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Die wichtigsten Muskeln im Überblick

Vollständige Zusammenfassung s. Register ab S. 716

Muskeln Seite

Mm. abdominales 372

M. abductor pollicis longus 502

Mm. adductor longus und brevis 422

M. adductor magnus 424

M. adductor pollicis 518

M. anconeus 478

M. biceps brachii 482

M. biceps femoris 434

M. brachialis 484

M. brachioradialis 492

M. coracobrachialis 270

M. deltoideus 250

Diaphragma 388

M. epicranius 352

M. erector spinae (thorakal, lumbal) 360

M. erector spinae (zervikal) 316

Mm. extensor carpi radialis longus und brevis 494

M. extensor carpi ulnaris 494

M. extensor digitorum (Hand) 498

M. extensor digitorum brevis (Fuss) 464

M. extensor digitorum longus (Fuss) 460

M. extensor hallucis brevis 464

M. extensor hallucis longus 460

M. extensor indicis 498

Mm. extensor pollicis longus und brevis 502

Fascia thoracolumbalis 390

Mm. flexor carpi radialis und ulnaris 510

M. flexor digitorum longus 454

Mm. flexor digitorum superficialis und profundus 512

M. flexor hallucis longus 454

M. flexor pollicis brevis 518

M. flexor pollicis longus 514

M. gastrocnemius 446

Mm. gemellus superior und inferior 404

M. gluteus maximus 398

Mm. gluteus medius und minimus 400

M. gracilis 426

M. iliopsoas 378

M. infraspinatus 254

Muskeln Seite

Mm. intercostales 386

Mm. interossei (Hand) 524

Mm. ischiocrurales 434

M. latissimus dorsi 264

M. levator scapulae 298

M. longissimus capitis und cervicis 316

M. longus colli und capitis 310

Mm. lumbricales (Hand) 524

M. masseter 330

Mm. multifidi (thorakal, lumbal) 360

Mm. multifidi (zervikal) 316

Mm. obliquus capitis inferior und superior 320

Mm. obliquus externus und internus abdominis 372

M. obturatorius externus 406

M. obturatorius internus 404

M. occipitofrontalis 352

M. omohyoideus 346

M. palmaris longus 508

M. pectineus 420

M. pectoralis major 266

M. pectoralis minor 272

Mm. peroneus longus und brevis 462

M. piriformis 402

M. plantaris 446

Platysma 350

M. popliteus 438

M. pronator quadratus 516

M. pronator teres 506

M. pterygoideus lateralis 338

M. pterygoideus medialis 336

M. quadratus femoris 408

M. quadratus lumborum 366

M. quadriceps 428

M. rectus abdominis 372

Mm. rectus capitis anterior und lateralis 310

Mm. rectus capitis posterior major und minor 320

Mm. rhomboideus minor und major 280

Mm. rotatores (thorakal, lumbal) 360

Mm. rotatores (zervikal) 316

Muskeln Seite

M. sartorius 418

Mm. scaleni 306

M. semimembranosus 434

Mm. semispinalis capitis und cervicis 316

M. semitendinosus 434

M. serratus anterior 276

M. serratus posterior inferior 384

M. serratus posterior superior 382

M. soleus 450

Mm. splenius capitis und cervicis 314

M. sternocleidomastoideus 302

M. subclavius 286

Mm. suboccipitales 320

M. subscapularis 258

M. supinator 504

M. supraspinatus 252

M. temporalis 332

M. tensor fasciae latae 416

M. teres major 262

Muskeln Seite

M. teres minor 256

M. tibialis anterior 458

M. tibialis posterior 456

M. transversus abdominis 372

M. trapezius ascendens 284

M. trapezius descendens 294

M. trapezius transversus 282

M. triceps brachii 478

Muskelgruppen Seite

Beckenbodenmuskulatur 410

Gesichtsmuskulatur 350

Hypothenarmuskulatur 522

Infrahyoidale Muskulatur 346

Muskeln der Planta pedis (oberflächliche Schicht) 466

Muskeln der Planta pedis (tiefe Schicht) 470

Skapulo-thorakales Gleitlager 288

Suprahyoidale Muskulatur 342

Thenarmuskulatur 518

physiofachbuch

ManuelleTriggerpunkt-Therapie

Myofasziale Schmerzen und Funktionsstörungenerkennen, verstehen und behandeln

Roland Gautschi

3. Auflage

1178 Abbildungen

Georg Thieme VerlagStuttgart • New York

Roland GautschiKehlstrasse 335400 Baden AGSchweizgautschi@triggerpunkt-therapie.euwww.triggerpunkt-therapie.eu

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut-schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 20102. Auflage 2013

© 2010, 2016 Georg Thieme Verlag KGRüdigerstr. 1470469 StuttgartDeutschlandwww.thieme.de

Printed in Germany

Zeichnungen: Karin Baum, Paphos, Zypern; Martin Hoffmann, Neu-UlmAnatomische Auftaktseiten Kapitel 7 und gekennzeichneteAbbildungen Kapitel 8 aus Schünke M, Schulte E, Schumacher U.Prometheus, LernAtlas der Anatomie. Illustrationen von Markus Voll,Karl Wesker, Stuttgart: ThiemeFotos: Oskar Vogl, AffalterbachUmschlaggestaltung: Thieme VerlagsgruppeUmschlagfoto: Oskar Vogl, AffalterbachSatz: Druckhaus Götz GmbH, Ludwigsburggesetzt in 3B2, Version 9.1, UnicodeDruck: Aprinta Druck GmbH, Wemding

DOI 10.1055/b-004-129699

ISBN 978-3-13-147473-5 1 2 3 4 5 6

Auch erhältlich als E-Book:eISBN (PDF) 978-3-13-162152-8

Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwick-lungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Er-kenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbe-langt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähntwird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Ver-lag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissens-stand bei Fertigstellung des Werkes entspricht.Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vomVerlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehal-ten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparateund gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob diedort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontrain-dikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prü-fung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, dieneu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation er-folgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren an jedenBenutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen.

Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht immer besonderskenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht ge-schlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fürVervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen oder die Einspeiche-rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Roland GautschiKehlstrasse 33CH 5400 BadenSCHWEIZgautschi@triggerpunkt-therapie.euwww.triggerpunkt-therapie.eu

Roland Gautschi ist am 18. November 1958 in Zürich ge-boren und lebt in Baden/Schweiz; verheiratet, 2 erwach-sene Töchter.

Er ist dipl. Physiotherapeut FH, lic.phil.I und Senior-Instruktor für Triggerpunkt-Therapie IMTT.

Ausbildung und beruflicher Werdegang1975 –1979 Lehrerseminar in Wettingen1980 –1986 Studium der Germanistik (Schwerpunkt: Kommunikationswissenschaft) und Geographie;

Abschluss: lic.phil.I, Universität Zürich1980 Brevet als Schweizer Ski-Instruktor1982 –1984 Ausbildung zum Fachlehrer für organisch-rhythmische Bewegungsbildung

(Gymnastik-Lehrweise Medau) bei Ursula Beck und Irene Wenger in Bern1987 –1990 Ausbildung zum Physiotherapeuten am Universitätsspital Basel. Schwerpunkt:

Funktionelle Bewegungslehre, FBL Klein-Vogelbach1990 –1992 Ausbildung in gelenkspezifischer Manualtherapie (SAMT)1990 –1992 Ausbildung in Meridian-Massage (APM nach Penzel)1990 –1999 Ausbildung zum zertifizierten Triggerpunkt-Therapeuten IMTT1993 –1995 Ausbildung in TaKeTiNa-Rhythmuspädagogik/-therapie bei Reinhard Flatischler und in

potentialorientierter Psychotherapie bei Dr. med. Wolf Büntig im ZIST/München1998 A-Mitglied der Naturärzte-Vereinigung der Schweiz (NVS)1999 Instruktor Triggerpunkt-Therapie IMTT1999/2000 Advanced-Rhythm-Teacher-Training bei Reinhard Flatischler in Wien2007 Senior-Instruktor Triggerpunkt-Therapie IMTT2007 –2014 Vorsitzender des Instruktorenteams Triggerpunkt-Therapie IMTTseit 2010 Lehrbeauftragter im MAS muskuloskelettale Physiotherapie an der Zürcher Hochschule für

Angewandte Wissenschaften (zhaw)2016 Komplementär Therapeut mit eidg. Diplom

Berufliche Tätigkeit als Physiotherapeut1990 –1992 in der Clinica federale di riabilitazione in Novaggio/TIseit 1993 eigene Praxis als Physiotherapeut in Baden/Schweiz; Schwerpunkt: Behandlung von Patienten

mit chronischen Schmerzen

Weitere berufliche Aktivitäten und Interessen● Projekt „Heilkraft Rhythmus“● Das Projekt „Heilkraft Rhythmus“will die Wirkung vonRhythmus erfahrbar machen in seiner Relevanz fürGesund- und Kranksein. Zugleich werden die neuro-physiologischen Grundlagen dieser Phänomene er-forscht.

● Aktuelle Themen: Stress-Management; Rhythmus alsWeg zur Eutonie; Salutogenese: Was uns gesund macht– Gesundheitsfaktoren verstehen und realisieren;Heilungsprozesse im Spannungsfeld von Chaos undOrdnung.

Weitere Infos unter www.kehl-33.ch

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Vorwort zur 3. AuflageDie große Resonanz, die das Triggerpunktbuch gefundenhat, freut mich außerordentlich. Ich deute dies zum einenals Ausdruck eines regen Interesses am Thema: Erkennen,Verstehen und Behandeln von Problemen, die durch Trig-gerpunkte und Faszienveränderungen entstanden sind.Zum andern sehe ich dies als Zeichen der Wertschätzungund Anerkennung für die Realisierung des Buchkonzepts,wie es der Thieme Verlag möglich gemacht hat.

Besonders gefreut haben mich die vielen Rückmeldun-gen. Mehrere Kolleginnen und Kollegen mit langjährigerBerufserfahrung äußerten, das Triggerpunktbuch seinicht (wie sie das sonst von Fachliteratur kennen wür-den) in einem Bücherregal verstaut und verstaube dort,sondern liege – jederzeit griffbereit – auf ihrem Arbeits-tisch und leiste bei Bedarf im Praxisalltag immer wiederhilfreiche Dienste. Und viele junge Therapeutinnen undTherapeuten mit noch wenig Berufserfahrung betonten,dass sie durch das Triggerpunktkompendium eine wert-volle Hilfe und Unterstützung für ihre praktische Arbeiterhalten.

▶ Was ist neu in dieser 3. Auflage?Die gelegentlich geäußerten Vorbehalte gegenüber derTriggerpunkt-Therapie betreffen vor allem drei Punkte:1. Myofasziale Probleme bzw. Triggerpunkte seien nur

Sekundärprobleme,2. Triggerpunkt-Therapie als Hands-on-Behandlung führe

zur Abhängigkeit der Patienten von der Therapie bzw.vom Therapeuten,

3. die Triggerpunkt-Therapie tue weh, was man denPatienten nicht zumuten könne.

Triggerpunkt-Therapie ist in der Regel schmerzhaft, dochkann und soll der während der Behandlung auftauchendeSchmerz therapeutisch genutzt werden. Die Patientensind in der Regel dankbar und trotz der Schmerzenerleichtert, wenn der Therapeut den „wunden Punkt“findet und gründlich behandelt. Ziel der myofaszialenTriggerpunkt-Therapie ist die Eigenständigkeit des Pa-tienten und der Therapeut stellt sich und die Trigger-punkt-Therapie in den Dienst, dies zu erreichen. Vieleskann der Patient selbst beitragen und ein neues Kapitelstellt übersichtlich dar, was der Patient im Sinne einesSelbstmanagements selber tun kann, um myofaszialeProbleme zu lösen bzw. nicht wieder entstehen zu lassen.Myofasziale Probleme können selbstverständlich sekun-där verursacht sein, oft aber sind sie primär für Schmer-zen und Funktionsstörungen verantwortlich. Bei chro-nischen Schmerzen ist die postulierte lineare Beziehung

von primär → sekundär in vielen Fällen nicht mehr gege-ben, sondern es liegen Reizsummationsprobleme vor, diein einem ebenfalls neuen Kapitel thematisiert sind.

Die Neuauflage ermöglichte es, das Buch zu überarbei-ten, zu ergänzen und zu aktualisieren. Nebst den neu ein-gefügten Kapiteln zum Selbstmanagement und zu Reiz-summationsproblemen ist aufgrund des stark gewachse-nen Interesses an Faszien und der damit einhergehendendynamisch sich entwickelnden Faszienforschung das The-ma Faszien noch stärker gewichtet. Kapitel zu Aufbau,Merkmalen und Aufgaben des Bindegewebes, zu Faszien-veränderungen in ihrer Bedeutung für die Entstehungund Aufrechterhaltung mTrPs sowie zur Muskel-Faszien-Interaktion (Katapult-Effekt, Muskel-Faszien-Zyklus beimBücken), verdeutlichen die Verbindung und das Zusam-menspielen von kontraktilen und nicht kontraktilen An-teilen bei myofaszialen Störungen. Auch die Kapitel Deh-nen und Funktionelles Training sind unter faszialem As-pekt überarbeitet und erweitert.

Im Weiteren erfolgt in dieser Auflage eine kritischeAuseinandersetzung mit der klinischen Diagnostik myo-faszialer Triggerpunkte und die Frage, wie es zur Entste-hung von mTrPs kommt (Ätiologie), wird sowohl unterklinischem als auch pathophysiologischem Blickwinkeluntersucht. Dabei wird diskutiert, inwieweit mTrPs einperipher und/oder ein von zentral her verursachtes Phä-nomen ist bzw. wie periphere Prozesse und zentrale Pro-zesse bei der Entstehung von mTrPs möglicherweise zu-sammenspielen. Im Kapitel Differenzialdiagnostik sinddie Ausführungen zum Fibromyalgie-Syndrom (FMS) inihrem Bezug zum myofaszialen Syndrom (MFS) aktuali-siert und das Kapitel Entrapments um die Differenzierungin intra-/extraneurale Entrapments sowie mit klinischenHinweisen zur Differenzierung, ob bei manueller Pro-vokation eine neurale oder myofasziale Struktur alsSymptomquelle vorliegt, bereichert. Auch die KapitelDiagnostik myofaszialer Schmerzen, Screening-Tests undKontraindikationen (neu mit Hinweis auf direkte oraleAntikoagulantien [DOAK]) sind überarbeitet und ergänzt.

Zur besseren Veranschaulichung der Inhalte sind über50 (bezogen zur Erstauflage sind es über 120) zusätzlicheAbbildungen eingefügt. Aufgrund des Wunsches vielerKursteilnehmer wurde z. B. die Übersichtsdarstellung derUrsprungs- und Ansatzstellen der Muskulatur am Unter-arm und Unterschenkel ergänzt und 18 Videos (mit QR-Codes) zeigen exemplarisch das diagnostische Vorgehen(Screening-Tests und palpatorische Diagnostik) sowie diemanuelle Therapie der Triggerpunkte und der Faszien.

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Verzeichnisse der verwendeten Abkürzungen, der kli-nischen Hinweise und ein erweitertes Sachverzeichnis er-möglichen eine noch bessere Orientierung und einschnelleres Auffinden gesuchter Inhalte im Triggerpunkt-buch.

▶ Ausblick. Der dargestellte Zugang zu myofaszialen Stö-rungen und zur Triggerpunkt-Therapie basiert auf einerphänomenologischen Sichtweise (s. Situierung). Er er-

möglicht, die Kernaussagen zur Triggerpunkt-Therapieselbstständig zu überprüfen, zu bestätigen bzw. zu ver-werfen und weiter zu entwickeln. Das vorliegende Trig-gerpunktbuch ist unvollständig: es braucht Dich und Deintherapeutisches Handeln; erst dadurch kommt es zumBlühen und trägt Früchte. Vielen Dank und viel Freude!

Roland GautschiBaden, März 2016

Vorwort zur 3. Auflage

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Vorwort zur 1. AuflageBei der Behandlung von Patienten mit chronischenSchmerzen habe ich in den letzten 25 Jahren unter-schiedliche Behandlungsansätze erprobt. Die manuelleTherapie myofaszialer Triggerpunkte zeigte in meinenHänden oft erstaunliche Wirkung und in der täglichenPraxis ist die Triggerpunkt-Therapie zu einem unverzicht-baren Werkzeug im Clinical Reasoning-Prozess und beimManagement von Problemen des neuromuskuloskelet-talen Systems geworden.

Je intensiver die Auseinandersetzung mit myofaszialverursachten Schmerzen und Funktionsstörungen wurde,desto deutlicher und interessanter trat das Phänomenmit seinen vielfältigen (Wechsel-)Beziehungen in Er-scheinung. Parallel zum Erkennen der Komplexität derZusammenhänge (z. B. zwischen muskulären, artikulärenund neuralen Strukturen/Funktionen oder zwischensomatischen und nichtsomatischen Aspekten) ist dasStaunen über die zugrunde liegende Einfachheit undSchönheit der myofaszialen Form und Funktion gewach-sen. Triggerpunkt-Therapie ermöglicht, eine Verbindungvon der Mikrostruktur (Rigorkomplex der Myosin- undAktinfilamente) über die Struktur (Hartspannstrang,Triggerpunktkomplex, Bindegewebsveränderungen) zurMakrostruktur (individuelles Thema, psychosozialeBeziehungsmuster) zu finden und in der Therapie diesemAriadnefaden zu folgen: Im Behandeln der Triggerpunktebehandeln wir nicht nur myofasziales Gewebe, sonderntreten in Beziehung zum ganzen Menschen.

Dieses Buch will eine Brücke sein zwischen● Praxis und Theorie Dieses Buch ist aus der Praxis fürdie Praxis entstanden. Sein Anliegen ist es, den prak-tisch tätigen Therapeuten in seiner Arbeit zu unterstüt-zen. Gleichzeitig ist sein Anliegen (und Anspruch), eineseriöse theoretische Basis zu vermitteln und damit diePraxis auf eine solide wissenschaftliche Grundlage zustellen;

● Wissen und Können Das Lesen dieses Buchs vermittelt„nur“Wissen. Der Autor hofft – und vertraut darauf –,dass ein möglichst großer Teil des Wissens handlungs-relevant ist und im praktischen Tun zum Können wird.Manuelle Triggerpunkt-Therapie versteht sich als Heil-kunst. Kunst hat mit Können zu tun – also mit etwas,das man (zumindest teilweise) lernen kann;

● Neuem und Bekanntem Auf das Vorwissen und dieVorerfahrung der Leserinnen und Leser aufbauend, willdieses Buch neue Aspekte aus dem Bereich der Musku-latur – als myofaszialer Einheit verstanden – aufzeigen.Es möchte damit hilfreich sein, die myofasziale Kom-ponente im Kontext der vertrauten Therapie –welcherRichtung auch immer – zu integrieren;

● Autor und Leser Im Wunsch, diese Brücke sei keineEinbahnstraße, ist der Autor für Rückmeldungen jederArt – Kritik, Fragen, Berichtigungen, Anregung etc. –offen.

DankDer Autor ist sehr dankbar, dass glückliche Umstände

ermöglicht haben, dieses Buchprojekt zu verwirklichen.Dank allen, die die Entstehung dieses Buches unterstütztund gefördert haben.

Namentlich danke ich● meinen Eltern;● all meinen Lehrern, vor allem Dr. med. und Dr. phil.Beat Dejung, dem beharrlichen und großherzigen Pio-nier und Begründer der manuellen Triggerpunkt-Thera-pie, der uns sein reiches Wissen uneigennützig weiter-gegeben hat;

● den Patienten für ihr Vertrauen, ihre Geduld und ihrEngagement, Schmerzen nicht nur als Problem, son-dern (auch) als Chance zu sehen;

● den Teilnehmenden an bisherigen Kursen in Trigger-punkt-Therapie für ihre vielfältigen und gründlichenFragen, die viel zur Klärung der Materie beigetragenhaben;

● Prof. Dr. med. S.Mense für seine Bereitschaft, als inter-national anerkannte Autorität auf dem Gebiet der Mus-kelforschung ein Geleitwort zu schreiben und damitden Brückenschlag zwischen der Praxis der Trigger-punkt-Therapie und der Theorie der myofaszialenWissenschaft zu bekräftigen;

● Robert Pfund für seine Offenheit, den freundschaftli-chen Austausch und seine Zustimmung, ebenfalls einGeleitwort zu verfassen und damit als versierter undkompetenter Praktiker für den kreativ möglichen undtherapeutisch effektiven Brückenschlag zwischen myo-faszialen und gelenkspezifischen manuellen Technikensowie zwischen „passiver“ und „aktiver“ Rehabilitationeinzustehen;

● meinen Kolleginnen und Kollegen vom Instruktoren-team der IMTT, speziell Johannes Mathis – in einer„Zweierseilschaft“ haben wir zusammen vor über zehnJahren begonnen, unsere ersten Triggerpunktkurse zugeben und dabei gemeinsam die „Rohlinge“ der syste-matischen Muskelabhandlung erstellt – sowie YvonneMussato für das Lesen des Manuskripts des ganzen Pra-xisteils und ihre substanzielle und anregende Kritik;

● Dr. Robert Schleip und Hugo Stam für den wertvollenfachlichen Austausch und ihre Bereitschaft, mit ihremExpertenwissen die entsprechenden Kapitel zu über-prüfen (fasziale Strukturen bzw. neurodynamische As-pekte) sowie für das Einbringen nützlicher und hilfrei-cher Anstöße und Klärungen;

● Dr. med. Daniel Grob, Dr. med. Heinz O. Hofer, Dr. med.Gunnar Licht und Dr. med. dent. Hans-Werner Weiss-kircher für die Durchsicht und Anregungen zu den kli-nischen Bildern (Kap. 9.3);

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● den Mitarbeitern des Thieme Verlags für die professio-nelle und großzügige Realisierung dieses Buchprojekts,speziell Frau Rosi Haarer-Becker für ihre wohlwollendeUnterstützung und kontinuierliche Förderung der Ideeeines Triggerpunktbuches von der Anfangs- bis zurSchlussphase, Frau Eva-M. Grünewald und Herrn FritzKoller – nebst der umsichtigen Umsetzung des Buch-projekts – für ihre unermüdliche Hilfsbereitschaft unddie freundliche, stets zuversichtliche Begleitung sowieHerrn Hoffmann für seine mit großer Sorgfalt undKompetenz gezeichneten Grafiken;

● Malibu Forrer (Modell) und Oskar Vogl (Fotograf) fürihre unerschütterliche Geduld und Ausdauer bei den„Dreharbeiten“ für die Fotos des Praxisteils sowieThomas Basler für die Hilfsbereitschaft, sich spontan alsFotomodell (Grundlagenteil) zur Verfügung zu stellen;

● Judith, meiner Frau, sowie unseren Töchtern Moira undVera.

Roland GautschiBaden, Mai 2010

Vorwort zur 1. Auflage

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GeleitwortDas vorliegende umfangreiche Buch behandelt praktischalle Aspekte der myofaszialen Triggerpunkte, von der –

bisher erst unvollkommen verstandenen – Pathophysio-logie bis hin zur praktischen Therapie. Der Gegenstanddes Buches ist von immenser Wichtigkeit, da durch dieZunahme der Lebenserwartung der Bevölkerung in denentwickelten Ländern auch die Beschwerden vonseitendes Bewegungsapparats immer häufiger werden. Nebender Überalterung der Bevölkerung sind der Bewegungs-mangel und die ungesunde Ernährung weitere Faktoren,die die Prävalenz von muskuloskelettalen Beschwerdensteigern.

Ein sehr wichtiges Manko in diesem Zusammenhangbesteht darin, dass viele Ärzte (zumindest in Deutsch-land) ihre Patienten nicht körperlich untersuchen. Dieshat zum Teil finanzielle Gründe, weil die Krankenkassen(zumindest in Deutschland) eine gründliche körperlicheUntersuchung nicht oder nicht ausreichend bezahlen; einweiterer Grund liegt darin, dass die Medizinstudentenmeist nicht in der palpatorischen Muskeldiagnostik aus-gebildet werden. Eine medizinische Disziplin, die sichspeziell mit Muskelschmerzen beschäftigt, ist in denmeisten Ländern nicht vorhanden. In diesem Sinne ist dieMuskulatur tatsächlich ein „Waisen-Organ“ (zitiert nachProf. David Simons). Die Situation ist umso unverständli-cher, als Muskelschmerzen zu den häufigsten Beschwer-den in der Bevölkerung gehören. Viele Patienten mit rela-tiv einfach zu behandelnden Triggerpunkten irren vonArzt zu Arzt, weil sie niemanden finden, der ihnen Lin-derung der Beschwerden verschafft. Triggerpunktpatien-ten haben normale Laborwerte und die modernen bildge-benden Verfahren zeigen keinerlei Veränderungen imMuskel. Wenn der Arzt oder Physiotherapeut nicht in derTriggerpunktdiagnostik oder in der Erkennung von funk-tionellen Muskelschmerzen ausgebildet ist, läuft der Pa-tient Gefahr, als Hypochonder angesehen zu werden. Ins-gesamt führt der Mangel an spezialisierten Therapeutenzu einer enormen volkswirtschaftlichen Belastung inForm von (unnötigen) Behandlungskosten und Verlust anArbeitstagen. Darüber hinaus stellt das mangelnde Wis-sen bzw. die mangelnde Akzeptanz von Triggerpunktenfür die Patienten eine zusätzliche psychische Belastungdar, weil sie die Skepsis der Therapeuten spüren.

Da über die Entstehung der myofaszialen Triggerpunkteund vieler anderer chronischer Muskelbeschwerden nurHypothesen vorliegen, gibt es bis heute auch keine all-gemein anerkannte kausale Therapie. So existiert eine

Vielzahl verschiedener therapeutischer Ansätze, von de-nen viele bei genauerer Betrachtung keine solide Grund-lage besitzen. Das vorliegende Buch bietet den interes-sierten Lesern eine Art Leitlinie, nach der Patienten mitTriggerpunkten behandelt werden können. Auch dieGrenzen der verschiedenen Behandlungsmethoden wer-den aufgezeigt.

In der Forschung ist die Situation ähnlich mangelhaftwie in der Klinik. So liegen bisher immer noch keine sys-tematischen Untersuchungen über die Histologie vonTriggerpunkten vor. Die einzige größere Studie stammtvon einer österreichischen Arbeitsgruppe, die allerdingsPost-mortem-Biopsien verwendet hat und daher dasProblem lösen musste, die Biopsien vor dem Einsetzender Totenstarre zu entnehmen. Nötig wäre eine kontrol-lierte Untersuchung mit offenen Biopsien von Patientenund entsprechenden Kontrollen von Muskeln, die keineAuffälligkeiten zeigen. Derzeit ist es aber fast unmöglich,Forschungsgelder für solche Untersuchungen zu bekom-men, weil viele Gutachter mit der Problematik nicht ver-traut sind. Triggerpunkte werden in Kongressvorträgenleider oft in einem Atemzug mit den tender points derFibromyalgie und den Akupunkturpunkten genannt. Diesführt dazu, dass die myofaszialen Triggerpunkte als unge-nau definiert, unsolide und etwas esoterisch angesehenwerden.

Es ist daher höchste Zeit, die Darstellung von Trigger-punkten auf eine solide Grundlage zu stellen. Genau dieswird durch das vorliegende Buch erreicht. Das Buch fülltdamit eine Lücke in der deutschsprachigen Literatur undentspricht in der gründlichen und kritischen Behandlungder Grundlagen und Therapie noch am ehesten dem ame-rikanischen Triggerpunkthandbuch des Ehepaars Simonsund Janet Travell. Ich wünsche dem Buch eine weite Ver-breitung und hoffe, dass durch die Lektüre viele Unklar-heiten in Bezug auf Ätiologie, Diagnostik und Therapievon myofaszialen Triggerpunkten beseitigt werden.

Prof. Dr. med. Siegfried MenseMedizinische Fakultät Mannheimder Universität HeidelbergCentrum für Biomedizin und Medizintechnik Mannheim(CBTM)Sektion Makroskopische AnatomieLudolf-Krehl-Str. 13–1768167 Mannheim

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GeleitwortSchmerzen am Bewegungsapparat sind ein vielschich-tiges Problem, das den gesamten Menschen erfasst.Innerhalb der scheinbar unendlichen Anzahl physiothera-peutischer Konzepte gibt es immer wieder Spezialisten,die tiefer und tiefer in die Details des Bewegungsapparatseintauchen und dann auch nur dort die therapeutischeLösung suchen.

Basierend auf einer fast 30-jährigen therapeutischenErfahrung in der Behandlung von muskuloskelettalen Be-schwerden ist mir dieses Phänomen sehr wohl bekannt.Rückblickend hat die Information aus unterschiedlichenKursen und anderen Quellen, oft dem Trend der Zeit fol-gend, wechselnde Hypothesen entstehen lassen, die dannjeweils für diesen z. B. „ach so schrecklichen Kreuz-schmerz“ verantwortlich waren.

So ist nach einen McKenzie-Kurs die Erklärung einlumbales Derangement, nach einem Kurs in gelenkspezi-fischer manueller Therapie die Bewegungsstörung desSegmentes L 5, ein Kompaktwochenende über das Ilio-sakralgelenk entlarvt die Stellungsänderung des Sakrums,die Kursserie über lokale Stabilität macht das falscheTiming des M. transversus abdominis dafür verantwort-lich und ein Kurs über myofasziale Triggerpunkte entdeckteben genau einen solchen imM. quadratus lumborum.

Glücklicherweise ging es vielen meiner Patienten, viel-leicht sogar unabhängig der gewählten Strategie, kurz-fristig besser. Da diese Behandlungen oft erfolgreich wa-ren, kamen viele dieser Patienten bei Rezidiven zurück.

Ehrlicherweise muss ich zugestehen, dass der oft nichtimmer bequeme Clinical Reasoning Prozess meines eige-nen Tuns schonungslos aufzeigte, dass mein in der Ver-gangenheit angewandter Lösungsansatz, unabhängig dergewählten Strategie, nur für kurze Dauer wirksam war.Somit wäre eine Wiederholung der ursprünglichen Be-handlungsstrategie für eine langfristige Problemlösungunbrauchbar, wenn nicht, wie bei chronischen Schmerz-patienten, sogar oft kontraproduktiv.

Heute finde ich bei den meisten Beschwerden amBewegungsapparat eine Reihe verschiedener Verände-rungen des muskuloskelettalen Systems, die mehrereBehandlungsansätze in Kombination verlangen, umerfolgreich zu therapieren. Das Zusammenspiel aus viel-schichtigem Wissen, therapeutischer Erfahrung, Intuitionund Glück lässt oft die richtige Kombination für die

Therapie wählen. Wenn diese Maßnahmen dann den Pa-tienten auch schlüssig erklärt werden können und sie ak-tiv in den Lösungsprozess mit eingebunden werden, be-steht Aussicht auf längerfristigen Erfolg.

Das Auffinden muskuloskelettaler Veränderungen setztvoraus, dass die Therapeuten über die notwendigenintellektuellen und manuellen Fähigkeiten verfügen,reproduzierbare Daten zu erheben. Diese Forderung stellt,gerade in dieser heutigen dominant akademisch orien-tierten Welt der Physiotherapie, die zwingende Notwen-digkeit des fundierten Erlernens des physiotherapeuti-schen Handwerks in den Mittelpunkt.

In diesem Buch finden Sie zum einen sehr detaillierteAnleitungen zum Erlernen von Untersuchung und Be-handlung der myofaszialen Triggerpunkte, zum anderenwird das Konzept in die Komplexität vielschichtigerFunktionsstörungen auf somatischer und psychischerEbene eingebettet und nicht als das alleinige „Wunder-mittel“ präsentiert.

Ebenfalls beachtenswert erscheint mir, dass RolandGautschi eine Therapieform beschreibt, die er selbst täg-lich anwendet und nicht Theorien wiedergibt, die er nurirgendwo gelesen, gesehen oder gehört hat.

Die Behandlung myofaszialer Störungen, wie in diesemBuch beschrieben, kann einen großen Beitrag dazu leis-ten, Beschwerden am Bewegungsapparat positiv zu be-einflussen. Es muss jedoch, genau wie bei einem anderenZugang zum muskuloskelettalen System, am Ende dieFunktionsverbesserung durch aktives zielgerichtetes Trai-ning stehen, die dazu beiträgt, das Bewegungsverhaltendes Einzelnen nachhaltig zu verändern.

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Besteigen des„Mount Myofaszialis“ und hoffe, dass Sie dabei die ande-ren Gipfel dieses faszinierenden Gebirges nicht vergessen.Auch wenn Sie sich dann entschieden haben, weiterhinim Gebirge zu bleiben, sollten Sie sich bei Zeiten daran er-innern, wie schön es auch am Meer sein kann.

Robert PfundKempten im Mai 2010PT OMTMAppSc in Physiotherapie(Univ. South Australia, Adelaide)

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Über dieses Buch▶ Unterwegs zum „Mount Myofaszialis“. Dieses Buchkann als Expeditionsbericht und -führer gelesen werden:unterwegs zum „Mount Myofaszialis“ – willkommen aufder Entdeckungsreise!

Myofasziale Schmerzen und Funktionsstörungen er-kennen, verstehen und behandeln: Der Untertitel des Bu-ches ist Programm:● Erkennen Wie zeigt sich die „myofasziale Landschaft“?Woran sind myofasziale Probleme konkret zu erken-nen? Welche Indizien lenken uns auf den myofaszialenWeg? An welchen Wegzeichen orientieren wir uns un-terwegs?

● Verstehen Was ist aktuell über myofasziale Schmerzenund Funktionsstörungen bekannt? Welche Hypothesenund Modellvorstellungen herrschen vor? Die wichtigs-ten wissenschaftlichen Studien und Erkenntnisse derletzten 30 Jahre sind aufgearbeitet und in einen Zu-sammenhang gestellt. Mosaikartig entsteht damit eineKarte des myofaszialen Geländes.

● Behandeln Evidenz-basiert und abgestützt auf die bis-herigen wissenschaftlichen Untersuchungen, wird diePraxis der Behandlung myofaszialer Beschwerden aus-führlich dargestellt.

Dieses Fachbuch richtet sich in erster Linie an Praktiker.Es ist von einem Praktiker aus der Praxis für die Praxisentstanden. Wer in der Praxis tätig ist, hat selten Zeit, ein700-seitiges Buch von vorn nach hinten, Seite um Seite,zu lesen. Das vorliegende Buch ist deshalb so konzipiert,dass an jeder Stelle begonnen werden kann.

Das Inhaltsverzeichnis gibt eine Übersicht und damiteine erste Orientierung, wo sich ein Einstieg anbietet. ImText sind immer wieder Querverweise zu korrespondie-renden, vertiefenden oder weiterführenden Buchkapitelnund -passagen angegeben, sodass eine Führung im Netz-werk des Buches vorliegt. Zentrale Aussagen sind durch„Merke-Boxen“ speziell hervorgehoben, wodurch ein ra-sches „Querlesen“ möglich ist, und Zusammenfassungen(blau hinterlegt) bringen am Ende der Kapitel das We-sentliche nochmals auf den Punkt. Im theoretischen Teildes Buches wird unter dem Stichwort Klinik wiederholtder unmittelbare Bezug zum klinischen Alltag (ockergelbhinterlegt) aufgezeigt und der Praxisteil steht wechselsei-tig in Bezug zu den theoretischen Grundlagen. Schließlichermöglicht das Stichwortverzeichnis, direkt und gezielteine gesuchte Auskunft zu finden.

Die innere Gliederung des Buches spiegelt sich im In-haltsverzeichnis. Es gibt zwei Hauptteile: einen Praxis-und einen Grundlagenteil.

▶ Praxisteil. Im Praxisteil werden die einzelnen Muskelnund ihre Behandlung detailliert in Wort (Anatomie, Funk-tion, Schmerzausstrahlungsmuster, durch Triggerpunkteausgelöste Symptome, Faktoren, die zur Entstehung vonTriggerpunkten führen, sowie Empfehlungen für die Pa-tienten und Hinweise für den Therapeuten) und Bild (Re-ferred Pain Muster, manuelle Therapie der Triggerpunkte,Dehnen) dargestellt (Kap. 7); ein Übersichtsverzeichnisder Muskeln auf der vorderen Umschlaginnenseite sowieein Daumenregister erleichtern, sich in diesem umfang-reichen Kapitel schnell zu orientieren. Da die durch Trig-gerpunkte verursachten Hartspannstränge in der Lagesind, Druck auf periphere Nerven auszuüben und da-durch sekundär neurale Probleme ausgelöst werden kön-nen, wird auf Lokalisation und Behandlung häufig vor-kommender neuromuskulärer Entrapments speziell ein-gegangen (Kap. 8). Anschließend wird aufgezeigt, wiemyofasziale Schmerzen differenziert und aktive myofas-ziale Triggerpunkte im klinischen Alltag identifiziert wer-den können (Kap. 9). Dazu werden Screening-Tests (Kap.9.1) und Pain Guides (Kap. 9.2) zu häufigen klinischen Bil-dern (Kap. 9.3) vorgestellt.

▶ Grundlagenteil. Therapeutisches Handeln sollte abge-stützt sein auf die besten aktuell vorliegenden wissen-schaftlichen Erkenntnisse. Der Grundlagenteil will dieseBasis zur Verfügung stellen. Die Einführung (Kap. 1) stelltdas Phänomen myofaszialer Schmerzen (Kap. 1.1) undunterschiedliche Arten von Triggerpunkten (Kap. 1.2) vor,thematisiert die Häufigkeit (Kap. 1.3) und Bedeutungmyofaszialer Triggerpunkte (Kap. 1.4), gibt einen kurzenhistorischen Rückblick zu den Wurzeln der Triggerpunkt-wissenschaft (Kap. 1.5) und situiert die Triggerpunkt-Therapie im wissenschaftlichen Kontext (Kap. 1.6).

Wie myofasziale Triggerpunkte (Kap. 2) klinisch in Er-scheinung treten (Kap. 2.1), welche pathophysiologischenVeränderungen zugrunde liegen sowie welche Erklä-rungsmodelle für myofasziale Schmerzen und Funktions-störungen zurzeit diskutiert werden (Kap. 2.2), wirdebenso erörtert wie die Frage, wie und wodurch Trigger-punkte entstehen (Kap. 2.3). Störungen, die durch Trig-gerpunktaktivität verursacht, respektive aufrechterhaltenwerden, sind vielfältig (Kap. 3). Sowohl direkt (Kap. 3.1)als auch indirekt (Kap. 3.2) können myofasziale Trigger-punkte für Probleme des Bewegungssystems verantwort-lich sein. Die Diagnostik myofaszialer Schmerzen (Kap. 4)ist Teil des Clinical Reasonings-Prozesses der neuromus-kuloskelettalen Medizin (Kap. 4.1), wobei besonders diePrinzipien der Untersuchung (Kap. 4.2) und differenzial-diagnostische Hinweise (Kap. 4.3) dargestellt werden. DieTherapie myofaszialer Schmerzen (Kap. 5) umfasstsowohl die Therapie myofaszialer Triggerpunkte imeigentlichen Sinn (Kap. 5.1) als auch das Managementmyofaszialer Schmerzen, bei welchem häufig weitere

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Behandlungsansätze kombiniert und im Sinn einer multi-modalen Therapie integriert werden (Kap. 5.3). Auf dieunterschiedlichen Wirkungsebenen der manuellen Trig-gerpunkt-Therapie wird unter mechanischem, bio-chemischem, reflektorischem, kognitiv-verhaltenszen-

triertem, energetischem und holistischem Aspekt speziellhingewiesen (Kap. 5.2). Ausführungen zu Indikationen(Kap. 6.1) und Kontraindikationen (Kap. 6.2) der manuel-len Triggerpunkt-Therapie schließen den theoretischenTeil ab und leiten über zur Praxis.

Über dieses Buch

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Triggerpunkt-Therapie▶ Zusammenfassung. Viele akute und chronischeSchmerzen des Bewegungssystems haben ihren Ursprungin der Muskulatur. Eine verbreitete Ursache dafür sindmyofasziale Triggerpunkte (mTrP) und begleitende Fas-zienveränderungen (Travell u. Simons 2002, Dejung2009).

MTrPs gehören zu den wissenschaftlich solide erforsch-ten Phänomenen im Bereich der neuromuskuloskelet-talen Medizin. Pathophysiologisch nachgewiesen sind dielokale Hypoxie im Zentrum der mTrPs (Brückle et al.1990), ein verändertes EMG-Potenzial, das als Zeicheneiner Fehlfunktion motorischer Endplatten interpretiertwird (Travell u. Simons 2002), sowie charakteristischeAbweichungen des biochemischen Milieus mit markanterErhöhung der Konzentration von Substanz P, CGRP, Bra-dykinin u. a. m. bei deutlich erniedrigtem pH-Wert (Shahet al. 2005 und 2008). Histomorphologisch dokumentiertsind Rigorkomplexe in der Kernzone mTrPs (Myosin- undAktinfilamente verharren in maximal angenäherter Posi-tion) mit reaktiver Überdehnung der angrenzendenSarkomere (Travell u. Simons 2002) sowie Bindegewebs-veränderungen (Feigl-Reitinger et al. 1998). Zudem istbelegt, dass mTrPs einen signifikanten Einfluss auf dasMuskelaktivierungsmuster und damit auf die Motorikund die (Dys-)Funktion des Bewegungssystems haben(Ge et al. 2012 und 2014, Lucas et al. 2004 und 2010).

Die Diagnostik mTrPs mittels der klinischen Hauptdia-gnosekriterien (Hartspannstrang, maximale Druckemp-findlichkeit und Reproduktion der Symptome) ist betref-fend Reliabilität für geübte Untersucher im klinischen All-tag gut bis sehr gut (Gerwin et al. 1997, Licht et al. 2007).

MTrPs entstehen durch Überlastung oder traumatischeÜberdehnung der Muskulatur. In der Folge bilden sich imMuskel oftmals Zonen, die mit Sauerstoff unterversorgtsind (Hypoxie). Zu wenig Sauerstoff führt zu einem Man-gel an Adenosintriphosphat (ATP). Infolge des ATP-Man-gels können sich in diesen Gebieten die Myosin- und Ak-tinfilamente nicht mehr voneinander lösen (Rigorkom-plex) und es entstehen lokal reaktive Bindegewebsver-änderungen (Verkürzungen, Adhäsionen). Diese erkrank-ten Muskelstellen sind als Triggerpunkte tastbar: DurchProvokation mittels Druck wird ein Schmerz ausgelöst,der oft in andere Körperregionen übertragen wird (Re-ferred Pain). Aber nicht nur Schmerzen, sondern auch Pa-rästhesien, Muskelschwächen ohne primäre Atrophie,Bewegungseinschränkungen, propriozeptive Störungenmit Beeinträchtigung der Koordination und autonome ve-getative Reaktionen können durch Triggerpunkte ver-ursacht werden. Die Summe aller durch aktive Trigger-punkte ausgelösten Symptome wird als „MyofaszialesSyndrom“ bezeichnet. Erfahrungsgemäß lässt sich diesePathologie in der Regel – selbst bei langjährigen Be-schwerden – durch eine gezielte Triggerpunkt-Therapiebeseitigen.

Die manuelle Triggerpunkt-Therapie ist eine systemati-sche, manualtherapeutische Interventionsstrategie mitdem Ziel, das Störpotenzial von mTrPs zu deaktivieren,begleitende Bindegewebsveränderungen zu behandelnund Rezidiven vorzubeugen. Die hier dargestellte Formder Triggerpunkt-Therapie umfasst ein systematisches6-Schritte-Programm (Swiss Approach). Dabei werdendie Triggerpunkte mittels vier manueller Behandlungs-techniken (Technik I – IV) gezielt deaktiviert und das –

vor allem bei chronischen Schmerzpatienten – reaktivveränderte und verkürzte Bindegewebe aufgedehnt.Heimübungen zur Dehnung/Detonisierung (Technik V)unterbrechen monotone Arbeitshaltungen und förderndie Regenerationsfähigkeit der Muskulatur. FunktionellesTraining (Technik VI) unterstützt dank physiologischerBelastung und Bewegung den Heilungsprozess und machtdie Muskulatur belastbarer, während Ergonomie Fehl-belastungen reduziert. Will man bei der Behandlungchronischer myofaszialer Schmerzen nachhaltig Erfolghaben, müssen zusätzlich zur lokalen Therapie der Trig-gerpunkte perpetuierende Faktoren erkannt und in dieTherapie miteinbezogen werden. Manuelle Triggerpunkt-Therapie in der hier beschriebenen Form ist eine differen-zierte Methode und wird von speziell ausgebildetenPhysiotherapeuten und Ärzten durchgeführt.

Die Wirkung der manuellen Triggerpunkt-Therapievereint mechanische, reflektorische, biochemische, ener-getische, funktionelle, kognitiv-emotionale und verhal-tenswirksame Effekte (Gautschi 2008). Manuelle Trigger-punkt-Therapie beeinflusst somit nicht nur peripher-nozizeptive Schmerzen, sondern greift gleichzeitig inSchmerzverarbeitungsprozesse und Output-Schmerz-mechanismen ein.

Triggerpunkt-Therapie● hilft differenzialdiagnostisch zu klären, inwieweit dieMuskulatur an Entstehung bzw. Aufrechterhaltung vonSchmerzen und/oder Funktionsstörungen beteiligt ist,

● ermöglicht, die für myofasziale Schmerzen bzw. Funk-tionsstörungen relevante mTrPs zu finden,

● löst gezielt die dekontraktionsunfähigen Zonen imMuskel und deaktiviert damit das Störpotenzial mTrPs,

● dehnt bzw. löst bindegewebige Adhäsionen und Ver-kürzungen des inter- und intramuskulären kollagenenGewebes (pathologische Crosslinks),

● erkennt unterhaltende Faktoren und bezieht sie in dieBehandlung mit ein,

● wird der Tatsache gerecht, dass der Ort der Schmerzur-sache oft nicht mit dem Ort der Schmerzwahrnehmungübereinstimmt.

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Inhaltsverzeichnis1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

1.1 Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

1.2 Unterschiedliche Typen von Trigger-punkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

1.3 Prävalenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

1.4 Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

1.5 Geschichtlicher Rückblick . . . . . . . . . . . . . 22

1.6 Situierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

2 Myofasziale Triggerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

2.1 Klinik myofaszialer Triggerpunkte. . . . . 29

2.1.1 Merkmale myofaszialer Triggerpunkte . . . 292.1.2 Diagnostik myofaszialer Triggerpunkte . . . 34

2.2 Pathophysiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

2.2.1 Medizinische Untersuchungsmethoden . . 412.2.2 Histologische Untersuchungen . . . . . . . . . . 422.2.3 Messungen des biochemischen Milieus . . . 812.2.4 Untersuchung der lokalen Durchblutung . 852.2.5 Chronische Muskelschmerzen – Verände-

rungen der Nozizeption . . . . . . . . . . . . . . . . 852.2.6 Übertragener Schmerz (Referred Pain) . . . 92

2.2.7 Modell der Energiekrise . . . . . . . . . . . . . . . . 942.2.8 Bindegewebsveränderungen . . . . . . . . . . . . 992.2.9 Zentrale Einflüsse/Prozesse . . . . . . . . . . . . . 1002.2.10 Integrative Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

2.3 Ätiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

2.3.1 Ursachen für die Entstehung myofaszialerTriggerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

2.3.2 Aktivierungsmechanismen – Deaktivie-rungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

2.3.3 Prädisponierende und perpetuierendeFaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

3 Triggerpunktinduzierte Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

3.1 Direkt durch Triggerpunkte induzierteStörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

3.1.1 Schmerz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1143.1.2 Störungen der Motorik . . . . . . . . . . . . . . . . . 1143.1.3 Vegetativ-trophische Störungen . . . . . . . . . 114

3.2 Indirekt durch Triggerpunkteinduzierte Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . 115

3.2.1 Störungen infolge von Hartspannsträngen 1153.2.2 Störungen infolge von Bindegewebsver-

änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

3.3 Myofasziales Syndrom. . . . . . . . . . . . . . . . 117

4 Diagnostik myofaszialer Schmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

4.1 Clinical Reasoning. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

4.1.1 Schmerz im neuromuskuloskelettalenSystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

4.1.2 Schmerzmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1214.1.3 Myofaszialer Schmerz. . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

4.2 Prinzipien der Untersuchung. . . . . . . . . . 123

4.2.1 Anamnese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1244.2.2 Befund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1244.2.3 Arbeitshypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

4.2.4 Probebehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1304.2.5 Reassessment. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

4.3 Differenzialdiagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

4.3.1 Muskulär bedingte Schmerzen . . . . . . . . . . 1324.3.2 Funktionsstörungen der Gelenke . . . . . . . . 1334.3.3 Irritation von Nervenstrukturen . . . . . . . . . 1334.3.4 Innere Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1344.3.5 Fibromyalgie-Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

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5 Therapie myofaszialer Schmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

5.1 Therapie myofaszialer Triggerpunkte . . 140

5.1.1 Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1405.1.2 Behandlungsmöglichkeiten myofaszialer

Triggerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1415.1.3 Manuelle Triggerpunkt-Therapie . . . . . . . . 1435.1.4 Wirksamkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

5.2 Effekte der manuellen Triggerpunkt-Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

5.2.1 Mechanischer Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1785.2.2 Biochemischer Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . 1825.2.3 Reflektorischer Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

5.2.4 Funktioneller Aspekt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1865.2.5 Kognitiv-verhaltenszentrierter Aspekt . . . 1875.2.6 Energetischer Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1895.2.7 Holodynamischer Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . 191

5.3 Management myofaszialer Schmerzen 192

5.3.1 Planung und Aufbau der Behandlungen . . 1935.3.2 Kombination der manuellen Trigger-

punkt-Therapie mit anderen Behand-lungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

5.3.3 Selbstmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2025.3.4 Therapieresistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

6 Indikationen – Kontraindikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

6.1 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

6.1.1 Myofasziales Syndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . 2246.1.2 Reizsummationsprobleme . . . . . . . . . . . . . . 2276.1.3 Entrapment-Neuropathie. . . . . . . . . . . . . . . 2286.1.4 Narben und andere Veränderungen des

Bindegewebes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

6.2 Kontraindikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

6.2.1 Absolute Kontraindikationen . . . . . . . . . . . 2436.2.2 Relative Kontraindikationen . . . . . . . . . . . . 243

7 Manuelle Therapie der Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

7.1 Schulter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

7.1.1 M. deltoideus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2507.1.2 M. supraspinatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2527.1.3 M. infraspinatus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2547.1.4 M. teres minor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2567.1.5 M. subscapularis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2587.1.6 M. teres major . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2627.1.7 M. latissimus dorsi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2647.1.8 M. pectoralis major . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2667.1.9 M. coracobrachialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2707.1.10 M. pectoralis minor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2727.1.11 M. serratus anterior . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2767.1.12 Mm. rhomboideus minor und major . . . . . 2807.1.13 M. trapezius transversus . . . . . . . . . . . . . . . 2827.1.14 M. trapezius ascendens . . . . . . . . . . . . . . . . 2847.1.15 M. subclavius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2867.1.16 Skapulothorakales Gleitlager. . . . . . . . . . . . 288

7.2 Nacken und Hals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290

7.2.1 M. trapezius descendens . . . . . . . . . . . . . . . 2947.2.2 M. levator scapulae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2987.2.3 M. sternocleidomastoideus. . . . . . . . . . . . . . 3027.2.4 Mm. scaleni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3067.2.5 Tiefe prävertebrale Muskulatur: M. longus

colli, M. longus capitis, M. rectus capitisanterior, M. rectus capitis lateralis . . . . . . . 310

7.2.6 M. splenius capitis und M. spleniuscervicis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

7.2.7 Zervikaler M. erector spinae: Mm. semi-spinalis capitis und cervicis, Mm. longissi-mus capitis und cervicis, Mm. multifidiund Mm. rotatores . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316

7.2.8 Mm. suboccipitales: Mm. rectus capitisposterior major und minor, Mm. obliquuscapitis inferior und superior . . . . . . . . . . . . 320

7.3 Kiefer und Kopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

7.3.1 M. masseter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3307.3.2 M. temporalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3327.3.3 M. pterygoideus medialis . . . . . . . . . . . . . . . 3367.3.4 M. pterygoideus lateralis . . . . . . . . . . . . . . . 3387.3.5 Suprahyoidale Muskulatur: M. digastricus,

M. stylohyoideus, M. mylohyoideus,M. geniohyoideus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342

7.3.6 Infrahyoidale Muskulatur: M. sternohyo-ideus, M. sternothyroideus, M. thyrohyo-ideus, M. omohyoideus. . . . . . . . . . . . . . . . . 346

7.3.7 Gesichtsmuskulatur: M. orbicularis oculi,M. zygomaticus, Platysma . . . . . . . . . . . . . . 350

7.3.8 M. occipitofrontalis (M. epicranius) . . . . . . 352

Inhaltsverzeichnis

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7.4 Rumpf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354

7.4.1 M. erector spinae. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3607.4.2 M. quadratus lumborum . . . . . . . . . . . . . . . 3667.4.3 Mm. abdominales: M. obliquus externus

abdominis, M. obliquus internus abdomi-nis, M. transversus abdominis; M. rectusabdominis, M. pyramidalis. . . . . . . . . . . . . . 372

7.4.4 M. iliopsoas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3787.4.5 M. serratus posterior superior. . . . . . . . . . . 3827.4.6 M. serratus posterior inferior . . . . . . . . . . . 3847.4.7 Mm. intercostales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3867.4.8 Diaphragma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3887.4.9 Fascia thoracolumbalis . . . . . . . . . . . . . . . . . 390

7.5 Gesäß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394

7.5.1 M. gluteus maximus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3987.5.2 M. gluteus medius und M. gluteus

minimus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4007.5.3 M. piriformis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4027.5.4 M. obturatorius internus und Mm. gemelli 4047.5.5 M. obturatorius externus . . . . . . . . . . . . . . . 4067.5.6 M. quadratus femoris . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4087.5.7 Beckenbodenmuskulatur . . . . . . . . . . . . . . . 410

7.6 Oberschenkel und Knie . . . . . . . . . . . . . . . 412

7.6.1 M. tensor fasciae latae . . . . . . . . . . . . . . . . . 4167.6.2 M. sartorius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4187.6.3 M. pectineus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4207.6.4 Mm. adductor longus und brevis . . . . . . . . 4227.6.5 M. adductor magnus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4247.6.6 M. gracilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4267.6.7 M. quadriceps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4287.6.8 Mm. semitendinosus und semi-

membranosus, M. biceps femoris . . . . . . . . 4347.6.9 M. popliteus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438

7.7 Unterschenkel und Fuß . . . . . . . . . . . . . . . 440

7.7.1 M. gastrocnemius und M. plantaris . . . . . . 4467.7.2 M. soleus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4507.7.3 Mm. flexor digitorum longus und hallucis

longus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4547.7.4 M. tibialis posterior . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4567.7.5 M. tibialis anterior. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458

7.7.6 M. extensor digitorum longus, M. extensorhallucis longus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460

7.7.7 Mm. peroneus longus, brevis und tertius . 4627.7.8 M. extensor digitorum brevis, M. extensor

hallucis brevis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4647.7.9 Muskeln der Planta pedis (oberflächliche

Schicht): M. flexor digitorum brevis,M. abductor hallucis, M. abductor digitiminimi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466

7.7.10 Muskeln der Planta pedis (tiefe Schicht):Mm. quadratus plantae, flexor hallucisbrevis, adductor hallucis, lumbricales,interossei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470

7.8 Oberarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476

7.8.1 M. triceps brachii, M. anconeus. . . . . . . . . . 4787.8.2 M. biceps brachii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4827.8.3 M. brachialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484

7.9 Unterarm und Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486

7.9.1 M. brachioradialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4927.9.2 Handextensoren: Mm. extensor carpi

radialis longus und brevis, M. extensorcarpi ulnaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494

7.9.3 Fingerextensoren: M. extensor digitorumcommunis, M. extensor digiti minimi,M. extensor indicis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498

7.9.4 M. abductor pollicis longus, Mm. extensorpollicis longus und brevis . . . . . . . . . . . . . . 502

7.9.5 M. supinator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5047.9.6 M. pronator teres. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5067.9.7 M. palmaris longus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5087.9.8 Handflexoren: Mm. flexor carpi radialis

und ulnaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5107.9.9 Fingerflexoren: Mm. flexor digitorum

superficialis und profundus. . . . . . . . . . . . . 5127.9.10 M. flexor pollicis longus . . . . . . . . . . . . . . . . 5147.9.11 M. pronator quadratus . . . . . . . . . . . . . . . . . 5167.9.12 Thenarmuskeln: M. abductor pollicis

brevis, M. adductor pollicis, M. flexorpollicis brevis, M. opponens pollicis . . . . . . 518

7.9.13 Hypothenarmuskeln: M. abductor digitiminimi, M. flexor digiti minimi, M. oppo-nens digiti minimi, M. palmaris brevis. . . . 522

7.9.14 Interdigitalmuskeln: Mm. lumbricales undMm. interossei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524

8 Neuromuskuläre Entrapments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526

8.1 Nervenwurzelkompressionen . . . . . . . . . 527

8.2 Obere Extremität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528

8.2.1 Plexus brachialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5288.2.2 N. musculocutaneus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530

8.2.3 N. axillaris. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5308.2.4 N. medianus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5338.2.5 N. radialis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5408.2.6 N. ulnaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546

Inhaltsverzeichnis

17

8.3 Untere Extremität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551

8.3.1 Plexus lumbalis und lumbosacralis. . . . . . . 5528.3.2 N. femoralis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5538.3.3 N. cutaneus femoris lateralis . . . . . . . . . . . . 5568.3.4 N. iliohypogastricus, N. ilioinguinalis,

N. genitofemoralis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5578.3.5 N. obturatorius. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5598.3.6 N. ischiadicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5618.3.7 N. peroneus (fibularis) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5678.3.8 N. tibialis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570

8.4 Weitere Entrapments . . . . . . . . . . . . . . . . 572

8.4.1 N. occipitalis major/Ramus dorsalis des2. Zervikalnervs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572

8.4.2 Rami dorsales der Spinalnerven . . . . . . . . . 5748.4.3 Entrapments im Bereich der distalsten

Nervenstrecke (distale Mini-Entrapments) 576

9 Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578

9.1 Screening-Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578

9.1.1 Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5799.1.2 HWS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5819.1.3 BWS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5879.1.4 Schulter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5889.1.5 Ellbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5999.1.6 Unterarm – Hand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6059.1.7 LBH: Lenden – Becken – Hüfte . . . . . . . . . . 6079.1.8 Knie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6159.1.9 Unterschenkel – Fuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6179.1.10 Kiefer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619

9.2 Pain Guides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622

9.3 Klinische Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622

9.3.1 Nacken- und Kopfschmerzen. . . . . . . . . . . . 6239.3.2 Kraniomandibuläre Dysfunktion (CMD) . . 6279.3.3 Schulterschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6359.3.4 Interskapuläre und subskapuläre

Schmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6439.3.5 Thoraxschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6469.3.6 Ellbogenschmerzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6549.3.7 Unterarm- und Handschmerzen . . . . . . . . . 6589.3.8 Low Back Pain (unspezifische untere

Rückenschmerzen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6639.3.9 Hüft- und Leistenschmerzen . . . . . . . . . . . . 6719.3.10 Knieschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6759.3.11 Achillodynie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6789.3.12 Unterschenkel- und Fußschmerzen . . . . . . 680

Anhang

10 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685

11 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704

12 Abkürzungsverzeichnis der Muskeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709

13 Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712

14 Verzeichnis der klinischen Hinweise (ockergelb hinterlegte Kästchen) . . . . . . . . . . 715

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716

15 Videos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725

Inhaltsverzeichnis

18

1 Einführung„Es ist hier die Rede nicht von einer durchzusetzendenMeinung, sondern von einer mitzuteilenden Methode,deren sich ein jeder, als eines Werkzeugs, nach seinerArt bedienen möge.“(Goethe an Hegel, 7. Oktober 1820)

Chronische Schmerzen sind eine Herausforderung – fürdie Betroffenen, für die Therapeuten und für das Gesund-heitssystem. Inwieweit die Triggerpunkt-Therapie dazubeitragen kann, diese Herausforderung anzunehmen undzu bestehen, ist Thema dieses Buchs.

Ein Triggerpunkt (TrP) ist – dem Wortsinn entspre-chend – ein Punkt, von dem aus die dem Patienten be-kannten Symptome, meistens in Form von fortgeleitetenSchmerzen (Referred Pain), ausgelöst werden (engl. „trig-ger“ – auslösen).

In Workshops zur Triggerpunkt-Therapie werden dieTeilnehmenden in einer Palpationssequenz jeweils ange-leitet, im M. infraspinatus maximal druckempfindlicheStellen in verspannten Muskelfaserbündeln aufzusuchenund mit dem Daumen mittels Druck zu provozieren. Bei70 – 90% der Kurseilnehmer werden dabei Schmerzenausgelöst, die nicht nur lokal am Ort der Druckprovokati-on empfunden werden, sondern an andere Stellen desKörpers ausstrahlen: zur Schulter (ventral und dorsal so-wie „tief im Gelenk“), zum Oberarm (ventral, dorsal undlateral), Ellbogen, Unterarm, bis zu Hand und Finger(▶Abb. 1.1). Solch fortgeleitete Schmerzen werden als Re-ferred Pain bezeichnet.

Vordere Schulterschmerzen, „tief im Gelenk“ empfun-dene Schmerzen, aber auch Ellbogen- oder Unterarm-schmerzen können ihren Ursprung somit in TrPs haben,die hinten an der Schulter (im M. infraspinatus) liegen.

Aber nicht nur Schmerzen, auch Dysästhesien (Kribbel-,Enge- oder Schwereempfindungen) und Kraftlosigkeitkönnen Symptome sein, die durch TrPs ausgelöst werden.

Die Lokalisation der ausstrahlenden Schmerzen ent-spricht weder einem radikulär-segmentalen Innervati-onsmuster (da sie mit keinem Dermatom überein-stimmt), noch korrespondieren die ausstrahlendenSchmerzen mit dem Innervationsgebiet eines peripherenNervs. Die gängigen Ansätze zur Erklärung nicht lokalerSchmerzen vermögen somit das sehr häufig auftretendePhänomen des Referred Pain nicht zu erklären. Dies istvermutlich mit ein Grund, warum durch TrPs induziertemyofasziale Schmerzen bisher vielfach nicht erkanntwerden.

Merke

Eine Medizin, die das weit verbreitete Phänomen der aus-strahlenden Schmerzen (Referred Pain) nicht konsequentin ihre diagnostischen und therapeutischen Strategienmit einbezieht, ist bei der Behandlung chronischerSchmerzen des neuromuskuloskelettalen Systems oftzum Scheitern verurteilt und leistet der ChronifizierungVorschub.

Ziel dieses Fachbuchs ist, die Bedeutung myofaszialerTriggerpunkte (mTrPs) bei der Entstehung und Aufrecht-erhaltung von Schmerzen und Funktionsstörungen imneuromuskuloskelettalen System zu erläutern sowie auf-zuzeigen, wie die manuelle Therapie der TrPs gezielt undeffektiv erfolgen kann.

Im ersten Teil sind die Grundlagen dargestellt: Kli-nisches Erscheinungsbild (Kap. 2.1), Pathophysiologie(Kap. 2.2) und Ätiologie der mTrPs (Kap. 2.3) werdenebenso thematisiert wie Diagnostik (Kap. 4) und Behand-lungsmöglichkeiten (Kap. 5) myofaszialer Störungen. DieTriggerpunkt-Therapie wird dabei unter 2 sich ergänzen-den Aspekten dargestellt: einerseits als Behandlungstech-nik im Sinn einer therapeutischen Interventionsstrategiezur Deaktivierung des Störpotenzials der mTrPs (Kap. 5.1)sowie andererseits als übergeordnetes Behandlungskon-zept zur Diagnostik und Therapie myofaszial verursachterSchmerzen und Funktionsstörungen (Kap. 5.3). Auf Stö-rungen, die durch TrPs direkt und indirekt verursachtwerden (Kap. 3) sowie auf Indikationen bzw. Kontraindi-kationen zur Triggerpunkt-Therapie (Kap. 6) wird spezielleingegangen.

Im zweiten Teil des Buchs wird die manuelle Therapieder Muskulatur ausführlich in Wort und Bild dargestellt(Kap. 7) und anschließend werden häufige neuromusku-läre Entrapments (Kap. 8) erörtert. Um den Transfer inden klinischen Alltag zu erleichtern, werden Screening-Tests (Kap. 9.1) und Schmerzführer (Kap. 9.2) zu häufigenklinischen Bildern (Kap. 9.3) vorgestellt.

Abb. 1.1 Myofasziale Triggerpunkte (x) und Referred Pain (rot)im M. infraspinatus.

Einführung

19

1.1 Phänomenologie

„A rose is a rose is a rose.“(Gertrude Stein)

Wird ein Muskel quer zu seinem Faserverlauf palpiert,stößt man oft auf kontrakte Muskelfaserbündel. Folgt dietastende Hand einem solchen Hartspannstrang, ist ernicht überall gleich druckempfindlich: Es gibt Bereiche,die weniger, und andere, die deutlich mehr druck-schmerzhaft sind. Wird der Ort der maximalen Druck-empfindlichkeit mittels Druck provoziert, löst diesSchmerzen aus. Diese Schmerzen können lokal sein, sehrhäufig jedoch strahlen sie aus. Das heißt, nicht nur amOrt der Druckprovokation selbst tut es weh, sondern derSchmerz breitet sich auch in andere, entfernt liegendeKörperregionen aus. Dieses Phänomen ausstrahlenderSchmerzen wird als Referred Pain (Travell u. Simons2002) bezeichnet (▶Abb. 1.1, ▶Abb. 1.2).

Können durch Druck auf einen Punkt diejenigenSchmerzen (lokal oder fortgeleitet) ausgelöst werden, dieder Patient aus seinem Alltag kennt, handelt es sich umeinen aktiven Triggerpunkt (TrP). Die Möglichkeit, dieSymptome des Patienten durch Druck auf den TrP zu re-produzieren, ist unter phänomenologischem Gesichts-punkt das Schlüsselkriterium eines TrP.

Obwohl muskulär verursachte Schmerzen weit verbrei-tet sind (Kap. 1.3), werden sie oft nicht als solche er-kannt. Sie werden übersehen, weil der Ort, an dem derSchmerz entsteht, und der Ort, an dem der Schmerz emp-funden wird, meist weit auseinanderliegen (▶Abb. 1.3).So liegt die Quelle von Rückenschmerzen manchmal inder Bauchmuskulatur (1), Kopfschmerzen können vonder Halsmuskulatur kommen (2), bei vielen Patienten istdie Ursache für ein Ellbogenproblem in der Hals- undSchultermuskulatur zu suchen (3), Beinschmerzen wer-

den häufig von der Gesäßmuskulatur verursacht (4), undder Achillessehnenschmerz entsteht meistens in derWade (5).

Merke

Das Phänomen, dass Schmerzen ausstrahlen (ReferredPain), ist sehr häufig. Nur wenn die Tatsache, dassSchmerzen vielfach nicht dort verursacht werden, wo sieempfunden werden, konsequent in den Clinical-Reason-ing-Prozess miteinbezogen wird, ist eine adäquate Thera-pie des neuromuskuloskelettalen Systems möglich.

1.2 Unterschiedliche Typen vonTriggerpunktenEs werden verschiedene Arten von Triggerpunkten (TrPs)unterschieden:● Aktive Triggerpunkte zeigen bereits in Ruhe oder beiphysiologischer Belastung und Bewegung ein charakte-ristisches Schmerzmuster. Provoziert man einen akti-

Abb. 1.2 Myofasziale Triggerpunkte (x) und Referred Pain (rot)im M. trapezius descendens (nach Travell u. Simons 2002).

3

45

2

1

Abb. 1.3 Die schmerzauslösenden Triggerpunkte liegen oftweit entfernt von der Schmerzstelle. 1. Quelle von Rücken-schmerzen in der Bauchmuskulatur. 2. Ursache von Kopf-schmerzen in der Halsmuskulatur. 3. Ellbogenprobleme durchHals- und Schultermuskulatur. 4. Beinschmerzen von derGesäßmuskulatur. 5. Achillessehnenschmerz kann in der Wadeentstehen.

Einführung

20

ven TrP mittels Druck oder Zug (Dehnung), wird durchdiese mechanische Stimulation der dem Patienten der-zeit bekannte Schmerz (lokal oder ausstrahlend) repro-duziert.

● Latente Triggerpunkte sind überempfindliche Gewebs-areale, die in Ruhe und bei physiologischer Belastung/Bewegung nicht spontan schmerzhaft sind. Latente TrPssind klinisch stumm. Erst beim Palpieren und beiDruckprovokation können –meist ausstrahlende –

Schmerzen ausgelöst werden, die dem Patienten ausseinem Alltag jedoch nicht bekannt sind. Latente TrPskönnen alle klinischen Eigenschaften eines aktiven TrPaufweisen –mit einer Ausnahme: Die Reproduktion derBeschwerden sind vom latenten TrP her nicht möglich.(Nebenbei: Jeder Mensch hat latente TrPs – und er lebtmeist gut mit ihnen.)

● Befindet sich die druckempfindliche und überirritier-bare Stelle im Muskelgewebe, wird sie als myofaszialerTriggerpunkt (mTrP) bezeichnet (▶Abb. 1.1). Liegt siein einem anderen Gewebe, unterscheidet man entspre-chend tendinöse, ligamentäre (▶Abb. 1.4), periostaleoder subkutane Triggerpunkte (▶ Tab. 1.1). Myofaszia-le Triggerpunkte kommen am häufigsten vor und sindwissenschaftlich am besten untersucht.

● Abhängig von der Art und der Zeit der Entstehung einesTrP unterscheidet man primäre TrPs, sekundäre TrPsund Satelliten-TrPs (s. Glossar).

Zur Differenzierung zwischen TrPs und Tenderpoints(S.706) und Fibromyalgie-Syndrom (S.134).

1.3 Prävalenz

„Der Triggerpunkt, wie er heute definiert wird, ist gewissdie häufigste Manifestation des Schmerzes im Bewegungs-system, wenn nicht im Organismus überhaupt.“(Prof. Karl Lewit im Geleitwort zu Dejung 2009)

Die Muskulatur ist das größte Einzelorgan des mensch-lichen Körpers. Alle Skelettmuskelfasern zusammen ma-chen im Durchschnitt 40 – 50% des Körpergewichts aus,bei trainierten Kraftsportlern kann der Anteil bis ca. 65%steigen (Schünke 2000). Bereits bei einer rein quantitati-ven Betrachtungsweise ist es daher naheliegend, dass vonder Skelettmuskulatur her direkt Schmerzen verursachtwerden können. Umso erstaunlicher ist es, dass im mo-dernen medizinischen Unterricht und in medizinischenLehrbüchern zur Schmerzdiagnostik der Muskulatur imAllgemeinen und den mTrPs im Besonderen bisher kaumAufmerksamkeit geschenkt wurde (Mense et al. 2003).

Die Häufigkeit von aktiven mTrPs in ärztlichen Praxenvariiert je nach ausgewählter Patientengruppe: Von 61untersuchten Patienten in einer allgemeinen Arztpraxisfand Skootsky (1989) – nebst Grippe, Durchfall, Husten,Schlafstörungen, Riss-Quetsch-Wunden, Alkohol- undMedikamentenabusus, Blinddarmentzündung, Heu-schnupfen etc. – rund 30% der Patienten mit einem pri-mär myofaszialen Schmerz. In spezialisierten Schmerz-zentren wurden in 2 Untersuchungen bei 85% von 283Patienten (Fishbain 1986) und bei 93% von 96 untersuch-ten Patienten (Gerwin 1995) aktive mTrPs gefunden.Friction (1990) stellte in einer auf Kopf- und Nacken-schmerzen spezialisierten zahnärztlichen Klinik unter296 Patienten fest, dass bei 55% der Patienten derSchmerz eine primär muskuläre Ursache hatte. Aufgrunddieser Datenlage gelangen Travell und Simons zu demSchluss: „Es steht außer Zweifel, dass aktive myofaszialeTriggerpunkte weit verbreitet sind und eine der Haupt-ursachen für Schmerzen und Funktionsstörungen des Be-wegungsapparates darstellen“ (Travell u. Simons 2002,S. 12). Diese Einschätzung wird bekräftigt durch eine Viel-zahl Untersuchungen, die aufzeigen, dass mTrPs sehr häu-fig eine Rolle spielen bei Patienten mit Spannungskopf-schmerzen (Alonso-Blanco et al. 2012a, Bendtsen et al.2011, Buchmann et al. 2007, Couppé et al. 2007, Fernan-dez-de-las-Penas et al. 2006 b, 2006c, 2009a, 2009b und2010, von Stülpnagel et al. 2009), Migräne (Buchmann etal. 2008, Calandre et al. 2006, Fernandez-de-las-Penas2006d, Giamberardino et al. 2007, Tali et al. 2014), Na-ckenschmerzen (Fernandez-de-las-Penas et al. 2007, Ger-ber et al. 2014, Munoz-Munoz et al. 2012, Vazquez-Delga-do et al. 2009), bei Problemen nach HWS-Beschleuni-gungstraumen (Castaldo et al. 2014, Dommerholt et al.

Abb. 1.4 Ligamentärer Triggerpunkt (X) mit Referred Pain (rot)im Lig. fibulare collaterale (nach Travell u. Simons 2002).

Tab. 1.1 Unterschiedliche Triggerpunkt-Typen in Abhängigkeitvon der Art des Gewebes (nach Travell u. Simons 2002)

Gewebe Triggerpunkt-Typ

Muskulatur myofaszialer Triggerpunkt

Sehne tendinöser Triggerpunkt

Band ligamentärer Triggerpunkt

Knochenhaut periostaler Triggerpunkt

Unterhautbindegewebe subkutaner Triggerpunkt

1.3 Prävalenz

21

2015, Ettlin et al. 2008, Freeman et al. 2009), unspezi-fischen Rückenschmerzen (Borg-Stein et al. 2006, Chen u.Nizar 2011, Iglesias-Gonzales et al. 2013, Nice et al. 1992,Nioo u. van der Does 1994, Simons et al. 1983), unspezi-fischen Nacken-, Schulter- und Armschmerzen (Fernan-dez-de-las-Penas et al. 2012), Schulterschmerzen (Buch-mann et al. 2009, Bron 2011, Bron et al. 2011, Ge et al.2007, Hains et al. 2010a, Hidalgo-Lozano et al. 2013, Pazet al. 2014, Sergienko u. Kalichman 2015, Sola et al. 1955)bzw. Schulterbeschwerden bei subakromialem Impinge-ment (Alburquerque-Sendín 2013, Hidalgo-Lozano et al.2010), lateralen Ellbogenschmerzen (Fernandez-Carneroet al. 2007 und 2008, Fernandez-de-las-Penas 2012, Gon-zalez-Iglesias et al. 2011, Shmushkevich u. Kalichman2013), Kiefergelenksbeschwerden, Schulterschmerzen beisubakrominalem Impingement (Hidalgo-Lozano et al.2010), Kiefergelenksbeschwerden (Ardic et al. 2006, Fer-nández-Carnero et al. 2010, Itoh et al. 2012, Vazquez et al.2010), lateralen Ellbogenschmerzen (Shmushkevich u.Kalichman 2013), Unterarm- und Handschmerzen(Hwang et al. 2005), haltungs- und belastungsabhängigenSchmerzen bei Computerarbeit (Treaster et al. 2006),Knieschmerzen (Henry et al. 2012, Mayoral et al. 2013),bei Tinnitus (Rocha u. Sanchez 2007) sowie bei Schmer-zen in der Becken- und Urogenitalregion (Anderson et al.2006, 2009 und 2011, Doggweiler-Wiygul 2004, FitzGe-rald et al. 2009, Jarrell 2004, Weiss 2001).

In Ergänzung zu diesen vorwiegend im ärztlichen Um-feld erhobenen Daten (mit Ausnahme von Bron 2011,Bron et al. 2011 und Fernandez-de-las-Penas et al. 2006b,2007, 2012) fehlen für die physiotherapeutische Praxisbislang spezifische Untersuchungen; es ist jedoch davonauszugehen, dass hier aufgrund der Selektion durch dieärztliche Zuweisung der Anteil an myofaszial bedingtenSchmerzen überdurchschnittlich hoch ist.

Merke

TrPs sind weit verbreitet und sehr häufig für Schmerzenverantwortlich.

1.4 RelevanzSchmerzen des Bewegungssystems kommen häufig vorund verursachen hohe Kosten.

Dejung (2009) untersuchte die Kosten, die durchSchmerzkrankheiten entstehen: Die 1997 in Deutschlanddurch Arbeitsunfähigkeit infolge von Rückenschmerzenverursachten indirekten Kosten wurden auf 23,8 Milliar-den DM geschätzt. Dabei ist die kleine Gruppe der chro-nisch Erkrankten für den Hauptteil sowohl der direktenals auch der indirekten Kosten verantwortlich (weiter-führende Literatur in Dejung 2009).

Weil mTrPs eine der häufigsten Ursachen von chro-nischen Schmerzen am Bewegungsapparat sind (Fishbain1986, Rosomoff et al. 1989, Friction 1990, Masi 1993, Ger-win 1995 und 2014, Travell u. Simons 2002, Dejung2009), kommt der Triggerpunkt-Therapie sowohl untertherapeutisch-ethischem Gesichtspunkt, da sie unnötigechronische Schmerzen lindern hilft, als auch unter öko-nomisch-volkswirtschaftlichem Gesichtspunkt, da sie dieKosten im Gesundheitswesen reduziert, ein hoher Stel-lenwert zu.

Warum werden myofaszial verursachte Schmerzenhäufig nicht erkannt?

Zum einen ist sicherlich ein Grund, dass Schmerzen ausder Muskulatur sehr häufig ausstrahlen, sog. ReferredPain (S.29). Der Ort der Schmerzempfindung und der Ortder Schmerzursache sind nicht identisch, und dies er-schwert es, den Zusammenhang von Muskelproblem(mTrP) und klinischem Schmerzbild zu erfassen.

Zum anderen lassen sich myofasziale Schmerzen amzuverlässigsten klinisch diagnostizieren, indem die akti-ven mTrPs palpatorisch (S.127) gemäß klar definierterDiagnosekriterien (S.34) identifiziert werden. Denn ra-diologische und laborchemische Untersuchungen zeigenkeine Befunde. Vermutlich werden nicht zuletzt deshalbmyofaszial verursachte Schmerzen leider noch viel zuhäufig fehlinterpretiert und einem nicht schmerzverursa-chenden Befund einer bildgebenden Untersuchung zuge-schrieben – und in der Folge die Patienten fehloperiertbzw. fehlbehandelt.

Dejung (2009) fordert und beschreibt deshalb ein neu-es Paradigma der Schmerz- und Bewegungsapparatmedi-zin: „Viele Bewegungsapparatschmerzen haben ihren Ur-sprung in der Muskulatur. Durch Überlastung oder Über-dehnung können in einem Muskel Zonen dekontraktions-unfähiger Sarkomere entstehen, deren Kern ischämischund daher schmerzhaft wird. Die erkrankten Muskelstel-len lassen sich palpieren: Hartspannstränge mit empfind-lichen Stellen. An diesen Stellen (Triggerpoints) lässt sichein Schmerz provozieren, der oft in andere Körperregio-nen übertragen wird (Referred Pain). Durch eine geeig-nete Therapie lässt sich diese Pathologie auch nach langerZeit wieder beseitigen“ (Dejung 2009, S. 12).

1.5 Geschichtlicher RückblickAls Ursache von Schmerzen im Bewegungssystem wurdein den letzten 100 Jahren vieles in Betracht gezogen.Neuropathien, degenerative und entzündliche Gelenks-erkrankungen oder artikuläre Dysfunktionen („Blockie-rungen“) sowie zurzeit vermehrt auch neuroplastischeVeränderungen im zentralen Nervensystem standen undstehen im Zentrum des Interesses. Die Muskulatur alsmögliche Schmerzursache wurde in der Regel übersehenund auch heute noch wird die Muskulatur als primäre Ur-sache von Schmerzen und Funktionseinschränkungen oftaußer Acht gelassen. So wird beispielsweise in Studien

Einführung

22

über Rückenschmerzen differenziert in „spezifische“ und„unspezifische“ Rückenschmerzen. Spezifische Rücken-schmerzen haben eine bekannte strukturspezifische Ur-sache (z. B. Diskushernie, Spinalstenose, Spondylolysthe-se, Instabilität, Impressionsfraktur, Tumor) und machenknapp 20% der Fälle aus. Die Opinion Leaders der Rü-ckenschmerzforschung sind sich seit Jahrzehnten einig,dass in rund 80% aller Fälle die Ursache von unteren Rü-ckenschmerzen nicht bekannt ist (z. B. Nachemson 1985,1992, Haldemann 1990, Dejung 2009). Dass ein beträcht-licher Anteil dieser sog. „unspezifischen“ Rückenschmer-zen Probleme darstellen könnte, die nicht unspezifisch,sondern spezifisch – nämlich durch die Muskulatur – ver-ursacht sind (und damit einer spezifischen Therapie zu-gänglich sind, s. Kap. 9.3.8), wurde bisher nicht unter-sucht. Müller (2001) listet beispielsweise 46 Ursachenauf, die bei der Differenzialdiagnose von Rückenschmer-zen bedacht werden müssen; mTrPs sind nicht erwähnt.

Dabei sind schmerzverursachende Punkte in der Mus-kulatur seit Jahrhunderten in den verschiedensten Kul-turkreisen immer wieder beschrieben, dargestellt und er-folgreich behandelt worden. Die Praxis der Massage istbeispielsweise bereits auf Steinreliefs fernöstlicher Tem-pelanlagen, die vor über 1000 Jahren errichtet wordensind, abgebildet.

Im abendländischen Kulturraum liegen die ersten Be-schreibungen muskulärer Befunde rund 500 Jahre zu-rück: Der französische Arzt de Baillou (1538 – 1616) be-schreibt bereits im 16. Jahrhundert klinisch das, was wirheute als myofasziales Syndrom bezeichnen (nach Ruh-mann 1940), und Balfour, ein britischer Arzt, erwähnt1816 als Schmerzursache knötchenartige, druckdolenteSchwellungen und Verdickungen im Muskelgewebe, vondenen ausstrahlende Schmerzen in benachbarte Regi-onen ausgehen (nach Stockman 1904). Froriep, ein deut-scher Chirurg, beschreibt 1843 die „Muskelschwiele“ alsempfindliche Verhärtung im Muskel und berichtet übereine Erleichterung, die durch manuelle Behandlung er-reicht werden könne. Strauss, ebenfalls deutscher Arzt,bringt 1898 kleine, schmerzempfindliche Knötchen undschmerzhafte, palpable Hartspannstränge in Zusammen-hang mit der Ursache von Schmerzen. Myofasziale Befun-de wurden in der Folgezeit mit vielen Begriffen bezeich-net. Adler nennt 1900 das Phänomen „Muskelrheumatis-mus“ und beschreibt bereits provozierbare Ausstrahlun-gen von den Schmerzherden aus. Gowers prägt 1904 denBegriff „Fibrositis“; Telling spricht 1911 von „Fibromyosi-tis“, während Llewellyn und Jones 1915 empfindlicheKnötchen mit ausstrahlendem Schmerz als typisch für„Myofibrositis“ angeben. Schmidt nennt 1916 dieselbenPhänomene „Myalgie“ und erwähnt kontrahierte Muskel-faserbündel als charakteristisch. Schade prägt 1919 denBegriff „Myogelose“ und postuliert eine Viskositätsver-änderung im Muskel. F. Lange beschreibt 1925 „Muskel-härten“, die in Narkose und auch nach dem Tod persistie-ren würden. Seine Beobachtungen interpretiert er dahin

gehend, dass die tastbaren Phänomene nicht innervati-onsbedingt seien. Albee verwendet 1927 die Bezeichnung„Myofasziitis“, Claton und Livingston verwenden 1930„Neurofibrositis“, Good 1941 „rheumatische Myalgie“und Gutstein 1954 „Myodysneurie“, um das zu benennen,für das heute der Begriff „myofasziales Syndrom“ (S.117)steht. M. Lange verfasst 1931 ein erstes Handbuch vonschmerzhaften Muskelpunkten, in dem er bereits die lo-kale Zuckungsreaktion („local twitch response“) be-schreibt; Übertragungsschmerzen werden jedoch nochnicht erwähnt. Schon 1931 benutzt er Fingerknöchel undHolzstäbchen zur Behandlung der schmerzhaften Phäno-mene. Kraus dokumentiert 1937 als Erster die Behand-lung der schmerzhaften Befunde mit Chloraethyl.

Merke

In der älteren Fachliteratur werden häufig Begriffe wiebeispielsweise● Myogelose● Muskelhärten● Muskelschwiele● Muskelrheumatismus● rheumatische Myalgie● Myofasziitis● Fibrositis● Myofibrositis● Neurofibrositis● Myodysneurie● Myalgie und● Myopathie

zur Beschreibung myofaszialer Schmerzen und der zu-grunde liegenden pathologischen Veränderungen imMuskelgewebe verwendet.

Inzwischen setzten sich die Begriffe „myofaszialerSchmerz“, „myofasziales Syndrom“ oder „myofaszialesSchmerzsyndrom“ sowie „myofaszialer Triggerpunkt“ –als morphogenetisches Substrat myofaszialer Schmerzen– durch.

Die Muster der Schmerzübertragung hat als Erster derbritische Arzt Jonas H. Kellgren systematisch erforscht: Erinfiltrierte Muskeln mit hypertoner Kochsalzlösung undbeschrieb die Schmerzausstrahlungsgebiete. Er zeigte auf,dass die jeweiligen Übertragungsschmerzen für einen be-stimmten Muskel in mehreren Versuchen reproduzierbarwaren. Gleichzeitig stellte er fest, dass die Schmerzpro-vokation durch Injektion identisch ist mit Schmerzpro-vokation durch Muskelkontraktion unter ischämischenBedingungen (Kompression). 1938 publizierte er seineUntersuchungen unter dem Titel „Observations on Refer-red Pain Arising from Muscle“. Auch wenn Kellgren nochder aus heutiger Sicht irrtümlichen Ansicht war, der Re-ferred Pain würde sich nicht über die Dermatomgrenze

1.5 Geschichtlicher Rückblick

23

hinaus erstrecken, war dies ein wichtiger Meilenstein aufdem Weg zum heutigen Verständnis von mTrPs: Muskel-gewebe kann ausstrahlende Schmerzen verursachen(▶Abb. 1.5).

Die Bezeichnung „trigger point“ wurde 1940 vonSteindler eingeführt im Zusammenhang mit einer Reihevon Artikeln, die er über gluteal verursachte myofaszialeSchmerzen publizierte (Steindler et al. 1938, Steindler1940).

Janet Travell (1901 – 1997) kommt das Verdienst zu, alsgroße Pionierin das Wissen um myofasziale Schmerzenins Bewusstsein vieler Mediziner und Therapeuten ge-bracht und den Begriff mTrPs bekannt und allgemein ak-zeptiert gemacht zu haben (▶Abb. 1.6). In den 1930erJahren als Kardiologin und Medizinforscherin tätig, fandTravell Interesse an muskuloskelettalen Schmerzen in-folge der Beschreibung ausstrahlender Schmerzen inverschiedenen Publikationen (Travell 1968). Die ersteklinische Beschreibung muskulärer TrPs mit den Charak-teristika „punktuelle Druckschmerzhaftigkeit“, „Übertra-gungsschmerz“ und „reduziertes Bewegungsausmaß“ er-folgte 1942 durch Travell. 1946 veröffentlichten Travellund Bigelow ihre Beobachtungen an Patienten mit über-tragenen Muskelschmerzen und hielten fest, dass dieAusbreitung nicht segmentalen Mustern folge. Zu Beginnder 1950er Jahre beobachteten Travell und Rinzler, dassvon Faszien aus ähnliche Schmerzübertragungsmusterauftreten wie vomMuskel. Dies veranlasste sie, in der Fol-ge den Begriff „myofascial pain“ zu verwenden, um dieenge Beziehung und Wechselwirkung zwischen Muskelund Faszien zu betonen (Travell u. Rinzler 1952, Travell1968). 1952 publizierte Travell ihre ersten 32 „referredpain patterns“, 1957 berichtete sie erstmals darüber, dassmyofasziale TrPs im Ruhe-EMG eine erhöhte Aktivitätaufweisen. Bonica erkannte und betonte 1953 ebenfallsdie große Bedeutung, die myofasziale TrPs bei Schmerz-patienten haben. Auch die Chiropraktiker Nimmo undVannerson beschrieben und behandelten in den USAschmerzhafte Muskelpunkte und verwendeten nach Kon-takten mit Travells Publikationen den Begriff „triggerpoint“. In Europa beschrieb Gutstein muskuläre TrPs undihre manuelle Behandlung in mehreren Aufsätzen unterdem Namen Gutstein (1938, 1940), später unter dem Na-men Good (1942, 1950). Zeitgleich zu Travells Publikatio-nen veröffentlichte Kelly in Australien eine Reihe von Ar-tikeln über „Fibrositis“ (Kelly 1941, 1945, 1946, 1963).

Travell publizierte 1983 zusammen mit ihrem Junior-partner Simons (▶Abb. 1.6) den ersten Band des Stan-dardwerks „Myofascial Pain and Dysfunction – The Trig-ger Point Manual“; 1992 erfolgte die Publikation deszweiten Bands. Nachdem Travell 1997 verstorben war, er-schien 1999 in zweiter und stark erweiterter Auflage dererste Band dieses Werks (deutsche Übersetzung 2002),das den aktuellen Stand des Wissens über mTrPs bis 1998ausführlich darlegt (nach Travell u. Simons 2002, Dejung2009, Dommerholt et al. 2006b, Shah et al. 2008 b undKursskript der IMTT2008).

1983 stellte Simons auf dem 7. Internationalen Kon-gress der FIMM (Federation International of Manual Me-dicine) in Zürich das Konzept der myofaszialen Trigger-punkte und deren Behandlung mit der Spray-and-Stretch-Methode vor. In der Folge fing Dejung, Facharztfür Rheumatologie und Physikalische Medizin in Winter-thur/Schweiz, an, TrPs manuell zu behandeln. Neben der„ischämischen Kompression“ am Ort der TrPs selbst be-gann er, das – vor allem bei chronischen Schmerzpatien-ten reaktiv veränderte und verkürzte – Bindegewebe auf-zudehnen. Dazu nutzte und adaptierte er tiefe Massage-und Bindegewebstechniken, wie sie Ida Rolf (▶Abb. 1.7)und ihre Schüler zur Lösung von Bindegewebsstrukturenmit dem Ziel der Haltungsverbesserung seit den 1960erJahren – als „Rolfing“ bezeichnet – in vielen Ländern un-terrichtet und über die die Autorin 1977 in einem Buchberichtet hatte. 1988 wurde die Triggerpunkt- und Binde-gewebsbehandlung erstmals in den Zeitschriften „Physio-therapeut“ und in der „Schweizerischen Zeitschrift fürSportmedizin“ beschrieben (Dejung 1988a, 1988b). DieSumme seiner langjährigen Erfahrung publizierte Dejung(▶Abb. 1.8) 2003 im Grundlagenwerk „Triggerpunkt-The-rapie. Die Behandlung akuter und chronischer Schmerzenim Bewegungsapparat mit manueller Triggerpunkt-The-rapie und Dry Needling“ (Dejung, Drittauflage 2009).

Ab Mitte der 1990er Jahre entstanden nationale undinternationale Fachgesellschaften mit dem Ziel, das Wis-sen um myofasziale Schmerzkrankheiten zu mehren undzu verbreiten sowie ein Netzwerk für eine qualitativ hoheTherapie aufzubauen.

Injektionsorte

Muskelschmerz

Abb. 1.5 Schmerzausstrahlung (gestricheltes Areal) nach In-jektion von 6%iger Kochsalzlösung in 3 Punkte im M. gluteusmedius (nach Kellgren 1938).

Einführung

24

In den USA wurde 1995 der Entschluss gefasst, die In-ternational Myopain Society (IMS) zu gründen, um wis-senschaftliche Forschung, Weiterbildung und persönli-chen Austausch zu fördern; die Gründung der IMS erfolg-te 1997. Fachjournal der IMS ist das „Journal of Musculo-skeletal Pain“, das jährlich 2- bis 4-mal erscheint. Die IMSzählte 2010 knapp 800 Mitglieder – die Mehrzahl sindÄrzte – aus 47 Ländern (weiterführende Infos unterwww.myopain.org). Dejung wurde eingeladen, am vonExponenten der IMS organisierten Kongress „Focus onPain“ 1998 in San Antonio/USA die manuelle Trigger-punkt-Therapie vorzustellen. Dieser spezifische, manual-therapeutische Zugang zur Behandlung myofaszialerSchmerzen wird in den USA manchmal als „The Swiss ap-proach to triggerpoint therapy“ bezeichnet.

1995 erfolgte die Gründung der Interessengemein-schaft für Myofasziale Triggerpunkt-Therapie (IMTT) inder Schweiz. Die IMTT vereint heute (2016) über 650 Mit-glieder, vorwiegend Physiotherapeuten und einige Ärzteaus dem deutschsprachigen Europa. Die Hauptaufgabender IMTT liegen in den Bereichen Lehre – im Kurssystemder IMTT unterrichten derzeit rund 20 Instruktoren undAssistenten im In- und Ausland einen standardisierten16-tägigen Ausbildungslehrgang, der mit einem Zertifikatabgeschlossen werden kann –, Forschung und Öffentlich-keitsarbeit. Bisher wurden in Europa nach dem Kurssys-tem der IMTT einige Tausend Physiotherapeuten undmehrere hundert Ärzte ausgebildet (weiterführende In-formationen unter www.imtt.ch und www.triggerpunkt-therapie.eu).

Partnerorganisation der IMTT in Deutschland ist die2006 gegründete Medizinische Gesellschaft zum StudiumMyofaszialer Schmerzen (MGMS), eine ebenfalls wirt-schaftlich, politisch und religiös unabhängige Vereinigungmit dem Ziel, myofasziale Schmerzen und Funktionsstö-rungen zu erforschen, das diesbezügliche Wissen zu meh-ren und zu verbreiten sowie eine kompetente, praxis-bezogene Ausbildung anzubieten (weiterführende Infosunter http://www.mgms-ev.de).

Die Fachliteratur zur Triggerpunkt-Therapie ist im-mens. Auf einige „Meilensteine“ wird in der Übersichts-darstellung zur Chronologie der manuellen Triggerpunkt-Therapie (▶ Tab. 1.2) hingewiesen.

Abb. 1.7 Ida P. Rolf (1896 – 1979): Pionierin der tiefen Binde-gewebsbehandlung und Begründerin des Rolfing respektive derstrukturellen Integration.

Abb. 1.8 Beat Dejung (geb. 1934): Pionier und Begründer dermanuellen Triggerpunkt- und Bindegewebstherapie.

Abb. 1.6 Pioniere und Begründer der wissenschaftlichenTriggerpunktmedizin:a Janet G. Travell (1901 – 1997) undb David G. Simons (1922 – 2010)

1.5 Geschichtlicher Rückblick

25

Tab. 1.2 Chronologie der Entwicklung der manuellen Triggerpunkt-Therapie

Jahr Ereignis

1938 Das Phänomen der übertragenen Schmerzen (Referred Pain) wird erstmals systematisch untersucht. Kellgren infiltriertMuskeln mit hypertoner Kochsalzlösung und beschreibt dazugehörige Schmerzausstrahlungsgebiete. Die jeweiligenÜbertragungsschmerzen für einen bestimmten Muskel sind reproduzierbar. Gleichzeitig wird deutlich, dass dieSchmerzprovokation durch Injektion identisch ist mit Schmerzprovokation durch Muskelkontraktion unter ischämischenBedingungen (Kompression). Kellgren (1938) publiziert seine klinische Forschung unter dem Titel „Observations onReferred Pain Arising from Muscle“.

1940 Der Begriff „trigger point“ wird durch Steindler eingeführt (Steindler 1940).

1942 Erste klinische Beschreibung muskulärer TrPs mit den Charakteristika „punktuelle Druckschmerzhaftigkeit“, „Über-tragungsschmerz“ und „reduziertes Bewegungsausmaß“ durch Janet Travell.

1950 Die Beobachtung, dass die Schmerzübertragungsmuster aus Muskeln und Faszien sehr ähnlich sind, führt zur Prägungdes Begriffs „myofaszialer Schmerz“ durch Travell und Rinzler (Travell et al. 1952).

1952 Travell publiziert die ersten 32 „referred pain patterns“ (Travell et al. 1952).

1957 Travell berichtet erstmals darüber, dass myofasziale TrPs im Ruhe-EMG eine erhöhte Aktivität aufweisen.

1980 Gunn weist mit einer randomisierten, kontrollierten Studie nach, dass Dry Needling bei chronischen, sog.„unspezifischen“ Rückenschmerzen wirksam ist (Gunn et al. 1980).

1983 Erstauflage von „Myofascial Pain and Dysfunction – The Trigger Point Manual“ (Travell u. Simons 1983, aktuelle deutscheAuflage 2002). Dieses Standardwerk zur myofaszialen Triggerpunktmedizin beschreibt erstmals umfassend undsystematisch die von TrPs ausgelösten Schmerz- und Dysfunktionsmuster. Abbildungen veranschaulichen einprägsamdie Muskeltopografie und die jedem Muskel zugehörigen typischen Ausstrahlungsgebiete (Referred Pain Patterns).

1983 David G. Simons stellt auf dem 7. Internationalen FIMM-Kongress für Manuelle Medizin in Zürich das Konzept dermyofaszialen TrPs und deren Behandlung mit der Spray-and-Stretch-Methode vor.

1983/84 Beat Dejung, Facharzt für Rheumatologie und Physikalische Medizin in Winterthur/Schweiz und Mitglied desInstruktorenteams der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Manuelle Medizin (SAMM), beginnt – angeregt durch dieAusführungen von Simons auf dem FIMM-Kongress –, myofasziale Schmerzsyndrome in breitem Ausmaß zu behandeln.In seiner Praxis in Winterthur/Schweiz entwickelt er einen spezifischen manualtherapeutischen Zugang zur Behandlungder TrPs. Nebst der „ischämischen Kompression“ am Ort der TrPs selbst dehnt er zusätzlich das Bindegewebe auf, das vorallem bei chronischen Schmerzpatienten oft reaktiv verändert und verkürzt ist. Dazu nutzt und adaptiert er tiefeMassage- und Bindegewebstechniken, wie sie Ida Rolf und ihre Schüler zur Lösung von Bindegewebsstrukturen mit demZiel der Haltungsverbesserung entwickelt haben.

1988 Dejung publiziert mit dem Artikel „Triggerpunkt- und Bindegewebsbehandlung – neue Wege in Physiotherapie undRehabilitationsmedizin“ erstmals den Zugang der Therapie myofaszialer TrPs in den Zeitschriften „Physiotherapeut“ undin der „Schweizerischen Zeitschrift für Sportmedizin“ (Dejung 1988a,1988b).

1990 Ausgeprägte Hypoxie im mTrP mittels Messungen des Sauerstoffpartialdrucks (S.81) in vivo nachgewiesen(Brückle et al. 1990).

1993 Hubbard und Mitarbeiter publizieren eine Reihe von Arbeiten über EMG-Untersuchungen von TrPs (S.41), die alsGrundlage für weitere Untersuchungen dienen.

1994 Nachweis, dass Stress (S.109) die messbare EMG-Aktivität von mTrPs deutlich erhöht, während Messungen ausbenachbartem, gesundem Muskelgebiet keine Veränderung erfahren (McNulty 1994).

1995 Gründung der Interessengemeinschaft für Myofasziale Triggerpunkt-Therapie (IMTT) in der Schweiz. Die IMTT fördert diemedizinisch-interdisziplinäre Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Schmerztherapie und setzt sich für die Erforschungmyofaszialer Krankheiten ein. Die IMTT engagiert sich für eine hohe Behandlungsqualität und bietet eine fundierteAusbildung in Triggerpunkt-Therapie an. Dazu etabliert sie einen 16-tägigen Ausbildungslehrgang zum Triggerpunkt-Therapeuten IMTT, der Physiotherapeuten und Ärzten offensteht. Er kann mit einer Zertifikatsprüfung abgeschlossenwerden.Mit der Entwicklung und Einführung eines klaren Qualitätsstandards in der Triggerpunkt-Therapie leistet die IMTTweltweit Pionierarbeit. Weitere Informationen unter www.imtt.ch und www.triggerpunkt-therapie.eu.Dry Needling, die Behandlung von mTrPs mit Akupunkturnadeln, wird in der Schweiz in der Praxis von Dr. med.Beat Dejung eingeführt; Ausbildungskurse Dry Needling für Physiotherapeuten in der Schweiz.

1997 Gründung der International Myopain Society (IMS).Nachweis, dass die Intertester-Reliabilität (S.36) zur Diagnostik der mTrPs gut ist, wenn die Diagnosekriterien klar unddie Untersucher geübt sind (Gerwin et al. 1997).

1998 Dejung stellt auf Einladung von Exponenten der IMS am Kongress „Focus on Pain“ in San Antonio/Texas die manuelleTriggerpunkt-Therapie vor. Dieser spezifische, manualtherapeutische Zugang zur Behandlung myofaszialer Schmerzenwird in den USA als „The Swiss approach to triggerpoint therapy“ bezeichnet.

1999 Dejung zeigt in einer Studie mit einem Langzeit-Follow-up auf, dass die manuelle Triggerpunkt-Therapie bei sog.„unspezifischen“ Rückenschmerzen (S.175) wirksam ist (Dejung 1999).

Einführung

26

1.6 SituierungTriggerpunkt-Therapie in der hier dargestellten Formmeint gleichermaßen eine Behandlungstechnik (S.140)zur gezielten Therapie von mTrPs (S.144) und Faszien(S.145) als auch ein Behandlungskonzept zum Manage-ment myofaszial verursachter Schmerzen und Funktions-störungen (S.192).

Die vorliegende Publikation ist dem wissenschaftlichenDreischritt von (1) Beobachten, (2) Beschreiben, (3) Erklä-ren verpflichtet. Den Ausführungen des Buches liegt einephänomenologische Sichtweise zugrunde. Ausgangs-punkt und Prüfstein sind die konkret erfahrbaren Phäno-mene: das, was wir unter myofaszialer Perspektive imKontakt mit den Patienten während der Anamnese(S.124) hören, bei Screening-Tests (S.706) sehen und beider palpatorischen Diagnostik (S.127) sowie der manuel-len Therapie (S.143) tasten können. Diese Phänomenewerden in Beziehung gesetzt zu den derzeit bekannten

und diskutierten Studien und Modellen, mit deren Hilfeversucht wird, die beobachteten Phänomene in einen Zu-sammenhang zu bringen und zu erklären. Dabei gilt einModell als wissenschaftlich gültig, wenn es die beobach-teten Phänomene erklären kann und in Übereinstim-mung mit den Erkenntnissen der Grundlagenforschungsteht. Sowohl Grundlagenuntersuchungen (z. B. Messungdes biochemischen Milieus im Bereich der mTrPs durchBrückle et al. 1990 und Shah et al. 2005, 2008a) als auchevidenzbasierte Untersuchungen bilden wichtige undwertvolle Pfeiler für die wissenschaftliche Situierung,wobei für das evidenzbasierte und evidenzinformiertetherapeutische Handeln sowohl externe als auch interneEvidenz (S.178) maßgeblich sind.

Im wissenschaftlichen Diskurs steht das Erklären erstan dritter Stelle, was bemerkenswert ist. Vorrangig sinddas Beobachten und das Beschreiben. Dieses Buch ver-steht sich als Schulungshilfe und Unterstützung zur ge-zielten und minutiösen Erkundung von Patienten mit

2001 Das Autorenteam Mense und Simons publiziert das Grundlagenwerk zum Verständnis myofaszialer Schmerzen „MusclePain: Understanding its Nature, Diagnosis and Treatment“ (Mense et al. 2001a).

2003 Dejung veröffentlicht seine langjährige Erfahrung in der Behandlung myofaszialer Schmerzen: „Triggerpunkt-Therapie.Die Behandlung akuter und chronischer Schmerzen im Bewegungsapparat mit manueller Triggerpunkt-Therapie und DryNeedling“ (Dejung 2003, Drittauflage 2009).

2004 Nachweis, dass (bezogen auf Schmerz) latente mTrPs das Aktivierungsmuster der Muskulatur signifikant verändern unddamit zu Funktionsstörungen führen können. Therapie der latenten mTrPs (S.32) führt zu einer Normalisierung desmessbaren Muskelaktivierungsmuster (Lucas et al. 2004).

2005 Untersuchungen des biochemischen Milieus (in vivo) zeigen, dass bei mTrPs die Konzentration von Schmerz- undEntzündungsmediatoren (Substanz P, CGRP, Bradykinin u. a. m.) deutlich erhöht ist, während gleichzeitig der pH-Wertniedriger ist. Eine durch Dry Needling ausgelöste Local Twitch Response verändert mittelfristig das biochemische Milieu(S.84) zugunsten einer Normalisierung (Shah et al. 2005, Bestätigung durch Shah et al. 2008a).

2006 Gründung der Medizinischen Gesellschaft für Myofasziale Schmerzen (MGMS), der Partnerorganisation der IMTT inDeutschland (weitere Infos unter http://www.mgms-ev.de).

2006 Kooperationsvertrag zwischen der IMTT und der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Manuelle Medizin (SAMM).Ab 2007 Durchführung von speziell auf die Bedürfnisse von Ärzten ausgerichteten Ärztekursen.

2007 Licht weist eine gute bis hervorragende Intertester-Reliabilität (Kappa 0,71 – 0,82) zur klinischen Diagnostik der mTrPsnach (Licht et al. 2007).

2007 Internationales Therapeutenverzeichnis online. Adressen von Physiotherapeuten und Ärzten mit einer qualifiziertenAusbildung in manueller Triggerpunkt-Therapie IMTT sind für Deutschland, Österreich und die Schweiz online unterhttp://www.triggerpunkt-therapie.eu zugänglich.

2008 Die manuelle Triggerpunkt-Therapie wird neu in den in 5. Auflage erscheinenden „Leitfaden Physiotherapie“ (Ebelt-Paprotny et al. 2008) aufgenommen und zählt damit spätestens ab diesem Zeitpunkt zum offiziellen Kanon derphysiotherapeutischen Interventionsstrategien.

2010 Klinik, Diagnostik und Therapie myofaszialer Schmerzen und Funktionsstörungen werden im Studiengang MASmuskuloskelettale Physiotherapie an der Zürcher Hochschule (zhaw) für Angewandte Wissenschaften integriert.

2011 Empfehlung der eidgenössichen Gesundheitsdirektorenkonferenz zugunsten der Ausübung von Dry Needling durchPhysiotherapeuten in der Schweiz unter der Voraussetzung, dass diese eine entsprechende Ausbildung abgeschlossenhaben.

2012 Seit 2012 Ausbildungskurse in Dry Needling für Physiotherapeuten in Deutschland (Voraussetzung: abgeschlosseneAusbildung als Physiotherapeut und großer Heilpraktiker).

2013 Die Internationale Gesellschaft für Schmerz- und Triggerpunktmedizin (IGTM) beschließt, ab 2014 in ihrer Ausbildungdas Curriculum und den Qualitätsstandard der Triggerpunkt-Therapie IMTT zu übernehmen.

2015 Seit 2015 Durchführung von Ärztekursen in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Muskuloskeletale Medizin(DGMSM) – Akademie Boppard (analog zu den seit 2007 durchgeführten Ärztekursen in Kooperation mit der SAMM inder Schweiz).

1.6 Situierung

27

Problemen des Bewegungsorgans. Indem Diagnostik undTherapie phänomenologisch verankert sind, können siejederzeit durch eigenes Untersuchen, Erforschen und Ex-perimentieren überprüft, bestätigt bzw. widerlegt sowieweiterentwickelt werden.

Wie Gadamer (1960, 2010) in „Wahrheit und Methode“aufzeigt, ist jede Wahrnehmung (und damit jede wissen-schaftliche Untersuchung) abhängig auch vom Wahrneh-menden (bzw. Untersucher). Erfahrung, Erwartung, ge-wählte Perspektive etc. beeinflussen, wie und was wahr-genommen wird (Konstruktivismus, Pörksen 2015). Un-ser Weltbild bestimmt maßgeblich mit, was wir erkennenund was nicht. In der vorliegenden Publikation wird dieTriggerpunkt-Therapie vorwiegend im Kontext einerschulmedizinischen Perspektive untersucht und dar-gestellt. Gleichzeitig kann die Triggerpunkt-Therapie ausanderen Perspektiven betrachtet werden. Eine yogischeSichtweise beispielsweise, die davon ausgeht, dass jedes

körperliche Phänomen (body) gleichzeitig und untrenn-bar mit einem geistigen Aspekt (mind) verbunden ist unddass jedes geistige Phänomen mit einer körperlichenKomponente verbunden ist, wird andere Schwerpunkteder Triggerpunkt-Therapie betonen. Unter komplemen-tärtherapeutischer Perspektive können die Aspekte Kom-munikation und Beziehung (zu sich, zu Anderen, zu be-lastenden Situationen, zu Stress, zu Krisen, zu Belastungs-grenzen etc.), psychodynamische bzw. psychosozialeGrundverhaltensmuster (Prägungen und die Möglichkeitder Mustererkennung und Musterunterbrechung), Re-silienz (Fähigkeit, auch mit belastenden Situationenkonstruktiv umgehen zu können) etc. in der Trigger-punkt-Therapie bedeutsam werden. Auch wenn diesevielfältigen Aspekte im vorliegenden Buch nicht behan-delt werden, ist an einigen Stellen auf solche erweiterteZusammenhänge hingewiesen; wenn auch nicht explizitdargestellt – im Behandeln sind sie immer gegenwärtig.

Einführung

28

2 Myofasziale Triggerpunkte„Myofasziale Triggerpunkte sind die am häufigsten über-sehene Ursache chronischer Schmerzen.“(Prof. David G. Simons)

2.1 Klinik myofaszialerTriggerpunkteMyofasziale Triggerpunkte (mTrPs) kommen im Vergleichzu ligamentären, tendinösen, periostalen oder subkuta-nen TrPs sehr häufig vor. Sie sind klinisch und wissen-schaftlich am besten untersucht und dokumentiert.

2.1.1 Merkmale myofaszialerTriggerpunkteMTrPs lösen spezifische Symptome aus. Werden vom Pa-tienten solche Symptome beschrieben und/oder findetder Therapeut in der körperlichen Untersuchung solcheMerkmale, sind sie als Zeichen zu erkennen und als Hin-weis auf ein möglicherweise myofaszial (mit-)verursach-tes Problem ernst zu nehmen. Nachfolgend sind die kli-nischen Merkmale mTrPs beschrieben.

Schmerz

SchmerzqualitätPatienten mit mTrPs klagen meist über Schmerzen. DieQualität der Schmerzen, die durch aktive mTrPs ver-ursacht werden, kann sehr unterschiedlich sein. Häufigwerden die Schmerzen als „dumpf“ oder „ziehend“ be-schrieben, sie können aber auch „stechenden“ oder„brennenden“ Charakter haben. Gelegentlich empfindenPatienten eher Taubheitsgefühle und Parästhesien (Krib-beln, Ameisenlaufen) als Schmerzen im eigentlichen Sinn.

SchmerzlokalisationOft fällt es den Patienten schwer, die Schmerzen präzisezu lokalisieren. Manchmal äußern sie jedoch eine klareVorstellung, der Schmerz befinde sich „oberflächlich“ insubkutanen Geweben, im Muskel oder „tief im Gelenkdrin“. Die Schmerzen können lokal am Ort des palpiertenmTrP bleiben, mehrheitlich jedoch strahlen sie in mehroder weniger weit entfernt liegende Körperregionen aus,in der Regel nach peripher. In 10% der Fälle sind dieSchmerzen nur lokal spürbar, bei ca. 5 % strahlen sie vonperipher nach zentral aus.

Übertragener Schmerz – Referred PainJeder Muskel zeigt ein für ihn typisches Ausstrahlungs-gebiet (Referred Pain Pattern). Dabei kann der übertrage-ne Schmerz von einem mTrP her ausstrahlen oder aus-schließlich entfernt an einem anderen Ort lokal auftreten(Dejung 2009). Die für jeden Muskel charakteristischenReferred Pain Patterns wurden von Travell und Simons(2002) in ihrem Grundlagenwerk „Myofascial Pain andDysfunction – The Trigger Point Manual“ erstmals syste-matisch beschrieben. Sie zeigen, wohin TrPs in einem be-stimmten Muskel mit großer Wahrscheinlichkeit aus-strahlen (▶Abb. 2.1). Auch Dejung (2009) dokumentierteanhand von über 1500 Einzelbeobachtungen die Refer-red-Pain-Muster übertragener Schmerzen. Die in denUSA und in der Schweiz erfassten Schmerzmuster deckensich weitgehend; gelegentlich zeigen sich aber auch Diffe-renzierungen (▶Abb. 2.1, ▶Abb. 2.2). Im Einzelfall kannes auch individuelle Abweichungen vom gängigen Aus-strahlungsmuster geben. Die im Praxisteil dieses Buchsgezeigten Muster der Schmerzübertragung basieren aufden Arbeiten von Travell und Simons (2002), Dejung(2009), Baldry (1997) und Irnich (2009) sowie auf der ei-genen, inzwischen über 20-jährigen klinischen Erfahrung(Kap. 7).

Das vom Patienten im konkreten Einzelfall schmerzhaftempfundene Gebiet kann das ganze in den Abbildungenals Referred-Pain-Zone markierte Areal (Kap. 7) umfas-sen, oft jedoch werden nur Teilbereiche (und nicht dasgesamte Referred-Pain-Gebiet) als schmerzhaft beschrie-ben; beispielsweise kann sich das Schmerzübertragungs-muster von mTrPs im M. tensor fasciae latae (▶Abb. 2.2)bei einem Patienten als lokale Druckschmerzhaftigkeit imBereich des mTrPs selbst mit Schmerzausstrahlung etwasdistal des Trochanter majors zeigen, während ein anderer

Abb. 2.1 Myofaszialer Triggerpunkt (x) und Referred Pain (rot)im M. tensor fasciae latae (nach Travell u. Simons 2002).

2.1 Klinik myofaszialer Triggerpunkte

29

Patient mit mTrPs im M. tensor fasciae latae lokal kaumSchmerzen verspürt, durch die Druckprovokation aufmTrPs im M. tensor fasciae latae jedoch lateral im distalenOberschenkel sowie im lateralen Unterschenkel Schmer-zen ausgelöst werden; dabei können einzelne Schmerz-gebiete nicht-zusammenhängend auftreten.

Wiedererkennen von Schmerz –Pain RecognitionWerden in der palpatorischen Untersuchung oder durchDehn- und Anspannungstests (respektive Dry Needling)eindeutig diejenigen Schmerzen reproduziert, die der Pa-tient aus seinem Alltag kennt, liegen aktive mTrPs vor.Dieses Wiedererkennen der bekannten Schmerzen (PainRecognition) ist das wichtigste Kriterium zur Identifika-tion aktiver TrPs.

HartspannstrangMTrPs bewirken immer eine Verkürzung derjenigen Mus-kelfasern, in die sie eingebettet sind. Diese kontraktenMuskelfaserbündel sind bei oberflächlich liegenden Mus-keln einfach zu tasten. Am deutlichsten sind die Hart-spannstränge fühlbar, wenn man quer zur Faserrichtungder Muskulatur palpiert; sie durchziehen den Muskel

vom Ursprung bis zum Ansatz. Wird ein mTrP erfolgreichbehandelt, schwächt sich dieser tastbare Befund ab undverschwindet mitunter ganz.

„Knötchen“Folgt die tastende Hand einem Hartspannstrang, spürtman oft knötchenartige Verdichtungen im verspanntenFaserbündel. Diese Stellen fühlen sich ödematös verquol-len an. Bei chronischen myofaszialen Schmerzen erschei-nen sie wie Bindegewebsknötchen, die früher als Myoge-losen (S.78) bezeichnet wurden, s. auch Glossar (S.705).

Inmitten dieser knötchenartigen Verdichtung liegt eineabgegrenzte, maximal druckschmerzhafte Zone. Sie hateinen Durchmesser von weniger als 1mm und stellt deneigentlichen mTrP dar. Bereits 1mm neben dieser Kern-zone maximaler Empfindlichkeit sind die mittels Druckprovozierbaren Schmerzen erheblich geringer. Das öde-matös verquollene Knötchen kann mehrere empfindlicheStellen enthalten und in chronischen Fällen bindegewebigumhüllt sein, sodass es in Einzelfällen eine Dicke vonmehr als 1 cm aufweisen kann (Dejung 2009). Im M. tra-pezius pars descendens und den kranialen Anteilen derPars transversa ist dieses Phänomen der Verquellung, dieüber den einzelnen Hartspannstrang hinausreicht, sehrhäufig zu finden.

Lokale ZuckungsreaktionWird ein mTrP mechanisch gereizt, kontrahiert das Mus-kelfaserbündel, in dem sich der mTrP befindet, manchmalblitzartig und löst sich sofort wieder (▶Abb. 2.3). Dieselokale Zuckungsreaktion (Local Twitch Response) ist im-mer ein objektives Zeichen für das Vorliegen eines mTrP.

a b

Abb. 2.2 Schmerzübertragungsgebiet (rot) des M. tensorfasciae latae (nach Dejung 2009).

lokales Zucken eines Muskelfaser-bündels

kontrakteMuskelfaserbündel

Abb. 2.3 Lokale Zuckungsreaktion (Local Twitch Response). Daskontrakte Muskelfaserbündel des Hartspannstrangs zieht sichbei mechanischer Stimulation des Triggerpunkts manchmalblitzartig zusammen und löst sich sofort wieder (schematischeDarstellung nach Travell u. Simons 2002).

Myofasziale Triggerpunkte

30

BewegungseinschränkungAktive mTrPs führen fast immer zu einem eingeschränk-ten passiven Bewegungsausmaß. Die verminderte Beweg-lichkeit ist verursacht durch● Hartspannstränge (d. h. durch infolge von TrPs verkürz-te Muskelfaserbündel)

● Schmerzen, die ausgelöst werden durch eine frühzeitigeüberschwellige mechanische Stimulierung der mTrPs inden verkürzten Hartspannsträngen

● Angst vor schmerzhaften Bewegungen● bindegewebige Verkürzungen, Adhäsionen und Fibro-sierungen, die bei chronischen Fällen zusätzlich dievolle Beweglichkeit behindern (Dejung 2009)

Die durch TrPs verursachte Bewegungseinschränkung istin manchen Muskeln ausgeprägter (z. B. M. subscapularis)als in anderen (z. B. M. latissimus dorsi).

Dauern Hartspannstrang und Bewegungseinschrän-kungen über längere Zeit an, muss die antagonistisch wir-kende Muskulatur gegen erhöhten Widerstand arbeiten.Diese unphysiologische Belastung kann zur Bildung se-kundärer mTrPs in den Antagonisten der primär von TrPsbefallenen Muskulatur führen.

Klinik

Anterior Knee PainBei Patienten mit vorderen Knieschmerzen (AnteriorKnee Pain) lässt sich häufig von mTrPs im M. vastus me-dialis, M. vastus intermedius, M. rectus femoris (gele-gentlich auch im M. vastus lateralis, M. adductor magnusoder M. iliopsoas) aus der bekannte vordere Knieschmerzreproduzieren. Nach einer Behandlung der gefundenenmTrPs tritt zumeist eine Besserung ein, die aber manch-mal nur vorübergehend und nicht von Dauer ist.

Bei der Befundaufnahme zeigt sich vielfach ein diskre-tes Extensionsdefizit im Kniegelenk. Die palpatorischeUntersuchung der ischiokruralen Muskelgruppe sowievon M. popliteus und M. gastrocnemius bringt sehr oftmTrPs (vor allem im Caput breve des M. biceps femoris)ans Licht, die manchmal nach ventral zum M. vastus me-dialis hin ausstrahlen (aktive TrPs), häufig aber einfach lo-kal außerordentlich druckschmerzhaft sind (latente TrPs).Auch solche – bezogen auf das Schmerzmuster latenten– TrPs können für Funktionsstörungen (die Bewegungs-einschränkung) verantwortlich sein (Kap. „Behandlunglatenter TrPs“ (S.218)). Eine nachhaltige Besserung desAnterior Knee Pain und die Auflösung des Extensionsdefi-zits treten erst nach Behandlung dieser primären TrPs inder dorsal gelegenen Muskelgruppe ein.

Schmerz bei MuskeldehnungWird ein Muskel gedehnt, geraten zuerst und vor allemdie durch TrPs verursachten Hartspannstränge unter Deh-nung. Die Zugspannung wirkt als Stressor auf die in denHartspannsträngen liegenden TrPs, wodurch Schmerzenausgelöst werden können.

Schmerz bei MuskelkontraktionDie kräftige Kontraktion eines Muskels, der TrPs enthält,ist schmerzhaft. Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt,wenn der Muskel isometrisch gegen Widerstand an-spannt oder sich aus bereits verkürzter Position kontra-hieren soll. Unter Kontraktion steigt die Zugspannung imMuskel, wodurch der mTrP mechanisch stimuliert undder Schmerz provoziert wird.

Störungen der PropriozeptionPropriozeptive Störungen, die im Zusammenhang mitmTrPs ausgelöst werden, zeigen sich in Form von● Gleichgewichtsstörungen mit Gangunsicherheit● Schwindel● Beeinträchtigungen der Koordination

Störungen der Motorik/KoordinationMTrPs können zu verzögerter Aktivierung, verlangsamterErholung, rascher Ermüdung und Schwäche der Muskula-tur führen (Travell u. Simons 2002) und so Störungen dermotorischen Kontrolle verursachen (Ervilha et al. 2005,Arendt-Nielsen u. Graven-Nielsen 2008, Lucas 2008).

Probanden, die 50 schnelle Handflexions- und Hand-extensionsbewegungen ausführen, benötigen dafür über50% mehr Zeit, wenn in der Muskulatur der Handflexo-ren (respektive -extensoren) mTrPs vorhanden sind, imVergleich zu Probanden ohne mTrPs (▶ Tab. 2.1, Ivanichev2007). Das EMG-Protokoll zeigt, dass die Ansteuerung derMuskulatur deutlich irritiert ist, wenn mTrPs vorliegen.Bei Probanden ohne mTrPs wird im EMG bei schnell al-ternierenden Flexions- und Extensionsbewegungen imHandgelenk sichtbar, dass der Wechsel zwischen Aktivi-täts- und Pausenphasen bei Agonisten und Antagonistenreziprok und in rascher, gut koordinierter Weise erfolgt.Zwischen den einzelnen Aktivitätsphasen zeigt sich je-weils eine kurze Erholungsphase ohne EMG-Aktivität(▶Abb. 2.4a). Sind Hartspannstränge und mTrPs vorhan-den, wird das Aktivitätsmuster der Muskelgruppe mitmTrPs deutlich gestört: Liegen die mTrPs beispielsweisein den Dorsalextensoren, zeigt sich auch während der Ak-tionsphase der Palmarflexoren, in der die Dorsalextenso-ren inaktiv sein sollten, EMG-Aktivität (▶Abb. 2.4b). Derrhythmische Wechsel von Kontraktions- und Lösungs-phase ist somit gestört und beeinträchtigt die Koordinati-on maßgeblich, sodass es zu einer deutlichen Leistungs-einbuße mit ausgeprägter Verlangsamung und rascherErmüdbarkeit kommt (▶ Tab. 2.1)

2.1 Klinik myofaszialer Triggerpunkte

31

Auch latente mTrPs können das Aktivierungsmusterder Muskulatur markant verändern. MTrPs vermögenFunktionsstörungen zu verursachen und aufrechtzuerhal-ten, auch wenn klinisch (noch) keine Schmerzen auftre-ten (Ge et al. 2012 und 2014, Lucas et al. 2004 und 2010).

Lucas et al. (2004 und 2010) zeigten am Beispiel derSchultermuskulatur auf, dass latente mTrPs in einemMuskel der Schulterblattstabilisatoren das Muskelaktivie-rungsmuster (MAM) der gesamten Schultermuskulatursignifikant verändern. Dabei ist nicht nur das MAM derSkapulastabilisatoren vom veränderten Timing der Mus-kelaktivierung betroffen, sondern auch die in der kineti-schen Kette der oberen Extremität weiter distal gelegeneMuskulatur der Rotatorenmanschette. Die Therapie dermTrPs im Bereich der Skapulastabilisatoren führt zu einerNormalisierung des MAM der betroffenen Schultermus-kulatur (▶Abb. 2.5). Bemerkenswerterweise wird durchdie Behandlung der latenten TrPs der Skapulastabilisato-ren nicht nur das Timing der Muskulatur der Skapula-stabilisatoren, sondern gleichzeitig auch das Timing desin der kinetischen Kette distal gelegenen M. infraspinatusnormalisiert (Gautschi 2007).

Inwieweit Störungen der motorischen Kontrolle direktdurch mTrPs induziert sind bzw. inwieweit sie indirektals Folge von Schmerzen (Hodges et al. 2011, Tucker et al.2009) – wobei mTrPs als Nozigeneratoren wirksam seinkönnen – oder infolge von Hartspannsträngen und/oderBindegewebsveränderungen (S.114) auftreten, wird ofterst im Verlauf der Therapie (Probebehandlung) ersicht-lich.

Merke

Myofasziale Triggerpunkte führen immer auch zu einerStörung der Motorik (Dejung 2009).

Muskelschwäche ohne primäre AtrophieMTrPs führen zu einer mehr oder weniger ausgeprägtenAbschwächung der betroffenen Muskeln. Die Muskel-schwäche ist primär von keiner Atrophie begleitet. DieAbschwächung ist reflektorisch und schmerzbedingt. Sieist im EMG nachweisbar: „Elektromyographische Unter-suchungen belegen, dass ein Muskel mit aktiven mTrPsschon bei Arbeitsbeginn müde ist, schnell weiter ermüdetund früher als gesunde Muskeln erschöpft ist“ (Travell u.Simons 2002, S. 23). In der Folge werden physiologischeBewegungsmuster gestört, Synergisten müssen kompen-satorisch die Funktion der durch primäre TrPs ge-schwächten Muskulatur übernehmen. Dies begünstigt dieBildung sekundärer mTrPs in den Synergisten.

Dieser Sachverhalt stellt die weitverbreitete Überzeu-gung infrage, Muskelschwäche und verminderte Belast-barkeit der Muskulatur seien mit vermehrtem Krafttrai-

Tab. 2.1 Triggerpunktinduzierte Koordinationsstörung. Durch-schnittlich benötigte Zeit für 50 schnelle Palmarflexions-/Dorsal-extensionsbewegungen der Hand (nach Ivanichev 2007)

Probanden ohne mTrPs (N = 20) 13,4 s (±1,69)

Probanden mit mTrPs in den Handflexoren(N = 20)

21,5 s (±2,4 s)

Probanden mit mTrPs in den Handextensoren(N = 20)

20,3 s (±1,8 s)

1 sec

0,5 mV

a

b

Abb. 2.4 Einfluss mTrPs auf die Koordination (nach Ivanichev2007). EMG-Protokoll bei schnellen Palmarflexions-/Dorsal-extensionsbewegungen (oben: EMG-Ableitung der Dorsal-extensoren; unten: EMG-Ableitung der Palmarflexoren).a Kontrolle: ohne mTrPs.b Proband mit mTrPs in den Dorsalextensoren.

Myofasziale Triggerpunkte

32

ning zu beheben. Denn ein Krafttraining, das begonnenwird, ohne zuvor die für die Abschwächung verantwort-lichen TrPs zu deaktivieren, belastet zusätzlich die syner-gistischen Muskeln. Dies begünstigt die Entstehung se-kundärer TrPs. Die ursprünglich von TrPs betroffene Mus-kulatur wird jedoch vom Training ausgenommen undweiter geschwächt (Mense 2014, Nijis et al. 2014, Travellu. Simons 2002). Anstelle des angestrebten Funktionstrai-nings der dysfunktionalen Muskelabschnitte erfolgt somitlediglich ein Kompensationstraining synergistischer Mus-kelpartien und Muskeln.

Klinik

KräftigungstherapieBei einer Schwäche des M. quadriceps beispielsweise istein Quadrizepstraining erst dann sinnvoll, wenn zuvor diedie Muskelschwäche induzierenden mTrPs, die häufig imVastus medialis und in der ischiokruralen Muskulatur lie-gen, therapiert wurden.

Bei einer Schwäche der Rückenmuskulatur sollten –bevor ein entsprechendes Aufbautraining aufgenommenwird – zuerst die möglicherweise für die Muskelschwächeverantwortlichen mTrPs behandelt werden, die häufigventral in der Bauchmuskulatur, im M. iliopsoas, im M.quadratus lumborum sowie dorsal im tiefen Erectortrunci (Mm. multifidi et rotatores) liegen.

Übertragene sensorische PhänomeneFortgeleiteter Schmerz (Referred Pain) ist die häufigsteArt eines übertragenen sensorischen Phänomens. AußerSchmerzen können mTrPs auch andere sensorische Phä-nomene wie erhöhte oder verminderte Druckempfind-lichkeit und Dysästhesien (Kribbeln, Schweregefühl¸ Wat-tegefühl oder das Empfinden, der Arm sei geschwollen)in ihr Referenzgebiet übertragen (Travell u. Simons 2002).

Übertragene motorische PhänomeneAls übertragene motorische Phänomene sind gelegentlichunwillkürlich-flimmerartige Muskelzuckungen in nichtvon TrPs betroffenen Muskeln zu beobachten.

Autonom-vegetative PhänomeneHäufig gehen von mTrPs autonom-vegetative Phänomeneaus. Sie können sich auf sehr vielfältige Art und Weise so-wohl im Bereich des Triggerpunkts selbst als auch im Be-reich des übertragenen Schmerzes bemerkbar machen.Sie werden als Reflexantworten des Sympathikus gedeu-tet (Dejung 2009).

Beispiele (in Anlehnung an Dejung 2009, Fischer u.Chang 1986, Gröbli 1997, Haddad et al. 2012 sowie Tra-vell u. Simons 2002, Zhang et al. 2009) sind:● blasse Hautfärbung als Folge einer lokalen Vasokon-striktion

Gru

ppe M. deltoideus (lateraler Anteil)

M. infraspinatus

M. trapezius pars descendens

Durchschnitt

ohne Fremdbelastung

Durchschnitt

Durchschnitt

Durchschnitt

Durchschnitt

M. serratus anterior

M. trapezius pars ascendens

Kontroll-gruppe

LTrP

LTrP nach Plazebo

LTrP nach Therapie

– 400 – 200 200Zeit (ms)

0 400 600 800 1000

Abb. 2.5 Einfluss mTrPs auf die Steuerung der Motorik (nach Lucas et al. 2004). EMG-Protokoll der Muskelaktivierungsmuster beiElevation mit latenten myofaszialen Triggerpunkten (LTrP) vs. ohne LTrP (Kontrollgruppe).

2.1 Klinik myofaszialer Triggerpunkte

33

● Erhöhung (Fischer u. Chang 1986, Simons 1988) bzw.Verminderung (Haddad et al. 2012) der Hauttempera-tur in unmittelbarer Nähe aktiver mTrPs

● Erhöhung oder Verminderung der Hauttemperatur imGebiet des übertragenen Schmerzes des mTrP

● erhöhte Schweißsekretion, sowohl lokal als auch in derReferred-Pain-Zone

● Veränderungen der Trophik im Bereich des übertrage-nen Schmerzes (beispielsweise sind die Entstehungeines Karpaltunnelsyndroms und die Bildung von Satel-liten-TrPs in diesem Zusammenhang zu verstehen)

● erhöhte Tränensekretion● pilomotorische Effekte (beispielsweise kann die Pro-vokation von mTrPs im M. trapezius transversa eine„Gänsehaut“ und eine Art Schauder entlang des Ober-arms auslösen)

● Übelkeit● Schwindel● Schlafstörungen● Tinnitus● chronische Schmerzen (die Sympathikusaktivität spielteine grundlegende Rolle bei der Entstehung und Auf-rechterhaltung chronischer Schmerzen)

Zusammenfassung

Klinik myofaszialer TriggerpunkteAktive mTrPs können eine Reihe unterschiedlicher Symp-tome verursachen. Das häufigste Leitsymptom ist derSchmerz; zumeist führen akute oder chronische Schmer-zen den Patienten zum Arzt und in die Physiotherapie.Aber auch Funktionsstörungen des Bewegungssystems(Bewegungseinschränkungen, Kraftlosigkeit, Koordinati-onsverlust) sowie Irritationen des vegetativen Nervensys-tems (Störungen der Vasomotorik, Schwitzen, Schlafstö-rungen) sind mögliche Folgen aktiver TrPs.

Die Summe aller durch aktive TrPs ausgelösten Symp-tome wird als myofasziales Syndrom bezeichnet (Kap.3.3).

2.1.2 Diagnostik myofaszialerTriggerpunkteZur Unterscheidung myofaszial verursachter Schmerzenund Funktionseinschränkungen von nicht muskulär ver-ursachten Störungen des neuromuskuloskelettalen Sys-tems sind eindeutig definierte, zuverlässige und klinischpraktikable Kriterien für aktive mTrPs notwendig.

Grundsätzlich weist das Auftreten jedes Symptoms, dasdurch Triggerpunkte induziert werden kann (Kap. 2.1.1),darauf hin, dass eventuell aktive mTrPs vorliegen. Die ge-samte Auflistung der klinischen Merkmale von mTrPs er-gibt somit die möglichen klinischen Diagnosekriterien fürmTrPs.

Es treten jedoch nicht alle klinischen Merkmale bei je-dem mTrP auf.

Klinische Diagnosekriterien

Spezifität und ValiditätKönnen die dem Patienten bekannten Beschwerdendurch Druck auf einen Punkt ausgelöst werden, handeltes sich definitionsgemäß um einen aktiven TrP. Das kli-nische Diagnosekriterium „Reproduktion der Symptome“ist somit spezifisch und 100% valide.

Andere klinische Merkmale wie beispielsweise „Bewe-gungseinschränkung“ oder „propriozeptive Störungen“sind weniger spezifisch und weniger valide: Sie sind nichtausschließlich durch mTrPs bedingt und kommen nichtbei jedem Triggerpunkt vor.

Das klinische Merkmal „Local Twitch Response“ istzwar zu 100% spezifisch, jedoch nicht valide, da manuellnicht von jedem mTrP aus die lokale Zuckungsreaktionausgelöst werden kann.

StandardZurzeit besteht (noch) kein allgemeingültiger Konsens,aufgrund welcher Kriterien ein mTrP klinisch zu definie-ren sei (Myburgh e al. 2008, Tough et al. 2006, Travell u.Simons 2002). Daher ist es unbedingt erforderlich, bei je-der wissenschaftlichen Untersuchung ausdrücklich dar-zulegen, welche Diagnosekriterien und welche Unter-suchungsverfahren zur Diagnostik von TrPs benutzt wur-den.

Haupt- und NebenkriterienIm klinischen Alltag ist es zweckmäßig und hilfreich,Hauptkriterien zu unterscheiden, die zur Diagnose einesaktiven mTrP bei jedem mTrP erfüllt sein sollten. Dieseessenziellen Kriterien (Muss-Kriterien) sollen spezifischund valide, im Praxisalltag einfach handhabbar und zu-verlässig (reliabel) sein. Ergänzende Kriterien (S.34) be-stätigen die Diagnose, sie sind aber nicht zwingend bei je-dem aktiven mTrP anzutreffen .

Klinische Diagnosekriterien aktiver myofaszialer Trig-gerpunkte (nach Travell u. Simons 2002)1. Hauptdiagnosekriterien

(1) Hartspannstrang (Taut Band)(2) maximale Druckempfindlichkeit (Spot Tenderness)im Hartspannstrang(3) Reproduktion der Symptome (Pain Recognition)durch mechanische Stimulation (Druck, Zug oderNadelung)

2. Ergänzende Diagnosekriterienausstrahlende Schmerzen (Referred Pain) oder andereübertragene Phänomene (sensorisch, motorisch, auto-nom)

Myofasziale Triggerpunkte

34

Knötchen (Nodule): Gewebsverdichtung bzw. lokale,ödematöse Verquellung innerhalb des Hartspann-strangslokale Zuckungsreaktion (Local Twitch Response)Reproduktion der Symptome durch MuskeldehnungReproduktion der Symptome durch MuskelkontraktionMuskelschwäche ohne Atrophiepropriozeptive Störungen mit Beeinträchtigung derKoordinationautonom-vegetative Phänomene

HauptdiagnosekriterienUnter Berücksichtigung der Ausführungen betreffendSpezifität, Validität (S.34) und Reliabilität (S.36) sowie inÜbereinstimmung mit Travell und Simons (2002) bewäh-ren sich in der Praxis 3 Hauptkriterien zur palpatorischenDiagnostik aktiver mTrPs:● Hartspannstrang (Taut Band): Man palpiert (S.127)quer zum Faserverlauf des Muskels, in dem man einenaktiven mTrP vermutet, und sucht kontrakte Muskelfa-serbündel (▶Abb. 4.10 bis ▶Abb. 4.12). Die palpatori-sche Differenzierung zwischen einem echten Hart-spannstrang und einem Muskelfaserbündel, das physio-logischerweise hart ist (z. B. M. longissimus thoracis),ist bisweilen schwierig. Bei sehr tief liegenden Muskeln(z. B. Mm. rotatores und multifidi des lumbalen M.erector trunci) oder bei adipösen Patienten kann dasIdentifizieren des Hartspannstrangs problematisch(bzw. nicht möglich) sein.

● Maximale Druckempfindlichkeit (Spot Tenderness):Im Verlauf des Hartspannstrangs wird die maximaldruckschmerzhafte Stelle ermittelt. Die Druckschmerz-haftigkeit kann allenfalls mit einem Dolorimeter ge-messen und objektiviert werden. Verschiedene Studienzeigen eine gute Reliabilität und Validität der Dolorime-trie zur Triggerpunktbestimmung (Fischer 1987, Bockeret al. 1995, Hong u. Simons 1998).

● Reproduktion der Symptome (Pain Recognition): Kön-nen an der maximal druckschmerzhaften Stelle durchmechanische Provokation (Fingerdruck oder Nadelung)die Beschwerden (Schmerzen, Dysästhesien) ausgelöstwerden, die der Patient aus seinem Alltag kennt, gilt dieDiagnose eines aktiven mTrP als gesichert. DieSchmerzreproduktion kann unvollständig sein, wennandere aktive mTrPs am Schmerzgeschehen mitbetei-ligt sind (S.213).

Merke

Ein aktiver mTrP ist eine lokal klar begrenzte Zone maxi-maler Druckempfindlichkeit in einem Hartspannstrang,von der aus die dem Patienten bekannten Schmerzen(lokal oder fortgeleitet) ausgelöst werden können.

Ergänzende KriterienAls bestätigende Kriterien können beobachtet werden:● Ausstrahlende Schmerzen oder andere übertragenePhänomene: Übertragene sensorische Phänomene wieausstrahlende Schmerzen (Referred Pain) und Dys-ästhesien sind sehr häufig. Übertragene motorischePhänomene kommen eher selten vor.

● Gewebeverdichtung, „Knötchen“: Lokale, ödematöseVerquellung oder Gewebsverdichtung innerhalb desHartspannstrangs; im chronischen Schmerzstadiumwerden die Triggerpunktareale bindegewebig umhüllt,diese Bindegewebsknötchen sind palpabel.

● Lokale Zuckungsreaktion (Local Twitch Response):Blitzartige Kontraktion des Hartspannstrangs, die sicht-oder palpierbar ist. Die lokale Zuckungsreaktion ist einspezifisches und eindeutiges klinisches Zeichen füreinen mTrP, sie kann aber nicht bei jedem mTrP pro-voziert werden. Mit dem palpierenden Finger kann einelokale Zuckungsreaktion eher selten ausgelöst werden.Wird ein mTrP mit einer Nadel direkt durchstochen(z. B. beim Dry Needling), ist die lokale Zuckungsreak-tion regelhaft auslösbar. Dies ist gleichzeitig von diag-nostischem (ein mTrP ist zweifelsfrei identifiziert) alsauch therapeutischem Wert (der mTrP wird durch diePerforation deaktiviert).Wie es zur Local Twitch Response kommt, ist nicht ge-klärt. Untersuchungen an Tieren haben gezeigt, dass dielokale Zuckungsreaktion ein Phänomen ist, das ohnekortikale Einflüsse auftritt (Hong u. Torigoe 1994).Hong und Torigoe (1994) postulieren, dass die lokaleZuckungsreaktion Ausdruck einer spinalen Reflexant-wort sei. Aufgrund der anatomischen Gegebenheitenkann dies nicht zutreffen: α-Motoneurone versorgennicht nur ein Muskelfaserbündel, sondern immer eini-ge, manchmal bis zu mehreren Hundert Muskelfasern,s. motorische Einheit (S.56) und ▶Abb. 2.20. Ein spina-ler Reflex (dessen efferenter Schenkel von α-Motoneu-ronen gebildet wird) kann daher keine lokale Zuckungeiner Muskelfaser bewirken; bei einem spinalen Reflexwürden alle zur motorischen Einheit zählenden (d. h.viele) Muskelfasern aktiviert werden. Mense (münd-liche Mitteilung 2015) vermutet, dass eine lokale Schä-digung der Muskelzellmembran zu einer erhöhtenIrritierbarkeit führen könnte, sodass bei mechanischerStimulation (Palpation, Nadelung) Aktionspotenzialeausgelöst würden, die dann die lokalen Zuckung desbetreffenden Muskelfaserbündels (Local Twitch Re-sponse) hervorrufen.Die Local Twitch Response ist vom Jump Sign zu unter-scheiden; das Jump Signe bezeichnet eine unwillkürli-che Ganzkörperzuckung, die auftreten kann, wenn un-vorbereitet durch die palpatorische Provokation starkeSchmerzen ausgelöst werden. Das Jump Signe ist un-spezifisch und kann (im Gegensatz zur Local Twitch Re-sponse) auch auftreten, wenn eine nichtmyofaszialeStruktur (Nerv, Gelenk, Ligament) provoziert wird.

2.1 Klinik myofaszialer Triggerpunkte

35

● Reproduktion der Symptome durch Muskeldehnung:Ist eine Bewegung endgradig schmerzhaft, deutet diesauf das potenzielle Vorhandensein aktiver mTrPs in derMuskelgruppe hin, die gedehnt wird. Die betreffendenMuskeln sollten in der Folge anhand der 3 Hauptkrite-rien auf die Existenz von aktiven mTrPs hin gründlichuntersucht werden.

Merke

Endgradig schmerzhafte Bewegungseinschränkungenweisen auf das Vorhandensein von mTrPs in der gedehn-ten Muskelgruppe hin.

● Reproduktion der Symptome durch Muskelkontrak-tion: Lassen sich die bekannten Schmerzen provozie-ren, wenn man eine Muskelgruppe isometrisch gegenWiderstand arbeiten lässt, ist diese anhand der 3Hauptdiagnosekriterien auf das Vorhandensein von ak-tiven mTrPs hin zu überprüfen.

● Muskelschwäche ohne primäre Atrophie: VerminderteKraft und rasche Ermüdbarkeit sind häufig durch aktivemTrPs bedingt (Travell u. Simons 2002).

● Propriozeptive Störungen: Geschicklichkeitsverlustbeim Greifen, Gangunsicherheit oder wiederholtes Su-pinationstrauma im Sprunggelenk sind z. B. Hinweiseauf eine möglicherweise triggerpunktinduzierte Koor-dinationsbeeinträchtigung (▶Tab. 2.1). Die infragekommenden Muskeln sollen anhand der 3 Hauptdiag-nosekriterien einer spezifischen Untersuchung unterzo-gen werden.

● Autonome vegetative Phänomene: In der Anamnesefassbare oder im Verlauf der manuellen Behandlungauftretende autonome Phänomene wie Schwitzen,Schwindel, Rötung oder Blasswerden sind vielfachdurch mTrPs verursacht. Zur eindeutigen Diagnose istdie Identifikation der 3 Hauptdiagnosekriterien not-wendig.

Die genannten klinischen Diagnosekriterien (S.34) geltenfür aktive mTrPs. Latente mTrPs unterscheiden sich vonaktiven mTrPs lediglich durch das Fehlen des Hauptkrite-riums „Reproduktion der Symptome“, alle anderen Krite-rien können auch bei latenten mTrPs auftreten.

Können anhand der klinischen Diagnosekriterien(S.34) aktive mTrPs eruiert werden und verläuft die Pro-bebehandlung erfolgreich, sind die vom Patienten be-schriebenen Beschwerden myofaszial verursacht (myofas-ziales Schmerzsyndrom). Werden keine aktiven mTrPsgefunden, liegt eine andere Schmerzursache vor (mehrzur Diagnostik myofaszialer Schmerzen 4).

Reliabilität

Intertester-ReliabilitätDie manuelle Palpation ist die einfachste und am häufigs-ten verwendete Methode zur Identifizierung von mTrPs.Die Reliabilität der Triggerpunktpalpation wurde in ver-schiedenen Studien untersucht. Es zeigte sich, dass die In-tertester-Reliabilität der Identifikation von mTrPs sehrstark variiert, und zwar in Abhängigkeit von Wissen undÜbung der Untersucher. So sind die κ-Werte (Der κ-Wertist ein statistisches Maß für die Übereinstimmung einesUntersuchers bei wiederholten Tests und zwischen ver-schiedenen Untersuchern nach Korrektur der Zufalls-wahrscheinlichkeit [Patjin 2002].) je nach Studie sehr un-terschiedlich und reichen von einer schlechten Repro-duzierbarkeit (κ = 0,35) bei nicht geschulten und/oder un-geübten Untersuchern (Lucas et al. 2009, Nice et al. 1992,Wolfe et al. 1992) über eine moderate (Hsieh et al. 2000,Nijoo et al. 1994) bis zu einer ausgezeichneten Repro-duzierbarkeit (κ > 0,8) bei spezifisch geschulten und pal-patorisch versierten Untersuchern (Bron et al. 2007, Ger-win et al. 1997, Licht et al. 2007, Myburg et al. 2011,Sciotti et al. 2001).

In der von Gerwin et al. (1997) publizierten Studiestimmten verschiedene Untersucher zwischen 85 und95% hinsichtlich der Beurteilung der klinischen Diagno-sekriterien „Hartspannstrang“, „maximale Druckemp-findlichkeit“ und „Reproduktion der Symptome“ überein(▶Abb. 2.6). Andere Diagnosekriterien wie beispielsweise„lokale Zuckungsreaktion“ ergaben eine etwas wenigerzuverlässige Übereinstimmung (▶Abb. 2.6). Licht et al.(2007) konnten die außerordentlich hohe Intertester-Re-liabilität der mTrPs bestätigen und am Beispiel des M. tra-pezius pars descendens zeigten Sciotti et al. (2001) auf,dass die präzise Lokalisation eines mTrP innerhalb einesuntersuchten Muskels reliabel ist. Heute herrscht Einig-keit darüber, dass eine gute Intertester-Reliabilität nurmöglich ist, wenn 2 Bedingungen erfüllt sind (Bron et al.2007, Gerwin et al. 1997, Hsieh et al. 2000, Licht et al.2007, Myburgh et al. 2011, Sciotti et al. 2001, Timmer-mans 2006u. 2014):● Alle beteiligten Untersucher müssen spezifisch geschultsein und präzise wissen, auf welche konkret definiertenKriterien bei der Untersuchung zu achten ist.

● Alle beteiligten Untersucher müssen palpatorisch erfah-ren sein, d. h., das Diagnostizieren aktiver mTrPs musstrainiert worden sein.

Merke

Verschiedene Untersucher (z. B. Arzt und behandelnderPhysiotherapeut) können beim selben Patienten im sel-ben Muskel mit hoher Übereinstimmung und Verlässlich-keit mTrPs identifizieren, wenn sie adäquat geschult undpalpatorisch trainiert sind.

Myofasziale Triggerpunkte

36

Heitkamp et al. (2014) dokumentieren, dass geschulteund geübte Untersucher in der Lage waren, bei 27 Pro-banden (teilweise mit und zum Teil ohne Knieschmer-zen), die sie verblindet auf das Vorhandensein aktivermTrPs im M. vastus medialis obliquus auf beiden Seitenüberprüften, bei insgesamt 54 untersuchten Muskelnübereinstimmend die 5 positiven Befunde zu diagnosti-zieren, was einem Kappa-Wert von 1 (ausgezeichneteÜbereinstimmung) entspricht.

Bemerkenswert ist, dass die Intertester-Reliabilität ein-deutig am besten ausfällt für das durch Druck-Provokati-on gewonnenen Kriterium „Reproduktion der Symptome“(Gerwin et al. 1997 mit k =0,79–1; Heitkamp et al. 2014mit k = 1; Bianchi et al. 2015 mit k = -0,04–0,64), im Un-terschied zu den durch Palpation gewonnenen Kriterienwie „Hartspannstrang“ (Gerwin et al. 1997 mit k =0,4–0,46; Heitkamp et al. 2014 mit k =0,2; Bianchi et al. 2015mit nicht bestimmbarem k-Wert infolge zu hoher Präva-lenz) oder „maximale Druckempfindlichkeit“ (Gerwin etal. 1997 mit k = 0,48–1; Heitkamp et al. 2014 mit k = 0,57;Bianchi et al. 2015 mit k = 0,04–0,50). Es wäre wün-schenswert, in künftigen Studien zur Überprüfung derIntertester-Reliabilität würden diese bisherigen Erfahrun-gen berücksichtigt, vgl. dazu auch die Ausführungenunter dem Abschnitt „Erweiterte Gesichtspunkte zur kli-nischen Diagnostik myofaszialer Triggerpunkte“ (S.38).

Intratester-ReliabilitätEs liegt auf der Hand, dass bei einer nachgewiesenen ho-hen Intertester-Reliabilität auch die Intratester-Reliabili-tät (d. h. die Zuverlässigkeit der Diagnostik von mTrPs,wenn derselbe Untersucher in zeitlichem Abstand beimselben Patienten im selben Muskel TrPs identifizierenwill) gut ist. Untersuchungen von Al-Shenquiti et al.(2005) und Barbero et al. (2012) bestätigen diese Ver-mutung und weisen eine gute bis ausgezeichnete Test-Retest-Reliabilität auf.

Die klinischen Diagnosekriterien für mTrPs eignen sichfolglich auch dazu, die Wirksamkeit einer getroffenentherapeutischen Maßnahme zur Deaktivierung von akti-ven mTrPs zu überprüfen. Änderungen im Bereich derDiagnosekriterien, d. h. Veränderung● des Spannungszustands des Hartspannstrangs● der lokalen Druckschmerzhaftigkeit des mTrP● der Druckintensität, die erforderlich ist, Pain Recogni-tion (bzw. Referred Pain) auszulösen

sowie der ergänzenden Kriterien● Verbesserung der Beweglichkeit● Verbesserung der Kraft und Koordination

ermöglichen im Vergleich – vor der Therapie vs. nach derTherapie – die Beurteilung des Behandlungsverlaufs (s.Reassessment, Kap. 4.2.5).

STCM M. sternocleidomastoideusTRAP M. trapezius pars descendensINFRASP M. infraspinatusLATS M. latissimus dorsiEDC M. extensor digitorum communis

%

10080604020

0

STCM

TRAP

INFR

ASPLA

TSED

C

%

10080604020

0

STCM

TRAP

INFR

ASPLA

TSED

C

%

10080604020

0

STCM

TRAP

INFR

ASPLA

TSED

C

%

10080604020

0

STCM

TRAP

INFR

ASPLA

TSED

C

%

10080604020

0

STCM

TRAP

INFR

ASPLA

TSED

C

Taut Band Spot Tenderness

Intertester-Reliabilität

Referred Pain Local Twitch

Pain Recognition

Abb. 2.6 Intertester-Reliabilität. Die einzelnen klinischen Merkmale mTrPs zeigen in verschiedenen Muskeln bei der Prüfung durchverschiedene Untersucher eine unterschiedlich gute Übereinstimmung. Am zuverlässigsten sind die 3 Hauptdiagnosekriterien der mTrPs(Gerwin et al. 1997).

2.1 Klinik myofaszialer Triggerpunkte

37

Erweiterte Gesichtspunkte zur klinischenDiagnostik myofaszialer TriggerpunkteDie vorgängig erörterten klinischen Diagnosekriterienund deren Gliederung basieren auf Travell und Simons(1999, deutsche Übersetzung 2002) und der langjährigenUnterrichtstätigkeit als Instruktor für Triggerpunkt-The-rapie. In der Praxis bewähren sie sich weitgehend.

Nicht selten ist es jedoch kaum bzw. nicht möglich,Hartspannstränge zu identifizieren. Sei es, dass die Unter-scheidung zwischen einem physiologisch straffen Mus-kelstrang und einem Hartspannstrang nicht eindeutig zutreffen ist (z. B. M. longissimus thoracis, M. serratus ante-rior) oder dass der zu untersuchende Muskel in der Tiefeliegt und von anderen Muskeln (die ihrerseits manchmalverspannt sind) bzw. bei adipösen Patienten von Fett-gewebe überdeckt ist und es deshalb nicht gelingen kann,Hartspannstränge in der Tiefe zu differenzieren (M. su-praspinatus, M. serratus posterior superior, M. gluteusmedius und minimus, M. piriformis, Mm. gemellus supe-rior und inferior, Mm. obturatorius internus und exter-nus, M. popliteus, M. tibialis posterior, M. quadratus plan-tae, Mm. rotatores und multifidi des M. erector spinae,Mm. rectus capitis posterior major und minor etc.). Befin-det sich unter einem oberflächlich liegenden Muskel eineweiche Muskelschicht, ist es ebenfalls oft schwierig, Hart-spannstränge in der oberflächlich liegenden Muskulaturzu identifizieren, da ein Widerlager fehlt (z. B. Mm. abdo-minales, M. gluteus maximus). In allen diesen Fällen kannsomit ein Hauptkriterium zur Diagnostik aktiver mTrPsoft nicht zuverlässig erfüllt werden; dies ist unbefriedi-gend.

Die klinische Diagnostik hat die Aufgabe zu klären,● ob Triggerpunkte oder keine Triggerpunkte vorliegen;● ob es sich um aktive oder latente TrPs handelt (latenteTrPs können alle Kriterien mit Ausnahme des Muss-Kri-teriums „Reproduktion der Symptome“ aufweisen);

● welcher Struktur der TrP zuzuordnen ist (myofaszialer,tendinöser, ligamentärer, periostaler TrP).

Wünschbar ist, eine Gliederung der Diagnosekriterien zufinden, die dem tatsächlichen Vorgehen in der Praxis ent-spricht und den Prozess der Identifikation aktiver mTrPsoptimal unterstützt. Aus der therapeutischen und didak-tischen Praxis heraus scheint es heute sinnvoll zu sein,die bisherige Gliederung (S.34) zu überprüfen und zudiskutieren, inwieweit – abgestützt auf eine phänomeno-logische Sichtweise – eine neue Gliederung der kli-nischen Diagnosekriterien zur Identifikation aktivermTrPs (▶ Tab. 2.2) hilfreich sein kann. Es ist darauf hin-zuweisen, dass im Praxisalltag Anamnese und Funktions-untersuchung (Übersichtsuntersuchung) vor der palpato-rischen Untersuchung (Detailuntersuchung) stehen (Kap.4.2).

Muss-Kriterium● Reproduktion der Symptome (Pain Recognition):Unter phänomenologischem Gesichtspunkt gibt es zurIdentifikation eines aktiven Triggerpunkts nur ein Kri-terium, das erfüllt sein muss: Die dem Klienten bekann-ten Symptome (d. h. meistens Schmerzen) müssendurch mechanische Provokation des Triggerpunkts(d. h. durch Druck, Zug bzw. Nadelung) reproduziertwerden können.

Ist dieses Kriterium erfüllt, liegt unzweifelhaft ein aktiverTriggerpunkt vor; es ist jedoch noch offen, in welcherStruktur der Triggerpunkt liegt und ob es sich damit umeinen myofaszialen, ligamentären, tendinösen oder pe-riostalen etc. Triggerpunkt handelt. Liegt der identifizier-te aktive Triggerpunkt in einem Hartspannstrang bzw.lässt sich eine lokale Zuckungsreaktion auslösen oderliegt er bei aktiver Kontraktion des Muskels eindeutig imsich kontrahierenden Substrat, handelt es sich um einenmyofaszialen TrP; liegt der provozierte aktive TrP in derTiefe des Gewebes, kann diese strukturspezifische Zuord-nung manchmal nicht eindeutig geschehen.

Tab. 2.2 Klinische Diagnosekriterien aktiver myofaszialer Triggerpunkte (neue Gliederung)

Muss-Kriterium Reproduktion der Symptome (Pain Recognition) durch mecha-nische Stimulation (Druck, Zug oder Nadelung)

Leit-Kriterien ● Hartspannstrang (Taut Band)● maximale Druckempfindlichkeit (Spot Tenderness) im Hart-spannstrang

● Knötchen (Nodule): Gewebsverdichtung bzw. lokale, ödematöseVerquellung innerhalb des Hartspannstrangs

bestätigende Kriterien ● ausstrahlende Schmerzen (Referred Pain) oder andere über-tragene Phänomene (sensorisch, motorisch, autonom)

● lokale Zuckungsreaktion (Local Twitch Response)

ergänzende bzw. hinweisende Kriterien ● Reproduktion der Symptome durch Muskeldehnung● Reproduktion der Symptome durch Muskelkontraktion● Muskelschwäche ohne Atrophie● Koordinationsstörungen/Störungen der Bewegungskontrolle● autonom-vegetative Phänomene

Myofasziale Triggerpunkte

38

Leit-KriterienWährend der palpatorischen Diagnostik lässt sich der Un-tersucher primär von drei Kriterien leiten:● Hartspannstrang (Taut Band): Der Therapeut sucht alsErstes –wenn von den anatomischen Gegebenheitenher möglich – verspannte Muskelfaserbündel (Palpationquer zum Faserverlauf); liegt die Stelle, von welcher ausdie Symptome des Klienten reproduziert werden kön-nen, in einem tastbaren Hartspannstrang, ist die struk-turspezifische Zuordnung möglich: Es handelt sich umeinen myofaszialen TrP.

● lokal begrenzte maximale Druckempfindlichkeit(Spot Tenderness) im Hartspannstrang: Zweitens iden-tifiziert der Therapeut im Hartspannstrang (Palpationentlang der Faserrichtung) die Stelle, welche – lokal be-grenzt –maximal druckempfindlich ist; falls die mecha-nische Provokation (Druck, Nadelung) dieses „HotSpots“ zur Reproduktion der dem Patienten bekanntenSymptome führt, ist ein aktiver TrP identifiziert (an-sonsten ein latenter TrP); gleichzeitig ermöglicht diesesKriterium eine Abgrenzung zum räumlich nicht klar be-grenzten „Tender Point“, wie er im Zusammenhang desFibromyalgie-Syndroms in Erscheinung tritt (Kap.4.3.5).

● Knötchen (Nodule): Der Untersucher findet v. a. beichronischen myofaszialen Problemen in der Regel knöt-chenartige Gewebsverdichtungen (lokale, bindegewebi-ge bzw. ödematöse Verquellungen) innerhalb des Hart-spannstrangs (Palpation entlang der Faserrichtung); diemechanische Provokation (Druck, Nadelung) dieser ver-dickten, kompakten Stellen führt oft zur Reproduktionder Symptome und damit zur Identifikation eines akti-ven mTrP. Bei diesen tastbaren „Knötchen“ handelt essich um Triggerpunktkomplexe (S.78), die früher als„Myogelosen“ (S.705) bezeichnet wurden.

Die drei Leit-Kriterien weisen den direktesten und zuver-lässigsten Weg zur klinischen Identifikation aktivermTrPs. Sie leiten den Therapeuten bei der palpatorischenDiagnostik und führen ihn am schnellsten zur Stelle, diedas Muss-Kriterium „Reproduktion der Symptome“ er-füllt.

Bestätigende Kriterien● Ausstrahlende Schmerzen (Referred Pain) oder andereübertragene Phänomene (sensorisch, motorisch, auto-nom): Strahlen Schmerzen (oder andere Symptome)aus, liegt immer ein Triggerpunkt vor. Es gibt jedochauch aktive mTrPs, die keine ausstrahlenden Schmerzenauslösen und ausschließlich lokal schmerzhaft sind;häufig z. B. im M. deltoideus oder in den Mm. rotatoresund multifidi des M. erector spinae;○ ist gleichzeitig das Muss-Kriterium „Reproduktionder Symptome“ erfüllt, handelt es sich um einen akti-ven TrP (sonst um einen latenten TrP);

○ befindet sich der TrP gleichzeitig in einem Hartspann-strang bzw. tritt eine lokale Zuckungsreaktion auf, istdie strukturspezifische Zuordnung als myofaszialerTrP möglich.

● Lokale Zuckungsreaktion (Local Twitch Response):Zeigt sich eine unwillkürliche Zuckungsreaktion derMuskelfaser, liegt sicher ein TrP vor und die struktur-spezifische Identifikation als myofaszialer TrP ist ein-deutig;○ ist gleichzeitig das Muss-Kriterium „Reproduktionder Symptome“ erfüllt, handelt es sich um einen akti-ven mTrP (sonst um einen latenten mTrP).

Ergänzende bzw. hinweisende KriterienEine Reihe weiterer diagnostischer Kriterien kann auf dieExistenz aktiver mTrPs hinweisen. Sie alle sind jedoch un-spezifisch (sowohl bezüglich der Kategorien TrP/nicht TrPund latenter/aktiver TrP als auch bezüglich der Struktur:myofaszial/tendinös etc.) und haben – falls Muss-, Leit-bzw. bestätigende Kriterien vorliegen – bekräftigendenAussagewert (S.35); im Clinical-Reasoning-Prozess wei-sen diese ergänzenden Kriterien im Rahmen der Über-sichtsuntersuchung (S.124) in der Regel darauf hin, womit der palpatorischen Diagnostik (Detailuntersuchung)gezielt nach mTrPs gesucht werden soll:● Reproduktion der Symptome durch Muskeldehnung,● Reproduktion der Symptome durch Muskelkontraktion,● Muskelschwäche ohne Atrophie,● Koordinationsstörungen/Störungen der Bewegungskon-trolle,

● autonom-vegetative Phänomene.

Die vorgestellte neue Gliederung der klinischen Diagno-sekriterien erleichtert und präzisiert die palpatorischeDiagnostik mTrPs.

Zur klinischen Diagnostik eines● aktiven Triggerpunktes muss ausschließlich das Kriteri-um „Reproduktion der Symptome“ erfüllt sein;

● aktiven myofaszialen Triggerpunktes muss zusätzlichzum Kriterium „Reproduktion der Symptome“ das Kri-terium „Hartspannstrang“ oder „lokale Zuckungsreak-tion“ erfüllt sein;

● eines latenten myofaszialen Triggerpunktes○ darf das Kriterium „Reproduktion der Symptome“nicht erfüllt sein;

○ muss das Kriterium „Hartspannstrang“ und/oder„lokale Zuckungsreaktion“ erfüllt sein;

○ muss zusätzlich mindestens eines der Kriterien „lokalbegrenzte maximale Druckempfindlichkeit“,„Knötchen“ oder „Referred Pain“ erfüllt sein.

Die vorgeschlagene neue Gliederung der klinischen Diag-nosekriterien berücksichtigt Ergebnisse neuester Unter-suchungen zur Intertester-Reliabilität mTrPs (Bianchi etal. 2015, Heitkamp et al. 2014) und könnte hilfreich sein,Klarheit zu finden in der bisher oft unübersichtlichen kli-

2.1 Klinik myofaszialer Triggerpunkte

39

nischen Diagnostik mTrPs. Aufgrund einer klaren Hierar-chie der klinischen Diagnosekriterien ermöglicht sie,bestmögliche praxisrelevante Resultate zu gewinnen –

sowohl im klinischen Alltag als auch in künftigen wissen-schaftlichen Studien. Denn: Das Muss-Kriterium „Repro-duktion der Symptome“weist die weitaus höchsten Inter-tester-Reliabilitätswerte auf, sowohl in älteren Studien(Gerwin et al. 1997 mit κ = 0,79–1) als auch in neuestenUntersuchungen (Heitkamp et al. 2014 mit κ = 1; Bianchiet al. 2015 mit κ =–0,04–0,64). Dies in deutlichemKontrast zu Kriterien wie „Hartspannstrang“ (Gerwinet al. 1997 mit κ =0,4–0,46; Heitkamp et al. 2014mit κ = 0,2 [Prevalence-and-bias-adjusted-Kappa-WertPABAK=0,58]; Bianchi et al. 2015 mit nicht bestimm-barem κ-Wert aufgrund zu hoher Prävalenz) oder „maxi-male Druckempfindlichkeit“ (Gerwin et al. 1997 mitκ = 0,48–1; Heitkamp et al. 2014 mit κ = 0,57 [PA-BAK=0,70]; Bianchi et al. 2015 mit κ = -0,04–0,50).

In der klinischen Diagnostik mTrPs zeigt sich somitdasselbe Phänomen wie in der klinischen Diagnostik an-derer manualtherapeutischer Verfahren: Die Diagnostik

durch palpatorische Schmerz-Provokationsmanöver istder palpatorischen Diagnostik (ohne Schmerzprovokati-on) überlegen (betr. gelenkspezifischer manualtherapeu-tischer Diagnostik vgl. Conradi u. Smolenski 2005, Hest-boek u. Leboeuf-Yde 2000, Stochkendahl et al. 2007, vander Wurff et al. 2000; betr. neuraler/neurodynamischerMechanosensitivität vgl. Schmid et al. 2009); vgl. auchPalpation und manuelle Provokation der neuralen Struk-tur (S.238). Die Diagnostik mTrPs sollte sich folglich pri-mär auf Kriterien abstützen, die durch die palpatorischeProvokation von Schmerzen gewonnen werden (Repro-duktion der Symptome, Referred Pain); durch Palpation(ohne Schmerzprovokation) gewonnene Kriterien (Hart-spannstrang, Knötchen) haben ergänzenden und bestäti-genden Charakter.

Zur terminologischen Klärung und Differenzierungkönnen die Begriffe aktiver bzw. latenter Triggerpunktsowie myofaszialer bzw. nichtmyofaszialer Triggerpunktin Form einer Wortfeldanalyse mit den sie konstituieren-den klinischen Merkmalen dargestellt werden(▶Tab. 2.3).

Tab. 2.3 Wortfeldanalyse

Triggerpunkt aktiver Triggerpunkt(betr. Schmerz)

aktiv latent myofaszial nichtmyofaszial(ligamentär,periostal etc.)

klinisches Merkmal Schmerz Dysfunktion Schmerz Dysfunktion

Reproduktion derSymptome

immer manchmal(Schwäche)

nie nie möglich möglich

Hartspannstrang möglich möglich möglich möglich immer nie

maximale Druckempfind-lichkeit

immer immer immer immer immer immer

Knötchen im Hartspann-strang

manchmal manchmal manchmal manchmal manchmal nie

ausstrahlende Schmerzen oft möglich oft möglich oft oft

lokale Zuckungsreaktion

● bei manueller Provo-kation

selten selten selten selten selten nie

● beim Dry Needling oft oft oft oft oft nie

Reproduktion derSymptome

● durch Muskeldehnung oft möglich nie nie oft möglich

● durch Muskelkontraktion oft möglich nie nie oft möglich

Muskelschwäche ohneAtrophie

möglich oft nie nie möglich möglich

Koordinationsstörungen möglich oft nie nie möglich möglich

autonom-vegetativeSymptome

möglich gelegentlich nie nie möglich möglich

Myofasziale Triggerpunkte

40

2.2 Pathophysiologie2.2.1 Medizinische Untersuchungs-methodenBildgebende VerfahrenBildgebende Verfahren wie Röntgen, routinemäßigdurchgeführter Ultraschall, CT oder MRT können mTrPsnicht sichtbar machen.

Mit speziellen Ultraschallgeräten und Methoden derVibrations-Sonoelastografie ist es jedoch seit einiger Zeitmöglich, sowohl Hartspannstränge (Shankar u. Reddy2011, Shankar u. Cummings 2013) als auch Gewebever-änderungen im Bereich mTrPs (Ballyns et al. 2011, Sikdaret al. 2008, Sikdar et al. 2009, Turo et al. 2013) darzustel-len. Dabei werden mTrPs bzw. Triggerpunktkomplexe alsfokale, elliptisch konfigurierte und hyperechogene Regi-onen mit einer Fläche von 11–16mm2 Größe beschrieben(Sikdar et al. 2008, Sikdar et al. 2009).

Labortechnische VerfahrenLabortechnische Untersuchungen, wie sie routinemäßigeingesetzt werden, geben keine Hinweise, ob mTrPs vor-liegen oder nicht.

ElektromyografieSolange ein Muskel nicht aktiv ist, bleibt das Oberflä-chen-EMG stumm – auch über mTrPs. Wird eine Nadel-EMG-Elektrode jedoch in die Tiefe des Muskelgewebesvorgeschoben, kann aus dem Zentrum des mTrP einedeutlich veränderte Form der elektrischen Entladung ab-geleitet werden. Bereits 1957haben Weeks und Travellerstmals über eine für mTrPs spezifische EMG-Aktivitätberichtet (Weeks u. Travell 1957). Seither sind mTrPs wie-derholt elektrodiagnostisch untersucht worden (Hubbardu. Berkoff 1993, Hong u. Torigoe 1994, Mc Nulty 1994).Alle Untersuchungen zeigen: Sowohl von latenten alsauch von aktiven mTrPs lässt sich ein hochfrequentes Po-tenzial mit kleiner Amplitude ableiten, das sich deutlichvon der EMG-Ableitung aus gesundem Muskelgewebeunterscheidet (▶Abb. 2.7).

Die gemessene EMG-Aktivität bei aktiven mTrPs(▶Abb. 2.7) ist im Durchschnitt deutlich stärker als diebei latenten mTrPs (▶Abb. 2.8).

Dieses für mTrPs typische EMG-Signal wird kontroversinterpretiert. Hubbard und Berkoff (1993) stellten die Hy-pothese auf, das Signal komme von sympathikusinduzier-ten Kontraktionen in intrafusalen Muskelfasern und seidamit Ausdruck einer Fehlfunktion einer Muskelspindel(Muskelspindelhypothese). Heute favorisieren viele Auto-ren jedoch die Hypothese, dass das Signal aus Miniatur-Endplattenpotenzialen besteht, die in außergewöhnlichhoher Frequenz und Amplitude im Zentrum der mTrPsauftreten (Simons et al. 1995). Sie deuten das veränderte

EMG-Signal somit als Zeichen einer gestörten motori-schen Endplatte (Endplattentheorie von Simons).

Merke

Das EMG-Signal ist bei mTrPs charakteristisch verändert.

S2

S1

μv

msec

200

0 50 100 150 200

S2

S1

μv

msec

200

0 50 100 150 200

μv

msec

S1 S1

S2 S220

00 50 100 150 200

μv

msec

20

00 50 100 150 200

Abb. 2.7 Spontane EMG-Aktivität, abgeleitet aus einem aktivenTriggerpunkt im M. trapezius descendens (S 1) und aus einervon diesem 1 cm entfernten, nicht empfindlichen Stelle desgleichen Muskels (S 2) bei 4 Patienten (nach Hubbard u. Berkoff1993).

S1

S2

μv

20

0100 msec

S1

S2

μv

20

0100 msec

Abb. 2.8 Spontane EMG-Aktivität, abgeleitet aus einem laten-ten Triggerpunkt im M. trapezius descendens (S 1) und aus einervon diesem 1 cm entfernten, nicht empfindlichen Stelle desgleichen Muskels (S 2) bei 2 Probanden (nach Hubbard u.Berkoff 1993).

2.2 Pathophysiologie

41

2.2.2 Histologische Unter-suchungenVoraussetzung für das Verständnis der Pathophysiologieder mTrPs ist, die physiologischen Verhältnisse zu ken-nen. Im Folgenden sind – soweit dies für das Verstehender Triggerpunktpathologie (und der Effekte der Trigger-punkt-Therapie, Kap. 5.2) relevant ist – Bau und Funktionder Skelettmuskulatur zusammengefasst. Anschließendwerden die histopathologischen Befunde (S.76) dermTrPs dargestellt und erörtert.

Physiologische Verhältnisse

Aufbau der SkelettmuskulaturEin Überblick über den Aufbau der quergestreiften Ske-lettmuskulatur (▶Abb. 2.9) zeigt:● Jeder Muskel ist von einer Muskelfaszie (Epimysium)umhüllt. Diese dichte Bindegewebsstruktur trennt denMuskel von den umliegenden Geweben – und verbindetihn gleichzeitig mit diesen.

● Der gesamte Muskel ist inMuskelfaserbündel (Faszikel)gegliedert („Fasern“ von gekochtem Rindfleisch), diebeim Erwachsenen aus ca. 250 einzelnen Muskelfasern

b

a

d

e

c

Myofibrillen

Sarkolemm

Perimysium

Epi-mysium

Blutkapillare

Endomysium

Muskel-faszie

ZellkernNerv mit

motorischenEndplatten

Sehne

Zell-kerne

Myofibrille

Satellitenzelle

Basalmembran

Zellkerne

Sarkolemm

Endomysium

Sekundärbündel

Primärbündel

zuführendes Blutgefäß

Myofibrille1µm

Perimysium

Epimysium

Muskelfaszie

Knochen

Sarkomer

Muskelfaser Muskelzelle

=

Muskelfaser Muskelzelle

=

Muskelfaser Muskelzelle

=

10–100 µm

Endomysiummit Blutkapillaren

Abb. 2.9 Aufbau eines Skelettmuskels.a Querschnitt eines Skelettmuskels.b Ausschnittvergrößerung aus a (Querschnitt).c Ausschnittvergrößerung aus a (Längsschnitt).d Aufbau einer Muskelfaser (=Muskelzelle).e Aufbau einer Myofibrille.

Myofasziale Triggerpunkte

42

(Muskelzellen) bestehen; die Muskelfaserbündel sindihrerseits von einer Bindegewebsschicht (Perimysium)umgeben.

● Die einzelneMuskelfaser (Muskelzelle) kann bis über20 cm lang sein (misst aber meist weniger als 10 cm),ist 20 – 100μm dick und wird von einer zarten Binde-gewebsschicht, dem Endomysium, umgeben.

● Die einzelne Muskelzelle besteht aus 1000 – 2000 Myo-fibrillen, die dank ihren Myofilamente (Myosin- undAktinfilamente) die Muskelzelle zur aktiven Kontrak-tion befähigen.

Merke

Muskelfasern und Muskelbindegewebe sind in der Ske-lettmuskulatur eng miteinander verbunden. Als myofas-ziale Einheit bilden sie eine Funktionsgemeinschaft.

Muskelbindegewebe

Auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen sind Binde-gewebsstrukturen integraler Bestandteil der Muskulatur.Das Muskelbindegewebe ist in Form von Bindegewebs-hüllen angelegt: Der Muskel als Ganzes, die Muskelfaser-bündel und jede einzelne Muskelfaser sind bindegewebigumgeben (▶Abb. 2.9). Diese faszialen Strukturen werdenauch als extrazelluläre Matrix (ECM) bezeichnet und um-fassen Endomysium, Perimysium und Epimysium; sie be-stehen aus scherengitterartig gekreuzt verlaufenden Kol-lagenfasern und elastischen Netzen, die der Muskulaturdie nötige Festigkeit und Elastizität geben. Wird der Mus-kel als funktionelle Einheit (S.704) verstanden, die Inser-tionsstelle mit Insertionsstelle verbindet (Muskelmodell

nach Hill, ▶Abb. 5.11), zählen auch Sehnen und flächigeFaszienstrukturen (wie die Fascia thoracolumbalis undder Tractus iliotibialis etc.), die der Kraftübertragung undEnergiespeicherung (S.69) dienen, zum erweiterten Mus-kelbindegewebe.

Aufbau des Bindegewebes

Vom Faszienbegriff ausgehend, wie er im Zusammenhangmit dem ersten Fascia Research Congress (Findley u.Schleip 2007, Huijing u. Langevin 2009) geprägt wurde,umfasst das Fasziengewebe alle kollagenhaltigen Faserge-webe, die am körperweiten Übertragungssystem fürZugspannung mitwirken (Schleip et al. 2014). Je nachDichte des Gewebes wird lockeres und straffes Faszienge-webe unterschieden, je nach Ausrichtung der Fasern ge-flechtartig gewobenes (d. h. mehrdirektionales) und pa-rallfaseriges (d. h. eindirektionales) Bindegewebe(▶Abb. 2.10).● Straffes Bindegewebe ist geeignet, viel Belastung zuübernehmen und besitzt wenig Rezeptoren.

● Lockeres Bindegewebe kann nur wenig Belastung über-nehmen; es besitzt viele Rezeptoren und dient der Pro-priozeption/Interozeption.

Die Ausprägung der unterschiedlichen Arten des Binde-gewebes (straff bzw. locker, parallele bzw. unregelmäßigeAusrichtung der Fasern) erfolgt vorwiegend durch denunterschiedlichen Gebrauch. Fasziengewebe beispielswei-se, das regelmäßig auf Zug beansprucht wird, entwickeltsich zu straffem, parallelfaserigem Bindegewebe (Sehne);bei multidirektionaler und weniger einseitiger Beanspru-chung zeigt sich eine geflechtartige Faszienarchitektur(Fascia thoracolumbalis). Perimysium, Epimysium und

Dichte

lock

erst

raff

oberflächlicheFaszie

viszeraleFaszie

viszerale Faszie

geflechtartig parallelfaserigAusrichtung

Faszieni. e. S.

Aponeurosen Ligamente Sehnen

viszerale Faszie

intramuskuläreFaszie

Abb. 2.10 Faszien. Differenzierungverschiedener Bindegewebstypenin Abhängigkeit der Dichte bzw.Ausrichtung der Kollagenfasern(nach Schleip et al. 2014).

2.2 Pathophysiologie

43

Sehnen besitzen hohe Anteile von straffem Bindegewebe,während das Endomysium vorwiegend aus lockerem Bin-degewebe besteht (▶Abb. 2.41b).

Bei aller Vielfalt, in welcher sich das Bindegewebe zeigt,ist der Grundaufbau einheitlich. Bindegewebe formiertsich aus zellulären und extrazellulären Bestandteilen (De-tails in van den Berg 2003).● Zelluläre Bestandteile: < 10%

○ ortsständige (fixe) Zellen– Bindegewebszellen i. e. S.: Fibroblasten(▶Abb. 2.11) und Fibrozyten, Chondroblasten undChondrozyten, Osteoblasten und Osteozyten

– andere ortsständige Zellen: Mastzellen, Fettzellen○ bewegliche (mobile) Zellen: Makrophagen, Leuko-zyten, Granulozyten, Agranulozyten (Lymphozyten,Monozyten)

● Extrazelluläre Bestandteile (extrazelluläreMatrix): > 90%○ Fasern (ca. ⅓)– Kollagene Fasern (▶Abb. 2.12a): viele Fasern– Elastische Fasern (▶Abb. 2.12b): einige FasernPathologische Veränderungen im Bereich der kollage-nen bzw. elastischen Fasern zeigen sich in Form vonFibrotisierung (Verfilzung).

○ Grundsubstanz (ca. ⅔)– Glykosaminoglykane und Proteoglykane bzw. Pro-teoglykanaggregate: Sie verbinden Zellen, kollageneund elastische Fasern und binden sich an Wasser

– Wasser (▶Abb. 2.13): Fasziengewebe besteht zu60–70% aus Wasser; im gesunden Körper befindensich über 50% des Wassers der Grundsubstanz ineinem gebundenen Zustand (Flüssigkristall), der an-dere Eigenschaften als flüssiges Wasser hat.

Pathologische Veränderung im Bereich der Grund-substanz zeigt sich in Form von Densifizierung(Verhärtung der Grundsubstanz).

Verbindungsproteine

Hyaluronsäureketten

endoplasmatisches Retikulum

Tropokollagenmolekül

Golgi-Apparat

kollagene Fasern

retikuläre Fasern(Kollagen Typ III)elastische Mikrofibrillen

Oxytalfasern

Elastinmoleküle

Elauninfasern

elastische Faser

Proteoglykane

zentrale Eiweißketten

Glykosaminglykane

Vernetzungsproteine

Abb. 2.11 Bindegewebszellen:Fibroblast und die extrazellulärenBestandteile, die er synthetisiert(van den Berg 2011).

Myofasziale Triggerpunkte

44

▶ Matrix. Fibrillen wie Kollagenfasern und elastische Fa-sern sowie amorphe Makromoleküle wie Glykosamino-und Proteoglykane bilden die bindegewebige Matrix, inwelche die Bindegewebszellen (Fibroblasten und Fibrozy-ten) eingebettet sind. Glykosamino- und Proteoglykanebinden sehr stark Wasser und gewährleisten einen opti-malen Druck im Gewebe. Zudem sorgen sie dafür, dasssich die Fibrillen der extrazellulären Matrix geordnet aus-richten (Mett 2015). Für die Matrixsynthese benötigen

die Bindegewebszellen verschiedene Stimuli, wobei durchBewegung vermittelte Zugkräfte entscheidend wichtigsind (Schleip et al. 2014). Kollagenfasern werden mecha-nisch durch kovalente Querverbindungen zwischen deneinzelnen Molekülen stabilisiert. Diese sog. Crosslinks(▶Abb. 2.12b) sind massgebend für die mechanische Be-lastbarkeit und Steifigkeit des Gewebes (Purslow u. Dela-ge 2014); zu unterscheiden sind physiologische und pa-thologische Crosslinks (S.78).

Kollagenfibrille

Kollagenmikrofibrille

Kollagenmikrofibrille

Kollagenmolekül Polypeptinkette

GlycinTripelhelix

Kolla

genf

aser

entspannen

straffenElastinmolekül

Crosslink

a

b

Abb. 2.12 Matrix des Bindegewebes (van den Berg 2011).a Kollagenfaser: Eine kollagene Faser besteht aus spiralig umeinander gedrehten Kollagenfibrillen und Mikrofibrilllen, mikroskopisch

aus Kollagenmolekülen.b Elastische Fasern: Verhalten des elastischen Netzwerks unter Spannung und bei Entspannung.

2.2 Pathophysiologie

45

▶ Fibroblasten. Als spezifische, ortsständige Zellen desBindegewebes produzieren Fibroblasten vorwiegend kol-lagene und elastische Fasern; zusätzlich bilden sie dieGlykosaminoglykane und Proteoglykane sowie die ver-schiedenen nichtkollagenen Proteine, die als Verbin-dungs- und Vernetzungsproteine für die Stabilität desBindegewebes sorgen (▶Abb. 2.11). Darüber hinaus sindFibroblasten in der Lage, zu phagozytieren und in gerin-gen Mengen Kollagenase freizusetzen (S.180). Kollagena-se ist ein Enzym, das die Molekularstruktur des Kollagensaufbrechen kann (van den Berg 2011). Das ist wichtig, da-mit alte kollagene Moleküle abgebaut und durch neue er-setzt werden können. Kollagenase kann die verschiede-nen stabilisierenden Verbindungen im Bindegewebe wieH-Brücken, Disulfidbrücken und kovalente Bindungenzwischen und innerhalb der kollagenen Moleküle auf-lösen (van den Berg 2011). Dieser Effekt kann möglicher-weise therapeutisch genutzt werden, s. Wirkung desDehnens (S.160) und biochemischer Aspekt (S.182).

▶ Myofibroblasten. Während der Wundheilung spielenFibroblasten ebenfalls eine zentrale Rolle, wobei denMyofibroblasten, die eine Sonderform der Fibroblastendarstellen, besondere Bedeutung zukommt (van den Berg2011). Myofibroblasten besitzen innerhalb der Zelle Ak-tinfilamente; sie sind deshalb in der Lage, sich zu kontra-hieren. Damit sind sie für die Stabilität des frisch wach-senden Bindegewebes verantwortlich; gleichzeitig kön-nen sie die Ränder einer Wunde zusammenziehen und

sie dadurch verkleinern bzw. schließen (Wundkontrakti-on). Nicht nur während Wundheilungsprozessen, son-dern auch bei entzündlichen Prozessen, z. B. bei rheuma-tischen Erkrankungen, aber auch im Verlauf einer myo-faszialen Störung (S.79), treten Myofibroblasten vermehrtauf und können aktiv werden (▶Abb. 2.39).

▶ Faserrichtung der Kollagenfasern. Die Faserrichtungder Kollagenfasern verläuft entlang der Kraftlinien dereinwirkenden Kräfte, da sich die Kollagenfibrillen in Rich-tung der größten Zugbelastung (Dehnung) orientieren.● mehrdirektionales Bindegewebe: Bei der oberflächli-chen Muskelfaszie treten die Kollagenfasern im Bereichdes Muskelbauchs oft längs und quer zum Faserverlaufdes Muskels in Erscheinung (z. B. M. gluteus maximus).Eine solch ausgeprägte scherengitterförmige Anord-nung weist darauf hin, dass die Faszie sowohl in Längs-richtung auf Zug als auch quer zum Verlauf der Muskel-faser (zum Zusammenhalten des Muskelbauchs) bean-sprucht wird.

● eindirektionales Bindegewebe: Die Faserrichtung derBindegewebes in der Zone des Muskel-Sehnen-Über-gangs ist vorwiegend längsorientiert und liegt damitparallel zum Verlauf der Muskelfasern; auch in denSehnen sind die Kollagenfasern vorwiegend parallel-eindirektional ausgerichtet.

Merke

● Unter dem Begriff „Faszien“ werden alle faserig-kolla-genen Bindegewebe zusammengefasst.

● Faszien bilden ein körperweit verbundenes Spannungs-netzwerk, Tensegrity-Modell (S.68).

● Das Muskelbindegewebe ist ein Teil dieses den gesam-ten Körper umfassenden Faszien-Netzwerkes.

Merkmale des Muskelbindegewebes

Die Merkmale und Funktionen des Bindegewebes sindvielfältig.

▶ Gleitschicht. Eine wichtige Aufgabe der Faszien ist, dieoptimale Verschieblichkeit der Muskelfasern und -schich-ten zueinander (d. h. intramuskulär) sowie die Verschieb-lichkeit zu benachbarten Muskeln und Muskelgruppen(d. h. intermuskulär) zu gewährleisten. Indem die faszia-len Schichten ein angemessenes intra- und intermuskulä-res Gleiten ermöglichen, setzen sie den Reibungswider-stand herab und verhindern damit einen unökonomi-schen Kraftverlust beim sich wiederholenden Wechselvon Kontraktions- und Lösungsphasen im Muskel (Schün-ke 2000).

kollageneFasern

Wasser-mantel

Wassermasse

Abb. 2.13 Wasser: Wassermantel um kollagene Fasern; Binde-gewebe besteht zum größten Teil aus Wasser.

Myofasziale Triggerpunkte

46

▶ Trennen – Verbinden. Die verschiedenen muskulärenBindegewebshüllen (Endo-, Peri- und Epimysium) unter-teilen die Muskelkompartimente und trennen die einzel-nen Muskeln voneinander (Gleitfunktion, Schutzfunk-tion) – gleichzeitig werden sie durch das Bindegewebeverbunden (Transport- und Kommunikationsfunktion,Kraftübertragung).

▶ Strukturelle Kontinuität – Kraftübertragung. Die fas-zialen Strukturen gewährleisten die strukturelle Kon-tinuität. Das intramuskuläre Bindegewebe geht nahtlosüber in die epimysalen Strukturen (Huijing 2014, Purslowu. Delage 2014) bzw. in die Sehnenanteile des Muskel-Sehnen-Kontinuums (Gillies u. Lieber 2012, Purslow u.Delage 2014). Die faszialen Strukturen ermöglichen damitdie Übertragung von Zugkräften; sie inserieren dabeinicht nur ossär (Muskelmodell nach Hill, ▶Abb. 5.11),sondern ein beträchtlicher Anteil der Kollagenfasernstrahlt ein in benachbarte Fasziengewebe (▶Abb. 5.43;Moccia et al. 2015, Schleip et al. 2014); die Kraft kanndergestalt an synergistische und auch antagonistischeMuskeln (Huijing 2003, Huijing 2014) übertragen wer-den. Das Muskelbindegewebe ist somit Teil des großenSpannungsübertragungssystems des gesamtkörperlichenFasziennetzwerks (▶Abb. 2.10).

▶ Rezeptororgan (S.59). Die Faszien haben eine wichtigeFunktion als Sinnesorgane (Propriozeption, Tiefensensibi-lität, Nozizeption).

▶ Transport- und Kommunikationsorgan. Als Blutgefä-ße und nervenführende Schichten übernimmt das Mus-kelbindegewebe gleichzeitig eine wichtige Versorgungs-funktion (Schünke 2000, van den Berg 2011). Das im Bin-degewebe gebundene Wasser hat eine bedeutende Auf-gabe als Informationsträger und Vermittler (van den Berg2011).

▶ Adaptationsfähigkeit. Die Kollagenfasern des Binde-gewebes passen sich funktionell und strukturell an Zug-belastungen an. Bindegewebe formt sich entsprechendden Zugbelastungsreizen, denen es ausgesetzt ist. Ändernsich die Belastungsreize, passen sich die faszialen Struk-turen der neuen Situation an.

▶ Plastizität der Faszien. Wird Bindegewebe über dieviskoelastische Grenze hinaus auf Zug belastet, verformtes sich plastisch (bevor es bei zu starker Belastungschließlich zerreißt). Auch nach anschließender Entlas-tung wird es nicht zu seiner ursprünglichen Form zurück-kehren, sondern eine Restdeformierung (S.179) aufwei-sen (▶Abb. 5.25).

▶ Faszienkontraktion. Es gibt Faszien mit kontraktilenElementen. In der Fascia cruris sind glatte Muskelzellendokumentiert (Staubesand et al. 1996) und die Autoren

vermuten, dass dank dieser faszialen Muskelzellen überdas autonome Nervensystem die Vorspannung der Mus-kelfaszien reguliert werden kann. Schleip et al. (2004)weisen nach, dass in der Fascia thoracolumbalis des Men-schen überdurchschnittlich viele Myofibroblasten liegen,die sich dank glatter Aktinmuskelfasern – in einer derglatten Muskulatur ähnlichen Weise – aktiv kontrahierenund lösen können.

▶ Energiespeicher. Die kollagenen Fasern des Bindege-webes können beim Bewegen als elastische Energiespei-cher (S.69) genutzt werden; sie ermöglichen damit eineökonomische Leistungsfähigkeit der Muskel-Faszien-Ein-heit (Katapult-Effekt).

Bindegewebsanteil eines Muskels

In der Fachliteratur existieren bis heute keine (!) Aus-sagen über den prozentualen Anteil, den die Bindege-websstrukturen am Querschnittvolumen des Gesamt-muskels beim Menschen ausmachen. Eine Messung gibtfür den M. vastus lateralis des Menschen 7,2 % an (Mackeyet al. 2004), wobei ausschließlich die äußere Faszienhülle(Epimysium) untersucht wurde und die peri- und endo-mysalen Anteile des Muskelbindegewebes nicht berück-sichtigt wurden. Nachgewiesen ist, dass tonische Muskelnsignifikant mehr intramuskuläres Bindegewebe aufwei-sen als phasische Muskeln. Untersuchungen an Rattenzeigten für die tonischen Muskeln (S.57) durchschnittlich84% mehr intramuskuläres Bindewebe als für die phasi-schen (Kovanen 1984). Somit kann geschätzt werden,dass – je nach Zusammensetzung eines Muskels mit mehrSlow-Twitch-Faseranteilen (tonische Muskeln) oder mehrFast-Twitch-Faseranteilen (phasische Muskeln) – ca. 12 –

20% des Querschnittvolumens der Skelettmuskulatur fas-ziale Strukturen sind (Schleip, mündliche Mitteilung2009). Purslow und Delage (2014) weisen darauf hin,dass Anteil und Aufbau des Muskelfasziengewebes in deneinzelnen Muskeln des Körpers unterschiedlich sind.

Einzel- und Gruppenfaszien, Septum intermusculare

Als Einzelfaszien werden Faszien bezeichnet, die Einzel-muskeln umschließen, während Gruppenfaszien häufigfunktionell einheitliche Muskelgruppen umgeben (z. B.ischiokrurale Muskulatur). Treffen zwei Gruppenfaszienzusammen, entsteht ein Septum intermusculare, das inder Tiefe am Knochen befestigt ist (▶Abb. 2.14). Muskel-faszien, Septa intermuscularia und angrenzende Knochenbilden dergestalt osteofibröse Kanäle, in denen Muskeln,Nerven und Gefäße liegen (Schünke 2000).

Epimysium

Direkt unter der äußersten Muskelfaszie liegt eine lockerekollagene Bindegewebsschicht, das Epimysium, das dieVerbindung zwischen Muskel und äußerer Muskelfasziedarstellt (▶Abb. 2.9a–b). In dieser Bindegewebsschicht

2.2 Pathophysiologie

47

verlaufen größere Blut- und Lymphgefäße sowie die Ner-venfasern (Schünke 2000).

Perimysium

Vom Epimysium gelangen Bindegewebssepten, die als Pe-rimysium externum bezeichnet werden, in die Tiefe desMuskels (▶Abb. 2.9a). Sie umschließen mehrere Milli-meter dicke Bündel von Muskelfasern (Sekundärbündel).Diese sind mit bloßem Auge noch gut erkennbar undwerden auch Fleischfasern genannt. Innerhalb des locke-ren kollagenen Bindegewebes des Perimysium externumverlaufen die Gefäße und Nerven mit ihren Aufzweigun-gen, die auf diesemWeg bis ins Innere des Muskels gelan-gen (Schünke 2000).

Durch bindegewebige Abspaltungen des Perimysiumexternum werden die Sekundärbündel eines Muskelsweiter in Primärbündel untergliedert. Diese vom Perimy-sium internum umgebenen Primärbündel (▶Abb. 2.9a)weisen eine mittlere Querschnittsfläche von ca. 1mm2

auf und enthalten beim Erwachsenen ca. 250 Muskelfa-sern (Muskelzellen).

Der Vergleich des Perimysiums in Querschnitten ver-schiedener Muskeln derselben Spezies zeigt, dass das Pe-rimysiumnetz in den einzelnen Muskeln Faszikel von sehrunterschiedlicher Größe und Form abgrenzt bzw. verbin-det (Purslow 2005). Auch in Bezug auf Stärke und Anord-nung des perimysalen Gewebes sind deutliche Unter-schiede zu erkennen. Sie sind vermutlich auf die unter-

schiedlichen mechanischen Aufgaben der verschiedenenMuskeln zurückzuführen und weisen darauf hin, dass dasPerimysium eine wichtige Rolle für die physiologischeFunktion der einzelnen Muskeln spielt (Purslow u. Delage2014).

Über die biomechanische Funktion des Perimysiumsbzw. seiner Bedeutung für den Dehnungswiderstandeines Muskels bei einer Längendehnung herrschen ver-schiedene Auffassungen. Gemäß Purslow und Delage(2014) zeigt das Perimysium seine hohe Zugfestigkeitund Widerstandsfähigkeit gegen Zugbelastung erst beiäußerst starken Dehnungen, die deutlich jenseits des nor-malen Bewegungsausmaßes des Menschen liegen; eswird vermutet, dass die Dehnungseigenschaften des Peri-mysiums denjenigen des Endomysiums entsprechen undinnerhalb der Faszikel entstehende Kräfte durch trans-laminare Scherung auf die angrenzenden Faszikel über-tragen würden (Purslow u. Delage 2014). Im Gegensatzdazu betonen Gillies und Lieber (2011) aufgrund neuererUntersuchungen die Bedeutung des Perimysiums für dieKraftübertragung bei Längendehnung und damit für denDehnungswiderstand eines Muskels (S.154).

Endomysium

Die einzelnen Muskelfasern werden von einer zartenBindegewebsstruktur, dem Endomysium, umhüllt(▶Abb. 2.9a–d), in der die Endaufzweigungen der Nervenmit ihren motorischen Endplatten sowie zahlreiche Ka-

M. rectus femoris

M. semimembranosus

M. semitendinosus

Septum intermuscularefemoris posterior

M. vastusmedialisM. vastus intermedius

Fascia lata

M. adductor magnus

M. gracilis

V. saphena magna

M. adductor brevis

M. sartorius

Septum intermuscularefemoris mediale

M. adductor longus

A. und V. femoralis

Femur

M. vastus lateralis

M. biceps femoris(Caput breve)

M. biceps femoris(Caput longum)

N. ischiadicus

Septum intermuscularefemoris laterale

Abb. 2.14 Muskelfaszien: Querschnitt durch den rechten Oberschenkel (Ansicht von distal). Die Septa intermuscularia sindhervorgehoben.

Myofasziale Triggerpunkte

48

pillaren (300 – 400 Kapillaranschnitte pro mm2) verlau-fen (Schünke 2000).

Das Endomysium bildet eine kontinuierliche dreidi-mensionale Matrix, die benachbarte Muskelfasern engdurch Scherkräfte miteinander verbindet, damit dieKraftübertragung innerhalb des Muskelfaszikels koor-diniert und so die Fasern im Gleichtakt hält. Das Endomy-sium ermöglicht die Kraftübertragung zwischen benach-barten Muskelfasern mittels Scherung, während es sichgleichzeitig innerhalb des Netzwerkes derart leicht ver-formen kann, dass die Längen- und Durchmesserände-rungen der Muskelfasern bei der Muskelkontraktion und-entspannung nicht behindert werden (Purslow 2002,Purslow u. Delage 2014).

Merke

Als Faszien werden heute (d. h. seit dem 1. Internationa-len Faszien-Forschungskongress in Boston 2007) nichtmehr nur die flächigen Oberflächenfaszien bezeichnet.Auch das intramuskuläre Bindegewebe, Gelenkkapselnund Bänder zählen heute zu den faszialen Geweben. Fas-zien bilden ein körperweites Spannungsnetzwerk mit un-zähligen Hüllschichten, Häuten, Taschen und Septen.

Muskelfasern

Die Muskelfasern (Muskelzellen) sind die kontraktilenElemente der myofaszialen Einheit. Sie befähigen denMuskel, sich zu kontrahieren (S.53). Muskelfasern sindwie folgt aufgebaut:

Muskelfaserzellen

Die Skelettmuskelzellen (▶Abb. 2.9d) gehören zu dengrößten Zellen des menschlichen Körpers. In der Regelhaben sie eine schlauchförmige Gestalt mit einem Durch-messer von durchschnittlich 60 μm (20 – 100μm) undeinem rundlichen bis ovalen Querschnitt. Die Länge dereinzelnen Zelle kann bis über 20 cm (!) betragen (Audetteet al. 2009), liegt aber in der Regel unter 10 cm. Aufgrundihrer Länge werden die einzelnen Muskelzellen auch alsFasern bzw. als Skelettmuskelfasern bezeichnet (Schünke2000).

Die einzelne Muskelfaserzelle ist eine multinukleareZelle, d. h., sie wird durch einen zusammengeschlossenenZellverband mit Tausenden von Zellkernen gebildet. Diezahlreichen Zellkerne (ca. 50 – 100 Kerne/mm Länge) lie-gen unmittelbar unterhalb der Zellmembran. Diese sehrhohe Kernzahl (bis zu 10 000 Kerne pro Zelle) entsteht inder Embryonalentwicklung, wenn die kettenförmig ange-ordneten Vorläuferzellen der Muskelzellen (Myoblasten)miteinander fusionieren und auf diese Weise ein Synzyti-um bilden (Schünke 2000). Die Skelettmuskelzellen be-stehen zu 80% aus kontraktilen Elementen, den Myofi-brillen.

Myofibrillen

Jede einzelne Skelettmuskelfaser enthält 1000 – 2000Myofibrillen (▶Abb. 2.9d–e). Die Myofibrillen sind diekontraktilen Einheiten der Muskelfasern. Sie sind durchdie Verschmelzung und Differenzierung von Myoblastenentstanden. Die Myofibrillen und ihre Untereinheiten, dieAktin- und Myosinfilamente, sind parallel zueinanderund in der Längsachse der Muskelzelle angeordnet unddurch quer verlaufende Trennwände, die aus einer plat-tenartigen Proteinstruktur bestehen und als Z-Scheibenbezeichnet werden, in zahlreiche, etwa 1,5 – 2,5 μm langeEinheiten (Sarkomere) gegliedert.

Sarkomere

Die Sarkomere (▶Abb. 2.9e und ▶Abb. 2.15) setzen sichaus über 1500 dicken Myosin- und ca. 3 000 dünnerenAktinfilamenten zusammen. Die dünneren Aktinfilamen-te (Durchmesser ca. 6 nm) sind innerhalb eines Sarkomersseitlich an den Z-Scheiben verankert und ragen damit jezur Hälfte in zwei benachbarte Sarkomere hinein, wäh-rend die dickeren Myosinfilamente (Durchmesser ca.10nm) in der Mitte der Sarkomere liegen und von denAktinfilamenten beidseits überlappt werden(▶Abb. 2.15a).

Bei Betrachtung unter dem Licht- oder Elektronen-mikroskop lassen sich abwechselnd helle und dunkleStreifen und Bänder erkennen – daher die Bezeichnungquergestreifte Muskulatur. Diese charakteristische Quer-streifung der Skelettmuskulatur entsteht durch die re-gelmäßige Anordnung der Myofibrillen und ihrer Unter-einheiten (Aktin- und Myosinfilamente) innerhalb dereinzelnen Muskelzelle sowie infolge der sich überlappen-den Lage der Myosin- und Aktinfilamente (▶Abb. 2.15und ▶Abb. 2.18).

Myosin- und Aktinfilamente

Myosinfilamente (dick) haben einen Durchmesser von10 – 12nm und bestehen je aus 200 – 300 einzelnen Myo-sinmolekülen. Bei den Myosinfilamenten können ein ge-rader Schaft- (leichtes Meromyosin) und ein kugelförmi-ger Kopfteil (schweres Meromyosin) unterschieden wer-den (▶Abb. 2.15b). Die Myosinköpfchen weisen eine Bin-dungsstelle für Aktin auf und haben ATPase-Aktivität. BeiATPase-Spaltung bindet das Köpfchen an F-Aktin undgleitet entlang des Aktinfilaments.

Aktinfilamente (dünn) haben einen Durchmesser von5 – 8nm. Sie bestehen aus Aktin, einem globulären Pro-teinmolekül (G-Aktin). Jeweils ca. 400 dieser Proteinmo-leküle formen eine perlschnurartige Kette (F-Aktin) undzwei solcher Ketten, in einer Doppelhelix angeordnet, bil-den das Aktinfilament (▶Abb. 2.15c. Exakt 7 Aktin-monomere werden jeweils von lang gestreckten Tropo-myosinmolekülen umwunden und wiederkehrend istnach 7 Monomeren dem Tropomyosin ein globuläres Tro-ponin zugeordnet (▶Abb. 2.15c), das vor allem die Inter-

2.2 Pathophysiologie

49

aktion von Aktin und Myosin reguliert. 6 Aktinfilamenteordnen sich hexagonal um ein Myosinfilament.

Myosin- und Aktinfilamente ermöglichen als Unterein-heiten der Myofibrillen die Muskelkontraktion.

Weitere Strukturproteine

Eine Anzahl weiterer Strukturproteine (▶Abb. 2.18) die-nen der Kraftübertragung. So verbinden Intermediärfila-mente aus Desmin die Myofibrillen mit der Zellmembranund stabilisieren so deren Lage, während beispielsweiseTitin im Sinn einer hochelastischen Feder innerhalb derSarkomere wirkt.

Sarkoplasma

Die einzelnen Myofibrillen sind von Sarkoplasma umge-ben, in dem für die Kontraktionsvorgänge und die Ener-giegewinnung wichtige Substanzen gelöst sind (z. B. Gly-kogen, Myoglobin, glykolytische Enzyme, Krea-tinphosphat, Aminosäuren).

T-System

Die Zellmembran (Sarkolemm) stülpt sich in regelmäßi-gen Abständen tief in das Innere der Muskelzelle ein undbildet auf diese Weise transversale Tubuli. Diese umge-ben die Myofibrillen in Form von Membranschläuchen. Inihrer Gesamtheit werden sie als T-System (transversalesSystem) bezeichnet (▶Abb. 2.16). Die Membranoberflä-

Aktin-filament

Z-Scheibe

Myosin-filament

a

Z-Scheibe

Sarkomer

A-Streifen 1,6 μm

I-Streifen

1,2 μm

H-Zone

10 nm

6 nm

MyosinschaftMyosinköpfchenb

Myosinfilament

6 nm

Aktinfilament

c AktinTropomyosin Troponin

Abb. 2.15 Sarkomeraufbau (nach Silbernagl u. Despopulos 1991).a Übersicht.b Myosinfilament.c Aktinfilament.

Myofasziale Triggerpunkte

50

che einer Muskelfaser wird damit um das 5- bis 10-Fachevergrößert und der Extrazellulärraum breitet sich so überden gesamten Muskelfaserquerschnitt aus. Dies gewähr-leistet eine schnelle Ausbreitung des Aktionspotenzialsbis tief in die Muskelfaser hinein (Schüncke 2000).

Sarkoplasmatisches Retikulum (L-System)

Das endoplasmatische Retikulum ist in der Muskelzellebesonders geformt und wird als sarkoplasmatisches Re-tikulum bezeichnet. Es bildet geschlossene Kammern(ohne Verbindung zum Intra- und Extrazellulärraum), dieröhrenförmig vorwiegend in Längsrichtung zu den Myo-fibrillen verlaufen und deshalb als longitudinale Tubuli(respektive als longitudinales System oder L-System) be-zeichnet werden (▶Abb. 2.16). Das sarkoplasmatische Re-tikulum der Skelettmuskelfaser dient als Kalziumionen-speicher. Beim Eintreffen eines Aktionspotenzials öffnensich Ionenkanäle in der Wand des sarkoplasmatischenRetikulums und in Bruchteilen von Sekunden werden dieKalziumionen aus den longitudinalen Tubuli freigesetztund leiten die Kontraktion des Muskels ein (elektro-mechanische Koppelung).

Motorische Endplatte

Jede Muskelfaser wird von einem motorischen Nerven(Fasertyp Aα) innerviert. Die Zellkörper der α-Motoneu-ronen liegen im Vorderhorn des Rückenmarks. Die Kon-taktstelle zwischen Nervenfaser und Muskel wird als mo-torische Endplatte (▶Abb. 2.25 sowie ▶Abb. 2.9a) be-zeichnet. Diese neuromuskuläre Übertragungsstelle liegtin der Regel ungefähr in der Mitte einer Muskelfaser(▶Abb. 2.20). Ein von der Nervenfaser (Axon) her eintref-fendes elektrisches Signal (Aktionspotenzial) bewirkt ander neuromuskulären Synapse die Ausschüttung des che-mischen Botenstoffs Azetylcholin (Neurotransmitter).Nach Überwindung des synaptischen Spalts löst das Aze-tylcholin in der Zellmembran der Muskelfaser (Sarko-lemm) erneut ein elektrisches Signal aus, das sich via T-System über die ganze Muskelfaser ausbreitet.

Neuromuskuläre Synapse

Die neuromuskuläre Synapse ist ein 50nm breiter Spaltzwischen dem Nervenende und dem Muskel(▶Abb. 2.17).

Präsynaptische Endigungen

Die Axonenden weisen eine hohe Anzahl an Mitochon-drien auf (▶Abb. 2.17). In hohen Konzentrationen vor-kommende synaptische Bläschen enthalten nicht nurAzetylcholin (ACh), sondern auch Calcitonin Gene-relatedPeptide (CGRP), Stickoxid (NO), Adenosin und Substanz P(SP). Die Freisetzung von ACh in den synaptischen Spaltist Ca2+-abhängig und wird dynamisch geregelt (Audetteet al. 2009).

▶ Regulierung der Ca2+-Kanäle an der motorischenEndplatte. Die dynamische Regulierung der Ca2+-Kanälean der motorischen Endplatte wird durch das sympa-thische Nervensystem beeinflusst. Eine Stimulation α-ad-renerger Rezeptoren erhöht die ACh-Freisetzung, dieStimulation β-adrenerger Rezeptoren vermindert dieACh-Freisetzung. Abhängig vom Typ des aktivierten Ade-nosinrezeptors kann Adenosin – durch Verminderungrespektive Erhöhung der Aktivität der Ca2+-Kanäle – dieFreisetzung von ACh hemmen oder verstärken (Audetteet al. 2009).

Postsynaptische Membran

▶ Oberflächenvergrößerung der postsynaptischenMembran. Bei der postsynaptischen Membran findetsich zur Vergrößerung der postsynaptischen Oberflächeein stark eingefaltetes Sarkolemm mit einer hohen Anzahlan ACh-Rezeptoren (▶Abb. 2.17). In unmittelbarer Umge-bung findet sich die ACh-abbauende Azetylcholinestera-se.

Einstülpung desTransversalsystems(T-System)

sarkoplasmatischesRetikulum

Myofibrille

Basalmembran

retikuläre Fasern

Mitochondrium

Abb. 2.16 Aufbau einer Muskelfaser mit sarkoplasmatischemRetikulum (durch longitudinale Tubuli [L-System] gebildet) undtransversale Tubuli (T-System) (van den Berg 2011).

2.2 Pathophysiologie

51

▶ Modulation der Erregbarkeit der postsynaptischenMembran. Die Erregbarkeit der postsynaptischen Mem-bran wird durch verschiedene Faktoren wie beispielswei-se die Konzentration von CGRP oder symathikusinduzier-tem zyklischem Adenosinmonophosphat (cAMP) beein-flusst (Details bei Audette et al. 2009).

Merke

Sowohl durch die dynamische Modulierung der prä-synaptischen ACh-Freisetzung als auch durch Verände-rungen der Erregbarkeit der postsynaptischen Membrankann die Kontraktion der Muskelfasern – auch ohne ein-treffendes Aktionspotenzial an der motorischen Einheit –verstärkt werden und damit zu einer Daueranspannunglokal begrenzter Muskelabschnitte führen. Solche lokaleDauerkontraktionen begünstigen, dass mTrPs und damitmyofasziale Schmerzen entstehen und andauern.

Abb. 2.17 Motorische Endplatte (Müller-Wohlfahrt et al. 2014).a Schematische Darstellung.b Konfokale lasermikroskopische Aufnahme, Skelettmuskel des Menschen. Die längsgeschnittene Muskelfaser (untere Bildhälfte) istnicht markiert.rot =Nervgrün = postsynaptische Membrangelb = überlappende Strukturen(Aufnahme: Prof. Dr. Dieter Blottner, ZWMB, Charité, Universitätsmedizin Berlin)

Myofasziale Triggerpunkte

52

Innervation der Muskulatur – Nervenfasertypen

Jeder Muskel ist motorisch und sensorisch innerviert.Dies erfolgt über unterschiedliche Nervenfasertypen; zurmotorischen Funktion des Muskels s. u., zu den sensori-schen Aufgaben des Muskels (S.59):● Gruppe-I-Fasern (große, markhaltige Fasern): Aα-Fa-sern innervieren motorisch die Muskulatur; Ia-Fasernleiten sensorische Afferenzen aus Muskelspindeln, Ib-Fasern aus Golgi-Sehnenorganen.

● Gruppe-II-Fasern (markhaltige Fasern mittlerer Grö-ße): Aβ-Fasern innervieren in geringem Ausmaß moto-risch extra- (Willkürmuskulatur) und intrafusale (Mus-kelspindeln) Muskulatur; sensorische Afferenzen vonPacini- und Ruffini-Rezeptoren sowie aus Muskelspin-deln.

● Gruppe III-Fasern (dünne, markhaltige Fasern): Aγ-Fa-sern innervieren motorisch die intrafusale Muskulaturder Muskelspindeln; senorische Afferenzen von Pacini-formen Rezeptoren und freien Nervenendigungen zurWärme-, Kälte- und Schmerzleitung (analog zu denAδ-Fasern aus der Haut).

● Gruppe IV-Fasern (dünne, marklose Fasern): senso-risch-afferent von freien Nervenendigungen zur Wei-terleitung mechanosensitiver und nozizeptiver Impulse(analog zu den C-Fasern der Haut).

Funktionen der SkelettmuskulaturDie Muskulatur hat unterschiedliche Aufgaben:● Effektorfunktion→ Muskelkontraktion● Rezeptorfunktion → Tiefensensibilität, Propriozeptionund Nozizeption

● reparative Funktion → Fähigkeit des Muskels zur Rege-neration nach Verletzung

Muskelkontraktion

Die Fähigkeit der Muskelzelle zur aktiven Verkürzung istan die Anwesenheit spezifischer Eiweißstrukturen (Myo-fibrillen) gebunden. Innerhalb der Myofibrillen werdendünne Aktin- und dickere Myosinfilamente unterschie-den. Die molekulare Basis der Muskelkontraktion beruhtauf einem Filament-Gleitmechanismus, bei dem unterEnergieverbrauch (ATP) die parallel angeordneten Aktin-und Myosinfilamente aneinander vorbeigleiten. Dabeinähern sich die Z-Scheiben eines Sarkomers einander an,sodass sich jedes einzelne Sarkomer verkürzt, währenddie einzelnen Filamente ihre ursprüngliche Länge behal-ten. Insgesamt verkürzt sich auf diese Weise die Muskel-zelle (Schünke 2000).

Ablauf der Muskelkontraktion

● Vom α-Motoneuron geleitet, erreichen Aktionspoten-ziale (elektrische Informationsübermittlung) die moto-rischen Endplatten einer Einzelfaser. Dadurch werdenspannungsempfindliche Ca2+-Kanäle geöffnet. Dies

dient als Auslöser, dass Azetylcholin (ACh) aus Vesikelnin den synaptischen Spalt freigesetzt wird (ca. 10 000ACh-Moleküle pro Vesikel ≈ 1 Quant).

● Azetylcholin diffundiert den synaptischen Spalt (che-mische Informationsübertragung) und löst an der post-synaptischen Membran ein Endplattenpotenzial (EPP)aus, wenn die Schwelle von 100 – 200 ACh-Quantenüberschritten wird. Die Bindung von ACh an den Mus-kelmembranrezeptoren führt zur Öffnung von Na+-Ka-nälen und zur Depolarisierung der Muskelzelle. Dabeigilt die Alles-oder-nichts-Regel: Wird eine bestimmteReizschwelle überschritten, erfolgt die Generierungeines muskelseitigen Aktionspotenzials, was eine voll-ständige Einzelzuckung der Muskelfaser zur Folge hat.Bleibt die Reizschwelle unterschritten, geschieht nichts.

● Im Ruhezustand findet ununterbrochen die spontaneFreisetzung kleiner Mengen von ACh statt. Dies führt zueinem Miniatur-Endplattenpotenzial (MEPP), das nichtmit einer Muskelkontraktion assoziiert ist (Audette etal. 2009).

● Freigesetztes ACh wird sehr schnell von Azetylcholin-esterase im synaptischen Spalt deaktiviert. Entstehen-des Cholin wird von den präsynaptischen Nervenendi-gungen wieder aufgenommen und zu ACh resyntheti-siert.

● Wird postsynaptisch ein überschwelliges Endplatten-potenzial (EPP) generiert, breitet sich muskelseitig dasAktionspotenzial blitzschnell über das T-System(▶Abb. 2.16) in der gesamten Muskelfaser aus (elektri-sche Informationsübermittlung).

● Das Eintreffen des Aktionspotenzials bewirkt, dass sichIonenkanäle in der Wand der longitudinalen Tubuli dessarkoplasmatischen Retikulums (▶Abb. 2.16) öffnenund kurzzeitig für Ca2+ durchlässig werden. Aus demsarkoplasmatischen Retikulum, das als Ca2+-Ionenspei-cher dient und eine rund 10 000-mal größere Ca2+-Konzentration aufweist als das Zytoplasma der Muskel-zelle, strömen in großer Zahl Ca2+-Ionen ein. Die Ca2+-Konzentration in der Muskelzelle steigt kurzfristig aufdas ca. 1000-Fache.

● Diese Überflutung der Muskelfaser mit Ca2+-Ionen lösteine ganze Reihe von Reaktionen aus, die schließlichzur Muskelzuckung führen (elektromechanische Kop-pelung).

● Das einströmende Ca2+ verbindet sich mit Troponin,wodurch Tropomyosin seine hemmende Wirkung aufdie Aktin-Myosin-Verbindung verliert. Als Folge dieserFreigabe von Myosinbindungsstellen am Aktinmolekülbinden die Myosinköpfchen mit einer ruderförmigenBewegung am Aktinfaden. Durch die Bewegung derMyosinköpfchen kommt es zu einer Verschiebung desAktinfilaments gegenüber dem Myosinfilament von ca.2 nm, was etwa 1% der Sarkomerlänge entspricht.

● Die Myosin- und Aktinfilamente sind so angeordnet,dass sie ineinandergleiten können (▶Abb. 2.15a). Dieeigentliche mechanische Kontraktionsbewegung erfolgt

2.2 Pathophysiologie

53

durch das Andocken der Myosinköpfchen an Aktinbin-dungsstellen (▶Abb. 2.19a) und die anschließendeKippbewegung der Myosinköpfchen um 40 – 45 °(▶Abb. 2.19b und c). Unter der Bedingung, dass genü-gend ATP vorhanden ist, lösen sich die Myosinköpfchenvon den Bindungsstellen am Aktinfilament („Weichma-cherwirkung“ des ATP) und richten sich wieder in ihreursprüngliche Position auf („Spannen“ der Myosinköpf-chen, ▶Abb. 2.19d und f). Aufgrund der Anordnung derMyosin- und Aktinfilamente führt die Summation wie-derholter ruderschlagähnlicher Kippbewegungen derMilliarden von angedockten Myosinköpfchen zum Inei-nandergleiten der Myosin- und Aktinfilamente. Füreine vollständige Muskelkontraktion wiederholen sichdie synchronen „Ruderschläge“ unzählige Male (ca. 10-bis 100-mal pro Sekunde).

● Zur Kraftübertragung sowie zur Aufrechterhaltung vonElastizität und Stabilität – sowohl innerhalb der einzel-nen Sarkomere als auch zwischen benachbarten Sarko-meren – tragen nebst Aktin und Myosin weitere Struk-turproteine bei: Titinfilamente wirken als hochelasti-sche molekulare Federn innerhalb der Sarkomere; Tro-pomyosin, Troponin und Nebulin liegen den dünnenAktinfilamenten benachbart; im Bereich der Myosinfi-lamente befinden sich Myomesin, M-Kreatinkinase so-wie M-, C-, X- und H-Proteine; α-Aktin gewährleistetdie Verbindung zwischen benachbarten Aktinfilamen-

ten, Desmin verbindet Sarkomere benachbarter Myofi-brillen (▶Abb. 2.18, Details in van den Berg 2011).

● Für die normalerweise auf eine Kontraktion folgendeRelaxation des Muskels ist es notwendig, dass die insZytoplasma eingeströmten Ca2+-Ionen sofort zurück indie longitudinalen Tubuli des sarkoplasmatische Retiku-lums befördert werden. Dieser Transport erfolgt aktivmittels der Ca2+-Ionenpumpen, die sich in den Mem-branen des sarkoplasmatischen Retikulums befinden.Für den Transport von zwei Ca2+-Ionen wird ein Mole-kül ATP verbraucht. Bemerkenswert ist, dass somit auchdie Muskelrelaxation ein aktiver, energiefordernderProzess ist.

Rolle des ATP

Ohne auf die molekularen biochemischen Vorgänge imEinzelnen einzugehen, ist in unserem Zusammenhangwichtig, dass für die Kontraktion und Relaxation desMuskels Adenosintriphosphat (ATP) mehrfach eine Rollespielt:● ATP ist notwendig als Energiequelle für die Kippbewe-gung der Myosinköpfchen: Bei der Hydrolyse von ATPzu Adenosindiphosphat (ADP) und anorganischemPhosphat (Pi) wird Energie freigesetzt.

● ATP-Energieträger sind notwendig, um das ins Zyto-plasma eingeströmte Ca2+ innerhalb von 30ms zurückins sarkoplasmatische Retikulum zu befördern (aktiverTransport mittels der Ca2+-Ionenpumpen). Durch diese

dünnes Filament: AktinTroponin, Tropomyosin dickes Filament: Myosin

Verbindung zwischen Sarkomerenbenachbarter Myofibrillen

Z-Linie α-Aktin Nebulin M-Linie

M-ProteinMyomesinM-Kreatinkinase

C-Streifen

C-ProteinX-ProteinH-Protein

elastische Filamente: Titin

Abb. 2.18 Proteine eines Sarkomers (nach Billeter u. Hoppeler 1994).

Myofasziale Triggerpunkte

54

Tropomyosin

Myosin

AktinTroponin

ATP

Ruhestellung

[Ca2+]i1 μmol/l [Ca2+]i

= 1 – 10 μmol/l

ATP

ATP

Lösung der Aktin-Myosin-Bindung(„Weichmacherwirkung“ des ATP)

f

ATP-Bindungd

e

mit ATP

ohne ATP

stabiler „Rigorkomplex“bleibt bestehen: Totenstarre

Ca2+

Ca2+

longitudinalerTubulus

45° 90°

90°50°

50°45°

ADPPi

Pi

ATPase

ATP-Spaltung,Aufrichten der Myosinköpfe,Aktin-Myosin-Bindung

Kippen der Myosinköpfedurch Pi-Abgabe

weiteres Kippen der Köpfedurch ADP-Abgabe

a

b

c

ADP

Aktionspotenzial

Abb. 2.19 Molekulare Vorgänge beim Filamentgleiten (isotone Kontraktion, nach Silbernagl u. Despopulos 2012).a Aktin-Myosin-Bindung, ATP-Spaltung.b Kippen der Myosinköpfchen durch Abgabe von anorganischem Phosphat.c Endstellung der Köpfchen wird erreicht durch ADP-Abgabe.d mit ATP: ATP bindet ans Myosin (Voraussetzung für f).e ohne ATP: stabiler „Rigorkomplex“ bleibt bestehen, da die „Weichmacherwirkung“ des ATP fehlt (analog zur Totenstarre).f Lösung der Aktin-Myosin-Bindung dank „Weichmacherwirkung“ des ATP und Aufrichten der Myosinköpfchen.

2.2 Pathophysiologie

55

rasche Resorption des freigesetzten Ca2+ wird im Nor-malfall die Kontraktionszuckung der Muskelfaser been-det. Fehlt ATP, wird dadurch der Ca2+-Transport zurückins sarkoplasmatische Retikulum gestört, sodass diekontraktilen Elemente aufgrund der erhöhten Ca2+-Konzentration fortgesetzt aktiviert werden. Damitkommt ein Teufelskreis in Gang: Bei mangelndem ATPzur Betreibung der Ca2+-Ionenpumpe wird zur Dauer-kontraktion vermehrt ATP gebraucht usw.

● Am Ende der Kippbewegung (▶Abb. 2.19c) ist der Ak-tin-Myosin-Komplex stabil. Erst durch die erneute Bin-dung von ATP an die Myosinköpfchen (▶Abb. 2.19d)können sich Myosin- und Aktinfilamente wieder von-einander lösen („Weichmacherwirkung“ des ATP,▶Abb. 2.19f) . Fehlt ATP, bleiben Myosin- und Aktinfila-mente in Form eines stabilen Rigorkomplexes aneinan-der gebunden (▶Abb. 2.19e).

Die Bereitstellung des ATP kann auf unterschiedliche Artund Weise erfolgen:● Das im Muskel vorrätige ATP von ca. 5 µmol ATP/gMuskel steht unmittelbar zur Verfügung und ermög-licht ca. 10 Kontraktionen.

● Als schnell verfügbare Energiereserve enthält der Mus-kel Kreatinphosphat (CrP), dessen energiereiche Phos-phatbindung auf Adenosindiphosphat (ADP) übertra-gen werden kann und damit auf anaerobem Weg ATPregeneriert wird. Der im Muskel vorhandene Vorratvon ca. 25 µmol CrP/g Muskel ermöglicht ca. 50 weitereKontraktionen, bevor auch diese Reserve erschöpft ist.Mit der Energie des Kreatinphosphats können kurzzei-tige (10 – 20 s) Höchstleistungen erbracht werden (z. B.Sprint über 100 m).

● Bei der anaeroben Glykolysewird ATP gewonnen, in-dem sowohl im Muskel gespeichertes Glykogen als auchaus dem Blut aufgenommene Glukose zu Milchsäureabgebaut werden. Dieser Weg der ATP-Bereitstellungist ca. 2,5-mal schneller als bei aerober Gewinnung. DieMöglichkeit der anaeroben Glykolyse ist allerdings be-grenzt, da durch die Anhäufung von Milchsäure bei derSäure-Basen-Pufferung Laktat entsteht. Der Nettoge-winn an ATP beträgt bei der anaeroben Glykolyse 2 molATP/mol Glukose.

● Dauerleistung der Muskulatur ist nur möglich, wenndie Bereitstellung der Energie aerob erfolgt. Bei der ae-roben Glykolysewird im Zitratzyklus ATP gewonnen.Der Nettogewinn an ATP beträgt bei der aeroben Glyko-lyse 36 (!) mol ATP/mol Glukose. Glykogen ist der pri-märe Rohstoffenergielieferant zur Gewinnung von ATPbei der Muskelkontraktion. Der Vorrat an Glykogen imMuskel beträgt ca. 100µmol Glykogen/g Muskel. Für an-haltende Kontraktion ist der Glykogenabbau eine reich-haltige Energiequelle.

● Das Verhältnis von aerober zu anaerober ATP-Gewin-nung liegt bei 12:1.

Merke

Die Energiebilanz zwischen anaerob und aerob gewonne-nem ATP aus Glukose ist sehr unterschiedlich: Der Netto-gewinn an ATP beträgt bei der anaeroben Glykolyse2 mol ATP/mol Glukose, bei der aeroben Glykolyse36 (!) mol ATP/mol Glukose.

Motorische Einheit

Das von der motorischen Nervenzelle des Rückenmarkskommende Axon kann wenige, aber auch bis zu mehrereHundert Muskelfasern versorgen, wenn es sich vorherentsprechend aufzweigt. Alle von einer motorischen Ner-venfaser (α-Motoneuron) innervierten Muskelfasern wer-den als motorische Einheit bezeichnet (▶Abb. 2.20).● In Muskeln, die fein differenzierte Bewegungen ermög-lichen (z. B. Finger-, Kau- und äußere Augenmuskeln),umfasst eine motorische Einheit meist nur wenigeMuskelfasern. Dies wird als kleine motorische Einheitbezeichnet, wobei eine einzelne Nervenfaser ca. 50 –

100 Muskelfasern innerviert.● Bei großen motorischen Einheiten innerviert eine Ner-venfaser mehrere Tausend Muskelfasern (z. B. M. glu-teus maximus). Je größer die motorische Einheit ist,desto weniger sind fein differenzierte Bewegungenmöglich und umso mehr stehen Haltefunktionen imVordergrund (Schünke 2000).

Muskelfasertypen

Bei den Skelettmuskeln werden extrafusale Muskel-fasern (Fasern der Arbeitsmuskulatur) und intrafusaleMuskelfasern , d. h. Fasern der Muskelspindeln (S.63) un-terschieden.

Die extrafusalen Muskelfasern lassen sich gliedern in:● Typ-I-Fasern (auch als Slow-Twitch- oder rote Muskel-fasern bezeichnet): Bei Aktivierung erfolgt eine lang-same Zuckung von 75ms Dauer (Slow-Twitch). Dieselangsam zuckenden Fasern haben eine niedrige Reiz-schwelle, ermüden langsam und zeigen einen geringenGrad an Erschöpfbarkeit. Da sie auf Dauerleistung ange-

Abb. 2.20 Motorische Einheit (Müller-Wohlfahrt et al. 2014).

Myofasziale Triggerpunkte

56

legt sind, erbringen sie vorwiegend Haltearbeit undkommen vor allem in der posturalen Muskulatur vor.Sie sind reich an Myoglobin (ein dem Hämoglobin ver-wandtes und als Sauerstoffspeicher dienendes Protein),das ihnen eine rötliche Färbung verleiht (rote Muskelfa-sern). Charakteristisch sind die zahlreichen Mitochon-drien und der damit verbundene oxidative Stoffwech-sel. Die Energiegewinnung erfolgt vorwiegend aerob,weshalb Typ-I-Fasern sehr empfindlich gegen Sauer-stoffmangel sind. Typ-I-Fasern haben ein dichtes Kapil-larnetz und eine sehr gute Blutversorgung. Slow-Twitch-Fasern neigen dazu, ihren Grundtonus zu erhö-hen und damit zu verkürzen (Schünke 2000).

● Typ-IIb-Fasern (auch als Fast-Twitch- oder weiße Mus-kelfasern bezeichnet): Bei Aktivierung erfolgt eineschnelle Zuckung von 25ms Dauer (Fast-Twitch). Dieschnell zuckenden Muskelfasern übernehmen vorwie-gend Bewegungsfunktionen. Sie erfüllen dynamischeAufgaben und sind für schnelle, kurze und kraftvolleKontraktionen zuständig. Dabei ermüden sie rascherals Typ-I-Fasern und sind in ihrer Leistungsfähigkeitschnell erschöpfbar. Sie haben deutlich weniger Hämo-globin (weiße Muskelfasern) und Mitochondrien. Siearbeiten überwiegend anaerob und decken ihren kurz-fristig hohen Energiebedarf imWesentlichen über denAbbau von Glukose (anaerobe Glykolyse) und speicherndaher viel Glykogen. Fast-Twitch-Fasern neigen nichtzur Verkürzung, verringern aber leicht ihren Grund-tonus, wenn sie nicht regelmäßig trainiert werden(Schünke 2000).

● Typ-IIa-Fasern und Typ-IIc-Fasern (Übergangstypen,auch als intermediäre Muskelfasern bezeichnet): IhreEigenschaften liegen zwischen Typ-I- und Typ-IIb-Fa-sern; sie kontrahieren deutlich schneller als die Typ-I-Fasern und sind gleichzeitig viel ermüdungsresistenterals Fast-Twitch-Fasern, da sie einen aeroben Stoffwech-sel bevorzugen (Weineck 2007).

▶ Tonische Muskeln – phasische Muskeln. Beim Men-schen haben alle Skelettmuskeln Typ-I- und Typ-II-Fasernzu unterschiedlichen Anteilen, wobei das Mischungsver-hältnis für die primäre Funktion ausschlaggebend ist.● Muskeln, die überwiegend aus Typ-I-Fasern bestehen,werden als tonische Muskeln bezeichnet; sog. phasi-sche Muskeln bestehen vorwiegend aus Fast-Twitch-Fa-sern. An Muskelbiopsien zeigte sich, dass in einem be-stimmten Muskel die Häufigkeit eines Fasertyps indivi-duell zwischen 20 und 80% variiert (Howald 1984). DasGrundmuster der Verteilung von Slow- und Fast-Twitch-Fasern ist genetisch festgelegt, erfährt aber sei-ne definitive Zusammensetzung erst später durch denGebrauch. Durch entsprechendes Muskeltraining isteine (begrenzte) Beeinflussung der Anteile an Typ-I-und Typ-II-Fasern möglich (Weineck 2007).

● Aktivierungsmuster: Bei Muskelarbeit werden in derRegel zuerst die Typ-I-Fasern aktiviert, da diese eine ge-ringere Aktivierungsschwelle haben (Weineck 2007).Erst stärkere Belastung bewirkt die Aktivierung derTyp-IIb-Fasern, d. h., dass bei einer Belastung respektiveBewegung zuerst die tonische Muskulatur (Slow-Twitch-Fasern) aktiv wird und initial Haltearbeit leistetund stabilisiert (geringe Belastung). Die phasischenMuskeln (Fast-Twitch-Fasern) werden erst sekundär –nach primär erfolgter Stabilisierung – bewegend aktiv.Bei kontinuierlicher Belastung (Halteaktivität) werdendie Slow-Twitch-Fasern kontinuierlich eingesetzt,s. „Klinik“ (S.107).

● Tonische Muskeln haben signifikant mehr intramusku-läres Bindegewebe als phasische Muskeln. Bei Unter-suchungen an Ratten zeigten die tonischen Muskelndurchschnittlich 84% mehr intramuskuläres Bindege-webe als die phasischen (Kovanen 1984).

Formen der Muskelaktivität

Es werden verschiedene Formen der Muskelaktivität un-terschieden:● Dynamisch-konzentrische Muskelaktivität:Muskel-verkürzung während der Kontraktionsphase bei Kraft-zunahme (z. B. Aktivität des M. quadriceps beim Fuß-ballspielen, wenn der Ball weggespielt wird). Bei derdynamisch-konzentrischen Muskelaktivität gleiten diedünnen Aktin- und dicken Myosinfilamente ineinander,die Überlagerung wird stärker.

● Dynamisch-exzentrische Muskelaktivität: Muskelver-längerung während der Kontraktionsphase bei Kraft-zunahme (z. B. Aktivität des M. quadriceps beim Berg-abgehen oder beim Abfedern der Landung nach einemSprung). Bei der dynamisch-exzentrischen Muskelakti-vität gleiten die Aktin- und Myosinfilamente bremsendauseinander, die gegenseitige Überlagerung wird weni-ger. Diese Form der Muskelaktivität ist anspruchsvollund überlastungs- bzw. verletzungsanfällig.

● Isometrische Muskelaktivität: Keine Änderung derLänge des Muskels während der Kontraktionsphase beiKraftzunahme (z. B. Aktivität des M. quadriceps beimSkirennläufer, der längere Zeit in der Hocke fährt). Beider isometrischen Muskelaktivität agieren immer wie-der die gleichen Interaktionsstellen zwischen Myosin-köpfchen und Aktinfilamenten; die Aktin- und Myosin-filamente gleiten nicht zueinander, die Überlagerungverändert sich nicht.

● Isotonische Muskelaktivität: Änderung der Länge desMuskels (Verkürzung oder Verlängerung) während derKontraktionsphase bei gleichbleibender Kraft (z. B. Ak-tivität des M. quadriceps beim Krafttraining mit kon-stantem Gewicht/Widerstand). Bei der isotonen Mus-kelaktivität gleiten die dünnen Aktin- und dicken Myo-sinfilamente ineinander respektive auseinander beikonstanter Kraftentwicklung.

2.2 Pathophysiologie

57

Kraft-Längen-Relation

Die Kraft, die ein Muskel entwickeln kann, ist abhängigvon der Länge, in welcher er aktiviert wird (▶Abb. 2.21).Diese Kraft-Längen-Relation lässt sich experimentell ein-fach erfahren: Bei isometrischer Muskelaktivität kann eingedehnter bzw. bereits verkürzter Muskel deutlich weni-ger Kraft erzeugen im Vergleich zur Aktivierung in seinerRuhelänge.

Die maximale isometrische Kraftentwicklung ist nurmöglich, wenn sich die Sarkomere in Ruhelänge (2,0–2,5 µm) befinden (van den Berg 2011), da die Anzahl derAktin-Myosin-Brücken in der Ruhelänge maximal großist (▶Abb. 2.21b). Ist der Muskel gedehnt, sind die Sarko-mere länger und die Überlappung der Myosin- und Aktin-filamente ist weniger günstig (▶Abb. 2.21a); die Anzahlder Aktin-Myosin-Brücken ist geringer und damit kannweniger Kraft entwickelt werden. Befindet sich der Mus-kel in angenäherter Position, sind die Sarkomere kürzerals in der Ruhelänge (▶Abb. 2.21c). Die dünnen Aktinfila-mente können dabei einander überlappen, sodass weni-ger funktionell wirksame Myosin-Aktin-Brücken möglichsind und daher weniger Kraft erzeugt werden kann (vanden Berg 2011).

Länger dauernde isometrische Muskelaktivität, wie siebei stabilisierender Funktion bzw. Haltearbeit gefordertist, kann ein Muskel nur ökonomisch erbringen, wenn ersich in seiner Ruhelänge befindet. Ist der Muskel in ge-dehnter bzw. in angenäherter Position über längere Zeitisometrisch aktiv, erfordert dies eine erhöhte Aktivie-rung, die unökonomisch ist und leicht zur Überlastungder Muskulatur und damit zur Entstehung von mTrPsführt, s. Cinderella-Hypothese (S.107).

Merke

Bei einer isometrischen Kontraktion kann ein Muskel ammeisten Kraft erzeugen, wenn sich die Sarkomere in ihrerRuhelänge befinden. In angenäherter bzw. gedehnter Po-sition ist eine erhöhte Muskelaktivität notwendig, um einbestimmtes Maß an Kraft (z. B. zur Stabilisation) zu er-bringen; die Entstehung von mTrPs wird dadurch be-günstigt.

Klinik

Ungünstige Kraft-Längen-Relation bei isometri-scher Muskelaktivität in angenäherter PositionEin Muskel, der stabilisierend arbeitet bzw. Haltearbeitverrichtet (isometrische Muskelaktivität) kann dies öko-nomisch leisten, wenn er sich in seiner Ruhelänge befin-det. Ist der Muskel in gedehnter bzw. in angenäherter Po-sition über längere Zeit isometrisch aktiv, erfordert dieseinen erhöhten Kraftaufwand (▶Abb. 2.21), was unöko-nomisch ist und der Entstehung von mTrPs Vorschub leis-tet. Klinisch bedeutsam ist dies beispielsweise in folgen-den Fällen:● Kopfposition: Wird der Kopf in vorgeschobener Positi-on (S.125) gehalten (▶Abb. 4.8a), müssen die dorsalgelegenen Muskeln in verkürzter Position andauerndHaltearbeit leisten. Dies ist doppelt unökonomisch: ei-nerseits muss aus statischer Sicht vermehrte Halte-arbeit ausgeübt werden (im Vergleich zum Balancierendes Kopfgewichts) und diese zusätzliche Haltearbeitmuss in für die Muskulatur ungünstiger Position (da an-genähert) erbracht werden. Auch andere, durch dieVentralposition des Kopfs in angenäherte (z. B. M. ster-nocleidomastoideus) bzw. verlängerte Situation ge-brachte Muskeln (z. B. Mm. longus colli und capitis)können nicht ökonomisch arbeiten und entwickeln oftmTrPs.

● Skapulasetting: Ist die Skapula nach lateral-ventralund/oder kranial positioniert, kann sie in dieser Stel-lung nicht mit ökonomischem Kraftaufwand auf demThorax stabilisiert werden. Bei einer Lateralisierung derSkapula müssen die dorsalen Stabilisatoren (Mm.rhomboidei, M. trapezius transversus) in gedehnter La-ge, die Stabilisatoren nach ventral (M. serratus anterior,M. pectoralis minor, M. subclavius) in angenäherter Po-sition isometrisch aktiv sein und werden dadurch eherüberlastet, wodurch mTrPs entstehen können. Liegteine habituelle Schulterelevation vor, gilt dasselbe fürdie in verkürzter (M. rhomboidei, M. levator scapulae,M. trapezius descendens) bzw. gedehnter Position (M.trapezius ascendens, kaudale Zacken des M. serratusanterior) arbeitenden Muskeln.

● Schulterschmerz bei Arbeit am PC (Maus, Tastatur) in-folge Überlastung der Außenrotatoren (S.107).

relative Kraft

Länge der Sarkomere (μm)

1,0

0,5

1,27 1,65 2,0 2,25 3,6

2,0 – 2,25 μm

2,25 – 3,6 μm a

b

c< 1,65 μm

Z M A Z

Abb. 2.21 Verhältnis zwischen Kraft und Länge eines Muskels(van den Berg 2011).a Sarkomer (bzw. Muskel) in gedehnter Position.b Sarkomer (bzw. Muskel) in Ruhelänge.c Sarkomer (bzw. Muskel) in angenäherter Position.

Myofasziale Triggerpunkte

58

Lokale und globale Muskelsysteme

Die Skelettmuskulatur hat die Aufgaben, zu bewegen undBewegung zu verhindern. Die Muskulatur hat eigensMuskelsysteme ausdifferenziert, die darauf spezialisiertsind, diese gegensätzlichen Aufgaben zu übernehmen. Eswerden Stabilisatoren („Bewegungsverhinderer“) undMobilisatoren („Beweger“) in lokalen und globalen Mus-kelsystemen unterschieden (Bergmark 1989, Richardsonet al. 1995, Hamilton 2002):

Lokale Stabilisatoren sind durch folgende Merkmalecharakterisiert:● drehpunktnah● in der Tiefe liegend● eingelenkig, kurz● vorwiegend Muskelfasern Typ I (Slow-Twitch)● wirken stabilisierend („Bewegungsverhinderer“) undsind verantwortlich für die segmentale Stabilität bzw.Bewegungskontrolle (Sicherung der neutralen Zone derGelenke)

● Aktivierung erfolgt○ unabhängig von der Bewegungsrichtung○ antizipatorisch (Muskelaktivität wird 50 – 125ms vorder eigentlichen Bewegung erhöht)

○ bereits bei geringer Belastung (3 – 25% der Maximal-kraft).

● Bei einer Aktivierung verändern sie ihre Länge wenig/kaum, dafür ihr Volumen (bei Kontraktion erfolgt eineVergrößerung des Muskelquerschnitts).

● Bei Dysfunktion reagieren sie mit Inhibition (Hem-mung).

Zu den lokalen Stabilisatoren zählen beispielsweise:● M. transversus abdominis, M. obliquus internus abdo-minis

● M. multifidus, Mm. rotatores● M. psoas (tiefe Schicht, Fasciculus posterior)● Mm. intertransversarii, Mm. interspinales● M. quadratus lumborum (mediale Fasern)● Muskeln der Rotatorenmanschette (M. subscapularis,M. supraspinatus, M. infraspinatus, M. teres minor)

Globale Stabilisatorenweisen folgende Kennzeichen auf:● entfernt vom Drehpunkt● oberflächlicher liegend● vorwiegend eingelenkig● Muskelfasern Typ I (Slow-Twitch) und Typ II (Fast-Twitch)

● Aktivierung erfolgt abhängig von der Bewegungsrich-tung

● wirken selektiv auf das Gelenk, das sie überbrücken imSinn der angulären Bewegungskontrolle

● arbeiten mehrheitlich fallverhindernd gegen dieSchwerkraft (postural) in geschlossenen Ketten

● vor allem dynamisch-exzentrische und bewegungsver-hindernde Muskelaktivität (z. B. Treppenabwärtsgehen)

● zeigen bei Dysfunktion vor allem Verkürzung

Muskeln, die zu den globalen Stabilisatoren gehören, sindbeispielsweise● M. obliquus externus abdominis● M. iliocostalis lumborum● M. trapezius descendens

Globale Mobilisatoren zeigen folgende Merkmale:● entfernt vom Drehpunkt● an der Oberfläche liegend● mehrgelenkig, lang● Aktivierung erfolgt abhängig von der Bewegungsrich-tung

● vor allem dynamisch-konzentrische Muskelaktivität(„Beweger“) in offener Kette

● vorwiegend Muskelfasern Typ II (Fast-Twitch)● reagieren bei Dysfunktion mit Abschwächung

Zur Gruppe der globalen Mobilisatoren gehören bei-spielsweise● M. rectus abdominis● M. sternocleidomastoideus

Die Anordnung dieser Muskelsysteme ist überaus günstig,um die oben erwähnten widersprüchlichen Aufgaben derMuskulatur – Bewegung und Stabilität – zu erfüllen. Dieinitiale Aktivierung der tiefen lokalen Muskeln gewähr-leistet die bei jeder angulären Bewegung zum Schutz desGelenks notwendige lokale, segmentale Stabilisierung. Dadie lokalen Stabilisatoren drehpunktnah in der Tiefe lie-gen, produzieren sie nur ein sehr geringes Drehmoment,sodass praktisch kein Widerstand gegen den Agonistender angulären Bewegung entsteht. Das myofasziale Span-nungssystem ist dadurch in der Lage, mit den globalenMuskeln Bewegungen einzuleiten und gleichzeitig mit-hilfe der lokalen Muskeln ohne hohen Energieaufwanddie segmentale Stabilität bzw. Bewegungskontrolle zu be-wahren: ein äußerst effizientes System (Valerius et al.2007).

Rezeptorfunktion

Der Muskel ist nicht nur Effektor, der dank seiner Fähig-keit zur Muskelkontraktion Haltung und Bewegung er-möglicht. Gleichzeitig ist der Muskel Rezeptor. Er nimmtInformationen in der Tiefe wahr, die für den Organismusim Allgemeinen (Propriozeption, Tiefensensibilität, Nozi-zeption) und die Steuerung der Bewegung im Besonderen(Muskelspindelafferenzen, Propriozeption, Tiefensensibi-lität) essenziell sind (▶Abb. 2.23).

Periphere Nerven sind meistens gemischt, d. h., sie füh-ren gleichzeitig motorische, vasomotorische und sensori-sche Fasern (für Oberflächen- und Tiefensensibilität). Er-staunlich ist, dass auch sog. motorische Nerven gemischtsind und nicht ausschließlich motorische Fasern enthal-ten, s. Nomenklatur der unterschiedlichen Nervenfaser-typen (S.53). Die Auszählung der einzelnen Nervenfaserndes N. tibialis zeigt, dass an der Stelle, wo der N. tibialis

2.2 Pathophysiologie

59

einer Katze den lateralen Kopf des M. gastrocnemius undden M. soleus motorisch innerviert, ca. 40% vasomotori-sche, rund 42% sensorische und knapp 20% motorischeNervenfasern vorkommen, wobei nur knapp 10% allerNervenfasern (d. h. etwas mehr als die Hälfte aller moto-rischen Afferenz) Aα-Fasern sind, die die extrafusaleMuskulatur innervieren (▶Tab. 2.4, ▶Abb. 2.22), d. h.,rund 90% aller Fasern eines „motorischen Nervs“ stehennicht in unmittelbarem Dienst der Willkürmotorik, son-dern sind indirekt für eine optimale Muskelfunktion rele-vant.● Muskelspindelefferenzen (die Aγ-Fasern machen knapp10% aller – respektive nicht ganz 50% der motorischen– Fasern aus) gelangen zur intrafusalen Muskulatur(▶Abb. 2.23b) und ermöglichen, die Messfähigkeit derMuskelspindeln während des Kontraktionsvorgangs zugewährleisten und gleichzeitig die Messempfindlichkeitder Muskelspindel zu verändern.

● Vasomotorische Fasern (ca. 40 %) sind wichtig als Infor-mationsübermittler zur Regulierung der Blutversor-gung im Muskel.

● Sensorische Fasern (ca. 42 %) machen den größtenFaseranteil aus und stehen im Dienst der Propriozep-tion, der Tiefensensibilität und der Nozizeption(▶Abb. 2.23a).

Der größte Faseranteil eines motorischen Nervs bestehtfolglich aus sensorischen (!) Fasern; er führt mehr alsdoppelt so viele sensorische wie motorische Neurone(▶Abb. 2.22). Daraus kann man vermuten, dass die sen-sorische Differenzierung des Körpers vom Organismus alsweitaus anspruchsvoller und wichtiger erachtet wird alsdie motorische Organisation (Schleip 2003).

Die sensorischen Nervenendigungen im Muskel dienenals Rezeptoren. Aufgrund der Reizart, durch die die Re-zeptoren erregt werden, unterscheidet man

● Mechanorezeptoren: Erregung erfolgt durch nicht ge-webeschädliche, mechanische Reize; sie kommen imMuskel als Druck-, Vibrations-, Spannungs- und Deh-nungsrezeptoren vor.

● Nozizeptoren: Sie reagieren in spezifischer Weise aufgewebeschädliche oder potenziell gewebeschädigendeReize.

● Thermorezeptoren: Stimulierung erfolgt durch un-schädliche Erhöhung (Warmrezeptoren) respektiveSenkung (Kaltrezeptoren) der Temperatur.

Die sensitiven Strukturen des Muskels dienen somit alsRezeptoren für die Tiefensensibilität, die Propriozeptionund die Nozizeption. Mit Ausnahme der Muskelspindelnliegen sie in den Bindegewebsschichten (Muskelbinde-gewebe) und im Bereich des Muskel-Sehnen-Übergangs(▶Abb. 2.23).

Tab. 2.4 Zusammensetzung eines motorischen Nervs. Anteile motorischer, sensorischer und vasomotorischer Fasern am Beispiel des N.tibialis einer Katze (Nervenquerschnitt an der Stelle, wo der Nerv den lateralen Kopf des M. gastrocnemius und den M. soleus versorgt;nach Mitchell u. Schmidt 1977)

Anzahl %-Anteil (bezogenauf alle Nervenfasern)

%-Anteil (bezogen auf dieNervenfasern der Subgruppe)

Nervenfaser total 4 200 100

motorisch total 720 17,1

Aα (extrafusal: Willkürmotorik) 382 9,1 53,0

Aβ (extra- und intrafusale Muskulatur) 14 0,3 2,0

Aγ (intrafusal: Muskelspindeln) 324 7,7 45,0

vasomotorisch total 1700 40,5

sensorisch total 1780 42,4

Typ I & II (Golgi, Pacini, Pacini-forme,Ruffini)

370 8,8 20,8

Typ III & IV (interstitielle Rezeptoren:freie Nervenendigungen)

1410 33,6 79,2

motorisch (17,1 %)

sensorisch(42,2 %)

vaso-motorisch(40,5 %)

20 %Typ I u. II

80 %Typ III u. Typ IVinterstitielleRezeptoren

Abb. 2.22 Proportionale Anteile eines motorischen Nervs(N. tibialis). Ein typischer motorischer Nerv (z. B. N. tibialis einerKatze) besteht aus mehr als doppelt so vielen sensorischen wiemotorischen Neuronen. Innerhalb der sensorischen Neuronegehören ca. 20% zu den Typ-I- und Typ-II-Mechanorezeptoren,während die restlichen 80% des sensorischen Inputs aus demreichhaltigen Netzwerk der interstitiellen Rezeptoren (freieNervenendigungen, Fasertyp III und IV) stammen (nach Schleip2003).

Myofasziale Triggerpunkte

60

Rezeptortypen

Nach ihrem morphologischen Aufbau werden die rezepti-ven Strukturen, die im Muskel vorkommen, in zweiHauptgruppen unterteilt: freie Nervenendigungen undspezifizierte Rezeptoren mit korpuskulären Endigungen(Pacini-Rezeptoren und Pacini-forme Rezeptoren, Ruffini-Rezeptoren, Golgi-Sehnenorgane und Muskelspindeln,▶Abb. 2.23, ▶ Tab. 2.5).

▶ Freie Nervenendigungen. Die afferenten Fasern derfreien Nervenendigungen (▶Abb. 2.23a) sind zum größ-ten Teil nicht myelinisiert (Typ-IV-Fasern, Durchmesser0,5 – 1μm); daneben kommen auch dünne myelinisierteFasern als Afferenzen vor (Typ-III-Fasern, Durchmesser1 – 4μm). Beide – myelinisierte und nicht myelinisierte –

Typen enden in sog. freien Nervenendigungen, die mye-linisiert sind (▶Abb. 2.24). Die freien Nervenendigungensind die mit Abstand zahlreichsten Rezeptoren des Men-schen (Mense 2007). Sie bilden ein riesiges, verborgenesNetzwerk. Da sie im interstitiellen Raum enden, könnensie auch als interstitielle Rezeptoren bezeichnet werden(Schleip 2003). Elektronenmikroskopisch lassen sich un-terschiedliche Formen von freien Nervenendigungen un-terscheiden. Einige Endigungen weisen eine enge räum-liche Beziehung zu kollagenen Faserbündeln auf, was als

Hinweis auf eine mechanosensitive Funktion gedeutetwerden kann (Mense 2007).

Bezüglich Funktion lassen sich Mechano-, Nozi-, Ther-mo- und Chemorezeptoren unterscheiden, viele geltenals multimodal. Die Mehrzahl der freien Nervenendigun-gen hat mechanosensitive Funktion, wobei ca. 50% einehohe Reizschwelle haben und nur auf kräftige mecha-nische Einwirkung reagieren; die andere Hälfte mit einerniedrigen Reizschwelle spricht bereits auf geringfügigeDruckeinwirkung (Schleip 2003) und schwach bewegteReize (Mense 2007) an. Eine Studie zeigte, dass die inter-stitiellen Rezeptoren im Bereich der Kiefermuskulatur aufleichte Lageveränderung der Mandibula sowie gering-fügige Faszienverschiebungen reagieren, sodass denfreien Nervenendigungen – zusätzlich zur nozizeptivenFunktion (S.64) – auch eine propriozeptive Funktion zu-gesprochen wird (Sakada 1974).

Merke

Nicht alle freien Nervenendigungen sind Nozizeptoren.Viele der interstitiellen Rezeptoren (freie Nervenendigun-gen) sind Mechanorezeptoren und stehen im Dienst derIntero- und Propriozeption.

intrafusaleMuskelfasern

α-Motoneuron zu motorischer Endplatteeiner extrafusalen Muskelfaser

γ-Motoneuron zu motorischer Endplatteeiner intrafusalen Muskelfaser

II-(Aβ-)Faser mitblütendolden-ähnlicherEndigung

Ia-(Aα-)Faser mitanulospiraligerEndigung

Kernsackfaser

Scheide

Kernkettenfaser

extrafusaleMuskelfaser

Golgi-Sehnenorganmit Ib-Afferenzen

a

b

c

α- und γ-Motoneuronen zu motorischen Endplattenextrafusaler bzw. intrafusaler (quer gestreifter) Muskelfasern

Ia-(Aα-)Fasern zu anulospiraligenEndigungen (Propriozeption)

Ia-(Aα-)Fasern zu anulospiraligenEndigungen (Propriozeption)

II-(Aβ-)Fasern zu blütendoldenähnlichenEndigungen (Propriozeption)

II-Fasern von Pacini-formen Endapparaten (Druck)

II-Fasern von Vater-Pacini-Körperchen (Druck)

III-(Aδ-)Fasern von freien Nervenendigungen undeinigen spezialisierten Endelementen(Schmerz und Druck)

IV-(C-)Fasern (marklos) von freien Nerven-endigungen (Schmerz)

Ib-(Aα-)Fasern von Sehnenspindeln (Propriozeption)

Ib-(Aα-)Fasern von sehnenspindelähnlichenEndapparaten

II-(Aβ-)Fasern von Pacini-formen Rezeptorapparatenund Ruffini-Körperchen

III-(Aδ-) und IV-(C-)Fasern von freienNervenendigungen

Abb. 2.23 Der Muskel als Effektor- und Rezeptororgan. Efferente Nervenfasern (Motorik: rot) und afferente Nervenfasern (Sensorik:blau) in schematischer Übersicht (Müller-Wohlfahrt et al. 2014).a Überblick über die Gesamtheit der Muskel- und Gelenkrezeptoren sowie die afferenten und efferenten Nervenfasern.b Muskelspindel.c Golgi-Sehnenorgan.

2.2 Pathophysiologie

61

▶ Pacini-Rezeptoren. Diese haben (wie auch die funk-tionell ähnlichen Pacini-formen Rezeptoren) eine sehrniedrige Reizschwelle und adaptieren äußerst rasch. Siewerden also bei schnellen Druck- und Bewegungsände-rungen stimuliert, nicht aber bei langsamen. Sie dienensomit als Beschleunigungsdetektoren im Sinn eines pro-priozeptiven Feedbacks zur Bewegungssteuerung undsind Träger des Vibrationssinns. Sie kommen in allen fas-zialen Geweben vor, vor allem im periartikuären Bindege-webe, in umhüllenden Muskelfaszien (Einzel- und Grup-penfaszien), in spinalen Ligamenten, in Muskel-Sehnen-Übergängen und im Periost.

▶ Ruffini-Rezeptoren. Die rezeptiven Nervenendigun-gen sind bei diesem Rezeptortyp am Verlauf der Fasern

des Bindegewebes ausgerichtet, die bei geringer Reiz-schwelle sehr langsam adaptieren. Sie kommen vor allemin der Haut und in Gelenkkapseln (Stratum fibrosum) vor,aber auch in allen anderen Arten von faszialen Geweben,die regelmäßig auf Dehnung beansprucht werden (z. B.Fascia thoracodorsalis, Ligamente peripherer Gelenke).Sie sind Dehnungsrezeptoren, die bei langsamen gleiten-den Bewegungen stimuliert werden und besonders beitangentialen Belastungen (Lateral Stretch) reagieren(Kruger 1987). Eine wesentliche Reizantwort der Ruffini-Rezeptoren besteht in einer Senkung der Sympathikus-aktivität im Körper (Schleip 2003).

Klinischer Hinweis: Dies könnte erklären, warum dieFaszien-Dehntechnik, die Technik III (S.145), bei der mitlangsam gleitenden und flächigen Knöchelstrichen die

Tab. 2.5 Myofasziale Mechanorezeptoren (modifiziert nach Schleip 2003)

Rezeptor Lokalisation Sensitivität Wirkungen

Golgi

Fasertyp Ib

● Muskel-Sehnen-Übergang● Sehnen● Aponeurosenendigungen● Bänder peripherer Gelenke● Gelenkkapseln

Golgi-Sehnenorgan:● auf muskuläre Kontrak-tion und Dehnung

andere Golgi-Rezeptoren:● vermutlich nur auf kräf-tige Dehnreize

Tonussenkungvon hiermit verbundenenMuskelfasern

Pacini(und Pacini-forme)

Fasertyp II (& III)

● Muskel-Sehnen-Übergang● tiefe Kapselschichten● spinale Ligamente● umhüllende Muskelfaszien● Muskelsepten (Guppenfaszien)

rasche Druckwechselund vibratorische Mani-pulationen

propriozeptives Feedbackzur Bewegungssteuerung(Kinästhetik)

Ruffini

Fasertyp II

● Haut● Ligamente peripherer Gelenke● Dura mater● äußere Gelenkkapsel● andere Gewebe, die auf regelmä-ßige Dehnung angelegt sind

rasche Druckwechsel(wie Pacini), aber auch aufanhaltenden Druckspeziell empfindsam fürTangentialbelastungen

Senkung der Sympathi-kusaktivität

interstitielle(freie Nervenendigungen)

Fasertyp III (seltener) undFasertyp IV (häufiger)

● häufigster Rezeptor, findet sichfast überall, selbst in Knochen

● dichtestes Vorkommen im Periost● in der Muskulatur: Muskelbinde-gewebe, aber auch in der Wandder intramuskulären Blutgefäße

sowohl bei wechselndemals auch anhaltendemDruck und bewegten Rei-zen50% mit hoher und 50%mit niedriger Reizschwelle

Verstärkung der Vaso-dilationund vermutlich auch derPlasma-Extravasation

Muskelspindeln

Fasertyp Ia & II

● ausschließlich in der Muskulatur Längenveränderung derMuskulatur (Ausmaß undGeschwindigkeit)Dehnung

PropriozeptionKinästhetikGrundtonusTonusregulation

Myofasziale Triggerpunkte

62

Muskelfaszie (aber selbstverständlich auch die darüber-liegende Haut mit den Ruffini-Rezeptoren) tangential ge-dehnt wird, von der Mehrzahl der Patienten als äußerstwohltuend und „entspannend“ erlebt wird.

▶ Golgi-Sehnenorgan. Dieser Rezeptortyp liegt haupt-sächlich (zu über 90%) am Sehnen-Muskel-Übergang(vorwiegend in den muskulären Übergangszonen,▶Abb. 2.23c), darüber hinaus aber auch in den Sehnenselbst sowie in anderen faszialen Geweben, z. B. in denEndbereichen von Aponeurosen, in Gelenkkapseln undzahlreichen Ligamenten. Golgi-Rezeptoren zählen zu denlangsam adaptierenden Mechanorezeptoren. Sie sind ty-pische Spannungssensoren des Skelettmuskels und wer-den sowohl durch Kontraktion als auch durch Dehnungdes Muskels erregt. Als Reizantwort erfolgt eine reflekto-rische Hemmung der zugehörigen motorischen Einheit.Im Gegensatz zu früheren Annahmen ist das Golgi-Seh-nenorgan kein hochschwelliger Rezeptor, der nur beistarker Kraftentwicklung anspricht und den Muskeldurch Hemmung der spinalen Motoneurone reflektorischvor Überlastung schützt. Nach aktuellem Kenntnisstandreagieren Golgi-Rezeptoren bereits auf die Kontraktioneiner oder weniger motorischer Einheiten, sodass sie ver-mutlich auch bei physiologischen Muskelkontraktionenaktiv sind (Mense 2007).

▶ Muskelspindeln. Sie sind die Dehnungsfühler derMuskulatur. Jede Muskelspindel (▶Abb. 2.23b) bestehtaus spezialisierten Muskelfasern (intrafusalen Muskel-fasern) sowie aus sensorischen (Ia- und II-Fasern), moto-rischen (Aγ-Fasern) und vegetativen Nervenfasern mitihren Nervenendigungen und einer Kapsel. Die intrafusa-len Muskelfasern sind von Zellen des Endomysiums um-

geben. Diese bindegewebige Hülle der Muskelspindel um-schließt als Bindegewebskapsel (mit einer Länge zwi-schen 2 und 10mm) die intrafusalen Muskelfasern, dieparallel zu den quergestreiften (extrafusalen) Muskelfa-sern der Arbeitsmuskulatur liegen. Entsprechend der An-ordnung ihrer Kerne werden 2 Typen intrafusaler Fasernunterschieden: Kernsackfasern (primärsensibel zur Regis-trierung der dynamischen Dehnungsänderung, Ia-Fasern,1 – 3 pro Muskelspindel) und Kernkettenfasern (sekun-därsensibel zur Registrierung des statischen Dehnungs-zustands, Ia-Fasern und zusätzlich Typ-II-Fasern, 3 – 7 proMuskelspindel). Die Muskelspindeln haben somit sowohldynamische als auch statische Empfindlichkeit.

Muskelspindeln unterscheiden sich von allen anderenRezeptoren dadurch, dass ihre Empfindlichkeit durch ef-ferente γ-Fasern verstellt werden kann. Sie haben dem-nach eine Doppelfunktion und sind zugleich Rezeptorund Effektor in einem. Als Rezeptoren messen die Mus-kelspindeln die Länge eines Muskels vor, während undnach einer Kontraktion. Dabei wird nicht nur das Ausmaßder Dehnung, sondern auch die Geschwindigkeit gemes-sen, mit der sich die Länge ändert. Die Spindeln sinddemnach proportional-differenzielle Rezeptoren. Als Län-genmesser (Dehnungsrezeptoren) sind die Muskelspin-deln parallel zu den extrafusalen Muskelfasern angeord-net. Wenn sich der Skelettmuskel kontrahiert, werden dieMuskelspindeln entdehnt und senken ihre Entladungsfre-quenz. Durch die Kontraktion der intrafusalen Fasernwird sichergestellt, dass auch während der Kontraktionder extrafusalen Fasern adäquate Informationen über denDehnungszustand der Muskulatur respektive die Muskel-länge gewonnen werden können. Dies wird ermöglichtdurch eine spezifische Konstruktion der Muskelspindeln:Der mittlere Teil der intrafusalen Fasern enthält nur we-

Rückenmark

Freisetzung von SP und CGRP+ Einfluss lokalerEntzündungsmediatoren

Synthese (im Zellkörper) undTransport (im Axon) vonTransmittern (Glutamat, SP,CGRP), Proteinen u.a.m.

RezeptionVasodilatation

Plasmaextravasation

Freisetzung vonTransmittern (Glutamat, SP und CGRP)+ zentrale Einflüsse

ModulationReflexe

Regulationen

ZellkörperAxonPeripherie

zentraleSensibilisierung

periphereSensibilisierung

Abb. 2.24 Periphere und zentraleSensibilisierung. Das primär affe-rente nozizeptive Neuron bildet dasInterface zwischen peripheren Ge-weben (Haut, Muskulatur, Gelenk-kapseln u. a. m.) und Rückenmarkbzw. Hirnstamm (spinale Trigemi-nuskerne) und kann sowohl zurperipheren wie zur zentralen Sen-sibilisierung beitragen; durch-gehende Pfeile: elektrischeErregung; unterbrochene Pfeile:Molekültransport (nach Jänig u.Baron 2011, modifiziert nach Böhniet al. 2015).

2.2 Pathophysiologie

63

nige Fibrillen und ist im Wesentlichen nicht kontrahier-bar. Um diesen äquatorialen Bereich (nicht kontraktil,dehnbar) der intrafusalen Fasern sind Endigungen sensib-ler, afferenter Nervenfasern (Typ Ia und II) geschlungen;diese rezeptiven Formationen werden auch als annulospi-rale Endigungen bezeichnet. Sie sind die dehnungsemp-findlichen Teilstrukturen der Muskelspindel (Rezeptor-funktion). Lediglich an beiden Enden der intrafusalen Fa-sern befinden sich kontraktile Bereiche (Effektorfunk-tion); sie werden von γ-Motoneuronen über Aγ-Faserninnerviert. Diese kontraktilen Abschnitte haben 2 Auf-gaben:● Um die Messfunktion der Muskelspindel auch währendeiner Skelettmuskelkontraktion gewährleisten zu kön-nen, müssen intrafusale und extrafusale Muskelfasernsich gleichzeitig verkürzen (α-γ-Koaktivierung).

● Sie ermöglichen, die Empfindlichkeit des Spannungs-fühlers „Muskelspindel“ (also die der eigenen Rezeptor-tätigkeit) einzustellen und zu verändern. Die Einstel-lung und Veränderung der Empfindlichkeit der Rezep-torfunktion der Muskelspindeln erfolgen über γ-Moto-neurone, deren Zellsoma im Vorderhorn des Rücken-marks liegen. Durch Aufsplitterung eines Axons inner-viert jedes γ-Motoneuron mehrere Muskelspindeln;umgekehrt wird jede Muskelspindel von mehrerenγ-Motoneuronen versorgt. Auch bei körperlicher Ruhezeigen die γ-Motoneurone eine hohe Ruheentladungs-frequenz und prägen damit den Grundtonus der Mus-kulatur (S.704). Afferenzen von höheren Kerngebieten(spinaler Interneuronenpool, Formatio reticularis) mo-difizieren die Ruheentladungsfrequenz der γ-Moto-neurone und bewirken dergestalt die Tonusregulation.

Eine nozizeptive Erregung, die aus dem Muskel selbststammt und längere Zeit andauert, hemmt einerseits dieγ-Aktivierung und die motorische Aktivität des Muskels,während sie gleichzeitig die motorische Aktivität derAntagonisten steigert. Ein verlängerter nozizeptiver Inputaus Gelenken oder von nicht muskulärem Bindegewebejedoch erhöht die γ-Aktivierung, steigert die motorischeAktivität und senkt die Aktivität wieder mit zunehmen-der Zeitspanne (Audette et al. 2009).

Muskelspindeln kommen in allen Skelettmuskeln vor,gehäuft treten sie auf in Muskeln mit Haltefunktion (post-uralen Muskeln) und in Muskeln, die feinmotorische Be-wegungen ausführen. Muskelspindeln sind im gesamtenMuskel zu finden; innerhalb eines Muskels liegen ins-gesamt 40 – 500 Muskelspindeln. Eine besonders hoheSpindeldichte weisen beispielsweise die tiefen Nacken-muskeln sowie die äußeren Augen- und Larynxmuskelnauf.

Alle sensorischen Informationen aus dem Muskel stam-men – mit Ausnahme der Muskelspindelafferenzen – ausden Faszien. Die Anordnung der Rezeptoren folgt der Fas-zienarchitektur. Die Sensorik des Muskels ist somit ge-

prägt von der Faszienarchitektur des muskulären Binde-gewebes.

Tiefensensibilität: Interozeption, Propriozeption

Eine Vielzahl sensorischer Nervenendigungen in denmyofaszialen Strukturen dient als Rezeptoren (s. o.). Diemechanosensitiven Strukturen (▶ Tab. 2.5) ermitteln da-bei die Tiefensensorik.

Interozeption (Körperempfindungen wie Leichtigkeitoder Schwere, Weite oder Enge, Druck oder Lösung etc.)und Propriozeption (Informationen über die Stellungund Bewegung der Extremitäten sowie über die Positiondes Gesamtkörpers) prägen stark die Selbstwahrneh-mung und tragen viel zum (Un-)Wohlsein bei. Ob undwie gut jemand seinen Körper wahrnimmt, hängt zumGroßteil von den Rückmeldungen der faszialen Rezepto-ren ab. Während früher davon ausgegangen wurde, dassdie Propriozeption in erster Linie auf Informationen vonden Gelenksrezeptoren beruht, ist heute bekannt, dassdie Gelenksrezeptoren beinahe ausschließlich erst imendgradigen Bereich rückmelden. Im physiologischen Be-wegungsbereich scheinen die Rückmeldungen weit-gehend von den drehpunktentfernteren faszialen Rezep-toren im Muskelbindegewebe zu stammen (Schleip2009). Die Erregungen der Endigungen der Tiefensensorikführen nicht immer zu bewussten Sinnesempfindungen(Mense 2007), sondern werden vielfach unterbewusstverarbeitet.

Merke

Die Muskeln mit ihren faszialen Strukturen sind das reich-haltigste Sinnesorgan des Menschen. Von ihnen emp-fängt das ZNS die größte Anzahl an afferenten Neuronen,die es mit einer unglaublichen Fülle von Informationenversorgen. Die Muskulatur – das myofasziale Organ – istdas Ohr des Menschen nach innen (Interozeption, Pro-priozeption).

Nozizeption

▶ Nozizeptoren. In der quergestreiften Muskulatur die-nen freien Nervenendigungen (S.60) (▶Abb. 2.24), die anihrem Ende meist verzweigt sind, als Nozizeptoren. Nozi-zeptoren sind darauf spezialisiert, gewebeschädigendeund potenziell gewebeschädigende Reize zu registrieren.Die Unterschiede in der Mikrostruktur der freien Nerven-endigungen sind bis heute nicht bis ins Detail bekannt. Eswerden unimodale Nozizeptoren, z. B. Mechano-Nozizep-toren, die nur auf starke mechanische Reize ansprechen(Kneifen, Quetschen), und polymodale Nozizeptoren un-terschieden, die sowohl mechano-, thermo- und chemo-sensibel sind. Die meisten Nozizeptoren in der Muskula-tur sind polymodal (Mense 2007, Weiss u. Schaible 2008)

Myofasziale Triggerpunkte

64

und können auf mechanische, thermische und chemischeSchadreize reagieren.

Muskelnozizeptoren haben eine relativ hohe Reiz-schwelle. Die Reizschwelle mechanosensitiver Nozizepto-ren liegt rund 1000-mal höher als diejenigen der Mecha-norezeptoren (Schmidt u. Thews 1999), und physiologi-sche Reize wie Muskeldehnung oder -kontraktion erregendie Nozizeptoren nicht. Schadreize, z. B. direkte Traumen,übermäßig starke Druck- oder Zugkräfte, Ischämie oderendogene Entzündungsmediatoren, lösen eine Erregungder Nozizeptoren aus, die über afferente Fasern vom TypIII (dünnmyelinisiert, Aδ-Fasern) oder Typ IV (unmyelini-siert, C-Fasern) dem ZNS zugeleitet und subjektiv alsSchmerz wahrgenommen wird (▶Abb. 2.23a,▶Abb. 2.24, ▶Abb. 2.53).

▶ Muskel- vs. Hautschmerz. Schmerz, der aus der Mus-kulatur kommt, unterscheidet sich in vielen Aspekten vonHaut- oder Eingeweideschmerz. Nicht nur ist der Ort derEntstehung verschieden, es zeigen sich auch klinisch un-terschiedliche Schmerzmuster. Therapeutisch gesehen istes daher relevant, zwischen Muskel- und Hautschmerz zudifferenzieren. Die wichtigsten der sich klinisch manifes-tierenden Unterschiede zwischen Muskel- und Haut-schmerzen sind in ▶ Tab. 2.6 zusammengefasst.

Die Verarbeitung von Muskel- und von Hautschmerzerfolgt im Kortex nicht am selben Ort. Messungen derkortikalen Aktivität des Menschen mit bildgebenden Ver-fahren (PET-Messung [PET: Positronenemissionstomo-grafie]) haben gezeigt, dass bei schmerzhafter Reizungeines Skelettmuskels andere kortikale Gebiete erregt wer-den als bei der Reizung der darüberliegenden Haut(Svensson et al. 1997). Bei schmerzhafter Reizung desMuskels findet sich eine deutlich stärkere Aktivierung imvorderen Gyrus cinguli. Der Gyrus cinguli wird mit der af-fektiv-emotionalen Schmerzkomponente und einer er-höhten Aufmerksamkeit bei Schmerzreizen in Verbin-dung gebracht. Dieser Befund würde zu der stärkerenaffektiven Betonung von Muskelschmerzen passen (Men-se 2003a).

Muskel- und Hautschmerz unterscheiden sich auf allenEbenen des Nervensystems deutlich voneinander (peri-phere Nozizeption, Reizverarbeitung im ZNS und korti-kale Repräsentation). Eine Übertragung der Mechanis-

men des Hautschmerzes (die meisten wissenschaftlichenAussagen über Schmerzen stammen bisher aus Unter-suchungen zum Hautschmerz) auf den Muskelschmerz istdeshalb nicht gerechtfertigt (Mense 2003a).

Merke

Muskel- und Hautschmerz sind auseinanderzuhalten. So-wohl das klinische Bild als auch der Ort der Schmerzent-stehung, die Bahn der Reizleitung und das Muster derkortikalen Aktivierung bei Muskelschmerz unterscheidensich deutlich von dem bei Hautschmerz.

Lokale Muskelschmerzen sind Schmerzen, die durch dieüberschwellige Reizung von Nozizeptoren im Muskel aus-gelöst und am Ort der Schädigung empfunden werden.Wie das Phänomen des übertragenen Schmerzes (Refer-red Pain) zeigt, sind beide Bedingungen nicht selbstver-ständlich. Im Gegensatz zum Hautschmerz hat der Mus-kelschmerz eine starke Tendenz zur Übertragung (S.92),d. h., die Patienten empfinden die Schmerzen nicht (nur)am Ort des geschädigten Muskels (mTrP), sondern u. U. inbeträchtlicher Entfernung davon (Mense 2003a).

▶ Efferente Funktion der Nozizeptoren. Die Fasern derNozizeptoren enthalten Neuropeptide (z. B. Substanz P,das vom Kalzitonin-Gen abgeleitete Peptid [CGRP] undSomatostatin), die in den Nervenendigungen gespeichertsind. Bei Erregung werden diese Peptide freigesetzt undverändern so das chemische Milieu in ihrer Umgebung.Besonders Substanz P und CGRP sind stark vasoaktiv. Siebeeinflussen die lokale Durchblutung und durch Dilata-tion und Permeabilitätserhöhung der Blutgefäße kann einlokales Ödem entstehen. Ein Nozizeptor kann somit überdie Freisetzung von Neuropeptiden die Mikrozirkulationin seiner Umgebung beeinflussen (Mense 2008b). Da dieSubstanz P und CGRP nicht nur vaso-, sondern auchneuroaktiv sind, bewirken sie gleichzeitig eine Sensibili-sierung der Nozizeptoren.

▶ Sensibilisierung der Nozizeptoren. Eine wichtige Ei-genschaft der nozizeptiven freien Nervenendigungen be-steht darin, dass ihre Reizbarkeitsschwelle veränderbar

Tab. 2.6 Klinische Unterschiede zwischen Muskel- und Hautschmerz (modifiziert nach Mense 2008b)

Muskelschmerz Hautschmerz

Präzision der Schmerzangabe häufig nur ungenau, diffus präzise

Lokalisation tief oberflächlich

Begrenzung der Schmerzregion nicht klar abgrenzbar klar begrenzt

Charakter dumpf, reißend, krampfend, drückend hell, stechend, brennend, schneidend

Tendenz zur Schmerzübertragung(Referred Pain)

sehr häufig fehlt

affektive Bewertung schwer zu ertragen besser erträglich

Reaktion bei elektrischer Nervenreizung nur ein Schmerz auf einen 1. Schmerz folgt ein 2. Schmerz

2.2 Pathophysiologie

65

ist. Folgende Faktoren können beispielsweise eine Sensi-bilisierung der Nozizeptoren auslösen:● Saurer pH-Wert: Ein saurer pH-Wert (pH 6–5) respek-tive eine erhöhte Konzentration von Wasserstoffionen(H+) ist ein Schlüsselfaktor bei der Nozizeptorsensibili-sierung (Mense 2013).

● Adenosintriphosphat (ATP) aus geschädigten Muskel-zellen sensibilisiert nozizeptive Strukturen (Mense2013).

● Neuropeptide wie Substanz P oder CGRP: Substanz Pkommt in nozizeptiven Nervenendigungen besondershäufig vor und kann –wie auch CGRP – die Schmerz-sensibilisierung verstärken (Lawson et al. 1997).

● Endogene Entzündungsmediatoren: Substanzen wieBradykinin (das durch Abspaltung aus dem Plasma-protein Kallidin entsteht), Serotonin (das aus Thrombo-zyten freigesetzt wird) und Prostaglandin E2 (das ausendothelialen Zellen ausgeschüttet wird) intensivierendie periphere Sensibilisierung (Mense 2008b).

● Nervenwachstumsfaktor (Nerve Growth Factor, NGF):NGF wird im Muskel synthetisiert und sensibilisiertMuskelnozizeptoren (Hoheisel 2005, 2007). In einementzündeten Muskel ist die NGF-Synthese gesteigert(Mense 2008b).

● Interleukin 6 (IL 6): IL 6 wird von Monozyten gebildetund wirkt sensibilisierend auf die Nozizeptoren.

● Modulation der Rezeptormembran: Die nozizeptivenfreien Nervenendigungen besitzen in der Membranspezifische Rezeptormoleküle. Unter pathologischenUmständen kann sich die Ausstattung der Membranmit Rezeptormolekülen verändern, wodurch es zu einerSensibilisierung der Nozizeptoren kommen kann.

● Sympathikusaktivität: Die Ausschüttung von Noradre-nalin kann die Nozizeptoren in der Peripherie weitersensibilisieren (Jänig 2008).

Das nozizeptive, primär afferente Neuron bildet die Ver-bindung zwischen den peripheren Geweben (Haut, Mus-kulatur, Gelenkkapseln, Viszera etc.) und dem Rücken-mark bzw. Hirnstamm (spinale Trigeminuskerne). Es istgleichzeitig afferent (nozizeptiv) wie auch efferent aktiv,indem es im Zellkörper eine Vielzahl von Substanzen her-stellt (Produktion von Neuropeptiden [SP, CGRP], Gluta-mat, Nervenwachstumsfaktoren, Proteinen, Enzymenu. a. m.) und diese im Axon sowohl nach distal als auchnach zentral transportiert (Axoplasmatransport,▶Abb. 6.9). Als Schnittstelle zwischen Peripherie undZentrum kann es maßgeblich mitbeteiligt sein sowohl beider peripheren als auch bei der zentralen Sensibilisierung(▶Abb. 2.24) – beide Sensibilisierungsprozesse sind rele-vant für die Entstehung mTrPs (S.98).

▶ Entstehung von Muskelschmerz● Schmerzen nach Muskelläsion: Die Druck- und Bewe-gungsempfindlichkeit eines verletzten Muskels beruhtauf der Sensibilisierung der muskulären Nozizeption

durch im Muskel freigesetzte Substanzen wie Bradyki-nin, Serotonin und Prostaglandine, aber auch ATP undein tiefer pH-Wert spielen eine wesentliche Rolle.Bei einer Verletzung werden beispielsweise endogeneSubstanzen wie Bradykinin (BK) und Prostaglandin E2(PG E2) freigesetzt. PG E2 sensibilisiert die freien Ner-venendigungen gegenüber BK und BK seinerseits sensi-bilisiert die Nozizeptoren. Dieser Zusammenhang ist in-sofern klinisch relevant, als beide Substanzen in geschä-digtem Gewebe praktisch immer gemeinsam freigesetztwerden. Endogene chemische Substanzen wie PG E2können die Nozizeptoren aber nicht nur gegenüber an-deren chemischen Substanzen sensibilisieren. Sie ver-mögen auch direkt die mechanische Empfindlichkeitder Nozizeptoren zu steigern, sodass diese nun bereitsdurch schwache Reize erregt werden. Leichter Druckwird unter diesen Umständen bereits als Schmerz emp-funden. Die Sensibilisierung der Muskelnozizeptorendurch endogene Mediatoren wie Bradykinin und Pros-taglandin E2 ist somit einer der Gründe für die Druck-schmerzhaftigkeit und den Bewegungsschmerz bei Pa-tienten mit Muskelläsionen (Mense 2008b).Darüber hinaus sind für die Generierung von Muskel-schmerz zwei chemische Reize besonders bedeutsam:Adenosintriphosphat (ATP) und Protonen (H+-Ionen).Diese Reizstoffe erregen die Nervenendigungen überdie Bindung an Rezeptormoleküle, die sich in der Mem-bran der Endigungen befinden (Details in Mense2008b).ATP kommt in allen Körperzellen vor und wird bei jederGewebeverletzung freigesetzt. Injektion von ATP in ge-ringer Konzentration stimuliert bei Ratten die Muskel-nozizeptoren (Reinöhl et al. 2003). ATP ist in Muskelzel-len besonders hoch konzentriert und kann bei Muskel-traumen (beispielsweise einer Prellung oder Muskelzer-rung) oder bei anderen pathologischen Veränderungen(beispielsweise einer nekrotisierenden Myositis) alsSchmerzfaktor wirken (Mense 2008b).

● Nozizeptoren haben protonenempfindliche Ca2+- oderNa+-Kanäle, die auf eine pH-Senkung im Gewebe, z. B.bei einer Entzündung, reagieren. Die Nozizeptoren wer-den somit durch eine Protonenzunahme, d. h. bei tie-fem pH-Wert, sensibilisiert (Issberner et al. 1996). Einsaurer pH-Wert des Gewebes ist einer der wichtigstenReize, die Muskelschmerzen auslösen (Mense 2008b).

Merke

Ein saurer pH-Wert des Gewebes ist einer der wichtigstenReize, die Muskelschmerzen auslösen.

● Ischämischer Schmerz im Muskel: Eine Ischämie kannentstehen, wenn sich ein Muskel mit mehr als 5 – 30%(je nach Muskel) seiner maximalen Kraft tonisch kon-trahiert, da er dann die eigenen Blutgefäße kompri-

Myofasziale Triggerpunkte

66

miert (Järvholm et al. 1988). Den durch Muskelverspan-nungen verursachten Schmerzen liegt als Hauptursacheeine Muskelischämie mit pH-Senkung und Freisetzungschmerzauslösender endogener Substanzen (v. a. Bra-dykinin, ATP, H+) zugrunde (Mense 2008b). MTrPs sinddurch lokale Gefäßkompression von der Blutversorgungabgeschnitten; der myofasziale Schmerz ist somit inerster Linie ein ischämischer Schmerz (Dejung 2009,Mense 2008b).

Merke

Der durch TrPs ausgelöste myofasziale Schmerz ist einischämischer Schmerz (Dejung 2009).

Eine besondere Gruppe von Nozizeptoren stellen diestummen oder „schlafenden“ Nozizeptoren (S.85) dar,die unter Entzündungsbedingungen sensibilisiert werdenund erst nach einer solchen Sensibilisierungsphase aufmechanische Reize antworten (Mense 2007).

Merke

Aus lokalen Muskelschmerzen können infolge von peri-pheren und zentralen Sensibilisierungsvorgängen chro-nische Muskelschmerzen (Kap. 2.2.5) sowie übertrageneSchmerzen (Referred Pain, Kap. 2.2.6) entstehen.

Zusammenfassung

Muskelschmerz● Muskelschmerzen sind von Haut- oder Eingeweide-schmerzen zu unterscheiden.

● Die nozizeptiven Strukturen im Skelettmuskel bestehenaus freien Nervenendigungen. Sie sind multimodal undwerden durch mechanische, thermische und che-mische Schadreize erregt.

● Die Sensibilisierungsschwelle der Nozizeptoren ist ver-änderbar.

● Die Nozizeption im Muskel hat primär eine Alarmfunk-tion. Sie dient dem Organismus, Abweichungen vonphysiologisch gegebenen Grenzwerten bezüglich dermechanischen Belastung und des biochemischen Mi-lieus zu registrieren und gegebenenfalls entsprechendeGegenmaßnahmen zum Schutz der Struktur einzulei-ten.

● Die ursprüngliche Schutzfunktion lokaler Muskel-schmerzen kann durch eine überschießende periphereund/oder zentrale Sensibilisierung entgleisen, sodass inder Folge chronische Muskelschmerzen (Kap. 2.2.5)und/oder übertragene Schmerzen (Referred Pain,Kap. 2.2.6) entstehen.

Funktionsmodelle

Zentrale Aufgabe des Bewegungssystems ist, Haltung(Aufrichtung) und Bewegung zu ermöglichen respektivezu gewährleisten. Wie organisiert sich der Organismus,damit er diese Aufgaben ökonomisch lösen kann? Ver-schiedene Funktionsmodelle betonen unterschiedlicheStrategien, die zum Tragen kommen können.

Konventionell-mechanisches Modell

Die übliche Sichtweise geht vom Einzelnen aus. EinzelneMuskeln und Knochen bilden die Grundlage des gängigenAnatomieverständnisses: Ein Muskel verbindet zwei Kno-chen; Ursprungs- und Ansatzstellen werden unterschie-den. Aufgabe des Muskels ist, diese beiden Punkte einan-der anzunähern, d. h. zu bewegen – respektive Bewegungzu verhindern. Die Mechanik, wie sie aus der klassischenPhysik bekannt ist, wird in dieser konventionellen Sicht-weise auf Haltung (Statik) und Bewegung (Kinetik) desMenschen übertragen. Entsprechend wird die Wirbelsäu-le als Turm gesehen, wobei die Wirbelkörper wie einzelneBausteine übereinandergetürmt sind und jeder darunter-liegende Wirbel den darüberliegenden trägt(▶Abb. 2.25); das Gewicht des Kopfs ruht auf dem erstenHalswirbel und wird von der Halswirbelsäule getragenetc. Das Skelett wird generell als Kompressionsstrukturgesehen: Jedes Element steht unter Kompression und lei-tet Kompressionskräfte weiter, wobei der unterste Bau-stein das gesamte Gewicht aller darüberliegenden Bau-steine tragen und an die Erde weiterleiten muss. Die Mus-kulatur hat in diesem Modell die Aufgabe, die einzelnenKompressionselemente zu stabilisieren und gegeneinan-

Abb. 2.25 Konventionell-mechanisches Modell. Druck wirdnach unten weitergegeben; die einzelnen Bausteine werden beiden Kontaktflächen durch Kompressionskräfte belastet.

2.2 Pathophysiologie

67

der zu bewegen. Das Bindegewebe füllt in diesem kon-ventionellen Konzept die Zwischenräume zwischen deneinzelnen Knochen und Muskeln (und Blutgefäßen etc.)aus – und wird kaum beachtet.

In diesem Modell werden relevante Fakten jedoch nichtberücksichtigt. Beispielsweise bilden die Wirbelkörper(das sog. Feste, Tragende) nicht die Form der Wirbelsäule;die Form wird vielmehr von den Zwischenwirbelscheiben(Bindegewebe) modelliert. Bemerkenswert ist auch, dassstraffes Bindegewebe auf Zug äußerst belastbar ist(▶Tab. 2.7). Da sich eine Bindegewebsstruktur entspre-chend den Belastungsreizen, denen sie ausgesetzt ist,bildet (van den Berg 2011), bedeutet dies, dass sie regel-mäßig unter massiver Zugbelastung steht. Das konven-tionelle mechanische Modell (Kompressionsmodell)berücksichtigt dieses Phänomen der Zugspannung nichtangemessen. Diesbezüglich ist das sog. Tensegrity-Modellleistungsfähiger, da es beides – Spannungs- und Kom-pressionsbelastung – integriert.

Tensegrity-Modell

Ein statisches System, das sich durch Druck- und Zug-spannungen selbst stabilisiert, wird als Tensegrity-Struk-tur bezeichnet.

„Tensegrity“ ist ein Kunstwort, zusammengesetzt ausden englischen Wörtern „tension“ (Spannung) und „inte-grity“ (Integrität, Einheit). Der amerikanische Architekt,Ingenieur und Designer Richard Buckminster Fuller (1895– 1983) machte den Begriff populär und griff dabei aufKonstruktionen des Künstlers Kenneth Snelson (geb.1927) zurück. Das Grundprinzip ist einfach: Eine Tense-grity-Struktur kombiniert Spannungs- und Kompres-sionselemente (▶Abb. 2.26). Die Kompressionselementesind jedoch wie Inseln, die im Meer der kontinuierlichenZugspannung schwimmen (Myers 2004). Die Kompressi-onselemente („Stäbe“) drücken nach außen gegen dieSpannungselemente („Seile“), die nach innen ziehen. Be-merkenswert ist, dass die festen Elemente (Kompres-sionselemente) nirgends in direktem Kontakt zueinanderstehen und Kompressionskräfte somit nicht von einemFestkörper (Knochen) auf den nächsten abgegeben wer-den. Die wirkenden Kräfte werden vielmehr durch Zug-spannung dynamisch auf das gesamte System übertragen.Tensegrity-Strukturen erhalten ihre Integrität primär da-durch, dass sie Spannung weiterleiten. Die weitergeleite-ten Zugspannungskräfte halten ein dynamisches Gleich-

gewicht der Gesamtstruktur im Sinne eines dreidimen-sionalen Spannungsnetzwerks aufrecht (▶Abb. 2.27).

Eine Besonderheit solcher Tragsysteme liegt aus struk-turmechanischer Sicht in den „Seilen“. Diese müssen in

Tab. 2.7 Druck- und Zugfestigkeit unterschiedlicher Gewebe(Tittel 2003)

Druckfestigkeit Zugfestigkeit

Knochen(Wirbelkörper-Spongiosa)

42 kp/cm2 9 kp/cm2

Faserknorpel(Zwischenwirbelscheibe)

30 kp/cm2 49 kp/cm2

straffes Bindegewebe(Wirbelsäulenbänder)

210 kp/cm2

Abb. 2.27 Hier ein Modell des nach dem gleichen Prinzip vonKenneth Snelson (1968) gestalteten „Needle Tower“, der imHirshhorn Museum & Sculpture Garden in Washington DCausgestellt ist. Die Aluminium-Rohre berühren sich beim knapp20m hohen Turm nirgends; sie sind durch Stahlseile verbunden,welche die Zug- und Druckkräfte übertragen.

Abb. 2.26 Tensegrity-Modell: Die festen Elemente (Stäbe)dienen als Abstandhalter und drücken nach außen gegen dieSpannungselemente (Gummibänder), die nach innen ziehen.Die festen Elemente berühren sich nirgends direkt; Kompres-sions- und Zugkräfte werden über die Spannungselemente(Bänder) dynamisch im Netzwerk des gesamten Systemsverteilt.

Myofasziale Triggerpunkte

68

definierter Weise vorgespannt sein, um eine gegenüberäußeren Einwirkungen widerstandsfähige Gesamtstruk-tur zu erzielen. Der Kraftverlauf, die Durchbiegungen unddas Schwingungsverhalten der Tensegrity-Tragwerkewerden maßgeblich durch den Zustand der Vorspannungin den Seilen beeinflusst.

Die Stabilität in einer Tensegrity-Struktur zeichnet sichdurch Elastizität aus – im Gegensatz zu einer durch-gehenden Kompressionsstruktur, die vorwiegend durchSteifigkeit charakterisiert ist. Belädt man eine Ecke einerTensegrity-Struktur mit einem Gewicht, wird die gesam-te Struktur etwas nachgeben, um die Kraft aufzunehmen.Alle miteinander verbundenen strukturellen Elementeeiner Tensegrity-Struktur ordnen sich als Antwort aufeine lokale Belastungsänderung neu an. Eine Zunahmeder Belastung führt dazu, dass sich mehr und mehr Ele-mente in Richtung der Zugkraft anordnen, sodass es zueiner Versteifung des Materials kommt. Anders aus-gedrückt: Tensegrity-Strukturen sind elastisch und wer-den umso stabiler, je mehr sie belastet werden (Myers2004).

Übertragen auf das menschliche Bewegungsorganheißt dies: Die Knochen können als Kompressionsele-mente (Stäbe) und die myofaszialen Strukturen als umge-bende Spannungselemente (Seile) angesehen werden.Das Skelett ist nur vermeintlich eine durchgängige Kom-pressionsstruktur; im Tensegrity-Modell werden dieKnochen als „Abstandshalter“ angesehen, die nach außengegen das Spannungssystem der myofaszialen Strukturendrücken. Der Tonus der myofaszialen Einheit wird dabeizur bestimmenden Größe für die Balance der Gesamt-struktur (Myers 2004). Die adäquate Vorspannung (nichtEntspannung) der myofaszialen Strukturen ist Zeicheneines gesunden Körpers und bestimmt die Widerstands-fähigkeit der Gesamtstruktur gegenüber äußeren Einflüs-sen.

Eine lokale Veränderung beeinflusst das gesamte Netz-werk, die Anpassung erfolgt jedoch nicht gleichmäßig;die stärkste Veränderung tritt oftmals diagonal gegen-über auf. Eine lokale Störung der myofaszialen Strukturenkann sich somit über das ganze System ausbreiten und zuProblemen beim schwächsten Glied in der Kette führen.

Die Sichtweise des muskuloskelettalen Systems alsTensegrity-Struktur geht primär vom Ganzen, vom Sys-tem aus. Sie betont den Zusammenhang, die Kontinuität,das Verbundensein, die Interaktion und Kommunikationder einzelnen Subsysteme. Die faszialen Strukturen bil-den ein ununterbrochenes Netzwerk, das den ganzenKörper durchzieht, vielfältig in Taschen und Kammern ge-gliedert ist und alles mit allem verbindet. Im myofaszia-len System dynamisieren die kontraktilen Elemente derMuskulatur das fasziale Netzwerk und bewirken damitsowohl eine optimale Vorspannung der Spannungsele-mente der Tensegrity-Struktur als auch die Bewegungdes Gesamtsystems. Dabei treiben die Muskelzellen imFasziennetz umher wie Fische in einem Fischernetz. Ihre

Bewegung übt einen Zug auf die faszialen Strukturen aus,die ins Periost übergehen, wodurch die Zugkraft auf denKnochen übertragen wird. Unter diesem Blickwinkel gibtes nur einen Muskel, der in 600 oder mehr faszialen Ta-schen „herumlungert“ (Myers 2004).

Die beiden dargestellten Modelle markieren zwei Pole:Aufrichtung und Stabilität einerseits dank einer durch-gehenden Kompressionsstruktur (konventionell-mecha-nisches Modell) respektive andererseits dank und durchSpannung in einem anpassungsfähigen, dreidimensiona-len Spannungsnetzwerk (Tensegrity-Modell). Beide Mög-lichkeiten stehen zur Bewältigung anstehender Bewe-gungs- oder Stabilisationsaufgaben zur Verfügung. Jenach Körperregion und zu bewältigender Aufgabe nutztder Körper mehr den einen oder anderen Funktions-modus, wobei Haltung und Bewegung ökonomischer er-folgen, wenn mehrheitlich der Tensegrity- anstelle desKompressionsmodus zum Tragen kommt. Eine Diskusher-nie jedenfalls kann gesehen werden als Ergebnis des Ver-suchs, die Wirbelsäule entgegen ihrer Bestimmung zusehr als eine durchgängige Kompressionsstruktur ein-zusetzen (Myers 2004).

Muskel-Faszien-Interaktion

Der Muskel besteht aus kontraktilen und nicht kontrakti-len, bindegewebigen Anteilen. Ist ein Muskel aktiv, wir-ken kontraktile und nicht kontraktile Komponenten zu-sammen. Die Aufgabe der kontraktilen Anteile bestehtdarin, über die Kontraktion Bewegung und Kraft zu gene-rieren; die Aufgabe der nicht-kontraktilen, faszialen An-teile liegt primär in der Übertragung der entstandenenKraft und Bewegung (Muskelmodell nach Hill,▶Abb. 5.11). Zusätzlich zur Aufgabe der Kraft- und Bewe-gungsübertragung übernehmen die faszialen Anteile wei-tere wichtige Funktionen (z. B. Speicherung von kineti-scher Energie) und eine optimale Muskel-Faszien-Inter-aktion ist für das ökonomische Bewegen und Stabilisierengrundlegend wichtig. Die klinische Bedeutung der Mus-kel-Faszien-Interaktion ist vielfältig und wird nachfol-gend an drei Beispielen (Katapult-Effekt, Muskel-Faszien-Zyklus beim Bücken, Turgor-Effekt) dargestellt.

Faszien als elastischer Energiespeicher (Katapult-Effekt)

Kollagenfasern können nicht nur Kraft und Bewegungübertragen (Muskelmodell nach Hill, ▶Abb. 5.11); Kolla-genfasern sind elastisch und vermögen dank dieser Ei-genschaft, kinetische Energie aufzunehmen, zu speichernund wieder abzugeben. Die hohe kinetische Speicher-kapazität der kollagenen Gewebe wurde zuerst bei Kän-gurus und Antilopen entdeckt (Alexander u. Vernon 1975,Dawson u. Taylor 1973, Kram u. Dawson 1998, Kawakamiet al. 2002) und danach auch beim Menschen untersucht(Hof et al. 1983, Roach et al. 2013, Sawicki et al. 2009).

Kängurus können viel weitere Sprünge machen, als esdie Kontraktionskraft der Beinmuskulatur alleine ermög-

2.2 Pathophysiologie

69

lichen würde. Die enorme Sprungweite ist nur erklärbardurch die Nutzung einer Art „Sprungfedermechanismus“,der als Katapult-Effekt bezeichnet werden kann (Hof etal. 1983). Sehnen und Faszien der Beine werden dabeiphasenweise wie elastische Gummibänder bzw. Sprung-federn gedehnt und die Freisetzung der in der Dehnspan-nung gespeicherten Energie ermöglicht die erstaunlicheSprungkraft von Kängurus. Auch andere Tiere wie bei-spielsweise Gazellen, die keine besonders stark ausgebil-dete Muskulatur aufweisen und dennoch eine enormeSprungfähigkeit haben, nutzen den Katapult-Effekt (Mül-ler u. Schleip 2014).

Sonografische Untersuchungen zeigen, dass die Achil-lessehne des Menschen bezüglich der Fähigkeit, kineti-sche Energie zu speichern, den Sehnen der Kängurus undGazellen nicht nachsteht (Sawicki et al. 2009). Nicht nurbeim Springen, Hüpfen und Laufen, sondern auch beimnormalen Gehen stammt bei jedem Schritt ein relevanterAnteil der Bewegungsenergie aus dem elastischen Ener-giespeicher der Achillessehne (Ishikawa et al. 2005, Licht-wark et al. 2007). Dies macht das Gehen enorm energie-sparend, denn einmal erzeugte kinetische Energie wirddank der Elastizität der Achillessehne bei jedem neuenSchritt optimal genutzt, wodurch weniger metabolischeEnergie (die es für das Erzeugen der kinetischen Energiedurch Muskelkontraktion braucht) benötigt wird (Robertsu. Azizi 2011).

Merke

Die kollagenen Fasern der Sehnen dienen als elastischerEnergiespeicher. Bei einer Dehnbelastung nehmen sie ki-netische Energie auf, die in der Bewegung wieder abge-ben wird.

Damit eine Sehne als elastischer Energiespeicher funktio-nieren kann, müssen die mit der Sehne verbundenenMuskelfasern eine adäquate Spannung erzeugen und auf-rechterhalten (Kawakami et al. 2002). Die Muskulaturverändert dabei ihre Länge kaum, sie arbeitet vorwiegendisometrisch (Fukanaga et al. 2002) und geringfügig dyna-misch konzentrisch bzw. exzentrisch (▶Abb. 2.28b). Daisometrische Muskelaktivität deutlich weniger metabo-lische Energie als dynamische Muskelaktivität benötigt(Rall 1985), wird beim Gehen bzw. Laufen und Hüpfenzusätzlich Energie gespart.

Im Unterschied zu einer gleichmäßig-einförmigen Be-wegung (beispielsweise Fahrradfahren), bei welcher diegesamte Bewegung durch Kontraktion der Muskelfasernerzeugt und über die Sehnen passiv auf die Gelenkspart-ner übertragen wird (▶Abb. 2.28a), arbeitet die Muskel-Sehnen-Einheit bei federnden, rhythmisch sich wieder-holenden Bewegungen (z. B. Gehen, Laufen) vergleichbareinem Jo-Jo: Die bindegewebigen Elemente (Sehne) ver-

Muskelfasern(kontraktil)

Sehne(elastisch)

Muskelfasern(kontraktil)

ba

Sehne(elastisch)

Abb. 2.28 Muskel-Sehnen-Interaktion:Katapult-Effekt (modifiziert nach Kawakami et al. 2002).a Bei gleichförmigen Bewegungen – beispielsweise beim Fahrradfahren – verlängern und verkürzen sich die Muskelfasern und

erzeugen so die gesamte Kraft bzw. Bewegung; die Sehnen übertragen die Kraft bzw. Bewegung passiv und ändern dabei ihre Längekaum.

b Bei dynamisch-federnden Bewegungen – beispielsweise beim Gehen, Laufen, Hüpfen und Springen – können die kollagenen Fasernder Sehnen dank ihrer Elastizität kinetische Energie aufnehmen, speichern und wieder abgeben; die elastischen Kollagenfasernwerden dabei zunächst gedehnt (Energieaufnahme und -speicherung) und geben die gespeicherte Energie wieder ab – ähnlich einerelastischen Feder. Während der Phase der elastischen Energiespeicherung muss der Muskel angespannt sein (die Muskelaktivität istvorwiegend isometrisch sowie geringfügig dynamisch-exzentrisch), damit die Sehne gedehnt und dadurch mit kinetischer Energie„geladen“ werden kann. In der eigentlichen Bewegungsphase sind die Muskelfasern dosiert dynamisch-konzentrisch aktiv, währenddie in der Sehne gespeicherte Energie als kinetische Energie freigesetzt wird und einen Großteil der eigentlichen Bewegungsenergieerbringt (Katapult-Effekt). Die kontraktilen Elemente des Muskels müssen dabei deutlich weniger Arbeit leisten (im Vergleich zu a)und übernehmen vorwiegend die Aufgabe eines Taktgebers - wie beim Spielen mit einem Jojo.

Myofasziale Triggerpunkte

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längern und verkürzen sich elastisch und rufen damit dieeigentliche Bewegung hervor, während die kontraktilenElemente (Muskelfasern) die Dehnspannung der Sehneermöglichen (isometrische Muskelaktivität). Gleichzeitighalten die kontraktilen Anteile des Muskels als Taktgeberdie federnde Bewegung durch dosierte dynamisch-kon-zentrische und exzentrische Muskelaktivität in Schwungund steuern Modifikationen im Verlauf einer sich wieder-holenden Bewegung (▶Abb. 2.28b). Eine Bewegung, wel-che dergestalt die elastische Speicherkapazität des Binde-gewebes und ein optimales Zusammenspielen von kon-traktilen und nicht kontraktilen Elementen im Muskelnutzt, fühlt sich leicht und mühelos an. Die motorischeAktivität im Muskel muss koordinativ differenziert erfol-gen – die Qualität der Muskelaktivität (richtiges Timing,differenzierte Dosierung) ist dabei wichtiger als die Quan-tität (Maximalkraft).

Merke

Die Achillessehne wird bei Belastung um 2–4% ihrer Län-ge gedehnt und kann beim Gehen, Laufen, Hüpfen undSpringen – ähnlich einer elastischen Feder – Energie auf-nehmen und wieder abgeben. Die kontraktilen Anteileder Muskulatur werden dadurch wesentlich entlastet,denn sie müssen nicht mehr bei jeder Bewegung die ge-samte Kraft neu generieren (diese Aufgabe übernehmendie Sehnenanteile dank ihrer Elastizität weit effizienter).Die kontraktilen Anteile der Muskulatur sind primär alsTaktgeber für das optimale Timing der federnden Bewe-gung verantwortlich (Jo-Jo-Effekt).

Ökonomisches Bewegen ist somit abhängig von einer op-timalen Muskel-Faszien-Interaktion. Eine Dysfunktion imfaszialen Anteil (Sehne) kann die Gesamtleistung derMuskel-Sehnen-Einheit ebenso schmälern wie eine Dys-funktion im kontraktilen Anteil des Muskels (mTrPs). DasFunktionieren des Katapult-Effektes setzt sowohl intaktesund belastbares Fasziengewebe als auch voll funktions-fähige kontraktile Strukturen im Muskel voraus. Liegteine Fasziendysfunktion vor, können die elastischen Ele-mente ihre Aufgabe als elastische Energiespeicher nichtwahrnehmen; die kontraktilen Elemente müssen Mehr-arbeit leisten, was die Entstehung von mTrPs begünstigt.Versagen die kontraktilen Elemente in ihrer differenzier-ten Aufgabe als Taktgeber (dysfunktionsrelevante mTrPs),kann die Wirkung der faszialen Anteile als Energiespei-cher nicht genutzt werden, wodurch wiederum die kon-traktilen Elemente aktiver sein müssen und die Wahr-scheinlichkeit einer Überlastung mit Entstehung vonmTrPs zunimmt (Teufelskreis). Fasziendysfunktionen undmTrPs beeinflussen sich somit wechselseitig(▶Abb. 2.61).

Der Katapult-Effekt ermöglicht dank seiner optimalenMuskel-Sehnen-Interaktion sowohl ökonomisch-effizien-

tes Bewegen als auch eine Steigerung der maximalenLeistungsfähigkeit: Mit weniger metabolisch (durch Mus-kelfaserkontraktion) erzeugter Energie kann dank Nut-zung der elastischen Energiespeicherung (in der Sehne)dieselbe Leistung erzielt werden bzw. erhöht der Kata-pult-Effekt die maximal mögliche Leistungsfähigkeit desMuskel-Sehnen-Systems (Maximalkraft und Ausdauer-leistung).

Die Fähigkeit der Faszien, als elastischer Energiespei-cher zu wirken, verbessert die Gesamtleistung des Mus-kels (als Muskel-Faszien-Einheit verstanden) erheblich,s. Glossar (S.704). Dies wird auch bei Wurfbewegungengenutzt (Roach et al. 2013). Mit der dem Wurf voraus-gehenden Ausholbewegung wird auch das Fasziengewebegedehnt (▶Abb. 5.42). Die kinetische Energie der Aushol-bewegung wird zu potenzieller – dank der Elastizität derKollagenfasern gespeicherter – Energie, die im Wurf wie-der als kinetische Energie freigesetzt wird und damit dieLeistung der Wurfbewegung erhöht.

Merke

Faszien leisten einen wesentlichen Beitrag zur Gesamt-leistung der Muskulatur (als myofasziale Einheit verstan-den; Glossar [S.704]). Fasziendysfunktionen beeinträchti-gen die Muskel-Faszien-Interaktion und können die Leis-tungsfähigkeit des myofaszialen Organs erheblich ver-mindern sowie für die Entstehung bzw. Aufrechterhal-tung mTrPs eine wichtige Rolle spielen.

Muskel-Faszien-Zyklus beim Bücken

Im Vorbeugen bzw. Bücken beeinflusst die Flexion desRumpfes, wie viel Last von Muskeln bzw. von Faszienübernommen wird (▶Abb. 2.29).

Die beim Vorneigen bzw. Bücken benötigte Kraft (Dreh-moment L 4/5) ist abhängig von der Länge des Hebelarms.Sie wird beim Vorbeugen bzw. Bücken aus dem Stehen(0° Vorneigung) zunehmend größer und erreicht ihr Ma-ximum, wenn sich der Oberkörper in der Horizontalenbefindet (90° Vorneigung). Paradoxerweise nimmt die imEMG messbare Muskelaktivität im M. erector spinae je-doch ab ca. 25° Vorneigung ab und ist zwischen 45° und90° Vorbeugung des Rumpfes nur noch minimal. DieseBeobachtung wurde bereits früh beschrieben und wirdals Flexion-Relaxations-Phänomen bezeichnet (Fick 1911,Gracovetsky 2008, Holleran 1995, Schultz et al. 1985). DieAufgabe, das Rumpfgewicht zu halten, wird dabei nichtmehr von den Muskeln, sondern von den Kollagenfasernder lumbodorsalen Faszien übernommen; dies ist öko-nomisch, weil dadurch metabolische Energie zur Erzeu-gung von Muskelkraft für die Haltearbeit gespart werdenkann.

Beim Bücken wirken somit Muskeln und Faszien zu-sammen und die differenzierte Muskel-Faszien-Interakti-

2.2 Pathophysiologie

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