantieren wolle. Graf von der Schulenburg berichtet über den Besuch bei Molotow unverzüglich nach Berlin. Bemerkenswert ist,daß er dem Bericht am Tag darauf einen Kurzbrief folgen läßt, in dem er seine Zweifel daran äußert, daß die Sowjets wirklich den Bestand der Baltenstaaten gemeinsam mit den Deutschen garantieren wollen. VonRibbentrop sichert den Sowjets einen Nichtangriffspakt für 25 Jahre zu,und stellt in Aussicht, wie ersucht, auf Japan einzuwirken. Wiederum bemerkenswert ist, daß von Ribbentropp bekundet, daß das DeutscheReich bereit ist, „die baltischen Staaten gemeinsam mit der Sowjetunionzu garantieren.“

Zwei Tage danach, am 17. August, meldet sich der deutsche Botschafter ein zweites Mal bei Molotow und überbringt die Reaktionen aus Berlin.Der sowjetische Außenminister übergibt seinerseits eine schriftlicheformulierte Antwort auf die Fragen, die seit Schulenburgs erster Audienz

 bei ihm im Raume stehen. In dieser Antwortnote sind noch einmal dieWünsche nach einem Handels- und Kreditabkommen und einem

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 Nichtangriffspakt genannt. Des weiteren räumt Molotow in diesemSchreiben ein, daß die Sowjetunion infolge der sowjetfeindlichen HaltungDeutschlands gezwungen gewesen sei,

„erste Maßnahmen zur Vorbereitung einer Abwehrfront gegen einemögliche Aggression auf die Sowjetunion von Seiten Deutschlands zuergreifen.“

Damit sind zweifelsohne die vor drei Tagen den Briten und Franzosenvorgeschlagenen Angriffe gegen Ostpreußen und Schlesien gemeint. Der Brief setzt fort:

„... daß die Sowjetregierung niemals irgendwelche aggressiven Absichtengegen Deutschland gehabt hat. ...

Das geheime deutsch-sowjetische Zusatzprotokoll vom 23. August 1939

Statt der bisher stets erwähnten Absicht, den Bestand der Baltenrepublikengemeinsam mit dem Deutschen Reich zu garantieren, schlägt Molotow nunein „spezielles Protokoll“ vor, „das einen integrierenden Bestandteil desPaktes bildet.“ Da in dem Schreiben Molotows nichts zum Inhalt diesesProtokolls gesagt wird, fragt von der Schulenburg sofort, was denn mitdem Protokoll vereinbart werden solle. Molotow gibt dazu keine Antwort,doch – wie man heute weiß.- ist aus dem „speziellen Protokoll“ schoneine Woche später das „geheime Zusatzprotokoll“ geworden, mit dem diedeutsche Reichsregierung anerkennt, daß Ostpolen, Bessarabien, Finnlandund die Baltenstaaten zur Interessensphäre der Sowjetunion gehören. Sohaben die Sowjets ihre Nägel für den Hitler-Stalin-Pakt vom 24. Augustschon einge-schlagen, als sie am gleichen Ort noch mit den Briten undFranzosen über einen Krieg mit Deutschland sprechen.

Außenminister von Ribbentrop schreibt am 18. August noch einmal, daßdie Reichsregierung mit der „Garantierung der baltischen Staaten“einverstanden ist.

Am 19. August teilen die englische und die französische Regierung der sowjetischen mit, daß sie ihren schon ausgehandelten Vertrag aufgrund des

Einspruchs der polnischen Regierung nicht unterzeichnen werden. Damitsteht Rußlands Seitenwechsel nichts mehr im Weg. Der deutsche

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Botschafter wird erneut zu Molotow bestellt. Der überreicht ihm einenTextentwurf für den Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt. Der Vertragstext enthält noch nicht das Zusatzprotokoll, doch er endet mit demSatz:

„Der gegenwärtige Pakt ist nur bei gleichzeitiger Unterzeichnung eines besonderen Protokolls über die Punkte, an denen die vertragsschließendenTeile auf dem Gebiet der auswärtigen Politik interessiert sind, gültig.“

Die „Katze“ mit den Baltenländern ist damit nach wie vor nicht „aus demSack“.

 Nun folgt Zug auf Zug. Hitler - in der Danzig-Krise unter Zeitdruck -schaut nur auf den Nichtangriffspakt mit Stalin, von dem er hofft, daß er die Polen, Briten und Franzosen zu einem Nachgeben beim Danzig-Korridor-Problem bewegt. Er schaut nicht auf das Zusatzprotokoll, vondem er immer noch nicht weiß, was die Sowjets da hinein verpackenwerden. Hitler telegraphiert am 20. August mit Stalin und teilt mit, daß er den Entwurf des Nichtangriffspaktes akzeptiert. Am 21. August danktStalin Hitler für das Telegramm und lädt von Ribbentrop für den 23.August nach Moskau ein.

Von Ribbentrop bei Stalin am 23. August 1939

Am 23. August trifft Ribbentrop in Moskau ein. Um 18 Uhr empfangenStalin und Molotow von Ribbentrop und Graf von der Schulenburg imKreml. Nach kurzer und höflicher Begrüßung kommt man schnell zur Sache. Der Nichtangriffspakt, auf den man sich bald einigt, entspricht fastganz dem russischen Entwurf, bis auf den Punkt, daß er für zehn, statt wievon den Sowjets vorgeschlagen fünf Jahre gelten soll. Dann geht es umdas von Stalin gewünschte Geheime Zusatzprotokoll. Von Ribbentrop,dem Hitler eine uneingeschränkte Verhandlungsvollmacht mitgegeben hat,ist sich seiner Sache angesichts der Forderungen Stalins nicht ganz sicher.Er bittet gegen 22 Uhr, die Gespräche für kurze Zeit zu unterbrechen, undholt sich telefonisch Hitlers Einverständnis ein.

Der Deutsch-Sowjetische Nichtangriffspakt 1939

Hitler vor die Wahl gestellt, mit Stalins Rückendeckung seine

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Handlungsfreiheit in der Danzig-Frage zu erhalten, oder ohne Stalin auf Danzig, die exterritorialen Transitwege und den Schutz der deutschenMinderheit in Polen zu verzichten, akzeptiert die Interessensphären-Grenzen, die der Russe fordert. Hitler, der Stalins Forderungen vorher 

nicht gekannt hat, entscheidet offensichtlich ohne langes Zögern. Kurznach Mitternacht, am 24. August, werden der Nichtangriffspakt und dasGeheime Zusatzprotokoll von Molotow und Ribbentrop unter-schrieben.Die entscheidenden zwei Abschnitte des Zusatzprotokolls lauten:

„1. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung in den zu den baltischen Staaten (Finnland, Estland, Lettland, Litauen) gehörendenGebieten bildet die nördliche Grenze Litauens zugleich die Grenze der Interessensphären Deutschlands und der UdSSR. Hierbei wird dasInteresse Litauens am Wilnaer Gebiet beiderseits anerkannt.

2. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung der zum polnischen Staate gehörenden Gebiete werden die InteressensphärenDeutschlands und der UdSSR ungefähr durch die Linie der Flüsse Narew,Weichsel und San abgegrenzt.

Die Frage, ob die beiderseitigen Interessen die Erhaltung einesunabhängigen polnischen Staates erwünscht erscheinen lassen und wiedieser Staat abzugrenzen wären, kann endgültig erst im Laufe der weiteren politischen Entwicklung geklärt werden. ...“

Die deutsch-sowjetische Einigung, so schnell nach dem Scheitern der französisch-englisch-sowjetischen Verhandlungen, ist ein Schock für London und Paris und doch für Warschau kein Anlaß, in der Danzig-Frageauf Deutschland zuzugehen. Die Überraschung ist so groß, weil dieBeziehungen zwischen Moskau und Berlin seit dem Ersten Weltkrieg nichtfrei von Belastungen und Gegensätzen sind. Der Deutsch-Sowjetische Nichtangriffspakt sichert sowohl Deutschland als auch Rußland zu, daß die jeweils andere Macht im Falle eines Krieges nicht zum Schutze PolensPartei ergreifen wird. Damit ist auch der deutsch-sowjetische Gegensatzkein Schutz mehr für die Polen in der Mitte.

Das Geheime Zusatzprotokoll spricht nur von Interessensphären. Es bringt

nicht zum Ausdruck, daß die Sowjetunion nun Finnland und dieBaltenstaaten einkassieren darf. So harsch dies deutsch-sowjetische

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Geheimabkommen auch später kritisiert wird, es entspricht denGepflogenheiten jener Zeit. So schließt z. B. auch Großbritannien 1938mit Italien und mit Spanien solche Abkommen.

Die deutsch-britisch-polnischen Verhandlungen

Die letze Woche vor dem Kriegsausbruch

Adolf Hitler ist entschlossen, die offene Danzig-Frage, das Problem der Verkehrsanbindung Ostpreußens an das Reich und denMinderheitenschutz für die Deutschen in Polen noch vor dem Winter auf dem Verhandlungswege oder - wenn das nicht möglich ist - mit einemKrieg zu lösen. Die Generalität hat zwar mehrmals gewarnt, daß ein Kriegmit Polen auch Krieg mit England, mit Frankreich und bei längerer Dauer auch mit den USA nach sich ziehen werde, und daß ein Zweifrontenkriegnicht zu gewinnen sei. Aber sie hat auch beraten, daß militärischeOperationen, wenn es denn zum Kriege kommen sollte, aufgrund der Klima- und Wetterdaten nicht nach dem 2. September begonnen werdendürften. Die Wegeverhältnisse würden für das Heer und das Flugwetter für die Luftwaffe danach in Osteuropa bald zu schwierig werden. So istHitlers Entscheidung nicht frei vom Einfluß dieses Datums.

 

Mittwoch, der 23. August 1939 Neun Tage vor dem Kriegsausbruch:

Die Sensation der Morgenpresse ist die Nachricht von Stalins Einladungan den deutschen Außenminister von Ribbentrop nach Moskau.Premierminister Chamberlain, der inzwischen vom Scheitern der englischen Bemühungen in Moskau um einen Pakt mit der Sowjetuniongegen Deutschland erfahren hat, schickt Botschafter Henderson mit einemBrief zu Hitler. Hitler versichert Henderson zunächst seine persönlicheWertschätzung, beklagt sich aber dann über Englands Haltung gegenüber Deutschland in der Danzig-Frage. Henderson entgegnet, daß die deutscheRegierung der polnischen zwar ein Verhandlungsangebot unterbreitet

habe, doch das habe den Charakter eines Diktats.

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Hitler bedauert, daß England sich ihm, „der er selbst der größte FreundEnglands sein wollte, zum Feinde macht“ und er betont, „daß Deutschlandniemals etwas zum Schaden Englands unternommen habe und daß sichEngland trotzdem gegen Deutschland stelle.“

Hendersons Antwort stellt die Dinge britisch dar:

„man habe sich nur gegen den Grundsatz der Gewalt gestellt.“

Hitler droht,

„daß er bei dem geringsten polnischen Versuch, noch weiterhin gegenDeutsche oder gegen Danzig vorzugehen, sofort eingreifen werde.“ ... „Beider nächsten polnischen Provokation werde ich handeln.“

Da Tätlichkeiten gegen Deutsche in Polen an der Tagesordnung sind undZwischenfälle an Danzigs Grenzen keine Seltenheit, sagt Hitler damit, daßDeutschland auf dem Sprung ist, Polen anzugreifen. Damit ist diesGespräch beendet. Hitler hat Botschafter Henderson klargemacht, daß er England die Schuld dafür gibt, daß Verhandlungen mit Polen inzwischenzwecklos sind. Und Henderson hat versucht, Hitler klarzumachen, daßKrieg mit Polen Krieg mit Großbritannien nach sich zieht, auch wenn dieSowjetunion nun nicht mehr auf der Seite Englands steht.

Chamberlains Brief, den Henderson an Hitler übergibt enthält zweiAngebote. Das erste ist ein Spiel auf Zeit. Chamberlain schlägt vor, dieVerhandlungen mit Polen so lange auszusetzen, bis sich das deutsch- polnische Verhältnis abgekühlt und beruhigt hat. Das zweite Angebot mußHitler locken. Der britische Premier stellt Verhandlungen in Aussicht, die parallel zur Danzig-Frage „gleichzeitig die großen zukünftigeninternationalen Beziehungen regeln könnten, einschließlich derer, dieEngland und Deutschland interessieren“. Das ist verklausuliert dasAngebot, mit der Regelung der Polen-Sache auch das deutsch-englischeVerhältnis neu zu arrangieren. Das ist es, was Hitler seit seinemAmtsantritt versucht.

Hitler antwortet Chamberlain am gleichen Tag. Der deutsche Kanzler 

 betont in diesem Brief den Wunsch nach Freundschaft mit Großbritannien,und er beklagt sich über Polen:

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„Deutschland war bereit, die Frage Danzig und die des Korridors durcheinen wahrhaft einmalig großzügigen Vorschlag auf dem Wege vonVerhandlungen zu lösen.“

England habe, so argumentiert er, dieses Angebot durch Stimmungsmachegegen Deutschland und durch die Garantieerklärung an die Polen sabotiert.Deutschland werde Druck auf die deutsche Minderheit in Polen undUltimaten gegen die Stadt Danzig nicht mehr weiter dulden. Der Brief endet mit den Sätzen:

„Die Frage der Behandlung der europäischen Probleme im friedlichenSinn kann nicht von Deutschland entschieden werden, sondern in erster Linie von jenen, die sich seit dem Verbrechen des Versailler Diktats jeder friedlichen Revision beharrlich und konsequent widersetzt haben. ... Ichhabe Zeit meines Lebens für eine deutsch-englische Freundschaftgekämpft, bin aber durch das Verhalten der britischen Diplomatie -wenigstens bisher - von der Zwecklosigkeit eines solchen Versuchsüberzeugt worden. Wenn sich dies in der Zukunft ändern würde, könnteniemand glücklicher sein als ich.“

Dieser erste Notenaustausch in der letzten Woche vor dem Krieg läßt nochauf Verständigung hoffen. Beide Regierungschefs versichern sich, daß sieKrieg vermeiden wollen. Doch beide verfolgen jeder für sich eineDoppelstrategie, die in sich widersprüchlich ist. Chamberlain will dieLösung der anstehenden Probleme nur auf dem Verhandlungswege dulden,doch den hat er mit seinem Garantieversprechen an die Polen de factoselbst versperrt. Und Hitler will sowohl eine Annäherung an England alsauch in der Danzig-Frage nicht weiter auf der Stelle treten. Auch das istkaum vereinbar. Hitler steht vor dem „entweder - oder“ und er bereitet beides vor: Verhandlungen und Krieg.

Zum 23. August gehören noch Außenminister von Ribbentrops Moskauer Verhandlungen mit Stalin und Außenminister Molotow. Es wird späte Nacht, ehe der Deutsch-Sowjetische Nichtangriffspakt die Unterschriften beider Seiten trägt.

 

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Er müsse - so Hitler - „Zeit für weitere Verhandlungen gewinnen.“ Der „Führer“ bevorzugt an diesem Tage, dem 24. August, offensichtlich nochimmer eine Lösung ohne Blutvergießen.

In Paris bemüht man sich inzwischen auf die eigene Art um Frieden.„Die Französische Regierung empfiehlt nachdrücklichst der Polnischen,sich vor jeder militärischen Reaktion zu hüten und mit einer diplomatischen Aktion zu antworten, wenn der Danziger Senat von sichaus den Anschluß Danzigs an das Deutsche Reich erklären sollte.“

Was wundert, ist, daß Frankreich diesen „Selbstanschluß“ nicht als Ideeund Kompromiß in die deutsch-englisch-polnische Debatte wirft. Es wirktvielmehr so, als ob die französische Regierung in dieser hochangespannten Lage lieber wartet, bis Deutschland selbst nach Danzig greiftund die Schuld am Kriege übernimmt.

In Washington läßt Roosevelt die Polen wissentlich in eine Falle laufen..Am frühen Morgen dieses Tages verrät ein deutscher Diplomat in Moskaueinem amerikanischen Kollegen den Inhalt des gerade geschlossenengeheimen Zusatzabkommens, das Osteuropa in eine russische und einedeutsche Interessensphäre teilt. Die Trennungslinie teilt auch Polen.Mittags um 12 Uhr kabelt der amerikanische Botschafter den Inhalt desgeheimen Zusatzprotokolls nach Washington. Nur wenig später kenntPräsident Roosevelt die heiße Nachricht und damit auch die Gefahr, diePolen ab sofort von Rußland droht. Roosevelt tut nichts, um Warschau,London und Paris zu warnen.. Eine Warnung noch am gleichen Tage hättedie Polen vielleicht dazu bewegen können, Hitlers Vorschlag vom 28.April zu akzeptieren. Dieses letzte Hitler-Angebot war ein Freihafen undWirtschaftsprivilegien in Danzig, die Anerkennung der polnischenGebietsgewinne seit 1918 in Posen, Westpreußen und Südost-Oberschlesien und ein Friedensvertrag für 25 Jahre gegen exterritorialeWege durch den Korridor und Danzig. Eine Warnung an die Briten hätteden Garantievertrag für Polen, der an diesem Tag geschlossen wird,vielleicht verhindert. Doch für Roosevelt ist wichtig, daß Hitler sich imDanzig-Streit verfängt.

Polens Beitrag dieses Tages ist, daß es am Vormittag um 11 Uhr dieAußengrenzen Danzigs schließt. Die dadurch erzeugten

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Versorgungsschwierigkeiten in der Stadt tragen dazu bei, die Stimmungder Danziger für einen schnellen Anschluß weiter anzuheizen.

 

Freitag, der 25. August Sieben Tage vor dem Kriegsausbruch:

Gegen 8 Uhr startet der schwedische Vermittler Dahlerus in MarschallGörings Auftrag mit einer Sondermaschine von Berlin-Tempelhof nachLondon.

In Berlin jagt inzwischen eine Nachricht die andere, alle für den „Führer“nicht gerade angenehm. Es sind die Berichte von den Zusammenstößenund Handstreichaktionen beider Seiten. Noch immer werden deutscheBauernhöfe auf der polnischen Seite der Grenze abgebrannt. DeutscheStoßtrupps vergelten die Brandstiftungen noch in gleicher Nacht auf der Gegenseite. Auch der Flüchtlingsstrom hält weiter an. PolnischeGrenztruppen versuchen, die deutschen Flüchtlingsgruppen mit Gewehr-und MG-Feuer von der Grenze wegzutreiben. Wieder sind in der Nachtacht Menschen auf der Flucht erschossen worden. Überdies ist ein zivilesPassagierflugzeug auf dem Weg nach Königsberg über der Ostsee von polnischen Flak-Geschützen beschossen worden.

Die Aussicht, wegen Danzig und der Transitwege in einen Krieg mitEngland zu geraten, verträgt sich nicht mit Hitlers strategischenVorstellungen von einer zukünftigen deutsch-britischen Zusammenarbeitund Freundschaft. So beschließt Hitler noch am Vormittag des 25. August,den Angriff gegen Polen weiter aufzuschieben und England erneut einAngebot zu machen. Er läßt den Angriff ein zweites Mal verschieben.Dann bestellt er den englischen Botschafter Henderson zu sich in dieReichskanzlei. Um 13.30 Uhr stehen sich die beiden Männer gegenüber.Hitler knüpft an das letzte Gespräch an, in dem Henderson die Hoffnungauf eine deutsch-britische Verständigung geäußert hatte und stellt eingroßes, umfassendes Bündnis mit England in Aussicht, wenn erst einmaldas deutsch-polnische Problem gelöst sei. In der Sache aber bleibt Adolf Hitler hart. Er sagt:

„Das Problem Danzig und Korridor muß gelöst werden.“ Und er legt nach:„Wenn die britische Regierung diese Gedanken erwägen würde, so könnte

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sich daraus ein Segen für Deutschland und auch für das BritischeWeltreich ergeben. Wenn sie diese Gedanken ablehnt, wird es Krieggeben.“

Henderson beharrt auf Englands Bündnis mit den Polen und erwidert, dasdeutsche Bündnisangebot könne erst in Betracht gezogen werden,nachdem die polnische Frage auf dem Verhandlungswege gelöst wordensei. Nachdem Henderson gegangen ist, beschleichen Hitler offensichtlichZweifel, daß er den Engländer hat überzeugen können. Er bringt seineAnliegen noch einmal in sechs Punkten zu Papier und schickt sieHenderson unverzüglich in die Botschaft nach. In Punkt zwei der Listeschlägt Hitler einen Ton an, der so bisher fehlt. Er bittet, daßGroßbritannien bei der Rückgewinnung Danzigs und des Korridors behilflich ist. Damit ist der Ball bei England, das nun vermitteln könnteoder Polen drängen, auf die moderaten deutschen Forderungeneinzugehen.

Um 17.30 Uhr meldet sich der französische Botschafter Coulondre beiHitler, der das Gespräch eröffnet:

„Angesichts des Ernstes der Lage will ich Ihnen eine Erklärung abgeben,die ich Sie bitte, Herrn Daladier ( franz. Ministerpräsident ) zuübermitteln. Ich hege ich keine feindseligen Gefühle gegen Frankreich. Ichhabe persönlich auf Elsaß-Lothringen verzichtet und die deutsch-französische Grenze anerkannt. Ich will keinen Konflikt mit IhremLand. ... Infolgedessen ist mir der Gedanke, daß ich Polens wegen mitFrankreich kämpfen müßte, außerordentlich schmerzlich. ... Ich habe vor mehreren Monaten Polen, als ich die Rückkehr Danzigs und einenschmalen Gebietsstreifen als Verbindung dieser Stadt mit Ostpreußenforderte, außerordentlich vernünftige Vorschläge gemacht. ... Die polnische Regierung hat nicht nur meine Vorschläge zurückgewiesen,sondern sie hat auch die deutschen Minderheiten auf das Schlimmstemißhandelt. ... Frankreich würde so etwas genauso wenig dulden wieDeutschland. ... Ich werde Frankreich nicht angreifen, aber wenn es inden Konflikt eingreift, so werde ich bis zum Ende gehen. ... Sagen Sie das, bitte, Herrn Daladier von mir.“

Botschafter Coulondre erwidert:

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„Jetzt, da jedes Mißverständnis behoben ist, lege ich Wert darauf, Ihnenmein Ehrenwort als Soldat zu geben, daß Frankreich Polen, falls esangegriffen würde, mit seinen Streitkräften zur Seite stehen wird. Ich kannIhnen aber gleichfalls mein Ehrenwort geben, daß die Regierung der 

Französischen Republik bis zum letzten Augenblick alles tun wird, was inihrer Macht steht, um den Frieden zu bewahren. Sie wird es der polnischenRegierung an Mahnungen zur Vorsicht nicht fehlen lassen.“

Hitler mußte hier - und eigentlich schon lange - erkennen, daß ihm nun dieRechnung für die unrechtmäßige Besetzung der Rest-Tschechei vorgelegtwird. Auf der Rechnung stehen unausgesprochen weitere Posten:

- Die Kündigung von Versailles,

- die Angliederung Deutsch-Österreichs,

- die Häresie der autoritären Staatsform,

- der Machtzuwachs des Reiches in den vergangen sechs Jahren,

- die schnell wachsende deutsche Konkurrenz auf internationalen Märkten,

- die Aufrüstung der Wehrmacht,

- Hitlers Forderung nach Rückgabe der ehemals deutschen Kolonien und

der deutsche Wille, zur Vormacht in Mittelosteuropa aufzusteigen.

Es geht hier nicht mehr allein um Danzig und um Transitwege. Danzig istfür Großbritannien und Frankreich nun die Hürde, vor der sie das DeutscheReich zum Stehen oder mit der sie es zum Fallen bringen wollen.

Auch zwischen der englischen Botschaft in Warschau und demAußenministerium in London gehen Telegramme hin und her. Um 1 Uhr fordert Halifax aus London Kennard in Warschau auf, die Polen zuermahnen, „jede Handung zu unterlassen, die sie in die Rolle desAggressors versetzen könnte.“

Um 14 Uhr schickt Kennard noch eine Einschätzung der Lage an Halifax

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in London:

„Ich bezweifele ausgesprochen, daß es irgendeinen Nutzen bringt, wennder polnische Botschafter ein Gespräch mit Hitler sucht.“

Paris und London sind in Sorge, daß der Krieg von Polen statt vonDeutschland losgetreten wird. In Warschau bezeichnet man dieGesprächsversuche von deutscher Seite als Intrige, und Kennard zeigtkeine Neigung, die Polen zu Gesprächen mit den Deutschen zu bewegen.

Mittlerweile hat der schwedische Vermittler Dahlerus in London beiAußenminister Lord Halifax vorgesprochen. Etwa um 18.30 Uhr - alsoStunden nach der Unterzeichnung des Polnischen-BritischenBeistandspakts - erklärt Lord Halifax, daß er seit dem Besuch vonHenderson bei Hitler heute morgen hoffnungsvoll gestimmt sei. Obwohl er noch keinen genauen Bericht über das Resultat dieser Besprechungerhalten habe, hoffe er, daß die Initiative zur Aufnahme offizieller Verhandlungen eine friedliche Lösung ermöglichen würde. Dahlerusglaubt an einen Durchbruch und ruft um 22.20 Uhr Marschall Göring an,um ihm zu berichten. Göring wirkt sehr nervös. Er erklärt, daß er für jedenAugenblick den Kriegsaus-bruch befürchtet. Der englisch-polnischeVertrag vom Vormittag werde vom „Führer“ als eine ausdrücklicheErklärung Englands dahingehend aufgefaßt, daß es nun keine friedlicheLösung mehr wünsche. Dahlerus informiert noch in der gleichen Nachtden Chef der Zentralabteilung des Außenministeriums in London, wie der Vertrag mit Polen auf den deutschen Kanzler wirkt. Der drückt seineVerwunderung darüber aus, daß der Vertrag in Deutschland mißverstandenwerde. Dahlerus bittet um einen neuen Termin bei Halifax.

An diesem Freitag, eine Woche vor dem Kriegsausbruch, wiederholt die britische Regierung ihren Schachzug vom 23. März des Jahres. Mit ihrer Unterschrift unter den britisch-polnischen Schutzvertrag bekräftigt sienoch einmal ihre Rückendeckung für die Polen. Die Chamberlain-Regierung will damit Hitler daran hindern, Danzig dem Deutschen Reichohne englisch-polnische Zustimmung anzugliedern. Doch sie muß auchwissen, daß sie bei der nun gestärkten Haltung Warschaus Hitler vor dieWahl stellt, auf Danzig und den Schutz der deutschen Minderheit in Polen

zu verzichten, oder Krieg zu führen. Mit der englischen Unter-schrift unter den britisch-polnischen Vertrag am heutigen Tag dreht Chamberlain den

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Schlüs-sel in der Tür zum Konferenzsaal der deutsch-polnischenVerhandlungen noch einmal um.

 

Sonnabend, der 26. August Sechs Tage vor dem Kriegsausbruch:

Um 7.50 Uhr fliegt Botschafter Henderson nach London, um HitlersVorschlag an die britische Regierung zu überbringen. Um 11 Uhr sprichtDahlerus, erneut bei Außenminister Halifax vor. Er schildert ihm dieWirkung des britisch-polnischen Vertrags auf Hitler. Der Schwede bittetHalifax, Göring einen Brief zu schreiben und Englands ernsten Willen zueiner friedlichen Lösung zu bestätigen. Dahlerus fliegt zurück mit demerbetenen Schreiben und übergibt es Göring. Der hält die Botschaft für sowichtig, daß er sofort zu Hitler fährt und ihn davon in Kenntnis setzt.Inzwischen ist es wieder Mitternacht. Der Brief und Dahlerus’ mündlicheÜbermittlung machen Hitler nun für eine Zeitlang glauben, daß Englandan einer friedlichen Danzig-Lösung interessiert sei, aber bei einer einseitigen gewaltsamen Lösung von deutscher Seite Krieg erklärenwerde.

Kurz nach Mitternacht (27.8.) läßt Hitler Dahlerus zu sich in dieReichskanzlei bestellen. Jetzt wird der Schwede vom Vermittler zwischenGöring und der englischen Regierung zum Vermittler zwischen Hitler undden Briten. Die Konferenz zu tiefer Nacht, die nun über eineinhalbStunden folgt, wird zum Dialog zwischen Hitler und dem Schweden, beidem beide ihre Auffassungen über die Kriegschanzen austauschen. ZumSchluß geht Hitler sehr erregt im Zimmer auf und ab, bleibt plötzlich vor Dahlerus stehen und sagt:

„Sie, Herr Dahlerus, haben meine Auffassung gehört. Sie müssen sofortnach England reisen, um sie der englischen Regierung mitzuteilen. Ichglaube nicht, daß Henderson mich verstanden hat, und ich wünscheaufrichtig, daß eine Verständigung zustande kommt.“

Hitlers Position wird wiederum in sechs Punkte definiert, die nun zum Teilschon weiter greifen, als die sechs Punkte, die Hitler Henderson mit auf 

den Weg gegeben hat:

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„1. Deutschland wünscht ein Bündnis mit England, das alle Streitfragen politischer oder wirtschaftlicher Art in Zukunft beseitigen soll.“

Dieses Angebot gilt also unverzüglich und nicht erst nach der Danzig-

Lösung, wie es Hitler vorher vorgeschlagen hatte.„2. England wird gebeten mitzuwirken, daß Deutschland Danzig und denKorridor erhält, jedoch mit Ausnahme eines Freihafens in Danzig, der Polen zur Verfügung stehen soll. Polen soll einen Korridor zur HafenstadtGdingen erhalten und ganz über diese Stadt und ein hinreichend großesGebiet um sie herum verfügen.“

Hier wird nun mit dem Korridor mehr verlangt, als nur die exterritorialenTransitwege. Da Polen bisher auf die von Hitler vorgeschlageneMinimallösung von sich aus nicht einge-gangen ist, hofft er, mit EnglandsRückendeckung auch den nicht polnisch bewohnten Nord-Teil desKorridors für Deutschland heimzuholen.

„3. Deutschland verpflichtet sich, Polens Grenzen zu garantieren.

4. Deutschland wünsche ein Abkommen über Kolonien, über dieRückgabe seiner ehemaligen Besitzungen oder Kompensationen.

5. Deutschland wünsche Garantien über die Behandlung der deutschenMinderheit in Polen.

6. Deutschland verpflichtet sich, das Britische Empire, wo immer esangegriffen werden könnte, mit seiner Wehrmacht zu schützen.“

Dahlerus sagt zu, den neuen Vorschlag so schnell wie möglich in Londonvorzutragen.

Am gleichen 26. August erhält Präsident Daladier Hitlers Brief, in dem er schreibt, daß Deutschland von sich aus keinen Krieg gegen Frankreicheröffnen werde. Daladier und Außenminister Bonnet verfassen eineAntwort, welche die drei bekannten Positionen wiedergibt: FrankreichsBündnistreue zu Polen, Frankreichs Friedenswillen und der Vorschlag, mit

Warschau zu verhandeln. Daladier ergeht sich in einer langen Folge vonFriedensbeteuerungen, die alle meinen: „Wir Franzosen sind friedlich, und

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wer den Danzig-Status anrührt, ist es nicht.“ Die französische Regierungdenkt also noch immer nicht daran, das von ihr in Versaillesmitgeschaffene deutsch-polnische Problem, den Danzig-Status zur Disposition zu stellen und Polen zu veranlassen, in dieser Sache

einzulenken. 

Sonntag, der 27. August Fünf Tage vor dem Kriegsausbruch:

In London berät das Kabinett über Hitlers ersten, in sechs Punktenformulierten Vorschlag. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht, daß der für gestern erwartete Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polenausgeblieben ist. Man sieht darin ein Zurückweichen Hitlers vor der eigenen Politik der Unnachgiebigkeit, statt es als Entgegenkommen zu bewerten. Sobald Dahlerus in London eintrifft, wird er hinzugezogen. DieHerren prüfen Hitlers Offerte Punkt für Punkt. Dann wird vereinbart, daßder schwedische Vermittler an Stelle Hendersons mit der englischenAntwort nach Berlin zu Hitler fliegt, dessen Reaktion darauf sofort nachLondon übermittelt, damit die Londoner Regierung dann erneut beratenkann. Dahlerus fliegt nach Deutschland, wo er sofort von Göring inEmpfang genommen wird. Es ist inzwischen wieder später Abend.

Göring hält die Antwort aus London für nicht in allen Punkten günstig und besteht darauf, sie Hitler persönlich vorzutragen und ihn unter vier Augenvom Nutzen der Reaktion aus London zu überzeugen. Die Antwort beziehtsich strikt auf Hitlers Punkte. Sie lautet zu Punkt 1, daß Englandgrundsätzlich bereit ist, einen Vertrag mit Deutschland zu schließen, der eine friedliche Entwicklung auf politischem und wirtschaftlichem Gebietsichert. In Bezug auf Punkt 2, die Bitte bei der Wiedergewinnung vonDanzig und dem Korridor zu helfen, steht die englische Regierung einer Lösung der Frage wohlwollend gegenüber und empfiehlt, hierfür direkteVerhandlungen zwischen Berlin und Warschau. Zu Punkt 3, der deutschenGarantie der zukünftigen Grenzen Polens, besteht die britische Regierungdarauf, daß Polens zukünftige Grenzen nicht allein von Deutschland,sondern auch von Rußland, Italien, Frankreich und Großbritanniengarantiert werden müssen. Zu Punkt 4, den ausreichenden Garantien für 

die deutsche Minderheit in Polen, akzeptiert die englische RegierungDeutschlands Forderung und empfiehlt, diese Frage ebenfalls durch

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direkte Verhandlungen mit Polen zu lösen. Den in Punkt 5 erhobenendeutschen Anspruch auf die spätere Rückgabe der früheren deutschenKolonien oder auf Ersatz lehnt die englische Regierung zunächst ab, stelltaber spätere Verhandlungen dazu in Aussicht. Das Angebot in Punkt 6, das

 britische Weltreich im Bedarfsfall militärisch zu unterstützen, wirdgleichfalls abgelehnt.

Görings Zweifel an Hitlers positiver Reaktion sind nicht ganzunberechtigt. Schließlich trifft der Vorschlag, die Danzig- und Korridor-Sache deutsch-polnisch zu verhandeln, den wunden Punkt der deutschenPosition. Außenminister Beck in Warschau ist in der Danzig-Transitfrageseit Oktober vorigen Jahres nicht einen Schritt auf Deutschlandzugegangen. Die britischen und französischen Garantien und Versprechenvom März und Mai und von vor zwei Tagen haben Beck bestärkt, davonnicht abzugehen. Auch der Vorschlag, in der Minderheitenfrage zuverhandeln ist ein Hohn. Polen hat die im Versailler Vertragunterzeichneten Minderheiten-schutzbestimmungen gekündigt und einenMinderheitenschutzvertrag mit Deutschland im eigenen Land niedurchgesetzt. Was sollte die Polen jetzt beflügeln, sich in Bezug auf Danzig, den Korridor und die Minderheiten umzustellen? Göring willversuchen, Hitler mit dieser Antwort der englischen Regierung vomEinmarsch in Polen abzubringen. Als er sich mit der von Dahlerusüberbrachten Chamberlain-Antwort beim „Führer“ meldet, ist es fastMitternacht.

Am gleichen Tag liegt in London der nächste Bericht aus Warschau vor.Botschafter Kennard teilt mit, wie er die Dinge sieht:

„Soweit ich das beurteilen kann, sind die deutschen Behauptungen über die massenhaften Mißhandlungen an Angehörigen der deutschenMinderheit in Polen grobe Übertreibungen, wenn nicht sogar Fälschungen.... Jedenfalls handelt es sich dabei schlicht und einfach um deutscheProvokationen im Zusammenhang mit einer Politik, die die zwei Nationengegeneinander aufgebracht hat. Ich nehme an, daß dies geschieht, um (a)Kriegsstimmung in Deutschland zu entfachen, (b) die öffentliche Meinungim Ausland zu beeindrucken und (c) entweder Niedergeschlagenheit oder offensichtliche Aggressionen in Polen zu provozieren.“

 

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Montag, der 28. August Vier Tage vor dem Kriegsausbruch:

Frühmorgens 1.30 Uhr: Göring kommt von Hitler zurück und hat mit der 

Dahlerus-Botschaft Erfolg gehabt. Trotz der Schlafenszeit fährt Göringnoch zu Dahlerus und berichtet:

„Mit Freude begrüße Hitler Englands Wunsch, mit Deutschland zu einer friedlichen Abmachung zu gelangen. Der Reichskanzler würde größtenWert darauf legen, ein wirkliches Bündnis zwischen Großbritannien undDeutschland zustande zu bringen und nicht nur einen Vertrag. Hitler respektiere Englands Entschluß, seine Garantie für Polenaufrechtzuerhalten und ebenso die englische Forderung nachinternationaler Garantie der polnischen Grenzen durch die fünf Großmächte. Er akzeptiere auch den englischen Vorschlag, die FragenKorridor und Danzig endgültig durch direkte Verhandlungen zwischenDeutschland und Polen zu regeln. Er habe auch seiner ÜberzeugungAusdruck gegeben, daß die Engländer bei den damit zusammenhängendenVerhandlungen ihr Bestes tun würden, um eine befriedigende Lösungherbeizuführen.“

Der Friede scheint gerettet. Immerhin gibt Hitler zu erkennen, daß er nocheinmal wartet, und daß er einer Garantie der Grenzen Polens durchEngland, Frankreich, Italien und die Sowjetunion zustimmt. DiesEinverständnis läßt darauf schließen, daß sein Interesse an der Eroberungdes Nachbarlandes Polen relativ gering ist.

Dahlerus beeilt sich, die Reaktionen Hitlers und Görings so schnell wiemöglich nach London durchzugeben. Er hebt dabei hervor, daß Englandnun Polen überzeugen muß, daß es sofort beginnt, mit Deutschland zuverhandeln. Dahlerus übermittelt außerdem, daß es äußerst wichtig ist, daßdie offizielle Antwort , die Henderson später überbringen soll, erwähnt,daß England sich verpflichtet, die Polen zu Verhandlungen mitDeutschland zu bewegen.

In London wird derweilen die offizielle Antwort der britischen Regierungauf Hitlers Sechs-Punkte-Angebot zu Ende formuliert. Um 14 Uhr geht ein

Telegramm von Lord Halifax an den englischen Botschafter in WarschauKennard mit dem Auftrag, sofort beim polnischen Außenminister 

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nachzufragen, ob sich die polnische Regierung zu direkten Verhandlungenmit der deutschen bereit erklärt. Im Telegramm steckt ein SchachzugLondons, der unweigerlich zum Kriege führt. Minister Halifax betont indiesem Auftrag an Botschafter Kennard, daß man in London genau

zwischen der Methode der empfohlenen Verhandlung und den Zielen der Verhandlung unterscheide. Man werde die Andeutung der Verhandlungsbereitschaft von polnischer Seite nicht als Zustimmung zuHitlers Forderungen in irgendeiner Weise mißverstehen. Großbritannienstehe weiter hinter Polen.

Das Telegramm enthält nicht ein einziges Wort zu Danzig und nicht dengeringsten Hinweis an die Adresse Warschaus, den Deutschen ein Stück des Wegs entgegenzukommen. Die verklausulierte Botschaft lautet, daßdie englische Regierung die polnische Verhandlungs-bereitschaft nicht alsein Nachgeben in der Danzig-Frage mißverstehen werde und daßWarschau das auch nicht tun sollte. Man erwarte, daß Polen verhandeleund nicht mehr. Nach dieser Botschaft kann man in London sicher sein,daß Warschau in Bezug auf Danzig mauert.

Um 16 Uhr trifft die Antwort aus Warschau im Foreign Office ein:

„Außenminister Beck ist äußerst dankbar für die vorgeschlagene Antwortan Hitler und ermächtigt seiner Majestät Regierung, die deutscheRegierung zu informieren, daß Polen bereit ist, sofort in direkteVerhandlungen mit dem Reich einzutreten.“

Um 17 Uhr fliegt Henderson zurück nach Berlin.. Um 22.30 Uhr, alsHenderson das Antwortschreiben Chamberlains an Hitler übergibt, betonter wieder die Bündnistreue Englands zu Polen und erklärt:

„Das englische Volk und besonders Mister Chamberlain wünschten eineVerständigung mit Deutschland, brauchten allerdings bei der Durchführung dieser Absicht die Mitwirkung Deutschlands, das versuchenmüßte, sich mit den Polen auf friedlichem Wege zu einigen.“

Hitler entgegnet,

daß er bereit gewesen sei, die schwebenden Fragen mit der polnischenRegierung auf einer sehr vernünftigen Grundlage zu regeln. ... Jetzt hätten

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sich die Dinge aber soweit zugespitzt, daß täglich neue Zwischenfälle undneue Gewalttaten gegenüber den Volksdeutschen geschähen. ... Für ihn bestehe die Wahl jetzt darin, die Rechte des deutschen Volkes zuverteidigen oder um den Preis einer Einigung mit England aufzugeben.

Das sei für ihn keine Wahl, sondern er habe die Pflicht, für die Rechte desdeutschen Volkes einzutreten.

Die erste Durchsicht des Briefes aus London stellt Hitler offensichtlichzunächst zufrieden. Dahlerus, der schwedische Vermittler, wird jedenfallsnoch um 1.15 Uhr davon informiert,

„daß die Antwort höchst zufriedenstellend wäre und daß nun großeHoffnung bestehe, daß die Kriegsgefahr vorbei sei.“

Am gleichen Tage gibt es noch einen weiteren Hoffnungsschimmer für diedeutsche Seite. Mussolini läßt dem Auswärtigen Amt mitteilen, daß dasdeutsche Anrecht auf Danzig grundsätzlich anerkannt werden müsse, unddaß er für alle übrigen Fragen, wie die der Abrüstung, die der Rohstoffversorgung für Deutschland und die der Kolonien, eine Vierer-oder Fünferkonferenz anregen werde.

 

Dienstag, der 29. August Drei Tage vor dem Kriegsausbruch:

Gegen 11 Uhr morgens sehen sich Göring und Dahlerus wieder. Der Marschall drückt dem schwedischen Vermittler die Hand und sagt ganzaufgeregt: „Es bleibt Frieden! Der Frieden ist gesichert.“

Inzwischen ist man in der Reichskanzlei dabei, den Antwortbrief der englischen Regierung sorgfältig auszuwerten. Hitler ist mit alledemoffensichtlich einverstanden. Doch der Brief enthält drei kritischePassagen. Der dritte und wohl folgenschwerste Haken in der Antwort ausLondon ist die Reihenfolge der Voraussetzungen, die nun gelten sollen.Hitler hat einen Freundschaftspakt geboten, wenn England bei der Danzig-Sache hilft. Die britische Regierung antwortet: wenn Deutschland undPolen den Danzig-Streit auf dem Verhandlungs-weg gelöst haben, ist

England bereit, einen Freundschaftspakt zu schließen. HitlersVoraussetzung für Deutschlands Einigung mit Polen ist der 

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Freundschaftspakt mit England. Chamberlains Voraussetzung für denFreundschaftspakt mit England ist Deutschlands Einigung mit Polen. DieBriten zeigen Hitler also nach wie vor die verschlossene Tür in Warschauund sagen „Geh hindurch“. Hitlers Rechnung oder Hoffnung geht also

auch in diesem Punkt nicht auf. Dennoch ist ihm sein Fernziel einesAusgleichs und eines Freundschaftspakts mit Großbritannien nunwichtiger als das Nahziel Danzig. Er geht auf Chamberlains schwierigeKonditionen ein.

Hitler antwortet mit einer Note, in der er als erstes die Bedingungen ausLondon akzeptiert. Erst zum Schluß des Briefes baut er eine Hürde auf,über die nun die Briten und die Polen gehen müssen. Er beendet seinenBrief mit der Erwartung, daß die deutsch-polnischen Verhandlungen nunwirklich am Mittwoch, dem 30. August also binnen 29 Stundenaufgenommen werden:

Der deutsche Kanzler steht in vieler Hinsicht mit dem Rücken an der Wand. Er will so schnell wie möglich von den Briten Taten sehen oder herausfinden, ob er hingehalten wird. Außerdem will Hitler sich von der  polnischen und der französischen Presse nicht wieder „weiche Knie“ wievor drei Wochen attestieren lassen. Um 19 Uhr übergibt Hitler seineAntwort an Botschafter Henderson, der sie sofort lesend überfliegt.Henderson macht aus dem Entsetzen über die so kurz gesteckte Frist nichtden geringsten Hehl:

„Sie geben dem polnischen Unterhändler 24 Stunden Zeit, um nach Berlinzu kommen. Das klingt wie ein Ultimatum.“

„Aber keineswegs“, entgegnet Hitler. „Dieser Satz unterstreicht nur dieDringlichkeit des

Augenblicks. Bedenken Sie, daß es jederzeit zu einem schwerenZwischenfall kommen kann, wenn sich zwei mobilisierte Armeengegenüberliegen.“

Henderson beharrt auf seiner Ansicht: „Die Frist ist unzureichend.“

„Nein“, so Hitler. „Es ist jetzt eine Woche, daß wir immer dasselbewiederholen. Wir 

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tauschen unablässig Noten und Antworten aus. Dieses unsinnige Spielkann nicht ewig weitergehen. ... Denken Sie an die Gewehre, die jedenAugenblick von allein losgehen können.“

 Nach dem Besuch bei Hitler informiert Henderson sofort seinen polnischen Kollegen Lipski über das Gespräch mit Hitler und den Inhaltdes Briefs an Chamberlain und dringt hände-ringend auf die sofortigeEntsendung eines bevollmächtigten Unterhändlers von Warschau nachBerlin. Dann erst, um 21 Uhr, wendet er sich per Telegramm an Minister Halifax in London. Er kündigt Hitlers Brief an und weist er darauf hin, daßHitler morgen, am 30. August, einen bevollmächtigten Unterhändler Polens in Berlin erwartet. Henderson ringt offensichtlich ehrlich um denFrieden.

In Warschau beraten derweil Außenminister Beck, Verteidigungsminister Kasprzycki und der Oberbefehlshaber der Streitkräfte Marschall Rydz-Śmigły. Ihr Ergebnis: in der Danzig-Frage wird nicht nachgegeben. EinEntschluß zu verhandeln, wie von den Briten dringend angeraten, kommtnicht zustande. Am Nachmittag beschließt der polnische Ministerrat für morgen, den 30. August, die Allgemeine Mobilmachung offiziell bekanntzugeben. Der französische Botschafter und der englische, dieunbedingt verhindern wollen, daß der Krieg im letzten Moment doch nochvon Polen provoziert wird, protestieren sofort im polnischenAußenministerium gegen den Beschluß, öffentlich mobil zu machen..Wenn Warschau jetzt den Krieg auslöst und nicht Berlin, ist keinBündnisfall gegeben, und Paris hätte völkerrechtlich keine Legitimation,mit Deutschland abzurechnen.

 

Mittwoch, der 30. August Zwei Tage vor dem Kriegsausbruch:

Morgens um 4 Uhr erhält Henderson aus London die Weisung, der Deutschen Reichsregierung mitzuteilen, daß man nicht damit rechne, binnen 24 Stunden einen bevollmächtigten Unterhändler aus Warschaunach Berlin zu bekommen. Die Warnung, daß an diesem „letzten“ Tag

kein Pole kommen werde, gibt Henderson weder an Außenminister vonRibbentrop noch an Hitler weiter.

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Den ganzen Morgen erarbeitet eine Gruppe von Diplomaten und Juristennach Hitlers Weisungen und Görings Vorschlägen das neueVerhandlungsangebot an die polnische Regierung. Hitler hat die früheren

deutschen Wünsche aus der Zeit seiner demokratischenVorgängerregierungen weit zurückgefahren. Ost-Oberschlesien und dieProvinz Posen sind endgültig abgeschrieben. Auch in Bezug auf Westpreußen und den Korridor hat er die Forderungen, die er noch vor vier Tagen gegenüber Henderson geäußert hat, wieder reduziert. Hitler will offensichtlich die Briten mit einem sehr moderaten Vorschlagüberzeugen, so daß die guten Gewissens die Polen zu einemEntgegenkommen drängen können. Die Auflistung der deutschenWünsche und Angebote umfaßt 16 Punkte. Dazu gehören:

- Danzig kehrt heim ins Reich.

- Im nördlichen Korridor soll die Bevölkerung in einer Abstimmung selbstentscheiden, ob as Gebiet polnisch oder deutsch wird.

- Die Hafenstadt Gdingen bleibt dabei auf jeden Fall polnisch.

- Je nach Abstimmungsergebnis im Korridor erhält entweder Deutschlandexterritoriale Verkehrswege nach Ostpreußen oder Polen exterritorialeVerkehrswege nach Gdingen.

- Die Beschwerden der deutschen Minderheit in Polen und die der  polnischen Minderheit in eutschland werden einer internationalenKommission untersucht. Beide Nationen zahlen Entschädigungen an betroffene Geschädigte nach Maßgabe der Kommission.

- Im Falle einer Vereinbarung nach diesen Vorschlägen demobilisierenPolen und Deutschland sofort ihre Streitkräfte.

Der Vertragsvorschlag wahrt das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen polnischen, kaschubischen und deutschen Bevölkerungsanteile in einer zeitgemäßen Weise. Aber so neuzeitlich und demokratisch dievorgeschlagene Regelung auch ist, für den Vielvölkerstaat Polen mit

seinen nicht integrierten Minderheiten birgt sie eine ungeheureSprengkraft. Die ukrainische, die weißrussische und die tschechische

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Minderheit könnten dem deutschen Beispiel später folgen und das vonihnen ungeliebte Polen ebenfalls mit regionalen Volksabstimmungenverlassen wollen.

Der 30. August vergeht, ohne daß ein polnischer Unterhändler in Berlinerscheint, um den neuen Verhandlungsvorschlag Hitlers in Empfang zunehmen. Statt dessen berichtet die deutsche Botschaft in Warschau, daßseit morgens in ganz Polen die Generalmobilmachung bekanntgegebenwird. Als auch am Nachmittag noch niemand aus Warschau angekündigtwird, schwindet Hitlers Hoffnung. Er verschiebt den bisher auf den 31.August festgelegten Beginn des Angriffs gegen Polen noch einmal um 24Stunden. Die dritte Verschiebung unmittelbar vor Kriegsbeginn. Hitler räumt sich damit selber eine weitere Chance ein, ohne Blutvergießen zumErfolg zu kommen. Für ihn ist ein Krieg, zwei Tage bevor er ihn eröffnet,offensichtlich noch immer nur der schlechtere von zwei Lösungswegen.

In Warschau ist die polnische Regierung derweil nach wie vor der Überzeugung, daß Hitler blufft und selber in der Klemme steckt. Man hältdie letzte Drohung Hitlers, am 26. August in Polen einzumarschieren,nachträglich für ein mißglücktes Einschüchterungsmanöver, dem nun einweiteres folgen wird. Außenminister Beck glaubt, man müsse das nur mitguten Nerven aussitzen. Er ist entschlossen, niemand nach Berlin zuentsenden.

Um 19.00 Uhr schickt Halifax ein Telegramm nach Warschau. Er weistKennard an, Beck zu informieren, daß die deutsche Seite die englischenVorschläge zu direkten deutsch-polnischen Verhandlungen und zur Fünf-Mächte-Garantie angenommen und versichert hat, Deutschland werde dievitalen Interessen Polens respektieren. Doch von den neuen 16 PunktenHitlers, die er zum Teil schon von Dahlerus kennt, wird kein Sterbensworterwähnt. Chamberlain versucht ganz offensichtlich, Hitlers Zeitreserve zuverbrauchen.

Gegen Abend wird auch für die deutsche Seite sichtbar, daßAußenminister Halifax die ganze Frist, die Hitler für eine Friedens- undVerhandlungslösung offenläßt, hat verstreichen lassen, ohne daß er Polendrängt, sofort Gespräche mit den Deutschen aufzunehmen. Um 18.50 Uhr 

schickt er Henderson in Berlin die Weisung, der deutschenReichsregierung „nahezulegen, den polnischen Botschafter einzuladen, die

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neuen deutschen Vorschläge entgegenzunehmen und nach Warschauweiterzuleiten“. Halifax unterläuft Hitlers Forderung nach einer sofortigenAufnahme von Verhandlungen, indem er schreibt, er habe der polnischenRegierung nicht raten können, einen polnischer Unterhändler mit

Vollmachten zur Entgegennahme der deutschen Vorschlage zu entsenden.Das Unterlaufen ist perfekt, weil Halifax den Brief so spät auf die Reiseschickt, daß Hitlers Termin für den Beginn der deutsch-polnischenGespräche bei Ankunft schon verstrichen ist. So ist der 30. August zumKräftemessen zwischen Chamberlain und Hitler geworden, statt zumRingen um den Frieden.

 

Der letzte Tag vor Kriegsausbruch, Donnerstag, 31. August

Kurz vor Mitternacht spricht Botschafter Henderson bei Minister Ribbentrop vor und übergibt die gerade erwähnte Antwort aus London auf den letzten Hitler-Brief. Das Treffen wird entgegen beider Männer Absichtzum Desaster. Von Ribbentrop beginnt, dem Botschafter den neuendeutschen 16-Punkte-Vorschlag vorzulesen. Henderson bittet nach kurzemZuhören um Überreichung des Papiers, was Ribbentrop mit der Begründung ablehnt, der Vorschlag sei inzwischen überholt, da kein polnischer Unterhändler erschienen sei. Hendersons Vermittlung ist damiterst einmal gescheitert.

Henderson verläßt das Auswärtige Amt und eilt, um nichts unversucht zulassen, in die polnische Botschaft. Er informiert Lipski von dem, was er von Hitlers 16 Punkten aus dem Gespräch mit Ribbentrop behalten hat, z.B. daß Deutschland lediglich die Abtretung Danzigs und eineVolksabstimmung im Korridor vorsähen, und daß die Vorschlägeinsgesamt nicht unvernünftig seien. Angesichts der äußerst kritischen Lage- so drängt Henderson in aller Schärfe - solle Lipski unverzüglichAußenminister von Ribbentrop anrufen und bitten, daß man ihm die neuendeutschen Vorschläge aushändigt. Lipski mauert und erklärt, daß er diesohne Rücksprache mit Warschau nicht tun könne. Henderson beharrt auf seinem Rat und Lipski verspricht nun wenigstens, mit seiner Regierung zutelefonieren.

 Noch in der Nacht erfahren Göhring und Dahlerus von der verpatzten

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Übergabe der 16 Punkte von von Ribbentrop an Henderson. Göhringschickt den Schweden, um zu retten, was zu retten ist, mit einer Kopie des16-Punkte-Vorschlags zum Stellvertreter Hendersons, dem Diplomaten Sir Ogilvie-Forbes, um ihn zu bitten, den Text so schnell wie möglich dem

 polnischen Botschaft Lipski zu überbringen. Um 11 Uhr treffen die beidenEmissäre bei Lipski ein. Die Szene, die nun folgt, hat etwas gespenstischUnwirkliches. Die Botschaft ist so gut wie leergeräumt. DasBotschaftspersonal ist damit beschäftigt, die Abreise vorzubereiten.Dahlerus liest Lipski in dessen fast leerem Zimmer Hitlers 16-Punkte-Vorschlag an die polnische Regierung vor. Lipski unterbricht nach kurzemZuhören und erklärt, den Inhalt nicht zu verstehen. Der Schwede verläßtden Raum, um eine Abschrift der Hitler-Note zu fertigen und zuübergeben. Derweil eröffnet Lipski dem zurückgebliebenen Ogilvie-Forbes, daß er 

„keinerlei Anlaß habe, sich für Noten oder Angebote von deutscher Seitezu interessieren. Er kenne die Lage in Deutschland. ... Er sei überzeugt,daß hier im Falle eines Krieges Unruhen ausbrechen werden und daß die polnischen Truppen gegen Berlin marschieren werden.“

Um etwa 13 Uhr erhält Henderson per Telefon den Auftrag, dieReichsregierung davon zu informieren, daß die polnische Regierung nunihren Botschafter ins Außenministerium schicken werde. Fast zeitgleichgeht ein Telegramm direkt per Funk von Beck an Lipski in Berlin, wo sievon der deutschen Funkaufklärung mitgeschnitten und entschlüsselt wird.In der Niederschrift des Mitschnitts der deutschen Funkaufklärung hatdiese Weisung einen Anhang, der da lautet:

„Lassen Sie sich unter keinen Umständen in sachliche Diskussionen ein.Wenn die Reichsregierung mündliche oder schriftliche Vorschläge macht,müssen Sie erklären, daß Sie keinerlei Vollmacht haben, solcheVorschläge entgegenzunehmen oder zu diskutieren, und daß Sieausschließlich obige Mitteilung Ihrer Regierung zu übermitteln“

Inzwischen, gegen 16 Uhr, sucht Botschafter Lipski um ein Gespräch beiAußenminister von Ribbentrop nach. Der weiß ja seit ein paar Stunden,daß Lipski weder verhandeln noch die deutschen Verschläge

entgegennehmen darf. Um 18.30 Uhr stehen sich die beiden Männer gegenüber. Lipski verliest die polnische Erklärung, die von Ribbentrop

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 bereits aus dem entschlüsselten Telegramm aus Warschau kennt. Der Minister fragt daraufhin, ob der Botschafter verhandeln dürfe. Der verneint. Dann fragt von Ribbentrop Botschafter Lipski ein weiteres Mal,ob er verhandeln dürfe. Als der ein zweites Mal verneint, ist das Gespräch

 beendet. Weder von Ribbentrop noch Lipski machen den leisestenVersuch, dem Gegenüber einen Weg zu lassen. Beide wissen, daß das denKrieg bedeutet.

So sind die letzten Versuche gescheitert und im Sand verlaufen, denAngriffsbeginn der Wehrmacht am 1. September zu verhindern.Gescheitert ist das Bemühen, mit Polen Gespräche über Hitlers 16-Punkte-Vorschlag zu beginnen, und im Sand verlaufen ist der Versuch, mitEngland statt mit Polen zu verhandeln.

Um 21 Uhr gibt der deutsche Rundfunk Hitlers 16-Punkte-Vorschlag bekannt. Zwischen 21 und 22 Uhr überreicht Staatssekretär vonWeizsäcker die schriftlichen Ausfertigungen des Hitler-Vorschlagsnacheinander an die Botschafter Englands, Frankreichs, Japans und an dieGeschäftsträger der USA und der Sowjetunion.

 Der Kriegsausbruch

Am 1. September 1939 um 4.45 Uhr früh tritt die Wehrmacht ohneKriegserklärung zum Angriff gegen Polen an .

Hitlers Kriegsabsichten 1939Hitlers Generalplan

Ein vieldiskutiertes Thema sind Hitlers Kriegspläne zu Beginn desPolenfeldzugs 1939. Die vorherrschende Historikermeinung inDeutschland geht davon aus, dass Hitler einen lang gehegten und seit 1933vorbereiteten Langzeitplan für einen Eroberungs- und Vernichtungskriegum „Lebensraum im Osten“ hatte. Manche Historiker sprechen auch voneinem Rassen- und Vernichtungskrieg. Diese Mehrheitsmeinung gehtdahin, dass Hitler 1939 nicht vor allem die Danzig-Frage regeln, die

wirtschaftliche Abschnürung Ostpreußens durch Polen mit Hilfe einer Autobahn durch den Korridor beenden und das Los der eine Million in

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Polen drangsalierten Deutschen mildern wollte, nein, dieseMehrheitsmeinung ist der Überzeugung, dass Adolf Hitler 1939 Polenerobern wollte, um zusätzlichen Lebensraum für Deutsche „im Osten“ zuerschließen. Um dieses zu belegen, verweisen die genannten Historiker 

zum ersten auf das Buch „Mein Kampf“ , in dem Hitler 1924 geschriebenhat, Deutschland brauche neuen Lebensraum im Osten, und sie führenzweitens an, dass Hitler das Angekündigte 1941 mit dem Russlandfeldzugin der Tat verwirklicht hat. So sei es von 1924 an, und so auch 1939 stetssein Plan gewesen, Deutschland nach Osten zu erweitern. Das klingtzunächst plausibel. Ein solcher Generalplan zur Osteroberung oder gar zur Welteroberung ist allerdings als Dokument nicht überliefert. Er ist bisher nur eine Hypothese.

Wie man an einigen der vielen Hitler-Reden aus den 30er Jahrennachvollziehen kann, sind das "deutsche Lebensraumproblem" und die"Idee vom Lebensraum im Osten" bei ihm latent präsent geblieben, ohnedaß allerdings zu irgendeiner Zeit ein konkreter Handlungsplan darauserwachsen ist. Doch es muss schon zu denken geben, dass Hitler seineLebensraum-Vorstellungen zwischen „Mein Kampf“ im Jahre 1924 undseiner im Hoßbach-Protokoll überlieferten Ansprache von 1937 bereitsdeutlich auf Österreich und die Tschechei reduziert hat. Beides war 1939schon „erledigt“. Auch die wirtschaftlichen Überlegungen, die Hitler 1924zu seiner Lebensraum-Idee geführt haben, waren inzwischen durch denausgedehnten Präferenzhandel mit 26 Export-Import-Partnerstaaten nichtmehr aktuell.

Die Gegentheorie

Hitler hatte 1924 zwar in seinem Buch „Mein Kampf“ geschrieben, dassDeutschland „Lebensraum im Osten“ gewinnen und mit deutschen Bauern besiedeln müsse, und er hatte 1941 mit der Eroberung der Ukraine undWeißrusslands auch so gehandelt, aber er hatte diese Absicht in den letztenFriedensjahren aufgegeben und selbst zu Kriegsbeginn nicht mehr verfolgt. Für diese These steht eine Zahl von schwerwiegenden Belegen.

1. Adolf Hitler hatte die Wehrmacht nicht für einen Krieg gegen die

Sowjetunion rüsten lassen. Es fehlten die Winterbekleidung, die Logistik,die Fernbomber usw. Wenn er den Kampf um den „Lebensraum im Osten“

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1935 bis 1939 noch immer im Sinn gehabt hätte, hätte er die Wehrmachtentsprechend ausrüsten lassen.

2. Hitler hat im September 1938 im polnisch-tschechischen Streit um die

tschechische, aber weitgehend deutsch besiedelte und von Polen beanspruchte Stadt Oderberg ( südöstlich von Oberschlesien ) gegen dasVotum des deutschen Auswärtigen Amts entschieden, dass PolenOderberg annektieren darf. Seine Begründung gegenüber dem AA: „Wir können nicht um jede deutsche Stadt mit Polen streiten“. Wenn Hitler Krieg mit Polen hätte haben wollen, um den Weg nach Ostenfreizubekommen, hätte er hier nicht nachgegeben.

3. Am 14. März 1939 hat der Ministerpräsident der gerade selbständiggewordenen Karpato-Ukraine Herr Woloschin sein Land unter dieSchutzherrschaft des Deutschen Reiches stellen lassen wollen. Adolf Hitler hatte den dementsprechenden Antrag abgelehnt. Wenn Hitler Anfang 1939 noch immer die Absicht verfolgt hätte, die Ukraine einmalals „Lebensraum im Osten“ zu erobern, hätte er die Schutzherrschaft über diesen Teil der Ukraine übernommen und damit seinen „Fuß in der Tür“der Ukraine geschoben.

4. Im August 1939 im „Zollinspektorenstreit“ zwischen dem FreistaatDanzig und Polen stand es dicht vor einem Krieg. Hitler drängte denSenatspräsidenten von Danzig, für Entspannung zu sorgen und „dieAngelegenheit nicht noch mehr zu vergiften“. Hätte Hitler so kurz vor demdann später tatsächlich ausgebrochenen Krieg den Konflikt mit Polenhaben wollen, hätte er den Danziger Zollinspektorenstreit nur schmorenlassen müssen. Polen hätte den Krieg dann wohl selbst, wie angedroht, begonnen. Wenn Hitler unbedingt Krieg mit Polen hätte haben wollen, um„Lebensraum im Osten“ zu gewinnen, hätten er hier die Chance dazusicherlich genutzt.

5. Hitler hatte im August 1939, nachdem er den Nichtangriffspakt mitder Sowjetunion in der Tasche hatte, den schon angesetztenAngriffsbeginn der Wehrmacht 3x verschieben lassen; jedes Mal mit der Begründung vor der Wehrmachtsführung: „Ich brauche noch Zeit zumVerhandeln“. Wenn Hitler unbedingt seinen Krieg um den „Lebensraum

im Osten“ hätte haben wollen, hätte er die Wehrmacht zum Angriff antreten lassen, nachdem sie bereits voll aufmarschiert war und nachdem

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ihm Stalin die „Rückenfreiheit“ vertraglich zugesichert hatte.

6. Hitler hatte 1939 kein Konzept für die Eroberung eines „Lebensraumsim Osten“. Er wusste - das geht aus Gesprächsaufzeichnungen hervor -

während des Polenfeldzugs noch nicht, was er nach einem Sieg mit Polenanfangen sollte. Hätte Hitler 1939 Polen als „Lebensraum im Osten“vorgesehen, dann hätte er auch ein Konzept für das besiegte Polen paratgehabt.

7. Nach dem siegreichen Polenfeldzug bot Hitler der englischen und der französischen Regierung Frieden an. Zum Angebot gehörte die RäumungPolens durch die Wehrmacht, bis auf Danzig und den „Korridor“. HätteHitler Polen als „Lebensraum im Osten“ haben wollen, hätte er keinsolches Angebot gemacht.

8. 1940 ließ Hitler in vertraglicher Absprache mit Stalin die vor ca. 200Jahren in der Ukraine angesiedelten deutschen Bauern in den Warthegau ,also an den Rand des Deutschen Reichs, umsiedeln. Wenn er zu der Zeitnoch immer deutsche Bauern in der Ukraine hätte ansiedeln wollen - wiein „Mein Kampf“ geschrieben - hätte er nicht das Gegenteil getan unddie deutschen Bauern aus der Ukraine „heim ins Reich“ geholt.

9. Nach dem erfolgreichen Frankreichfeldzug ließ Hitler die Panzer- unddie Munitionsproduktion um ein Drittel zurückfahren. Wenn er zu der Zeitan eine Fortsetzung des Krieges gegen die Sowjetunion gedacht hätte, um„Lebensraum im Osten“ zu erobern, hätte er diese Reduzierung der Rüstung sicherlich nicht angeordnet.

10. Nach dem erfolgreichen Frankreichfeldzug ließ Hitler 35 deutscheHeeresdivisionen auflösen oder kadern. Wenn er zu der Zeit an eineFortsetzung des Krieges gegen die Sowjetunion gedacht hätte, hätte er dassicher nicht veranlaßt.

Das sind 10 Sachverhalte, die dagegen sprechen, dass Hitler 1939 und1940 die Absicht hatte, „Lebensraum in Osten“ zu erobern, auch wenn dieeingangs erwähnten 3 Sachverhalte - Mein Kampf, Reden und Angriff auf die Sowjetunion - dafür sprechen, dass er den „Germanenzug nach Osten“

1939 und 1940 immer noch im Kopfe trug. Ein Wissenschaftler bewertetalle Sachverhalte, die er kennt, und nicht nur die drei, die seine Thesen

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stützen. So ist zu schließen, daß die Gründe für den deutschen Feldzuggegen Polenund damit auch für den Beginn des Zweiten Weltkriegs docheher der konkreten Lage im Herbst 1939 mit den drei ungelösten deutsch- polnischen Problemen als einem hitlerschen Gesamtkonzept entsprungen

sind. Damit rückt die Frage wieder in den Vordergrund, wer die deutsch- polnischen Probleme 1918 konstruiert hat, und wer sie 1938 und 1939 mitAbsicht zugespitzt hat. Einen Vater des Zweiten Weltkriegs darf man nichtalleine in dem Einen sehen, der ihn eröffnet, sprich veranlaßt hat; Väter sind auch alle jene, die zuvor die Ursachen dieses Krieges mit geschaffenhaben.

Der Krieg gegen die Sowjetunion in einem anderen Licht

Die Lebensraum-Hypothese steht auch auf schwachen Füßen, soweit sieHitlers Entschluss zum Angriff auf die Sowjetunion erklären soll.

Dass aus dem Polenkrieg dann doch ein Weltkrieg wurde, verdanken wir in erster Linie England. Als Deutschland England 1939/40 mehrmalsvorgeschlagen hatte, den Krieg mit einem Frieden zu beenden, bei demDeutschland Polen freigeben und nur das ohnehin deutsche Danzig undden weitgehend deutsch bewohnten Korridor behalten wollte, hat Englandauf der Fortsetzung des Kriegs bestanden. Da der Krieg im Westen dannweder mit einem Friedensschluß noch mit einem Sieg über England beendet werden konnte, gewann das weitere Verhalten der Sowjetunionwieder die Bedeutung, die es 1939 kurz vor Kriegsausbruch schon einmalhatte. Es war die Frage, ob die Sowjetunion auch in Zukunft auf deutscher Seite bleiben oder sich neutral verhalten oder sich wieder auf EnglandsSeite schlagen würde. Hitler stand nach dem gewonnenen Frankreich-Feldzug und nach der Weigerung der Briten, einen Frieden einzugehen,vor der Wahl, zu versuchen, die Sowjetunion enger an Deutschlandanzubinden oder sie als potenziellen Feind in Deutschlands Rückenauszuschalten.

Hitlers Absicht, die Sowjetunion anzugreifen, entstand dann in einer ganzkonkreten Lage. Im Juni 1940 annektierten die Sowjets Bessarabien unddie Nordbukowina. Damit näherten sie sich bedrohlich den rumänischen

Erdölquellen, aus denen Deutschland zu einem großen Teil versorgtwurde. Zu der Zeit lagen den 6 deutschen Reservedivisionen an der Grenze

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zwischen Polen und der Sowjetunion bereits 170 russischeHeeresdivisionen gegenüber. Hitler reagierte. Im Juli 1940 gab er erstmalsWeisung an die Oberkommandos des Heeres und der Wehrmacht, dieMöglichkeit eines Angriffs gegen die Sowjetunion zu untersuchen.

(Zeitgleich gab Stalin in Moskau die gleiche Weisung für einen Angriff gegen Deutschland.) Als die deutsche Reichsregierung im September 1940den Versuch machte, die Sowjetunion in den kurz zuvor gegründetenDreibund zwischen Deutschland, Japan und Italien einzubeziehen, wurdeder sowjetische Außenminister Molotow zu Besuch nach Deutschlandeingeladen. Der aber erklärte in Berlin zur Überraschung der deutschenSeite, dass das „Geheime Zusatzabkommen“ vom August 1939 über dieAufteilung der Interessengebiete in Osteuropa ausgedient habe, und dassdie Interessengrenzen neu ausgehandelt werden müssten. Dazu forderte er folgende Staaten und Gewässer für die Sowjetunion: Finnland, die Donau,Rumänien, Ungarn, Bulgarien, die Türkei mit dem Schwarzmeer-Ausgang,Iran, Griechenland, Jugoslawien, die Ostseeausgänge und Spitzbergen. Dadie Sowjets inzwischen alle Staaten, die 1939 ihrer Interessensphärezugesprochen worden waren, annektiert hatten, musste die deutsche Seitedavon ausgehen, dass die Sowjetunion nun ebenfalls beabsichtigte, diesehier genannten Staaten zu unterwerfen. Das hätte Deutschland seiner Rohstofflieferanten, seiner Handelspartner in Süd-Osteuropa und seiner Bewegungsfreiheit in der Ostsee beraubt, und den Kommunismus bis zuden Grenzen Italiens und Deutschlands vorgelassen.

Hitler, der mit dem geplanten neuerlichen Pakt mit Stalin eigentlichGroßbritannien zu einem schon mehrfach angebotenen Frieden bringenwollte, sah sich plötzlich der Gefahr einer britisch-russischen Zangeausgesetzt. Seine Befürchtungen in dieser Richtung wuchsen vomSpätherbst 1940 mit dem Eintreffen immer neuer Nachrichten vomweiteren Aufmarsch der Roten Armee, den er selbst in einem Gespräch mitdem rumänischen Staatschef Antonescu als "den größten Aufmarsch der Geschichte" bezeichnete. Erst angesichts dieser neuen Gefahr beschlossHitler den Angriff gegen die Sowjetunion. Der später so brutal geführteKrieg in der Sowjetunion, entsprang dieser Situation vom November 1940.Von seiner Entstehung her gesehen, hatte der Krieg gegen die Sowjetunionzunächst nichts mit Hitlers Lebensraum-Vorstellung oder mit einem„Großen Plan“ zu tun.

 

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Kein Hitler-„Master-Plan“

Der Kriegsbeginn 1939 gegen Polen hatte sich an den drei ganz konkretendeutsch-polnischen Problemen Danzig, Korridor und Schutz der deutschen

Minderheit entzündet. Dem Kriegsbeginn lag, wie die oben aufgezählten10 Punkte zeigen, kein großer Hitler-„Stufen-Plan“ zugrunde. Er hatte miteinem lang geplanten Eroberungs- und Vernichtungskrieg nicht dasMindeste zu tun. Bei der Kriegseröffnung ließ sich Hitler erkennbar von pragmatischen und nicht von ideologischen Gedanken leiten.

Dass sich der Krieg gegen die Sowjetunion ab1941 dann zu einem Kriegum Lebensraum entwickelt hat, hat - wie dargestellt - ebenfalls nichts mitder Vorgeschichte und den Gründen für die Kriegseröffnung von 1941 zutun. Er entsprang der oben beschriebenen politisch-strategischenEntwicklung ab November 1940. Dass dieser Krieg sich dann zumEroberungs- und Vernichtungskrieg entwickelt hat, lag an Hitlers wieder erwachten Lebensraum-Vorstellungen und an seiner ideologisch fundiertenUnerbittlichkeit, die der sowjetischen entsprach, und an seinemRassenwahn.

Mit der Erkenntnis, dass auch der Beginn des Krieges gegen Russlandzunächst nicht einer Absicht Hitlers zur Eroberung neuen Lebensraumsentsprang, sondern zuerst ganz andere Gründe hatte, wankt die These, dassschon der Beginn des Krieges gegen Polen 1939 Teil eines hitlerschenGesamtkonzepts gewesen sei, ein weiteres Mal. Hitlers Generalplan, inden die Kriegseröffnung gegen Polen so perfekt hineinpasst, hat es zuHitlers Zeiten offensichtlich nicht gegeben. Es gibt ihn nur als Hypotheseeiner „Mehrheitsmeinung" .

Zusammenfassung

Den Zweiten Weltkrieg kann man nicht vom Ergebnis her begreifen,sondern nur von seiner Vorgeschichte. Der Kriegsbeginn von 1939 istohne die Person des Diktators Hitler nicht zu begreifen. Hitler und dieBereitschaft der Deutschen, ihm in den Krieg zu folgen, sind ohne denVertrag von Versailles unverständlich. Die allgemeine Empörung des

deutschen Volkes über Versailles ist ohne die Vorgeschichte des ErstenWeltkriegs nicht zu verstehen. Und auch diese kann nur der begreifen, der 

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das Konkurrenzgebaren der Staaten in Europa des 19. Jahrhunderts kennt.So muß man schon einen langen Anlauf nehmen, um den Kriegsausbruchvon 1939 zu erklären.

Der Erste Weltkrieg war von einem Streit zwischen Österreich-Ungarnund den Serben ausgegangen, ausgelöst von der Ermordung desösterreichischen Thronfolgers Erzherzog Ferdinand in Sarajewo 1914.Bündnisse und gemeinsame Interessen der Russen, Franzosen undEngländer mit den Serben auf der einen Seite und der Deutschen,Österreicher, Ungarn und Türken den auf der anderen Seite lassen denMord am Erzherzog binnen fünf Wochen zum Ausbruch des ErstenWeltkriegs eskalieren. Der Krieg zieht sich vier Jahre hin und bringtEngland und Frankreich 1916 an den Rand der Niederlage. Russland wirdsogar besiegt und scheidet 1917 aus dem Kriege aus. Danach greifen dieUSA mit frischen Truppen und einer leistungsfähigen Industrie imHintergrund auf Seiten der Briten und Franzosen ein und bringen nunumgekehrt Deutschland und Österreich-Ungarn an den Rand der Nieder-lage. Doch vor dem völligen Zusammenbruch der deutschen undösterreichisch-ungarischen Fronten vermittelt der amerikanische PräsidentWilson mit einem 14-Punkte-Vorschlag einen Waffenstillstand mit für Deutschland harten, aber akzeptablen Bedingungen.

Es kommt zum Waffenstillstand und der Konferenz von Versailles, die infataler Weise Geschichte schreiben wird. Die Konferenz leitet nun nichtmehr Wilson, dessen 14-Punkte-Vorschlag die deutsche undösterreichisch-ungarische Seite verleitet hatte, ihre Truppen von denFronten abzuziehen und in der Heimat aufzulösen. Die Konferenz leitetder französische Ministerpräsident Clemenceau. Dieser erkennt die 14 – Wilson-Punkte soweit sie Deutschlands Nachkriegsrechte sichern sollten,nicht mehr an, und er läßt die deutsche Konferenzdelegation nicht zu denVerhandlungen zu. So verhandeln Briten, Franzosen, Amerikaner, Belgier,Polen und weitere 22 Siegerstaaten geschlossen unter sich. Sie beschließendie Abtrennung deutscher Gebiete und die Geld- und Sachreparationen, dieDeutschland an sie abtreten, zahlen oder leisten soll. Sie legen die nachVersailles genannte Nachkriegsordnung für Europa zu den alleinigenLasten der Besiegten fest.

Am 7. Mai 1919 werden die von den 27 Siegerstaaten festgelegtenBedingungen erstmals der deutschen Delegation eröffnet. Clemenceau

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überreicht sie mit den Worten: „Die Stunde der Abrechnung ist da.“ DieBitte der deutschen Delegation, den „Vertrag“, den sie nun unterschreibensoll, vorher zu verhandeln, wird abgelehnt. Um dem Ausmaß ihrer Forderungen den Anschein von Berechtigung zu geben, versteigen sich die

Sieger dazu, Deutschland und seinen Verbündeten die Alleinschuld amErsten Weltkriegs zuzuschreiben. Der Vertrag verlangt von Deutschlandeine große Zahl von Land- und Bevölkerungsabtretungen: Elsaß-Lothringen an Frankreich, die Provinzen Posen, fast ganz Westpreußenund das oberschlesische Industriegebiet an Polen, das Memelgebiet an denVölkerbund, das Hultschiner Ländchen an die Tschechoslowakei, Nordschleswig an Dänemark, das Gebiet um die zwei Städte Eupen undMalmedy an Belgien und Danzig mit dem Umland als Freistaat an denVölkerbund. Der Vertrag stellt das Saargebiet für 15 Jahre unter Frankreichs Herrschaft. Er verbietet außerdem den Anschluß Rest-Österreichs an Deutschland, den die neue Wiener Nationalversammlunggleich nach dem Krieg gefordert hatte. Mehr als die Landverlusteschmerzen die erzwungenen Bevölkerungsabtretungen. Die Ausgliederungvon 7 Millionen Menschen aus dem Deutschen Reich und die Grenzenneuer Staaten trennen Millionen von Familien. Mit dem Vertrag verliertDeutschland seine Kolonien, zumeist an England. Die Streitkräfte werdenauf 100.000 Mann im Heer und 15.000 in der Marine reduziert. DasDeutsche Reich muß den größten Teil der Handelsflotte und der Goldreserven an die Sieger übergeben, dazu einen Großteil seiner  jährlichen Eisenerz- und Kohleförderung, Unmengen von Nutzvieh undLandwirtschaftsmaschinen, 150.000 Eisenbahnwaggons und viele tausendLokomotiven und Lastkraftwagen. Das gesamte privateAuslandsvermögen. und unzählige Industriepatente werden konfisziert.Die Geldzahlungen sind exorbitant und über 70 Jahre zu bezahlen.Deutschland wird sie, wie sich später zeigt, nie in voller Höhe zahlenkönnen.

Im Deutschen Reich ist man bestürzt und tief enttäuscht. Man weiß nochzu gut wie man nach dem Krieg von 1870-71 selbst mit Frankreichumgegangen war. Frankreich, das den Krieg von 1870 verursacht undverloren hatte, musste damals zwar das überwiegend deutschsprachigeElsaß-Lothringen abtreten und 4 Milliarden Mark bezahlen, doch es behielt seine Armee, seine Flotte, die Kolonien und die Goldreserven. Die

Parteien im Deutschen Reichstag lehnen das Diktat der Siegermächtedeshalb zunächst geschlossen ab. Reichspräsident Ebert ( SPD ) sagt zu

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Protektorat auf. Er läßt das Land von deutschem Militär und Polizei besetzen. Die Tschechen sind zwar bis 1918 über 900 Jahre Angehörigedes Deutschen Reichs gewesen, aber sie sind keine Deutschen, die „heimins Reich“ zu holen waren. Hitler hat hier zum ersten Mal ein fremdes

Volk unterworfen und damit den bisher geraden Weg seiner legitimendeutschen Außenpolitik verlassen. Nun hat alle Welt einen einsehbarenGrund, ihm weitere Expansions- und Kriegsabsichten zu unterstellen.

 Nun zum deutsch-polnischen Verhältnis. 1918 bleiben eine Anzahl polnischer Gebietsforderungen an Deutschland unerfüllt. So verlangen diePolen in Versailles zusätzlich ganz Oberschlesien, Ostpommern,Ostpreußen sowie das Memelland für sich. Die Forderungen nachOstpreußen verstummt in den polnischen Zeitungen nicht einmal bis 1939.Alle polnischen Regierungen verlangen von den deutschen dieAnerkennung ihrer Gebietsgewinne von 1918 bis 1921, doch keineReichsregierung geht auf dies Verlangen ein. Alle Regierungen vor Adolf Hitler halten die Grenzfragen gegenüber Polen offen. Erst Hitler wirddiese Anerkennung später als Gegenleistung für die Rückkehr Danzigsofferieren. Ab 1934 kommt es zu einer deutsch-polnischen Normalisierungund zum Abschluß eines Deutsch-Polnischen Freundschaftsvertrags. Alsim Oktober 1938 die Sudetenlande Deutschland angeschlossen werden,erbittet die polnische Regierung Hitlers Einverständnis, daß Polen daskleine tschechische Industriegebiet von Teschen annektieren darf. Hitler läßt den Polen freie Hand. Er hofft dafür auf ein Entgegenkommen bei dennoch offenen polnisch-deutschen Differenzen: der Angliederung Danzigsan Deutschland, den exterritorialen Transitwegen nach Ostpreußen und der Einhaltung der Menschenrechte der deutschen Minderheit in Polen.

 Nach Hitlers Teschen-Einverständnis versucht die Reichsregierung diedeutsch-polnischen Probleme in sechs Anläufen auf demVerhandlungsweg zu lösen. Des erste deutsche Vorschlags vom Oktober 1938 ist das Angebot, für die Zustimmung zu den drei deutschenWünschen Danzig, Transitwege und Garantie der Menschenrechte für diedeutsche Minderheit die polnischen Gebietserwerbungen in Schlesien,Westpreußen und Posen als endgültig anzuerkennen. Um dieseAnerkennung hatte Polen stets gebeten. Man verhandelt im November 1938 und im Januar 1939, doch außer der polnischen Bekundung, nach

Lösungen zu suchen, bewegt sich nichts. Bei den Januar-Gesprächenerweitert Hitler seinen Kompromissvorschlag mit der Formel: „Danzig

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kommt zur deutschen Gemeinschaft und bleibt wirtschaftlich bei Polen.“Da Danzig Völkerbundsmandat ist und nicht polnisch, ist diese Formel inder Tat ein Kompromiß. Im März 1938 zerfällt die Tschechoslowakei, undPolen will auch davon profitieren. Hitler weiß das, doch er macht die Rest-

Tschechei zum Protektorat, schließt ein Bündnis mit der neu entstandenenSlowakei und läßt die Polen unberücksichtigt. Die Welt ist über HitlersTschechei-Protektorat empört, und Polen ist erzürnt, daß es leer ausgegangen ist. In diese Zeit fällt Hitlers vierter Versuch, mit Polen über Danzig zu verhandeln. Polen aber nutzt die Empörung der Engländer über Hitler, wird in London wegen eines Beistandspaktes vorstellig, der ihmauch zugesichert wird, ruft 330.000 Reservisten zu den Waffen und läßtKampfverbände in Richtung Danzig aufmarschieren. Hitler, der bisher auf eine Verständigungslösung mit den Polen hingearbeitet hat, ist von diesenkriegerischen Drohgebärden Polens überrascht. Er kündigt denFreundschaftsvertrag von 1934, den er nun von den Polen als gebrochenansieht, und gibt dem Oberkommando der Wehrmacht am 3. April 1939die Weisung, einen Angriff gegen Polen vorzubereiten, und zwar so, daßer ab dem 1. September begonnen werden kann.