Die Wiederkehr Der Bilder

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Simone Roggenbuck

Die Wiederkehr der Bilder

Arboreszenz und Raster in derinterdisziplinären Geschichte derSprachwissenschaft

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Simone Roggenbuck

Die Wiederkehr der Bilder Arboreszenz und Raster in der interdisziplinären Geschichte der Sprachwissenschaft

� Gunter Narr Verlag Tübingen

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Mein Dank gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Land Nordrhein­Westfalen, die meine Forschung an diesem Thema mit Stipendien unterstützt haben. Der DFG gilt mein Dank darüber hinaus auch für die großzügige Finanzierung des Drucks.

Der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Heinrich-Heine-Universität e.v. danke ich für die Ehre, meine Arbeit 2004 mit dem Preis für die beste Habilitation ausgezeichnet zu haben.

Mein tiefer persönlicher Dank gilt den Düsseldorfer Professoren Peter Wunderli und Herwig Friedl, die mich mit zuverlässiger Diskussionsbereitschaft und vielen guten Hinweisen bei diesem Projekt begleitet haben.

Simone Roggenbuck, im Januar 2005

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Titelbild: © Siegfried Kellerer, kellerer.com, Oberföhringerstrasse 83, 81925 München.

© 2005· Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5· D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer­halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säutefreiem Werkdruckpapier.

Internet: http://www.narr.de E-Mail: [email protected]

Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany

ISBN 3-87808-6140-6

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Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bilder des Wissens

Theorien des Paradigmenwechsels : Popper oder Kuhn? Poppers «growth of knowledge» als «tree of knowledge» Die immunisierte Theorie der Wissenschaften Hypothese, Theorie, Paradigma . . . . . . . . . Paradigma als Tradition, Kuhn als Funktionalist «Scientific honesty» und (<normal scientists» «The tree of revolution» . . . . . . . . . Die Rolle von Sprache und Metaphern Wachsen Geisteswissenschaften an Bäumen? Gegen eine strikte Sukzessivität geisteswissenschaftlicher Paradigmen . . . . . . . Ist der Wandel der Geisteswissenschaften mystisch? Aspektualität, Widerhall und Wiederholung als Faktoren geisteswissenschaftlicher Paradigmenentwicklung . . .

1 .2 . Paradigma, Leitbild, Metapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 .2 . 1 Metaphern und Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 .2.2 Die Strukturverwandtschaft von Paradigma, Leitbild und Metapher 1 .2.3 Die metaphorische Dialektik von Rationalität und Nonrationalität:

Instrument und Witz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2 Theorien des Bildes

2 . 1 Sind Metaphern für die Wissenschaft «brauchbaD>?

2.2 Sprachliche Metaphern: Rhetorik, Semantik, Pragmatik, Kognitions-philosophie . . . . . . .

2.2. 1 Metapher als Substitution 2.2.2 Metapher als Interaktion 2.2.3 Metapher «ohne wörtliche Bedeutung» , aber mit Ausrufezeichen

2.3 Metaphorische Konzepte jenseits der Sprache: Kultur, Physis und Gestalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .

2.3 .1 (<Metaphors we live by» 2.3.2 Denken in Bildern: visuelle Prototypen vs. visuelle Metaphern

2.4 Die Bildprinzipien des Baumes

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2.4. 1 Kulturelle Dichotomlsierung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Körpererfahrung: Verzweigung, Oben-Unten, Links-Rechts 2.4.3 Visuelle Gestaltwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Bildfelder des Baumes: metaphorisches Feld und visuelles Feld

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(Arboreszenz und Raster) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Die Tradition des «Baumes»

Der Baum der Erkenntnis, der Baum des Lebens und der Mythos von Babel (Altes Testament) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Arboreszenzen des Mittelalters: Sprachen stammbaum (Dante) und «spekulative Bäume» (Scholastik) . . . . . . . . . . . . . .

Arboreszenzen der Renaissance (Ramus)

Der Baum im Dienste der modernen Einzelsprache (Meigret)

«Herbes, racines et fruits: cultiver la plante sauvage» (Du Bellay)

Der Kanon der Zeiten: der Thesaurus Temporum (Scaliger)

«The tree of knowledge» (Bacon)

<<L'arbre de la philosophie» (Descartes)

Der Übergang zum «tableau de rage classique»: frühe sprach wissenschaftliche Raster (Wallis, Lodwick) .

3 . 1 0 Zwischen logischer Arboreszenz und analogisierendem, aufzählendem

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Tableau: die Grammaire generale et raisonnie (Arnauld, Lancelot) 1 34

3 . 1 1 Die Tafel der Wissenschaften und die Tafel der Ideen (Leibniz) 137

3 . 12 Arboreszenzen und Tableaux der frühen Biologie: Classes plantarum (Linne) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

3 . 1 3 Arboreszenzen und Tableaux der französischen Aufklärung (d'Alembert, Diderot, Du Marsais, Beauzee) . . . . . . . .

3 . 14 «Schnitt!»

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4 Arboreszenzen im Zeichen von «Entwicklung» und «Vergleich»

4. 1 Idealistischer vs. naturwissenschaftlicher Vergleich: Humboldt vs. Schlegel und Bopp . . . . . . . . . .

4. 1 . 1 Humboldt: «Sprachmischung» und «Sprachstufel1» . . . . . . 4.1 .2 Schlegel und Bopp: «Abstamrnung» , «Wurzeln» und « physischer

Organismus»

4.2 Impulse für eine « biologistische» Sprachwissenschaft: <<natürliche», « positive» und « evolutive» Ordnung der Dinge .

4.2.1 Lamarck und Comte: Stufen- und Verzweigungsmodelle 4.2.2 Darwin und Spencer: « the tree of species» als Produkt innerer und

äußerer Kausalität, die Universalität des Entwicklungsgesetzes 4.2.3 Haeckel: monistische Beschränkung auf die innere Kausalität des

« Organismus»

4.3 Die « biologistische» Sprachwissenschaft Schleichers

4.4 Alternativen zur Entwicklungsarboreszenz: Wellensektor und Kegel (Schmidt, Schuchardt)

4.5 An der Schnittstelle zwischen « Entwicklung» und <<Struktur»: Die Junggrammatiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5 Raster im Zeichen von «Werte system» und Abstraktion 207

5 . 1 Jenseits der junggrammatischen Schnittstelle: Whitney und Gabelentz 208 5 . 1 . 1 Whitney: <Jife o f language» zwischen individueller Variation und sozialer

Konvention, « organic structure» als soziales Produkt und Wertesystem . 208 5 . 1 . 2 Gabelentz: «organisches Systeffi» und « Entwicklungs spirale» 2 12

5 .2 Inspirationen für <<Sprache als Werteysteffi» und für die <<AbstraktioID> von der Historizität des Gegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1 7

5 .2 . 1 Mill, Marx und Durkheim: « TauschwerD>, « relationales Wertesysteffi» und « fait sociab in Ökonomie und Soziologie des 19 . Jahrhunderts 2 17

5.2.2 « Punkt, Linie und Fläche» , « Nebeneinander und Gegenüber», « das weiße QuadraD>: Abstraktion und Raster in der bildenden Kunst des frühen 20. Jahrhunderts (Kandinsky, Malewitsch, Mondrian, Magritte, Duchamp) 222

5.3 Saussure: <<langue» als abstraktes Werte system und die Achsenkreuze von « association/syntagme» und synchronie/diachronie» . . . . . . . . . 230

5 .4 Kommutation und Dichotomisierung in der struktralistischen Phonolo-gie der Prager Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

5 .4. 1 Trubetzkoys « carre» der Kommutation und Korrelationsbündel 240

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5 .4.2 Achsenkreuz der «speech analysis», Plus-Minus-Matrix und Arboreszenz bei Jakobson/Halle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

5 .5 Hjelmslevsche Vielfalt: Abstraktion vom Gegenstand, Kreuzklassi­fikation, deduktive Arboreszenz, projektives Netz der Form, semantische Blockmatrix . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6 Arboreszenzen im Zeichen von Dependenz, Konstituenz und

Generativität

6 . 1 Tesniere: Dependenzielles Stemma als Satzstruktur und als Instrument

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der Sprachtypologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

6.2 Jenseits des großen Teiches : eine neue Mischung von Traditionen und «Erfahrung» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

6 .2 .1 Ethnologie und Linguistik (Boas, Sapir) : Die Erfahrung der Indianer-sprachen, Sprachstruktur durch «psychological grouping» , der Satz als sprachliche Einheit und Modifikationskomplex . . . . . . . . . . . 281

6.2.2 Behaviorismus, Strukturalismus und Binarismus (Bloomfield) : «mecha-

6 .3

6 .4

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nische» Konstituentenanalyse

Empirie der «discovery procedures» und Formalisierung der Analyse (Harris) : distributionalistische Raster und transformationelle «lattices» .

Chomsky: vom «computing tree» zum «generative tree» (p-Marker, T-Marker) und zum «tree of minCD> mit genetischer Basis

Ende eines Waldspaziergangs

Bibliographie

Zeittafel ausgewählter Texte

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Einleitung

« Ordnung ist das halbe Lebern> - es gibt wohl kaum jemanden, dem dieser Satz nicht schon einmal in der einen oder anderen Weise zu Ohren gekommen ist. Für Wissen­schaftler mag dieser Satz sogar von besonderer Tragweite sein. Schließlich besteht wis­senschaftliche Arbeit nicht nur im Auffinden von Wissen, sondern zu einem ganz we­sentlichen Teil darin, für dieses Wissen eine Ordnung zu finden, die möglichst « plausi­bel», <<Wahn>, «umfassenro>, « erklärungsfahig» usw. ist. Eine solche Ordnung repräsentiert also zwangsläufig immer ein bestimmtes Bild des Wissens bzw. einen bestimmten Blickwinkel, der gegenüber dem Wissen eingenommen wird. Die Wissenschaftsge­schichte zeigt, daß sich diese Blickwinkel verschieben, beispielsweise durch neue Ent­deckungen, und dann andere Ordnungen bzw. Paradigmen auf den Plan treten.

Damit sind wir bei zwei zentralen Begriffen unserer Untersuchung angelangt: Dem Begriff des Bildes und dem Begriff des Paradigmas. Aufregend neu sind diese seit der Debatte um scientijic revolutions (I<uhn) und dem Boom der Metaphorologie mittlerweile nicht mehr zu nennen. Auch daß sprachliche Bilder (Metaphern) eine paradigmentragende Rolle spielen bzw. mit einem Paradigma korrelieren, ist ein seit den 60er Jahren gut be­arbeitetes Thema. Zur paradigmatischen Relevanz visueller Bilder gibt es dagegen (außer­halb der Kunst- und Literaturtheorie) kaum Untersuchungen. Dabei scheint es doch auf der Hand zu liegen, daß nicht nur sprachliche Metaphern, sondern auch visuelle Bilder wie z.B. Arboreszenzen als Richtpunkte eines Paradigmas oder einer Ordnung im Freud­schen Sinne wirken können: « . . . die Ordnung [ist] . . . der Natur abgelauscht; die Beob­achtung der großen astronomischen Regelmäßigkeiten hat dem Menschen nicht nur das Vorbild, sondern die ersten Anhaltspunkte für die Einführung der Ordnung in sein Le­ben gegeben. Die Ordnung ist eine Art Wiederholungs zwang, die durch einmalige Ein­richtung entscheidet, wann, wo und wie etwas getan werden soll, so daß man in jedem gleichen Falle Zögern und Schwanken erspart. Die Wohltat der Ordnung ist ganz un­leugbar, sie ermöglicht dem Menschen die beste Ausnützung von Raum und Zeit, wäh­rend sie seine psychischen Kräfte schont.» (FREUD, Unbehagen:223s.) . Daß Bilder ebenso wie Metaphern als Richtpunkte eines Paradigmas bzw. einer wissenschaftlichen Ord­nung fungieren, soll hier am Bild des Baumes verfolgt werden.

Die Untersuchung erhebt dabei nicht den Anspruch, eine vollständige wissenschafts­geschichtliche Landkarte zu zeichnen. So beschränkt sich der « kartographierte Raum» im wesentlichen auf das 1 9 . und 20. Jahrhundert, ergänzt durch eine Skizze für den Zeitraum vom 14. bis zum 1 8 . Jahrhundert. Der wissenschaftgeschichtliche Fokus gilt der Entwicklung der Sprachwissenschaft, allerdings stets mit einem Blick auf analoge Entwicklungen in anderen Disziplinen. Dabei muß die Untersuchung aufgrund ihres motivischen Interesses auf den Anspruch verzichten, eine aspektuell « komplette» Ge­schichtskarte der Sprachwissenschaft zu liefern. Ja, und nicht zuletzt können auf der Landkarte nicht alle tatsächlich vorhandenen «Bäume» verzeichnet werden, sondern nur diejenigen, die als repräsentativ für eine bestimmte sprachwissenschaftliche Theorie gelten können - beispielsweise die Sprachenstammbäume der vergleichenden Sprach­wissenschaft oder die Phrasenstrukturbäume der generativen Grammatik. Innerhalb

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ter der Sprachwissenschaft - und wohl der Geisteswissenschaft überhaupt - gerecht werden.

Mit der These von der Wiederholung der Bilder sind wir schließlich bei dem zentra­len und zugleich problematischsten Punkt unseres Unterfangens angelangt. Da wir uns hier weitgehend nicht mit sprachlichen Bildern (Metaphern), sondern dem visuellen Bild des Baumes beschäftigen wollen, stellt sich natürlich die Frage, was wir darunter subsu­mieren wollen. Zum Vergleich: Für eine umfassende Untersuchung zur Metapher Baum müßten als Ausdrucksvarianten berücksichtigt werden «Baum», aber auch hyponyme wie « Esche» (zu finden beispielsweise bei Jost Trier) , « Zweig», « Wurzel» etc . , nebst ihren interpretatorischen Varianten. Dies dürfte kaum Widerspruch erregen. Wenn ich nun aber ankündige, daß wir für die Untersuchung des Bildes Baum die visuellen Varianten Arboreszenz und Raster einbeziehen wollen, so bin ich mir des unwirrschen Kopfschüt­telns des Lesers gewiß. Denn in der Tat sieht eine hierarchisch sich verzweigende Arbo­reszenz auf den ersten Blick anders aus (und ist einem Baum ähnlicher) als ein ahierar­chisches, rechtwinkliges Raster (oder Matrix) . Gleichwohl scheint es mir drei Argumente zu geben, die den Leser vielleicht davon zu überzeugen vermögen, sich auf dieses vor­derhand vielleicht willkürlich scheinende Experiment einzulassen: Ein Bauch- (respekti­ve Augen-) Argument, die Begründung desselben, die enge chronologische und inter­pretatorische Verwobenheit der Varianten in der Wissenschaftsgeschichte.

(1) Die spontane Ablehnung einer visuellen Übereinstimmung von Arboreszenz und Raster mag sich durch einen suggestiven Blick auf die Entwicklung des Baummotives bei Mondrian relativieren lassen (die entsprechenden Abbildungen sind in 5.2 .2 abge­druckt) . Finden sich beim frühen Mondrian ikonische Silhouetten belaubter Bäume (die für unsere Untersuchung nicht weiter relevant sind), repräsentiert der Gray Tree von 1 9 1 1 das Skelett eines entlaubten Baumes mit weit sich verzweigenden Ästen. Die Über­schneidungen der Äste ergeben dabei Flächen von Nahezu-Dreiecken, -Vierecken, -Fünfecken. Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt zu den bekannten rasterhaften Kompositionen schwarzer Linien und weißer bzw. farbig aufgefüllter Vierecke.

(2) Die visuelle Nähe, die sich bei entsprechend suggestiven Abbildungen von Arbo­reszenz und Raster auftut, läßt sich durch die weitgehende Übereinstimmung ihrer Bild­prinzipien erklären. (Ausführlich wird dies in Abschnitt 2.4 dargelegt, der deshalb auch als Einstieg geeignet ist.) Der Arboreszenz liegen hauptsächlich die Prinzipien einer Oben-Unten-Ausrichtung und Links-Rechts-Verzweigung zugrunde. Für das Raster gilt dieselbe Oben-Unten-Ausrichtung, die <Nerzweigung» wird j edoch zu einer starken Links-Rechts-Ausrichtung modifiziert, die dann zu entsprechenden Überschneidungen (z.B. von Koordinatenlinien) führt. Der nur graduelle Unterschied der Bildvarianten wird klarer, wenn man die Achsen eines Koordinatensystems als basale « Verzweigung» vom Punkt 0 an betrachtet:

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piert wird (60er bis SOer Jahre) , hat sich die Rezeption besonders auf die Aussage der «Brüche» (revolutions) konzentriert. Daß Kuhns Paradigmenmodell ebenso wie dasjenige Poppers von einer linearen Entwicklung ausgeht (auch wenn sie bei Kuhn eine «diskon­tinuierlichen Linearitäo> ist) , geriet auf grund der Etikettenverteilung Mhn = Brüche, Pop­per = Kontinuität ins Abseits der Rezeption. Obwohl man hinsichtlich der Frage, welches Paradigmenmodell nun für die Geisteswissenschaften das adäquate sei, Kuhns Revolu­tionsmodell favorisieren mußte - es schien in j edem Falle adäquater als die kausal­falsifizierende Linearität bei Popper -, blieb doch immer das Unbehagen: Sind geistes­wissenschaftliche Paradigmen wirklich inkommensurabel? Sind die Brüche hier wirklich strikt?

Wenn wir unser Fallbeispiel Sprachwissenschaft betrachten, ist dieses Unbehagen auch durchaus gerechtfertigt. Zwar sind ohne weiteres in der Sprachwissenschaft deutli­che Perspektivenwechsel festzustellen, beispielsweise zwischen der Komparatistik (Sprache als geschichtlicher Organismus) , dem europäischen Strukturalismus (Sprache als paradigmatisches Wertesystem) und dem US-amerikanischen Strukturalismus (Spra­che als prozessuales System) . Andererseits erfolgen diese Paradigmenwechsel oder Brü­che nicht in der Manier eines traumatischen Kollapses des alten Paradigmas, wie ihn die Biologie mit Darwin oder die Physik mit Einstein erlebt. So deutlich die Perspektiven auch untereinander unterscheidbar sind, gibt es doch verschiedene Argumente, die «Brüche» als weiche Brüche zu sehen. (1) Es gibt teilweise große zeitliche wie inhaltliche Überschneidungen. Beispielsweise überschneiden sich um die Jahrhundertwende das komparatistische Paradigma (zu dem man auch das junggrammatische zählen kann) zeitlich mit den frühesten Strukturalisten; europäischer und US-amerikanischer Struktu­ralismus entwickeln sich über Jahrzehnte parallel. Inhaltlich ist es schwer, von einem Bruch im Sinne einer Inkommensurabilität zu sprechen. Vielmehr verhalten sich die Paradigmen, grob gesehen, in weiten Teilen komplementär: Sprachengeschichte (Kom­paratistik), synchrones System sprachlicher Einheiten (europäischer Strukturalismus) und prozessuale Verknüpfung von Einheiten in Satz und Rede (amerikanischer Struktu­ralismus) bilden keine inkompatiblen Ansätze. (2) Die paradigmatischen Brüche der Linguistik scheinen nicht in jedem Fall durch «innere Ursachem> ausgelöst, sondern werden oft durch eine transdisziplinäre Inspiration, den thematischen Widerhall aus an­deren Disziplinen befördert. Dies werden wir am Beispiel der Komparatistik und der Biologie (Kap. 4) sowie am europäischen Strukturalismus und der Nationalökono­mie/ abstrakten Kunst (Kap. 5) verfolgen können. Dies als schlichte Einordnung der Linguistik in ein andernorts entwickeltes Makro-Paradigma, wie «Strukturalismus des Wertesystems» abzutun, würde dem Sachverhalt kaum gerecht. Vor allem aber erschei­nen (3) die Brüche und damit die Revolutionen der Linguistik relativ, wenn man den Blick auf die Kontinuität der Bilder jenseits der Brüche lenkt. Bereits SCHON 1 963 und BLUMENBERG 1 966 (u.a.) wendeten gegen Kuhns Inkommensurabilitätstheorem ein, daß es konstante Metaphern jenseits der Paradigmenwechsel gebe. Obwohl Blumenberg in der Ausführung seiner These vage bleibt, glauben wir für die Linguistik bestätigen zu können, daß es eine relative Kontinuität hinter den Brüchen gibt - nämlich mindestens die Wiederholung des Baum-Bildes. Das würde bedeuten, daß Kuhns Paradigmenmodell der diskontinuierlichen Linearität zum Modell einer « diskontinuierlichen, alinearen Konti­nuitäo> umgeschmiedet werden müßte, soll es dem perspektivisch-reiterierenden Charak-

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dieses gesteckten Rahmens sollen die einzelnen Bäume hinsichtlich ihrer visuellen und interpretatorischen Merkmale charakterisiert und paradigmatisch eingeordnet werden.

Der Wert einer solchen Landkarte oder eines solchen Bilderbogens könnte nun in sich (sprich in seinem ästhetischen Wert) liegen. Gewöhnlich ist ihr Wert jedoch durch ihren Informationsgehalt bestimmt. Die Frage wird also sein: Welche Schlüsse können aus der visuellen und interpretatorischen Verschiedenheit der Baumbilder im Hinblick auf die Strukrurierung von Wissenschaftsgeschichte gezogen werden? Korrelieren Varia­tionen des Bildes mit Paradigmenwechseln?

Bevor wir jedoch zum praktischen Nachweis der Korrelation von bestimmten Bil­dern mit bestimmten Paradigmen schreiten (Kap. 3 bis 6) , sind grundlegende Überle­gungen zur Theorie des Paradigmas (Kap. 1) und des Bildes (Kap. 2) angebracht. Sum­marisch können wir vorausschicken, daß wir uns in zwei Punkten an Kuhns Paradig­menbegriff anlehnen: (a) verstehen wir Paradigma als eine perspektivische Brille, die die Sicht auf das Objekt determiniert; (b) sehen wir das Paradigma (insbesondere in seinem Anfangsstadium) als hypothetischen Voraus griff auf eine Erkenntnis über die Ordnung der Dinge, die sich erst nachträglich bewähren kann und soll. In beiden Punkten zeigt das Paradigma eine wesentliche funktionale Übereinstimmung mit den Mechanismen der sprachlichen Metapher und des visuellen Bildes. Mit dem Vorausgriff auf die (nach­träglich zu beweisende) Erkenntnis liefert das Paradigma in großem zeitlichen und ge­danklichem Umfang das, was bei Metapher und Bild in kleinerem Maßstab der «flash of insight» (Richards) genannt wird. Dieser spontane Verstehenseffekt sprachlicher oder visueller Bilder ist dabei ebenso mit einer perspektivischen Sichtweise (<<etwas sehen alm) verbunden, wie sie dem Paradigma eigen ist. In dieser Hinsicht funktioniert beispiels­weise die paradigmatische Aussage Saussures «Die Sprache ist ein System von Identitä­ten und Differenzen» ('Sprache als relationales Wertesystem') strukrurell ähnlich wie die paradigmatische Metapher der «Sprache als Organismus» der Komparatisten ('Sprache als sich entwickelndes Lebewesen') oder die spontane Metapher <<Er ist mit einem Schlachtschiff verheiratet» ('die Ehefrau als imposante und kriegerische Erscheinung') oder ähnlich wie die visuelle Darstellung eines Satzes als grammar tree ('Satz als hierar­chisch sich verzweigende Strukrur') . Die Unterschiede liegen im Grad der Spontaneität und im Grad der perspektivischen Abstraktion.

Während sich das Konzept vom Paradigma als Perspektive (sehen als) gut auf geistes­wissenschaftliche (und linguistische) Verhältnisse übertragen läßt, erweist sich Kuhns Paradigmen theorie dort als problematisch, wo sie an das Konzept der scientific revolution gebunden ist. Zwar muß man sagen, daß sich das Modell radikaler paradigmatischer Umbrüche auf die Geisteswissenschaften eher übertragen läßt als Poppers Modell einer kontinuierlich-linearen Wissensentwicklung, die durch (empirische!) Falsifikationen vo­rangetrieben wird. Aber: Auch Kuhns auf die Narurwissenschaften gemünztes Paradig­menmodell beinhaltet die Vorstellung einer Linearität, die mir auf die geisteswissen­schaftliche Entwicklung nicht zuzutreffen scheint. Kuhn stellt sich nämlich, im Gegen­satz zu Popper, eine « diskontinuierlichen Linearität» vor: Das geltende Paradigma gerät aus forschungsimmanenten Gründen in eine Krise, so daß konkurrierende Vorstellun­gen aufleben, von denen sich eine in einem revolutionären Akt als neues Paradigma etabliert; so folgt ein Paradigma nach dem anderen, es gibt kein Nebeneinander und kein Zurück, weil Paradigmen inkommensurabel - später nennt Kuhn es « untereinander nicht übersetzbam - seien. Da Kuhn in den poststrukruralistisch geprägten Jahren rezi-

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Daraus, daß das Raster die Links-Rechts-Orientierung gleichgewichtig zur Oben-Unten­Orientierung setzt, während bei der Arboreszenz die Oben-Unten-Orientierung über­wiegt, resultiert der graduelle Unterschied der beiden Bildvarianten: ahierarchisches Mu­ster des Rasters vs. hierarchisches Muster der Arboreszenz. Für die Gradualität des Un­terschiedes zwischen Arboreszenz und Raster spricht beispielsweise auch ihre mühelose Kombinierbarkeit nach folgendem Muster:

A ------

---- ------a2

/ "'-- � � alll al/2 a2/1 a2/2

/ bill a'l' - bill a'/2 - bill a2/1 - b,/, a2/2 - bill

/ bl< � bl/2 ai/l - bl/2 a1/2 - bl/2 a2/1 - bl/2 a2/2 - bl/2

. ( \

b2< / b2/1 ai/l - b2/1 al/2 - b2/1 a2/1 - b2/1 a2/2 - b2/1

r--- b2/2 alll - b2/2 a'/2 - b2/2 a2/1 - b2/2 a2/2 - b2/2

(3) Der graduelle Unterschied zwischen Arboreszenz und Raster wird, wie wir zeigen wollen, für sprachwissenschaftliche Paradigmenwechsel genutzt: Die Bildvarianten Ar­boreszenz und Raster wechseln sich ab; wiederholt sich eine Bildvariante, so geschieht dies nicht ohne eine Reinterpretation, d.h. das «alte» Bild dient der Darstellung eines «neuem> Zusammenhanges . So gilt für die Komparatistik die Dominanz des arboreszen­ten Musters zur Darstellung sprachlicher Entwicklungen (Sprachenstammbäume) ; dage­gen liegt vielen zentralen Theoremen des Systemstrukturalismus das Raster bzw. ein Achsenkreuz zugrunde (Synchronie, Diachronie; Syntagmatik, Paradigmatik usw.) ; in der US-amerikanischen Linguistik des 20. Jahrhunderts gibt es wiederum von Anfang an einen deutlichen Trend zu hierarchischen Gliederungen hinter den utterances (IC­Analyse, Phrasenstrukturen usw.) . - Dabei kann das visuelle Grundmuster entweder direkt graphisch umgesetzt oder aber textuell paraphrasiert erscheinen, je nach Gusto des Autors und drucktechnischen Möglichkeiten. - Die Brüche der Bildentwicklung können also auf Ausdrucksebene (Arboreszenz, Raster) und/oder auf Inhaltsebene (In­terpretation des Bildes, z .B. der Arboreszenz als diachrone Entwicklung oder als genera­tive Struktur) erfolgen. Daß den visuellen Brüchen doch eine Kontinuität des Gesamt­bildes Baum unterliegt, bzw. die variationelle Wiederholung des Bildes, zeigt der Gesamt­zusammenhang. Auf Arboreszenz und Raster «folgt» abermals die Arboreszenz . Inner­halb einzelner Paradigmen finden sich die beiden Bildvarianten oft in einem inhaltlich engen Zusammenhang wieder. Erklärbar ist diese variationelle Kontinuität möglicher­weise dadurch, daß die Bildprinzipien des Baumes mit elementaren Körpererfahrungen (Oben-Unten, Links-Rechts, Verzweigung) ebenso korrelieren wie mit dem in unserem

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Kultur- und Wissenschafts kreis stark vertretenen Prinzip der Dichotomisierung (2.4. 1 , 2.4.2) .

Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile. Kapitell und 2 liefern cli e theoretische Funclierung der für clie Untersuchung zentralen Begriffe «Paracligm:l» und «Metapher» bzw. «Bil(h. Kapitel 3 illustriert clie lange Traclition des Baumbildes an Beispielen aus Sprachbetrachtung, christlicher Mythologie, Philosophie und Biologie für den Zeitraum 1 4. Jahrhundert bis 1 8. Jahrhundert. Ziel ist dabei, clie Relevanz des Baumbildes auch j enseits des enger untersuchten Zusammenhanges augenfallig zu machen. Kapitel 4 bis 6 schließlich sind der Untersuchung der Baumbilder in den drei großen sprachwissen­schaftlichen Paracligmen des 1 9 . und 20. Jahrhunderts gewidmet. Dabei werden ausführ­lich ihre visuellen und interpretatorischen Charakteristika sowie ihre ko-epochalen Bild­zusammenhänge analysiert.

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Bilder des Wissens

Um eine Revolution zu machen, sind zwei Dinge erfor­derlich: j emand oder etwas, gegen das zu revoltieren ist, und jemand der wirklich erscheint und den Aufstand macht. Die Kleidung ist normalerweise salopp, und bei­de Parteien können über Zeit und Ort mit sich reden lassen ... Die Leute . . . gegen die revoltiert wird, heißen die «Unterdrücker» und sind leicht zu erkennen, weil sie offenbar den ganzen Spaß auf ihrer Seite haben. Die « Unterdrücker» tragen im allgemeinen Anzüge, besitzen Land und spielen spät nachts Radio, ohne deswegen an­geschrien zu werden. (W oody Allen, Eine kurze aber hilfreiche Anleitung zum bür­gerlichen Ungehorsam)

1.1 Theorien des Paradigmenwechsels: Popper oder Kuhn?

Wenn man das Bild des Baumes entlang der Geschichte der Linguistik verfolgt, so kann man einerseits eine Kontinuität des Bildes « Baum» in der Sprachwissenschaft der letzten beiden Jahrhunderte und auch schon zuvor feststellen. Andererseits ist diese Kontinui­tät (teuflische Dialektik . . . ) von unübersehbaren «Brüchen» gekennzeichnet. Diese Brü­che in der Kontinuität zeigen sich in visuellen und inhaltlichen Reinterpretationen des Baumes . Während die inhaltlichen Reinterpretationen sich oft durch Entwicklungen jenseits der Linguistik beeinflußt oder gestützt zeigen (beispielsweise im 1 9 . Jahrhundert durch die Evolutionstheorie) , erweist sich die visuelle Reinterpretation des «Baumes» als ein Oszillieren zwischen den Bildvarianten <<hierarchische Arboreszenz» und «ahierarchi­sches Raster»" deren Zusammengehörigkeit nach ihren Bildprinzipien (Oben/Unten, Links/Rechts, Verzweigung respektive Überschneidung) wir in 2.4.4 begründen, und deren historische Unzertrennlichkeit sich in den Kapiteln 3 bis 6 erweisen wird.

Angesichts der Brüche zwischen den einzelnen Bildern - zwischen dem Sprachen­stammbaum des 1 9 . Jahrhunderts (Kap. 4) , Rasterdarstellungen des europäischen Struk­turalismus (Kap. 5) und grammar trees der US-Linguistik (Kap. 6) , die auf den ersten Blick mit einer weithin akzeptierten Einteilung sprachwissenschaftlicher Paradigmen zusam­menfallen dürfte - stellt sich natürlich die Frage, welcher Paradigmenbegriff hier -wenn überhaupt - Anwendung finden kann. Und üblicherweise erfolgt an dieser Stelle der «Hammelsprung>>: Popper oder Kuhn? Kontinuierliches growth of knowledge oder revo­lution? Ratio oder Dogma? Fortschritt2 durch Falsifizierung des alten Paradigmas oder

1 Wir verwenden im Folgenden, wie auch schon in der Einleitung, Baum als Überbegriff für die Bildvarianten Arboreszenz und Raster.

2 Zur Problematik der Fortschritt-Konzeption cf. SCHMITTER 1987.

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aufgrund einer «Verbrauchtheio> des alten Paradigmas? Wenn der Hammelsprung schon thematisiert wird, so ist unschwer zu erraten, daß er nicht ohne weiteres vollzogen wird.

Es gibt zwei Gründe, es sich hier nicht leicht zu machen. Erstens: Noch vor zehn bis zwanzig Jahren, in der Blüte der poststrukturalistischen Phase, hätte man sich ohne viel Federlesens für Kuhn entscheiden können (oder sogar müssen) . Das Vertrauen in die Fähigkeiten der Ratio, ja gar in deren Zielstrebigkeit, war durch und durch suspekt ge­worden - inwieweit dies berechtigt war und wie präzise Kuhn dabei rezipiert worden war, sei hier dahingestellt. Mittlerweile befinden wir uns aber in der noch namenlosen (<<post-poststrukturalistischerl») Phase, für die noch abzuwarten bleibt, ob sich für sie ein neues «Paradigmem>-Paradigma etablieren wird - bespielsweise eines, das «weichet» oder more fUZiJ ist? - oder ob es doch im Grunde bei einer Polarität «Popper oder Kuhm> bleibt. In Ermangelung eines klaren mainstreams bleibt uns j edenfalls vorderhand immer noch nichts anderes übrig, als sachbezogen abzuwägen, welches der beiden Modelle sich für die Gegebenheiten der Disziplin Sprachwissenschaft und ihrer Bäume als geeigneter erweist. Der zweite Grund ist: Selbst wenn man sich phantasielos stellte, und von vorn­herein Sympathie mit dem Kuhnschen Modell bekundete (womit man sogar «auf der sicheren Seite» wäre) , so wäre allemal zum Thema «BaufID> ein Blick auf Popper ratsam, schon allein um seines Entwurfes des Tree of Knowledge willen, den er in seinem Spätwerk Oijective Knowledge ausführt.

1.1.1 Poppers «growth ofknowledge» als «tree ofknowledge»

1 961 hält Popper in Oxford die Herber! Spencer Leetures, die er später zum Kapitel « Evo­lution and the tree of knowledge» von Oijective Knowledge umarbeitet (POPPER 1 973:256-84) . Inwieweit Popper durch seine Beschäftigung mit Spencer und Darwin dazu ange­regt wurde, den evolutiven Baum auf seine Erkenntnistheorie zu übertragen, werden wir hier nicht verfolgen. Es genügt zu umreißen, wie sehr diese Metapher auf Poppers Idee des Erkenntniswachstums (growth of knowledge) paßt.

Fassen wir Poppers Wissenschaftsphilosophie vorab kurz zusammen. Jede Theorie, so Popper, ist grundsätzlich hypothetisch und kann sich jederzeit als falsch erweisen (Fallibilität der Theorie, POPPER 1 979b:XXI) . Aufgabe des Theoretiker-Wissenschaftlers ist es, nach den Schwachstellen der Theorie, d.h. einer empirisch begründeten Falsifizie­rung der Theorie zu suchen, nicht nach deren Verifikation3: «Unter der empirischen Widerlegbarkeit oder Falsifizierbarkeit einer Theorie verstehe ich die Existenz von Be­obachtungssätzen . . . deren Wahrheit die Theorie widerlegen, also als falsch nachweisen würde.» (POPPER 1 979b:XXVJ, cf. ib. : 378) . Im Bestreben, sich vom Induktivismus und den Baconschen 5 tuftn der Gewißheit 4 soweit wie möglich abzusetzen, formuliert Popper so eine negative Methodologie', in der empirische Bestiitigungen einer Theorie nichts zur Entscheidbarkeit darüber beitragen, ob eine Theorie wahr oder falsch ist - insofern kann man die Stellung der Empirie bei Popper als sekundarisiert betrachten. Allerdings können empirische Daten über das Medium der Beobachtungssätze zur Falsifikation

3 Cf. die gegenteilige These von PlAGET 1 972:34s. 4 BACON, NO: «Praefatio» (p. 70s.) . 5 Cf. STEGMÜU"ER 1 979 :1 08s .

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einer Theorie beitragen: Eine Theorie kann durch einen Beobachtungssatz widerlegt werden, und bedarf dann einer entsprechenden Modifizierung. Nur wenn Theorien die­sem die Falsifikation suchenden kritisch-rationalen Dauertest ausgesetzt sind, ist Er­kenntnisfortschritt oder growth of knowledge möglich.

Poppers Theorie des Fortschritts beruft sich damit deutlich auf Darwins Prinzip von trial and error bzw. der natural selection". Jede Mutation der Natur (Darwin) ist vergleichbar einer Hypothese (popper) . Das bedeutet auf wissenschaftstheoretischer Ebene, daß jede Veränderung der Wissenschaft systemimmanent begründet ist (cf. POPPER 1 975:74) , neue Ideen werden nicht «von außen» herangetragen (z.B. von jungen Wissenschaftlern als Vorboten eines neuen Paradigmas, wie wir sie bei Kuhn finden) . Äußere Faktoren (z.B. empirische Daten) entfalten erst bei der Selektion der Hypothesen eine Wirkung: «instruction from within the structure, and selection from without, by the elimination of trials» (ib. : 8 1 ) . Der Wert der Mutationen (Hypothesen) erweist sich in der Auseinander­setzung mit den Lebensbedingungen (bzw. der kritischen Prüfung). War die Mutation nicht gut angepaßt, wird sie aussterben; entspricht die Theorie nicht den empirischen Gegebenheiten, wird sie früher oder später falsifiziert werden'.

Der Unterschied zwischen der Entwicklung des Lebens und derjenigen des Wissens besteht einzig darin, daß in der biologischen Evolution eliminiert und vervielfaltigt wird, wohingegen es auf dem Gebiete der Theorien nicht unmittelbar um Leben oder Tod geht. Daß Theorien nicht wie Organismen sterben, wird dadurch verhindert, daß sie versprachlicht sind. Sprachlichkeit ermöglicht, «to argue about the truth of our descrip­tions; that is to say, to criticize them» (POPPER 1 973:263); « . . . by criticizing our theories we can let them die in our steacl» (POPPER 1 975:78) .

Popper geht aber dann noch einen entscheidenden Schritt weiter. Nicht nur sterben Theorien aufgrund ihrer Versprachlichung nicht: Sie diversifizieren sich auch nicht, sondern streben im Gegenteil einem integrative growth (POPPER 1 973 :263) entgegen. Die Vielzahl der Theorien wächst quasi durch den immerwährenden Druck der Falsifikatio­nen allmählich zu einem Stamm zusammen. Growth of (obJective) knowledge symbolisiert Popper deshalb in einem umgekehrten Baum, dessen «Zusammenwachsen zu einem Stamm» die schrittweise Annäherung an die Wahrheit repräsentiert8 •

. . . I shall contrast the evolutionary tree with what may be called the growing tree of knowledge.

The evolutionary tree grows up from a common stem into more and more branches . . . The branches represent later developments, many of which have . . . «differentiatem> into higlily specialized forms . . .

The evolutionary tree of our tools and instruments looks very similar . . . But if we now compare these growing evolutionary trees with the structure of our growing

knOJvledge, then we find that the growing tree of human knowledge has an utterly different

6 Zum Danvinian turn des späten Popper cf. O'HEAR 1 980: 1 7 1 ss . 7 Die Gewichtung des Akzidentellen und Irrationalen unterscheidet Poppers Selektions be­

griff von dem Darwins. Popper reduziert das Akzidentelle «<Mutatioill» zugunsten eines nahezu teleologischen integrative grOJJJth of knOJvledge. Darwin dagegen lehnt die bis dahin in der Biologie gültige Idee von teleologischer gottbestimmter Artenentwicklung ab und rückt die Bedeutung des genetischen Zufalls in den Vordergund. (Darin liegt ein Berührungspunkt Darwins mit der Paradigmentheorie Kuhns, cf. unten).

8 Cf. die Umdeutung der sich hier manifestierenden teleologischen Fortschrittsauffassung Poppers bei STEGMÜLLER 1 979: 1 24-29, 1 47, 1 69s.

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structure. Admittedly . . . there are always more and more different and specialized applica­tions. But pure knowledge (or «fundamental researcm> as it is sometimes called) grows in a very different way. It grows almost in the opposite direction to this increasing speciali­zation and differenciation . . . . it is largely domina ted by a tendency towards increasing in­tegration towards unified theories. (POPPER 1 973 :262)

Einer Untersuchung zur paradigmatischen Relevanz des Baum-Bildes sollte eine sol­chermaßen baumgeschmückte Erkenntnistheorie eigentlich sympathisch sein. Leider gibt es aber das Problem, daß Popper bei diesem (ach so schönen) Baum nur die empi­rischen Wissenschaften im Blick hat. Sein Falsifikationskriterium ist konzipiert quasi als <<Düngemitteb für das Zusammenwachsen naturwissenschaftlicher Theorien. Als sol­ches wirkt es aber auch als Unterscheidungskriterium9 zwischen empirischen, i. e. wissen­schaftlichen Theorien und « pseudo-wissenschaftlichen» Theorien: Wo der Dünger wirkt, ist Empirie und « echte» Wissenschaft, wo nicht, sind « pseudo-wissenschaftliche» Theorien oder Logik, Mathematik, Metaphysik und Philosophie am Werke'°. Daß Pop­pers Falsifikationskriterium schwerlich auf die Geisteswissenschaften übertragbar ist, wird auch kaum ein Geisteswissenschafder in Frage stellen. Beispielsweise wird in der Sprachwissenschaft selbst der hartgesottenste behavioristische Sprechakttheoretiker schwerlich Poppers Feststellung entkräften können (und vielleicht auch nicht wollen), daß es zwar « . . . unendlich viele mögliche Planetenbewegungen [gibt] , die von Newtons Theorie ausgeschlossen werden [und sie deshalb falsifizieren, S.R.] . Aber es gibt kein mögliches menschliches [i. e. auch sprachliches, S .R.] Verhalten, das von einer der psy­choanalytischen Theorien [oder: Sprachtheorien, S.R.] . . . ausgeschlossen wird.» (POPPER 1 979b:XXVIII) . Am tree of knOlvledge im Popperschen Sinne hat die Geisteswissenschaft demnach nicht teil. Wir werden im Zusammenhang mit Kuhn darauf zurückkommen.

Es ist sicherlich kein Zufall, daß Popper die Antipode zur seinerzeit leitenden Na­turwissenschaft Physik « <Wissenschafb» ausgerechnet mit der Psychoanalyse « <Pseudo­Wissenschafb» exemplifiziert. Gerade die Sprachwissenschafder unter den Geisteswis­senschafdern dürften hier aufhorchen, war doch das psychische Moment der Sprache in ihrer Disziplin von jeher Ursprung von Zwiespältigkeit. Einerseits war es die Ursache dafür, daß man im Zirkel der Naturwissenschaften, zu dem man lange Zeit so gerne gehört hätte, nur am Katzentisch sitzen durfte. Andererseits verfügte man dadurch über recht freundschaftliche Kontakte zur Soziologie und zur Psychologie. (In jüngerer Zeit verschwimmen durch Disziplinen wie die Bewußtseins forschung ohnehin die Grenzen zwischen Physis und Psyche immer mehr.) Vor diesem Hintergrund kommt man nicht umhin, wenn das Unterscheidungskriterium des Psychologischen aufgefahren wird, die Frage zu stellen, inwieweit die von Popper geforderte « Betonung des Objektivitätscha­rakters . . . und der damit verbundenen Ausschaltung des subjektivistischen Psychologismus» (POPPER 1 979b : 124, cf. WILLlAMS 1 989:63, 108) auch für die Naturwissenschaften über­haupt haltbar sei? Dieser Frage soll der folgende Abschnitt nachgehen.

9 Zum demarcation criterion cf. O'HEAR 1 980:96, 1 07, 1 1 1 . 10 POPPER 1 979b:XXVII. Zum Versuch, das Falsifikationsprinzip auch auf die socia! sciences zu

übertragen cf. LAGUEUX 1 993:468-70, NADEAU 1 993:462s. Von Popper unberücksichtigt bleibt dabei der synthetische Ansatz des amerikanischen Radikalempirismus, der die Trennung zwi­schen empirischer Objektwahrnehmung und ideeller Wahrnehmung aufhebt. cr 2.B. DEWEY 1 984, besonders p. 1 1 4-19 .

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1.1.2 Die immunisierte Theorie der Wissenschaften

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Wir scheinen hier an dem Punkt angelangt, wo sich die prinzipielle Frage nach der inne­ren Konsequenz von Poppers kritischem Rationalismus stellt. Popper entwirft eine falsi­flkationistische Fortschrittstheorie für die empirischen, also die Naturwissenschaften. Irrtum und empirische Widerlegung stehen im Zentrum dieser Theorie als unverzicht­bares Medium auf dem Weg zu immer rafflnierteren (und «wahrerem» Theorien und zum beständigen growth of knowledge im Sinne einer inflnitesimalen Annäherung an die Wahrheit:

. . . the new theory, although it has to explain what the old theory explained, corrects the old theory, so that it actually contradicts the old theory: it contains the old theory, but onfy as an approximation. (POPPER 1 973: 1 6)

I assert that continued growth is essential to the rational and empirical character of scien­tific knowledge; that if science ceases to grow it must lose that character ... it is not the ac­cumulation of observations which I have in mind when we speak of the growth of scientific knowledge, but the repeated overthrow of scientific theories and their replacement by bet­ter or more satisfactory ones . (POPPER 1 979a:7)

Die empirische Beobachtung und die daraus resultierenden Beobachtungssätze sollen also zweierlei leisten: Sie entscheiden über die «Wahrheit einer Theorie» und sie ent­scheiden über die «Wahrheit von Wissenschaft» (<<Wissenschaft oder Pseudo­Wissenschaft?» ) . Der rational-kritische Blicks soll dabei auf falsiflzierende Beobachtun­gen, nicht auf veriflzierende gerichtet sein (cf. POPPER 1 979b:xxx) . - Hier scheint sich mir die erste Inkonsequenz in Poppers System zu zeigen: Muß nicht bei der Einforde­rung eines «kritischen Blickes» gerade das grundlegende Problem bedacht werden, daß die Beobachtung einer psychology of observation bzw. einem theoriebedingten Wahrneh­mungsfliter unterliegen könnte " ?

Eine zweite Inkonsequenz siedelt sich auf höherer Ebene an. Neben der Beobach­tungs-Empirie gibt es auch eine Meta-Empirie, nämlich die der philosophischen Praxis . Daß auf dieser Ebene für Popper der falsiflkationistische Imperativ nicht gilt, zeigt sich, wenn er das erkenntnistheoretische Kriterium der Falsiflzierbarkeit eine «philosophische These . . . ein[en] Vorschlag, der sich in ernsten Diskussionen gut bewährt hab> (POPPER 1 979b:XXVII) nennt. Wenn das Falsiflkationskriterium selbst nur veriflzierbar (<<hat sich bewährb» , nicht falsiflzierbar ist, ist es gegen jegliche Anfechtung gefeit. Die Wissen­schaftstheorie Poppers verweigert damit eine Anwendung ihrer Standards auf sich selbst.

Die Philosophie als Methodologie [oder auch «Wissenschaftslehre» , <<wissenschaftliche Phi­losophie» , S.R.] ist insofern keine empirische Wissenschaft, als man über methodologische Fragen niemals zu einer Einigung kommen braucht; denn es ist ein praktisches Verhalten,

" Nach Lakatos dürfte deshalb die Beobachtung nicht ohne weiteres als Abgrenzungskriteri­um zwischen «echten> und «Pseudo» -Wissenschaft herangezogen werden (LAKATOS 1 970:98s . , 1 06s.) . Zur Problematik des Falsifikationskriteriums aus logischer Sicht cf. SCHURZ/DoRN 1 988, STEGMÜLLER 1 979: 1 1 5s.

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ein praktisches Werten, das hinter der Philosophie, der Methodologie steht. Sie ist also kei­ne empirische Wissenschaft und keine reine Logik . . . (POPPER 1 979b:386) 1 2

Ob man dies als legitime Beschränkung auf die Erkenntnistheorie, Inkonsequenz oder einen Mißklang zwischen Empirieforderung und Immunisierungl3 gegen die Empirie deutet, mag jeder für sich entscheiden. Für den, der gerne mit dem Entscheidungsin­strument der Falsiflkation (dessen Funktionieren in bestimmten Bereichen durchaus unbestritten sei) klare Grenzen zwischen «wahr» und « falsch», alter und verbesserter Theorie ziehen möchte, muß dieser letztinstanzliche Mangel an Falsiflzierbarkeit eigent­lich unbefriedigend sein. Diejenigen allerdings, die (wie u.a. die Linguisten) gelernt ha­ben, mit der psychologischen oder philosophischen «lnfektioID) ihres Faches wissen­schaftlich zu leben, wird die Erfahrung, daß jede Grenzziehung früher oder später an ihre eigenen, von sich selbst vorprogrammierten Grenzen stößt, nicht verwundern.

Poppers Theorie vom Erkenntnisfortschritt durch empirische Falsiflzierung ver­sucht, über eben dieses Problem hinwegzusehen (obwohl es gesehen wird!) und birgt damit ein entscheidendes Manko in sich: Die Empirie bleibt beschränkt auf die Objekt­und Theorieebene einer einzelnen Wissenschaft. Ein Überschreiten des Rahmens der Wissenschaftstheorie hin zu einer Meta-Ebene, auf der diese Wissenschaftstheorie selbst der « empirischeID) Beboachtung der Wissenschaftsgeschichte gegenübergestellt wird, wird verweigert. So bleibt Die Meta-Empirie (Beobachtung der Wissenschaftsgeschich­te) - bis auf verstreute Exempel - ausgeschlossen und mit ihr die Fragen, die man von einem kritischen Rationalisten erwarten sollte: <dst das Falsiflkationskriterium falsiflzier­bar?» und in unserem Zusammenhang vor allem: « Hat sich wissenschaftlicher Fort­schritt tatsächlich immer über Falsiflkationen einer herrschenden Theorie vollzogen?»

1.1.3 Hypothese, Theorie, Paradigma

L'evidence peut ne pas se montrer d'abord; mais en at­tendant qu'elle paroisse, nous pouvons faire des conjec­tures; et lorsqu'elle se montrera, nous jugerons SI nos conjectures nous ont rnis dans le bon chernin. (CONDIllAC, Imtruction:IV Irv 12)

Wenn wir uns nun Kuhn zuwenden, so bietet dies die Gelegenheit, eine Erläuterung nachzuholen, deren geflissentliches Übergehen bei manchem Leser schon ein Stirnrun­zeln hervorgerufen haben mag. Wie steht es um die Begriffsgrenzen von Hypothese, Theo­rie und Paradigma bei Popper und Kuhn'4? Der Begriff Paradigma tritt in Poppers Theorie nicht in Erscheinung (allenfalls in der Auseinandersetzung mit Kuhn) . Popper spricht

12 Später spricht Popper vom meta-scientiftc cn"terion of progress, unter dem man sich das Vermö­gen eines Wissenschaftlers vorzustellen hat, intuitiv die noch unausgeschöpften Qualitäten einer Theorie beurteilen und auf dieser Basis eine <<rationale» Wahl zwischen zwei konkurrierenden Theorien treffen zu können (POPPER 1 979a:9) .

13 Der Vorwurf der Immunisierung wurde von anderer Seite auch gegen Kuhn erhoben: MUNZ 1 985 : 161 s . , AUROUX 1987:25.

14 Für STEGMÜLLER 1 979:1 32-41 liegt in den unterschiedlichen Konzeptionen des Begriffes «Theorie» die Ursache der Schlzophrenierung der Fortschrittsdebatte.

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von Theorie, und diesen Begriff haben wir bei ihm implizit mit Paradigma gleichgesetzt. Daß diese Gleichsetzung legitim ist, zeigt sich beispielsweise dort, wo Popper von den Musterbeispielen naturwissenschaftlicher Paradigmen, nämlich den Theorien Newtons und Einsteins spricht: «Newtons Principia . . . schufen eine völlig neue Situatiofi» , «die Einsteinsche Revolutiofi» , « [Newtons und Einsteins] Theorien waren also logisch be­trachtet unvereinbar» etc. (POPPER 1 979b:XVI-XlX) - hier kommt Popper der Inkompa­tibilitätsthese Kuhns punktuell sehr nahe. Andererseits verdiene bereits eine gesicherte Hypothese den « Ehrennamen einer Theorie» (ib. :XVIII) . Die semantische Bandbreite von Poppers deduktiv orientiertem Theorie-Begriff reicht also von der gesicherten Hypothe­se über eine mittelgewichtige Theorie bis hin zur großkalibrigen Theorie (paradigma) .

Eine vergleichbare Bandbreite fInden wir bei Kuhns Paradigmenbegriff. Zwar trennt Kuhn die Theorie vom Paradigma (und die Hypothese von der Theorie) , dafür aber fIndet die scharfsinnige Analyse von Masterman in Kuhns Texten nicht weniger als 21 Bedeu­tungsvarianten des Begriffes Paradigma, die zuvorkommenderweise zu drei Typen ge­bündelt werden. Die zahlenmäßige Reduktion läßt allerdings die hohe semantische Bandbreite unangetastet. Diese ist gekennzeichnet durch unterschiedliche Grade der 'Konkretheit' des Paradigmenbegriffes, der sich nachgerade als polysem erweist. Zu unterscheiden sind:

(1) das metaphysical paradigm im Sinne einer 'Weltanschauung', 'set of (more or less philo­sophical) beliefs', 'way of seeing'; als <<philosophische» Variante ist dieses Paradigma weit meht als eine Theorie (MASTERMAN 1 970:65, 67) , nämlich eine wor/d version im Sinne von Goodman (cf. GOODMAN 1 978:20, 1 02) ;

(2) das sociological paradigm als 'set of scientific habits' und 'scientific achievement' auf kon­kteter Ebene, das aber noch der Theorie als eine Art institutionalisierte Fragestellung vorausgeht (MASTERMAN 1 970:66s. , 69; cf. auch HESSE 1980:46) 15 ;

(3) das artefact paradigm (bzw. construct paradigm) als 'puzzle-solving device', als sich in Handbüchern und Verfahren manifestierende 'Grammatik' des Wissenschaftsbetrie­bes auf der pragmatischen Ebene, die bereits unterhalb der Theorie anzusiedeln ist (MASTERMAN 1 970:65, 67, 70) .

Nach Masterman i s t dieser pragmatische Paradigmenbegriff (3) , auf dem die Arbeit der normal scienee beruht, der für Kuhns Wissenschaftstheorie fundamentale, auf dem die abstrakteren Varianten aufbauen. Viele Mißverständnisse in der Rezeption Kuhns durch die philosophy of scienee rührten daher, daß Paradigma immer nur im metaphysischen Sinne verstanden und Kuhns Betonung des Pragmatischen dabei ignoriert worden sei (MA­STERMAN 1 970:70-73) .

15 Hier bestehen deutliche Parallelen zu Peirces Entwurf der /eading principles in Denkprozes­sen überhaupt. Peirce geht in diesem Entwurf davon aus, daß alles Denken «a purely cerebral activity» sei, aus der über den Mechanismus der Wiederholung die Logik selbst entstehe. Weiter heißt es dann: <<A cerebral habit of the highest kind . . . is called a belief. The representation to ourselves that we have a specified habit of this kind is called a judgement. A belief-habit in its development begins by being vague, special and meagre; it be comes more precise, general and full, without limit. The process of this development, so far as it takes place in the imagination is called thought. A judgement is formed; and under the influence of a belief-habit this gives rise to a new judgement, indicating an addition to belief. Such a process is called an informee; the ante­cedent judgement is called a premise; the consequent judgement, the conc/usion; the habit of thought, which determined the passage from the one to the other (when formulated as a propo­sition), the feadingprincipfD>. (PEIRCE 1 880: 1 6, cf. auch PEIRCE 2000: 12, 27-30) .

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1.1.4 Paradigma als Tradition, Kuhn als Funktionalist

Kuhn betont immer wieder, daß sein Modell der Wissenschaftsgeschichte wesentliche Übereinstimmungen mit dem Popperschen Wissenschaftsmodell aufweise.

On almost all the occasions when we turn explicitly to the same problems, Sir Karl's view of science and my own are very nearly identical. We are both concerned with the dynamic process by which scientific progress is acquired rather than with the logical structure of the products of scientific research . . . Both of us reject the view that science progresses by accretion; both emphasize instead the revolutionary process by which an older theory is rejected and replaced by an incompatible new one; and both deeply underscore the role played in this process by the older theory's occasional failure to meet challenges posed by logic, experiment or observation. Finally, Sir Karl and I are united in opposition to a number of classical positivism's most characteristic theses. (KUHN 1 970a:1 s .)

. . . neither Sir Karl nor I is an inductivist. (ib. : 12)

Zwar sind diese Gemeinsamkeiten recht grundlegender Natur, dennoch sind sie auch zu allgemein, um nicht weiten Raum für entscheidende Differenzen zu lassen. Kuhn redu­ziert sie auf vier wesentliche Punkte (cf. KUHN 1 970a:4-22) :

(1) Popper behaupte, jeder Test berge eine mögliche Falsifikation für die Theorie. Im Gegenteil sei aber die Falsifikation im Wissenschaftsbetrieb eine Ausnahme und komme nur in revolutionären Phasen vor; die normal science verlasse sich auf das gel­tende Paradigma.

(2) Popper übertrage den Satz «Wir lernen aus unseren Fehlen») auf Theorien und die ge­samte Wissenschaft. Dieser Satz sei hingegen ausschließlich für Individuen gültig; Fehler seien immer Fehler von Individuen, nicht von Theorien.

(3) Wolle man Poppers Falsifikationskriterium für Theorien voll gelten lassen, so setze dies voraus, daß die Theorie bereits bis ins kleinste Detail deduziert sein müsse, um wirklich beurteilen zu können, ob sie von einer bestimmten Beobachtung falsifiziert wird. Dies sei j edoch in der Praxis nie der Fall. Vielmehr befanden sich Beobachtung und Theoriebildung in permanter wechselseitiger Beeinflussung.

(4) Popper übertrage in unzulässiger Weise Mikro-Episoden täglicher Forschung auf die gesamte Wissenschaftsentwicklung, lehne aber dennoch eine «psychology of knowled­ge» ab. Wissenschaftlicher Fortschritt sei aber nicht nur die Präzisierung von Er­kennrnissen, sondern auch ein psychologischer und soziologischer Prozeß.

Im Vergleich zu Poppers deduktiver Wissenschaftsphilosophie zeigt sich hier wie auch in anderen Texten, wie sehr Kuhn (selbst «gelerntem theoretischer Physiker'6) durch die Erfahrung des Wissenschaftsbetrieb pragmatisch geprägt ist (cf. BARNES 1 9 82:54) . So nimmt es nicht wunder, daß für Kuhn sowohl die Hypothese (invention, nove/ty of theory) , als auch die induktiv-empirische, in jedem Fall aber zufillige Entdeckung (discovery of anoma/ies, nove/ty offact, cf. KUHN 1 962:52) der Beginn neuer Theorien sein können17•

16 Zum Werdegang Kuhns cf. BUCHWALO/SMITH 1 997, HOYNINGEN-HUENE 1 997, HEIL­BRON 1 998 oder KUHN 1 986s.

17 Im Bereich der Sprachwissenschaft kann hier die induktive Theoriebildung der frühen US­Linguistik als Beispiel gelten (6 .2) .

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Was die Theorie anbelangt, so gilt sie bei Kuhn ebenso als vorläufig wie bei Popper. Dahinter verbirgt sich jedoch bei genauem Hinsehen die feine, aber entscheidende Dif­ferenz zwischen Fallibilität und Relativität der Theorie. Für Popper ist die Theorie eine « vorläufige Wahrheio> in dem Sinne, daß sie immer als unwahrscheinlich gelten muß. « . . . [according to Popper] all theories have zero prob ability, whatever the evidence; all theo­ries are not on!J equal!J unprovable but also equal!J improbabll!» (LAKATOS 1 970:95) . Zur Ausba­lancierung dieser Unwahrscheinlichkeit wird die Forderung nach logischer und empiri­scher Gesichertheit der Theorie in die Waagschale geworfen (d.h. die Sätze der Theorie müssen sich logisch auseinander ableiten, empirisch muß sie sich dadurch bewähren, daß sie nicht allzu schnell falsifizierbar ist) . Für Kuhn dagegen hat, wie wir oben gese­hen haben, das Ineinandergreifen von Theorie und Empirie Vorrang vor der logischen Deduktion der Theorie. Die Theorie ist demnach eher filZry18 als logical, insofern sie (bzw. das sie dominierende Paradigma) ein vorläufig gültiges Leitbild darstellt, dessen dogmatische Macht (nicht Wahrheit) in seiner überkommenen breiten Akzeptanz oder Bewährtheit, also in seiner Tradition liegt.

Dieser Begriff kann hier durchaus synonym zu seiner Verwendung bei Gadamer ver­standen werden, der sich für eine «Rehabilitierung von Autorität und TraditioID> und für eine Bejahung tradierter Vorurteile als einer «Tat der Vernunfo> im hermeneutischen Pro­zeß ausspricht und damit der Kuhnschen Paradigmenidee sehr nahe kommt:

So ist die Anerkennung von Autorität immer mit dem Gedanken verbunden, daß das, was die Autorität sagt, nicht unvernünftige Willkür ist, sondern im Prinzip eingesehen werden kann . . . . [Es] scheint mir, daß zwischen Tradition und Vernunft kein derartig un­bedingter Gegensatz besteht . . . Auch die echteste, gediegenste Tradition . . . bedarf der Be­jahung, der Ergreifung und der Pflege. (GADAMER 1 972:264-66)

Vernunft . . . ist nicht ihrer selbst Herr, sondern bleibt stets auf die Gegebenheiten ange­wiesen, an denen sie sich betätigt. (ib. :260)

Kuhn und Gadamer verbindet eine recht bodenständige Sicht auf die Wissenschaft. Wissenschaft ist nicht gleich «WisseID>/pure knowledge (POPPER 1 979b:XVIII) , sondern Praxis : the tradition-bound activity of normal science (KUHN 1962:6) 1 9 .

Den Zusammenhang zwischen Wissenschaft, Methode, Theorie und Paradigma hat man sich bei Kuhn als Hierarchie (mit von oben nach unten transzendenten Hierarchie­stufen) vorzustellen: Das Paradigma als maßgebliche Brille faßt unter sich verschiedene Theorien und Methoden zusammen und determiniert so die Forschungstätigkeit. (Es ist dabei nicht ausgeschlossen, daß das Paradigma auch Theorien und Methoden verschie­dener Wissenschaften bzw. Disziplinen umfassen kann.)

Through tbe theories tbey embody, paradigms prove to be constitutive of tbe research activity. They are also, however, constitutive of science . . . paradigms provide scientists not only witb a map but also witb some of tbe directions essential for map-making. In learning a paradigm tbe scientist acquires tbeory, metbods, and standards altogetber, usu­ally in an inextricable mixture. (I<UHN 1 962: 1 08, cf. ib. : l O)

1 8 Cf. LAKOFF 1 987:1 96s. zum fuz'{jfied objectivism. 19 Cf. RICHARDS 1 955 : 1 37-45, 1 77s. zu «Wissenschaft und ReligioID> und STEGMÜLLER

1 956 :522 zur Tradition als «GlaubeID>.

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Dabei deutet sich schon die Crux des Paradigmas an. Es wirkt als hermeneutischer Zir­kel aus Kriteriensetzung und Erfüllung derselben Kriterien. «In the partially circular arguments that regularly result [from a discussion between two scientific schools] , each paradigm will be shown to satisfy more or less the criteria that it dictates for itself and to fall short of a few of those dictated by its opponent.» (KUHN 1 962: 1 08s .) . Die For­schungsdeterminierung durch das Paradigma geht letztlich soweit, daß die Wahrneh­mung der Welt, in letzter Instanz also auch die Empirie, von ihr geprägt wird. Jede Wahrnehmung, auch die wissenschaftliche ist ein expenencing as (cf. DEWEY 1 929:4, 63s . ; Postulate: 1 58s . , 1 66; JAMES, Humanism: 1 00) . Ein Paradigmenwechsel bedeutet folglich auch einen Wahrnehmungswechsel: « What were ducks in the scientist's world be fore the revolution are rabbits afterwards.» (KUHN 1 962: 1 1 0)20. Das Paradigma als « Brille» der Weitsicht gibt uns in apriorischer Weise ein champ ipistimologique vor: <<Les codes fonda­mentaux d'une culture - ceux qui regissent son langage, ses schemas perceptifs, ses echanges, ses techniques, ses valeurs, la hierarchie de ses pratiques - fixent d'entree de j eu pour chaque homme les ordres empiriques auxquels il aura affaire et dans lesquels il se retrouvera.» (FOUCAULT 1 966: 1 1) 21 .

Die Kontrarietät des Kuhnschen und des Popperschen Ansatzes tritt an diesem Punkt voll zutage. Wo bei diesem die empirische Falsifikationsmöglichkeit das Wissen auf geradlinigem Weg vorantreibt (cf. POPPER 1 979b:XVIII) , ist bei j enem die Empirie im paradigmatischen Zirkel gefangen, der die Wahrnehmung von Anomalien behindert (was mit dem Experiment von Bruner und Postman belegt wird, cf. KUHN 1 962:62s.) .

1.1.5 «Scientific honesty» und «normal scientists»

Einhergehend mit dieser Kontrarietät von Popper und Kuhn, möglicherweise sie sogar begründend, ist das grundlegend verschiedene Bild des Wissenschafders. Popper hält das hehre Ideal der « scientific hones1:y» (cf. LAKATOS 1 970:92ss . , 1 22) und des der Selbstkritik und Falsifikationssuche nimmermüden Forschers hoch: « . . . [the theoretician will] try to think of cases or situations in which it [the new theory] is likely to fail, if it is false. Thus he will try to construct severe tests, and crucial test situations.» (POPPER 1 973: 1 4)22. Im Gegenzug für diesen hohen Anspruch bleibt der Wissenschafder immer Herr über die Theorie: Die Theorie steht auf dem Prüfstand, nicht der Wissenschafder.

Anders bei Kuhns puz:de-solving normal science. Hier prüft die geltende Theorie die Hypothese des Wissenschafders, ja die Qualifikation des Wissenschafders selbst:

. . . when engaged with a normal research problem, the scientist must premise current theory as the rules of his game . . . the practitioner of such an enterprise must often test the con­jectural puzzle solution that his ingenuity suggests. But only his personal conjecture is tested. If it fails the test, only his own ability, not the corpus of current science, is im­pugned. In short, though tests occur frequently in normal science, these tests are of a pe-

20 HEISENBERG, PB:496, 499 nennt es «philosophischen Hintergruncb>. 21 Anders als Kuhn geht Foucaults archeologie nicht von inkommensurablen Diskursen bzw.

Paradigmen aus (cf. 1 . 1 .7) , sondern von einem allen diskursiven Transformationen zugrundelie­genden archive. Cf. FOUCAULT 1 969 :1 68-73; RIEU 1 984: 1 05 . , 1 987:87; AUROUX 1 987:29s.

22 Die Theoretiker und Wissenschaftler muß nicht getrennt werden, denn jeder gute Wissen­schaftler muß Theoretiker sein und umgekehrt.

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culiar sort, for in the final analysis it is the individual scientist rather than the current the­ory which is tested. (KUHN 1 970a:4s.)

Kuhn weigert sich, dem Wissenschaftler den Imperativ eines permanenten Revolutions­willens aufzubürden. Test situations, wie Popper sie beschreibt, seien Bestandteile einer Ausnahmesituation (revolution) .

Frameworks must be lived with and explored before they can be broken. But that does not imply that scientists ought not aim at perpetual framework-breaking, however unob­tainable that goal. <Revolution in permanence> could name an important ideological im­perative. If Sir Karl and I disagree at all about normal science, it is over this point. He and his group argue that the scientist should try at all times to be a critic and a proliferator of alternate theories. I urge the desirability of an alternate strategy which reserves such be­haviour for special occasions. (KUHN 1 970b:242s.)

Er betont den Alltagsfaktor und den «Faktor Mensch» im Wissenschaftsbetrieb: Der normal scientist sucht Erfolg, und zwar nach Möglichkeit auf dem kürzesten Weg (cf. HEISENBERG, AD:356, SCHMITIER 1 982: 178) . Das Paradigma bietet beides. Es ver­spricht Belohnung innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft für das (brave) Zu­sammentragen von Ergebnissen, die das amtierende Paradigma ermöglicht (KUHN 1 962:24) . Und es erspart dem Wissenschaftler Zeit, indem er seine Terminologie und Ergebnisse nicht ab Punkt Null rechtfertigen muß, sondern den paradigmatischen Ka­non, wie er in den Lehrbüchern des Faches materialisiert ist, schlicht voraussetzen kann (ib. :20) . Gerade diese für Kuhn «normale» , bequeme und legitime Abkürzung stellt in Poppers Augen eine degenerative Abnormität dar, weil sie die Objektivität vernachlässi­ge (cf. STEGMÜLLER 1 979 : 1 20) . Ihre Realität wird ihr j edoch auch von Popper nicht abgesprochen.

<<Normal» science, in Kuhn's sense, exists. It is the activity of the non-revolutionary, or more precisely, the not-too-critical professional . . .

. . . and i t exists not only among engineers, but among people trained as scientists. I can only say that I see a very great danger in it and in the possibility of its becoming normal Gust I see a great danger in the increase of specialization, which is also an undeniable his­torical fact) : a danger to science and, indeed, to our civilization. (POPPER 1 970:52s.)

Hier steckt nach meinem Dafürhalten der entscheidende Punkt der Popper-Kuhn­Debatte. Und dieser ist weder rational noch empirisch für die eine oder andere Seite zu entscheiden, weil es sich im Grunde um zwei widersprüchliche apriorische Grundeinstel­lungen handelt: Pragmatismus23 (Kuhn) oder Moralismus (popper)24? Aus Sicht der <<Moralisten» erscheint der Pragmatismus irrational, aus Sicht der Pragmatisten erscheint die Forderung nach einer allein in der Objektrealität begründeten Objektivität gegen­über dem Wissenschafts betrieb als irreaL Rorty spitzt diese Kontroverse auf die Formel «Solidarität oder Objektivität?» zu:

23 Pragmatismus kann hier sowohl im landläufigen Sinne ('Praxisnähe') verstanden werden als auch im Sinne des philosphischen Pragmatismus und seinem relativem Realitäts- und Wahr­hei tsvers tändnis .

24 Cf. BARNES 1 982:59.

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Insofar as a person is seeking solidarity, she does not ask ab out the relation between the practices of the chosen community and something outside that community. Insofar as she seeks objectivity, she clistances herself from the actual persons around her not by thinking of herself as a member of some other real or imaginary group, but rather by at­tacrung herself to something wruch can be described without reference to any particular human beings . . .

Those who wish to ground solidarity in objectivity - call them <<realists» - have to con­strue truth as correspondence to reality. So they must construct a metaphysics wruch has room for a special relation between beliefs and objects wruch will clifferentiate true from false beliefs . . .

By contrast, those who wish to reduce objectivity to solidarity - call them "pragma­tists» - do not require either a metaphysics or an epistemology. They view truth as . . . what i s good for us to believe . . . From a pragmatist point of view, to say what i s rational for us now to believe may not be true, is simply to say that somebody may come up with a better idea . . . the desire for objectivity is not the desire to escape the limitations of one's community, but simply the desire for as much intersubjective agreement as possible . . . (RORTY 1991 a:22s.)

1.1.6 «The tree of revolution»

Nachdem die Kuhnsche Grundvorstellung des Paradigmas umrissen ist, können wir uns seiner Konzeption des Paradigmenwechsels zuwenden. Im Gegensatz zu Poppers eini­germaßen geradlinigem, sich bündelndem Wissensfortschritt durch Falsifikation wählt Kuhns Theorie der scientific revolutions bekanntlich den Ansatz, daß Paradigmenwechsel nicht nur auf empirischen Falsifizierungen, sondern vor allem auf einer Konkurrenzsi­tuation zwischen zwei Paradigmen fussen, die die scientific community zu einer verglei­chenden Wahl zwischen zwei Paradigmen zwingt .

. . . once it has acrueved the status of a paracligm, a scientific theory is declared invalid only if an alternate canclidate is available to take its place. No process yet clisclosed by the rus­torical study of scientific development at all resembles the methodological stereotype of falsification by direct comparison with nature . . . the act of judgement that leads scientists to reject a previously accepted theory is always based upon more than a comparison of that theory with the world. The decision to reject one paracligm is always simultaneously the decision to accept another, and the judgement leacling to that decision involves the comparison of both paracligms with nature andwith each other. (KUHN 1962:77)

Neue, konkurrierende Paradigmen treten dann auf den Plan, wenn das alte Paradigma sich in einer Knse befindet. Die entscheidenden Anzeichen einer solchen Krise sind: (1) das Paradigma ist (im Zuge der Arbeit der normal science) allmählich ausgeschöpft, d.h. der Anwendungsbereich der etablierten Fragestellungen ist weitgehend abgearbeitet; (2) im Zuge dieser Arbeit sind immer mehr Beobachtungen aufgetaucht, die mit der Theo­rie des alten Paradigmas nicht mehr vereinbar sind und zunächst als <<Anomalier}» ver­bucht werden (die berüchtigten <<Ausnahmen von der Regeb» . Kuhn ist jedoch zurück­haltend, was die falsifikatorische Kraft von solchen Anomalien anbelangt: «If any and every failure to fit were ground for theory rejection, all theories ought to be rejected at all times» (K.DHN 1 962: 1 45) . Mit dem Argument, daß es keine Theorie gebe, die alles erkläre, wird dem kritisch-destruktiven Falisfikationsprinzip ein bremsendes Pendant an

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die Seite gestellt, das heißt: Es muß gewisse Toleranzgrenzen für Anomalien geben. Der Anspruch darf nicht der richtigen Theorie, sondern muß der angemesseneren Theorie gelten: «It makes a great deal of sense to ask which of two actual competing theories fit the facts better.» (ib. : 1 46)25.

Das bedeutet natürlich nicht, daß die Entdeckung von Anomalien folgenlos bliebe. Denn die durch die Häufung von Anomalien sichtbar gewordene mangelnde Erklä­rungsfahigkeit des geltenden Paradigmas beflügele nämlich, so Kuhn, insbesondere jun­ge Forscher. Weil ihre Bindung an das herrschende Paradigma noch wenig ausgeprägt ist, suchen sie den supnse-Erfolg eher als den Paradigma-konformen congratulations­Erfolg der etablierten Wissenschaftler (KUHN 1 962:58, 89s.) Dies steht natürlich im Gegensatz zu Poppers These von der subjektlosen, systemimmanenten Ursache des Wandels. Im Bereich der Linguistik bietet aber die Durchschlagskraft des frühen Chomsky ein gutes Beispiel für die Realitätsnähe der Kuhnschen Konzeption.

So entsteht ein zweites Paradigma, das sich über seine höhere Erklärungs- und Pro­gnosefähigkeit als Konkurrent des alten Paradigmas etabliert. Die Inkompatibilität der beiden Paradigmen tritt dabei nach Kuhn immer mehr zutage, eine <<versöhnliche» Lö­sung ist ausgeschlossen:

There must be a conflict between the paradigm that discloses anomaly and the one that later renders the anomaly law-like . . .

The successful new theory must permit predictions that are different from those de­rived from its predecessor. That difference could not occur if the two were logically compatible. (KUHN 1 962:96)

Der Paradigmenwechsel erfolgt schließlich nicht peu a peu in einem kritisch-rationalen Prozeß, wie Popper ihn beschreibt (POPPER 1 973: 1 6) , sondern als eine die gesamte Wis­senschaft erfassende Revolution: umwälzend . . .

. . . scientific revolution are here taken to be those non-accumulative developmental epi­sodes in which an older paradigm is replaced in whole or in part by an incompatible new one. (KUHN 1 962:91)

. . . the reception of a new paradigm often necessitates a redefinition of the corresponding science. (KUHN 1 962: 102)

. . . und nur bedingt rational:

A decision between alternate ways of practicing science is called for, and in the circum­stances that decision must be based less on past achievement than on future promise. The man who embraces a new paradigm at an early stage must often do so in defiance of the evidence provided by problem-solving. He must, that is, have faith that the new para­digm will succeed with the many large problems that confront it, knowing only that the older paradigm has failed with a few. A decison of that kind can only be made on faith. (KUHN 1 962: 1 56s .)26

2S Diese <<Angemessenheio> definiert sich über das Kriterium der maximized eJficiency (cf. KUHN 1 983b:564), das Chomskys evaluation procedures (6.4) entspricht.

26 Zur Affinität von Dogma (<<Glauben an ein Paradigmro» und Entscheidungsfreudigkeit vs. kritische Reflexion als «Entscheidungsaufschub» cf. schon KANT, KdU:§74 (p. 260) .

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Paradigmenwechsel als nur bedingt rationalen Prozeß zu charakterisieren - damit steht Kuhn nicht allein. Ohne sich auf Kuhn zu berufen, beschreibt auch der Physiker Hei­senberg den Wechsel in wissenschaftlichen Denkstrukturen und Begriffssystemen als revolutionär und « . . . durch intuitives Denken übersprungen, nicht durch formales Schließen überbrückb> (HEISENBERG 1984:225; cf. AD:350, 357; TS:444) . Neu ist die Idee der «Revolution» im übrigen keineswegs. Bereits der französische Aufklärer d'Alembert spricht von der revolution des idüs (D 'ALEMBERT, Essai:I [po 10] ; cf. ebenso die revolution scientifique bei SAINT-SIMON, Projet:289) . Gerade die weniger flexiblen Denker neigten zu einem Bruch mit dem alten Ideensystem, um sich die Mühen eines kontinu­ierlichen Übergangs zum neuen System zu ersparen:

L'etude de la nature semble erre par elle-meme froide et tranquille . . . Neanmoins l'invention et l'usage d'une nouvelle methode de philosopher [de la nature, S.R.] , l'espece d'enthousiasme qw accompagne les decouvertes . . . ont du exciter dans les esprits une fermentation vive . . . Plus ils �es hommes] sont lents a secouer le joug de l'opinion, plus aussi, des qu'ils l'ont brise sur quelques points, ils sont portes a le briser sur tout le reste; car ils fwent encore plus l'embarras d'examiner qu'ils ne craignent de changer d'avis . . . ils regardent et re�oivent un nouveau systeme d'idees comme une sorte de recompense de leur courage et de leur travail. (D'ALEMBERT, Essai:! [po 1 1])

In den Augen Popperscher Wissenschaftstheorie, die stets um den Ausschluß des Sub­jektiv-Psychologischen bemüht ist, muß solches dogmatisch erscheinen « <Will man Sät­ze nicht dogmatisch einführen, so muß man sie begründel1» 27) , und Kritiker Kuhns monie­ren hier den Mangel an auch nur minimaler Kontinuität beim Paradigmenwechsel: « . . . <one damned thing after the othen, a s the French fUm director Jean-Luc Godard once put ib> (MUNZ 1 985: 1 62) . Gleichwohl darf dieser Dogmatismus-Vorwurf skeptisch be­trachtet werden, wenn man bedenkt, daß Poppers Idee einer nahezu teleologischen Wis­sensvervollkommnung selbst ein gut Teil Dogmatismus birgt, nämlich besonders dort, wo sie die Anwendung der kritisch-rationaler Methode (i.e. Falsifikationsprüfung) auf sich selbst verweigert und sich so immunisiert (1 . 1 .2) .

Kuhns Darlegung dagegen setzt ein mit der wissenschaftsgeschichtlichen « empiri­schen Beobachtung» des Wissenschaftsbetriebes28 und liefert eine Fülle von Beispielen aus der Geschichte der Naturwissenschaften (sie dürften ungefahr die Hälfte von Struc­ture ausmachen) , die seine Theorie der revolutions belegen. Hier ist also der Empirie­Anspruch (wenn auch nicht in falsifikationistischer Manier) eingelöst. Dieses Vorgehen führt Kuhn just dazu, jedwede Teleologie des Wissens (wie Popper sie vertritt) abzuleh­nen: « We may . . . have to relinquish the notion, explicit or implicit, that changes of para­digm carry scientists and those who learn from them eloser and eloser to the truth.» (KUHN 1 962: 1 69) .

Wenn ich Kuhns Darlegungen folge, weil sie mir weniger dogmatisch und praktikab­ler als die Poppers erscheinen, so opfere ich freilich bereits im ersten Kapitel einen Baum: nämlich den sich verjüngenden tree of knowledge Poppers. Wir gewinnen jedoch im

27 POPPER 1 979b:429; cf. 1 975 :84-93. 28 Einen evtl. Jahrhunderte zurückliegenden Wissenschafts betrieb als Objekt und die <<Beob­

achtung» dieses Objektes, die mittelbar über Texte erfolgt, als empirische Beobachtung zu bezeich­nen, ist nicht unproblematisch. Hier kann es sich nur um eine Empirie im interpretativ­geisteswissenschaftlichen Sinne bzw. im Sinne des Pragmatismus .

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Gegenzug einen andern «optimistischeren Bauffi) . Während Poppers integrative growth of knowledge mit dem Glauben an eine vor uns liegende Wahrheit als langfristiger, nahezu religiöser Optimismus konzipiert ist, weist er auf kürzere Sicht ein stark skeptizistisches, ja destruktives Moment (Kritik als Suche nach dem Falschen)2? auf sowie eine ausge­prägte Rückwärtsgewandtheit (mit dem Rücken zur Zukunft wird an der Theorie ge­feilt) . Entgegen Poppers «subjektloser Epistemologie» gesteht Kuhn dagegen der Wis­senschaft bei aller «Normalität» auch visionäre, ja nahezu hasardeurhafte Momente zu. «Predictions» und «promises» eines Paradigmas, kurz: ein mehr oder minder gewagtes Möglichkeitsdenken stehen im Vordergrund. Gerade dieses wird als treibende Kraft für die Diversifikation wissenschaftlichen Fortschrittes gesehen. Für die Darstellung dieser Kraft wird auch bei Kuhn der evolutive Baum bemüht:

lt must already be clear that my view of scientific development is fundamentally evolu­tionary. Imagine, therefore, an evolutionary tree representing the development of scien­tific specialities from their common origin in, say, primitive natural philosophy. Imagine, in addition, a line drawn up that tree from the base of the trunk to the tip of some limb without doubling back on itself. Any two theories found along this line are related to each other by descent . . . For me, therefore, scientific development is, like biological evolution, unidirectional and irreversible. (I(UHN 1 970b:264)

. . . scientific developments must be seen as a process driven from behind, not pulled from ahead - as evolution from rather than evolution towards . (I<UHN 1 991 :7)30

Mit dieser Sichtweise steht Kuhn in der Tradition von Peirce, der Wissens fortschritt über der Zeit vorausgreifende experimentelle guesses (abduction) beschreibt:

The theory of natural selection is that nature proceeds by similar experimantation to ad­apt a stock of animals . . . to its environment . . . But every such procedure, whether it be that of the human mind or that of the organic species, supposes that effects will follow causes on a principle to which the guesses shall have some degree of analogy . . . (PEIRCE, EL:§86)

An abduction is a method of forming a general prediction without any positive assurance that it will succeed either in the special case or ususally, its justification being that it is the only possible hope of regulating our future conduct rationally, and that Induction from past experience gives us strong encouragement to hope that it will be successful in the fu­ture. (ib. : §270)

1.1.7 Die Rolle von Sprache und Metaphern für die Paradigmentheorie

Wenn Popper und Kuhn beide das Bild des Baumes bemühen, so sind wir natürlich im innerhalb einer Untersuchung zum «Bauffi) , die hauptsächlich in der Linguistik wurzelt, an einem wichtigen Punkt angelangt. Und auch in diesem Punkt - hinsichtlich der Rolle

2? Cf. auch LAI<ATOS 1 970: 1 79. 30 Für einen ausführlichen Vergleich evolutionsbiologischer Begriffe mit ihren Pendants in

der Wissenschaftsgeschichtsschreibung cf. MISHLER 1991 , besonders p. 231 .

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der Sprache und der Metapher in der Wissenschaft und Wissenschaftstheorie - zeigt sich die Kontrarietät der Theorien von Popper und Kuhn.

Mag Popper auch die Metapher weidlich nutzen, versucht er dennoch, sie im Sinne der rational-kritischen Sache nachträglich durchzustreichen. So schreibt er in der Tat nach ausgiebiger Verwendung der mit dem Baum-Modell eng verwandten natural selection­Metapher: «This statement of the situation is meant to describe how knowledge really grows. It is not meant metaphorically, though of course it makes use of metaphors.» (POPPER 1 973:26 1 ) . - Die aus linguistischer und metapherntheoretischer Sicht kaum nachvollziehbare Deklaration zeigt, wie schwierig es ist, das subjektive (auch metaphori­sche) Moment rationalisieren zu wollen. Selbst wenn man Darwins Metapher der natür­lichen Auslese aufgrund ihrer mitderweile wissenschaftstraditionell fIxierten Bedeutung die Metaphorizität absprechen kann, so bedeutet doch die Übertragung dieser Nicht­Mehr-Metapher auf einen anderen Zusammenhang eine abermalige Metaphorisierung und liefert ein lebendiges Beispiel für den «Mythos der Objektivitäo>: «What objectivism misses is the fact that understanding, and therefore truth, is necessarily relative to our cultural conceptual systems and that it cannot be framed in any absolute or neutral con­ceptual system.» (LAKOFF/JOHNSON 1 980: 1 94) . Mit seinem non est versucht Popper, eine rein kritische Sprache, j enseits der metaphern befleckten alltags sprachlichen oder einzelwissenschafdichen Zeichensysteme zu etablieren3l • Nur in dieser DefInition könne sie dem Zweck von Explanation und FalsifIkation dienen, Instrument rationaler Kritik und rationaler Paradigmenwechsel sein:

This integrative growth of the tree of pure knowledge has now to be explained. It is the result of our peculiar aim in our pursuit of pure knowledge - the aim of satisfying our cu­riosity by explaining things. And it is, moreover, the result of the existence of a human language which enables us not only to describe states of affairs, but also to argue about the truth of our descriptions; that is to say, to criticize them.

In seeking pure knowledge our aim is, quite simply, to understand, to answer how­questions and why-questions. These are questions which are answered by giving an ex­planation. Thus all problems of pure knowledge are problems of explanation. (POPPER 1 973:263)

. . . scientific revolutions are rational in the sense that, in principle, it is rationally decidable whether or not a new theory is better than its predecessor. (POPPER 1 975 :83)

Gerade diese Sprache jenseits des Paradigmas, die eine objektiv vergleichende Beurtei­lung von verschiedenen Paradigmen erlauben würde, gibt es für Kuhn nicht. Die «Irra­tionalitäo> seines Paradigmenwechsels beruht auf zwei eng mit einander verwobenen Thesen. (1) « . . . comparisons of successive theories with each other and with the world are never suffIcient to dictate theory choice» (I(UHN 1 993:41 6) . Das heißt: Beim Para­digmenwechsel sind immer auch diskursive oder anderweitige Machtvorteile im Spiel32.

31 Cf. WILLlAMS 1989:62, 88, 1 70; STEGMÜLLER 1 970: 1 87s. - In der Linguistik, deren Objekt je gerade die Sprache ist, und die deshalb stets einen besonders kritischen Blick auf ihre Meta­sprache bewahren muß, ist man mit der Behauptung einer <<reinem>, «unübersetzbarem> Meta­sprache (wie sie TARSKI 1 956 : 1 67, 403 fordert) , sehr viel vorsichtiger: cf. z.B. HJELMSLEV, Pro1: 1 1 9s . und Essais 2:1 06s. , BLOOMFIELD 1 935:507, 5 16 .

3 2 Cf. FOUCAULT 1 97 1 , PlAGET 1 968: 1 3-1 5, IZAuFFMAN 1991 , AUROUX 1 987:26s. , KNO· BLOCH 1 996 und unten zu Bourdieu.

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Diese These hat dazu geführt, daß Kuhns Wissenschaftstheorie oft als Wissenschafts­psychologie abgetan wurde (z.B. LAKATOS 1 970: 1 78) . (2) Der für unsere Untersuchung entscheidende Punkt: Selbst wenn Machtfaktoren ausgeschlossen werden könnten, so gäbe es aufgrund der Inkommensurabilitilf der Paradigmen doch keinen Ort, von dem aus ein rationaler Vergleich zwischen altem und neuen Paradigma stattfinden könnte. Es gibt keine neutrale « kritische» Sprache, die als tertium comparationis fungieren könnte:

Incommensurability is a notion that for me emerged from attempts to understand appar­ently nonsensical passages encountered in old scientific texts. Ordinarily they had been taken as evidence of the author's confused or mistaken beliefs. My experiences led me to suggest, instead, that those passages were being misread: the appearence of nonsense could be removed be recovering older meanings for some of the terms involved, mean­ings different from those subsequently current. (KUHN 1 991 :4)

. . . successive theories are incommensurable (wruch is not the same as incomparable) in the sense that the referents of some of the terms wruch occur in both are a function of the theory within wruch those terms appear. There is no neutral language into wruch both of the theories as weil as the relevant data may be trans la ted for purposes of comparison. (KUHN 1 993:41 6)

Das Konzept der Inkommensurabilität (cf. auch MARGOLIS 1 9 9 1 :434) hat reichlich Dis­kussionen ausgelöst, die Kuhn bewogen haben, diesen Terminus zunehmend zu präzi­sieren. Der frühe Kuhn setzt Inkommensurabilität gleich mit «Inkompatibilität» (z .B. KUHN 1 962: 1 02) , was sowohl die Absenz eines tertium comparationis (inklusive einer ge­meinsamen Sprache) als auch die Absenz eines gemeinsamen Korpus empirischer Ge­gebenheiten zwischen zwei aufeinanderfolgenden Paradigmen umfaßt33• In seinen spä­ten Aufsätzen spricht Kuhn von Inkommensurabilität im Sinne von 'Nicht-Übersetz­barkeit', weil drei Bedingungen nicht zuträfen: (1) « ... translation is something done by a person who knows two languages» , (2) « . . . the language into wruch the translation is cast existed before the translation was begun» (KUHN 1 9 83a:672) und (3) « translations must preserve not only reference but also sense or intension» (KUHN 1 983a:681 , cf. 1970b:266-70.) . - Daß insbesondere die dritte Bedingung aus sprachwissenschaftlicher Sicht ein Garant für « Nicht-Übersetzbarkeit» ist, braucht hier nicht näher erläutert zu werden. Dies wurde auch von Nicht-Linguisten schnell erkannt (z.B. FEYERABEND 1 970:225) . Das Theorem der Nicht-Übersetzbarkeit bedeutet im strikten Sinne zu­nächst, daß eine direkte Kommunikation zwischen (oder über) Paradigmen bzw. ein Ver­gleich nicht möglich ist. Dennoch räumt Kuhn ein, daß Kommunikation und ein beding­ter Vergleich mittels der Interpretation möglich sei. Die Sprache/Terminologie des anderen Paradigmas könne wenn schon nicht übersetzt, so doch wie eine Fremdsprache gelernt und verstanden « <interpretierb» werden (KUHN 1 983a:672s.) .

Die Ursache für die Nicht-Übersetzbarkeit wird in einem local linguistic holism ausge­macht, im cluster-Charakter einer paradigmatischen Terminologie: <<Many of the referring terms of at least scientific languages cannot be acquired or defined one at a time but must instead be learned in clusters» . Cluster bedeutet dabei nicht nur, daß die Termini sich systematisch gegenseitig definieren (nach Art des Saussuresehen systeme de valeurs) , sondern darüber hinaus in ein komplexes System von generalizations, taxonomie categories

33 Cf. MAUDLIN 1 996:442. Im Gegensatz dazu z.B. POPPER 1 979b:XIX, 262.

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und laws eingebunden sind (I(UHN 1 983b:566s.) . Letzteres verhindert nicht nur eine unmittelbare Kommunikation zwischen Paradigmen, sondern auch ein Verschmelzen von verschiedenen clusters und den dazugehörigen wissenschaftlichen Feldern oder sub­jields. Die Absenz einer lingua franca stützt also die Wissensevolution im Sinne einer im­mer weiteren Diversifizierung:

Over time a diagram of the evolution of scientific fields, specialties, and sub-specialties comes to look strikingly like a layman's diagram for a biological evolutionary tree. Each of these fields has a distinct lexicon, though the differences are local, occurring only here and there. There is no lingua franca capable of expressing, in its entirety, the content of them all or even of any pair. (KUHN 1991 :7s .)

Es liegt auf der Hand, daß (auch wenn das Zugeständnis der Interpretierbarkeit nomi­nell eine Nähe zur Popperschen «kritischen Sprache» nahelegen mag) die Positionen doch denkbar weit auseinanderliegen und auch beim späten Kuhn nicht die Rede von einer Annäherung an Poppersche Vorstellungen sein kann.

Die Rolle der Sprache im Paradigmenwechsel wird von Popper und Kuhn demnach gänzlich verschieden beurteilt. Ersterer hält sie für das unabdingbare rationale Instrument des Fortschritts, jenseits der einzelwissenschaftlichen Sprache, und verschleiert ihren durchaus auch metaphorischen Charakter nach Kräften. Für letzteren ist sie nicht nur Indikator eines erfolgten Paradigmenwechsels « <Theory change . . . is accompanied by a change in some of the relevant metaphors and in the corresponding parts of the net­work of similarities through which terms attach to nature.» ; KUHN 1 993:41 6) , sondern spielt auch paradigmenimmanent eine tragende Rolle durch die Metaphern, die sie der Terminologie einer bestimmten Wissenschaft liefert: <<Metaphor plays an essential role in establishing links between scientific language and the world. Those links are not, how­ever, given once and for all.» (KUHN 1 993:41 5s .)34. In diesem Sinne äußert sich auch Heisenberg: Neue Strukturen des Denkens (wie sie z .B. die Quantentheorie mit sich brachte) erfordern nicht nur andere Fragestellungen, sondern ebenso die Verwendung « anderer anschaulicher Bilden> (HEISENBERG, AD:354) .

Man kann demnach sagen, daß wissenschaftsterminologische Metaphern, und insbe­sondere die paradigmatisch leitenden unter ihnen, wie allgemeinsprachliche Zeichen innerhalb ihres Zeichensystems funktionieren: Eine spontane Metapher wird durch Wiederholung konventionalisiert, erhält damit ein vorübergehend stabiles signifie und er­möglicht so den Verweis auf einen bestimmten außersprachlichen Sachverhalt. Dieser Verweis ist in der Allgemeinsprache ko- und kontextuell gebunden, in der Wissen­schaftssprache überwiegend paradigmatisch vordeterminiert.

Wenn man zusätzlich bedenkt, daß Kuhns Paradigma im metaphysischen Sinne (cf. oben) ein way of seeing ist", so kann man noch weiter gehen und die Rolle der Metapher für das Paradigma als noch tragender einstufen:

. . . his [Kuhn'sJ paradigm is a concrete <pieture> of something, A, which is used analogi­cally to describe a concrete something else, B . . . Ir thus has two kinds of concreteness,

34 Kuhns Paradigmenmodell, das Theorie als « set of beliefs, metaphors, examples» versteht, öffnet damit die Tür für einen kognitiven Ansatz zur Epistemologie (cf. GIERE 1991 :420) .

35 Also ein unbewußter habit ofmind (cf. MARGOLIS 1 991 :433, Peirce oben N 1 5) .

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not one: the concreteness wruch it brought with it through being a (pieture) of A, and the second concreteness 1/Jhich it has n01JJ acquired, through becoming applied to B. (MASTERMAN 1 970:77s.)

Das heißt, ein Paradigma folgt dem selben interaction-Mechanismus, wie Black ihn für die sprachliche Metapher beschrieben hat (2 .2.2) . Metapher ist nicht nur eines von mehre­ren Darstellungsmitteln eines Paradigmas, sondern das Paradigma selbst ist eine lebendi­ge Metapher, weil es versucht, ein bestimmtes dominierendes Modell (sei es repräsen­tiert durch ein visuelles oder sprachliches Bild) der Wirklichkeit analogisch aufzulegen. Man denke ruer beispielsweise an die Metaphern von Buchstaben, Wiittern und Sätzen für die biochemische Wirklichkeit des genetischen Codes, oder an das Bild des Baumes für die Wirklichkeit genetischer Abstammungsverhältnisse bei Darwin oder den Sprachfa­milienforschern des 1 9 . Jahrhunderts. Das Paradigma versucht ebenso wie jede « kleine­re» Metapher, Bekanntes auf etwas Unbekanntes zu übertragen, um das noch Unbe­kannte begreiflich, konkret, präzisierbar zu machen. - Das Bild (sei es sprachlich oder visuell) rückt damit an die Stelle des set of statements:

I am inclined to take the metaphor of pictures quite seriously. Rather than taking repre­sentations by statements as fundamental, we should take the way in wruch pietures repre­sent the world as fundamental. So there may be something to a pieture theory of meaning after all, except that it is not statements themselves that pieture the world. Rather, state­ments are just one type of device that may be used in constructing a pieture, or model, of the world. It is the model that pietures the world. The problem, then, is to understand that relationsrup. (GIERE 199 1 :425)

Seine besondere Legitimation erfahrt das Bild dadurch, daß es eingängiger als ein set of statements das Erkenntnisversprechen einer Theorie oder eines Paradigmas repräsentieren kann, bzw. den « abduktiven Wurf» im Sinne von Peirce: « . . . [induction and deduction can never] originate any idea whatever . . . All the ideas of science co me to it by the way of Abduction. Abduction consists in studying facts and devising a theory to explain them '" if we are to understand things at all, it must be in that way.» (PEIRCE, P AP: § 145 ; cf. auch SCHURZ 1 996) .

S o funktioniert das noch völlig unbewiesene Erkenntnisversprechen eines neuen auf­strebenden Paradigmas wie der nonrationale flash of insight sprachlicher oder visueller Bilder als cognitive instrument (BLACK 1 993:3 1 , 83) und als Mittel der gr01Jlth of perception (RICHARDS 1 971 : 1 1 6s .) . - Nonrational meint also hier und im Folgenden, daß wir es nicht mit einem deduktiven oder induktiven Wiedererkennen zu tun haben, sondern mit ei­nem in die Zukunft gerichteten process of becoming im Sinne von Dewey und Merleau­Ponty: « . . . general ideas have a very different role to play than that of reporting and registering past experiences . They are the basis for organizing future observations and experiences . . . » (DEWEY, AP: 12s .) ; (J..'experience des phenomenes . . . est l'explication ou la mise au jour de la vie prescientifique de la conscience qui seul donne leur sens complet aux operations de la science et a laquelle celles-ci renvoient touj ours . Ce n' est pas une conversion irrationnelle, c'est une analyse intentionnelle.» (MERLEAU-PONTY 1 945:70) .

Das heißt aber gerade nicht, daß ein Paradigma auf die Formel (<A ist wie B » reduziert werden kann. A und B sind durch eine interaction (Black) verbunden: (<A ist wie B» impli-

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ziert zugleich «B ist wie fu>; A (das Paradigma) und B (die Wirklichkeit des wissenschaft­lichen Gegenstandes) treten in eine wechselseitige Beziehung, aus der sowohl A als auch B verändert hervorgehen. Das Paradigma im Sinne des 2Vay of seeing (nicht im soziologi­schen oder praktischen Sinne) prägt wie eine deduktive Brille die Wahrnehmung bzw. die wissenschaftliche Erfassung und Beschreibung des Gegenstandes. Umgekehrt kann aber das Paradigma auch Anpassungen oder Variationen erfahren, wo es sich als defini­tiv dem Gegenstand unangemessen herausstellt (cf. auch MASTERMAN 1 970:83) .

1.1.8 Wachsen Geisteswissenschaften an Bäumen? Gegen eine strikte

Sukzessivität geisteswissenschaftlicher Paradigmen

Capienda etiam sunt signa ex incrementis et progressi­bus philosophiarum et scientiarum. Quae enim in natura fundata sunt crescunt et augentur: quae autem in opi­nione, variantur non augentur. (BACON, NO I : §74)

Wir stehen also vor einer Opposition zwischen rationaler überwissenschaftlicher Spra­che und kontinuierlichem Wachstum des tree of knowledge (popper) vs. metaphorischer einzelwissenschaftlicher Sprache und Diskontinuität des Wissensfortschrittes (Kuhn) . Die «Wahrheit» dürfte wohl in der Mitte liegen. Weder kann man wissenschaftlicher Sprache ihr nonrationales (metaphorisches) Moment ganz absprechen, noch sind wis­senschaftliche Termini bzw. etablierte Metaphern zwingend auf ihren Wert für ein be­stimmtes Paradigma zu reduzieren. Es mag sein, daß beide Ansichten (in dieser oder j ener Richtung) den Gegebenheiten in den Naturwissenschaften, auf die sowohl Popper als auch Kuhn sich vorrangig beziehen, nahekommen.

Für die Geisteswissenschaften, die sich gerade in ihren klassischen Fächern Philoso­phie und Philologie (hierzu würde ich trotz ihrer vergleichsweisen Jugendlichkeit auch die Linguistik zählen) der Sprache als Objekt und Medium zugleich bedienen und nicht über das Korrektiv einer Bestätigung oder Falsifikation an der Wirklichkeit verfügen, sieht die Sache anders aus . Die enge Verknüpfung von Objekt- und Metasprache ver­hindert einerseits, die Metasprache zu einem gänzlich rationalen, metaphern- und zitat­freien Instrument werden zu lassen". Andererseits ermöglicht sie es, einer Unversöhn­lichkeit von terminologischen Metaphern, Terminologien und Paradigmen zu entgehen. Das Aufbrechen tradierter terminologischer Metaphern fällt relativ leicht, weil die Di­stanz zur Objektsprache (d.h. Alltagssprache, Einzelsprache, Literatur etc.) nie allzu groß wird (cf. JAKOBSON 1 963:66) . Das bedeutet natürlich nicht, daß die Terminologie z.B. der Linguistik permanent im Fluß wäre oder jeder Term in mehr als einem Paradig­ma auftaucht. Aber: die Begriffe sind prinzipiell flexibel und reinterpretierbar.

Vermutlich ist es neben der Absenz des Korrektives « empirische Beobachtung}) diese Flexibilität der Begriffe, die bewirkt, daß weder das Paradigmenmodell der Falsiftiie­rung/ Verjüngung des Baumes (popper) noch das der revolutions und des sich nach oben ver­zweigenden Baumes (Kuhn) so recht auf die Geisteswissenschaften, und insbesondere die Linguistik, passen will. Die Ursache hierfür liegt offenbar darin, daß beiden Ansät-

36 Eine metaphernfreie Metasprache ist auch für die Naturwissenschaften schon geraume Zeit kein Thema mehr (cf. HESSE 1 974:4s .) .

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zen in unterschiedlicher Weise der Gedanke einer Sukzessivität zugrundeliegt. Bei Pop­per mag sie vielleicht nicht so sehr ins Auge springen wie bei Kuhns revolutions, dennoch ist die Sukzessivität als ein lineares Ineinandergreifen vorhanden: (1) Eine bestehende Theorie kann zunächst durch Hilfshypothesen aufrecht erhalten werden und muß nicht aufgrund eines observational statement verworfen werden - LAKATOS 1 970: 1 1 6s . bezeich­net dies als den sophisticated falsiftcationalism Poppers ; (2) Jede neue Theorie muß den em­pirischen Gehalt der alten und mehr abdecken (theoretical progress) und darüber hinaus auch zur Entdeckung neuer empirischer Tatsachen führen (empirical progress) . Bei der «Verjün­gung des Baumes» haben wir es also nicht mit der Bearbeitung einer Theorie zu tun, sondern mit einer Serie von Theorien (cf. LAKATOS 1 970: 1 32) , bei deren Ineinandergrei­fen die lineare Komponente überwiegt. Die Differenz zwischen Popper und Kuhn bleibt letztlich die zwischen kontinuierlicher Linearität (popper) und diskontinuierlicher Linearität (Kuhn) .

Eine Sukzessivität, welcher Art sie auch sein mag, von Paradigmen (oder Theorien) erscheint manch einem aber ganz und gar nicht zwingend. Nicht zu unrecht fragt BAR­NES 1 982:57, ob der von Kuhn als funktionale Notwendigkeit dargestellte Wechsel von normal science zu revolutionary science zu normal science usw. für das Funktionieren der Wis­senschaft tatsächlich unabdingbar sei (ebenso VERBURG 1 974: 1 92) .

In der Linguistik beispielsweise ist diese strikte Sukzessivität von Paradigmen nicht oder allenfalls teilweise gegeben. Hier existiert(e) eine Vielzahl verschiedener Ansät­ze/Paradigmen, die sich (a) zeitlich überschneiden (z.B. die der Komparatisten, Jung­grammatiker und frühesten Strukturalisten um die Jahrhundertwende) oder (b) inhaltlich überlappen (z .B. die Paradigmen der Komparatisten und Junggrammatiker in puncto dia­chronischer Orientierung) oder (c) parallel existieren (europäischer und US-amerikani­scher Strukturalismus) , so daß nicht von einer Paradigmenablösung im Sinne von «I<ri­se» oder «RevolutioID> die Rede sein kann37• Einen traumatischen Kollaps einer tragen­den Theorie, wie man ihn z.B. in der Biologie mit Darwin oder in der Physik mit Ein­stein ansetzen kann, sucht man in der Linguistik vergeblich. - Und selbst für die Natur­wissenschaften ist hier die Linearität der Ablösung nicht unumstritten (cf. z .B. FEYERA­BEND 1 970:207s.) . - Andererseits zeigt sich trotz der Überschneidungen auch keine allmähliche Synthese von Theorien im Sinne des sich verjüngenden tree of knowledge Pop­pers, schon gar nicht mittels der Falsifikation einer Theorie: Die Ergebnisse der sprach­vergleichenden und der junggrammatischen Sprachwissenschaft sind heute noch gültig, dennoch finden sie keine Fortsetzung in Theorien der modernen Sprachwissenschaft.

Kuhn muß man immerhin zugutehalten, daß er ein Auge für die Andersartigkeit der Geisteswissenschaften hat38, wenn er den Studenten dieser Disziplinen beschreibt: « . . . h e has constantly be fore him a number of competing and incommensurable solutions to these problems . . . » (KUHN 1 962: 1 64) . Hand- und Studienbücher allein vermögen ihm nicht das practical paradigm zu vermitteln, ganz zu schweigen von Paradigmen abstrakte-

37 Der Vollständigkeit halber sei hier nicht unterschlagen, daß Kuhn auch «kleine» Revolu­tionen paralleler traditions innerhalb eines Paradigmas berücksichtigt, welche das Paradigma als Ganzes unberührt lassen (KUHN 1 962:50) . Auch dies scheint mir nicht auf die Sprachwissen­schaft übertragbar: Es würde dann immer noch das übergeordnete Paradigma fehlen - es sei denn, man sähe die Linguistik als Wissenschaft im vorparadigmatischen Stadium (cf. ib. : 1 2- 19)?

38 Darüberhinaus sei auch die Trennung zwischen normal und revolutionary scienee oft schwer zu ziehen (K.UHN 1 970b:251 , cf. auch TOULMIN 1 970) .

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ren Niveaus. Dennoch findet man bei Kuhn keine eingehenderen Überlegungen zur Andersartigkeit der Geisteswissenschaften hinsichtlich ihrer Paradigmen.

Nichtsdestotrotz haben beispielsweise Teile der Linguistik das Kuhnsche Paradigma­Konzept und die damit verbundenen Ideen von revolution und normal seienee relativ rasch aufgegriffen und übernommen. So skizzierte z.B. FIGGE 1 974 auf wenigen Seiten, daß die Paradigmenbildung der Linguistik bei Bopp zu verankern sei, ihr erster Paradig­menwechsel bei den Junggrammatikern, ihr zweiter bei Saussures Cours, ihr dritter bei der generativen Grammatik. ROBINS 1 976a: 1 9 und GREENE 1 974:493 beginnen mit der Datierung «sprachwissenschaftlicher Kontinuitätsbrüche» bereits im Spätrnittelalter. OESTERREICHER 1 9 77:266 hingegen beklagte 1 5 Jahre nach Erscheinen der Structures die weitgehend unkritische Übernahme der im Trend liegenden Kuhnschen Begriffe für die Linguistik und konstatierte: «Die Gültigkeit der für die Naturwissenschaften konzipier­ten Entwicklungstheorie Kuhns ist . . . grundsätzlich für die Sozialwissenschaften abzu­lehnen. Kuhn selber hat diese Gültigkeit auch nicht behauptet oder eine Übertragung auf diesen Bereich angeregt.» (ib. :270) . Auch PERCIVAL 1 976a:289s. moniert, daß die linguistischen Theorien zwei entscheidende Kriterien für ein Paradigma im Kuhnschen Sinne nicht erfüllen: Es fehle ihnen der «uniform assent among linguists all over the worlcb> und die «discontinuity» zwischen verschiedenen Theorien (cf. auch AUROUX 1 9 87:33, BAHNER 1 9 84:26, KOERNER 1 977, MALKIEL/LANGDON 1 969:539s . , SCHLIE­BEN-LANGE 1 996, SCHMITTER 1 982: 1 68ss .) . Als Alternative fordert Oesterreicher ein komplexes Kriterienbündel für die Abgrenzung von Paradigmen: Die Grenzen eines Paradigmas bestimmen sich durch die vier Koordinaten Sprachtheorie (als Theorie des Objektes) , Theorie der Sprachwissenschaft (Metatheorie), Methodologie (Theorie der Spracherforschung) und Repräsentationstheorie (Beschreibungstheorie) (OESTERREI­CHER 1 9 77:273) ; ein Paradigmenwechsel im strengen Sinne müßte demnach eine Um­wälzung in allen vier Bereichen aufweisen. Solchermaßen ist zwar wahrlich dem «dilet­tantischen Intuitivismus» hinsichtlich der Beschreibung von Paradigmengrenzen Einhalt geboten, jedoch um den Preis eines sehr vagen Ergebnisses:

«Paradigma» [gemeint ist hier das <<heuristische Paradigma» als Oesterreichers Gegenent­wurf zum Kuhnschen «Paradigma» , S .R.] bezieht sich . . . auf die Rekonstruktion umfas­sender, möglichst extensiver, aber noch wissenschaftsgeschichtlich signifikanter von For­schergruppen gemeinsam benutzter Schemata oder Modelle wissenschaftlicher For­schung, die Leistungen und Werte repräsentieren, die ihrerseits in einer Reihe von Lingui­stikkonzeptionen jeweils unterschiedlich akzentuiert sind; der heuristische Paradigmabe­griff stellt mithin vor allem einen Rahmen zur Verfügung für eine Analyse von «zentrifu­galem> und «zentripetalem> Kräften, von Konvergenz und Divergenz in bestimmten Teil­traditionen der Gesamtdisziplin Linguistik. (OESTERREICHER 1 977:271 s . , cf. 1 979:48-61)39

Aber nicht nur von Seiten der Geisteswissenschaften wurden Bedenken am Konzept der sukzessiven Paradigmen laut. Selbst die Informatik, die gemeinhin zu den mathema­tischen Wissenschaften gezählt wird, meldete Bedenken an:

39 Eine ähnliche Konzeption findet sich auch bei Lakatos' negative heuristic und positive heuristic in research programmes (LAKATOS 1 970:1 35) .

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As I see it, he [Kuhn] fails to distinguish from one another three relevant states of affairs, which I will call respectively non-paradigm seienee, mult iple paradigm seietlee, and dual-paradigm seienee. (MASTERMAN 1970:73)40

Ähnlich wie Oesterreicher zielt auch Masterman auf eine stärkere Wahrnehmung der Pluralität von methodischen, objekttheoretischen oder anderweitigen subjields. Im Ge­gensatz zu Oesterreichers multifaktoriellem Modell, das weitgehend nur noch nach zen­tripetalen und zentrifugalen Unterschieden innerhalb einer Disziplin (die quasi als «Ma­kro-Paradigma» fungiert) sucht, plädiert Masterman für «viele kleinere gleichzeitige Pa­radigmen». Ein solches <<Mikro-Paradigma» sieht sie bereits durch eine Andersartigkeit des Verfahrens (teehnique of the subjield, definitions given by the techniques) gegeben. Übertra­gen auf die Linguistik, könnte man also bereits bei einer alleinigen Verschiedenartigkeit der Methode von verschiedenen Paradigmen sprechen. Diese multiple paradigms stehen nach Masterman nicht in Konkurrenz zueinander, sondern leben in friedlicher Koexi­stenz, indem sie von einem übergeordneten, abstrakteren Paradigma zusammengehalten werden41 •

Auch Lakatos unterstützt die Forderung nach einer Pluralität auf praktischer Ebene: « . . . science as a battleground of research programmes rather than of isolated theories» (LA­KATOS 1 970: 1 75, Hervorh. S .R.) . Eine solche Pluralität alleine mache jedoch noch keine Wissenschaft, wenn sie nicht durch vorausblickende heuristic power ergänzt werde:

Mature science consists of research programmes in which not only novel facts but, in an important sense, also novel auxiliaty theories, are anticipated; mature science - unlike pe­destrian trial-and-error - has <<heuristic pOWeD). (LAKATOS 1 970:1 75)

The direction of science is determined primarily by human creative imagination and not by the universe of facts which surrounds uso (ib. : 1 87)

Trotz aller Nähe zu Popper entfernt sich Lakatos hier in zwei entscheidenden Punkten von Poppers Wissenschaftsmodell. Er lehnt erstens das trial-and-error-Prinzip ab, das sich beim späten (Darwinschen) Popper durchaus findet. Zweitens - und dies ist für unsere Betrachtung von «Bildern» der Linguistik besonders relevant - betont er die vorausblik­kende Komponente der <<mature science» (ähnlich dem Erfolgsversprechen eines neuen Paradigmas bei Kuhn) , entgegen der Rückwärtsgewandtheit des Popperschen «Feilens an der Theorie» - und auch entgegen der «Pflichterfüllung» der normal seience bei Kuhn.

Wir sehen also, daß kein Mangel herrscht an Kritik hinsichtlich des Kuhnschen Suk­zessivitätstheorems . In der Regel beruft sich diese Kritik aber vorsichtig auf eine Plurali­tät unterhalb der Ebene des Makro-Paradigmas, nämlich auf der Ebene der research pro­grammes (Lakatos)42, der techniques (Masterman) oder der Teiidis'{jplinen (Oesterreicher)43.

40 Non-paradigm seienee bezeichnet dabei den Zustand einer Wissenschaft im vorparadigmati­schen Stadium. Kuhn charakterisiert ihn durch die Parallelexistenz verschiedener 5 ehulen (KUHN 1 962: 1 6s .) und durch die Absenz jedweden gemeinsamen Kanons.

41 Dadurch unterscheiden sie sich vom Übergangsstadium dualparadigm seience, wo die Ablö­sung des eines Paradigmas durch ein anderes im Gange ist (MASTERMAN 1 970:745.) .

42 Zur Position der Lakotosschen research programmes zwischen Popper und Kuhn cf. SCHMITTER 1 998 :1 37-44. Zur Problematik der Übertragung des Konzeptes der research program­mes auf die Linguistik cf. NERLICH/CLARKE 1 998.

43 Cf. auch KmSTEVA 1 97 1 : 10 .

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Diese Teildisziplinen verhalten sich, zumindest was die Linguistik betrifft, größtenteils komplementär, d.h. sie ergänzen sich inhaltlich (cf. COSERIU 1 988:374s.) . Und dies scheint nicht nur auf der Mikro-Ebene der Teildisziplinen, sondern auch auf der Makro­Ebene der Paradigmen zu gelten: Die junggrammatische Schule ergänzte auf einzel­sprachlicher Ebene die Ergebnisse der Sprachfamilienforschung; der europäische Struk­turalismus tat sich insbesondere auf den Gebieten der Phonologie, Morphologie, Lexi­kologie und Semantik hervor, während der US-amerikanische generative Strukturalismus sich vor allem auf die Syntax spezialisierte. Ebenso in der Literatur- oder Kunstwissen­schaft: Ein «Werk» kann als «Werk des Autors», werkimmanent, intertextuell­hermeneutisch oder intertextuell-dekonstruktiv etc. interpretiert und kommentiert wer­den, ohne daß der eine den anderen Kommentar falsifizieren würde. Gadamers Feststel­lung, daß die « . . . großen Leistungen geisteswissenschaftlicher Forschung kaum je veral­tell» (GADAMER 1 972:268) , weil sich die Geisteswissenschaft nur in Aspekten wandle, scheint berechtigt:

. . . diese Aspekte [heben] sich nicht einfach in der Kontinuität fortschreitender Forschung auf . . . , sondern [sind] wie einander ausschließende Bedingungen . . . die jede für sich beste­hen und die sich nur in uns selber vereinigen. (GADAMER 1972:268)

Ebenso äußert sich Cassirer über die Eigenart der Kulturwissenschaften:

. . . dies Auseinander [durch kritische Sonderung] , das auch hier [in den Kulturwissenschaf­ten] gefordert wird, kann nie zu einem Gegeneinander, ja es kann auch nicht zum bloßen Gegenüber werden. Denn es handelt sich nicht, wie in der Naturwissenschaft, um die Unterscheidung von Seins-Polen, sondern von Tätigkeits-Polen. (CASSlRER 1 999: 1 69)

Allerdings blendet man bei dieser Betrachtungsweise die historische Perspektive weitge­hend aus . Die Perspektive der Komplementarität verdeckt den Blick auf die Tatsache, daß sich in der Tat AbliJ'sungen vollzogen haben - dies ist auch der Grund, weshalb man heute für die Linguistik nicht von vorparadigmatischen (parallel existierenden) Schufen sprechen kann: An welcher Universität würde heute noch die junggrammatische oder die sprachvergleichende Theorie des 1 9 . Jahrhunderts in extenso vermittelt oder for­schend angewandt? Diese Ablösungen können aufgrund der Komplementarität zwar nicht als sukzessive Paradigmenwechsel im Sinne Kuhns verstanden werden, wohl aber als Paradigmenwechsel im Sinne einer Verschiebung von Traditionen (Gadamer) , die ein kumulativ-vernetztes Traditionsgebilde generiert.

1.1.9 Ist der Wandel der Geisteswissenschaften mystisch? Aspektualität,

Widerhall und Wiederholung als Faktoren geisteswissenschaftlicher

Paradigmenentwicklung

Fassen wir also zusammen: Geisteswissenschaftliche Paradigmen zeichnen sich, wie wir im vorangehenden Abschnitt gesehen haben, wesentlich durch ihre Aspektuafitat aus, weniger durch ihre Revolutionarität. Sie können sich synchron inhaltlich überschneiden oder ergänzen, oder diachron großräumig überlappen (bei zusätzlicher inhaltlicher Komplementarität) . Damit ist sowohl in diachroner als auch in synchroner Hinsicht ein

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Beziehungsnetz geknüpft, das sich schwerlich mit Sukzessivität beschreiben läßt, weder im Sinne eines Popperschen Fortschrittes noch im Sinne Kuhnscher Revolutionen. Gei­steswissenschaftliche paradigmatische «Revolutionen» können deshalb allenfalls als rela­tive Revolutionen gesehen werden.

Wenn im Netz geisteswissenschaftlicher Paradigmen dennoch aueh Ablösungen (in historischer Perspektive - oder Schwerpunktverlagerungen in der Perspektive der Teil­disiiplinen) - festzustellen sind, so stellt sich natürlich die Frage nach den Ursachen. Ur­sache ist offenbar nicht die Falsifikation durch eine neue Theorie oder Teiltheorie im Sinne Poppers . Bei Kuhn finden wir drei alternative Erklärungen: (1) Die forschungs­mäßige Ausgeschöpftheit des alten Paradigmas; dies ist für unser Fallbeispiel der Lingu­istik wenig befriedigend, denn es gäbe z.B. sicherlich noch eine ganze Reihe von Spra­chen, die nach der komparatistischen Methode noch nicht erschöpfend beschrieben sind, die also die normal seimee noch geraume Zeit beschäftigen könnten. (2) Einen Gene­rationswechsel im " forschenden Vol1m; dies ist angesichts von Forscherpersönlichkeiten wie z.B. Osthoff, Brugmann, Saussure, Harris, Chomsky plausibel, bietet aber nur ein vages Kriterium. Diese Möglichkeit ist eng verbunden mit (3) der «Erklärung» , daß Pa­radigmenwechsel (oder Schwerpunktverschiebungen) nonrationalen «Gesetzen» folgen: ,<A decision between alternate ways of practicing science . . . can only be made on faith.» (I(UHN 1 962: 1 57) - das heißt, ein rational noch nicht oder noch kaum begtündeter, kreativer Vorausblick im Sinne der Peirceschen Abduktion wird zum Anlaß für den Umbau des komplizierten wissenschaftlichen Räderwerkes44•

Kuhn hat sich zwar in den auf die S fruetures folgenden Jahren immer wieder gegen ei­ne Überinterpretation des nonrationalen Momentes im Paradigmenwechsel verwahrt (z.B. KUHN 1 970b:260-62) , dennoch wurden die Rezipienten nicht müde, diesen Punkt zu betonen oder/und zu kritisieren - weil er einer der spekulativsten und zugleich signi­fikantesten Punkte in Kuhns Theorie ist. So skizziert Lakatos :

For Kuhn scientific change - from one «paradigrrm to another - is a ml'stical conversion which is not and cannot be governed bl' rules of reason and which falls totally within the realm of the (socia� psychoiogy of diseovery. Scientific change is a kind of religious change .

. . . It concerns our central intellectual values, and has implications not onll' for theo­retical phl'sics but also for the underdeveloped [!] socia! sciences . . . If even in science there is no other wal' of judging a theory but bl' assessing the number, faith and voca! en­erg)' of its supporters, then this must be even so in the socia! sciences : Truth lies in power. (LAKATOS 1970:93)

Von Seiten der «exakten» Wissenschaften als «psychologistisch» , «mystifizierend» und damit zugleich puren weltlichen Machtmechanismen gehorchend verworfen, dürfte die These der (teilweisen) Nonrationalität des Paradigmenwechsels gleichwohl gerade für die Geisteswissenschaften einer der interessantesten Punkte sein, weil für sie aufgtund ihres aspektuellen Charakters de facto schwerlich rational-falsifizierende Paradigmen­wechsel nachzuweisen sind. Es ist unbestreitbar, daß die Geisteswissenschaften wegen des Fehlens eines falsifikationistischen Instrumentes und wegen ihrer grundsätzlichen Offenheit für eine Theorienpluralität anfalliger für psychologische, soziale u.a. Macht-

44 Kochs Modell der offenen Kreisläufe in den Wissenschaften versucht, dieses irrationale Moment zu rationalisieren und Veränderungen vorhersagbar zu machen (KOCH 1974) .

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einflüsse des Wissenschafts betriebes sind, die Bourdieu als marche des biens symboliques (und also auch scientifiques) beschreibt: :

Les theories, les methodes et les concepts qui apparaissent et s'apparaissent comme de simples contributions au progres de la science sont toujours aussi des manceuvres "politi­ques» visant it instaurer, it restaurer, it renforcer, it sauvegarder ou it renverser une struc­ture determinee de rapports de domination symbolique . . . (BOURDIEU 1971 : 1 21)45

Gleichwohl darf man hier mehrerlei ergänzen: Erstens muß hier « Beeinflußbarkeio> durchaus positiv im Sinne einer <dnspirierbarkeio> verstanden werden. Zweitens muß man fragen: Liegt der «Rationalitäo> eines Wissenschafts fortschrittes, wie Popper ihn beschreibt (und dessen Modell so recht nicht auf die Geisteswissenschaften passen will) , nicht ein nonrationales Moment zugrunde? Die Suche nach der Falsifikation der Theo­rie, die wir oben als destruktives Moment beschrieben haben, impliziert immerhin eine «recherche des instabilites» und damit das nonrationale Moment, das nicht in der Theo­rie enthaltene Andere zu (er-)finden:

L'expansion de la science ne se fait pas griice au positivisme de l'efficience. C'est le con­traire: travailler it la preuve, c'est rechercher et <Qnventem le contre-exemple, c'est-it-dire l'inintelligible; travailler it l'argumentation, c'est rechercher le <<paradoxe)) et le legitimer par des nouvelles regles du jeu de raisonnement. (LYOTARD 1 979:88s.)

Drittens birgt der Vorwurf der «Nonrationalitäb> ohnehin immer das Paradoxon in sich, sich auf das eigene (prärationale!) Vorverständnis von Rationalität zu berufen:

The idea of an irrational action, belief, intention, inference or emotion is paradoxical. For the irrational is not merely the nonrational, wruch lies outside the ambit of the rational; ir­rationality is a failure witrun the house of reason. (DA VIDSON 1 982:289)

Entgegen dem alten Vorwurf einer Art <<willenloser Nonrationalitäo> der Geisteswissen­schaften möchte ich deshalb für den Begriff einer <<inspirierten Rationalitäo> oder einer «motivierten Nonrationalitäo>4G der Geisteswissenschaften plädieren, für einen Rationali­tätsbegriff also, der diesen Wissenschaften selbst ebenso wie ihren Objekten, den <<.Aus­druckswelten», gerecht wird:

Die Ausdrtlckswelt [sie ist nach Cassirer das Objekt der Kulturwissenschaften, S .R.] . . . steht von vorneherein auf einem völlig anderen Boden als die Welt der empirischen Wahrneh­mung. Sie scheint in einem ganz anderen und schlechthin-unaufheblichen Sinne der blo­ssen «Subjektivitäb> verhaftet. Denn nicht nur ihr Anfang, sondern auch ihr Ziel hält sie in diesem Kreise fest. Was wir in ihr und durch sie erfassen wollen, geht nicht in blos-sen Sachbestimmungen auf; es ist subjektives Dasein und Leben. So haftet ihr, verglichen mit der objektiven Naturerkenntnis, immer der Schein des «Irrationalem> und des «Inkom­mensurablem> an. Aber das besagt nicht, daß sie jeder Struktur entbehrt, daß sie ein blo­sses Chaos verworrener Eindrücke und unbestimmbarer Gefühle ist. Auch in ihr gibt es

45 Als Indikator solcher Machtverhältnisse kann z.B. der citation index wissenschaftlichen Pu­blikationen gelten (BOURDIEU 1 984 und 1 997:20) .

46 In Anlehnung an die «motivierte Irrationalitäb> der geistesblitzhaften «Fehlleistungem> (FREUD, Vor/esungen:50-98) .

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vielmehr die Möglichkeiten der Gliederung, der Unterscheidung und mit ihr die Möglich­keit des Aufstiegs zu immer bestimmteren Gestaltungen. (CASSlRER 1 999: 141)

In diesem Sinne argumentiert auch Coseriu, wenn er Objektivität als <<Anpassung an den jeweiligen Gegenstand» definiert. Die Objektivität der Naturwissenschaften formt sich an der Ursache-Wirkung-Struktur ihres Gegenstandes - die Objektivität der Kulturwis­senschaften dagegen an der finalen Struktur ihrer Gegenstände (die verschiedenen For­men der Kultur werden durch Finalität menschlicher Schöpfungen, nicht durch eine Kausalität bestimmt) . Entsprechend unterschiedlich ist auch die theoretische Grundlage: Wo die Naturwissenschaften auf Hypothesen aufbauen, basiert die Kulturwissenschaft auf einem «VorwisseID> (z .B. im Falle der Sprachwissenschaft auf einer intuitiven Sprachkenntnis) .

Somit wird also eine Kulturwissenschaft nicht «wissenschaftlichen>, wenn sie naturwissen­schaftliche Fragestellungen und Methoden übernimmt, sondern hört in diesem Fall auf, Wissenschaft zu sein oder ist nur noch Pseudowissenschaft . . . ebenso wie eine Naturwis­senschaft keine Wissenschaft mehr ist und zur Mythologie wird, wenn sie kulturelle Me­thoden und Fragestellungen übernimmt (denn die Mythologie ist nichts anderes als die Interpretation der Natur als Kultur) . (COSERIU 1 988:229)

Prägnanter noch hat es Lacan formuliert: «Le sujet resulte de ce qu'il doive etre appris • . • » (LACAN 1 975 :89) .

Das heißt: Wechselseitige Vorwürfe von Nonrationalität (die Naturwissenschaft sei nonrational, weil sie nicht nur mit Tatsachen und Kausalitäten arbeiten kann, sondern für ihren Fortschritt auch auf mehr oder weniger phantasiereiche Annahmen zurück­greifen muß; die Kultur- bzw. Geisteswissenschaft sei nonrational, weil sie sich nicht an kausale oder wahr-falsch-Gesetze binden lasse) sind obsolet, insofern Natur- und Gei­steswissenschaft per se verschiedenen «RationalitäteID> gehorchen.

Argumentiert man solchermaßen für die Legitimität einer aspektuell sich wandelnden Geisteswissenschaft und für «inspirierende» Berührungen zwischen verschiedenen Theorien oder Disziplinen, hat man gleich zwei Probleme: Erstens ist die Übernahme fachfremder Konzeptionen nahezu eine Binsenweisheit4? und von daher womöglich keiner näheren Erörterung würdig. Zweitens verschwimmen diese dnspirationeID>, wenn man sie denn verfolgen will, oft im Nebel des sogenannten «Zeitgeistes» . Den möchte ich zwar hier nur mit großen Vorbehalten bemühen, aber in der Tat ist oftmals nur schwer nachzuweisen, wer wen inspiriert hat. Stammt die Idee des genealogisch­evolutiven Schemas aus der Biologie oder aus der vergleichenden Sprachwissenschaft? Hat zuerst die Psychologie oder die Sprachwissenschaft psychologisiert? Entstammt die Idee des <dinguistic turID> dem Zirkel der Sprachwissenschaft oder dem der Philosophie? Kaum je werden Ideenkontaminationen so handlich nachzuweisen sein wie empirische oder theorie-immanente «Negativ-InspirationeID> (i.e. Falsifikationen) . Dieser Mangel hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit der Theoriebildung und -veränderung erklärt sich durch die vergleichsweise geringe Möglichkeit der Geisteswissenschaften, die Theorie durch empirische Daten zu kontrollieren (hier wird unsere Argumentation unvermeid­lich zirkulär, weil wir damit wieder beim [empirischen] Falsifikationskriterium angelangt

4? Cf. auch KOCH 1 974: 1 95s .

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sind), oder Theorien systemimmanent auf Widersprüchlichkeit zu prüfen, wie dies bei­spielsweise in der Mathematik möglich ist". Dieser Sachverhalt ist zumindest teilweise darin begründet, daß in den sciences humaines der Mensch Subjekt und Objekt zugleich ist, was die erkenntnistheoretische und methodologische «Exaktheit» stets fragwürdig er­scheinen läßt (cf. PlAGET 1 972:37) 49 .

Man kann dies als <<Mangeb> deuten - dann muß allerdings auch im Gegenzug zu be­denken gegeben werden, daß auch die vermeintlich «exaktem> und «empirischem> Wis­senschaften nicht ohne Subjektivität operieren können (prägen nicht logische Denk­strukturen des Subjektes die Erkenntnis mathematischer Strukturen? Prägt nicht subjek­tive Wahrnehmung die Empirie?) 50. Oder man kann dies zum Anlaß nehmen, den Gei­steswissenschaften die Leitposition im Kreis der Wissenschaften zuzuschreiben, wie Piaget dies in den 70er Jahren getan hat: « . . . ordnet man das menschliche Subjekt indes­sen . . . richtig ein - nämlich als Endprodukt in der Perspektive von Physik und Biologie und zugleich als schöpferischen Anfang in der Perspektive von Denken und Handeln -, dann machen allein die Wissenschaften vom Menschen die Geschlossenheit oder viel­mehr die innere Kohärenz dieses Zirkels der Wissenschaften verständlich.» (PlAGET 1 972:85s . ) . Dann muß man allerdings bedenken, daß sich seit den 70er Jahren entschei­dende Entwicklungen vollzogen haben, die die Vorreiterrolle der Geisteswissenschaften zu relativieren scheinen - man denke beispielsweise an die in jüngerer Zeit von Choms­ky (6.4) und auf philosophisch-biologischen Kolloquien gestellte (aber immer noch un­beantwortete) Frage, inwiefern das Bewußtsein als physiologisch bzw. genetisch fIxiert betrachtet werden muß.

Wenn also auch die geisteswissenschaftliche Offenheit für eine Theorienpluralität von der Warte eines mathematisch-naturwissenschaftlichen FalsifIkationsdenkens nach Nonrationalität bzw. underdevefopment (Lakatos) riechen mag, so können die Geisteswis­senschaften diesem Verdacht doch mit einem gelassenen «Na und?» begegnen, das sich auf zwei Argumente stützt: Erstens zeigen die langen Durchsetzungsphasen neuer na­turwissenschaftlicher Theorien (Newton oder Einstein) , daß auch hier nonrationale Fak­toren wie Gewohnheiten, Persönlichkeiten und faith eine Rolle spielen; zweitens behaup­tet keine geisteswissenschaftliche neue Theorie, andere Theorien im Sinne einer natur­wissenschaftlichen «Rationalität» zu falsifIzieren. (Die einzige mir in der Linguistik be­kannte Ausnahme bildet hier der Nachweis der Junggrammatiker, daß das Sanskrit nicht, wie bis dahin angenommen, das Ur-Indoeuropäische ist.) - Das Problem scheint demzufolge im Begriff der Rationalitai zu liegen. Ein mehr oder minder an das FalsifIka-

48 Eine solche Überprüfung mag vielleicht bei einer streng «algebraischem> Sprachtbeorie wie derjenigen Hjelmslevs noch angehen, dürfte aber anderweitig sehr schnell an Grenzen stoßen.

49 Die «exaktem> Wissenschaften haben hier wenigstens <<nUD> mit dem «Subjekt MenscID>, d.h. dem Mensch als Beobachter, zu kämpfen

50 Die um Subjekt, Objekt und Exaktheit angeordnete Problematik, die wir hier nur andeuten können, spiegelt sich auch in verschiedenen Versuchen, die Geistes- und die Naturwissenschaf­ten «auseinanderzudefinierem>. Man denke an Diltbeys klassisch gewordene Unterscheidung physischer Gegenstand/Naturwissenschaften VS. geistiges Objekt/Geisteswissenschaften (DIL­THEY, Aufbau:89, 93s . , 97, 1 42) . Schon früh erscheint diese Definition über den Gegenstand ungenügend. Dies führt zu Versuchen, die Geisteswissenschaft zu «entsubjektivierem>, z .B. in­dem man sie als «KulturwissenschafD> und Kultur wiederum als <<Dinge und Vorgänge» definiert (RICKERT 1 9 10 : 1 - 1 8) . Neuere Ansätze versuchen, die Dichotomie zwischen Natur- und Gei­steswissenschaften überhaupt zu überwinden: cf. z.B. LACAN 1971 :228; SCHWEMMER 1 990:47, 53, KUTSCHERA 1 982:1 32-49.

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tionskriterium gebundener naturwissenschaftlicher Begriff von &tionalität (den auch der späte Kuhn auf seine Weise zu reetablieren bemüht war) , ist auf die Geisteswissenschaf­ten nicht übertragbar, weil das wahr/falsch-Kriterium dort nicht greift, weder auf empi­rischer noch auf theoretischer Ebene. Während die Inspiration der Naturwissenschaften in der Regel dem Negativum entspringt, daß immer mehr empirische Ausnahmen die Regel in Frage stellen (die Folge ist eine cnsis nach Kuhn, eine Falsift'{jerung nach Pop­per) , beziehen die Geisteswissenschaften ihre Inspiration aus zwei anderen Quellen. Zum einen aus der Berührung mit fachfremden Ideen, aus der heraus eine neue Theorie ent­wickelt wird. Dies zeigt sich beispielsweise an der Parallele der Sprachgenealogie zur Evolutionsbiologie (K.ap. 4) oder des Strukturalismus zu ökonomischen Theorien und zur abstrakten Kunst (Kap. 5) . Lakatos ist also grundsätzlich im Recht, wenn er die gei­steswissenschaftliche Rationalität als «beeinflußbam und demzufolge <<llonrational» cha­rakterisiert. Zum anderen verfügen die Geisteswissenschaften über die Möglichkeit, bereits abgearbeitete Begriffe oder Bilder neu zu wenden und interpretativ verändert zu wiederholen. Dies werden wir anhand der variationellen Wiederholungen des Baum-Bildes (am Rande auch an sprachlichen Metaphern wie der Organismus-Metapher) in der Lin­guistik verfolgen können (Kap. 3-6) . Die Quellen der Inspiration können damit als (transdisziplinärer) Widerhall und (geschichtliches) Wiederholen charakterisiert werden, die fundamental auf dem aspektuellen Charakter geisteswissenschaftlicher Paradigmen be­ruhen.

Was bedeutet dies für den Begriff des geisteswissenschaftlichen Paradigmenwech­sels? Wir haben oben aufgrund des aspektuellen Charakters geisteswissenschaftlicher Para­digmen bereits festgehalten, daß scientific revolutions in den Geisteswissenschaften nur relativ sein können. Unter Hinzuziehung der Aspekte von transdisziplinärer Inspiration (Widerhal� und chronologischem Wiederholen können wir nun präzisieren, in welchen Punkten Übereinstimmungen und Differenzen zur Kuhnschen Konzeption bestehen. Als Übereinstimmung bleibt, daß in den Geisteswissenschaften ebenso wie in den Na­turwissenschaften, um die es Kuhn geht, (1) Paradigmen als puz:de-solving device dienen, daß (2) Paradigmen in ihrem Anfangsstadium ein abduktiver Vorausgriff auf Ergebnisse sind, die man mit der Arbeit der normal science einlösen zu können hofft, und daß (3) Paradigmenwechsel eine umwälzende Veränderung der Sicht auf das Objekt bedeuten. Diese Eigenschaften zeigen sich auch in der Geschichte der Bilder der Sprachwissen­schaft: Jeder Bilderwechsel von der Arboreszenz zum Raster oder umgekehrt ist mit einem radikal veränderten Blick auf das Objekt verbunden; anfanglich hat das «neue» Bild in der Regel modellhaften Charakter, die Übereinstimmung mit sprachlicher Glie­derung erweist sich nachträglich (mehr oder weniger zirkulär) , wenn das visuelle Muster als puz:de-solving device auf sprachliche Gegebenheiten angewandt wird (wie z.B. das struk­turalistische Raster auf Phonologie und Semantik: cf. 5 .4, 5 .5) . Neben diesen Überein­stimmungen gibt es jedoch auch grundlegende Punkte, in denen geisteswissenschaftliche Paradigmen sich deutlich anders verhalten als naturwissenschaftliche dies nach Kuhn tun.

(1) Die I<::.rise eines geisteswissenschaftlichen Paradigmas entsteht nicht zwingend von innen heraus durch Entdeckung einer wachsenden Zahl von anomalies, die sich nicht mit dem herrschenden Paradigma decken. Vielmehr spielen hier theoretische Inspiratio­nen eine tragende Rolle, die Kuhn auch als inventions oder novelty of theory berücksichtigt. Oft stehen diese theoretischen Inspirationen in einem transdiziplinären Zusammenhang,

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der ihre Entwicklung bestätigt (Widerha/� . - Dies ist beispielsweise der Fall für die ver­gleichende Sprachwissenschaft des 1 9 . Jahrhunderts (Sprachwissenschaft und Biologie, Kap. 4) , für den europäischen Strukturalismus (Sprachwissenschaft und Ökonomie, bildende Kunst; Kap. 5) und auch für die generative Transformationsgrammatik (Sprachwissenschaft und mathematische Kommunikationsanalyse, Biologie; 6.3, 6 .4) . Beim späten Chomsky und seiner Rezeption der Grammaire de Port R'?)'al und Descartes' zeigt sich gar, daß ein solcher Widerhall auch über ein großen Zeitraum hinweg erfolgen kann. - Das heißt j edoch nicht, daß ein solcher Widerhall Voraussetzung für die Ent­wicklung eines neuen Paradigmas ist. So ist beispielsweise an der Entstehung des frühen US-amerikanischen linguistischen Paradigmas (Boas, Sapir) maßgeblich die Erfahrung der Indianersprachen beteiligt (6.2) , die zur Entwicklung eines eigenständigen Paradigmas führt, das sich sowohl vom zeitgleichen europäischen Strukturalismus wie auch vom nachfolgenden US-amerikanischen Strukturalismus unterscheidet.

(2) Die Bildung eines neuen Paradigmas führt aufgrund seines aspektuellen Charakters nicht zwingend zu einer Konkurrenz- und Verdrängungssituation. (Dies haben wir oben bereits anhand der Komplementarität und Überschneidungen verschiedener sprachwis­senschaftlicher Paradigmen erörtert.)

(3) Wir werden gerade endang der Wiederholung der Bilder in der Linguistik verfolgen können, daß das Kriterium der Inkommensurabilität (oder Nicht-Übersetzbarkeit) von paradigmatischen Begriffen oder Bildern für die Geisteswissenschaften nicht greift. Be­griffe und Bilder sind hier nicht ein für allemal in holistische cluster-Zusammenhänge eingebunden, sondern können nach einer gewissen Zeit interpretativ gewendet wieder auftauchen. Daß dies im Falle des Baum-Bildes in der Linguistik sogar mit einer gewis­sen Regelmäßigkeit zu geschehen scheint (die «Baum»-Varianten Arboreszenz und Ra­ster lösen sich ebenso ab wie verschiedene inhaltliche Interpretationen) , belegt, daß Be­griffe oder Bilder in den Geisteswissenschaften nicht nur eine paradigmentragende Rolle spielen (wie in Kuhns Ansatz) , sondern darüber hinaus verschiedene Paradigmen trans­zendieren können. - Möglicherweise können visuelle Bilder Paradigmengrenzen auch leichter transzendieren als sprachliche Metaphern, weil sie eher eine Variation auf Aus­drucksseite erlauben als Metaphern. - Sie müssen deshalb als paradigmenübergreifende Tradition gelesen werden, die eine relative Kontinuiklf über verschiedene Paradigmen hin­weg herstellt' ! . Konstitutiv für diese relative Kontinuität bleiben dabei die (nicht­sukzessiven) Reinterpretationen als relative Revolutionen (relative Brüche) .

1.2 Paradigma, Leitbild, Metapher

1.2.1 Metaphern und Modelle

Wenn man dem Argument einer legitimen Nonrationalität der geisteswissenschaftlichen Erkenntnisentwicklung, wie wir sie in 1 . 1 . 9 skizziert haben (die in Anbetracht des prag­matischen Abduktionsbegriffes von Peirce eigentlich wenig neu ist) , so springt eine

5 1 Ebenso argumentieren BLUMENBERG 1 966:41 -43, 50s . und INGRAM 1 993:20 für eine Kontinuität der Metaphern über verschiedene <<inkommensurable» Paradigmen hinweg.

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grundlegende Strukturverwandtschaft zwischen dem Mechanismus des Erkenntnisfort­schrittes und dem Mechanismus der Metapher geradezu ins Auge. Wie die Sinnvermitt­lung durch eine Metapher auf der Dialektik von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit beruht (cf. 2.2) , fußt der Erkenntnisfortschritt auf einer Dialektik von Rationalität und Nonra­tionalität - sei es die Nonrationalität des unbewiesenen Erfolgsversprechens eines auf­kommenden Paradigmas (Kuhn) oder die zu falsifizierende Vorläufigkeit der Erkenntnis (popper) .

Diese Strukturverwandtschaft wird manifest in «kleinen» wissenschaftssprachlichen Metaphern, vor allem aber in denjenigen Metaphern, die sich von der Zufalls schöpfung zur Standardmetapher und von da zum Leitbild einer ganzen Etappe der Erkenntnis­entwicklung oder einer Tradition mausern. Im nachhinein können solche Leitbilder so­gar so stark konventionalisiert erscheinen, daß sie symbolisch für einen bestimmten Abschnitt der Wissenschaftsentwicklung stehen. Naturgemäß kommen freilich nur Me­taphern in den Genuß einer Leitbild-Karriere, die (1) an einer zentralen Stelle in einer neuen Theorie auftauchen und (2) besonders einprägsam sind. - Letztere Bedingung bedeutet, daß sie graphisch (cf. 2.4.) oder sprachlich von besonderer Prägnanz bzw. Kürze sein müssen, um ihre häufige Wiederholbarkeit zu gewährleisten. Nehmen wir als Beispiel Chomskys terminologische Metapher der deep structure.

Zentrale wissenschafts sprachliche Metaphern wie die deep structure Chomskys finden sich in einer Mittlerposition zwischen einem wissenschaftlichen Erkenntniszusam­menhang einerseits und allgemeinsprachlicher Rhetorik andererseits: Die rhetorische Funktion der Metapher, der implizite Vergleich, wird verknüpft mit einer expliziten Sprachtheorie. Im vorliegenden Fall wird beispielsweise die Vorstellung von 'Tiefe' im­plizit in vergleichende Relation gesetzt zu 'Struktur' (<<Die Sprachstruktur ist wie eine Tiefe») . Der Vergleich bzw. die Metapher kann nur (genau) verstanden werden, wenn man um die sprachtheoretische Dichotomie von linearer Oberflächenstruktur und der zugrundeliegenden hierarchischen Satzstruktur (Tiefe) weiß. Das heißt, der Interpretati­onsraum für die Metapher wird bis zu einem gewissen Grad von der Theorie vorgege­ben, innerhalb derer sie ausgesprochen wird (ähnlich wie für alltags sprachliche Meta­phern der soziokulturelle Kontext maßgebend ist) . Ist die Metapher innerhalb dieser Theorie besonders treffend, kann sie sich, wie im Falle der deep stmcture, zu einem mo­dellhaften Status innerhalb dieser Theorie oder Wissenschaft aufschwingen.

Der Begriff des Modells bedarf allerdings in meinen Augen einiger Vorsicht52• In or­thodoxer Sichtweise muß das Modell die hohe Anforderung einer deduktiven Relation zwischen expianans (Modell) und expianandum (neuer zu erklärender Sachverhalt) erfüllen (cf. HESSE 1 966 :1 72) . In der Tradition von Models and Metaphors (BLACK 1 962) wird Mo­deli in der Regel bereits weicher definiert als eine «auf Dauer gestellte, systematisierte MetapheD> (DEBATIN 1 995 : 141 ) . Dennoch bleibt die Modell-Metapher in einem Maße rationalisiert, daß die Adäquatheit ihrer (deduktiven) Gegenstandswiedergabe zum Maß ihrer « WahrheiD> wird (cf. HARRE 1 960:86-99, DEBATIN 1 995: 1 5 1 -57) . Zwar wird den Modellen" zugestanden, daß sie konzeptuell seien, etwas Bekanntes analogisch auf einen unbekannten Prozeß projizieren; aufgrund ihrer konzeptuellen Abstraktheit sei der Be-

52 Zur Breite der Modell-Problematik cf. z.B. STACHOWIAK 1 973. 53 Gemeint sind hier die paramorphen Modelle im Gegensatz zu den mikromorphen Modellen;

letztere sind analoge Repliken von Dingen, wie z .B. Architekturmodelle (cf. HARRE 1 960:86) .

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zug zwischen Objekt und Modell durchaus variabel, Objekt und Modell könnten in eine Interaktionsbeziehung treten, das Modell könne auf andere Untersuchungsbereiche übertragen werden. Gleichwohl unterliegt auch hier das Modell immer noch dem Krite­rium der getreuen Wiedergabe der facts, sein Wert richtet sich also nach seinem empi­risch überprüfbaren Wahrheitsgehalt bzw. nach dem ihm innewohnenden deduktiven Erklärungspotential:

Extensions [of models] are guides both from the conceptual side by certain requirements of convenience, etc. and from the factual side by their constant confrontation with ex­periment . . . there is nothing arbitrary about the builcling up of models whose description serves as an explanation. (HARRE 1 960:99)

. . . the metaphoric view [of explanations and models, S.R.] does not abandon deduction, but it focusses attention rather on the interaction between metaphor and primary system . . . (HESSE 1 966 :1 74)

Black räumt Modell und Metapher immerhin in zwei Punkten entscheidende Gemein­samkeit ein: (1) basieren beide auf einem «intuitive grasp/Gestalt knowledge» (BLAGe 1 962:232) , (2) die in beiden Fällen entstehenden «extended meanings . . . can neither be antecedently predicted nor subsequently paraphrased in pro se» (ib. :237) . Gleichwohl kommt auch er letztlich zu dem Schluß, daß eine rational-theoretische Kontrolle das Modell von der Metapher scheide:

U se of theoretical models resembles the use of metaphors in requiring analogical transfer of a vocabulary. Metaphor and model-making reveal new relationships; both are attempts to pour new content in old bottles. But a metaphor operates largely with ace implications. Y ou need only proverbial knowledge, as it were, to have your metaphor understood; but the maker of a scientific model must have prior control of a well-knit scientific theory if he is to do more than hang an attractive picture on an algebraic formula. Systematic com­plexity of the source of the model and capacity for analogical development are of the es­sence. (BLACK 1962:238s.)

Damit schließt sich die moderne Unterscheidung von Modell und Metapher im Grunde an die Kantsche Tradition der Trennung von schematischer und symbolischer Hypotypose (wie z.B. «Grund», «abhängen von») an. Schemate sind nach Kant direkte Darstellungen, die einer rein «formalen, intellektuellen Zweckmäßigkeiv> gehorchen. So ist z .B. die geome­trische Figur eines gleichschenkligen Dreiecks die schematische (i. e. modellhafte) Dar­stellung aller Dreiecke, die dieselben Bedingungen von Gleichschenkligkeit und Gleich­winkligkeit erfüllen5 •• Symbole dagegen sind nach Kant indirekte analogische Darstellun­gen eines Begriffes, « . . . in welcher die Urteilskraft ein doppeltes Geschäft verrichtet, erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung, und dann zwei­tens die bloße Regel der Reflexion über j ene Anschauung auf einen ganz anderen Ge­genstand, von dem der erstere das Symbol ist, anzuwendeID>. Als Beispiele nennt er die philosophischen Begriffe « . . . Grund (Stütze, Basis) , abhängen (von oben gehalten wer-

54 KANT, KdU: §62 (p. 223ss .) , cE. ebenso das abstrakte Vorstellungsvermögen (imagination), das rucht der Perzeption bedarf, bei DESCARTES, MMitations:VI (31 8) .

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den) , woraus fließen (statt folgen) , Substanz (wie Locke sich ausdrückt: der Träger der Akzidenzen) und unzählige andere . . . » (KANT, KdU: §59 [p.21 2]) .

Der Veranschaulichung dienen Modell und Metapher zwar gleichermaßen, der ent­scheidende Unterschied liegt aber im Grad ihrer Abbildhaftigkeit oder Explizitheit. Während das Modell eine explizite Abbildung von Daten oder Prinzipien darstellt, ist die Metapher durch ein Vorausgreifen auf eine noch unbewiesene Erkenntnis gekenn­zeichnet. Sie «ahn!» also die Prinzipien mehr als sie sie «weiß».

Daß die Übergänge hier mitunter fließend sind, macht die Unterscheidung zwar nicht immer leicht, hebt sie aber auch nicht auf. Eine Metapher kann zum Modell avancieren, wenn ihr Gehalt expliziert wird (cf. GOODMAN 1 968: 1 72, HESSE 1 966: 1 73) und sie da­durch ihre ursprüngliche erkenntnisleitende (oder auch irreführenden) Funktion verliert. Auf epistemologischer Ebene kann hier der gleiche Prozeß vor sich gehen, den man für die Allgemeinsprache als « Tod» oder <<Konventionalisierung» von ursprünglich «lebendi­gem> oder « spontanem> Metaphern beschreibt (so dient z .B. die Ex-Metapher vom Fluß­bett dem Sprecherbewußtsein heute nur noch als Bezeichnung einer geographischen Formation) .

Allerdings warnt Richards nicht zu unrecht vor übereilten Totenscheinen für Meta­phern: « This favourite old distinction between dead and living metaphors (itself a two­fold metaphor) is, indeed, a device which is very often a hindrance to the play of sagac­ity and discernment throughout the subject.» (RICHARDS 1 97 1 : 1 02; cf. auch BLACI( 1 993:25) . Es scheint mir nämlich gerade im Zusammenhang geisteswissenschaftlicher Epistemologie sehr gefahrlich, von einer Rationalisierung (und ergo Modellhaftigkeit) der Metapher zu sprechen. Vielmehr scheint mir die « Explizithei!» nicht genug anwach­sen zu können, um einer wissenschaftssprachlichen Metapher ihre Metaphorizität gänz­lich absprechen zu können. Es bleibt stets ein Rest an Nonrationalem, der Interpretati­onsvorgabe der Theorie Unähnlichem, das das Erkenntnisversprechen der Metapher ausmacht - oder aber ihre Neuinterpretation im Sinne eines aspektuell-paradig­matischen Wandels ermöglicht. Gerade diese Neuinterpretation kann aber nicht als an der Empirie orientierter Modellwechsel oder Modellentwicklung verstanden werden (wie bei HARRE 1 960) , sondern muß als ein Beweis für die Weigerung der Metapher gelten, sich gänzlich auf ein Interpretationsfeld festschreiben, sich gänzlich <<rationalisie­rem> zu lassen.

So mag es, um unser Beispiel weiterzuführen, zwar stimmen, daß eine junge para­digmatische Metapher wie deep structure mit zunehmender Erforschung der syntaktischen Tiefenstruktur ihren ursprünglichen Gehalt an « Erkenntnisversprechem> einbüßte, weil das Versprechen durch die Arbeit der normal science mitderweile in Sicherheit übergegan­gen war - dennoch blieb die Metapher offenbar unversteinert und schwang sich zu ei­nem erneuten Erkenntnisversprechen auf, in dem deep nicht mehr nur als Gegensatz zur Linearität gesehen wurde, sondern als der Linearität 'vorangehend' im zeitlichen Sinne (die Tiefenstruktur ist kognitiv/angeboren, und also vor der ersten linearen Lautäuße­rung vorhanden) und im kausalen Sinne (die Tiefenstruktur generiert erst Oberflächen­struktur) .

Und gerade bei unseren Betrachtungen zum Bild des Baumes werden wir sehen, daß dieses Bild über Jahrhunderte seine interpretative Offenheit bewahrt, was sich in seinem Gestalt- ebenso wie in seinem Interpretationswandel zeigt. - Mit zu Modellen verstei­nerten Metaphern oder völlig empirisch gebundenen Metaphern wäre dies nicht denk-

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bar. Ich ziehe es daher vor, im Zusammenhang mit paradigmatischen Metaphern bzw. Bildern von Leitbildern, nicht von Modellen zu sprechen". Der Begriff Modell zielt allzu leicht auf eine interpretativ abgeschlossene Abbildung (cf. auch SCHOEFFEL 1 987 :1 93-205) .

1.2.2 Die Strukturverwandtschaft von Paradigma, Leitbild und Metapher

Anders als Modelle bilden Metaphern ebenso wie ihre «große SchwesteD> Leitbild nicht nur Ähnlichkeiten ab. Sie sind nicht nur Anschauungsmaterial und Wiedererkennen, sondern konstituieren neue Ähnlichkeiten.

We need the metaphors in just the cases when there can be no question as yet of preci­sion of scientific statement. Metaphorical statement is not a substitute for a formal com­parison or any other kind of literal statement, but has its own distinctive capacities and achievements . . . it would be more illuminating . . . to say that the metaphor creates the si­milarity than to say it formulates some similarity antecedently existing. (BLACK 1962:37)

Gehen wir dieser These genauer nach. Allgemein akzeptiert ist, daß der heuristische Wert der Metapher auf der Analogisierung zweier Konzepte beruht. Dabei denkt man aber oft darüber hinweg, daß diese Analogisierung nicht ein bloßes NebeneinandersteI­len bedeutet, sondern einen dialektischer Prozeß. Geht man nämlich davon aus, daß sich Analogie mit der Formel A ist wie B beschreiben läßt, so ist der Vergleichsindex wie offenbar der Angelpunkt der Prädikation. Gerade dieses wie impliziert j edoch ein dialek­tisches Verhältnis von A und B: A ist B und zugleich nicht. Die Gleichsetzung ist formal weniger als eine Tautologie und dadurch zugleich mehr: «it creates similarity». Dieses kreative Mehr entspringt just dem, was sich gegen die Gleichsetzung sperrt. Anders aus­gedrückt: Das Non-Simile, das der Vergleich mit sich bringt, ist nicht bloß unvermeidli­cher Ballast, es transportiert vielmehr <<visionären Zündstoff», weil es an den hermeneu­tischen Willen appelliert und den Wunsch auslöst, die Metapher interpretierend so weit auszuloten, daß auch das, was sich zunächst gegen die analogisierende Gleichsetzung sperrt, noch integriert werden kann (wir kommen hierauf in 1 .2 .3 noch genauer zurück) . Blumenberg spricht hier von einer metaphonsch indu�·erten Haltung, weil nämlich die Me­tapher, die eigentlich nur «darstellen» sollte, solchermaßen auf die Ausgangshaltung mo­difizierend zurückwirkt (BLUMENBERG 1 960:76s . , ähnlich HENLE 1 966 : 1 9 1 , SCHON 1 963:88) .

Man kann sich diese Dialektik von Darstellung und Modifizierung des dargestellten Inhaltes «<Ausgangs haltung») vorstellen wie ein Gespräch. Nehmen wir an, Grethe und Käthe unterhalten sich über Männer. Grethe sagt: «Hans hat gestern mit mir Schluß gemacht, weil er ,frei sein will' . Ich hab's ja gewußt - Männer sind Wölfe!» und bezieht sich damit auf den Topos vom «einsamen Wolb>; sie meint also, Männer seien wie Wöl-

SS Kein Leitbild in dem hier gemeinten Sinn sind wissenschaftliche Ikonen wie z .B. Saussures Baumzeichnung oder Einsteins Formel E = mF. Im ersten Fall handelt es sich um eine Illustra­tion (der Arbitrarietät von Zeichen; SAUSSURE, Cours 1 : 1 47s.) , die exemplarischen Charakter hat, aber keinen Vergleich beinhaltet - Probe: eine Paraphrasierung (<<Die Arbitrarietät ist wie ein BautIm), wie sie bei Metaphern möglich ist, greift hier nicht). Gleiches gilt für Einsteins Relativi­tätsformel, die zur Ikone für 'Genie' avanciert ist (z .B. in der Joghurtwerbung) .

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fe, weil sie auch ,räuberische Einzelgänger, die den Mond anheulen' sind. Käthe, seit langem glücklich und kinderreich verheiratet tröstet ihre Freundin, indem sie das auf­greift, was Grethe in der Metapher nicht sah, was aber als Mehr enthalten war: «Naja, laß den Wolf mal ein bißchen heulen, dann kommt er schon zum Rudel zurück». Daraus kann Grethe dann den Schluß ziehen, daß Männer phasenweise Raub- und phasenweise Rudeltiere sind, oder daß es vielleicht eine Raubtier- und eine Rudeltier-Sorte gibt. Wie es sich damit auch verhalten mag, in jedem Fall könnte das Fortspinnen der Metapher das Männerbild beeinflussen (<<erkenntnisleitenro> wirken) . Ein ähnliches Fortspinnen metaphorischer Möglichkeiten zeigt sich auch in unserem obigen Beispiel der Chomsky­schen deep structure: Struktur ist zunächst tief im Sinne von 'hierarchisch' (im Kontext einer von der Computerprogrammierung geleiteten Sprachwissenschaft) , sie ist aber dann auch tief im Sinne von 'tief im Menschen verwurzelt, kognitiv, angeboren' (im Kontext einer cartesianisch und von der Genetik geprägten Sprachwissenschaft) .

Nun ist es freilich nicht so, daß jede spontan erzeugte Metapher erkenntnisleitend in einem umfassenden Sinne ist - man darf getrost bezweifeln, ob Grethe nach dem Ge­spräch klüger als zuvor ist. Der Mechanismus der interaction (Black, cf. 2.2) ist aber im Grunde immer der gleiche - handle es sich um den Mikrobereich der spontanen Meta­pher, um leitende Metaphern (Leitbilder) wie die deep structure, oder um den Makrobe­reich aspektueller Paradigmen in dem von uns oben definierten geisteswissenschaftli­chen Kontext.

Das Erfolgsversprechen eines Paradigmas entspricht dem noch unausgefüllten Mehr, dem visionären Potential Metapher oder dem abduktiven Vorausgriff (peirce) . Was bei der Metapher die nachträgliche interpretierende Auslotung ihres Potentials ist, ist im wissenschaftlichen Paradigma die Arbeit der normal science (Kuhn) : die Erarbeitung und das Zusammentragen von Ergebnissen im Rahmen einer vorgegeben paradigmatischen Perspektive. Wir stehen also vor einer strukturell transzendenten Hierarchie von Meta­pher, Leitbild und Paradigma. Sie folgen dem gleichen Mechanismus, unterscheiden sich jedoch im Grad ihrer Spontaneität bzw. Umfassendheit. Daß dieser Mechanismus nicht nur bei sprachlichen Bildern (und Paradigmen) , sondern in besonders unmittelbarer Weise auch bei visuellen Bildern wirkt, werden wir in 2.3.2 sehen.

Was bedeutet die Strukturverwandtschaft von Metapher, Leitbild und Paradigma für die Geisteswissenschaften? Als Wissenschaften, die sich mit den Ausdruckswelten (Cas­sirer) beschäftigen, überschneiden sich teilweise Objekt (Sprache und Texte im weite­sten Sinne) und Metasprache. Das führt dazu, daß sie besonders «anfallig» für Meta­phern sind bzw. Metaphern sich als eine Hauptstrategie ihrer Konzeptbildung anbieten (SWIGGERS 1 99 1 : 1 1 8) . Diese «Anfalligkeit» oder «Strategie» wird nur in wenigen Berei­chen durch einen Formalisierungszwang konterkariert: Beschreibungen sind überwie­gend kommentierend, Systematisierungen selten auf Formeln im naturwissenschaftli­chen Sinne reduzierbar. Zu dieser immanenten Metaphorophilie gesellt sich zudem ihre Eigenschaft, aspektuell (Gadamer) zu arbeiten: Die Geisteswissenschaften sind nicht in dem Maße wie die Naturwissenschaften auf ein bestimmtes Leitbild bzw. das zugehörige deutungsleitende Paradigma als «lnterpretationsleitstelle» fixiert, und erweisen sich von daher als besonders offen für interpretative Auslotungen bis hin zu Umdeutungen oder Wiederbelebungen einer Metapher oder eines Bildes .

Berücksichtigen wir zusätzlich die Lacansche These, daß Sprache die geistige Ent­wicklung des Subjektes prädeterminiert (LACAN 1 966:25 1) , so muß dies auch für den

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Forschergeist gelten. Als menschliches Subjekt unterliegt auch er prinzipiell der Präde­terminierung durch die Struktur seiner Mutter- bzw. Alltagssprache - und deren meta­phorischem Potential) . Selbst wer glaubt, daß solche Prädeterminierung durch den Akt der Objektivierung außer Kraft gesetzt werden könne (was ich bezweifle) , dem bleibt gleichwohl das Problem des sprachlichen Relativitätsprinzips, nach dem Sprache - und also auch deren Metaphern - die Beobachtung prägen:

. . . the <dinguistic relativity principle» . . . means, in informal terms, that users of markedly different grammars are pointed by their grammars toward different types of observations and different evaluations of externally similar acts of observation, and hence are not equivalent as observers but must arrive at somewhat different views of the world . . . Thus the world view of modern science arises by higher specialization of the basic grammar of Western Indo-European languages . (WHORF 1 956:221)

Nicht nur Sprache (und ihre Bilder) , sondern auch visuelle Bilder scheinen, wie wir se­hen werden, solche « Wahrnehmungskanalisierungem> hervorzubringen. Wenn man wis­senschaftliche Beobachtung als geleitet von alltags- und wissenschafts sprachlichen Strukturen und Elementen (wie Metaphern und Bildern) sehen muß (cf. LA­KOFF/JOHNSON 1 981 :322) , so ist der Unterschied zwischen alltäglichem und wissen­schaftlichem Erkennen (ordinary common sense und scientiftc method) letztlich nur graduell, nicht qualitativ bestimmbar (cf. DEWEY 1 984: 1 23-25) .

Im Falle der Geisteswissenschaften und insbesondere der Linguistik treffen also drei Faktoren zusammen, die dazu angetan sind, sich gegenseitig zu verstärken: (1) das sprachliche Relativitätsprinzip (im gemäßigten Sinne Whorfs oder im radikalen Lacans) , das für jede Wissenschaft geltend gemacht werden kann, (2) die Überschneidung von Objektsprache und Metasprache, (3) die prinzipielle Aspektualität und interpretative Offenheit der Theorien und Paradigmen. Das Ergebnis ist eine hochgradige Verquik­kung von Alltagssprache (und ihren Metaphern) und Beobachtung, wissenschaftlicher Beobachtung und Wissenschaftssprache (und ihren Metaphern/Bildern, Leibildern und Paradigmen), die eine besondere Durchlässigkeit zwischen den Hierarchiebenen spon­tane Metapher, Leitbild einer Theorie und übergreifendem Paradigma bewirkt. In den Geisteswissenschaften, und insbesondere in der Linguistik, sind die Elemente der ein­zelnen Ebenen flexibler und einer Neuinterpretation leichter zugänglich als in anderen Wissenschaften.

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1.2.3 Die metaphorische Dialektik von Rationalität und Nonrationalität:

Instrument und Witz

. . . le mouvement se decomposait en trois temps: un premier declic; l'aiguille se mettait en marche; puis un declic encore, comme pour la fixer a sa nouvelie place. Et la figure de l'horloge changeait; l'angle obtus devenait peu a peu un angle aigu. Les deux aiguilles aliaient se re­joindre. (SIMENON, Le pendu de Saint-Pholien)

Wir sind im vorangegangenen Abschnitt bereits darauf zu sprechen gekommen, daß die Metapher einen dialektischen Prozeß von Gleichsetzung, Sperrung gegen die Gleichset­zung bedeutet. Hierauf wollen wir nun genauer eingehen.

Insofern sich die Metapher nicht vollständig den der Rationalisierung dienenden Ge­setzen der Ähnlichkeit oder gar der identifizierenden Repräsentation fügt, kann sie <<nonrationab genannt werden. Sie ist kein einfach darstellendes Mittel wie Ähnlichkeit oder Repräsentation. Ahnlichkeit beruht auf der Nachahmung des Gegenstandes (z.B. die icons auf den Türen zu Herren- und Damen-Toiletten) . Die Relation ist dabei zweiseitig: A ähnelt B � B ähnelt A. Repräsentation dagegen beruht auf einem konventional­arbiträren Zeichen (z.B. steht das Wort tree für die Bedeutung 'Baum') . Hier ist die Rela­tion einseitig: A repräsentiert B i> B repräsentiert A (die Bedeutung 'Baum' kann durch das Wort Iree repräsentiert sein, aber auch durch arbre oder Baum) . Die Metapher dagegen ist eine Repräsentation-als (z .B. der 'Mann' als 'Raubtier') : Sie denotiert - insofern verhält sie sich nach den Gesetzen der Ähnlichkeit oder der Repräsentation; zugleich aber modifiziert sie diese Ähnlichkeit bzw. Repräsentation oder widerspricht ihr sogar -und insofern verhält sie sich «fehlerhafb> oder <<nonrationab:

The shifts in range that occur in metaphor, then, usually amount to no mere distribution of family goods but to an expedition abroad. A whole set of alternative labels, a whole apparatus of organization, takes over new territory. What occurs is a transfer of a schema, a migration of concepts, an alienation of categories. Indeed, a metaphor might be re­garded as a calculated category-mistake . . . (GOODMAN 1 968:73; cf. ib. :4s . , 27, 69-71 )

Es soll keineswegs geleugnet werden, daß ein hoher Wert der Metapher in der Veran­schaulichung und Konkretisierung abstrakter Bedeutungen durch Heranziehung von Ähn­lichkeiten liegt (rationale Seite) - wir sprechen ja gerade von einer Dialektik der Meta­pher. Die Fähigkeit, Abstraktes begreifbar zu machen, prädestiniert die Metapher (eben­so wie visuelle Bilder, cf. Kap. 2) ja gerade dafür, in der Wissenschaftssprache dort auf­zutauchen, wo es gilt, entscheidende abstrakte Sachverhalte zu veranschaulichen bzw. zu konkretisieren. Man denke beispielsweise an die Metapher der Welle in der Optik, des Kerns in der Atomphysik oder des Organismus in der Sprachwissenschaft". In dieser Ei­genschaft können wissenschaftliche Metaphern und Bilder als «begriffliche regulative Idealitäb> bezeichnet werden (BLUMENBERG 1 960:9) .

56 C E. Kap. 4 und ROGGENBUCK 2004.

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Bevor wir im 2. und folgenden Kapiteln auf den «rationaleID> Nutzen von Metaphern bzw. Bildern eingehen, soll dieser Abschnitt die Gelegenheit ergreifen, die nonrationale Seite der Metapher herauszuarbeiten als konstirutiv für (a) das Vermögen der Metapher, mehr auszusagen als in ihrem unmittelbaren Ähnlichkeits- und Veranschaulichungspo­tential enthalten ist, und (b) die interpretative Wandelbarkeit der Metapher, wie wir sie für das sprachliche und Bild des Baumes in der Linguistik verfolgen werden.

Gerade die nonrationale Seite der Metapher, ihre «begrifflich nicht ablösbare Aussa­gefunktioID> (BLUMEN BERG 1 960:9), die Inkongruenz ihres Vergleiches (LÜDI 1 973: 46-68) , der zunächst unbegründete Einspruch gegen Kategorien, Ähnlichkeiten, pure Re­präsentation macht sie zum Instrument des Denkens und des Erkenntnisgewinns. Dies läßt sich entlang der im Pragmatismus formulierten <<Metaphysik des Instrumentes» verfol­gen, die gerade auf die Sprache als tool of tools (DEWEY 1 929: 1 40, 1 54s.) zutrifft - und in großen Teilen auch auf visuelle Darstellungen:

There is no miracle in the fact that tool and material are adapted to each other in the process of reaching a valid conclusion . . . both material and tool have been secured and determined with reference to economy and efficiency in effecting the end desired - the maintenance of a harmonious experience. The builder has discovered that his building means building tools, and also building material. Each has been slowly evolved with ref­erence to its fit employ in the entire function . . . Thinking is adaptation to an end through the adjustment of particular objective contents. (DEWEY 1 903:80s. , cf. HOOK 1 927: / 7-48)

In Anlehnung an seinen Lehrer Dewey arbeitet Hook vier Charakteristika des Instru­mentes aus : (1) aus dem Vorhandenen wird etwas Neues geschaffen; (2) das Instrument wird im Hinblick auf etwas noch nicht Vorhandenes erdacht; (3) das Instrument und sein Anwendungsbereich sind zugleich gegeben; (4) das Instrument ist Ausdruck eines empfundenen Mangels und zugleich das Versprechen, daß dieser Mangel behoben wer­den kann. Auf die Metapher übertragen bedeutet dies: (1) zur Analogie (dem vorhande­nen Material) tritt ein surplus de sens hinzu; (2) der surplus de sens ist gewollt; (3) die Meta­pher ist zugleich mit ihrem Interpretationsbereich (z .B. einem wissenschaftlich­theoretischen) gegeben; (4) die Metapher oder das Bild versprechen eine Erkenntnis, die gesucht wird, aber noch nicht explizit gedacht sein muß.

Der späte Richards geht sogar so weit, (poetische) Sprache (also unter anderem auch die Metapher) überhaupt zum instrument of research zu erheben.

Language has an annoying way of anticipating our utmost intellectual flights with smooth and effortless puns. All meanings are means, are instruments, and inside <unstrumenD> it is somewhat more than a pun if we find «lnstructioID>, since it is through instruments that we form problems. If so the super-problem is to find me ans of making the greatest pos­sible variety of means available: the widest and freest choice of instruments. For instru­ments enter into the work and shape not only the success attained but also the end pur­sued. (RICHARDS 1 955 : 1 53)

Selbst wenn man nicht so weit wie Richards gehen wollte, so kann man doch sein Plä­doyer für einen hermeneutischen Zirkel zwischen Sprache/Instrument und dem pursued end schwerlich entkräften. Im Grunde gibt es dazu auch, selbst aus rationalistischer Sicht, keine Veranlassung. Denn Metapher (oder Bild) als Erkenntnisinstrument vers te-

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hen heißt, das Nonrationale als Instrument des Rationalen zu sehen (eines Rationalen, das zuvor noch nicht vorhanden war) bzw. das Nonrationale von Anfang an in den Dienst von Erkenntnis und Ratio zu stellen .

. . . metaphor . . . unites reason and imagination. Reason, at the very least, involves categori­zation, entailment, and inference. Imagination, in one of its many aspects, involves seeing one kind of thing in terms of another kind of thing - what we called metaphorical thought. Metaphor is thus imaginative rationality. (LAKOFF /J OHNSON 1 980: 1 93)

Für Rationalisten mag der Boden daher erst schlüpfrig erscheinen, wenn man weiter bedenkt, daß die Metapher nicht nur eine Charakterverwandtschaft mit dem zweckge­richteten Instrument hat , sondern gerade wegen ihrer aus dem Nonrationalen resultie­renden Kraft dem Witz nahesteht, dem man gemeinhin außer einem Unterhaltungswert Zweck und Nutzen abzusprechen pflegt57. Die Grundeigenschaften der Metapher, die noch den unterschiedlichsten Metapherndefinitionen gemeinsam sind - nämlich «Ver­bindung von Ähnlichem und Unähnlichem», «Inhalt erscheint zunächst fehlerhaft», «spontanes Verstehen trotz eines gewissen Widersinns» - finden sich allesamt in Freuds Charakterisierung des Witzes (FREUD, Schriften:9-21 9) versammelt. Auf Basis gängiger Witzdefinitionen, die sich im Laufe seiner Untersuchung bestätigt finden - « . . . der Cha­rakter des spielenden Urteils, die Paarung des Unähnlichen, der Vorstellungskontrast, der <Sinn im Unsinn>, die Aufeinanderfolge von Verblüffung und Erleuchtung, das Her­vorholen des Versteckten und die besondere Art von Kürze des Witzes . . . » (ib. : 1 8) -

arbeitet Freud vier Mechanismen des Wort- bzw. Gedankenwitzes aus : Verschiebung, Verdichtung, Denkfehler und Widersinn.

Die interessanten Vorgänge der Verdichtung mit Ersatzbildung, die wir als Kern der Technik des Wortwitzes erkannt haben, wiesen uns auf die Traumbildung hin, in deren Mechanismus die nämlichen psychischen Vorgänge aufgedeckt worden sind. Eben dahin weisen aber auch die Techniken des Gedankenwitzes, die Verschiebung, der Denkfehler, der Widersinn, die indirekte Darstellung, die Darstellung durchs Gegenteil, die samt und sonders in der Technik der Traumarbeit wiederkehren. (FREUD, Schriflen:85 , cf. ib. :59 , 1 62) 58

Der Witz beruht wie die Traumarbeit auf dem Prinzip des Lustgewinns durch Einspa­rung darstellerischen bzw. überhaupt psychischen Aufwandes (ib. : 1 1 2, 1 1 8, 1 20) - die darstellerische Verdichtung ist in dieser Hinsicht für Freud eines der Hauptmerkmale des Witzes, wie sie auch ein Hauptrnerkmal der Metapher ist.

Veranschaulichen wir die Kürze der Darstellung im Vergleich zu ihrem interpretato­rischen Potential kurz an einem der Witze aus Freuds Schrift, so sehen wir deutliche Parallelen zwischen der Funktionsweise des Witzes und der Funktionsweise der Meta­pher, wie wir sie oben (1 .2.2) am Beispiel von Grethe und Käthe illustriert haben. Der

57 Wir verstehen Witz hier nicht im landläufigen Sinne eines geplanten Witzes « uZennen Sie den?»), der dem Rätsel (cf. GABRJEL 1 995 : 1 89s.) gleicht: die Lösung ist bereits bekannt und determiniert die Fragestellung, anders als bei der Metapher. Vielmehr im Sinne von Freud und im Sinne eines 'jeu d'esprit'. Zur Problematik des Begriffes Witz cf. auch LACAN 1 966:266 N14.

58 Zu «Verdichtung» und «Verschiebung» in der Traumarbeit cf. FREUD, Traumdeutung.280-344. Zu den <<Denkfehlern» zählt Freud u.a. auch die Metapher (FREUD, Schriften:38, 42) . Cf. auch zu den «Fehlleistungefl» FREUD, Vorlesungen:41-98.

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Witz beruht, wie die Metapher, (1) zunächst auf einer Inkompatibilität, die wiederum die Basis bildet für (2) die Ausschöpfung des unausgesprochenen Mehr auch jenseits der beabsichtigten Analogie.

Der Schadehen Oüdischer Heiratsvermittler] hat dem Bewerber versichert, daß der Vater des Mädchens nicht mehr am Leben ist. Nach der Verlobung stellt sich heraus, daß der Vater noch lebt und eine Kerkerstrafe abbüßt. Der Bewerber macht nun dem Schadehen Vorwürfe. «NuID>, meint dieser, ,<Was habe ich Ihnen gesagt? Ist denn das ein Leben?»

Der Doppelsinn liegt in dem Worte ,<LebeID>, und die Verschiebung besteht darin, daß der Schadehen sich von dem gemeinen Sinn des Wortes, in dem es den Gegensatz zu «Toro> bildet, auf den Sinn wirft, den das Wort in der Redensart: Das ist kein Leben, hat. (FREUD, Schriften: 54s.)

In Anlehnung an Freud verankert Lacan das Entstehen des Sinnes aus dem Nicht-Sinn (Je sens produil dans le non-sens) als grundlegende Gemeinsamkeit von Witz und Metapher:

On voit que la metaphore se place au point precis ou le sens se produit dans le non-sens, c'est-a-dire a ce passage dont Freud a decouvert que ... il donne lieu a ce mot qui en fran­c;:ais est de mOb par excellence, le mot qui n'a pas d'autre patronage que le signifiant de l' esprit . . . » (LACAN 1 966:266)

Das mol d'espnl (übersetzbar etwa mit 'Wortwitz') , auf das Lacan hier anspielt, basiert auf der grundsätzlich möglichen Doppelbödigkeit von Aussagen, die immer auch alles ande­re bedeuten können als das, was sie unmittelbar zu bedeuten scheinen59•

Ce que cette strucrure de la chaine signifiante decouvre, c'est la possibilite que j 'ai, juste­ment dans la mesure OU sa langue m'est commune avec d'autres sujets ... de m'en servir pour signifier tout mltre chose que ce qu' elle dit . . . (LACAN 1 966:262)

Lacan geht also soweit, die Doppelbödigkeit nicht nur als Eigenschaft des Witzes oder der Metapher zu postulieren, sondern als grundsätzliche Eigenschaft jeder Aussage. Die Doppelbödigkeit oder Verdichtung der Aussage beruht auf der grundsätzlich metony­mischen Struktur j edes Zeichensystems (sei es ein sprachliches oder bildliches) , in dem sich jede Identität nur durch den Umweg (d.h. einen Aufschub, eine VerschiebuniJ über das Andere definieren kann60 - für Lacan funktioniert Sprache also grundsätzlich meto­nymisch bzw. metaphorisch.

In der Metapher manifestiert sich also das Andere verdichtet als nonrationales Ele­ment (Je non-sens oder «Einspruch gegen die Analogie») , das als drittes Element ein surplus de sens erzeugt. Diese Dreiecksbewegung beschreibt Hegel als Aufhebung.

59 Wie diese Doppelbödigkeit im Diskurs genutzt werden kann, beschreibt Lacan anhand ei­ner Baum-Metapher (LACAN 1 966:262) . Auch greift er auf den Baum zurück, um Saussures Zei­chenkonzept zu dekonstruieren: Saussures arbre, Exempel für die Arbitrarietät des Zeichens (SAUSSURE, Cours 1 : 1 48-5 1) , wird anagrammatisiert zur barre, zur Sperre, die eine Sinnkonstiruti­on (bzw. eine Bindung von Bedeurung und Ausdruck) verhindert. ,<Non! Dit /'Arbre, i/ dit: Non! Dans I'Iftincei/ement / De sa tete superbe . . . » (ib. :26 1) .

6 0 Cf. LACAN 1 966:263-65. Zur identitätskonstituierenden difference cf. SAUSSURE, Cours 1 :245/III C 295 und II C 33/1 769, 1 775. Zur identitätsaufhebenden differance cf. DERRIDA 1 967:55 .

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Wir sehen also in diesem Aufzeigen [des jetz� nur eine Bewegung und folgenden Verlauf derselben: 1 . Ich zeige das Jetzt auf, es ist als das Wahre behauptet; ich zeige es aber als Gewesenes oder als ein Aufgehobenes, hebe die erste Wahrheit auf, und 2. Jetzt behaupte ich als die zweite Wahrheit, daß es gelvesen, aufgehoben ist. 3. Aber das Gewesene ist nicht; ich hebe das Gewesen- oder Aufgehobensein, die zweite Wahrheit auf . . . das Aufzeigen des Jetzt ist also so beschaffen, daß weder das Jetzt, noch das Aufzeigen des J etzt ein unmittelbar Einfaches ist, sondern eine Bewegung, welche verschiedene Momente an ihr hat . . . (HEGEL, Phlinomenologie:85)

Dadurch, daß das unmittelbar Ähnliche/Rationale der metaphorischen Darstellung durch ein nonrationales Element in Frage gestellt wird, wird das Verständnis interpreta­tiv zu einem '?JVeiten Rationale katapultiert, welches den flash of insight (Black) einer Meta­pher bzw. den esprit eines Witzes ausmacht. - Ähnlich beschreibt DUCHAlvfP 1 975 : 1 88s . die Entstehung des Ästhetischen (coefficient d'arf) aus der Differenz zwischen «Intendier­tem, aber nicht zum Ausdruck gekommenem> und «nicht Intendiertem, aber zum Aus­druck gekommenem>. - Bei spontanen Metaphern bleibt dieses zweite Rationale in der Regel intuitiv erfaßt/implizit, wohingegen es bei großformatigen Metaphern wie Leitbil­dern oder gar Paradigmen expliziert wird (wenn auch nicht zwingend bis zur extrem starren Modellhaftigkeit, cf. 1 .2 . 1 ) .

Es sei hier nochmals betont, daß das einigermaßen ausführliche Insistieren auf dem nonrationalen Element der Metapher (im Gegensatz zu ihrem rationalen, veranschauli­chenden Element) nicht bezweckt, der Wissenschaft über die Hintertür der Metaphorik ihre Rationalität oder Objektivität abzusprechen. Umgekehrt ist es meines Erachtens ebenso ungerechtfertigt, die Metapher gänzlich auf ihren Veranschaulichungswert redu­zieren zu wollen. Eigentlich sollte doch der Konsens dahingehen, Lockes Idee von der «aufgeklärten rhetorische Selbstdiziplim> (cf. DE MAN 1 978) als überholt anzusehen, für die die Trennung von Wit/Metaphor und Judgement, Irrationalität und Rationalität noch klar zu ziehen schien:

For Wit lying most in the assemblage of Ideas, and putting those together with quickness and variety, wherein can be found any resemblance or congruity, thereby to make up pleasant Pietures, and agreeable Visions in the Fancy: judgement, on the contrary, lies quite on the other side, in separating carefully, one from another, Ideas, wherein can be found the least difference, thereby to avoid being misled by Sirnilitude, and by any affinity to take one thing for another. This is a way of proceeding quite contrary to Metaphor and Allusion, wherein, for the most part, lies that entertainment an pleasantry of Wit, which strikes so lively on the Fancy . . . because its Beauty appears at first sight, and there is re­quired no labour of thought, to examine what Truth or Reason there is in it. (LOCKE, Es­s'9':II/ 1 1 /§2 [po 1 56])61

61 Im Kapitel Of the Abuse of Words erklärt Locke weiter, daß die Macht von Metaphern «to insinuate wrong ideas, move passions, and thereby mislead the judgemenD> in ihrer Schönheit begründet liege. Da liegt natürlich der Vergleich mit der holden Weiblichkeit auf der Hand: <cEloquence, like the fair sex, has too prevailing beauties in it to suffer itself ever to be spoken against.» (LOCKE, ESS'9':lII/ 1 0/§34 [po 508]) . De Mans treffsicherer Kommentar zu dieser Pas­sage darf dem Leser nicht vorenthalten werden: <<Li.ke a woman, which it resembles ... it [rheto­ric] is a fine thing as long as it is kept in its proper place. Out of place, among the serious affairs of men . . . it is a disruptive scandal - like the appearance of a real woman in a gentlemen's club where it would only be tolerated as a pieture, preferably naked (like the image of Truth) , framed and hung on the wall.» (OE MAN 1 978 : 1 5s .) .

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Dennoch scheint es oft noch eine breitere Akzeptanz dafür zu geben, der Metapher im wissenschaftlichen Kontext nur illsutrativen Wert und irrationalen Charakter zuzugeste­hen (z.B. bei Bachelard, cf. 2 .1 ) - als Abstriche vom rationalen Raum des wissenschaft­lichen judgement zuzulassen. Das Widerstreben, rationalen Boden preiszugeben, hat na­türlich seine historischen Ursachen - ist man doch seit der Trennung von Naturphilo­sophie und Philosophie immer bemüht gewesen, die «rationaleren»/«objektivereID) Wis­senschaften von denen abzugrenzen, die das vermeintlich weniger sind - Natur­wissenschaften von Geisteswissenschaften (Kulturwissenschaften, sciences humaines bzw. humanities, konjekturalen Wissenschaften, und viele andere Bezeichnungen mehr) abzu­grenzen. Erst in jüngerer Zeit beginnen hier die Grenzen erneut zu verschwimmen: einerseits werden von Genbiologie und Kognitionswissenschaft in der Frage nach dem Bewußtsein philosophische Bereiche beansprucht, andererseits hat die phifosophy of science und die Wissenschaftsgeschichte bereits den Rationalitätsanspruch der Naturwissen­schaften unterminiert (z .B. Kuhn) .

Der Betonung der Nonrationalität in der metaphorischen Dialektik von Ratio und Nonratio habe ich hier soviel Raum gewidmet, um mich einerseits von einer übertriebe­nen Rationalisierung der Metapher zu distanzieren, andererseits auch von einer apodikti­schen «alles ist metaphorisdm-Argumentation. Wichtig ist mir vielmehr, dem non­rationalen Anteil am Erkenntnisfortschritt zu seiner Legitimierung zu verhelfen, gerade im Hinblick auf die Geisteswissenschaften, für die die Dialektik von Nonrationalem und Rationalem, die Suche des Sinnes im scheinbaren (literarischen, kulturellen, sozialen) Widersinn oder Sinnlosen unter immer neuen Ansatzpunkten, von konstitutiver Bedeu­tung ist und zugleich Ursache des auf sie zunehmend ausgeübten zweckrationalistischen Legitimationsdruckes .

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2

Theorien des Bildes

2.1 Sind Metaphern für die Wissenschaft «brauchbam?

Les tropes qui repandent une grande lumiere, ne sau­roient nuire a la liaison des idees: ils y contribuent, au contraire. (CONDILLAC , Instruction:III/II/6)

In den vorangegangenen Abschnitten haben wir für den nonrationalen Anteil metapho­rischen Prozeß (1 .2.3) und im Prozeß des Erkenntnisfortschrittes (1 . 1 .4 bis 1 . 1 .7) plä­diert. Dies ist natürlich so neu nicht, schließlich vertreten beispielsweise schon Vico1 und Nietzsche antirationalistische Konzeptionen von Ideengeschichte. Und für die Me­tapher fragte schon GOODMAN 1 968:68 ketzerisch nach den Grenzen zwischen Meta­phern und «Fakten»: «Is a metaphor, then, simply a juvenile fact, and a fact simply a juvenile metaphor?». Von einer rationalistischen Warte aus stellt sich aber zweifelsohne die Frage: Inwiefern sind Metaphern (deren nonrationaler Anteil von Rationalisten in der Regel nicht in Frage gestellt wird) für die Wissenschaft (deren rationaler Anteil sa­krosankt ist) überhaupt brauchbar? Inwiefern bilden Metaphern eine «GefahD> für die Rationalität der Wissenschaft?

Um es gleich vorweg zu sagen: Die Antworten auf solche und ähnliche Fragestellun­gen enden über kurz oder lang in einem «Hammelsprung», ähnlich dem von «Popper oder Kuhn?», den wir diskutiert haben. Je stärker ein rationalistisches Wissenschaftsideal favorisiert wird, desto skeptischer wird man nonrational «verunreinigten» Medien wie der Metapher gegenüberstehen. Metaphern scheinen, wenn nicht gerade illegitim, so doch zu vermeiden oder vermeidbar - Poppers Aussage «This statement . . . is not meant metaphorically, though of course it makes use of metaphors» (POPPER 1 973:261) ist dafür ein Paradebeispiel (cf. 1 . 1 .7) . Umgekehrt wird ein weniger rationalistisches Wis­senschaftsverständnis eher geneigt sein, Metaphern als legitimes, ja unvermeidliches Erkenntnismittel zuzulassen. Beispielsweise deshalb, weil Wissenserweiterungen - seien es wissenschaftliche oder nicht-wissenchaftliche - prinzipiell auf Transferleistungen beruhen, also wie die Metapher auf eine vergleichende Analogisierung von Sachverhal­ten zurückgreifen. Quine nennt dazu das Beispiel des Spracherwerbs : «Besides serving us at the growing edge of science and beyond, metaphor figures even in our first learn­ing of language . . . We hear a word or phrase on some occasion . . . On a later occasion, then, one resembles that first occasion by our lights, we repeat the expression. Resem­blance of occasions is what matters, here as in metaphor. We generalize our application of the expression by degrees of subjective resemblance of occasions . . . » (QUINE 1 9 8 1 b : 1 88) .

1 C f. Vrco, Scien'{fl nuova:III/ 1 0 [p o 1 5 5] oder III/ 1 4 [p o 1 58-60]) ; NIETZSCHE, WL: 380ss.

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58

Auch wenn solche analogischen Erkenntnisse nicht ungeprüft in den Wissens- oder Wissenschafts kanon übernommen werden, sollte doch eigentlich die Parallele zwischen Lernprozessen verschiedener Komplexitätsstufen doch Anlaß genug sein, der Metapher den Status eines legitimen Erkenntnismittels auch in der Wissenschaft einzuräumen. Die­ser Status scheint sich allerdings trotz der Explosion im Bereich literatur- und sprach­wissenschaftlicher Metapherntheorien und trotz einer weitgehenden Akzeptanz für das Paradigmenmodell Kuhns immer noch nicht durchgesetzt zu haben. Zwar wird in mo­dernen Wissenschafts- und Erkenntnistheorien die Legitimität metaphorisch erworbe­ner Einsichten nur noch selten bestritten, dennoch wird die Metapher noch häufig als relativ marginales Phänomen der Wissenschaftssprache gesehen, z.B. als bloßes Instru­ment zur Generierung von Termini.

Dabei dürfte der Erkenntniswert von Metaphern gerade für die Geisteswissenschaf­ten nicht nur am Rande gelten, da sie ja weitgehend nicht empirisch, sondern sprachlich­textuell arbeiten und von daher doppelt den Vorgaben sprachlicher Systeme (z.B. den metaphorischen Möglichkeiten) unterworfen sind (cf. 1 . 1 . 8) . Selbst in den empirischen Naturwissenschaften gesteht man ja spätestens seit Heisenberg2 und Kuhn der erkennt­nisleitenden Funktion von Bildern mehr und mehr Legitimität zu. Nicht nur sind in den life sciences sprachliche Metaphern wie «das Buch des Lebens» für die Genstruktur, das «Schreiben», «Lesen» oder « Redigieren» von DNA-Ketten gang und gäbe (cf. RHEIN­BERGER 200 1 , MAYER 2001) , man achtet auch die Bedeutung visueller Bilder für die Naturwissenschaft, weil man erkannt hat, daß

. . . Wissenschaft sich über Rationalität allein gar nicht vermitteln läßt. Ein gutes Beispiel ist die Doppelhelix von Watson und Crick. Keiner weiß, wie ein Gen aussieht. Aber die Doppelhelix schafft ein Bild, das uns sofort einleuchtet in seiner Schönheit, in seiner Ele­ganz und Harmonie, die nur zum Teil mit der Realität übereintrifft. Und das ist ein gutes Beispiel dafür, daß man einfach Modelle braucht . . . (GANTEN 2001)

Gleichwohl ist Einhelligkeit in puncto Legitimität der Metapher für die Wissenschafts­sprache noch nicht erreicht. Was Vico als unvermeidlichen Rückgriff jeder Sprache (also auch der Wissenschaftssprache) auf die Körperlichkeit beschreibt, was Nietzsche, Peirce und Heidegger als prOjektiven Wu1 bezeichnen, was Freud, Lacan und Whorf die Präde­terminierung des Subjektes (auch des wissenschaftlichen Subjektes) durch die Sprache nennen, wird von Bachelard in den 30er Jahren in Bausch und Bogen als « obstacle epi­stemologique» verurteilt, als Hindernis für eine Wissenschaftsgeschichte, die reine Ideengeschichte sein soll (cf. auch CANGUILHEM 1 970: 1 77) .

Zu diesen Hindernissen des Erkenntnisfortschrittes, die den korrigierenden Eingriff durch die Wissenschaftsgeschichte erforderten, zählt der gerade in den 60er und 70er Jahren stark rezipierte Bachelard neben einem empirischen Vorwissen (experience premiere, BACHELARD 1 965 : 1 8-20, 23-54) und einem allgemeinen Vorwissen (connaissance generale, ib. : 55-72) insbesondere das obstacle verbal, i.e. die Ansammlung von Analogien und Meta­phern in der Wissenschaftssprache:

Quand la connaissance empirique se rationalise, on n'est j amais sur que des valeurs sensi­bles primitives ne coefficientent pas les raisons. D'une maniere bien visible, on peut re-

2 Cf. auch HEISENBERG, BS zur Bedeutung des Schönen in der exakten Naturwissenschaft.

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connaitre que l'idee scientifique trop familiere se charge d'un concret psychologique trop lourd, qu'elle ammasse trop d'analogies, d'images, de metaphores, et qu'elle perd peu a peu son vecteur d'abstraction, sa fine pointe abstraite. (BACHELARD 1 965: 1 5)

Im Gegenzug zu einer solchermaßen durch intellektuelle Nachlässigkeit drohende «Psy­

chologisierung» der Wissenschaft argumentiert Bachelard ähnlich wie Popper3 für eine

unendliche Hinterfragung als Kennzeichen des (<Wahren» esprit scientifique: «Pour un esprit

scientifique, toute connaissance est une reponse a une question. S'il n'y a pas eu de ques­

tion, il ne peut y avoir connaissance scientifique. Rien va de soi. Rien n'est donne. Tout

est construit.» (BACHELARD 1 965 : 1 4) . «Preciser, rectifier, diversifier, ce sont la des types

de pensees dynamiques qui s'evadent de la certitude et de l'unite . . . » (ib. : 1 6) . Einem

solch unendlich hinterfragenden Diskurs muß freilich das «Denkmittel» (ib. :73) Meta­

pher suspekt sein, liefere es doch lediglich eine explication prescientiftque, die den analyti­

schen Geist untergrabe. Bachelard fordert deshalb eine Wissenschaftsgeschichte, die

nachgerade exorzistisch scheint: Sie soll nämlich die Verführung durch die Metapher

durch eine epistemologische Psychoanalyse sichtbar und rückgängig machen. Zuerst muß

die rationale Explikation etabliert werden, dann kann evtl. nachträglich eine schemati­

sche Illustration hinzutreten (BACHELARD 1 965:78 und 1 941 : 1 0) .

Bachelards Beispiel für die Irreführung der Wissenschaft durch Metaphern - die

Vorstellung der Luft als Schwamm im 1 8. Jh. - ist berühmt geworden und leuchtet

spontan ein. Gleichwohl krankt seine Argumentation doch an zwei Punkten. Zum einen

muß die Kette der kritischen Hinterfragungen über kurz oder lang an einem Punkt

apriorischer Empirie (sei sie sprachlicher Art oder von der Art der expen·ence premiere oder

der connaissance generale) anlangen. Zum anderen ist seine Argumentation einseitig, weil sie

ausschließlich die nonrationale projektive Seite der Metapher sieht, nicht den in der Me­

tapher enthaltenen Anteil an übereinstimmendem Vergleich(1 .2.3) . Darüberhinaus

scheint Bachelard zu glauben, daß die enthaltene Projektion aufgrund ihrer mangelnden

Analytizität nur «schiefgehen» kann. Schon rein statistisch gesehen kann dies der Fall

sein, es muß aber nicht.

Die strenge Haltung Bachelards hat sich aus heutiger Sicht nicht durchgesetzt. Ob

Metaphern für die Wissenschaft zulässig sind, scheint nicht mehr die Frage, sondern

vielmehr, warum sie für die Wissenschaft relevant sind: «For those concerned with the

use of metaphor in scientific theory two questions immediately present themselves:

How do metaphors work? And why are metaphors necessary? . . . The second may be

answered simply - We need to use metaphor to say what we mean .. . » (MAR­TIN/HARRE 1 982:89) .

Mag dies auch apodiktisch klingen, es läßt sich dennoch begründen. Daß der Verlauf

der Wissenschaftsgeschichte von einem Wandel des wissenschaftlichen Vokabulars be­

gleitet wird, ist unbestritten. Ebenso, daß dieser Wandel teilweise über die Einführung

neuer Begriffe für neue Sachverhalte erfolgt. Da diese neuen Sachverhalte in den mo­

dernen Wissenschaften aber zunehmend nicht mehr unmittelbar erfahrbar sind (dies gilt

für Geistes- und Naturwissenschaften gleichermaßen: z.B. eine Sprachstruktur, eine

Genstruktur, eine Teilchenbeschleunigung usw.) , ist es mehr denn je nötig, daß die neu­

en Begriffe den Spagat schaffen zwischen (1) einer Berufung auf Altes/Bekanntes/

3 Die Parallele zu Popper äußert sich darüberhinaus in der Ablehnung des «normal scientisD), cf. BACHELARD 1 965: 1 5 .

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unmittelbar Erfahrbares und (2) eine Vermittlung von Neuem/noch Unbekanntem/

nicht unmittelbar Erfahrbarem (cf. MARTIN/HARRE 1982:96s . , BoYD 1 993:489) . Begrif­

fe, die nur Bedingung 1 erfüllen, sind lediglich neue Kleider für alte Theorien (was in

den Geisteswissenschaften, deren Publikationen häufig kommentierenden Charakter

haben, keine Seltenheit ist) . Begriffe, die nur Bedingung 2 erfüllen, sind Neologismen.

Sie erfüllen zwar den Anspruch, neue Sachverhalte mit neuen Begriffen zu belegen, ha­

ben aber den Nachteil, daß sie kein Spontanverständnis evozieren. Ihre Bedeutung muß

definitorisch und abhängig von der zugehörigen Theorie erlernt werden wie das Wort

einer Fremdsprache; dies ist z .B. der Fall bei DNA oder Semem. Metaphorische Be­

zeichnungen für neue Sachverhalte, z .B. Atomspaltung oder Sprachfamilie verknüpfen bei­

de Bedingungen. Das Bekannte macht das Neue verständlich. Diese katachrestische

Funktion macht die metaphorische Begriffsbildung zu dem Instrument der Begriffs- und

Wissenschaftsentwicklung (cf. MARTIN/HARRE 1 982: 1 0 1 , BoYD 1 993:482) .

Erkennt man die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung der katachrestischen Be­

griffs bildung an, müssen Metaphern mindestens als symptomatisch für einen zugrundelie­

genden neuen Entdeckungszusammenhang und eine zugehörige neue Theorie gelten.

Man kann aber noch weitergehen und sie als konstitutiv für eine neue Theorie bezeich­

nen:

... the cases of scientific metaphor which are most interesting from the point of view of the philosophy of science . . . are those in which metaphorical expressions constitute, at le­ast for a time, an irreplacable part of the linguistic machinery of a scientific theory: cases in which there are metaphors which scientists use in expressing theoretical claims for which no adequate literal paraphrase is known. Such metaphors are constitutive of the theo­ries they express, rather than merely exegetical . . . if one looks at theory construction in the relatively young sciences like cognitive psychology, one finds theory-constitutive metaphors in abundance. (BOYD 1 993:486)

Haben sich aber Metaphern dank ihrer katachrestischen Fähigkeiten erst einmal als kon­

stitutive Elemente der Theorie etabliert, wandeln sie ihren Charakter. Aus der ursprüng­

lich spontanen Metapher wird eine wissenschaftliche Metapher, die sich quantitativ als fester

Terminus etabliert hat. Als solche unterscheidet sie sich von der etablierten alltags­

sprachlichen Metapher (z .B. der rote Faden) dadurch, daß sie (1) trotz ihrer Etablierung

zunächst nicht ihre open-endedness verliert, d.h. sich nicht relativ rasch zu einer toten Me­

tapher entwickelt, sondern im Gegenteil innerhalb der normal science über eine mehr oder

minder große Zeitspanne hinweg diskursiv und in verschiedenen Anwendungen auf das

Objekt ausgelotet wird. Dies bedeutet (2) , daß die wissenschaftliche Metapher ständig

erneut paraphrasiert4 wird, während rhetorische Metaphern in der Regel stillschweigend

verstanden werden (ohne paraphrasierende Explikation) . (3) Diese Paraphrasierung ist

bei der wissenschaftlichen Metapher ausdrücklich erwünscht: Sie erfolgt einerseits als

innerdisziplinäre Selbstreflexion in der entsprechenden wissenschaftlichen Gemein­

schaft, andererseits in Form der normal science, die den von der Theorie und Metaphern

abduktiv als informed guesses (BOYD 1 993:494; cf. 1 . 1 .6 zu Peirce) vorgegebenen Rahmen

auszufüllen trachtet:

4 Auf die Paraphrasierbarkeit von Metaphern kommen wir in 2.2 zurück.

Page 63: Die Wiederkehr Der Bilder

61

Precisely because theory-constitutive metaphors are invitations to the future research, and because that research is aimed at uncovering the theoretically important similarities be­tween primary and secondary subject of the metaphors5, the explication of these similari­ties and analogies is the routine business of scientific researchers . . . (BOYD 1 993:489)

Das heißt, daß die Revidierbarkeit der Theorie durch Falsifikation und kritischen Dis­

kurs (wie Popper sie fordert) im Lichte weicherer Kriterien als theory construction bzw.

open-endedness der Theorie erscheint, die unter anderem durch eine terminologische Of­

fenheit (möglich u.a. durch Metaphern) gewährleistet wird .

. . . we introduce terminology to refer to presumed kinds of natural phenomena rand oth­ers, S.R.] long be fore our study of them has progtessed to the point where we can specify for them the sort of defining conditions that the positivist's account of language would require . . . Any such terminology must possess a sort of progtammatic open-endedness, inasmuch as its introduction fixes a presumed topic for future research. Thus the intro­duction of theoretical terminology generally requires just the features that theory­constitutive metaphors provide . . . Theory-constitutive metaphors . . . represent one strat­egy among many for the preliminary stages of theory construction. (BOYD 1 993:495s.)

Innerhalb der theory construction sind die Metaphern aber nicht unbedingt auf nur heuristi­

schen Wert beschränkt. Wäre dies der Fall, dürften sie überhaupt nicht referentiell funk­

tionieren6• Dies tun sie aber, zumindest zuweilen, doch: Die Referenz einer wissen­

schaftlichen Metapher kann definiert werden als das Phänomen, auf das sie innerhalb

einer bestimmten Theorie verweist. Diese Referenzbedeutung kann durch die empiri­

sche Forschung und die parallelen Paraphrasierungen der normal science präzisiert werden

(cf. BoYD 1 993:499-505) - und obwohl die Beobachtung bis zu einem gewissen Punkt

von der Metapher und dem metaphorischen Charakter des Paradigmas prädeterminiert

ist, kann sie an einen Punkt gelangen, an dem die empirischen Daten belegen, daß die

bisher verwendete Metapher (beispielsweise der Schwamm für die Konsistenz der Luft)

und das zugehörige Paradigma irreführend war, so daß eine neue Theorie mit neuen

Begriffen erforderlich wird. Eine solche empirisch bedingte Referentialität dürfte aller­

dings bei Metaphern geisteswissenschaftlicher Theorien nur selten vorkommen. Dort

erfolgt eine Präzisierung der Metapher ausschließlich auf der Ebene der Bedeutung, und

5 Boyd beruft sich hier auf die Metapherntheorie Blacks . 6 Gegen eine referentielle Funktion von Metaphern sprechen sich z.B. Eco 1971 : 1 1 0s . ,

1 973:68, HESSE 1 966 :1 66-70 (aufgrund der Interaktion) oder auch GESSINGER 1 992:33 aus . Dagegen plädieren RrCHARDS 1 955:48 und KITIAY 1 987:38s. für metaphorische Referenz. BEARDSLEY 1 962 gesteht zwar zu, daß Metaphern ein Gegenstandsvergleich sein können, führt aber gleichzeitig an, daß darin nicht der essentielle Charakter der Metapher liege. Sehr weitläufi­ge Metapherntheorien wie die Goodmans oder Ricceurs vertreten wiederum, daß mit der Meta­pher eine Sicht der Welt projiziert wird, Referentialität (Verweis auf die Welt) also geradezu nur metaphorisch erfolgen kann (cE. z.B. RrCCEUR 1 972: 1 07; riference dtdoublie, RrCCEUR 1 975 :289) . Das Problem der Referentialität erweist sich schon in dieser rudimentären Skizze als äußerst komplex - nicht zuletzt dadurch, daß dem Begtiff <<Referenz» äußerst unterschiedliche Bedeu­tungen zugewiesen werden: vom 'Gegenstand in der Welt' über (mir diffus erscheinende) 'characteristics' (BEARDSLEY 1 962:24) bis hin zur 'projizierten Welt' (Ricceur) oder zum puren 'illocutionary effect' (pragmatik, cf. 2.2 zu Austin, Searle und Davidson). Noch komplexer wird die Sachlage, wenn die <<Referentialität von Metapheo) als Argument für oder wider die <<Ange­messenheic) einer Metapher ins Spiel gebracht wird . . . Wir können die Grabenlinien hier nur andeuten, in unserem Rahmen aber nicht weiter verfolgen.

Page 64: Die Wiederkehr Der Bilder

62

zwar der Bedeutung innerhalb eines bestimmten wissenschaftlichen Text- und Theorie­

apparates .

Fassen wir zusammen: Die Metapher i s t trotz oder gerade wegen ihres nonrationalen

Dissimile-Anteils ein existentieller Teil von Theorien und Wissenschaft überhaupt. Sie

ermöglicht eine explication prescientiftque (Bachelard), einen informed guess (Boyd) , der ein

vorläufiges Begreifen des noch nicht Erklärten ermöglicht. Diese Funktion übernimmt

sie naturgemäß insbesondere in Phasen der Entstehung eines neuen - oder für die Gei­

steswissenschaften: anderen - Paradigmas. Hat sich dieses Paradigma, und mit ihm eine

zentrale Metapher sowie die aus ihr abgeleiteten Folgemetaphern (wie z.B. « Baum» -7 «Wurzeb>, «Triebe» , «Wachstum») etabliert, beginnt eine zweite Phase, in der die normal science die Metapher variiert und kommentiert. Ihre ursprüngliche open-endedness wird so

reduziert, proportional umgekehrt zur wachsenden Explikation der Theorie. Anders als

in der Mehrzahl der rhetorischen Metaphern führt diese Reduktion j edoch nicht zwin­

gend zum Absterben der Metapher oder des Bildes. Wie wir im Fall des «Baumes» sehen

werden, kann sie unter veränderten Vorzeichen neu aufleben, ohne richtig «tOD> gewesen

zu sein. Anders als bei abbildenden Modellen (1 .2 . 1 ) , sind wissenschaftliche Metaphern

Darstellungsformen mit nachträglicher Explikation (cf. LANGER 1 967:59) , deren Explika­

tionsgrad jedoch immer unter dem der komplett entwickelten Theorie bleiben wird: Die

Metapher bleibt Bild.

Sowohl wegen ihrer vorwissenschaftlichen hypothetischen ErklärungsEihigkeit als

auch wegen ihres nachträglichen wissenschaftlichen Explikationsanreizes darf die Meta­

pher zu den unabdingbaren Erkenntnisinstrumenten gezählt werden.

2.2 Sprachliche Metaphern: Rhetorik, Semantik, Pragmatik, Kognitionsphilosophie

. . . j edenfalls wollen wir darüber nicht streiten; es ist ein weites Feld. Und dann sind auch die Menschen so ver­schieden. (FONTANE, Eifi Bn'es�

Wir haben bisher festgestellt, daß sich wissenschaftliche von rhetorischen Metaphern

dadurch unterscheiden, daß sie «nicht so leicht totzukriegen» sind, und daß andererseits

beide grundlegende Eigenschaften teilen (Dialektik von Rationalität und Nonrationali­

tät, ihre Rolle im Sprach- und Erkenntniserwerb, ihre Unvermeidlichkeit) . Nun können

wir detaillierter auf diejenigen Eigenschaften eingehen, die der wissenschaftlichen und

der rhetorischen Metapher gemeinsam sind. Die böse Ahnung des Lesers bestätigt sich:

Wir werden unvermeidlich einen kurzen Streifzug durch die Metapherntheorien antre­

ten. Ich verspreche, diesen so kurz wie möglich zu halten, einerseits weil das Feld der

Metaphorologie wahrlich ein <<weites Feld» ist, das hier gar nicht erschöpfend abgehan­

delt werden kann, andererseits, weil zur Metapherntheorie eine derartige Fülle an Litera­

tur existiere, daß man sich nahezu schämen muß, überhaupt noch davon zu sprechen.

7 Cf. z.B. die Bibliographie von VAN NOPPEN/OE KNOP/JONGEN 1 985 (431 7 Titel in ca. 14 Jahren!) und VAN NOPPEN/HOLS 1 990.

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63

Die gesamte Fülle an Erklärungen zur Wirkungsweise von Metaphern bewegt sich im

Grunde zwischen zwei Polen: «Metaphern sind systematisierbar» vs. «Metaphern sind

open-ended und nicht (oder nur bedingt) systematisierbar». Dazwischen gibt es nahezu alle

nur denkbaren Spielarten und Varianten, wobei allerdings diejenigen Varianten, die für

eine Systematisierbarkeit der Metapher plädieren, deutlich überwiegen. Ich möchte die

Varianten zwischen den Polen zu drei Gruppen zusammenfassen: (1) die Gruppe der

Substitutions- und Vergleichstheorie8 (vertreten in der Rhetorik und in einfachen se­

mantischen Modellen), (2) die Gruppe der Interaktionstheorie (vertreten in der kognitiv

orientierten Semantik und Philosophie) und (3) die pragmatische Theorie, die sich mit

der These «mere is no literal meaning in metaphors» überschreiben läßt (vertreten in der

Sprechakttheorie und der Sprachphilosophie) . Zu jeder Gruppe sollen exemplarische

Vertreter zu Wort kommen, um einen wenn auch nicht vollständigen so wenigstens

repräsentativen Überblick zu geben.

2.2.1 Metapher als Substitution

Theorien, die Metaphern als weitgehend systematisierbar betrachten, verstehen Meta­

pher als der «eigentlichen» Sprache aufgepfropfte Erscheinung jenseits des Normaus­

drucks und berufen sich auf die aristotelische Poetik:

Jedes Wort ist entweder ein üblicher Ausdruck, oder eine Glosse, oder eine Metapher, oder ein Schmuckwort, oder eine Neubildung, oder eine Verkürzung, oder eine Abwand­lung . . . Eine Metapher ist die Übertragung eines Wortes (das somit in seiner uneigentli­chen Bedeutung verwendet wird), und zwar entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung, oder von einer Art auf die andere, oder nach den Regeln der Analogie. (ARISTOTELES, Poetik:§21 [po 67])

Die Kriterien Übertragung und Analogie tauchen in der einen oder anderen Form in

allen Metapherntheorien auf. Besonders betont wird das analogische Moment in der

Substitutionstheorie, wo es als Basis für eine Substitution bzw. intuitive Identifizierung von

Konzepten betrachtet wird. Beispielsweise identifiziert die Metapher « ein schlafender BauITl» den Ruhezustand eines nicht-pflanzlichen Lebewesens mit dem Ruhezustand

einer Pflanze. Nach der Substitutionstheorie überdeckt die Analogie der Konzepte

('Ruhezustand') dabei Differenzen, die semantisch oder refentiell (biologisch, phänome­

nologisch etc.) zwischen dem Ruhezustand von Pflanzen oder Tieren/Menschen beste­

hen. Der metaphorische Ausdruck meti! den wörtlichen so, daß in der Summe kein

Sinnverlust entsteht (z .B. BLACK 1 955 :278ss.) , sondern zusätzlich ein poetischer, stilisti­

scher, rhetorischer o.ä. Effekt9. So heißt es in einem rhetorischen Standardwerk des 1 9 .

Jahrhunderts:

8 Die Vergleichs theorie subsumiere ich hier unter der Substitutionstheorie, da der Unter­schied zwischen bei den nur gradueller Natur ist: Wo die Substitutionstheorie von einer Ersetz­barkeit des metaphorischen durch einen wörtlichen Ausdruck ausgeht, geht die Vergleichstheo­rie von einer Substituierbarkeit der Metapher durch einen expliziten Vergleich aus (cE. auch BLACK 1 955 :283) .

9 Wir können in unserem Rahmen weder auf die über zweitausendjährige Entwicklungsge­schichte der Metaphorologie noch auf die überwiegend in der Rhetorik aufrechterhaltenen Un-

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64

La metaphore est une figure par laquelle on transporte . . . la signification propre d'un nom a une autre signification qui ne lui convient qu'en vertu d'une comparaison qui est dans l'esprit. Un mot pris dans un sens metaphorique, perd sa signification propre, et en prend une nouvelelO qui ne se presente a l'esprit que par la comparaison . . . (DUMARSAIS/ FON­TANIER 1 984:1 55)

Ebenso findet sich das Substitutionsmodell in der strukturalistischen nouvelle rhitorique, wenn auch in einer sophistischen Variante (cf. auch RrCCEUR 1 975 : 1 73-220) :

Par definition, tout trope let, par consequent, aussi toute metaphore, S.R.] consiste en une substitution de termes, et par consequent suggere une equivalence entre ces deux termes, meme si leur rapport n'est nullement analogique: illre voile pour navire, c'est faire de la voile le substitut, donc l'equivalent du navire. (GENETTE 1 972:38)

Zwar betont Genette, daß durch die Substitution ein Bruch (vide, espace) entstehe, der

erst die subjektive Interpretation des Lesers bzw. connotations littiraires auslöse (GENETTE 1 966:208ss.) . Trotz der Betonung des Bruches in der Substitution ist Genette gleichwohl

weit von einer Annäherung an pragmatische Metapherntheorien wie der Davidsons ent­

fernt (cf. unten) . Endziel der rhitorique Genettes bleibt die Etablierung eines systemati­

schen Codes - eines universalen code des connotations littiraires (cf. GENETTE 1966:220) .

Als Statthalter der Substitutionstheorie steht die Rhetorik im 20. Jahrhundert jedoch

nicht alleine - auch in der Sprachwissenschaft ist sie vertreten. Bei JAKOBSON/HALLE 1 956:77, wenn sie von Metaphern als substitutive reactions sprechen; bei GRElMAS

1 966: 135 , wenn von den ftgures als «l.ieux Oll s'effectuent les substitutions des semes les

uns aux autres» die Rede ist; bei COSERIU 1 979 :27, wenn er von der «momentanen Iden­

tifizierung verschiedener Gegenstände mit einem Ausdruck ohne verbindendes 'wie'»

spricht; bei ULLMAN 1952:277, wenn er die Metapher <<Une image qui a l'air d'une iden ti­

ficatioID> nennt1 1 .

Weil die Substitutionstheorie ihr Auge vor allem auf die analogische Komponente

der Metapher richtet, geht sie im Grunde von einer « Ersetzung» auf zwei Ebenen aus .

Auf referentieller Ebene zwingt die Metapher den Adressaten, den Baum als

Tier/Mensch <<WahrzunehmeID>. Auf sprachlicher Ebene nimmt man an, daß die Erset­

zung des wörtlichen durch den metaphorischen Ausdruck einhergeht mit der Identifizie­rung zweier Bedeutungen. Die Kernannahme der Substitutionstheorie ist ja, daß für j ede

Metapher ein wörtliches Äquivalent existiert, dessen Bedeutung dem Sinneffekt der Me­

tapher gleichkommt. « SubstitutioID> bedeutet also, daß der metaphorische Ausdruck

immer auf den « eigentlicheID> wörtlichen Ausdruck reduzierbar ist. (Der Mehrwert der

Metapher liegt demnach lediglich im rhetorischen « Überraschungseffekb>, nicht aber in

einem surplus de sens.) In dieser Perspektive erscheinen Metaphern als Ableger eines Basi­

systems von Wortbedeutungen, von dem sie sich nicht abkoppeln können: Metaphern

können im Grunde nie den Status des <<uneigentlichen Ausdrucks» überschreiten und

terscheidungen zwischen Metapher, Synekdoche, Katachrese, Metonymie etc. eingehen. Ge­meinsam ist allen Substitution und Analogie. Cf. hierfür z .B. Eco 1 984: 1 50-76 oder ]OHNSON 1 981 :3-47.

10 Hinweis: signification nouvelle meint hier 'andere Bedeutung', nicht 'neue' (neuve) . 1 1 RICCEUR 1 975 : 1 6 1 ordnet deshalb nicht zu unrecht die Substitutionstheorie der semantique

du mol zu, die Interaktionstheorie der semantique de la phrase.

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65

bleiben immer systematisierbar. Von daher vermutlich auch die Vorliebe der struktura­

listischen Semantik für die Substitutionskonzeption, die sich mit dem systeme de valeurs­Theorem gut vereinbaren läßt.

Daß sich die Substitutionstheorie und die mit ihr verbundene Charakterisierung der

Metapher als auf die «eigentliche» Sprache aufgepfropftes Darstellungsmedium in der

Rhetorik relativ ungebrochen erhalten hat, ist nicht weiter verwunderlich, weil die Tren­

nung von «eigentlichem (d.h. nicht-rhetorischer) und <<uneigentlichem (rhetorischer)

Sprache die Basis dafür ist, Rhetorik als eigenständige Disziplin (ohne Vermengung mit

Sprachwissenschaft, Philosophie, Erkenntnistheorie) zu deklarieren.

Ziemlich verwunderlich ist hingegen, daß sich das Substitutionsmodell auch in der

Sprachwissenschaft hartnäckig gehalten hatl2, obwohl die Sprachreflexion und -wissen­

schaft seit Jahrhunderten immer wieder feststellte, daß Metaphern aufgrund ihres kogni­

tiven Potentials ein unabdingbarer Teil des Sprechens und der Sprache sind. So schreibt

schon Vico im 1 8 . Jahrhundert (gleichermaßen gegen Descartes und Locke) : « . . . ogni

lingua, per copiosa e dotta ehe ella sia, incontra la dura necessita di spiegare le cose spiri­

tuali per rapporto alle cose de' corpi.» (ib. :IlI/22 [po 1 71] ) . Und auch in der modernen

Sprachwissenschaft mangelt es nicht an zahlreichen Äußerungen, die der Metapher ih­

ren Stammplatz in der Sprache zugestehen. So schreibt z.B. Hermann Paul in Anleh­

nung an Humboldt von humboldtianisch von den <<Usuellen Metaphern» als Ausdruck

der Vorstellungskreise eines Volkes:

Die Metapher ist eines der wichtigsten Mittel zur Schöpfung von Benennungen für Vor­stellungskomplexe, für die noch keine adäquaten Bezeichnungen existieren. Ihre Anwen­dung beschränkt sich aber nicht auf die Fälle, in denen eine solche äussere Nötigung vor­liegt . . .

Es i s t selbstverständlich, dass zur Erzeugung der Metapher . . . in der Regel die Vors tel­lungskreise herangezogen werden, die in der Seele am mächtigsten sind . . . In der Wahl des metaphorischen Ausdruckes prägt sich daher die individuelle Verschiedenheit des In­teresses aus, und an der Gesamtheit der in einer Sprache usuell gewordenen Metaphern erkennt man, welche Interessen in dem Volke besonders mächtig gewesen sind. (PAUL, Prinifpien:94s.) 1 3

Beim Vater des systeme de valeurs, Saus sure, heißt es: «Plus de figures? Ainsi rien que des

termes repondant aux absolues realites du langage? Cela equivaut a dire que les absolues

realites du langage n'offrent pas de mystere . . . » (SAUSSURE, Cours 1 : 1 8/N13/ 101 ) . Auch

Bloomfield gesteht den «deviations from dictionary meaning» weite Verbreitung und

einen noch unüberschaubaren Grad an Komplexität zu, wertet aber im Sinne der Sy­

stematisierung das metaphoric or transftrred meaning als marginal meaning (BLOOMFIELD 1 933: 1 48s.) . Bühler schreibt gar, was für unser Thema nicht vorenthalten werden darf:

«Wer die sprachliche Erscheinung, die man Metapher zu nennen pflegt, einmal anfangt

zu beachten, dem erscheint die menschliche Rede bald ebenso aufgebaut aus Metaphern

wie der Schwarzwald aus Bäumen.» (BÜHLER, Sprachtheorie:342) . Die Reihe ließe sich

mühelos fortsetzen.

Die Beobachtung, daß die Metapher ein Teil der Sprachanwendung bzw. der Spre­

cherkompetenz ist (Vorstellungskreis bei Paul, langage bei Saussure, Rede bei Bühler) , führt

1 2 KrTIAY 1987:20 macht dies an der Verweigerung eines kognitiven Standpunktes fest. 1 3 Cf. auch BREAL 1 982: 1 35, PORZIG 1 971 :78, WEINRICH 1 976:278, BLOOMFIELD 1 933 :1 50.

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zwar im 19. Jahrhundert zu einer Einbeziehung der Metapher in die Theorie des

Sprachwandels, z .B. bei Breal:

. . . la metaphore change instantanement le sens des mots, cree des expressions nouvelles d'une fa�on subite. La vue d'une similitude entre deux objets, deux actes, la fait naitre. EI­le se fait adopter si elle est juste, ou si elle est pittoresque, ou simplement si elle comble une lacune dans Je vocabulaite. Mais Ia metaphore ne reste teile qu'a ses debuts: bient6t I'esprit s'habitue a I'image; son succes meme la fait palir, elle devient une representation de I'idee a peine plus coloree que le mot propre» . (BREAL 1 982: 1 24) '4

In der Berufung auf die Ähnlichkeit als Grundmechanismus der Metapher sowie in der

Dichotomie von mot propre und mitaphore zeigt sich dennoch deutlich die ungebrochene

aristotelische Prägung: Zwar wird die Metapher als diachrones Phänomen (nämlich für die

Sprachwandeltheorie) einbezogen, also insofern sie «tote" Metapher ist; für die Meta­

pher als synchrones Phänomen, also für ihr «Lebern> bzw. ihren semantischen Mechanismus,

interessiert man sich hingegen, über aristotelische Äußerungen hinaus, lange nicht.

Eine manifeste sprachwissenschaftliche Theorie der synchronen Metapher als Anti­

pode zur rhetorischen Metapherntheorie (und ihrer Sekundarisierung der Metapher als

rhetorisches Mittel) entsteht erst später in den 70er Jahren z.B. mit der Bildfeldtheorie

Weinrichs und der semantic field-Theorie von Kittay und Lehrer - nachdem von kogniti­

onsphilosophischer Seite (Richards, Black, Davidson) schon längst weiterreichende ko­

gnitive Modelle formuliert waren, die dann von Lakoff und Johnson (cf. 2.3) umgesetzt

wurden.

In der sprachwissenschaftlichen Bildfeldtheorie Weinrichs klingt einerseits die (hum­

boldtianische) Tradition von Paul, Bühler, Ipsen, Trier und Porzig'5, andererseits spürt

man den Einfluß der zu dieser Zeit breit diskutierten Interaktionstheorie von Richards

und Black, und nicht zuletzt ist eine ordentliche Portion Systemstruktura1ismus am

Werke - weshalb wir die Bildfeldtheorie hier zwischen den die Metapher stark systema­

tisierenden Metapherntheorien und der bereits sehr viel offeneren Interaktionstheorie

plazieren. Weinrich distanziert sich zunächst von der isolierenden diachronen Betrach­

tung der Metapher:

Einseitig ist aber das Bild der metaphorischen Tradition vor allem dadurch, daß die dia­chronische Metaphorik auf der Fiktion aufbaut, als ob die einzelne Metapher vom Sprach system isolierbar sei. Sie steht jedoch nicht nur - diachronisch - in einem linearen Traditionsstrang, sondern auch - synchronisch - in sprachinternen Zusammenhängen mit anderen Metaphern, die deskriptiv-systematisch dargestellt werden können. (WEIN­RlCH 1 976:279)

Aufgabe der synchronen Metapherntheorie soll sein, Metaphern in ihrem Zusammen­

hang von kulturell'6 und sprachlich determinierter Bildfeldstruktur synchron verorten zu

14 Ebenso z .B. PAUL, Prin?fpien:94ss. und BLOOMFIELD 1 933:426s . 1 5 Cf. die oben zitierte Passage aus PAUL, Prinifpien; BÜHLER, Sprachtheorie:63; IpSEN

1 924:225; PORZIG 1 97 1 :72, 78; TRlER 1 972: 8 1 , 94. Weiter inspiriert sich Weinrich bei Nietz­sches Philosophie der Lüge (NIETZSCHE, WL).

16 Ein gutes Beispiel die Kulturdeterminiertheit von Bildfeldern nennt HENLE 1 966 :1 86: ,<A popular song of some years ago praised a young lady by saying to her ,y ou're the cream in my

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67

können. Die Metapher ist dabei definiert als eine «Stelle im Bildfeld" - oder genauer

eine Stelle, an der zwei verschiedene Sinnbezirke (die von Weinrich etwas unklar eben­

falls «Bild felder» betitelt werden!?) verknüpft werden .

. . . wie das Einzelwort in der Sprache keine isolierte Existenz hat, gehört auch die Einzel­metapher in den Zusammenhang ihres Bildfeldes . Sie ist eine Stelle im Bildfeld . . . In der aktualen und punktuellen Metapher vollzieht sich in Wirklichkeit die Koppelung zweier sprachlicher Sinnbezirke. Wir können dabei durchaus die Frage offen lassen, von welcher formalen Struktur diese Sinnbezirke sind, ob Wortfeld, Bedeutungsfeld, Sachgruppe . . . (WEINRICH 1 976:283)

Die Koppelung der Bildfelder (also z.B. der Felder die zu schlafen und zu Pflanze gehö­

ren) ist nicht mehr eine Substitution, sondern ein Übertragungsprozeß zwischen «bildspen­

denderID> und «bildempfangendem Felcl» (WEINRICH 1 976:284) . Aufgrund der Analogi­

sierung zweier Bildfelder in einem Übergabeprozeß sind Metaphern prädestiniert, den

«Wert von (hypothetischen) Denkmodellen anzunehmen», denn «kritisch benutzt, hel­

fen sie uns, Fragen zu stellen.» (ib. :294) . Damit leistet Weinrich für eine linguistische Metaphernbetrachtung zwei entschei­

dende Schritte. (1) Er löst die rhetorisch-stilistische Metaphorologie von Untersuchun­

gen zu gesamtsprachlichen, überindividuell relevanten Metaphern (ib. :277) . (2) Er eta­

bliert mit der Vorstellung eines Übertragungs prozesses zwischen zwei Bildfeldern be­

reits einen prozessualen Ansatz im Gegensatz zur Statik der Substitutionstheorie. Ande­

rerseits ist Weinrichs Metapherntheorie auch dadurch gekennzeichnet, daß (1) bei Be­

trachtungen zu Dynamik und Kreativität der Metapher in der Regel eher an einen ästhe­

tischen denn an einen kognitiven Effekt der Metapher gedacht wird (z .B. WEINRICH 1 976:295ss .) . Auch geht sie noch nicht so weit, von einem kognitiv relevanten, bidirek­

tionalen Austausch zwischen vehicle/ subsidiary suiject und tenor/ princzpal suiject wie Richards

und Black zu sprechen, sondern bleibt bei der Vorstellung eines «analogiestiftenden

Aktes» (ib. :284) . (2) Weinrichs Hauptaugenmerk liegt entsprechend seinem textlinguisti­

schen Ansatz auf der Systematisierung metaphorischer Prozesse - sei es (a) im Sprechakt,

wo die Metapher ebenso eine eindeutige Bedeutung durch den Kontext erreicht wie

«gewöhnliche Wörter» (WEINRICH 1 966:44, 47) oder (b) auf sprachsystematischer Ebe­

ne, wo er ein strukturell determiniertes Netz von Vorstellungskreisen zugrundelegt.

Eine echte kognitive Funktion der Metapher wird aufgrund des rein sprachsystemati­

schen Ansatzes nicht einbezogen.

2.2.2 Metapher als Interaktion

Anders als Weinrich beruft sich die «perspektivische» Metapherntheorie von Kittay

nicht nur auf die Theorie des semantischen Feldes und auf eine Systematisierbarkeit der

Metapher durch die Zuweisung von Feldern, sondern verbindet dies mit einem stark

coffee., Entirely the wrong impression would be obtained in a community which drank its cof­fee blaclo>.

1 7 Champ metaphorique bei HENRY 1 97 1 :72.

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kognitiven Ansatz, der sich auf Richards, Black, Goodman und Burke18 beruft. In der

Tradition der Feldtheorie steht Kittay, insofern sie die Metapher als einen Bedeutungs­

transfer zwischen zwei verschiedenen semantischen Feldern charakterisiert (K1TTAY 1 987:290-92) . Anders als Weinrich, der von einer analogisierenden Übertragung vom

bildspendenden zum bildempfangenden Feld spricht, sieht Kittay aber diesen Bedeutungs­

transfer zwischen dem vehicle field und der topic domain (ib. :258, 1 6) als einen dynamischen

und kreativen Prozeß, der den kognitiven Wert der Metapher ausmacht:

The key notion in seeing metaphor as cognitive is the recognition that in metaphor two concepts are operative simultaneously. (KITTAY 1 987: 1 5)

To view metaphorical transfers of meaning as relational shifts, which can be specified as changes in the semantic relations governing semantic fields, allows us to see . . . the way in which metaphors have such conceptual import. These changes may be very transient, lasting only for the period of the utterance itself. They may, however, result in or reflect a significant reordering which can offer a better «fit» to our experience than the former conceptual field, and thus be descriptive, even predictive. (ib. :288s.)

Die dynamisch-kreative Kraft der Metapher, durch die nicht nur eine Ähnlichkeit aus

Bereichen zweier verschiedener Felder aufgerufen, sondern auch das semantische bzw.

das konzeptuelle System kurz- oder längerfristig verändert werden kann (cf. auch unser

Beispiel aus 1 .2.2 <<Männer sind Wölfe» ) , wird schon von Black formuliert: «It would be

more illuminating .. . to say that metaphor creates the similarity than to say it formulates

some similarity antecedently existing.» (BLACK 1 962:37) . Neue Ahnlichkeiten zu schaffen

(reorderiniJ, bewerkstelligt die Metapher, indem sie zunächst etablierte Kategorien auf­

bricht19 : Metaphorizing is distinguished from categorizing by the incongruity we fmd in metaphor. This incongruity is related to the fact that when we categorize metaphorically we are guided by special interests . . . As classification and categorization are both orderings, the intrusion of an incongruity is a disordering - one that forces a reordering if the structure of our conceptual organization is to retain coherency. A new perspective is achieved . . .

(IZITTAY 1 987:22)

Das heißt, die Metapher vermag ein Erkennen durch Nicht-Erkennen2o zu schaffen

(was wir in 1 .2 .3 als Dialektik von Rationalem und Nonrationalem beschrieben haben)

und entspricht von daher strukturell dem Erkenntnisprozeß. Trotz einer hohen Affinität

zur Interaktionstheorie distanziert sich Kittays Konzeption der perspektivischen Meta­

pher von Black, insofern ein höherer Grad an (sprachwissenschaftlicher) Systematisier­

barkeit der Metapher behauptet wird (KITTAY 1 987:3 1 , 258) : (1) sei die mit dem meta­

phorischen Ausdruck transportierte «Bedeutungswelt» nicht ein vages system of associated

1 8 Cf. BURKE 1 969. 1 9 Der Bruch als Eigenschaft der Metapher taucht in unterschiedlichen Gewändern in diver­

sen Metapherntheorien auf, z .B. : Täuschung (Weinrich, cf. oben) ; vide (Genette, cf. oben) ; rule­violation (BLACK 1 993:24) ; logical opposition, incompatibiliry oder exc!usion of criteria (BEARDSLEY 1 962:299, 307) ; feature of the practica! situation, das die Anwendung eines normal meaning unmöglich macht (BLOOMFIELD 1 933: 149) ; Nicht-Verstehen des litera! meaning des metaphorischen Aus­drucks (Davidson, cf. unten).

20 Vom Nicht-Erkennen aufgrund eines darstellerischen Fehlers unterscheidet sich das meta­phorische Nicht-Erkennen dadurch, daß es perspektivisch und gewollt ist (IZlTrAY 1987:24) .

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69

commonplaces (BLACK 1 955 :287s.)21 , sondern ein (sprachwissenschaftlich beschreibbares)

semantic field; (2) transportiere nicht nur der metaphorische Ausdruck (Wiilfe) ein semanti­

sches Feld/ vehiele field ('Wölfe') , sondern auch der metaphorische Inhalt (das zugehörige

Feld nennt Kittay topic domain) (Mdnner sind Wolfe/,Männer sind Raubtiere') ; und (3)

spricht Kittay nur von einem semantischen Transfer, nicht von einer Interaktion:

Semantie field theory permits us to speeify the nature of the «expedition abroaw). Meta­phorieal transfers of meaning are transfers from the field of the vehicle to the field of the topie of the relations of affmity and opposition that the vehicle term(s) bears to other terms in its field. More preeisely, in metaphor what is transferred are the relations whieh pertain within one semantie field to a second, distinet domain. (KITIAY 1987 :36)

Damit ist Kittay bei einer Anwendung des hjelmslevschen connotation-Modells für die

Metapher angelangt (KITTAY 1 987:28-30) , das sich unter der systematisierenden Per­

spektive sehr brauchbar erweist. Die Semiotik der Metapher ist eine konnotative Semiotik, <<Whose expression plane is a semiotic)) (HJELMSLEV, Prol: 1 1 4) . Unter Rückgriff auf das

Saussuresche Zeichenmodell (SAUSSURE, Cours 1 : 1 48ss .) läßt sich die Metapher als kom­

plexes konnotatives Zeichen wie folgt darstellen (um Mißverständnisse zu vermeiden,

füge ich in das Schema die verschiedenen gängigen Termini para11el ein) :

Metapher als (((onnotative sign;) (Hjelmslev)

-------------�-------------r- \ METAPHORISCHER AUSDRUCK METAPHORISCHER INHALT

'" connotative expression (Hjelmslev) '" connotative eot/tent (Hjelmslev) tenor (Riehards) principa! subjec! (Blaek)

� topie domain als Feld (Kittay)

AUSDRUCK (WÖRTLICHER) INHALT

signifiant (Saussure) signifii (Saussure ) expression (Hjelmslev) content (Hjelmslev)

vehicle (Riehards) subsidiary subjeet (Blaek) [litera! meaning (Davidson)22]

� vehicle field (Kittay)

Kittays Metapherntheorie verfügt über einen hohen Integrationsgrad. Sie ist zugleich

sprachwissenschaftlich-systematisierend und kognitiv-interaktiv orientiert. An die Stelle

der sprachwissenschaftlichen Betrachtung der Metapher als Mittel des Sprachwandels

(wie bei Breal) bzw. der synchronen stilistisch-systematischen Betrachtung (wie noch bei

Weinrich) ist eine synchron-kognitive Anschauung getreten, die die Metapher als ratio-

21 BLACK 1 993:28 selbst hat präzisiert: <cimplieative comple}[» . 22 Mit Vorbehalt, da Davidsons Metapherntheorie sich gerade gegen ein litera! meaning als Ba­

sis für metaphoriea! meaning wendet.

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70

nales Mittel des Konzeptwandels einstuft - die diachrone Komponente hat sich also in

den kognitiven Bereich verschoben. Von daher nimmt die Konzeption der perspectival metaphor eine klare Mittlerposition ein zwischen den extrem systematisierenden und den

für open-endedness plädierenden Metapherntheorien.

Bevor wir mit Richards zur kognitiven Metaphernbetrachtung übergehen, ist es sinn­

voll, einen Blick auf Ecos semiotische Metapherndarstellung zu werfen, die sich wie

Kittay an das Hjelmslevsche Konnotationsmodell sowie an die Saussureschen senes asso­ciatives23 anlehnt, jedoch (1) mit dem Prinzip der unendlichen Semiose nach Peirce24 (Eeo 1984: 1 77, 1 86, 1 92) weit mehr open-endedness als Kittay vertritt; (2) die sprachlichen seman­tischen Felder Kittays auf kulture/le Fe/der (von denen das sprachliche nur eines ist) ausweitet

und damit den Rahmen für den kognitiven Gewinn durch Metaphern « <metafora co me

strumento di conoscenza additivll» , ib. : 1 43) sehr weit steckt (ebensoweit wie Ricceurs

textes) .

La metafora trae invece l'idea di una connessione possibile dali'interno del circolo della se­miosi illimitata, anche se la nuova connessione ristruttura 10 stesso circolo nelle sue con­nessioni strutturanti . . .

Quando fmalmente le metafore s i trasformano in conoscenza, hanno ormai compiuto il loro circolo. Si catacresizzano. Il campo si e ristrutturato, la semiosi si e riassestata, la metafora e diventata (da invenzione che era) cultura. (Eeo 1971 : 1 1 9s .)

Kultur wird als semiotischer Prozeß verstanden, der von der Möglichkeit der <<.Aufpfrop­

fung» neuer Inhalte auf Zeichen lebt. Insofern dient dem Prozeß der kulturellen Ent­

wicklung oder Differenzierung derselbe Mechanismus der Zusammenführung von Ähn­

lichkeiten in verschiedenen semantischen Feldern (bzw. kulturellen Teilfeldern) , wie er

der Metapher zugrundeliegt: « . . . a sign vehicle constitutes the starting point of a sort of

semantic tree made by imaginary arrows branching into different positions in a number

of semantic fields or axes . . . » (Eeo 1 973:65) . Die metaphorische Verkettung und Ver­

zweigung25 illustriert dies am Beispiel von Melvilles Moby Dick.

As a sign vehicle /whale/ denotes a cultural unit, the most conventional, such as fixed by any dictionary . . . As a cultural unit denoted by the sign vehicle, <<whale» refers connotatively back to other units in different semantic fields: monster, Devil, Hell. But note that this kind of relationship does not belong to the sign vehicle /whale/ as an English word; the connotative relationship belongs to the semantic unit 'whale' which could be expressed just as well by the Latin word / cetus/ or the Italian word /balena/. (ECG 1 973:67)

23 Cf. ECG 1 97 1 : 1 04, 1 973:59ss . und 1 975:25-28, 82-85. Die serie associatives: sind paradigmati­sche Reihen, die sich entlang von Ähnlichkeiten auf signifiant- oder auf signifie-Ebene entwickeln (cf. SAUSSURE, Cours 1 :276-89, WUNDERLI 1 972a:96ss.) .

24 « Symbols grow. They co me into being by development out of other signs . . . In use and experience, its [the symbol's] meaning grows . . . [A sign is . . . ] Anything which determines so me­thing else (its interpretan!) to refer to an object to which itself refers (its objec!) in the same way, the interpretant becoming in turn a sign, and so on ad infinitum.» (PEJRCE, EL:§302s.) .

25 Eco verbildlicht den Prozeß als « Kette» (ECG 1 97 1 :96) , «Spirale» (ECG 1 973 :71) , «multi­dimensionales Labyrinthl) (ib.:66) oder « sich verzweigenden Baum» (ECG 1984:94ss . , 1 84ss.) . Dabei wird nicht immer klar zwischen Metonymie und Metapher unterschieden (z .B. ECG 1 971 : 1 1 Oss . , 1 975:351 s . , 1 984: 141 ) .

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71

Die semantisch-kognitive Metaphernbetrachtung, die auch von !<:ittay aufgegriffen wird,

lancierte Richards mit der Philosophy of Rhetoric, die nicht mehr zwischen der kognitiven

Absicht des metaphorisierenden Sprechers und dem systematisch-semantischen Prozeß

zwischen Zeichen trennt. <<Avec LA. Richards, nous entrons dans une semantique de la

metaphore qui ignore la dualite d'une theorie des signes et d'une theorie de l'instance du

discours, et qui s'edifie directement sur la these de l'interanimation des mots dans

l'enonciation vive.» (RICCEUR 1 975 : 103) . Mehr noch: Nicht nur trennt Richards nicht

zwischen metaphorischem Zeichen und kognitivem Vorgang, der kognitive Prozeß

steht im Vordergrund. Denken ist metaphorisch, weil es eine « Transaktion» zwischen

verschiedenen Kontexten vollzieht - und deshalb ist die Metapher aus der Sprache nicht

<<wegzudenkerm:

That metaphor is the omnipresent principle of language can be shown by mere observa­tion. We cannot get through three sentences of ordinary fluid discourse without it . . . As it [the subject, for example philosophy] grows more abstract we think increasingly by means of metaphors that we profess not to be relying on. The metaphors we are avoiding steer our thought as much as those we accept. (RTCHARDS 1971 :92)

The traditional theory noticed only a few of the mo des of metaphor . . . And thereby it made metaphor seem to be a verbal matter, a shifting and displacement of words, where­as fundamentally it is a borrowing between and intercourse of thoughts, a trans action be­tween contexts . Thought is metaphoric, and proceeds by comparison, and the metaphors of language derive therefrom. To improve the theory of metaphor we must remember this. (RTCHARDS 1 971 :94)

Richards weitet folglich das Metaphernprinzip vom bloß rhetorischen zum kognitiven

Prinzip aus . Wie für Whorf (cf. 1 .2.2) Sprache das perzeptionsprägende Prinzip ist, ist es

für Richards der Austausch zwischen Konzepten (meanings) , die wiederum sprachlich

determiniert sind. Der Prozeß der Interaktion zwischen meanings ist also der way of worfd­making (Goodman) :

Our world is a projected world . . . The pro ces ses of metaphor in language, the exchanges between the meanings of words which we study in explicit verbal metaphors, are super­imposed upon a perceived world which is itself a product of earlier or unwitting meta­phor . . . (RTCHARDS 1 971 : 1 08s . , cf. ib. : 1 1 6s.)

Richards kognitive Metapherntheorie korreliert mit Kuhns Paradigmen theorie, insofern

sie Metaphern eine grundlegende perzeptive Rolle zuweist (so, wie Kuhn Metaphern

eine paradigmentragende Rolle zuspricht) . Im Gegensatz zu Kuhn scheint Richards

allerdings von einem sukzessiven Ineinandergreifen der Metaphern (superimposing of an earfier metaphor) auszugehen, nicht von einer Unübersetzbarkeit zwischen Paradigmen,

wie Kuhn sie ausarbeitet. Der Prozeß des superimposing wird von Richards nicht näher

ausgeführt. Da er für unsere Untersuchungen zu verschiedenen Metaphern des Baumes

in der Sprachwissenschaft von entscheidender Bedeutung ist, erlauben wir uns, dies

entlang der Begriffe von tenor und vehicfe zu versuchen.

Die Metapher besteht für Richards weder allein im metaphorischen Ausdruck (Figur) noch allein in der metaphorischen Bedeutung, sondern in der Interaktion von zwei

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Hälften (tenor und vehicle) , die zusammen die Metapher konstituieren (cf. HENLE 1 966: 1 77-

81 ) :

We need the word «ffietaphof» for the whole double unit . . . the tenor, as I am calling it . . . [is] the underlying idea or principal subject which the vehicle or figure means. (RICHARDS 1971 :965 .)

. . . the copresence of the vehicle and the tenor results in a meaning . . . which is not attain­able without their interaction . . . the vehicle is not normally a mere embellishment of a tenor which is otherwise unchanged by it but . . . vehicle and tenor in co-operation give a meaning of more varied powers than can be ascribed to either. (ib. : 1 00)

Für die Anwendung der Richardsschen Begriffe auf unser obiges Schema ist also ein

wenig Vorsicht geboten: Zwar stimmt die Zuordnung zu Hjelmslevschen und Kittay­

schen Begriffen grundsätzlich überein, wo Kittay aber bei einem Einbahn-Tranger zwi­

schen vehicle jield und topic domain bleibt, spricht Richards von einer zweiseitigen Kooperati­on.

Was bedeutet dies nun für den Wandel von Metaphern bzw. von Perzeption? Aus

der Dynamik zwischen tenor und vehicle, in der sich eine transaction between contexts voll­

zieht, lassen sich zwei Wege der Entwicklung des world making bzw. der Metaphernent­

wicklung ableiten. (1) Entwickelt sich eine Metapher durch Standardisierung zu einer

lexikalisierten (<unwitting metaphom, so kann sie selbst zum vehicle für die Aufpfropfung

eines neuen tenor werden (superimposiniJ . In Bezug auf unser obiges Metaphernschema

kann man sagen: Es wird eine dritte Ebene eröffnet. Dabei bleibt natürlich die Möglich­

keit (2) unbenommen, daß sich zu einem denotative sign synchron zwei verschiedene Me­

taphern bzw. zwei verschiedene tenors entwickeln (ein metaphorical content" und ein metapho­rical contentb) , von denen sich diachron nur eine Variante durchsetzt. - Damit schließt

sich der Kreis zwischen diachroner Metapherntheorie (Metapher als Medium des Sprach­

wandels; Paul, Breal) und kognitiver Metapherntheorie (Metapher als Medium des Er­

kenntniswandels auf individueller und paradigmatischer Ebene) .

Black und Richards gelten gemeinhin als die Vertreter der Interaktionstheorie. Beide

vertreten gleichermaßen das Kriterium der interaktiven open-endedness von metaphori­

schen Prozessen, wie wir sie eben geschildert haben. Ihre Konzeptionen unterschieden

sich nur in Gewichtungen. So betont der frühe Black beispielsweise mehr die situativ­

pragmatische Komponente metaphorischer Kontexte:

There are indefinitely many contexts [= frames, S.R.] . . . where the meaning of a meta­phorical expression [= Jocus, S.R.] has to be reconstructed from the speaker's intentions (and other clues) because the broad mies of standard usage are too general to supply the information needed . . .

. . . There i s accordingly a sense of «metaphof» that belongs to «pragmatics» , rather than to «semanties» - and this sense may be the one most deserving of attention. (BLACK 1 955 :277s. , cE. auch ib. :286)

Wie Richards geht Black von einem interplay between focus and frame (BLACK 1 955 :276) aus .

Das subsidiary subject mit seinem set of associated commonplaces «ftltert» den Leser/Hörer­

Blick auf das principal subject (BLACK 1955:286s . , 1 962:40-42) - In unserer Beispielmeta­

pher (<Männer sind Wölfe» ftltert also das subsidiary subject «Wölfe» und das damit ver-

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bundene set of commonplaces ('Raubtiere', 'Rudeltiere' , etc.) den Blick auf das principal subject «Männe!». - Wo Richards allerdings einen umfassenden kognitiv-paradigmatischen Per­

zeptionwandel sieht, ist Black zurückhaltender. Der frühe Black spricht lediglich davon,

daß Metaphern die von ihnen verwendeten sets of commonplaces nicht unverändert lassen,

sondern shifts bzw. extensions of meaning bewirkten (BLACK 1 955 :289) . Für den späteren

Black rückt zwar die distinctive intellectual operation (BLACI( 1962:46) , der flash of insight des

metaphorical thought (BLACK 1 993:31) und damit die kognitive Funktion der Metapher

mehr und mehr in den Vordergrund:

We need metaphors in just the cases when there can be no question as yet of the preci­sion of scientific statement. Metaphorical statement is not a substitute for a formal com­parison or any other kind of literal statement, but has its own distinctive capacities and achievements . . . metaphor [rather, S .R.] creates similarity than . . . it formulates some simi­larity antecedently existing. (BLACK 1 962:37)

. . . [metaphors] can sometimes function as cognitive instruments through which their us­ers can achieve novel views of a domain of reference. (BLACK 1 993:38) .

Gleichwohl verwahrt er sich gegen eine Ausweitung der Metapherntheorie zu einer «pa­

radigmatischen Kognitionstheorie», wenn er sich u.a. von Ricceur distanziert:

Although I am on the side of the appreciators, who dweil upon what Empson and Ricreur cail <<vita!» metaphors, I think their opponents (typicaily philosophers, scientists, mathematicians, and logicians) are right in asking for less <<vita!» or less «creative» meta­phors to be considered. It may weil be a mistaken strategy to treat profound metaphors as paradigms. (BLACK 1 993:21)

Wie Kittay lehnt Black also die Übertragung metaphorischer Mechanismen auf para­

digmatische Größen ab. Beiden tendieren mehr dazu, metaphorische Prozesse an se­

mantisch-pragmatische Größen zu binden, und damit «systematisierba!» zu machen, als

dies bei Richards der Fall zu sein scheint (wobei man natürlich nicht außer Acht lassen

darf, daß Richards in den 30er Jahren publizierte und in seiner Vorreiterroile naturge­

mäß noch keine weiterreichenden, auf ein Metaphernsystem abzielende Vorschläge ma­

chen mußte oder konnte) . Weil aber der späte Black immerhin dazu neigt, die kognitive

Funktion der Metapher auch für die Wissenschaft anzuerkennen und damit die mit ihr

verbundene Unschärfe - die sich im nicht paraphrasierbaren flash of insight und in den un­

berechenbaren Rückwirkungen auf das Feld des subsidiary subject äußert - mehr zu beto­

nen, haben wir ihn hier dennoch zwischen den Polen «Systematisierbarkeio> und «Nicht­

Systematisierbarkeio> näher an den zweiten Pol gerückt.

Auch Ricceurs Metapherntheorie baut auf dem Interaktionsprinzip und der kontex­

tuellen Einbettung der Metaphern auf - in Anlehnung an Richards, an Benvenistes

semantique de la phrase bzw. semantique du discours und an Austins locution26. Die Begründung

dafür, warum Metaphern als kontextuell-syntagmatisch zu sehen seien, und nicht als

paradigmatisch und damit einem semantischen Substitutionsprinzip folgend, liegt nach

Ricreur begründet in der Wesensverwandtschaft von referentiellem Akt des Sprechens

26 Zum diskursiven Charakter der Metapher cf. RICCEUR 1 975 :89-92, 96s . , 229 und 1 972:96s. ; BENVENISTE 1 966: 1 23 und AUSTIN 1962:94.

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74

und metaphorischer «Sinnkreation» . Im Sprechakt wird das durch das paradigmatische

System definierte signifti überschritten, indem in der Interaktion von Sprecher und Hörer

(inclusive situativem Kontext) auf einen außersprachlichen Referenten verwiesen wird. In

der Metapher wird die Systembedeutung (= wörtliche Bedeutung) des subsidiary suo/ect überschritten, indem durch die Interaktion zwischen subsidiary und pnncipal suiject (tran­saction entre contextes, RrCCEUR 1 975 : 1 05) auf eine neue Bedeutung verwiesen wird, die erst

im metaphorischen Kontext entstehen konnte.

Les relations paradigmatiques (principalement les flexions, les derivations, etc.) concer­nent les signes dans le systeme; elles sont donc d'ordre semiotique . . . En revanche, Je syn­tagme est le nom meme de la forme specifique dans laquelle s'accomplit le sens de la phrase. Ce trait est capital pour notre enquete: car si le paradigme est semiotique et le syn­tagme semantique, alors la substition, loi paradigmatique, est a mettre du cote du semioti­que . . . C'est en effet comme syntagme que renonce metaphorique devra etre considere, s'i! est vrai que reffet de sens resulte d'une certaine action que les mots exercent les uns sur les autres dans la phrase. (RICCEUR 1 975 :99s .) . . . c'est du cote des liaisons syntagmatiques insolites, des combinaisons neuves et pure­ment contextuelles, qu'i! faut chercher le secret de la metaphore. (ib. :230)

Beiden Prozessen liegt damit gleichermaßen eine Interaktion und ein «Heraustreten aus

dem Rahmen» zugrunde. Die Metapher müsse deshalb als eine «forme constitutive du

langage» gesehen werden, die mot und phrase/ discours gleichermaßen umfaßt (RrCCEUR 1 975 : 1 04, 1 972:98) . Dabei unterscheidet sein Text- bzw. Diskursbegriff, anders als

Blacks context, Kontexte eines inonci mitaphorique (RrCCEUR 1 972:94) weder nach ihrem

Umfang (ib. :97) noch danach, ob die Textualität eine schriftliche oder mündliche ist

(ib. :93) , so daß schließlich die Metapher zur paradigmatischen Grundstruktur jeder Text­

interpretation erhoben wird: « . . . la comprehension d'un texte . . . est rigoureusement

l'homologue de la comprehension d'un enonce metaphorique.» (RrCCEUR 1 972: 1 05) .

Von hier bis zur Übertragung des Interaktionsmechanismus der Metapher auf wissen­

schaftliche Hypothesen, Theorien und Paradigmen als «Texte» ist es nur ein kleiner

Schritt. Ricceur vollzieht ihn, indem er ein allgemein-kognitives lien entre imagination et mitaphore (RrCCEUR 1 972: 1 1 2, 1 978 :1 58s .) parallel setzt mit der epistemologischen Di­

mension wissenschaftlicher Vorstellung.

L'argument central est que la müaphore est au langage poetique ce que le modele est au langage scientifique quant a la relation au ree!. Or, dans le langage scientifique, le modele est essentiellement un instrument heuristique qui vise, par le moyen de Ja fiction, a briser une interpretation inadequate et a frayer la voie a une interpretation nouvelle plus ade­quate. (RICCEUR 1 975 :302)

Insofern können wir Ricceur hier als Legitimation zu unseren Ausführungen zur Struk­

turverwandtschaft von Paradigma und Metapher in 1 .2.2 nachreichen.

Insgesamt neigt Ricceur wenig dazu, eine Systematisierbarkeit von metaphorischen

Prozessen anzunehmen. Zwar akzeptiert er, daß konventionalisierte (systemhafte) sets of commonplaces am metaphorischen Effekt beteiligt sind, dennoch will er Metaphorizität

nicht auf « typische Assoziationen» reduziert sehen (RrCCEUR 1 975 : 1 54) . Zwar räumt er

ein, daß die Sinneffekte einer Metapher wiederholbar sind (RrCCEUR 1 972:99) , und den-

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75

noch rückt er das asystematische, durch die Interaktion entstehende Innovationsmo­

ment und die torsion metaphorique stärker in den Vordergrund (ib. : l 03s .) .

2.2.3 Metapher «ohne wörtliche Bedeutung», aber mit Ausrufezeichen

Aus einer ganz anderen Richtung kommt schließlich eine Metapherntheorie, die noch

weit mehr einer Nicht-Systematisierbarkeit der Metapher zuneigt, als dies bei Ricceur

oder Eco der Fall ist: aus der Sprechakttheorie Searles und ihrer Fortführung im Prag­

matismus Davidsons. Während Ricceur immerhin noch an einer Identifizierbarkeit und

Wiederholbarkeit der Metapher festhält, sowie an ihrer prinzipiellen Gebundenheit an

kontextuelle Felder, plädiert die Sprechakttheorie Searles gerade gegen eine Bindung

metaphorischer Bedeutung an eine sprachsystematisch gegebene Grund- oder «wörtli­

che» Bedeutung (literal meaning, denotative meaning, vehicle, subsidiary subject) .

Comparison theories assert that metaphorical utterances involve a comparison or similarity between two or more objects . . . and semantic interaction theories claim that metaphor in­volves a verbal opposition (Beardsley . . . ) or interaction (Black . . . ) between two semantic contents, that of the expression used metaphorically, and that of the surrounding literal context. I think that both of these theories . . . are in various ways inadequate . . . (SEARLE 1 993:90)

Searle fordert daher eine strikte Trennung zwischen sentence meaning und utterance meaning (= speaker's meaning, SEARLE 1 993:84) . Im «Normalfalli> einer Äußerung, einer ernsthaf­

ten Aussage, fallen sentence meaning und dessen « Wahrheitsbedingungem>27 mit der Inten­

tion des Sprechers zusammen. Im Falle der metaphorischen Äußerung, die apodiktisch

den nicht-ernsthaften, ironischen etc. Äußerung zugeschlagen wird, klaffen sie ausein­

ander. Die Metapher hat ausschließlich eine intentionale Bedeutung, die von jedem semanti­

schen (wörtlichen) Grundgehalt losgelöst ist: <<Metaphorical meaning is always speaker's

utterance meaning.» (SEARLE 1 993:84) . Die Loslösung vom semantischen Grundgehalt bzw. das Auseinanderklaffen von sen­

tence meaning und utterance meaning zeigt sich nach Searle darin, (1) daß der Empfanger der Äußerung zunächst versucht, die Äußerung wörtlich zu verstehen, damit aber scheitert:

« . . . the utterance is obviously defective if taken literally» (SEARLE 1 993:1 08) und (2)

darin, daß Paraphrasierungen von Metaphern immer unbefriedigend bleiben (SEARLE

1 993:87) . Daß metaphorische Sätze trotzdem verstanden werden können, liege in einer Überschneidung der Strategien von Sprecher und Hörer begründet, die es ihnen ermögli­

che, « to restriet the range of possible values of R [metaphorical statement, S.R.] to the

actual value of R» (SEARLE 1 993 :1 08) . Hier beißt sich freilich die Katze in den Schwanz:

Sobald Searle von possible values und ihrer Reduzierung spricht, beruft er sich im Grunde

wie die Interaktionstheorie oder Kittay auf die sinnstiftende Funktion semantischer Fel­

der oder Kontexte. Seine Behauptung, <<in metaphor there is never a change of mea­

ning» (SEARLE 1 993:90) wird mindestens fragwürdig, wenn einerseits von einer Reduzie-

27 In diesem Punkt zeigt sich die Inkonsequenz der Searleschen Argumentation. Zwar räumt er ein, daß diese Wahrheits bedingungen abhängig von « background assumptions» seien. Zugleich diese « background assumptions» aber «flot part of the semantic content of the sen­tence» sein (SEARLE 1 993:87). AUSTIN 1 961 :89s . ist hier sehr viel differenzierter und vorsichti­ger.

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rung von values die Rede ist (was weniger als Interaktion bedeutet) , andererseits von

einer rein illokutionär entstehenden utterance meaning ausgegangen wird (was weit j enseits

der Interaktion liegt) . Kurzum: Seades Metapherntheorie vermag aufgrund ihrer Wider­

spruchlichkeit nicht ganz zu überzeugen.

Insofern als Seade versucht, die Koppelung der metaphorischen an die wörtliche Be­

deutung bzw. deren Umfeld durchzustreichen, kann seine Metapherntheorie zu derjeni­

gen Gruppe gezählt werden, die wir eingangs mit dem Etikett «no literal meaning»­

Theorien versehen haben, weil sie metaphorische Bedeutung als vom wörtlichen Gehalt

unabhängige momentane Bedeutung präsentieren.

Daß die Nicht-Einlösbarkeit der wörtlichen Bedeutung ein Stolperstein ist, der den

hermeneutischen Willen zur Suche nach einer anderen Bedeutung anstachelt (cf. 1 .2.3),

wird übrigens in den meisten Metapherntheorien thematisiert (cf. BECI<MANN 2001 :37-

50) . Ebensowenig neu ist die Anerkenntnis der eingeschränkten Paraphrasierungsmög­

lichkeit.

Davidson greift Seades Modell auf, radikalisiert es und wendet es in einem Kunstgriff

erkenntnistheoretisch um (während bei Seade eine kognitive Komponente völlig fehlt) .

Extremer noch als Seade pocht Davidson darauf, daß Metaphern nicht paraphrasierbar

sind (DAVIDSON 1 978:32) . Noch konsequenter als Seade postuliert Davidson, daß me­

taphorische Ausdrucke nur eine wörtliche Bedeutung haben: «The central mistake

against which I shall be inveighing is the idea that a metaphor has, in addition to its lit­

eral sense or meaning, another sense or meaning.» (ib.) , und daß der Effekt der

Metapher j enseits der Semantik, nämlich ausschließlich im domain of use liege: «I depend

on the distinction between what words mean and what they are used to do. I think

metaphor belongs exclusively to the domain of use.» (ib. :33) .

Warum öffnen wir für Davidson eine Schublade namens «no literal meaning-Theorie»,

wenn er doch behauptet, daß Metaphern ausschließlich wörtliche Bedeutung hätten? Die

Berechtigung liegt in meinen Augen darin, daß Davidson den Begriff metaphor für zwei

verschiedene Dinge verwendet. (1) Im Satz «metaphor has only literal sense or meaning»

bedeutet metaphor 'metaphorischer Ausdruck' ('denotative expression' nach Hjelmlev) ,

sense or meaning bedeutet 'literal meaning' ('denotative meaning' nach Hjelmslev bzw.

'sentence meaning' nach Seade) . (2) Dagegen muß metaphor im Satz « metaphor belongs

to the domain of use» offensichtlich als komplexere Einheit verstanden werden, die sich

aus einem metaphorischen Ausdruck und einer (wie auch immer gearteten) pragmati­

schen Wirkung zusammensetzt. Nur die Variante 2 bezeichnet das, was eigentlich unter

Metapher verstanden werden muß. Von der Warte der Variante 2 aus wird aber nachträg­

lich das literal meaning als relevante Komponente der Metapher durchgestrichen. Die

wörtliche Bedeutung und ihre Nicht-Einlösbarkeit ist nämlich (wieder einmal) nur An­

stoß für den eigentlichen metaphorischen Effekt: « Generally it is only when a sentence

is taken to be false that we accept it as metaphor and start to hunt for the hidden impli­

cation»28. Da die wörtliche Bedeutung also nur die Funktion einer Initialzündung hat,

28 DA VIDSON 1 978:42, cf. auch MARTINICH 1984:40-45. Deshalb sei die Metapher nicht von der Lüge zu unterscheiden (DAVIDSON 1 978:43) . Davidson positioniert sich damit konträr zu Nietzsches Philosophie der Lüge, nach der es keine «unwahren Aussage!1» geben kann, weil alle Begriffe konventionell sind und deshalb per se keinen absoluten Wahrheitsgehalt transportieren (NIETZSCHE, 1VL:371 s .) . Cf. auch WEINRICH 1 966:47: ,<Wir belügen niemanden, wenn wir bild­lich rede!1» . - Eine andere Auflösung der Opposition «eigentliche Bedeutung VS. Meta-

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am eigentlichen metaphorischen Effekt aber nicht beteiligt ist29, scheint es mir berech­

tigt, Davidsons Modell als «no literal meaning»-Modell zu benennen.

Davidsons beschreibt damit, ähnlich wie Hegel, die Wirkung einer Metapher als

Dreiecksbewegung: (1) ein metaphorischer Ausdruck wird wörtlich interpretiert; (2) die

wörtliche Interpretation stellt sich als falsch heraus und löst deshalb die <0 agd nach der

verborgenen Implikation» aus ; (3) der solchermaßen gefundene Sinn hat nichts mehr

mit dem wörtlichen Sinn gemein, kann aber wiederum versprachlicht werden. Diese

Versprachlichung entspricht nach Davidson zwar dem, was andere Metapherntheorien

als metaphorical content bezeichnen. Für Davidson selbst liegt der eigentliche metaphori­

sche Effekt aber vor diesem Stadium, nämlich darin, <<What metaphors make us notice»

(dies kann man vermutlich im Bereich 2 ansiedeln) .

Metaphor does lead us to notice what might not otherwise be noticed, and there is no reason, I suppose, not to say these visions, thoughts, and feelings inspired by metaphor, are true or false. (DA VIDSON 1 978:41)

. . . in fact there is no limit to what metaphor calls to our attention, and much of what we are caused to notice is not propositional in character . . .

. . . Seeing as is not seeing that. Metaphor makes us see one thing as another by making some literal statement that inspires or prompts insight. Since in most cases what the me­taphor prompts or inspires is not entirely, or even at all, recognition of some truth or fact, the attempt to give literal expression to the content of the metaphor is simply misguided. (ib. :46s.)

Damit ist Davidsons Metapherntheorie antisemantisch, denkbar wenig an einer Syste­

matisierung metaphorischer Effekte interessiert, und dennoch findig erkenntnistheore­

tisch gewendet. Innerhalb des Pragmatismus übernimmt Rorty diese Metaphernkonzep­

tion für den Blick auf die Erkenntnisentwicklung. Er begründet den Erkenntnisfort­

schritt im punktuellen Einbruch des Irrationalen und in einer damit einhergehenden

Offenheit aller an der Erkenntnis beteiligten Systeme:

... to think of metaphor as a third source of beliefs [perception and inference being the others, S .R.) . . . is to !hink of language, logical space, and the realm of possibility, as open-ended . . . .

. . . A metaphor is, so to speak, a voice from outside logical space, rather than an em­pirical filling-up of a portion of that space, or a logical-philosophical clarification of the structure of that space. It is a call to change one's language and one's life, rather than a proposal ab out how to systematize either. (RORTI 1 991b : 12s.)

Mit der Metaphorologie der pragmatischen Wissenschafts- und Erkenntnisthoerie ist

man dem Pol der Nicht-Systematisierbarkeit denkbar nahe gekommen.

Für unsere Darstellung werden wir an einer Metaphernsicht festhalten, wie wir sie

vorgreifend in 1 .2.2 und 1 .2 .3 skizziert haben: (1) Die Metapher als ein dialektischer

pher/Lüge» schlägt die Pragmatik im Anschluß an Grice vor; cf. z.B. GRlCE 1 975 :50ss. zur COl1-versatiol1al implicattlre und SPERBER/WILSON 1 985s . : 1 58, 1 66 zum Kontinuum von literal talk -loose talk - metaphorical talk. Einen Syntheseversuch Zwischen pragmatischer und kognitiver Me­tapherntheorie versucht MATOS AMARAL 2000.

29 Cf. die Kritik von GOODMAN 1 984:71 -77.

Page 80: Die Wiederkehr Der Bilder

78

Mechanismus von Rationalität und Non-Rationalität, der sich auch auf größere Zusam­

menhänge wie Paradigmen aufgrund der strukturellen Wesensverwandtschaft übertra­

gen läßt. (2) Berücksichtigung der Offenheit kognitiv-semantischer oder paradigmati­

scher Systeme (Rorty) - der epistemologische Wert der Metapher ist also mehr als eine

unidirektionale «expansion of available sirnilarity features» (ROTHBART 1 984:6 1 1) . (3)

Bewahrung des Anspruchs auf Systematisierbarkeit von Sinnveränderungen in sprachli­

chen Metaphern (Richards, Black, Kittay) sowie in größeren Kontexten (Ricceur, Eco)

wie wissenschaftlichen Paradigmen.

2.3 Metaphorische Konzepte jenseits der Sprache: Kultur, Physis und Gestalt

. . . understanding usually occurs when we can say: «Yes, this is the same thing as . . . «Understanding» then me ans . . . discovering in the wealth of phenomena some under­lying structures, which correspond to fundamental in­nate structures in our conceptual equipment and which therefore enable us to form concepts. (HEISENBERG, CU:338)

Bei unserem Gang durch die Wirkungsweise der Metapher sowie durch die Metaphern­

theorien verschiedener Richtungen haben wir bisher weitestgehend so getan, als sei es

eine Selbstverständlichkeit, Metaphern verschiedener Dimensionen (spontan-alltags­

sprachliche, wissenschafts sprachliche, paradigmatische) als sprachlich zu betrachten. Zwar

haben wir uns von rein rhetorischen Betrachtungen (Metapher als Stilmittel und damit

sprachliche Marginalie) distanziert und uns über die Semantik (Metapher als diachron

und synchron omnipräsente Eigenschaft der Sprache) auf kognitive Betrachtungen

(sprachliche Metapher als Erkenntnismittel) zubewegt.

Den zweiten Schritt aber, nämlich die grundlegende Sprachlichkeit von Metaphern und

Erkenntnis in Frage zu stellen, haben wir bislang noch nicht getan. Unsere bisherigen Überlegungen haben dies auch nicht erfordert, da die Behauptung <<Metapher und Er­

kenntnis sind sprachlich» ihnen nicht widerspricht. Würden wir es dabei belassen, droh­

te zwar kein argumentativer Konflikt (schon gar nicht in einer sprachwissenschaftlich

orientierten Arbeit) , dennoch hätten wir drei wesentliche Faktoren des Erkenntnisge­

winns außer acht gelassen: kulturelle Erfahrung, physische Erfahrung und visuelle Ge­

staltwahrnehmung - vor allem aber gerieten wir spätestens dann in einen Begründungs­

notstand, wenn wir den visuellen Baumbildern, um die es insbesondere im «praktischem>

Teil (Kap. 3-6) vorrangig gehen wird, den gleichen fundamentalen Status für Erkenntnis

und Paradigma zuschreiben. Der Visualität wird deshalb im Folgenden besonders brei­

ter Raum eingeräumt werden.

Page 81: Die Wiederkehr Der Bilder

2.3.1 «Metaphors we live by»

79

Ein Nervenreiz zuerst übertragen in ein Bild! erste Me­tapher. Das Bild wieder nachgeformt in einem Laut! Zweite Metapher. Und jedesmal vollständiges Über­springen der Sphäre, mitten hinein in eine ganz andere und neue. (NIETZSCHE, WL:373)

Kulturelle Erfahrung als Faktor von Erkenntnisgewinn haben wir bislang insofern nicht

ganz übergangen, als Sprache natürlich immer auch sozial-kulturelle Konvention ist. -

Darauf berufen sich die erwähnte Wortfeldtheorie (Ipsen, Trier, Weisgerber) bzw. die

Bildfeldtheorie Weinrichs. Auf außersprachliche kulturelle Konventionen sind wir be­

reits mit Pauls «Vorstellungskreisen, die in einem Volke besonders mächtig sind» zu

sprechen gekommen (2.2) . Diese humboldtianische Konzeption wird von Lakoff und

Johnson wieder aufgegriffen und auf ein kulturelles Werte,rystem hin präzisiert, sowie um

die sensualistische Komponente eines experientiellen, physischen Werte,rystems erweitert. Bei­

de Systeme stehen in Relation zu metaphorischen sprachlichen Feldern. - Zwar sprechen

Lakoff/Johnson nicht von Feld, ihre Darstellung eines coherent ,rystem läßt aber die Über­

tragung des Feldbegriffes durchaus legitim erscheinen: « . . . metaphorical entailments can

characterize a coherent system of metaphorical concepts and a corresponding coherent

system of metaphorical expressions for those concepts.» (LAKOFF/JOHNSON 198 1 :292,

cf. ib. : 3 19) . Dabei wird Metapher weder als poetisch-imaginativ noch als spontan-kognitiv

verstanden, sondern als eine metaphor of literal language, d.h. eine konventionalisierte und

etablierte (<<tote») Metapher (LAKOFF/JOHNSON 1 980:53 und 1 981 :286, 307ss.) .

Lakoff/Johnson sehen zwei Grundtypen solcher Metaphernfelder: (1) Metaphernfel­

der, die in rein arbiträrer Relation zu kulturellen Wertefeldern stehen, (2) Metaphernfel­

der, die ein System physischer bzw. basis-konzeptueller Werte mit kulturellen Werten

koppeln, und insofern nur teilweise arbiträr sind.

Die arbiträre Korrelation kultureller Werte mit einem Metaphernfeld (1) läßt sich an

Feldern wie TIME IS MONEY oder ARGUMENT IS WAR beobachten. Zu letzterem Feld

gehören beispielsweise die entailments «)Tour claims are indefensiblD>, «he attacked a weak

point in my argument», «l never won an argument with hinl» ete. Die Archi-Metapher

und das sich aus ihr ergebende Feld abgeleiteter Metaphern sind structural metaphors (LA­KOFF/JOHNSON 1 980:61 ss .) , weil sie unsere Kultur bis hin zu unserem Verhalten und

umgekehrt strukturieren.

It is important to see that we don't just talk about arguments in terms of war. We can ac­tually win or lose arguments . . . It is in this sense that we live by the ARGUMENT IS WAR metaphor in this culture; it structures the actions we perform in arguing .

. . . Imagine a culture where an argument is viewed as a dance, with the participants as performers, and the goal being to perform in a balanced and aesthetic way. In such a cul­ture, people would view arguments differently, experience them differently, carry them out differently, and talk about them differently. (LAKOFF/JOHNSON 1981 :288)

Page 82: Die Wiederkehr Der Bilder

80

(2) Im Gegensatz zu kulturellen (oder auch sprachlichen) Werten, deren Strukturierung

bereits metaphorisch (<<argument is wam) erfolgt, sind on'entational concepts wie oben:unten, vorne:hinten, außen:innen, nahfern nicht arbiträr, weil sie auf einer unmittelbar körperlich­

motorischen Erfahrung beruhen 30. Aus diesem Grund können sie als universell gelten,

und in jedem Falle als sensuelle basic concepts, mit denen wir im wahrsten Sinne des Wor­

tes <Jeben» (LAKOFF/JOHNSON 198 1 : 3 12- 1 7) .

The prime candidates for concepts that are understood directly are the simple spatial concepts, such as UP. Our spatial concept UP arises out of our spatial experience. We have bodies and stand erect. Almost every motor movement that we make involves a mo­tor program that either changes our up-down orientation, maintains it, presupposes it, or takes it into ac count in some way . . . the structure of our spatial concepts emerges from our constant spatial experience, that is, our interaction with our physical environment. Concepts that emerge in this way are concepts that we live by in the most fundamental way. (LAKOFF/]OHNSON 1 980:56s.)

<<Metaphorisch» sind diese Konzepte also nicht im herkömmlichen Sinne der

'Bedeutungsübertragung', 'Konnotation' oder 'Interaktion', sondern weil hier sensorisch

erworbene Konzepte auf sprachliche übertragen werden, also eine echte Begegnung von

Konkretem mit Abstraktem stattfindet. Neben den orientational concepts zählen auch Ge­stalten31 zu den emergent categories, weil sie auf einer prototypischen Wahrnehmung von Fa­

milienähnlichkeiten im Sinne Wittgensteins beruhen .

. . . we wish to identify emergent categories and concepts that are best understood as expe­riential gestalts, which, though decomposable into other elements, are yet basic and irre­ducible in terms of grounding our conceptual system . . .

. . . people categorize objects, not in set-theoretical terms, but in terms of prototypes and family resemblances. (LAKOFF/]OHNSON 1981 :31 5s . , cf. 1 980:69ss.)

Metaphern, die überwiegend32 auf Gestalten wie 'Ursächlichkeit', 'Substanz', 'Objekt',

'Behälter' (cf. LAKOFF/JOHNSON 198 1 :31 6s . und 1 980:25ss . , 58) fussen, werden zu­

nächst teilweise noch «ontologische Metaphern» genannt, der Begriff «prototypisch»

scheint mir jedoch klarer und ist auch derjenige Begriff, der sich durchgesetzt hat (LA­KOFF 1 987:68ss .) . - Was Lakoff und Johnson in ihrem Rahmen nicht berücksichtigen

mußten, sind visuelle Gestalten, die für eine graphische Metaphorizität in Betracht ge­

zogen werden müssen; wir kommen gleich ausführlich auf diesen Punkt zurück. - Je

nach Kultur können nun universelle Konzeptfelder wie orientational concepts, auf verschie­

dene Weise mit kulturellen Werte feldern korrelieren (LAKOFF /J OHNSON 1 980: 1 4-24

und 1 981 :300-02) . So gilt beispielsweise in unserer westlichen Kultur die Zuordnung

oben = besser, mehr (<<er ist wieder oben aUD>, «er steht ganz oben auf der Gehaltsliste») im

Gegensatz zu unten = schlechter, weniger (<<er ist am Boden zerstört», «sein Puls ist ganz

30 Cf. MERLEAU-PONTY 1 945: 1 1 4- 1 9, 281-91 zum schema corpore/und zur Raumerfahrung. 31 Zum übersummativen Charakter von Gestalten cf. EHREN FELS 1 967 :12 , 21 s . ; WERTHEI­

MER 199 1 : 3 1 ; MERLEAU-PONTY 1 945:20s. Zur Gestalttheorie, auf die hier nur bruchstückhaft eingegangen werden kann, cf. u.a. WERTHEIMER 1 963, KÖHLER 197 1 , SMITH (ed.) 1 988.

32 Nicht immer sind Gestaltwahrnehmungen scharf von physisch-motorischen Erfahrungen zu trennen: Beispielsweise wird der eigene Körper als 'Behälter' mit Innen und Außen auch sensorisch erlebt etc. (cf. LAKOFF/]OHNSON 1 980: 29s. , 69ss.)

Page 83: Die Wiederkehr Der Bilder

81

untern» . Innerhalb solcher Metaphernfelder gibt es besonders dominante Metaphern

(major metaphors) , die eine Art zentripetale Kraft ausüben und einen Korrelationswild­

wuchs zwischen kulturellen und physischen Konzepten bremsen. Beispielsweise hätte

die «happy is up»-Metapher ebensogut zu einer «happy is wide»-Metapher geraten kön­

nen auf grund der Erfahrung, daß man in glücklichem Zustand lächelt, der Mund also

breit wird. Ein Kohärenzzwang (LAKOFF/jOHNSON 1 980: 1 8s . , 41 ss .) bewirkt, daß mög­

lichst viele ähnliche kulturelle Werte einem grundlegenden Metaphernfeld eingepaßt

werden (cf. ROSCH 1 978:29) . Dieser Kohärenzzwang wird dadurch unterstützt, daß phy­

sische oder Gestalt-Erfahrungen selbst bereits mehr oder weniger kulturell geprägt sind

(LAKOFF/jOHNSON 1 980:57, 8 1 ) . Fassen wir zusammen, ergibt sich folgendes Bild:

structural metaphors 33 (arbiträr bzw. konventionell) z.B. «argument is waf»

orientational and protorypical metaphors (teilweise motiviert) z .B. <<happy is up»; «there is a lot of oil in Texas»

t .-----__ ----'t� cultural concepts z.B. 'argument', 'war' 'happiness', 'sadness'

1 «kulturelle Erfahrung» »

orientational concepts z.B. 'up': 'down', 'front': 'back'

t physisch-motorische Wahrnehmung

protorypical concepts34 z.B. 'causality', 'entity', 'object', (substance' , {container'

t prototypische Gestalt-Wahrnehmung

Der Großteil unserer kognitiven Konzepte ist nach LAKOFF/jOHNSON 1 98 1 :3 12 meta­

phorisch strukturiert. In dieser Form schließt sich das Autorenteam der uralten, aber

deshalb nicht falschen These an, daß das Abstrakte über das Gegenständliche verstan­

den wird: « . . . we typically conceptualize the nonphysical in terms of the physical - or the

less clearly delineated in terms of the more clearly delineateci» (ib. : 3 14) . Metaphorisches

Verstehen, und evtl. Verstehen überhaupt, ist damit aber auch ein perspektivisches high­lighting and hiding (d.h. es ist im Whorfschen Sinne relativ, cf. LAKOFF/jOHNSON 1 981 :292) : Wenn das Konzept 'Liebe' über das Konzept 'gemeinsames Kunstwerk' ver­

standen wird, verhindert dies ein anderes Verständnis von 'Liebe', ermöglicht dafür aber

die Übertragung des Konzeptes 'Liebe' möglicherweise auch auf andere Konzepte und

so eine Erweiterung der Kohärenz von Erfahrungen, Konzepten und Metaphern.

33 Der Einfachheit halber lassen wir cliejenigen structural metaphors beiseite, clie sich auf orienta­tional oder protorypical metaphors gründen, wie <<ideas are foom> sich auf <<ideas are objects» (protory­pica� und «the mind is a containef» (protorypical und orientationa� gründet, cf. LAKOFF /J OHNSON 1 980: 1 52.

34 Bei Kant sind clies clie synthetische Urteile gerade ohne zugrundeliegendes Erfahrungsurteil (KANT, KrV:46s. [B1 2s.]) .

Page 84: Die Wiederkehr Der Bilder

82

It is this sfructural similarity between the two ranges of experience �ove and collaborative work of art] that allows you to jind coherence in the range of highlighted love experiences [highlighted by the metaphor <<love is a collaborative work of arD>] . Corresponclingly, it is by virtue of the metaphor that the highlighted range of experiences is picked out as being coherent. Without the metaphor, this range of experiences does not exist for you as being an identifiable and coherent set of experiences . . .

Moreover, the metaphor, by virtue of giving coherent structure to a range of our ex­periences, creates similarities of a new kind. (LAKOFF IJ OHNSON 1 980 :1 50s.)

Das heißt, neue Kohärenzen entstehen um den Preis eines Bruches oder einer Leerstelle

und von daher in einem dialektischen Spiel von <<illuminierender» Rationalität und «ver­

dunkelnder» Nonrationalität. l'vIit einer objektivistischen Kognitions- oder Sprachtheorie

ist das metaphorische Modell freilich nicht zu vereinbaren: « . . . metaphoric and meto­

nymie models do not fit into the objectivist framework, since they are matters of under­

standing and do not correspond to anything in an objectivist universe.» (LAKOFF

1 987:204) .

2.3.2 Denken in Bildern: visuelle Prototypen vs. visuelle Metaphern

Si la perception que j 'ai d'arbre est bien fixee & delimi­tee, on ne saurait en rien retrancher sans la detruire. Si elle n'est composee que d'itendtle, jigtlre & verdeur, & que je la depouille de verdeur & jigure, il ne restera qu'une per­ception vague d'etendue. (MAUPERTUIS, Reflexions philo.rrJphiques sur f'origine des lan­gues ef la signijication des mots)

Obwohl man Lakoffs und Johnsons Perspektivenerweiterung für kognitive Konzepte

nur zustimmen kann, bleibt ihre Ausarbeitung der Gestalt-Komponente relativ roh: Die

Beispiele für Gestalten wie 'Kausalität', 'Entität' etc. entstammen vorwiegend dem Be­

reich der Logik und damit einem Bereich, dessen Konzepte weder im kulturellen noch

im physisch-motorisch basierten Wertesystem unterzubringen sind (bzw. in Korrelation

zu setzen sind) . Das legt den Verdacht nahe, daß hier die Rubrik Gestalten bzw. prototypi­sche Konzepte als Sammelschublade für abstrakte Konzepte dient, die weder mit Vorstel­lungskreisen a la Humboldt noch mit sensations a la Locke erklärbar scheinen. Dies ist

durchaus nicht ehrenrührig. Für eine Untersuchung des « Baumes» in der Linguistik, die

sich nicht nur mit sprachlichen Metaphern, sondern vor allem mit visuellen Bildern be­

schäftigen soll, bleibt aber die Frage: Wo können visuelle Konzepte in diesem Schema

untergebracht werden?

Eine recht annehmbare Lösung besteht zunächst darin, die prototypische visuelle

Gestaltwahrnehmung und Konzeptbildung parallel zur Bildung von orientational concepts zu setzen35 und damit die prototypical concepts von Lakoff/Johnson (cf. Schema oben) zu

erweitern. Visuelle Konzepte solchermaßen neben motorische zu stellen, bedeutet: Vi­

suelle Konzepte finden (wie orientational concepts) eine Korrelation in sprachlichen Konzep­

ten und damit verknüpften literal metaphors (eventuell auch eine zusätzliche Korrelation

35 Dies wurde bereits von TITCHENER 1 973 : 1 75-78 angedacht.

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83

zu orientational concepts) . Beispielsweise korreliert das visuelle Konzeptpaar 'rund' : 'eckig'

mit den Konzepten durchgehend/geschlossen : unterbrochen/ offin. Dies zeigen etablierte Meta­

phern wie «eine runde Sache» (d.h. 'eine in sich geschlossene Sache') oder «eine kantige Ar­

gumentation» ('eine Argumentation mit Brüchen') . Das visuelle Konzeptpaar 'Zentrum' :

'Peripherie' korreliert mit dem sprachlichen (kulturell bedingten?) Konzeptpaar wichtig : unwichtig und den Orientierungskonzepten innen : außen, nah :fern. Dies zeigen Metaphern

wie «ein zentrales Argumenb>, «der harte Kern der Gruppe» gegenüber «die Mar;ginalie11» , «die Randgruppe» , «wie aus der Umgebung des Ministers verlautet . . . » .

Den Blick zu sehr auf die Korrelation mit sprachlichen (und evtl. auch kulturellen)

Werten zu richten, könnte aber möglicherweise die Eigenständigkeit visueller Konzepte

und visuellen Denkens außer Sicht geraten lassen. Daß diese j edoch als ein entscheidender

Faktor auch für die Metaebene wissenschaftlichen Denkens beachtet werden muß, hat

bereits Toulmin mit seiner Feststellung angemahnt, daß wissenschaftliche Diagramme

keine bloßen deduktiven Ableitungen von Beobachtungssätzen seien:

The logical relation between, for instance, ray-diagrams in geometrical optics and the phenomena they can be used to represent, is a similar one. Here, too, neither can be spo­ken of as being deduced from the other . . . It is rather that the diagrams present all that is contained in the set of observational statements, but do so in a logically novel manner: the aggregate of discrete observations is transformed into a simple and connected picture . . . (TOULMIN 1 960:1 08)

Gerade wenn es darum geht, sehr komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge zu den­

ken und/oder zu formalisieren, wird von jeher gerne auf Bilder zurückgegriffen. Bilder

sind hier nicht nur sekundäre, vereinfachte Darstellungen der «eigentlichen» sprachli­

chen oder mathematischen Formalisierung, sondern gehen mit dieser einher oder ihr

voraus. So antwortete beispielsweise der Physiker Richard P. Feynman, berühmt für

seine Diagramme zu quantenelektrodynamischen Prozessen, auf die Frage nach seiner

Arbeitsweise: «Das ist so, als fragte man einen Tausendfüßler, in welcher Reihenfolge er

seine Füße bewegt - das geschieht schnell, und ich bin nicht ganz sicher, was da in mei­

ne Kopf aufblitzt und vor sich geht. Ich weiß jedenfalls, daß es eine verrückte Mischung

ist aus teilweise gelösten Gleichungen und irgendeiner Art visuellem Bild davon, was der

Gleichung zufolge passiert, aber nicht so deutlich voneinander getrennt wie die Wörter,

die ich gebrauche.» (zit. nach KEMP 2003 : 1 55) .

Die Theorie des visuellen Denkens geht weiter als die Theorie der basiskognitiven

Konzepte von Lakoff und Johnson. Zwar wenden sich auch Lakoff und Johnson mit

der Etablierung von orientational concepts gegen die enge westlichen Tradition, wonach

Abstraktion alleine im sprachlich-logischen Bereich anzusiedeln sei, Perzeption (Wahr­

nehmung) dagegen unausweichlich konkret sei. Dennoch halten sie am Theorem des

Verstehens des Abstrakten über das Konkrete fest; und räumen dem sprachlich­

metaphorischen Wertesystem eine gewisse Sonderstellung ein, indem es als zentrales

Korrelat zu kulturellen und basiskognitiven Konzepten wirkt.

Die Theorie des visuellen Denkens dagegen argumentiert, daß wir nicht nur (sprach­

lich) über Bilder (visual concepts) denken bzw. «konkrete» Bilder nicht bloß Korrelate «ab­

straktem sprachlicher Strukturen sind, sondern daß wir unmittelbar in Bildern denken.

Schon Piaget beschreibt das «anschauliche Denkern> als einen « prälogischen Schematis-

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84

mus», der eine «unvollständige intellektuelle Konstruktion aufbaut» (PIAGET 1 948 :1 84) . Visuelle Perzeption ist untrennbar von der visuellen Konzeptualität (bzw. Prototypen,

die uns das Wiedererkennen ermöglichen) ; Visualität ist also nicht vorrangig konkret

« N erstehen über das Konkrete«) sondern essenziell abstrakt (cf. auch ARNHEIM 1 969 : 1 -1 2)36, wie auch sprachliches Denken. Nach den introspektiven Beobachtungen Titche­

ners kann visual imagery, d.h. das Denken in visual patterns/ schemas auf eine andere Weise

abstrakter und klarer als sprachliche Konzeptualisierung sein, je nach Sachverhalt und

individueller Neigung zu bildhaftem oder argumentativem Denken:

I rely, in my thinking, upon visual imagery in the sense that I like to get a problem into some sort of visual schema, from which I can think my way out and to which I can re­turn. As I read an article, or the chapter of a book, I instinctively arrange the facts or ar­guments in some visual pattern, and I am as likely to think in terms of this pattern as I am to think in words. (TITCHENER 1 973: 1 0)

Aufgrund seiner Abstraktheit muß demnach visuelles Denken37 ebenso wie sprachliches

Denken als Modus des Erkennens anerkannt werden, wenn auch die visuelle Abstrakt­

heit eher unmittelbarer Natur ist (cf. LANGER 1 967:57-60) , während sie in der Sprache

auf der mittelbaren Verknüpfung von Ausdruck und Inhalt in einem Prozeß wechselsei­

tiger Strukturierung stattfIndet.

In der Nachfolge der Gestalttheorie haben die Kunsttheorie und die kognitive Psy­

chologie zu einer relativ breiten Akzeptanz des visuellen Denkens beigetragen. Gebahnt

wird dieser Weg schon von Locke, der <<i.deas» in simple ideas ('sensations'), complex ideas ('percepts of objects') und abstract ideas ('concepts ') unterteilt (LOCKE, ESSlry:II/ 12/§1 ) -

nicht ohne der Visualität einen gewissen Vorrang einzuräumen38. Etwas Konkretes se­

hen ist sehen als, das heißt die unmittelbare Wahrnehmung von essenziellen Eigenschaf­

ten. Das bedeutet aber auch, daß Sehen abstraktiv ist bzw. visuelle Bilder Abstraktionen sind:

. . . Sight, the most comprehensive of all our Senses, conveying to our Minds the Ideas of Light and Colours . . . and also the far different Ideas of Space, Figure, and Motion, the several varieties whereof change the appearances of its proper Object . . . [the judgement of objetcs] is performed so constantly and so quick, that we take that for the Perception of our Sensation, which is an Idea formed by our judgement . . . so that . . . Sensation . . . serves only to excite the other, and i s scarce taken notice of itself; a s a Man who reads or hears with attention and understanding, takes little notice of the Characters, or Sounds, but of the Ideas, that are excited by them. (LOCKE, Ess�:Il/9/§9 [po 1 46s.])39

I would formulate this principle [which philosophers discuss as the problem of «seeing as»] by saying that all perception is the perception of qualities, and since all qualities are

36 Die Vertreter des visuellen Denkens haben nicht gezögert, den Spieß umzudrehen und der Sprachlichkeit des Denkens ihren ontogenetischen und ontologischen Vorrang abzusprechen (ARNHEIM 1 986: 1 37s . , 226-53) .

37 Verstanden als active visual perception, wo die Aufmerksamkeit des Blickes den visual noise m­tert, nicht als passive reception (cf. ARNHEIM 1 969 : 14ss .) .

3 8 Ebenso wie BERKELEY, Vision: § 1 7 (p. 236) . Auch CONDILLACS Essai wählt die Beispiele überwiegend aus dem visuellen Bereich.

39 Cf. auch CONDILLAC, Essai:I/II/6/§57 (p. 24) , I/V /§ 1 -6 (p.48ss.), 11/1/ 1 1 /§1 1 3 (p. 89) .

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generic, perception always refers to generic properties. Seeing a flIe is always seeing fleri­ness, and seeing a circle is seeing roundness. (ARNHEIM 1 986: 1 42s. , cf. auch 1 969 :1 53)

Kant beschreibt solche Abstraktion als a priori synthetisches Eifahrungsurteii:

Mit der Wahrnehmung eines Gegenstandes kann unmittelbar der Begriff von einem Ob­j ekte überhaupt, von welchem jene die empirischen Prädikate enthält, zu einem Erkennt­nisurteile verbunden und dadurch ein Erfahrungsurteil erzeugt werden. Diesem liegen nun Begriffe a priori von der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung, um es als Bestimmung eines Objekts zu denken, zum Grunde. (KANT, KdU:§36 [po 1 38])

Sehen ais bedeutet nach der Theorie des visuellen Denkens also zweierlei. (1) Die Gleich­

zeitigkeit von Sensation, Perzept und Konzept bzw. von Konkretem und Abstrakten.

Diese Eigenschaft teilt das Sehen ais mit dem flash of insight sprachlicher Metaphern. (2)

Das gleichzeitige synthetische Denken verschiedener Konzepteigenschaften wie

Form/Figur, Farbe, Bewegung etc. , wie sie Wittgenstein für das (Wieder-) Erkennen

von prototypischen Familienähnlichkeiten aufgreift:

Ich kann diese Ähnlichkeiten nicht besser charakterisieren als durch das Wort « Familien­ähnlichkeitem>; denn so übergreifen und kreuzen sich die verschiedenen Ähnlichkeiten, die zwischen den Gliedern einer Familie bestehen: Wuchs, Gesichtszüge, Augenfarbe, Gang, Temperament, etc. etc. (WITTGENSTETN 1 953:1/67)40

Wenn man vom Sehen ais spricht, muß man sich allerdings auch die äußerst unterschied­

lichen Anwendungsbereiche dieses Terminus vor Augen klar machen und zugleich zwei

mögliche Bedeutungen von visuai metaphor unterscheiden.

(1) Was für die sprachiiche Metapher als seeing as beschrieben wird, ist die perspektivi­

sche, interaktive etc. Inbezugsetzung zweier semantischer Konzepte und deren Eigen­

schaften «Männer sind Wölfe» , «happy is up», « eine runde Argumentation») , durch die

ein wie auch immer geartetes metaphoricai concept als flash of insight generiert wird. Die Me­

tapher seeing as bezeichnet also ein understanding as, das auf der Projektion sprachlich­

semantischer Ähnlichkeiten beruht.

40 Auch Satz und Sprache bezieht Wittgenstein hierfür ein (WITTGENSTEIN 1 953:1/1 08) . Für eine Untersuchung verschiedener Ähnlichkeitsbeziehungen cf. z.B. ROSCH/MERVIS 1 975, TvERSKy/GATl 1 978 oder GOMBRlCH/HoCHBERG/BLACK 1 972.

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86

Perzept AI akustisch

lautliches Wiedererkennen

Ausdrucks­Konzept [men�l (analysierbar)

arbiträre Zeichenverb.

Perzept BI inhaltlich

Sprachliche Metapher

semantisches Wiedererkennen

semantisches Konzept 1 (Männer' (analysierbar)

sehen als (perspektivisch, interaktiv, . . . )

Perzept B2 inhaltlich

semantisches Wiedererkennen

semantisches Konzept 2 'Wölfe' (analysierbar)

Konzept 3 'Männer als Raubtiere'

Perzept A2 akustisch

lautliches Wiedererkennen

Ausdrucks­Konzept [V0If�1 (analysierb.)

arbiträre Zeichenverb.

(2) In der Arnheimschen Theorie des visuellen Denkens ist seeing as die unmittelbare

Koppelung von Konkretem und Abstraktem (<<seeing fIre is seeing fIeriness» ) , dessen

flash of insight schlicht darin besteht, daß etwas Konkretes über eine prototypische Ge­

stalt (Familienähnlichkeiten) erkannt wird. Obwohl wie bei der sprachlichen Metapher

auch hier eine Koppelung von Abstraktem und Konkretem stattfIndet, sollte man dieses

prototypische Wiedererkennen doch von einer <<visuelle Metaphem unterscheiden. Denn

der flash of insight prototypischer Bilder stellt ein unmittelbares <<visuelles Wiedererken­

neIl» (siehe Schema unten) dar, mit dem es sich verhält wie mit den Kunstrechnern, « . . .

die zum richtigen Resultat gelangen, aber nicht sagen können, wie. Sollen wir sagen, sie

rechnen nicht?» 4 1 . Es erfolgt keine Interaktion von Konzepteigenschaften, die zu einem

rhetorischen, verfremdenden Effekt führt (wie bei 'Männer' und 'Wölfe') . Dadurch un­

terscheidet sich das visuelle Wiedererkennen von der verfremdenden visuellen Metapher

(3, unten) , in der zwei wirklich unterschiedliche Konzepte in Beziehung treten. Das

wiedererkennende seeing as läßt sich an der Funktionsweise impressionistischer Darstel­

lungen illustrieren:

The comparison with Impressionist painting can also help us to understand the nature of . . . <<visual hints» and «flashes» . Instead of spelling out the detailed shape of a human figure or a tree the Impressionist offered an approximation, a few strokes, which were not in­tended to create the illusion of the fully duplicated figure or tree . . .

41 WITTGENSTEIN 1 953 :I/236) . Cf. zu Gestalt, Muster, Bild auch ib. : I/73.

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87

. . . these images, also vague in their outlines, surfaces, and colors, can embody with the greatest precision the patterns of forces called up by them. A popular prejudice has it that what is not sharply outlined, complete, and detailed is necessarily imprecise. But in paint­ing, for example, a sharply outlined portrait by Holbein or Dürer is no more precise in its perceptual form than the tissue of strokes by which a Frans Hals or Oskar Kokoschka defrnes the human countenance . . . In Logic . . . the concentration on a few essentials is re­cognized as a means of sharpening the concept. Why are we reluctant to admit that the same can be true for the mental image? (ARNHEIM 1 969: 1 08s . , cf. auch ib. : 1 1 3- 1 5)

Obwohl der visual flash ein unmittelbares «Wiedererkennen» bedeutet, trägt er doch auch

(wie die sprachliche Metapher) eine Erkenntnisspanne in sich. Auch die identifizierende

Wiedererkennung bedarf nämlich zunächst der Ahnung, daß eine Identifikation mit ei­

nem früher wahrgenommenen und «abgespeichertew> Prototyp überhaupt möglich sei.

Damit gehorcht sie ebenso wie Metapher und Paradigma dem Mechanismus der Projek­tion oder des abduktiven Vorausgriffes auf eine noch unbewiesene Erkenntnis. Merleau­

Ponty beschreibt dies als «tieferes Wiedererkennew>:

Qu'est-ce qui, dans Ja perception actuelle, nous enseigne qu'il s'agit d'un objet deja connu, puisque ses proprietes sont modifiees? . . . la reconnaissance . . . ne peut pas resulter de l'eveil des souvenirs, mais doit le preceder. Elle ne va donc nulle part du passe au present et la «projection de souvenirs» n'est qu'une mauvaise metaphore qui cache une reconnais­sance plus profonde et deja faite . . . l'experience passee ne peut apparaitre qu'apres coup comme cause d'illusion, il a bien fallu que l'experience presente prit d'abord forme et sens pour rappeIer justement ce souvenir et non pas d'autres. (MERLEAU-PONTY 1 945:27s.)

(3) Dagegen gleicht das «seeing as» der visuellen Metapher der Darstellungsweise expressi­

ver Bilder: Das konzeptuelle Wiedererkennen gehört hier zwar zur Basis des Bildes,

expressiv wird es jedoch erst durch die Stötung des Wiedererkennens mittels eines ver­fremdenden Austausches zweier Konzepte innerhalb eines Kontextes (beispielsweise in ei­

nem Frauenportrait Picassos die Ersetzung der Hüfte durch eine Vase) . Im Austausch

zweier Konzepte, die einander ähnlich sind, sowie im Moment der «Stötung des unmit­

telbaren Verständnisses» liegen Parallelen zur sprachlichen Metapher42. Die Parallele

endet jedoch dort, wo bei der sprachlichen Metapher ein drittes (metaphorisches) Kon­

zept als «flash of insight» entsteht - dies funktioniert auf der Basis der Analytizität

sprachlicher Konzepte (in Seme) . In der visuellen Metapher dagegen kann aufgtund des

synthetischen (Gestalt-) Charakters, der dem Konzeptaustausch zugtundeliegt, per dqini­tionem kein drittes Konzept entstehen43. Der flash of insight besteht hier in einem expressi­

ven Verfremdungseffekt auf Stimulus- oder Perzeptebene, der den Konzepten an sich

äußerlich bleibt - oder aber in einer sprachlichen Metaphorik, die sich aus dem visuellen

42 Zur Parallelität des <woir comme» beim Sehen und Lesen cf. auch RIcmuR 1 975:268-7 l . 4 3 Ein « drittes» Konzept würde die Zerlegung und Neumischung der ursprünglichen Konzep

te voraussetzen. Eine Zerlegung würde aber hier bedeuten, daß die ursrpünglichen visuellen Kon zepte (z.B. ein Dreieck) nicht mehr als solches erkennbar wäre. Ein « drittes» Konzept kann also allenfalls ein anderes Konzept sein, das nicht auf ein Wiedererkennen zurückgreift. Dies wird bei spielsweise in der abstrakten Kunst angewendet: sie analysiert « Gestalten» in Komponenten (Form, Farbe, Richtung etc.) und rekombiniert diese. Die entstandene Rekombination kommt aber ohne Wiederkennungseffekt aus. - Zu einem ähnlichen Schluß kommt auch Goodman beim Vergleich zwischen der Zitierbarkeit von Wörtern und Bildern (GOODMAN 1 978:47 50) .

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88

Konzeptaustauch herleitet (z .B. «Vase» = 'GeHill' => «Hüfte» = 'Gefaß'; parallel zu un­

serem früheren Beispiel " Wölfe» = 'Raubtiere' => ,<Männen> = 'Raubtiere') .

Perzept AI visuell

Perzept B I visuell \ visuelles I Wieder-

Erkennen

Konzept 1 'Hüfte' (synthetisch) 0(

Visuelle Metapher

Austausch

i sehen als

Perzept 3 'verfremdete Frau'

Perzept A2 visuell

Perzept B2 visuell \visuelles /

Wieder-erkennen

Konzept 2 'Vase' (synthetisch)

Wir beschränken uns hier auf diese grundzughafte Skizze des visuellen seeing as, zu der

aus zeichen- und kunsttheoretischer Sicht sicher vieles zu ergänzen wäre. Für unsere

Betrachtung der «Bäume in der Linguistik» reicht es j edoch aus, zu unterstreichen, daß

in der Projektivität des Erkenntnisprozesses eine fundamentale Gemeinsamkeit zwi­

schen visuellem Wiedererkennen, sprachlicher Metapher, paradigmatischer Metapher

und wissenschaftlichem Paradigma (als «paradigmatischer Brille») liegt. Vor dieser Struk­

turanalogie ist es eigentlich kaum verwunderlich, daß visuelle Bilder ebenso wie sprachli­

che Bilder (Metaphern) in wissenschaftlichen Paradigmen eine tragende Rolle überneh­

men, denn beide liefern gleichermaßen eine Basis « . . . for representing premises, and

their manipulation makes it possible to reason without logic.» aOHNSON-LAIRD 1 983:1 65) . (Im Falle des Baumes wird dies noch dadurch verstärkt, daß die bildliche

Gliederung des Baumes mit grundlegenden körperlichen Orientierungskonzepten korre­

liert, cf. 2.4.2.) .

Andererseits ist aufgrund der Unterscheidung von sprachlichem Bild/Metapher (1) ,

visuellem Bild/Denken in Bildern (2) und visueller, verfremdender Metapher (3) auch

klar, daß nicht jedes visuelle Bild eine Metapher ist. Im Folgenden wird uns hauptsäch­

lich das visuelle Bild (2) beschäftigen, am Rande auch die Metapher (1) . Mit dem Begriff

Bild beziehen wir uns ab hier nur noch auf diese beiden Fälle. Die verfremdende visuelle

Metapher überlassen wir der Kunsttheorie.

Obwohl visuelle Konzepte nicht analytisch sind, ist ihre prototypische Einheit

gleichwohl nicht invariabel. Je nach Notwendigkeit für den Betrachter wird sie im Wechselspiel zwischen Perzeption und Wiedererkennung differenziert. Besonders ein­

gängig erscheint dies beispielsweise bei der visuellen Konzeptbildung zu dreidimensio­

nalen Objekten, wie einem Würfel: Das visuelle Konzept 'Würfel' muß aus einem Kon­

tinuum von Würfelperzeptionen (z.B. Würfel in verschiedener Perspektive) heraus ver-

Page 91: Die Wiederkehr Der Bilder

89

feinert werden: « . . . [a mindJ is able to see the momentary as an integral part of a larger

whole, which unfolds in a sequence.» (cf. ARNHEIM 1 969:50, 90)44 Das prototypische

visuelle Schema bildet sich aus einer Serie von mental events und bleibt trotz seiner Wei­

terentwicklung immer bis zu einem gewissen Grad unscharf, um weiter als Kategorisie­

rungsprinzip wirken zu können45 und ein Maximum an Erkennung bei möglichst gerin­

gem kognitivem Aufwand zu gewährleisten. Rosch nennt dies das Prinzip der cognitive economy: « . . . categories tend to be defined in terms of prototypes or prototypica1 in­

stances that contain the attributes most representative of items inside and least repre­

sentative of items outside the category.» (ROSCH 1 978:30, cf. auch 1 975:544s.) . Wie wir

feststellen werden, wandeln sich in diesem Sinne auch die Baumgraphiken in der Lingui­

stik (cf. unten zum <<visuellen Feld des Baumes») . Beachtenswert dabei ist, daß die Va­

riabilität visueller Konzepte durch perspektivische Sequenzen (unfolding sequences) dem­

selben Mechanismus folgt wie die Entwicklung geisteswissenschaftlicher Paradigmen

(cf. Kapitel 1 . 1 und 1 .2) , die nicht selten auch als gestalt switch bezeichnet wird (z .B. HES­SE 1974:3) .

Auch springt für sprachlich-metaphorisches und bildliches Erkennen die Parallele der

«Konkretisierung des Abstrakten» ins Auge. Wie Bilder Präzision durch Unschärfe46

vermitteln können (Beispiel des Impressionismus) , beinha1ten Metaphern ein highlighting and hiding, und wissenschaftliche Paradigmen in ihrem Anfangsstadium noch mehr Ah­

nung als neues Wissen. All diese Parallelen rechtfertigen eine Zusammenfassung sprach­

licher und visueller Bilder, wie sie bereits von RrC<:EUR 1 978: 1 49 und Blumenberg gefor­

dert wurde:

Nicht nur die Sprache denkt uns vor und steht uns bei unserer Weitsicht gleichsam «im RückeID>; noch zwingender sind wir durch Bildervorrat und Bilderwahl bestimmt, «kanali­siert:» in dem, was überhaupt sich uns zu zeigen vermag und was wir in Erfahrung bringen können. Hier läge die Bedeutung einer Systematik der Metaphorologie . . . (BLUMENBERG 1 960:69)

Für die manifeste Strukturana10gie von sprachlichem, visuellen und wissenschaftlich­

paradigmatischem Denken erscheint es zusätzlich wahrscheinlich anzunehmen, daß alle

drei Denkweisen j eweils von sprachlichen, physisch-motorischen, kulturellen und visuel­

len Wertekomplexen gestützt werden, die wiederum teilweise untereinander korrelieren.

Es ergibt sich so ein Netz, das sicherlich nicht gleichmäßig dicht gewebt ist, dessen Fä­

den jedoch hinreichen könnten, die scheinbar nonrationa1en Anteile jeder Denkart

(sprachlich-metaphorisches Verstehen ist nicht systematisierbar, visuelles Erkennen ist

44 Cf. MACH 1 906:87-91 , 1 60 zum Wiedererkennen als «intellektuelle OperatioID>; TITCHE­NER 1973 : 1 1 1 s . zur «Entfaltung» ; SANDER 1 996 zur Entwicklung der Endgestalt über Vorgestal­ten; WITTGENSTEIN 1964:II / 1 6 (p. 1 62-65) zur Wiedererkennung von Gesichtern und Formen.

45 Cf. LANGACKER 1 987: 1 7, 68, 1 36. Zur Unschärfe mentaler Bilder (images are not «menta! photographs») cf. auch KOSSLYN 1987:23 1 .

46 Dies hängt natürlich mit der Union von «Konkretem» und «Abstraktem» eng zusammen: Das Konkrete ist gegenständlich präzise, das Abstrakte ist gegenständlich vage (deshalb mündet die Erläuterung von Generalien meist in der Frage «Was heißt das jetzt konkret?» ) . Umgekehrt ist das Abstrakte für die Erfassung von Zusammenhängen «präzisen> als das Konkrete (deshalb münden Debatten über Details meist in der Forderung «Können wir mal auf einen gemeinsa­men Nenner kommen?»). «J:<onkretheit:» darf also nicht unbedingt mit 'Präzision' gleichgesetzt werden, <<Abstraktheit:» nicht mit 'Unschärfe'.

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90

nicht analytisch, wissenschaftliches <Nerstehen» eines Paradigmas greift seiner Begrün­

dung weit voraus) aufzufangen. Der folgende Abschnitt soll untersuchen, wie sich die

korrelierenden Wertekomplexe in unserem Fallbeispiel verhalten.

2.4 Die Bildprinzipien des Baumes

Auf die philosophische Frage: «Ist das Gesichtsbild dieses Baumes zusammengesetzt, und welches sind seine Be­standteile?» ist die richtige Antwort: <<Das kommt darauf an, was du unter <zusammengesetzt> verstehst.» (Und das ist natürlich keine Beantwortung, sondern eine Zu­rückweisung der Frage). (WITIGENSTEIN 1 953 :1/47)

Hinsichtlich der Baummetapher in der Linguistik könnte man sich fragen, inwiefern die

Präferenz für diese Metapher möglicherweise mit kultureller, physischer oder prototypi­

scher Erfahrung korreliert, wie sie von Lakoff und Johnson ausgearbeitet wurde. Bei

aller Spekulativität solcher Überlegungen gibt es doch etliche darunter, die nicht ganz

von der Hand zu weisen sind.

2.4.1 Kulturelle Dichotomisierung

Setzen wir als Ausgangspunkt zunächst Einigkeit darüber voraus, daß sowohl in der

sprachlichen wie auch in der graphischen Variante der Baummetapher das Moment der

binären Ver{weigung bzw. der Gabelung in der Form eines Y ein entscheidendes Moment

ist: Ein Ganzes (Stamm) teilt sich auf in zwei Teile (Aste) . Das Y kann als Zwei-Teilung

oder als Drei-Eck gelesen werden. Das bedeutet, daß die Essenz der Baummetapher

(u.a.) in der Darstellung einer Dichotomisierung bzw. einer Beziehung zwischen zwei

Teilen und einem Ganzen liegt. Über den grundlegenden Charakter der Konstellation

An, Othe,., Medium für Logik, Psyche und Physis spekulierte bereits PEIRCE 1 993:242-47.

Er mutmaßte eine Entsprechung zwischen den drei Einheiten des logischen Syllogismus

(cf. auch KANT, KrV:45-47 [BI 0-B14]) und Kategorien des Bewußtseins bzw. physiolo­

gischen Nervenzuständen. Demnach korreliert das <Jogische Dreieclo) von (1) erster

Prämisse, (2) zweiter Prämisse ---> (3) Syllogismus mit den psychologischen Kategorien

(1) feeling without recognition or analYsis, (2) consciousness of an interruption, sense of resistance, of an external fact o.ä. ---> (3) synthetic consciousness, sense of !earning, thought ebenso wie mit den phy­

siologischen Kategorien (1) disengaging energy (verstanden als Energieaustausch unter

Nervenzellen, der ein feeling erzeugt) , (2) discharging of energy onto nerve-ce!!s, muscular ce!!s and others (Energieübertragung auf Zellen außerhalb des Nervensystems, die ein körperliches

Empfinden erzeugt) ---> (3) power of nutrition, growth and development.

Page 93: Die Wiederkehr Der Bilder

9 1

Für den Bereich der Logik (Synthese und Analyse) stellt Peirce fest, daß « . . . all plural

facts can be reduced to tripie facts . . . » und illustriert dies an den Gabelungen47 eines

Straßennetzes: �o o o 0 o o 0

A road with a fork in it is the analogue of a tri­pIe fact, because it brings three termini into re­lation with one another. A dual fact is like a road without a fork; it only connects two ter­mini. Now, no combination of roads without forks can have more than two termini; but any

numbcr of termini can be connected by roads which knowhere have a knot of more than three ways . . . Thus, the three essential elements of a network of roads are road about a terminus, roadlvay-connection, and branching, and in like manner, the three fundamental categories of fact are, fact about an object, fact about two objects (relation) , fact about several objects (synthetic fact) . (PEIRCE 1 993:244; cf. auch CARNAP 1 966)

Das solchermaßen entstehendene relationale Netz von Gabelungen (Y) mag vielleicht in seiner Komplexität nicht 1 : 1 auf Wissenschaftsbereiche jenseits der Logik übertragbar

sein. Unbestreitbar ist allerdings, daß das Gabelungsprinzip von Analyse und Synthese

generell in allen Wissenschaften eine mehr oder minder tragende Rolle spielt, und daß

Einteilungen dieser Art sowohl in unserer wissenschaftlichen als auch in unserer (westli­

chen) Alltagskultur signifikant häufig anzutreffen sind. Von daher ist es nicht verwun­

derlich, daß die Metapher weder aus der Wissenschaftssprache noch aus der Alltags­

sprache im wahrsten Sinne des Wortes «wegzudenkerj» ist - denn schließlich folgt gera­

de ihr Mechanismus - der Vergleich - eben jener Y- oder Dreiecksbewegung der Aufhe­bung (Hegel, cf. 1 .2.3), die auch den Prinzipien von Synthese und Analyse zugrundeliegt.

Welche Dichotomisierungen gibt es in unserem kulturellen Wertesystem, die man im

Sinne von Lakoff/Johnson als korrelierend mit dem Gabelungsprinzip betrachten könn­

te? Hierfür kommen einerseits Dichotomisierungen unserer Alltagskultur in Betracht,

andererseits solche der Wissenschaftskultur; zwischen beiden Arten kann die gleiche

Relation angenommen werden wie zwischen Sprache und Wissenschaftssprache (bzw.

Metasprache im Falle der Linguistik) . Beispiele für Zweiteilungen in unserer Alltagskul­

tur sind Einteilungen wie gut : b iise,Jung : alt, usw. Schnell wird man bei der Beispielsuche

jedoch gewahr, daß solche Zweiteilungen ein mehr oder weniger verdecktes «Zentrum»

mit sich führen, wie es Peirce als «An, Other, Medium» (PEIRCE 1 993 :245) formuliert

hat. So gehört z.B. zur Dichotomie jung : alt die scheinbare Trichotomie Kind/Jugendlicher : Erwachsener : (Seniorem), hinter der sich im Grunde eine Dichotomisierung von einer

Mitte aus verbirgt: Die Erwachsenen bilden die perspektivische Mitte, von der aus einer­

seits auf die Jüngeren, andererseits auf die Alteren geblickt wird. Ähnlich verhält es sich

mit Zeiteinteilungen wie Vergangenheit : Gegenwart : Zukunft, usw. (im Gegensatz zu ech­

ten Trichotomien wie Erde : Wasser : Luft, die auf drei gleichwertigen Elementen Eussen,

47 Die ältesten bekannten syllogistischen Diagramme des Mathematikers Euler belegen, daß ein Syllogismus nicht zwingend als Gabelung dargestellt werden muß. Euler wählt konzentrische Kreise zur Darstellung der sich einschließenden Mengen C (kleinster Kreis), A (mittelgroßer Kreis), B (großer Kreis) (EULER 1 770-74/2 : 109s.) . Es gilt also : «Tout A est B: Or Tout C est A: Donc Tout C est B . . . Par exemple, que la notion A renferme tous les arbres; la notion B tout ce qui a des racines, & la notion C tous les cerisiers, & notre syllogisme sera: Tout arbre a des racines: Or Tout cerisier est un arbre: Donc Tout cerisier a des racines».

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die zueinander nicht in relativierendem Verhältnis stehen) . In der Mehrzahl der Fälle erscheint das «Zentrum» dichotornisierender Einteilungen weniger deutlich: Die <<Mitte» ist zwar in Form eines Überbegriffes vorhanden, bleibt jedoch im Hintergrund. Dies ist z.B. der Fall bei den alltagskulturellen Einteilungen [Eltern] - Vater : Mutter, [politische Gebilde] - Staat : Kirche, [Denkweisen] - Intellekt : Emotion, [ÜbertraguniJ - Geben : Nehmen etc . ; gilt aber insbesondere für die Dichotomien, entlang derer der gesamte wissen­schaftlich-philosophische Kanon westeuropäischer Prägung verläuft48, z .B. : [Wahrheits­werte] - wahr :falsch, [Handeln] - Theorie : Praxis, [M.ethode] - Deduktion : Induktion, [menschli­che UmgebuniJ - Natur : Kultur, [Welt] - Geist : Materie usw. Scheinbare wissenschaftliche Trichotomien erweisen sich bei genauem Hinsehen oft als auflösbar in zwei Dichotomi­en, so läßt sich beispielsweise in der linguistik das semiotische Dreieck Ausdruck : Bedeu­tung : Referenz einerseits in die Dichotomisierung [Zeichen] - Ausdruck : Bedeutung, ande­rerseits in die Dichotomisierung [semiotische Relation] - Zeichen : Welt (Referenzoqjekt) auf­schlüsseln.

Dichotomisierung nach dem Muster «1 +2» bzw. «Y» kann, wie mir scheint, als ein grundlegender Wert in unserer Wissenschaftskultur gelten. Während Peirce nur die rela­tionale Bedeutung des Y und die <<Mitte» betont, kann im Falle des Baumbildes eine hierarchische Komponente hinzutreten, da zum visuellen Feld des Baumes auch das Oben/Unten gehört (cf. 2.4.4) .

2.4.2 Körpererfahrung: Verzweigung, Oben-Unten, Links-Rechts

Kommen wir von «Gabelungen» im kulturellen Wertesystemen und zum physischen Wertesystem. Hier gilt, daß die Teil-Ganzes Erfahrung der eigenen Extre-

Poseidon, griechische Bronze, 5 . Jh. v. ehr.

(abgedruckt nach ARNHEIM 1 996: Titelseite)

da Vinci, Illustration der menschlichen Proportionen, um 1 485-90

(abgedruckt nach POPHAM 1 994:21 5)

48 Natürlich gibt es auch andere Unterteilungen, wie z.B. die Siebenteilung der artes und der Planeten im Mittelalter oder die Zwölf teilung des Himmels. Diese sind j edoch vergleichsweise selten; manche lassen sich auf tri- und dichotome Strukturen zurückführen (die artes werden z.B. in 3 + 4 [2+2] eingeteilt) . Viererklassiflkationen erweisen sich oft als Kreuzungen zweier ver­schiedener Dichotomien und bilden von daher keine separate Einteilung.

Page 95: Die Wiederkehr Der Bilder

93

mitäten und damit der «Verzweigung» des eigenen Körpers ebenso zu den unmittelbar­physischen Erfahrungen gehört wie die bereits von Lakoff/]ohnson beschriebene Ori­entierungserfahrung des Oben und Unten. Die kulturelle und wissenschaftskulturelle hierarchische Dreiteilung (Dichotomisierung) findet also ein kognitionssystematisches Korrelat in der körperlichen Erfahrung der Verzweigung nach oben (Arme) von einem Gemeinsamen/Ganzen aus (Rumpf) bzw. in der Verzweigung nach unten (Beine) (siehe Abbildungen links) .

Die physische Erfahrung der Aufspaltung und ihre Korrelation mit dem kulturellen Wert der (hierarchischen) Gabelung (An, Other, Medium) erscheint uns hinreichend durch die Arbeiten von Lakoff/]ohnson und die obigen Ausführungen gestützt, so daß wir hier nicht weiter ausgreifen müssen. Ergänzt werden kann jedoch, daß die körperli­che Erfahrung einer direktionalen Verzweigung auch die Erfahrung eines raumzeitlichen espacement beinhaltet (wenn Introspektion hier erlaubt sei, so kann man dieses nachvoll­ziehen, indem man sich hinstellt und die Arme seitlich hebt oder vor sich ausbreitet) . In Baumgraphiken linguistischer und nicht-linguistischer Art kehrt dieses espacement wieder, indem die graphische Verzweigung zur Darstellung (a) einer zeitlichen Differenzierung genutzt wird - wobei es sich um historische Zeit (z.B. genealogische Bäume) oder kon­zeptuelle Zeit (z.B. morphologische Komponentenanalyse) handeln kann - oder (b) einer räumlichen Differenzierung dient - wobei es sich um einen geographischen Raum (z.B. Darstellung der Bewegung der Völkerwanderung) oder einen konzeptuellen Raum (taxonomische Einteilungen wie z.B. bei Konstituentenanalysen) handeln kann (STE­WART 1 976 : 15 , 38) .

2.4.3 Visuelle Gestaltwahrnehmung

Auch prototypische visuelle Gestaltwahrnehmungen (Wahrnehmungen von outstanding wholes, goodgestalten; WERTHEIMER 1 959 :236)49 als drittes kognitives Wertesystem können hinsichtlich der Prinzipien von Gabelung und Hierarchie als korrelierend mit den beiden anderen Wertesystemen (kulturelles und physisch-motorisches) gelten. Visuelle Ge­stalterkennung erfolgt nämlich nicht nur auf Basis von Silhouetten, d.h. einer inneren Geometrie (die Gabelung kann als solche gesehen werden), sondern auch auf der Basis einer Ausrichtung am perzeptuellen System:

. . . the perceived shape of a figure is not simply a function of its internal geometry. The perceived shape is also very much a function of the up, down and side directions we as­sign to the figure. If there is a change in the assigned directions, the figure will take on a different perceptual shape. (ROCK 1 997: 1 49)

So können wir anhand der inneren Geometrie und der Oben/Unten- bzw. Links/Rechts-Orientierung (zugewiesene Richtungen) synthetisch verschiedene Gestal­ten (figures) unterscheiden (ARNHEIM 1 988 :2 1 8) , beispielsweise die Gestalt einer Giraffe von der eines Krokodils oder der eines Baumes. Im Falle des Baumes sind es die Prinzi­pien der Gabelung (die als Silhouette, aber auch als Links-Rechts-bestimmt gesehen

49 Bereits lange vor Wertheimer stellt Whitehead das « principle of convergence to simplicitp> auf, demnach Wiedererkennen über eine Abstraktion von Zeit und Raum funktioniert (WHITE. HEAD 1 974: 1 47) .

Page 96: Die Wiederkehr Der Bilder

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werden kann) und des Oben/Unten (Vertikale) , die das visuelle Konzept bestimmen (wobei die sprachliche Beschreibung « Gabelung + Oben/Untern) eine Analytizität vor­gaukelt, die bei der Gestaltwahrnehmung gerade nicht vorhanden ist) :

(<Der Baum mit seinem grauen und harten Stamm, den vielen im Winde bewegren Zwei­gen, mit den glatten, glänzenden weichen Blättern erscheint uns zunächst als ein untrenn­bares Ganze.» (MACH 1 906:84)

The structural theme of a tree takes shape in the axis of the rising trunk, in the tree's striving upward and sideways in all directions, ramifying with increasing detail to the smallest twigs. At the same time, it is controlled by equilibrium centered on the verticality of the axis and displayed by the symmetrical spread of its skeleton . . . (ARNHEIM 1 996: 1 53s .)

Aufgrund ihrer horizontalen und vertikalen Symmetrie (deren Bedeutung für die Raum­empfIndungen des Auges schon von MACH 1 906:91 -96, 1 75s . hervorgehoben wurde) sowie aufgrund der Wiederholung des Gabelungsprinzips (N erästelungern») beruft sich die Gestalt des Baumes in übersummativer Weise auf die genannten Gestaltprinzipienso. Sie verdichten sich zu einem Gliederungsprinzip des Zentrums mit von diesem Zen­trum ausgehenden (oder zu ihm hinführenden) Vektoren. In visueller künstlerischer Gestaltung tritt das Prinzip des Zentrums so häufIg zutage, daß Arnheim hierin nicht nur ein visuelles, sondern überhaupt ein physisches, genetisches und psychologisches Prinzip vermutet (ARNHEIM 1 988 : 1 - 1 2) .

Even the most complex patterns, a s long a s they are spatially Iimited, are organized around an im­plicit center and . . . without reference to that cen­ter a pattern's visual structure cannot be und er­stood. (ARNHEIM 1 988: 1 0 [Figur] , 1 5 [rext] ; cf. auch ARNHEIM 1 996:65 .)

Der Baum vereint damit zwei holistic properties in sich: (a) prototypische Eigenschaften (im Sinne von Garner), d.h. eine konzepthafte geometrische Form ähnlich den Kant­schen Schematen (die Gabelung) ; und (b) eine Übersummativität durch die Wiederho­lung und Spiegelung dieser Form (GARNER 1 978 : 1 00s., 12 1 -24) . Aufgrund dieses hohen Niveaus an Inklusion von correlational structures kann die Gestalt Baum sicherlich zu den basic oijects im Sinne von ROSCH et al. 1 975 und ROSCH/MERVJS 1 975 gezählt werdens1 : « . . . basic objects are the categories that best rnirror the correlational structure o f the environment.» (ROSCH 1 978 :31) .

Wir verfügen also über « . . . general capacities for dealing with the part-whole­structure in real world objects [or scientifIc objects, S.R.] via gestalt perception, motor

50 Cf. GARNER 1 978: 1 235 . Bei Baumgraphiken fallen außerdem die von BRYANT/TvERSKY 1 999 genannten (<Diagramm-Komplikationel1» weg, nämlich die Dreidimensionalität (nur Oben­unten, Links-Rechts; kein Vorne-Hinten) und die Perspektivenfindung (vertikaler Baum korre­spondiert mit der vertikalen bzw. Schwerkraftausrichtung des Betrachters) .

51 Der Begriff Archetypus Iiegr hier ebenfalls nahe (z.B. LANGACKER 1 999: « conceptual archety­pe5»). Ich halte Archetypus allerdings für einen gefahrlichen Begriff, weil er u.a. durch Jungs Defi­nition « ererbte Vorstellungsforffi» , die weder durch Tradition, Sprache noch sonst irgend beein­flußbar sei GUNG 1 995:95) , vorbelastet ist.

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movement, and the formation of rich mental images.» (LAKOFF 1 987:270) . Damit korre­lieren alle drei für die kognitive Bedeutung von Metaphern in Betracht gezogenen Wer­tesysteme mit dem Bild des Baumes : das kulturelle (die Dichotomisierung mit einem hierarchischen Zentrum) , das physische (die Zweiheiten der Extremitäten, Oben und Unten) und das der prototypischen visuellen Gestalten (Erkennung von Gestalten über Verzweigung und Zentrierung) . Diese hohe Korrelationsdichte beruht natürlich schlicht darauf, daß das Aufspaltungsprinzip in unserer ideellen Welt und in der von ihr gepräg­ten objektiven Welt allgegenwärtig ist; hier liegt ein Teufelskreis von Kultur und Wahr­nehmung. Es ist denkbar, daß in anderen Kulturen Kreise52, Spiralen oder Wellen do­minieren - die Dominanz des Aufspaltungsprinzips scheint mir in jedem Falle nicht ohne weiteres objektiv begründbar. Ebensowenig ist die Dominanz des Baumbildes zur Darstellung des Aufspaltungsprinzips objektiv oder ontologisch begründbar. Hätte nicht vielleicht ein Dreizack oder ein Oktopus auch den Zweck der major metaphor erfüllen können? Auch hier spielt die Kultur eine Rolle: als Tradition53. Der Baum ist seit Jahrtau­senden ein symboltragendes Bild nicht nur in unserer Kultur, als Baum des Lebens, Baum des Lebens und des Todes (Kreuz), Baum des Wissens, kosmischer Baum der drei Welten, Himmelsleiter u.v.m.54 Und auch wissenschaftsgeschichtlich betrachtet mag es kaum verwundern, daß sich angesichts der Vor- und ParalleIläufer von «Bäumen» in Philosophie, Naturphilosophie und Naturwissenschaften auch die Linguistik dieser Tra­dition angeschlossen hat (cf. Kap. 3) .

2.4.4 Bildfelder des Baumes: metaphorisches Feld und

visuelles Feld (Arboreszenz und Raster)

. . . this young tree . . . / dividing and waning / sending out / young branches on all sides - / hung with cocoons -

/ it thins / till nothing is left of it / but two / eccentric knotted / twigs . . . (W.c. Williams, Young Sycamore)

Wenn sowohl für das sprachliche als auch für das visuelle Bild des Baumes die Kompo­nenten 'Verzweigung' und 'oben-unten' bestimmend sind, so gesellen sich auf sprachli­cher Ebene55 freilich eine ganze Reihe von entailments (Lakoff/Johnson) dazu, die wir kurz zusammenfassen wollen. Wie man sieht, ist die Zahl der sprachlich möglichen en­tai/ments (und damit der Querverbindungen zu anderen Feldern) einigermaßen üppig.

52 Cf. z.B. die byzantinische Darstellung des Himmels in konzentrischen Kreisen (ein Exem­plar davon befindet sich im Codex Rom, Vat. Graec. 1 087 [1 5 . Jh.] , abgedruckt in PANOF­SKY /SAXL 1932:235); das tibetanische Rad der Wiedergeburt, oder auch im christlich-abendlän­dischen Bereich die zirkuläre Darstellung der sechs Weltalter, des «Spiegels der Vernunfb) oder Darstellung der Tugenden und Laster in konzentrischen Kreisen - alle ebenfalls 1 5 . Jh. (cf. die Abbildungen in BALTRUSAlTIS 1 985 :334-37) .

5 3 Inwieweit die Fortsetzung einer Tradition auf einem Wertebewußtsein oder aber auf einem das Alte mit dem Neuen versöhnenden Wiedererkennungs effekt beruht, sei hier dahingestellt.

54 Cf. z.B. CHEVALIER/GHEERBRANT/GANOET 1 969: 5 1 -61 , OE VRIES 1 974:473-75, Lrp­POLO 1 993:350 und JUNG et al. 1 968 :80s.

55 Die Bereiche Religion, Mythen usw. können wir hier nicht erörtern (cf. OE VRIES 1974:473-75) .

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96

Metaphorisches Feld "Baum)) (sprachlich)

<<Baum»

----------------------�----------------------r- � 'Zweige' 'Wurzeln' 'Blätter' I 'Pflanze' r.:v erzweigung r.:v erzweigung ('Nadeln') nach oben) nach unten)

t t t 'Zusammenhalt' 'lebend oder 'Halt' 'grün oder 'organisch' 'tragend' tot' 'Ursprung' vertrocknet' 'Lebe-'Holz' 'Sprosse' 'lebensnot- 'Lebenszeichen' wesen' 'hartl solide' 'Wachstum' notwendig'

Selbstverständlich fInden nicht alle sprachlich-enzyklopädischen entailments eine Umset­zung in den graphischen Varianten des Baumes - die 'Wurzel' z.B. tritt graphisch eher selten in Erscheinung.

Das visuelle Feld verfügt über eine eigenständige Art von Variation, die der von Arnheim beschriebenen sequentiellen Entfaltung bzw. Verfeinerung eines visuellen Per­zeptes gleicht (<<a larger whole, which unfolds in a sequence») , aber auch an die einzelne Wertesysteme übergreifende coherence von Lakoff/Johnson gemahnt. Die Varianten des­sen, was wir im folgenden in einem weiten Sinne als <<visuelles Feld des Baumes» be­zeichnen wollen, erfordern allerdings eingehendere Erläuterungen. Zum einen, weil die Analyse visueller Felder im Gegensatz zu sprachlichen Feldern oder Metaphern in der Wissenschaftstheorie und Wissenschafts geschichte der Linguistik nur wenig geläufIg ist. Zum anderen deshalb, weil der enge Zusammenhang zwischen einer hierarchischen Arboreszenz und einem ahierarchischen Raster, der hier unter dem Feldbegriff Baum zu­sammengefaßt werden soll, vom visuellen Eindruck her sicherlich den wenigsten Lesern spontan einleuchtet, für unsere Argumentation aber wesentlich sein wird.

Als unbestritten darf man annehmen, daß im visuellen Feld «Baum» ein Prototyp «belaubter Baum» (Schema unten links) neben dem Skelett eines <<unbelaubten Baumes» (Schema unten Mitte) zu fInden sein dürfte. Die beiden Varianten unterschieden sich im Grad ihrer Analytizität. Die Silhouette des «belaubten Baumes» ist weniger analytisch, verfügt dafür aber über einen höheren Grad an Ikonizität (wie die allseits vertrauten <<Männlein» und «Weiblein» auf Toilettentüren), weshalb sie gern z.B. in Legenden von Hotelführern CHotel mit Garten oder Park'), auf Wegweisern oder architektonischen Zeichnungen verwendet wird. In der Linguistik fIndet man die Baumsilhouette kaum. Für unsere weiteren Betrachtungen wird der ikonische Baum daher keine Rolle spielen. Von zentraler Bedeutung ist dagegen die «Skelett-Darstellung», die die <<innere» Struktur

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des Baumes erfaßt und deren hoher Grad an Analytizität nicht nur in linguistischen Darstellungen sondern beispielsweise auch in Kinderzeichnungen zutage tritt56

Aus diesem analytischen Baum, der hinsichtlich der physischen Erfahrungswerte <<Verzweigung» und « Oben-Unten» die größte Deckung mit der sprachlich-enzyklo­pädischen Metapher «Baum» aufweist, läßt sich bei weiterer Abstraktion der Prototyp des Rasters entwickeln (Schema unten rechts) : Es behält zwar die Oben-Unten Dicho­tomie des analytischen Baumes bei, abstrahiert aber die <<Verzweigung» zu einer <<links­Rechts»-Dichotomie, so daß die Verzweigung zur Kreuzung einer horizontalen und einer vertikalen Achse gerät. De facta entsteht so ein Raster (respektive Tableau, Matrix), das KLEE 1 956:21 7 als <<.Addition von Einheiten in der Richtung zweier Dimensionen» charakterisiert, als « primitivsten strukturalen Rhythmus in den Richtungen links-rechts und oben-unter}».

Demnach um faßt das schematic network (LANGACKER 1 987:74, 1 999:99-1 03) bzw. das visuelle Feld des Baumes drei Prototypen:

ikonisch, Silhouette

vs.

Visuelles Feld 'Baum' (prototypen)

analytisch, Arboreszenz

abstrakt, Raster/Matrix/ Tableau

Die Behauptung, ein Raster wie das rechts abgebildete sei Teil des visuellen Feldes Baum dürfte bei einer spontanen Befragung sehr wahrscheinlich auf die Entgegnung stoßen « Na, ein Baum sieht aber ganz anders aus!». Wir müssen also rechtfertigen, warum wir das Raster unter die Prototypen des Baumes subsumieren. Dies haben wir oben bereits geahnt, und deshalb holen wir hier nun weiter aus .

Als Ausgangspunkt mag uns die detaillierte Analyse von STEWART 1 976 zu graphi­schen Repräsentationen in der Linguistik dienen. Sie untersucht arboreszente Baumgra­phiken zusammen mit Matrix- und Schachteldarstellungen, trennt aber die drei Darstel­lungsarten strikt aufgrund ihrer visuellen Unterschiedlichkeit. Die Matrix wird dabei von der Arboreszenz mit der Begründung geschieden, erstere sei im Gegensatz zum Baum eine reine Kombination aus zwei Richtungen ohne Direktionalität (STEWART 1 976 :47, 1 24) . Schachteldiagramme wiederum würden von der Matrix geschieden durch ihren flächigen Charakter (im Gegensatz zum Liniencharakter der Matrix, ib. :56s.) . Zu den

56 So zeichnen Kinder einen Hund von der Seite mit einer Reihe von vier Beinen (analytisch) , und nicht ikonisch mit zweien. Cr. ARNHEIM 1 986 : 144 zum intelligent perceiving.

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Schachteldiagrammen zählt Stewart die Varianten Würfel, chinese box und Blockdia­gramm:

Matrix (linear)

A B C

X ax bx cx

y ay by cl'

Z az bz cz

(STEWART 1 976:3955 .)

vs. Schachteldiagramme (flächig)

--------------�---------------,.-- � Würfel chinese box Blockdiagramm

Rein visuell ist die Trennung von Arboreszenz (direktional, linear) vs. Matrix (nicht­direktional, linear) vs. Schachtel (nicht-direktional, flächig) spontan einleuchtend - si­cherlich einleuchtender, als Bäume mit Rastern gleichzusetzen) . Dennoch glaube ich, daß bei genauer Betrachtung der visuellen und funktionalen Prinzipien hier eigentlich nur zwei Varianten, nämlich Arboreszenz und Raster, zu unterscheiden sind.

Beginnen wir die Reduktion mit dem Schachteldiagramm. Die chinese box kann zwar (wie die Gabelung) zur Darstellung von Syllogismen dienen (cf. N50 zu Eulers konzen­trischen Kreisen), ihre Hauptaufgabe besteht jedoch in der Darstellung von Inklusions­verhältnissen, was auf keines der weiteren Diagramme zutrifft. Auch auf der Ausdrucks­seite unterscheidet sie sich von den anderen Diagrammen dadurch, daß sie visuell über­haupt keine Verzweigung aufweist. Die chinese box scheint mir daher nicht in diesen Kontext zu gehören.

Der Würfel weist einerseits «Verzweigungen» ähnlich einer Arboreszenz auf: Je drei Seiten gehen von einer Ecke aus . Er ist jedoch im Gegensatz zu dieser dreidimensional und nicht hierarchisch. Durch seine ahierarchische, rechtwinklige Struktur gleicht der Würfel deutlich dem Raster, auch wenn er nicht dessen offene Zweidimensionalität be­sitzt. Auch erscheint der Würfel in dem von uns später untersuchten sprachwissen­schaftsgeschichtlichen Zusammenhang parallel zu rasterhaften Diagrammen (z .B. Hjelmslev, 5 .5) . Ich ordne ihn deshalb als eine besondere Spielart des Rasters ein.

Bleibt die Beziehung zwischen Blockdiagramm und Matrix. Hier ist es diffiziler: Bei­de sind von offener Zweidimensionalität. Wie Stewart zurecht festhält, liegt das Unter­scheidungskriterium hier in der Linearität vs. Flächigkeit. Während die Verzweigungen der Matrix durch Linienkreuzungen entstehen, entstehen sie beim Blockdiagramm durch die Konturen von Flächen. Funktional wird dies genutzt, indem der Matrix die Darstellung von Einheiten als Schnittstelle zweier Richtungen (Linien/Koordinaten) übertragen wird (STEWART 1 976 :47) , während Blockdiagramme Einheitenzuordnungen «ohne» Schnittstellen (nach Stewart) übernehmen. Als Beispiel für eine Matrix mit

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99

Schnittstellen kann man eine Sem-Matrix nach POTTIER 1 963 :1 657 heranziehen, in der die Schnittstellen für die An- oder Abwesenheit eines semantischen Merkmals stehen:

Matrix einer Semana/yse nach Pottier: Feld der Sit::;ge/egenheiten

(avec (sur 'pour 1 'pour (avec (avec mate-dossier' pied' personne' s'assoir' bras' riau rigide'

chaise + + + + - +

fauteuil + + + + + +

tabouret - + + + - +

canapi + + - + + +

pouf - - + + - -

Als Beispiel für Einheitenzuordnungen «ohne» Schnittstellen (flächig) zieht STEWART 1 976:67 ein Blockdiagramm von HOCKETT 1 958: 1 5 8 heran:

Blockdiagramm einer Konstituentenana/yse nach Hockett

2 3 1

She bough- -t a new hat t new hat

bought a new hat

bought a new hat

She bought a new hat

2She bought a new 3hat1 l

Schnell wird man jedoch bei einiger Überlegung gewahr, daß beide Diagrammarten (mit unterschiedlichem Aufwand und unterschiedlichem Nutzen) durch ein Baumdiagramm ersetzt werden können. Die Schnittpunkte der Pottierschen Matrix lassen sich in Ver­zweigungen nach 0/1 bzw. -/+ transformieren.

57 Cf. POTTIER 1 974:62-64, WUNDERLI 1 989 : 1 2 1 . Die Problematik des Pottierschen Verfah­rens sei hier nur angedeutet: Die Kriterienauswahl und die Begrenzung des Feldes bzw. des analysierten Inventars erscheinen (abhängig voneinander) sehr willkürlich. So fehlt zum Beispiel das Element banc, und damit die Merkmalkombination '+ materiau rigide' und '- dossier' (was unsere unten ausgeführte Umformung in eine Arboreszenz nicht unerheblich erschwert hätte!) oder Mischformen wie gepolsterte Stühle, Chaiselongue usw.

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1 00

'+ dossier'

'+ bras'

� 'pour 1 'pour pers . ' plusieures

1 pers . '

� fauteuil canape

'Sitzgelegenheiten' ('POUf s'assoir' )

'- bras'

j chaise

'- dossier'

'+ sur pied' '- sur pied'

j j tabouret pouf

Bei der Umformung der komponentenanalytischen Matrix in eine Arboreszenz bleibt zwar grundsätzlich die Unterscheidung nach + / - erhalten, durch den Hierarchisie­rungszwang wurden aber zusätzlich Kriteriengruppierungen bzw. für eine Differenzie­rung redundante Kriterien deutlich. Z.B. haben Sitzgelegenheiten ohne Rückenlehne in der Regel auch keine Armlehnen (das Kriterium '+ / - bras' entfallt also unter dem Kno­tenpunkt '- dossier') , Sitzgelegenheiten mit Rückenlehne beinhalten aus statisch einsich­tigen Gründen immer auch festes Material (das Kriterium '+ / - materiau rigide' kann ganz entfallen, weil der pouf als einziges Exemplar mit '- materiau rigide' bereits durch das Kriterium '- sur pied' ausreichend differenziert ist) .

Noch einfacher fallt die Umformung des Hockettschen Blockdiagramms, dessen « schnittstellenfreie Zuordnungen» sich bereits auf den ersten Blick als nichts anderes als Verzweigungen bzw. Dichotomisierungen erweisen:

She bough- -t a

V bought a new hat

� bought a new hat

She bought a new hat

new hat

Bedeutet dies nun, daß Matrix, Blockdiagramm und Arboreszenz synonyme Graphiken sind? Ganz so einfach liegen die Dinge nicht, und zwei relativ einfache Beispiele wären zweifelsohne ein sehr sandiges Fundament für eine solche Behauptung. Aber: Die Um­formungsbeispiele können entscheidende Hilfestellung für die Differenzierung der Ver-

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10 1

hältnisse zwischen Arboreszenz, Matrix und Blockdiagramm leisten. Bei der Umfor

mungsarbeit wird man nämlich deutlich gewahr, daß das Hockettsche Blockdiagramm erheblich leichter in eine Arboreszenz umzuschreiben ist, als die Pottiersche Matrix. Dies liegt schlicht daran, daß es zwar vom visuellen Ausdruck her ein Raster bildet, in­haltlich aber dichotomisierend-verzweigend und hierarchisch angelegt ist. Die visuelle Parallelisierung von Vierecken (flächiges Raster) täuscht hier eine inhaltliche ahierarchi­sche Parallelisierung nur vor. Anders verhält es sich im Falle der Pottierschen Matrix. Zwar finden wir hier visuelle Schnittstellen der Koordinatenlinien (lineares Raster) , also ein visuelles Pendant zur Verzweigung - dafür treffen wir aber auf der Inhaltsseite auf eben die ahierarchische Parallelisierung, die das Blockdiagramm nur vorgaukelte: Pottier wendet eine Reihe semantischer Merkmale parallel auf verschiedene sprachliche Einhei­ten an. Diese Parallelität oder Analogisierung ist der Grund, warum die Transformation in eine visuelle und inhaltliche hierarchische Arboreszenz vergleichsweise schwer fallt. In unserem Beispielfall war sie möglich und erwies sich auch zur Darstellung der seman­tischen Verhältnisse als durchaus brauchbar. Man kann aber getrost davon ausgehen, daß dies für andere Matrices (insbesondere wenn sie größeren Umfanges sind und die Zuordnungen sich nur wenig überlappen) nicht möglich ist, oder aufgrund der entste­henden Unübersichtlichkeit schlicht vergebliche Liebesmüh ist.

Wenn man solchermaßen neben visuellen Kriterien (Ausdrucks seite) auch die inhalt­liche Einteilungsart berücksichtigt, kann man den vorläufigen Schluß ziehen: Das Blockdiagramm liegt inhaltlich näher an einer Arboreszenz als die Matrix, die Matrix liegt visuell näher an der Arboreszenz als das Blockdiagramm. Angesichts dieser Verflechtung erscheint es mir nicht sinnvoll, die Stewartsche Trennung nach rein visuellen Kriterien in Arboreszenz - Blockdiagramm - NIatrix aufrechtzuerhalten. Vielmehr erscheint es ver­nünftig, zwei Extrem-Prototypen anzunehmen, nämlich Arboreszenz (visuell und inhalt­lich hierarchisch) und Raster (visuell und inhaltlich parallelisierend) , die Mischformen nicht ausschließen (z .B. visuell parallelisierend, inhaltlich hierarchisch wie das Blockdia­gramm) .

Es gibt allerdings noch andere Fälle von Blockdiagrammen in der Linguistik, wie das­jenige von HJELMSLEV, Pro1:53, das die semantische Skala der Farbeinteilung im Engli­schen mit der Skala der Farbeinteilung im Walisischen parallelisiert (cf. auch 5 .5) .

gwyrdd green

blue glas

gray llwyd

brown

Hier kann weder visuell noch inhaltlich die Rede von einer Arboreszenz sein. Zwar gibt es hier, wenn man so will, einzelne kleine «Gabelungen» wie z.B. von eng!. 'green' in walis. 'gwyrrd' und 'glas'; dieser aber steht umgekehrt eine Gabelung von walis. 'glas' in eng!. 'green', 'blue', 'grey' gegenüber, so daß eine Hierarchie in der Tat nicht mehr aus-

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1 02

zumachen ist - nur noch ein konzeptuelles espacement oder eine flächige Gegenüber­stellung.

Damit können wir abschließend folgende Variantenskala für das Bildfeld Baum in dem von uns intendierten weiteren Sinne aufstellen:

(a) Arboreszenz. Visuell: Baum, Gabelung; inhaltlich: Hierarchie und Dichotomisierung

(b) Blockdiagramm, das problemlos in eine Arboreszenz transformierbar ist. Visuell: Ra­ster; inhaltlich: Hierarchie und Dichotomisierung. (Beispiel: Hockett) ->

(c) Matrix, die mit gewissem Aufwand in eine Arboreszenz transformierbar ist. Visuell: Raster; inhaltlich: Parallelisierung. (Beispiel: Pottier) ->

(d) Blockdiagramm, das nicht in eine Arboreszenz transformierbar ist. Visuell: Raster; inhaltlich: parallelisierendes espacement. (Beispiel: Hjelmslev)

Daß wir eingangs das Raster auf Basis der visuellen Kriterien bereits dem visuellen Feld Baum zugeschlagen haben (Baum: Oben-unten, Verzweigung; Raster: Oben-unten, links-rechts) , erweist sich unter Einbeziehung von inhaltlichen Gesichtspunkten (wie man sie an der Transformierbarkeit von Raster in Arboreszenz oder auch umgekehrt dingfest machen kann) nachträglich als fundiert, denn die Differenz zwischen Arbores­zenz und Raster ist gradueller Natur.

Ausdrucksseitig Inhaltlich in Arboreszenz (visuell) transjormierbar?

Arboreszenz linear, verzweigend Hierarchie, ---Dichotomisierung

Blockdiagramm Raster Hierarchie, problemlos Dichotomisierung (Bsp. : Hockett)

Matrix Raster Parallelisierung ja, mit Aufwand (Bsp.: Pottier)

Blockdiagramm Raster Parallelisierung nein (Bsp. Hjelmslev)

Für unsere wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung ist dies bedeutsam. Ermöglicht doch die Zugehörigkeit von Arboreszenz und Raster zu dem einen Feld des Baumes die Kontinuität im Wechsel der linguistischen Darstellungspraxis zu verfolgen. Um Be­griffsverwirrungen zu vermeiden, verwenden wir dabei im Folgenden die Bezeichnung Arboreszenz statt «Baumdiagramnm, Baum bleibt für das visuelle Feld von Arboreszenz und Raster reserviert. Der Wechsel der Darstellungswahl wird sich als signifikantes Merkmal von Paradigmen und oft transdisziplinär motiviert erweisen. Als Beispiel hier­für sei vorausgreifend die Simultaneität des Darstellungswandels im europäischen Struk-

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1 03

turalismus (z .B. Saussure und Hjelmslev) mit dem Wandel in der Kunst (z.B . vom frühen zum späten Mondrian; cf. Kap. 5) genannt.

Daneben zeigt sich aber auch, gerade in den Anfangsstadien «neueD> Paradigmen, ei­ne Tendenz, visuelle Konzepte auszuschöpfen - «Scientific exploits consist often in discovering good fits hidden by the primary appearance of the evidence, yet applicable through ingenious re-structuring.» (ARNHEIM 1 969 :91) . So finden sich beispielsweise in Saussures Cours alle Varianten des Bildfeldes Baum:

ikonisch

obiets noms

etr. , etc.

SAUSSURE, Cours 1 : 1 47/ III C 278/ 1 087

analytisch

\ / - 0 -1 \

SAUSSURE, Cours 1 :289/ S 2.38/2035

enseigne

� t /' enseignement

/' t enseigner

SAUSSURE, Cours 1 :289/ III C 383/2035

abstrakt

_a_ l b a' x

SAUSSURE, Cours 1 : 265/N 10/ 1906

Freilich werden in der wissenschafts sprachlichen und -graphischen Praxis nicht bei je­dem Rückgriff auf das Metaphern- oder Bildfeld Baum alle Komponenten angespro­chen. Was sprachliche Metaphern betrifft, wird häufig auf den Stammbaum und seine Ve'iJVeigungen oder auf die Wur{eI (z .B. Wortwurzel, heute oft als Wortstamm bezeichnet) zurückgegriffen; auch der Aspekt der «lebenden Pflanzlichkeit» spielt mit der Organis­mus-Metapher eine gewisse Rolle. Was den visuellen Bereich angeht, finden von den drei möglichen Grundtypen des Baumes in der Linguistik nur Arboreszenz und Raster (mit Varianten wie Würfel, Sternen, Blockmatrices) eine systematische Verwendung. Ikoni­sche Bäume wie Saussures allseits bekannter «Baum der Arbitrarietäo> kommen zwar vor; sie haben jedoch lediglich exemplifizierenden Wert und werden hier deshalb nicht weiter verfolgt.

Die visuellen Grundtypen können natürlich darstellerisch verschieden varüert wer­den. So ist beispielsweise die Verzweigung nicht zwingend streng binär, sondern oft gruppierend. Bei graphischen Darstellungen kann die Oben-Unten-Orientierung einer

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1 04

Arboreszenz aus praktischen Gründen um 1 80° oder 90° gedreht werden58, ohne daß die inhaltliche Komponente 'Hierarchie' davon berührt wird. Wichtig ist aber vor allem, daß Raster oder Arboreszenzen auch textuell paraphrasiert sein können - die Absenz graphischer Darstellungen bedeutet nicht eine Absenz des Baum-Bildess9. Oft (aber nicht immer) ist die textuelle Paraphrasierung des Baum-Bildes an der parallelen Ver­wendung der sprachlichen Baummetapher erkennbar (dies belegt auch die Verwoben­heit von visuellem und sprachlichem Feld) , so z.B. bei Descartes (3 .8) . In systematisch angelegten Texten kann zuweilen auch die Gliederungsstruktur Hinweise auf ein zugrundeliegendes Baum-Bild liefern, so z .B. in der Encyclopedie (3. 1 3) . In den folgenden Kapiteln wird es deshalb nicht selten der Fall sein, daß wir ein in einem Text aufgespür­tes Baum-Motiv zur Verdeutlichung graphisch umsetzen. Sofern der Umfang des zugrundeliegenden Textes es erlaubt, werden die entsprechenden Passagen zusätzlich ausführlich zitiert.

Fassen wir zusammen. Grundsätzlich scheint es schwer zu bestreiten, daß wissen­schaftskulturelle ebenso wie physische Erfahrungen und Werte systeme auf das (visuelle und sprachliche) Baumbild der Linguistik übertragbar sind. Das bedeutet, die von La­koff und Johnson beschriebene Korrelation von kulturellen und physischen Wertesy­stemen kann nicht nur auf literal metaphors der Alltagssprache, sondern auch auf wissen­schaftssprachliche Metaphern und Bilder angewendet werden (cf. LAKOFF 1 987:299) . Dies geschieht mit besonderer Berechtigung, wenn wissenschaftliche Metaphern oder Bilder sich als ein dominantes Muster über große Zeiträume hinweg erweisen, wie wir dies für den Baum in der Linguistik nachweisen wollen. Die schrittweise Anwendung des Baumbildes auf verschiedene Phänomene der Sprache (diachronische und synchro­nische, syntaktische und semantische) kann als eine Gewinnung kognitiver Kohärenz über Ähnlichkeiten interpretiert werden. Dies entspricht einer Ausschöpfung der sich durch die Metapher eröffnenden Interpretationsmöglichkeiten und bildet gerade in den Humanwissenschaften eine sinnvolle Ergänzung zu den Strategien «analytische Abstrak­tiOID> und «konsequente DenotatioID>, die man aus den Naturwissenschaften zur Ver­meidung themenfremder Einflüsse (SCHÜLEIN 1 995:32) übernommenen hat60. Anderer-

58 Beispielsweise fichern sich transformationelle grammar Irees nach unten auf. 59 Die von HEINTZ 1 995 ins Auge gefaßte These, daß die jüngst in wissenschaftlichen Arbei­

ten vermehrt auftretenden Graphiken eine Abkehr von rationalistischen Formalisierungen be­deuteten, scheint mir nicht haltbar. Dieser Trend dürfte eher auf vereinfachte Satzverfahren zurückzuführen sein.

60 Dabei gibt es auch in der modernen Naturwissenschaft weit verbreitete Zweifel an der Möglichkeit einer <<reinen» abstrakten Darstellung. So äußerte sich Bohr in seinen Gesprächen mit Heisenberg: <<Man könnte natürlich sagen, daß die mathematischen Schemata, mit denen wir als theoretische Physiker die Natur abbilden, diesen Grad von logischer Sauberkeit oder Strenge haben sollten. Aber die ganze Problematik taucht dann wieder auf an der Stelle, wo wir das ma­thematische Schema mit der Natur vergleichen. Denn irgendwo müssen wir von der mathemati­schen Sprache zur gewöhnlichen Sprache übergehen, wenn wir etwas über die Natur aussagen wollen.» (HEISENBERG, TG: 1 88) . Obwohl Bohr die gewöhnliche Sprache als <<Unreines» Medi­um sieht, verurteilt er sie keineswegs als Erkenntnismedium - die gleichnishafte Formulierung soll dem Leser nicht vorenthalten werden Gedem Benutzer gemeinsamer Spülküchen wird sie spontan einleuchten): <<Mit dem Geschirrwaschen ist es doch genau wie mit der Sprache. Wir haben schmutziges Spülwasser und schmutzige Geschirrtücher, und doch gelingt es, damit die Teller und Gläser schließlich sauberzumachen. So haben wir in der Sprache unklare Begriffe und eine in ihrem Anwendungsbereich in unbekannter Weise eingeschränkte Logik, und doch

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105

seits muß dadurch die Verquickung von Metasprache und Sprache, wie gerade im Falle der Linguistik, nicht mehr unbedingt als «Belastung des Erkenntnisprozesses» (SCHÜLEIN 1 995 :35) gesehen werden. Denn schließlich bestätigt sich mit der These der Kohärenz auch, was schon Duhem, Whitehead, Camp bell und Quine61 als Netzwerk observationaler und theoretischer Gesetze beschreiben, durch welches in letzter Konse­quenz die strikte Trennung von observation und theory, common sense und science relativiert oder gar aufgehoben wird (cf. HESSE 1 974:2ss.) .

Nun könnte man erwarten, daß im Laufe der sukzessiven Übertragung des Baumbil­des auf verschiedene Bereiche der Linguistik eine Spaltung des Baummodells in einen Baum 1 (z.B. der Sprachenstammbaum) . . . bis Baum n (z.B. der generative grammar !ree) eintritt, und anstelle einer Kohärenz vielmehr eine Konkurrenz anzutreffen ist - im­merhin haben wir es bei den verschiedenen Arboreszenzen und Rastern und ihrer jewei­ligen Interpretation mit sehr unterschiedlichen, sich zeitlich ablösenden Theorien der Sprachwissenschaft zu tun. Dies ist jedoch aufgrund des Charakters geisteswissenschaft­licher Paradigmen nicht der Fall (cf. 1 . 1 ) . Zwar gibt es zeitliche Ablösungen, inhaltlich jedoch verhalten sich die Paradigmen, ebenso wie die daran beteiligten Bilder, komple­mentär und damit kohiirent. Mit einer objektivistischen (und naturwissenschaftlich orien­tierten) Wissenschaftstheorie wie derjenigen Poppers ist eine solche Kohiirenz nicht zu vereinbaren: « . . . metaphoric and metonymic models do not fit into the objectivist fra­mework, since they are matters of understanding and do not correspond to anything in an objectivist universe.» (LAKOFF 1 987:204) .

Daß neben dieser inhaltlichen Kohärenz sprachwissenschaftlicher Paradigmen eine chronologische «Kontinuität mit Brüchen» besteht, bestätigt die Wiederkehr (Wiederho­luni) des Baumbildes in wechselnden Varianten: als Arboreszenz in der logischen Sprachbetrachtung, später in der genealogischen Sprachwissenschaft, wieder später in der Transformationsgrammatik; dazwischen als Raster in Laut-Tableaus des 1 7 . Jahr­hunderts und später im europäischen Strukturalismus. Darüber hinaus zeigt sich bei vielen Wechseln der Bildvariante der Widerhall aus anderen Disziplinen, wie wir ihn als charakteristisch für geisteswissenschaftliche Paradigmen beschrieben haben.

gelingt es, damit I<Jarheit in unser Verständnis der Natur zu bringern>. (ib. : 1 90) . Cf. ebenso HEI­SENBERG 1 984:223-25 oder CU:338.

61 Cf. WHITEHEAD 1 974: 1 39s . ; CAJ'vfPBELL 1 957:49s . ; DUHEM 1 906 zum Aufbau theoreti­scher Gesetze auf lois experimentales (p. 5-43) und zur experience physique als zweiseitiger Erfahrung aus obse17Jation und relation symboliques (p . 271 -93, 427ss.) ; QUINE 1 953:27, 42s. zur Vernetzung von im}}s; QUINE 1 960:3s . , 9-12, 40-46 und 1 953:44 zu den fließenden Grenzen zwischen eommon sense, scienee und philosophy bzw. zwischen stimulus meaning und meaning of observational sentences auf alltäglicher und wissenschaftlicher Ebene; RHEINBERGER 1 997: 1 5s . zur <<innovativen Eigendy­namilo> experimenteller Praktiken.

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3

Die Tradition des «Baumes»

Alles ist besser als mit so einem nichtssagenden Lächeln in einem Gebüsch aufzukreuzen und Blumen in einen Korb zu sammeln. Als nächstes würdest du bemerken, daß du hin- und herhüpfst. Was wirst du nun mit den Veilchen machen, wo du sie schon mal gepflückt hast? <<Na, in eine Vase steilem>, sagst du. Was für ein blöde Antwort. (WOODY ALLEN, Über das Vergnügen, durchs Gebüsch Zu hüpftn und Veilchen Zu pflücken)

Nach den vorangegangen theoretischen Überlegungen, ist es an der Zeit, dem Leser etwas mehr Kolorit zu gönnen. Hierzu werden wir einen kleinen Streifzug durch die Geschichte visueller und textueller Baum-Bilder unternehmen. Zugleich können wir so unsere Behauptung, die Dichotomisierung sei ein wesentlicher Bestandteil unserer (Wis­senschafts-)Kultur (2.3 . 1 und 2.4. 1 ) , dahingehend spezifizieren, daß der Baum in unse­rem wissenschaftlichen und philosophischen Diskurs ein wesentliches Darstellungmittel ist! .

Uns für diesen historischen Streifzug auf die Bäume der Linguistik zu beschränken, wäre nicht sinnvoll (dies heben wir uns für Kapitel 4-6 auf), dafür ist die Linguistik eine zu junge Disziplin. Wir werfen zunächst einen Blick auf deren Vorgänger in Philoso­phie, früher Naturwissenschaft und Sprachbetrachtung. Dies ist auch deshalb vernünf­tig, da sich einerseits die Sprachwissenschaft aus der Philosophie entwickelt hat (man denke z.B. an die uralte Verknüpfung von Grammatik und Logik) , andererseits die An­fänge der Naturwissenschaft in der Naturphilosophie wurzeln, und die «reife» Naturwis­senschaft spätestens mit Darwin Einfluß auf die Sprachwissenschaft ausübt.

Wer auf grund der Kapitelüberschrift eine umfassende, systematische Retrospektive erwartet, wird vielleicht enttäuscht. Diese wäre ein wahrhaft enzyklopädisches Unter­fangen, das zahlreiche Bände füllte. Unser Streifzug wird eher einem Rundgang durch eine Ahnengalerie gleichen, wo auch meist nicht alle Familienmitglieder repräsentiert sind, sei es aus finanziellen, moralischen, räumlichen Gründen oder schlicht aus Zufall. Die letzten beiden Gründe treffen auch für unsere Darstellung zu: Die Auswahl der Bilder beruht auf ihrer Augenfalligkeit und ihrem Bezug zu Baum-Bildern in der Lingui­stik, vermutlich auch auf Recherchezufallen (wer weiß, wieviele Bäume mir entgangen sein mögen?) , und natürlich auf der Größe der zur Verfügung stehenden «Kapitelwancl». Einen Blick für die «Familienähnlichkeit» zwischen den Bildern mag man gleichwohl vermittelt bekommen. Unsere einzige Systematisierung wird deshalb in einer einigerma­ßen chronologischen Anordnung der Bilder liegen - dies ist immerhin schon mehr, als

1 Eine reiche, wenn auch wenig geordnete Sammlung von Anekdoten, Mythen und Bildern des Baumes in der Kulturgeschichte Europas liefert DEMANDT 2002.

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1 07

manche Ahnengalerie bietet -, strengere Systematisierungskriterien heben wir uns für die folgenden Kapitel auf.

3.1 Der Baum der Erkenntnis, der Baum des Lebens und der Mythos von Babel (Altes Testament)

Das Symbol des Baumes tritt in vielen Mythologien asiatischen, amerikanischen und europäischen Ursprunges auf: als kosmischer Baum, Baum der Erkenntnis, Baum des Lebens usw. So erscheint im Hinduismus Shiva (Schöpfer und Zerstörer der Welt) als vielarmige Gottheit2, indianische Kulturen knüpfen ihre Familienmythen an Totem­bäume; und in iranischer Mythologie erscheint der Baum als Fruchtbarkeitssymbol. Aus dem christlichen Kulturkreis erscheinen drei Mythen für die Betrachtung des Baumes relevant, die alle auf das Alte Testament zurückgehen: Der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse (Trennung von Gott) , der Baum des Lebens (Erschaffung der Menschen und Versöhnung mit Gott) und die babylonische Sprachverwirrung (Trennung der Menschen) .

Als Baum der Erkenntnis steht das Baummotiv biblisch am Ursprung der Menschheit:

Und Gott, der Herr, pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Men­schen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde al­lerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkennntis des Guten und Bösen . . . Und Gott der Herr gebot den Menschen und sprach: Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Ta­ge, da du von ihm issest, mußt du des Todes sterben . . . das Weib sah, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. ( 1 Mose 2,8 bis 3,6)

Daß Eva der Verlockung nicht widersteht, ist hinlänglich bekannt. Durch den Genuß der Frucht vom Baum der Erkenntnis vermögen Adam und Eva Gut von Böse zu un­terscheiden, sie erkennen, daß sie nackt sind. Gott zürnt und vertreibt sie aus dem Para­dies, um zu verhindern, daß sie auch noch vom Baum des Lebens äßen und unsterblich würden. Als Strafe für den Sündenfall wird Adam die Mühsal der Ernährerrolle aufer­legt, Eva erhält die Gebärerrolle und verliert ihre Gleichberechtigung (<<er aber soll dein Herr sein», 1 Mose 3,1 6) . Die Schönheit der Erkenntnis verknüpft sich damit eng mit Destruktivität und der Endlichkeit des Menschen. Das Bild des Baumes symbolisiert beide Momente: Verlockung und Strafe, Erkenntnis und Trennung von Gott.

2 Vermutlich vermittelt durch frühe Weltreisende wie Marco Polo, erscheinen vielarmige Fa­belwesen oder Götter vereinzelt auch in abendländischen Illustrationen, so eine zwölfarmige Fortuna in einer Boccaccio-Handschrift des frühen 1 5 . Jh. (Ms. Paris, Arsenal 51 93, fol. 229; BALTRUSAITIS 1985:253-58) .

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Die Erschaffung Adams und die Ur sünde, Freske aus der Eremitage de l a Vera Cruz, um 1 1 25, Maderuolo (Segovia). Madrid, Prado (abgedruckt nach DUBY 1 979:70, Abb. 1 08)

Auch wenn in der Genesis vom Baum des Lebens nur am Rande die Rede ist, wird er in Texten und Darstellungen der christlichen Mythologie oft als Symbol der Erschaffung des Menschen verwendet. Links: Lebensbaum und Schopfung der Eva, Miniatur aus dem

Hortus deliciarttm, um 1 205 (links, abgedruckt nach BALTRUSAITIS 1 985: 1 58) .

Die beiden Bäume aus der Genesis (Baum des Le­bens und Baum der Erkenntnis) werden damit zum Symbol für verschiedene Dichotomien: ewiges Le­ben und Erkenntnis als paradiesische und göttliche Güter, Gnade und Zorn Gottes, unschuldiges Glück und schuldige Mühsal der Menschen.

Im Verlauf des Alten Testamentes mangelt es nicht an weiteren Verstimmungen Gottes durch die Menschen, aber auch nicht an Versöhnungsangebo­ten bzw. Erneuerungsbewegungen des Glaubens . Eines dieser Versöhnungsangebote ist die Prophe­

zeiung eines neuen Friedensreiches unter dem Stamm des Isai, unter dem die gläubigen Völker erneut vereint werden sollen:

Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn . . . Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern . . . Und der Herr wird zum zweiten Mal seine Hand ausstrecken, daß er den Rest des Volkes loskaufe, der übriggeblieben ist in Assur, Ägypten, Patros, Kusch, Elam, Schinar, Hamat und auf den Inseln des Meeres. (Jesaja 1 1 ,1 · 1 1 , 1 1)

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Der «Zweig» Isais wird damit zu einem der maßgeblichen Stammbäume der Christen­heit, einer neuen Variante des Lebensbau­mes, wie er auch in dieser Bibelminiatur des 1 5 . Jahrhunderts dargestellt ist: Die Wurzel Jesse, Miniatur in einer holländischen Bibelhandschrift, um 1425 (obere Abbil­dung, abgedruckt nach BALTRUSAITIS 1 985 : 1 73) .

Nicht selten wird bei den Bäumen des Lebens auch der Tod mitgedacht. Leben und Tod als zwei Seiten der menschlichen Existenz werden im wahrsten Sinne als miteinander «verwachsen» dargestellt - wie uns Grabmalsverzierungen wie diese am Grabdes 1 286 verstorbenen Heinrich von Festingen in Trier vor Augen führt (mittle-

re Abbildung, abgedruckt nach BALTRUSAITIS 1 985: 1 58) .

Aus biblischer Sicht ist der Tod vorrangig ein neutestamen­tarisches Motiv: Die Kreuzigung Christi repräsentiert die Ver­gänglichkeit der Menschen, und verheißt Ihnen zugleich ein neu­es Leben nach dem Tod. Das Kreuz als Todesbaum beinhaltet zugleich die Verheißung ewigen Lebens, wie in der Honnecourt­

Zeichnung deutlich wird (untere Abbildung: Christ en croix, entre Ja Vielge et saint Jean, 13 . Jh., Paris B.N. fr. 1 9093: fol. 8; HONNECOURT:7, n° xv).

Wie das Bild des Baumes schon in der Genesis Leben und Sterblichkeit miteinander verknüpft, verbinden sich auch im neu testamentarischen Kreuz Tod und Leben, Opfer und Erlösung, Mahnung und Vergebung. Baum und Kreuz er­scheinen also in mythologisch zentralen Aussa­gen biblischer Texte und belegen die tiefe Ver­ankerung des Motives in der christlichen Traditi­on.

Kommen wir zum dritten biblischen Baum, den wir angekündigt haben: die babylonische Sprachverwirrung. Mancher Leser mag sich zu­

recht gewundert haben, warum ich Babel kurzerhand der Baum-Motivik zugeschlagen

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1 1 0

habe. In der Tat spricht der alttestamentarische Text nämlich nicht wörtlich von einem Baum .

. . . [die Menschen] sprachen: Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder . . . Und der Herr sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einer­lei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, laßt uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, daß keiner des an­dem Sprache verstehe! So zerstreute sie der Herr von dort in alle Länder, daß sie aufhö­ren mußten, die Stadt zu bauen. (1 Mose 1 1 ,4ss.)

Dennoch erscheint es mir aus zwei Gründen legitim, den Babelmythos der Tradition biblischer Bäume zuzuordnen. Erstens: Die babylonische Sprachverwirrung gehört ne­ben der Vertreibung aus dem Paradies und der Sintflut (1 Mose 1 ,6s .) zu den drei großen Bestrafungen der Menschheit. Die mythologische Position des Baumes der Erkenntnis und des Turmes sind dabei identisch - der Versuch, Gott nahe zu kommen (wesensmä­ßig bzw. geographisch, durch Erkennmis bzw. Macht und Einheit), wird mit Mühsal (der Lebenserhaltung bzw. der Verständigung) gestraft. Zweitens ist unschwer zu er­kennen, daß es hier um die Spaltung der Sprachen und der Völker geht. Der Babelmy­thos bleibt für die Sprachbetrachtung vom 14. Jh. bis hin zur Encyc!opidie (cf. 3.2, 3 .5 , 3 . 1 3) maßgeblich für die Vorstellung eines Stammbaumes der Sprachen und der Völker. Selten ist dort von der Sprachenvielfalt die Rede, ohne daß zugleich der Babelmythos als Ursache genannt wird.

3.2 Arboreszenzen des Mittelalters: Sprachenstammbaum (Dante) und «spekulative Bäume» (Scholastik)

Die Berufung des Mittelalters auf das Baummotiv ist vielfaltig, und hier natürlich nicht umfassend darstellbar. Es gibt einerseits eine biblisch Tradition in der religiösen Kunse mit den Motiven des paradiesischen und des isaische Lebensbaumes (cf. Abbildungen in 3 . 1 ) .

Zur biblischen Tradition muß aber ebenso einer der ersten «sprachwissenschaftli­chem) Stammbäume gezählt werden, den Dante um 1 303 in seinem De vulgari eloquentia entwirft. Seine Reflexionen zur Sprachverschiedenheit in Europa beginnt er mit der Überzeugung, daß alle Sprachen aus einer adamitischen gottgegebenen Ursprache her­vorgegangen seien. Als Nachfahrin dieser Sprache identifiziert Dante das Hebräische, weil die Hebräer die einzige am Turmbau unbeteiligte Gruppe gewesen seien, ihre Spra­che demnach <<ungestraft» geblieben sei (DANTE, DVE:54-56, 63 [1,6s .] ) . Ausgehend von der mythischen Begründung der Sprachenvielfalt im Turmbau zu Babel entwickelt Dante auf grund seiner Sprachbeobachtungen einen Sprachenstammbaum für die euro­päischen Sprachen. Drei Nachfahren der in Babel entstandenen Sprachgruppen macht

3 Cf. z.B. den Baum J esse in einem Außenrelief der Kathedrale von Rouen (1 5 1 1 - 1 532), Fo­tografie in BALTRUSAITIS 1 985:26 1 . (Das Lebensbaum-Motiv ist allerdings nicht auf den Ein­flußbereich christlicher Mythologie beschränkt, sondern zeigt sich auch u.a. als «sprechender Baum» im persischen Mittelalters. Cf. BALTRUSAITIS 1 985: 1 5 1 -74, 258-63) .

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1 1 1

er im Europa seiner Zeit aus : die Sprache der Griechen (Dante ordnet sie sowohl Euro­pa als auch Asien zu) , die der « Schiavones, Ungari, Teutonici, Saxones, Anglici» (also eine germanisch-slawische Sprachgruppe) und schließlich den Rest, «Totum vero quod in Europa restat ab istis» (eine Art romanische Sprachgruppe) . Letztere teilt sich wieder­um in drei verschiedene Sprachen (<< . . • ab uno eodemque ydiomate istarum trium genti­um progrediantur vulgaria . . . »)'. Dante verfolgt die zeit-räumlichen, immer feineren Verästelungen der Sprache(n) bis hin zu diatopischen, diastratischen, und sogar indivi­duellen Varietäten (cf. WUNOERLI 1 993s. :94-1 03) :

Quare autem tripharie principalius variatum sit, investigemus; et quare quelibet istarum variationum in se ipsa variatur, puta dextre Ytalie locutia ab ea que est sinistre (nam a1iter Paduani et aliter Pisani locuntur); et quare vicinius habitantes adhuc discrepant in loquen­do, ut Mediolanenses et Veronenses . . . et, quod mirabilius est, sub eadem civilitate moran­tes, ut Bononienses Burgi Sancti Felicis et Bononiensis Strate Maioris. (DANTE , DVE:74 [1,9])

So greift Dante zwar einerseits auf den biblischen Mythos der Sprachverwirrung zurück, löst sich aber andererseits durch einen hohen Grad an linguistischer Analytizität weitge­hend von einem rein mythischen Zitat. Er dürfte damit einer der Ersten gewesen sein, der ein genealogisches Verzweigungsmodell auf die Sprachen anwendete, wie es beson­ders in der Sprachgenealogie des 1 9 . Jahrhunderts wie­der <<II1odern» werden wird.

Spätere analytische Bäume des Wissens, wie sie vor al­lem die Renaissance hervorbringt (3 .3) , greifen dagegen nicht auf die biblische Tradition zurück, sondern schei­nen vielmehr der Differenzierungs- und Darstellung­tradition der mittelalterlichen Scholastik verpflichtet. Die Hochscholastik etabliert zwischen dem 1 2. und 1 4. Jahrhundert die Dominanz eines deduktiven (meist dichotomisierenden) Prinzips für die Geisteswelt, das für unsere Zwecke mit den Worten <Nielheit aus der Einheit des göttlichen Prinzips» oder «Einheit des Ur­bildes und Vielheit des Abbildlicherl» umrissen werden kanns. Diese Anschauung zeigt sich an zentraler Stelle beispielsweise in der Doktrin der trinitas (cf. COURTH 1 985) , dem Dreieinigkeitsprinzip von Gott (Einheit) , Sohn und Hei­ligem Geist (Vielheit) , wie sie auch dieser spätere französische Holzschnitt aus dem 16 . Jh . darstellt (nach Didron, Iconographie chritienne; abgedruckt nach BALTRUSAITIS 1 985 :55) . - Die Dichotomisierung dieses Holzschnittes ist speziell: Sie erfolgt zwei­bzw. dreifach, so daß sich eine symmetrische Form der <J)reifaltigkeib> ergibt.

Eine entsprechende hierarchische Dreiheit (oder Dichotomisierung) sieht die Schola­stik in der Ordnung der Schöpfung, die eine «Ordnung der Natur» und eine «Ordnung der alttestamentlichen Gesetze» um faßt; oder auch in der Gliederung des Kosmos der

4 Diese vulgana können an ihren Bejahungsformen unterschieden werden: nach oe der «Y spa­rll» , oi! der «Franc!» oder si der <<Latirll» . Daß diese drei Sprachen dennoch einer Gruppe angehö­ren, wird mit der vielzahligen Ähnlichkeit anderer Wörter (Deum, ce/um, amorem u.a.) gerechtfer­tigt (cf. DANTE, DVE:62-66 [1,8] ) .

5 Cf. z .B . SCHMIOT 1 969, OE VRlES 1 980, SCHÖNBERGER 199 1 .

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1 1 2

Wissenschaften (der septem artes liberales) in Trivium (Logik, Grammatik, Rhetorik, wobei in dieser Dreiheit wiederum die Logik als durchdringendes Prinzip gesehen wird) und Quadrivium (Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie) - die auf Boethius (ca. 480� 524) zurückgeführt wird6•

Das theologische Axiom von der Einheit des göttlichen Prinzips und den daraus re� sultierenden abbildhaften Vielheiten verbindet sich dabei nahtlos mit dem Rückgriff auf die aristotelische Logik und Dialektik. Dies zeigt sich u.a. in der spekulativen Gramma� tik und in der scholastischen Darlegungsmethode der quaestio.

Die spekulative oder modistische Grammatik (vertreten z.B. von Thomas von Aquin, Thomas von ErEurt, Roger Bacon u.a.) entsteht aus der Vermischung aristotelischer Kategorienlehre und katholischer Theologie einerseits und den grammatischen Be� schreibungen des Lateinischen nach dem Vorbild von Priscian und Donatus anderer� seits . Als symptomatisch für diese ideologische Mixtur kann ein Satz eines anonymen Manuskriptes aus dem 9. Jh. gelten, der sinngemäß lautet: «Das Verbum hat drei Perso� nen. Dies halte ich für von Gott inspiriert, damit unser Glaube an die Dreieinigkeit auch in den Worten in Erscheinung trete» (cf. ARENS 1 969:35) . Ausgehend von der These, daß metaphysisch�ontologische Kategorien «transzendenD> ebenso für die Struktur der realen Welt, der Gedankenwelt und der Sprache Gültigkeit besitzen, legt die spekulative Grammatik den Grundstein für die Idee einer Universalgrammatik bzw. die Überzeu� gung, daß verschiedene Sprachen im Grunde auf ein Muster zurückzuführen sind7• Das Prinzip der dichotomisierenden Dreiheit (2.4 . 1 ) , das im religiösen Bereich als Dreieinig� keit auftritt, zeigt sich in der philosophischen Grammatik der Modisten in verschiede� nen Variationen für den Bereich von Ding - Wort/Sprache - Bedeutung/Verstehen. So werden (1) die modi essend i (die Seinsweisen der Dinge) nach der aristotelischen Unter� scheidung von Essenz und Akzidenz in modus entis (persistente Eigenschaften des Din� ges/Permanenz) und modus esse/ fluxus/ motus (vorübergehende Eigenschaften des Din� ges/Prozessualität) unterteilt. (2) Die modi intelligendi (Arten des Verstehens) unterteilen sich in <<LerneID> (modus intelligendi activus) und «WiederkenneID> (modus inteJligendi passivus) . (3) Die modi signiftcandi (die Arten des Bedeutens) sind vertreten durch den modus signift� candi activus (Wort - Bedeutung) und den modus signiftcandi passivus (Wort - Eigenschaften des Dings) , etwa vergleichbar der «SymbolfunktioID> und der «ReferenzfunktioID> bei OGDEN/RrCHARDS 1 960:9� 1 1 , 20�22. Eine Gesamtkonstellation wäre also folgende8:

6 Die Einteilung in sieben Disziplinen findet sich schon zuvor bei Varro (Disciplinae, 1 . Jh. v. Chr.) , Augustinus (4. /5 . Jh.), Martianus Capella (5. Jh.) und Cassiodorus (Institutiones, 5. Jh.) , cf. ROBINS 1 997:82.

7 Die Idee des universalen Musters kehrt in der Sprachbetrachtung zyklisch wieder, u.a. bei Port�Royal (1 7 . Jh.) und Chomsky. Cf. SALUS 1 976, SHARADZENIDZE 1 976.

8 Je nach Ausrichtung des einzelnen Modisten kann die Konstellation verschieden sein: So kann die Dreiheit der modi intelligendi den modi significandi übergeordnet sein. In der Aussage macht dies natürlich einen gewaltigen Unterschied - das Muster bleibt davon aber unberührt.

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modus significandi activus (significatio)

/ Bedeutung

� modus intelligendi activus

modus intelligendi passivus

I

Wort

modus significandi passivus (suppositio9)

� Ding

� modus entis

modus motus

1 1 3

<<Lernen» «Wiedererkennen» «Permanenz» «Prozessualitäo)

In der Grammatik spiegeln sich diese Unterteilungen in der Charakterisierung der ein­zelnen Redeteile wieder: So drücke z.B. das Nomen den modus entis (permanenz) aus, das Verbum den modus motus losgelöst von der Substanz, das Partizip den modus motus nicht losgelöst von der Substanz usw. (cf. ROBINS 1 997:88- 1 04) . Auf Basis dieser Prinzipien entstehen die ersten dependenziellen Arboreszenzen, wie sie SEUREN 1 998:36 aus der Grammatica Speculativa von Thomas von Erfurt (ca. 1 300- 1 3 1 0) herleitet:

Satz (sermo)

� Prädikat Subjekt

Socrates � Verb percutit

direktes Objekt Platonem

Auch die scholastische Argumentationsform der quaestio verbindet die Aussage der Ein­heit mit der Behauptung einer Mehrheit, folgt also dem dialektischen Prinzip. Die For­mulierung der quaestio in theologisch-philosophisch-wissenschaftlichen Texten soll dabei so gefaßt sein, daß der Leser vom Wordaut (fittera) über den nächstliegenden, aber ober­flächlichen Sinn (sensus) zum tieferen Sinn (sententia) gelangt - das gemeinte deduktive Prinzip also quasi «rückläufig» erfassen kann. Dieser Anspruch der logischen Durchar­beitung und Gesamtdarstellung führt zur summa als neuer textueller Gliederungsform: Texte werden zunehmend nicht mehr einfach in «Bücher» eingeteilt, sondern wie z .B. in Thomas von Aquins Summa Theologiae (1266-1 273) , in partes, diese wiederum in kleinere partes, diese in membra, quaestiones, distinctiones bis zu articuli usw. (cf. PANOFSKY 1 989 :24-

26) . Das Verzweigungsschema findet sich also nicht nur in den Inhalten der Scholastik an zentraler Stelle, sondern auch in der für sie typischen textuellen Darstellungsform. Das Nützliche (bonum) wird so mit dem Schönen (pulchmm) , der Ästhetik der möglichst symmetrischen pro portio verbunden (cf. Eco 1 987) .

9 Zur linguistischen Problematik der scholastischen suppositio cf. DUCROT 1 976.

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1 1 4

Blickt man zurück auf die vor- und frühscholastische Epoche, s o stellt man fest, daß die wachsende Dominanz des Verzweigungs-prinzips rasterhafte, parallelisierende Darstel­lungen wie sie der kanonistischen Tradition und ihrer Konkordanzmethode entsprangen, schrittweise verdrängt zu haben scheint, wie sie die Kanones zeigen (hier: Book of Lindisfarne, 8 . Jh . ; London, British Library, Cotton MS Nero D.IV, fol. 1 6rO) ' 0. Auch wenn wir diese Spur hier nicht weiter in einzelnen Manuskripten verfolgen können, ist doch für spätere ver­gleichbare Bilderwechsel zwischen Arbores­zenz und Raster relevant, daß hier ein sich textuell und graphisch manifestierender «Para­digmenwechseb einhergeht mit einem Para­digmenwechsel in der bildenden Kunst, der sich in der Architektur am sichtbarsten ab­zeichnet. Während in der Romanik statisch wirkende Quadrate und (Halb-)Kreise das Formeninventar der Architektur dominieren" (wie sie auch in der obigen Darstellung des Kanons verwendet werden), sind es in der Gotik die bekannten Spitzformen.

/ (SNYDER 1989:354, 358)

Die gotischen Formen basieren auf sich von unten nach oben entwickelnden Verzwei­gungsstrukturen, die sich in der Spätgotik zu wahrhaften Astgeflechten auswachsen, wie in der Glocester Catheclral, ca. 1 370-77 (abgedruckt nach SNYDER 1 989:413) .

Über das Verzweigungsprinzip hinaus, das korrespondiert mit der Dominanz des Dreieinigkeitsprinzips im theologischen und mit der dialektischen Methode im allgemein methodischen Bereich der Scholastik, beobachtet Panofsky ebenso eine Spiegelung (spe­culatio) der scholastischen Forderung nach Deutlichkeit und deduktiver Beweiskraft in der architektonischen Gesamtgliederung gotischer Gebäude: «Entsprechend den klassi-

10 Ein spätes Beispiel (12. Jh.) solcher Kanones ist das Ms. Angers, Bibliotheque Municipale n° 2 1 , fol. 7 (abgedruckt in: GREGOlRE/MOULIN/OURSEL 1 985: Abb. 1 27) . Datierung nach Cata/ogue des manuscrits de /a Bibliotheque d'Angers, ed. A. LEMARCHAND, Angers 1 863.

" Zu dieser gängigen Stilcharakterisierung cf. PANOFSKY 1 989:47 und die Beispiele in DUBY 1 979: 1 1 -70, GREGOIRE/MOULIN/OURSEL 1 985, CASTELFRANCHI VEGAS 1 995a und 1 995b.

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1 1 5

schen Forderungen der Hochgotik müssen die einzelnen Elemente, auch wenn sie zu einem unzertrennbaren Ganzen gehören, dennoch . . . klar voneinander unterscheidbar bleiben . . . Es muß möglich sein zu erkennen, welcher Bauteil zu welchem gehört, wor­aus das, wie man es nennen könnte, 'Postulat der wechselseitigen Ablei­tung' resultiert » (PANOFSKY 1 989:34) .

Die Analogie zwischen scholasti­scher Gliederung und gotischer Archi­tektur bildet keinen Einzelfall in der Geschichte gestalterischer und analy­tischer Formensprache. Vergleichba­res läßt sich später für das klassische Zeitalter (1 7 . / 18 . Jh.) feststellen, des­sen Philosophie und Wissenschaft wieder deutlich mehr auf Rasterfor­men zurückgreifen (3 .9) . Die barocke Formensprache zeigt im Gegensatz zur Gotik wieder einen deutlich sta­tisch-flächigeren Charakter, und re­kurriert erneut auf die Grundformen von Viereck und Halbkreisl2• (Eine weitere Analogie dieser Art werden wir in Kap. 5 darstellen.)

3.3 Arboreszenzen der Renaissance (Ramus )

Obwohl sich humanistische Rena.issance und Scholastik ideell deutlich unterscheiden, vermag sich doch der aus Scholastik und Gotik erwachsene Baum im 1 6 . Jahrhundert zunehmend als Darstellungsmittel für Wissenseinteilungen verschiedenster Art zu eta­blieren. Dies mag weitgehend dem Umstand zuzuschreiben sein, daß der Humanismus hinsichtlich der Bevorzugung der dialektischen Methode in der Tradition der Scholastik steht - wenn auch mit dem neuen Vorzeichen der Anerkennung einer menschlichen Invention als Entdeckungsprinzip statt eines göttlichen Wirkungsprinzips .

Schon in Schriften des frühen 16 . Jahrhunderts fIndet sich neben oppositionellen Quadraten der porphyrische Baum zur Darstellung logischer Genus-Spezies-Verhält­nisse13 wie KiJrper - belebt : unbelebt, z.B. bei Tartaretus um 1 5 14 (unten: Tartaretus, Com­mentarii in Summulas logicales Petri Hispani, addito tractatu obligationum Martini Molenfildt, Paris ca. 1 5 1 4. Nach Ms. Paris, B.N. Res.m.R.68: fol. 1 5 ; abgedruckt nach ONG 1 983:78) .

1 2 Die Ausprägung des Barock ist je nach Land allerdings sehr unterschiedlich. Hinzu kommt, daß ihre Formensprache bereits in der Renaissance-Architektur entwickelt wird, also viel früher, als sie sich in philosophisch-wissenschaftlichen Texten bemerkbar macht.

1 3 Die Genus-Species-Relation gilt als Einteilungpar excelience, cf. RAMEE 1 555:52 (9 1) .

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1 1 6

Erste Arboreszenzen mit geschweiften I<Jammern als «Ästen» finden sich wenig spä­ter in der Kommentartradition zu AGRICOLAS De inventione dialectica libn' fres (1 528) , näm­lich in der «Tabula divisionis locorum» von Bartholomaeus LATOMUS' Epitome commenta-

tonum dialecticae inventionis (1 530) . Dort werden die (klassenlogischen) loci in innere und äußere unterteilt, die loci interni wiederum in substantielle und circum­substantielle etc. (cf. ÜNG 1 983: 1 27) .

Besonders deutlich werden die arboreszenten Di­chotomisierungen in der Dialektik von Ramus und ihrer Rezeption. Ramus beruft sich wie die Schola­stik auf die Logik und Dialektik der anciens philosophes (besonders Platon, cf. CASSlRER 1 971 / 1 : 1 30-35) , erweitert deren Lehren jedoch i m Sinne der Weltzu­gewandtheit der Renaissance dahingehend, (1) Logik und Dialektik nicht nur auf choses incorporelles, sondern auch auf choses corporelles anzuwenden I., und (2) dia­lektisierende Einteilungen auch auf die lebendige Sprache, das Französische, zu übertragen (wie du Bellay, 3 .5) . Das heißt: Trotz der Fortführung der «verzweigendem) Darstellungsmethode wandeln sich die Inhalte dieser Arboreszenzen von universell­transzendenten zu singulär-weltlichen Strukturen im

weitesten Sinne. Die Arboreszenz findet nun nicht mehr nur auf Wissenschaft und Lo­gos Anwendung, sondern (auch) auf Einzelsprachen, Medizin usw.

Daß Ramus die Kategorien seiner Dialektik entlang einer Arboreszenz entwickelti" wird deutlich, wenn man seine textuelle Darstellung (RAMEE 1 555:4-69 [63-1 00]) in ein Schema umsetzt:

14 Cf. RAMPE 1 555:3s . (62) , 18 (7 1 ) . Ramus unterscheidet sich dabei aber deutlich von sei­nem Fast-Zeitgenossen Bacon. Bacon sucht nach universellen Eigenschaften der Dinge (wie z.B. Wärme) per induktiver Spekulation. Für Ramus bedeutet Induktion, in Teufels Küche zu kommen (mettre les ventz orageux sur la mer) (ib. :VIls. [52s.]); Naturwissenschaft und Sprache unter­liegen für ihn den Gesetzen des logischen jugement. Die Eigenschaften der Dinge hält er für akzidentell und nicht universell (ib. :24 [74]) .

1 5 Das gleiche gilt für Ramus' Rhetorik, cf. MEERHOFF 1986:294.

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ARGUMENT

cause & effet difference �fOnndma"", < ""n"

cfficlcnte procrcantc cause cfficlentc/fin � cHiClcntc conscrvantc

ar:tificiel f---- sUjet & adlolllt � dfi,,,nte pM m, �

cffiClcntc par aCCldcllt � relatifz (esscnce est mutueJlc;pert' IJJ.ßls)

� adverses (esscnce es[ sepan!; "air /'5. MJllr) opposez

contredisantz O'un

.

afferme, 1'�\ltTC nic;jJlJlt I'S. !lOl/jIlSI,)

rcpugnantz (opposition a. plusleurs elements; I'mJ -gm - T01I!!)

pareilz (mesmc quantite) /' / pi"

guantite. <-- impareilz L- moins comparez <'" " 'I",Ii" � <Ombbbl" (mo,"" q",I;,i)

dlssemblables

loy in:utificic1 " .. . . divin (. ocac1cs, prophecics) tesOlOlgnage � ---........ hum:un (sentences dc� poetes)

paction f,Wcttc1 question r,Verhör1 scrrnent

1 1 7

par tüllscil par namre

par ncccssitc p� fortune

Die Übertragung der dialektischen Methode auf das Französische findet sich in Ramus' Gramere. Zwar enthält diese überwiegend Aufzählungen, z .B. von Konsonanten und Vokalen, Konjugationsformen etc. Wo es jedoch um das Verb geht, zeigen sich deutli­che Ansätze zu arboreszenten Klassifizierungen einer Sprache (im Gegensatz zu Dantes Sprachenstammbaum) , die sich graphisch wie folgt nachvollziehen lassen:

persone

VERBE

< personel [= 3 . Pers . Sg.]

� [1 . pers.] impersonel [2. Pers.]

[3. Pers.]

� prezent finit _________ preterit

futur

____ perpetuel infinit � j erondif

actif

neutre

Le verbe est divize triplernent par la diferense de la persone, premierernent en personel e irnpersonel. Personel e' selui ci e' conjuge par troe' persones . . . Irnpersonel, ci e' conjuge seulernent par la troezierne singuliere . . . Secondernent, le verb' e' divize en finit e infinit . . . Tiersernent, le verb' et actif ou neutre . . . Tarn e' la diferense du verbe selon le prezent,

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preterit, futur. Le verbe finit a troe' tams imparfes e un parfet . . . Le verb' infinit e' perpe­tue! ou jerondif . . . (RAMEE 1 562:50-52; cf. auch 1 572:74-80 und 1 5 8 1 :2 1 , 93ss .)

Während Ramus' Einteilungen in seinen Werken zu Dialektik (Dialecticae partitiones und Dialecticae institutiones, 1 543, und der zitierten Dialectique von 1 555) und Sprache nicht durchweg streng dichotomisieren, wird die Dichotomisierung bei seinen Nachfolgern hochgradig kultiviert. Je «dichotomem die Unterscheidungen sind, desto mehr scheint sich die graphische Darstellung, und nicht eine textuelle Darstellung mit entsprechenden unterteilenden Aufzählungen anzubieten: Es mehren sich die graphischen Baumdarstel­lungen in der Logik, wie z .B. die «Tabula generalis» der Ramus-Edition von Freige (siehe Abbildung rechte Seite) .

Auch hier bleiben die Dichotomisierungen, entsprechend dem «prädisziplinären» Geist der Epoche bzw. entsprechend ihrer Grundannahme, daß zwischen den �ogi­schen) Denkgesetzen und (realen) Gegen­ständen strukturelle Harmonie besteht, nicht auf die Logik beschränkt, sondern wer-den rasch auf alle denkbaren Bereiche übertragen: auf Spra­chen wie das Hebräi­sche, die in der Renais­sance erstmals eine grammatikalische Be­schreibung erfahren (cf. die Tafel zu den hebräischen Konso­nanten bei Johann Thomas Freige, Petn Rami Vita, 1 585; abge-druckt in ONG

l' B 5 T I L i N T I A A N A L Y S I S M c d i c a e x Aub crto. r Air "'iuin4tu:O' (O�. I fdnitt. fC4Uf4tmt<, lPngu�l� 0' P=tl .1 l1tnt/Uit t�

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� I � Altuttrl4 E' I �' I fou 4mult.{ � r80lus Ifrmtll4. I ; � l' I t4;uhi ao \ � J Tmd Lrmrti4,

l � I L ctt i {lnt I 1 ) AcrtlHll 1f16; .. -• L � L rti. l ThndFtUÜllf. t

1983:300s.), aber auch auf die Medizin: Pestilentiae analYsis aus: Johann Thomas Freige, Petn Rami Vita, Basel 1 585 (nebenstehend abgedruckt nach ONG 1 983:301) .

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1 1 9

P. R A M I D l A L E C T I C A. T A ß V L A G E N E R A q S.

D ! I )l V E N.

P. Rami dialectica, tabt/la generalis aus: Johann Thomas Freige, Petri Rami vita, Basel 1 585 (abgedruckt nach ONG 1 983 :202; cf. auch ib. : 1 8 1 , 200s. , 261)

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1 20

3.4 Der Baum im Dienste der modernen Einzelsprache (Meigret)

Auch wenn sich die humanistische Grammatik noch weitgehend mit der «Restauration» des klassischen Latein und Griechisch beschäftigt", zeigt sie doch auch eine zunehmen­de Veränderung des Grammatikverständnisses. In der Abkehr von den Vorbildern des Griechischen und Lateinischen und deren tradierten Logizitäts- und Universalitätsan­spruches entstehen die ersten einzelsprachlichen Grammatiken der lebenden Sprachen (Iangues vulgaires) . Italien und Spanien sind hier Vorreiter mit Leon Battista Albertis Grammatichetta (l'vfitte 1 5 . Jh.) 1 7 und Antonio de Nebrijas Gramatica della lengua CasteJlana (1 492) . In Frankreich dagegen läßt eine «französische Grammatik», die den Namen ver­dient, noch einige Zeit auf sich warten. 1 531 erscheint In lingua gallicam isagoge von J aques Dubois (Sylvius) , daneben gibt es zahlreiche Ansätze (z .B. bei Ramee) und Forderungen nach einer «originär» französischen Grammatik (cf. HAUSMANN 1 980: 1 32-41 , ROBINS 1 997: 1 07 NI4) , manifest wird sie aber erst mit Du Bellay (3 .5) und Louis Meigret.

In seinem Traiti de la Grammaire franraise von 1 550 beschreibt Meigret das grammati­sche System der französischen Sprache. Das Subsystem der Nomen (cf. auch den Kommentar von HAUSMANN 1 980: 1 53-205) präsentiert er ähnlich wie Ramus in einer textuell paraphrasierten Arboreszenz, die wir nebenstehend graphisch wiedergeben. Auch wenn die Verzweigungen inhaltlich noch stark der logischen Tradition verpflichtet sind (z .B. die Übernahme der Akzidenzien-Einteilung) und die Idealität des Lateinischen noch nicht ganz überwunden ist (wie sich an der Annahme von sechs Kasus für das Französische zeigt, cf. unten die Tafel zur Deklination der Pronomen) , zeichnet sich doch ein neuer Trend ab: die Parallelisierung der Kriterien «grammatische Funktion» und «semantische Funktion», die bereits auf die etwa ein Jahrhundert später entstehen­den Tableaux vorausweist (3 .9) . Die Hauptverzweigung der Meigretschen Arboreszenz basiert nicht auf einer Dichotomisierung der Essenz, sondern einer Dichotomisierung der Kriterien « grammatisch» vs. «semantisch», die zueinander (als Querkategorien) in Relation treten könnten. Diese Bezugsetzung wird zwar von Meigret nicht ausgetragen, ist aber ansatzweise z.B. dort zu ahnen, wo er Überschneidungen in seiner Unterteilung feststellt, wie die der Opposition primitif vs. dirivatifin den Bereichen von noms propres und noms appe/latifs: «Or y a-t-il plusieurs especes d'appellatifs, desquelles aucunes ont conve­nance avec les propres, tant d'espece primitive que derivative.» (MEIGRET, Traiti:II/ I /9 [25] ) .

1 6 Cf. z .B . : Theodorus Gaza, Introductionis grammaticae libri quatuor, Paris 15 16 (griech.) ; Philipp Me!anchthon, Institutiones Graecae grammaticae, Hagnoa 1 5 1 8; ID., Grammatica graeca, Francofurti 1 542; Laurentius Valla, Elegantiae de /ingua /atina, Venetia 1 503; Aelius Antonius Nebrissensis, In latinam grammaticam introductiones, Lugdunum [Lyon] 1 5 1 6; Aldus Pius Manuzius, Institutionum grammaticarum libri quatuor, Florentia 1 5 1 6 .

17 Italien kann unter den romanischen Ländern auf die weitreichendste Tradition i n puncto Reflexion der lingua volgare zurückblicken: Dantes De vulgari e/oquentia 1 303; Alberti; Francesco Fortunios Regole grammaticali della volgar lingua (1 5 1 6) ; Pietro Bembos Prose della Volgar Lingua (1 525) usw. Weitaus ältere Grammatiken sind aber für das Walisische und Isländische zu ver­zeichnen: J. Williams ab lthe!, Dosparth edeyrn davod aur[fhe Ancient We/sh Grammm) ( 13 . Jh. , die Quellen werden bis auf das 10 . Jh. datiert) und Fyrsta mtiljrceiJiritgeriJin [First Grammatica/ Treatise) (ca. 1 1 25- 1 1 75) . Cf. ROBINS 1 997:86s. , 1 07; MUGDAN 1 996:255-6 1 .

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noms (signifiant l a propre ou commWle qllalite de toutes choses)

[morphologisch-grammatische Funktion]

accidents (1111/2 [23])

� espece genre Ilombre figure [Kasus]

� !\ /\ f\ [gramrnatisch�semrultische Funktion]

6 cas mase. fem. sing. (11 1/61 1 7) (1117) (1 1/7)

plur. compo- noo-see composee

(11/8) noms propres

------------����--�,----------primitif derivatif surnom sobriquct (Rome) (Romein) (cognom) (agnomen) (11/ 1 /3) (11/ 113) [Marie de (I'hilippe /e

j'rallee] hardy) (11/ 1 /4) (11/1 /4)

general (peut etre divise en especcs, p.ex. arbre� anima!) (1 111 /1 6)

Meigret, T raiti de /a grammaire franfaise: grammatisches System der Nomen im Französischen

noms communs (appellatifs)

special adjectif (contient plusieurs (l1/ l / 1 0ss.) indiVidus, p.ex.� home, prunier) (11/ 1 / 17)

quantit6 qualite recipr. consec. ordin . .

..... N .....

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1 22

Daneben gibt es bei Meigret auch Konjugations- und Deklinationstafeln. Diese existie­ren in vielen Lehrgrammatiken und sind an sich nicht spektakulär. Bedeutsam sind sie jedoch insofern, als sie hier in einer nicht (I) lehrbuchhaft intendierten Grammatik er­scheinen (der instruierende Anspruch wird erst im 1 7. Jahrhundert für die Grammatik prägend) und sich deutlich von Ramus' logischer Verb-Arboreszenz unterschieden.

Declinaison des pronoms

Nominatif genitif datif accusatif vocatif ablatif

sing. je ou moe de moe a moe/me me/moe de moe plur. nous de nous a nous nous de nous sing. tu ou toe de toe a toe/te te, toe tu de toe plur. vous de vous a VQUS vaus vaus de vous sing. de soe a soe/se soe/se de soe plur. se se

(MEIGRET, Traittf.III/6/ 1 7 [56] . Entsprechende Konjugationstafeln ib. :IV /26 [1 04ss.])

3.5 «Herbes, racines et fruits: cultiver la plante sauvage» (Du Bellay)

Eine von Arboreszenzen der logischen Sprachbetrachtung als auch von Meigret inspi­riertes Sprachdarstellung findet sich zeitgleich in Du Bellays Deffence et illustration de la langue francoyse (1 549) . Anders als sein Zeitgenosse Meigret nutzt du Bellay das sprachliche Bildfeld des Baumes mit seinen Komponenten 'Wachstum', 'Leben', 'Blätter/Früchte' usw.

Im Gegensatz zu Meigret, wendet sich Du Bellays Deffence gegen die Annahme einer logischen Strukturierung von Sprache. Die Sprache sei vielmehr als eine langue vulgairel8 zu verstehen, die eine nationale Geistesart widerspiegele. Gerechtfertigt wird dies gleich zu Beginn der Deffence, indem (wie bei Dante) die babylonische Sprachverwirrung als Ursprung sprachlicher Verschiedenheit aufgerufen wird. Allerdings sieht Du Bellay die Ursache für die Sprachspaltung nicht in göttlichem Zorn (und schon gar nicht in einem inneren Wachstumstrieb der Sprachen, wie die vergleichende Sprachwissenschaft des 1 9 . Jh. Dies tun wird) , sondern (wie später Humboldt) in der nationalen Verschiedenheit des Geistes, der fantaisie des hommes:

. . . �a] diversite & confusion [des manieres de parler] se peut a bon droict appeller la Tour de Babel. Donques les Langues ne sont nees d'elles mesmes en fa�on d'herbes, racines & arbres: les unes infirmes & debiles en leurs especes: les autres saines & robustes, & plus aptes a porter le faiz des conceptions humaines: mais toute leur vertu est nee au monde du vouloir & arbitre des mortelz. Cela (ce me semble) est une grande rayson pourquoy on ne doit ainsi louer une Langue & blamer l'autre: veu qu'elles viennent toutes d'une mesme source & origine: c'est Ja fantaisie des hommes . . . (Du BELLAY, Deffence:I ,1 [p . 1 2])

1 8 Hier stehen du Bellay und Ramus in der Tradition Ciceros (MEERHOFF 1 986:34-40, 65s.) .

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1 23

Nicht nur für die Sprachentwicklung, auch für die Sprachpflege findet die Baummeta­pher bei Du Bellay Verwendung. Gern vergleicht er die französische Sprache mit einer plante sauvaige, die aufgrund mangelnder Kultivierung noch nicht die Früchte getragen habe, die sie eigentlich hervorbringen könne (ib. : I/3 [po 24ss .] ) . oder mit einem Baum, der noch im Stadium der Wurzelbildung sei, bevor er sich überirdisch richtig entfalte (ib. :I,9 [p.57] ) .

Du Bellays Baum-Metaphern sind in zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen sind sie ein weiteres historisches Exempel dafür, daß das Bild des Baumes signifikant häufig an inhaltlich zentralen Punkten der Sprachbetrachtung/Philosophie in Erscheinung tritt. Textimmanent betrachtet, erscheint die Baummetapher nämlich just dort, wo es um die Grundfrage in Du Bellays Sprachbetrachtung geht: Ist die Essenz der (französischen) Sprache nature oder culture? Ist die Güte des Baumes naturgegeben und unveränderlich oder kann sie kultiviert werden? - Daß dieselbe Metapher des Baumes sowohl zur Re­präsentation der Natur wie der Kultur herhalten muß, fügt sich in die durchgängig dia­lektische Argumentation der Delfense (cf. MEERHOFF 1 986: 1 1 2- 1 9) .

Zum anderen sind Du Bellays Baummetaphern für uns von Interesse, weil es sich dabei um sprachliche Bilder handelt. Anders als Ramus oder Meigret hat Du Bellay keiner­lei Dichotomisierung im Blick, die auf eine Arboreszenz deuten würde, weder in graphi­scher noch in textueller Form. Er verwendet das Bild des Baumes entlang seines sprach­lich-enzyklopädischen Feldes ('Wurzeln, Zweige, Blätter, Wachstum') und stellt so ein Pendant dar zu den zahlreichen graphischen Arboreszenzen der Grammatiken seiner Zeit, sowie zu den Paraphrasierungen von Arboreszenzen in der Philosophie Bacons (3 .7) . Dies zeigt, daß verschiedenste Varianten des Baumes - das Bild in Form von Arbo­reszenz (cf. Meigret, Ramus) oder Raster (cf. Meigret, Scaliger) ebenso wie die sprachli­che Metapher - nahezu zeitgleich existieren. Dominant sehe nt allerdings im 16 . Jh. die visuelle Variante Arboreszenz. Voraus blickend weisen wir darauf hin, daß Metapher und Bild des «wachsenden Baumes» in der Komparatistik des 1 9 . Jahrhunderts erneut biolo­gistisch reinterpretiert wiederkehren werden (Kap. 4) .

3.6 Der Kanon der Zeiten: der Thesaurus Temporum (Scaliger)

Die Fülle an Arboreszenzen dauert im 17 . Jahrhundert ungebrochen fort. Daneben erscheinen aber zu Beginn des 17 . Jahrhunderts allmählich auch rasterhafte, parallelisie­rende Darstellungen, wie wir sie bereits in den Kanones des frühen Mittelalters ange­troffen haben - vielleicht ein Beleg eines sich andeutenden Paradigmenwechsel (hierfür wäre eine eingehendere Untersuchung dieses Zeitraumes nötig), in jedem Falle aber ein Beleg für die variationelle Verwobenheit von Raster und Arboreszenz.

Eine wahre Fundgrube für rasterhafte Darstellungen ist der Thesaurus Temporum von Joseph Justus Scaliger (SCALIGER 1 606) , Sohn des unter Philologen wegen seiner Poetik bekannteren Julius Caesar Scaliger19 • Das monumentale Werk versucht eine Rekonstruk­tion der antiken Chronologie. Scaliger verwendet als Basis die Chronik des Bischofs Eusebius von Caesarea (in der lateinischen Übersetzung und Bearbeitung von Hierony-

19 Dieser versucht in De causis finguae latinae (Lyon 1 540) eine Erneuerung der Grammatik un­ter Rückgriff auf aristotelische bzw. scholastische Prinzipien (cf. z.B. STEFANINI 1 976) .

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mus) und ergänzt sie durch Chroniken des Idacius, des Syncellus, und des Julius Africa­nus. So wird der Zeitraum vom Beginn des assyrischen Reiches bis Mitte des 6. Jahr­hunderts abgedeckt, und räumlich gesehen der ägyptische, arabisch-hebräische, griechi­sche und römische Kulturraum. Die Edition der alten Chroniken20 ergänzt Scaliger mit eigenen Anmerkungen.

Aufgrund dieser editorischen Arbeit entwirft Scaliger zusätzlich einen Kanon für eine universale Chronologie (<<Canonum isagogicorum chronologiae»), der die Paral lelisierung bzw. Umrechnung der verschiedenen Zeitrechnungen nach streng mathe matischen Prinzipien ermöglichen soll und der von seinem Anspruch her bereits auf die Tableaux des 18 . J ahrhunderts (cf. 3 . 1 1 -3 . 1 3) vorausverweist. Hierfür berücksichtigt er verschiedene Sonnen-, Mond und Gestirnzeitrechnungen ebenso wie dynastische Zeit­rechnungen nach Königen oder Olympiasiegern, um sie zu einer «interkulturellen Chro­nologie-Konkordanz» zusammenzufügen. Zur Darstellung der verschiedenen Zeitrech­nungen und ihrer Relationen bedient sich Scaliger überwiegend tabellarischer Darstel­lungen. So werden z .B. im Kalendarium anni caelestis die Zeiteinteilungen nach Sternbild­Bewegungen analogisiert mit Daten des judäischen und julianischen Kalenders (z .B. der astrologische Monat Skorpion SCALIGER 1 606/2, Canonum:2021) . Noch umfangreicher und vermutlich spekulativer sind chronologische Tabellen wie die Zeittafel für die erste hebräische Dynastie nach Abraham (folgende Seite) .

Im Zuge seiner philologischen Arbeit und seines Bestrebens, Verknüpfungspunkte zwischen abend- und morgenländischer Kultur aufzuzeigen, erkennt Scaliger auch die Parallelität von phönizischem, griechischem und lateinischem Alphabet. Diese veranlaßt ihn, den Ursprung der griechischen Schrift, und damit mittelbar auch der lateinischen, im phönizischen Alphabet zu sehen (SCALIGER 1 606/2, Animadversiones: 1 02- 1 1 ) . Unter sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten ist dabei besonders signifIkant, daß Scaliger zwar vorrangig die Ähnlichkeiten der Graphien (Iiterae) im Auge hat, aber gleichwohl die Lautlichkeit mit einbezieht. Seiner lautlichen Transkription (linke Spalten der Abbil­dung) nach zu schließen, geht er davon aus, daß die Aussprache der Phönizier (Syrii veterz) nah an der altgriechischen Aussprache der einzelnen Laute lag, die spätere syrische Aussprache (Syriiposteriorz) sich von der Nähe zur griechischen entfernt hat. Zur Darstel­lung des genealogischen Zusammenhanges der Schriften wählt Scaliger abermals eine Matrix, für die er Bereiche, die die Paralleldarstellung trüben würden, bewußt wegläßt « <multis omissis», ib. :1 02; Abbildung übernächste Seite) .

20 Cf. SCALIGER 1 606/ 1 :57ss . zu tabellarischen Darstellungen in der Chronik des Eusebius. 21 Die Reprint-Ausgabe faßt in Band 2 die Animadversiones in Chronologica Eusebii zusammen

mit dem Canonum isagogicourum chron% giae und behält dabei die alte Paginierung bei, so daß die Seitenangaben in diesem Band jeweils zweimal auftreten. Ich gebe deshalb zu Band 2 zusätzlich Canonum bzw. Animadversiones an.

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1 25

H E B R AE O R V M T E M P O R A . Anni erdu•

Soli,. Ncomenb. Zygcno ••

Numer. EpJth Neonl-::nb Aurc:uL lu!iln.\. Ni(J..n.

P:rie<!. lub.lnl.

Abraham nafcitttr. Moritur.

lfnc na(cieur. Moritur.

hcob n�rcitllr. Morirur.

Leui filius bcob. K�lth filius Leu;. Amram filius Kaha,h . Mofes filius Ambram fcpeimus ab Abraham na(ciru r.

Edllcit pop" l"m ,xi" nv VlI Ocrob. vt lorua m ormo Mo"·. loEla cnm O,honid ludice Aioth Iudex Debora

xL V I I I V'il Oaob. Y'l 1 \" 1 1 LXXX X X VIi Ottob. l X 29 X L X V I Vi Oacb. X l I I v

lfuiUJ 4"n� ill o Pe/al! in Elid( 00'mpimm Illdicrum inßJiltit. Gcdcol\ Abimeiech Thola lair

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" Apr.

2 7 1 ;. = 8 8 7 · , 8 1 3 · 299 3 · 2 S 7 3 · 3 C1 0 .

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XX7Jil Mlt'. 3 4 1 6. KAL . Apr. ; 4 S 6. xx"x' M:tr. ' 4 5 9. :J71 .Mar. 3 + g 2 .

A M :.I O N I T A R V M X V l I t 1 1 1 1 v Oaob. V l l l 1 9 m Mar. 3 .s 0 4 ·

lephth� Abcfan Ahialon AbJon Sam[on Eli

L./f/1/10 Ti hJliuf dVc!.fxJ� r.,Ammonitan:m H(rCIJ!tJ iUTll7f1 poJl Pdo;�m. lud:Crll"" Ol)'picum j)1/! 4IJriJl!!!..

v t x x I I v Oaob. VI I XXV I I I V O,tob.

V I I V I I I X 1 I I X l l l l

>:XJ7 M:l!.

lftdm lilt{icis annq � aM,igit lA{� ;;'A:':(i;)o x Y l l V Oeron. I 1 1 XiVf'il lo..br. V I I I :X�' 1 1 1,·1I 0Ci:ob . T l X l I I I xYt M.lr. xx XX�: iJl'i" Oclot> . . '\1 ;oe: 20 XL xv 1 1 Llit Otlob. I 1 1 XL 1 � OaOb. l t l 2+ n X I I I i1i oaob. v

S:lmuel & Salti Dauid XVI I

Q!/igllnlflT /tb E:,<Ddo, aJ �,"«(tJliI1JJ D.1/tidü, dnn;tt�.

Hebraeorum Tempora (SCALIGER 1 606/2, Canonum: 1 55)

J j 2. 2 . J j Z S .

3 5 3 j . J ; 4 j. l j j ) . 3 5 7 3 . 3 6 1 ; . 3 6 j J .

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1 26

A N I M A D V E R S I O N E S. I�J IIpe1btion:s Apellarion<S Pha:niciz Grzce liter.e rccentiorum &. LatiDz. Syrurom Syrorum Ltera:. lonum VC(Crum. pofit'Iioni. yCtcrum.

Olaph. Alpha. .11&111 N .A A A • .t>.<j> ... ". Berh. Bema. • MJ:" � S B • (>,'ti.. B. Gomal. Gamla. .N;,?� "1 r �. "'1'1"(6, C. Dol.rh. Delta. N�n � D A. J\."'"". D. He. He. ·'iJ � E E;' � E-". 'Wau. 'Wau. . " '! .- F C . ;;:J,i"'./M)'ß,.; • F. Zoe. Zetha. . �� '* Z (.j.,,;. G •

Herh. Herha. 111;\'0 � Ho T H. """. Terh. Tetha. • tm.� � . 6 0 B. %"'. lud. Iota. .Kl21' m I. iC;1T;t. L Chuph. Kappa. II�? ::1 K. x�m:r". 1<-l.omad. l.ambda. .II'),?' 2- A l. >.dl'�J ... L Mim. Me. .'� ::J ..M M I" f'v. M. Nun. Nun. .)'J 'J )\I N. J'v. N. Semcharh.Simcha. ·1It'?� 3> : q. 1; .. E. Oe. .,�y \) 0 0 . o�. O. Phe. Phe. • '!l :l P n . -m. P. Tzodc. Tzode. . .,]� � .:!l AI· J1O�!-,I))' ,m,Y1J1 •

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X.

De literarum ionicarum origine (SCALIGER 1 606/2, Animadversiones: 1 03)

3.7 «The tree of knowledge» (Bacon)

Mit den Anfangen des Empirismus bei Bacon vollzieht sich ein Wandel der Bäume des Wissens sowohl was ihre Form als auch was ihren Inhalt anbelangt. Die äußere Form ändert sich insofern, als Bacons Wissens bäume sich nicht mehr an eine strenge Dicho­tornisierung halten, wie sie die Scholastik und auch noch die Renaissance kultivierte. Angesichts der Baconschen Methode darf dies eigentlich auch nicht verwundern, denn seine «empirische Induktion» besteht ja darin, aus einer willkürlich ausgewählten Fakten-

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sammlung spekulativ allgemeine Eigenschaften (Grundqualitäten) zu «abstrahiereID>22. Da Bacon nicht wie die Renaissance an eine Übereinstimmung zwischen Oogischen) Denkgesetzen und der Ordnung der Dinge glaubt23, richtet er seine Abstraktionen eben­sowenig wie seine Unterscheidungen nach logischen Grundmotiven oder einem stren­gen Denkmuster aus, wie es die Dichotomisierung ist. Das Ergebnis sind entweder ta­bleauhafte Aufzählungen (z.B. der Dinge, die die Eigenschaft 'Wärme' besitzen) , die er ausdrücklich als «gut gegliedert und gleichsam lebendig» befürwortet (BACON, NO: 1 /§ 1 02 [po 220s.] , 2/§ 13 [po 330s.]) oder aber üppig wuchernde Arboreszenzen. (Die Üppigkeit erklärt vermutlich auch, warum sich in Bacons Werk nur textuelle Umsetzun­gen der Arboreszenzen finden.)

Auch inhaltlich folgen Bacons Bäume nicht mehr einer logischen Deduktion sondern repräsentieren die induktive Erkenntnistheorie. So teilt Bacon im zweiten Buch des Ad­vancement of Learning (BACON, AL:1 75ss .) das menschliche Wissen (human learniniJ nach den Arten des Verstehens (human understanding als Dreiheit von memory, imagination und reason)24 ein. Sein Text beinhaltet eine Arboreszenz, die sich graphisch folgendermaßen wiedergeben läßt (Abbildung folgende Seite; zur besseren Übersichtlichkeit habe sehr feine Differenzierungen nicht berücksichtigt) . Obwohl die Arboreszenz im Text deut­lich zu erkennen ist, stellt man doch auch fest, daß sich Bacon an verschiedenen Stellen schwertut, seine Differenzierungen strikt aufrechtzuerhalten - insbesondere, wenn für Gebiete, in denen er bewandert ist, wie die Medizin (BACON, AL:208ss.) und die Philo­sophie. Gerade bei letzterer hebt er hervor, daß sie nicht als simpler Berührungspunkt von Theologie, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes gesehen werden dürfe, sondern den Stamm einer universalen prima philosophia darstelle:

But because the distributions and partitions of knowledge are not like several lines that meet in one angle, and so touch but in a point; but are like branches of a tree that meet in a stern which hath a dimension and quantity of entireness and continuance, before it comes to discontinue and break itself into arms and boughs; therefore it is good, be fore we enter into former distribution, to erect and constitute one universal science, by the name of «Philosophia Prima» , Primitive or Summary Philosophy, as the main and com­mon way, before we come where the ways part and divide themselves. (BACON, AL: 1 89; cf. auch BACON, VT:56 und NO:1 /§74 [po 1 58s .]

Und weil die Philosophie zu Bacons Zeit immer noch stark theologisch geprägt ist, fehlt es auch nicht an der biblischen Anbindung des tree of knowledge, die das sprachliche Bild­feld des Baumes aufruft ('Wachstum', 'Früchte' etc.) : « . . . all knowledge appeareth to be a plant of God's own planting, so it may seem the spreading and flourishing or at least the bearing and fructifying of this plant, by a providence of God ... was appointed to this autumn of the world . . . » (BACON, VT:38, 40) .

22 Z.B. BACON, NO: 1 /«Praefatio», 2/1 3ss . (p . 70s. , 330ss.) . Zeitgenössische Kritik an der Induktion findet man z.B. in DESCARTES, Miditations:VI. - Cf. auch CASSlRER 1 971 /2:3-27; PEREZ-RAMos 1 988:77-96, 21 6-69; BRIGGS 1 989:26, 213s . ; ROSSI 1 968:39-44, 60-67.

23 FOUCAULT 1 966:65s. sieht in Bacons m·tique de /a ressemb/ance ein erstes Anzeichen für die Wende vom «Zeitalter der Ähnlichkeiteru> zum age c!assique als Zeitalter der Taxonomien.

24 Zur Rolle der imagination cf. WALLACE 1 967:79-86, 1 28s . ; STEPHENS 1 975:61 -65. Die Par­allelisierung von learning und understanding greifen später Diderot und d'Alembert auf (3 . 1 3) .

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HUMAN LEARNING

hist01Y

� of ereatutes natural of marvels (deficient)

of ru:ts (deficient) <::, memorials

civil " per.fec� �stocies

anttqmtles

eeclcsiastieal � Iiterary (delieient)

history of Church history of propheey rustory of providence

Bacon, Advancement of learning: Einteilung des Wissens

na,rrative

poesy � representative

allusive

philosophy «<philosophia prima.»)

divine (natural theology) contexture. configuratiol� of th.iflbl"S g principles, origin�ls of thi

,ngs

variety, partieulanty of things . mathematics <PhYSICS health: medeeine

natural . inquiry of fonnal causes� beauty: cosmc�c metaphysles

-=::::::: inquiry o f final eauses strength: athlene pleasure: art voluptuary body particular -----------------

substance oE mind . human � . --- ,rund ------------=== faculcies, funecions of mmd

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..... N 00

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1 29

nur mit Mühe ein Zugang offensteht . . . Vier Arten von solchen Idolen halten den menschlichen Geist gefangen . . . die erste Art soll als Idol des Stammes [idola tribus, S .R.] bezeichnet werden . . . » (BACON, NO:l /§38s . , 41 [po 1 00s.])25.

3.8 «L'arbre de la philosophie» (Descartes)

Wie Bacons tree of knowledge, versucht auch Descartes' Prinzipienlehre eine Ordnung menschlichen Wissens zu entwerfen, ausgehend von einer pnma philosophia. Während Bacons Entwurf gerade im Hinblick auf die pnma philosophia eher den Wunsch nach ei­ner Bündelung der Wissenschaften in einer übergreifenden Universalwissenschaft aus­drückt (CASS1RER 1 971 /2:2 1 -23) , gilt Descartes' Augenmerk entsprechend seinem de­duktiven Ansatz der Suche nach den premieres causes de toute connaissance. Diese «Prinzipi­em> müssen zwei Bedingungen erfüllen: Sie müssen clair, d.h. zweifels frei sein, und jede Form des Wissens muß sich aus ihnen deduzieren lassen (DESCARTES, Pn'ncipes: Preface [557ss .] ) . Ausgemacht werden sie im ersten Prinzip der eigenen Existenz (cogito ergo sum;

je suis, j'existe) und dem zweiten Prinzip der Existenz Gottes26 . Damit wendet sich Des-cartes gegen Bacons mauvais principe induktiver Erkenntnisgewinnung (ib. : Preface [561 s . , 597] ) . Ziel seiner Erkenntnistheorie i s t demnach nicht, wie bei Bacon, die Auffächerung der Erkenntnisse darzustellen, sondern den Ursprung jeglicher - auch zukünftiger Er­kenntnisse - auszumachen (cf. CASS1RER 1 971 / 1 :442) . Gleichwohl greift auch Descartes wiederum auf das Baummotiv zur Darstellung dieses «Ursprunges» zurück. Die Prinzi­pien der Philosophie generieren den «Baum der Philosophie»:

Ainsi toute la philosophie est comme un arbre, dont les racines sont la metaphysique, le tronc est la physique, et les branches qui sortent de ce tronc sont toutes les autres scien­ces, qui se reduisent a trois principales, a savoir la medecine, la mecaruque et la morale; j 'entends la plus haute et la plus parfaite morale, qui presupposant une entiere connais­sance des autres sciences, est le derruer degre de la sagesse.

Or comme ce n'est pas des racines, ru du tronc des arbres, qu'on cueille les fruits, mais seulement des extremites de leurs branches, ainsi la principale utilite de la philosophie de­pend de celles de ses parties qu'on ne peut apprendre que les derrueres . (DESCARTES, Principes:Preface, [566])

Der Text beinhaltet sowohl die visuelle Idee einer Arboreszenz (Verzweigung der Wis­senschaften) als auch Komponenten der sprachlichen Baummetaphorik (cueiller des fruits) - ein Beispiel dafür, wie eng visuelles und sprachliches Bildpotential verbunden sein kann, und zwar unabhängig von der Darstellungsform (Graphik oder Text) . Eine ent­sprechende Graphik gibt es bei Descartes nicht, wir erstellen sie, um dem Leser einen Vergleich mit der Einteilung Bacons (3.7) oder der Encyclopidie (3 . 1 3) zu ermöglichen:

25 Zu weiteren Metaphern Bacons cf. SCHILDKNECHT 1 995:200-06. 26 DESCARTES, Principes: Preface (562s.) ; 1,7 (573); 1 , 13s . (576s.) ; Miditations: Il, III (274-300) .

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1 30

« sub-sciences» (de medecine (de mecanique ou de morale) " ,

medecine

)C)0 ')

, , I

e G morale

, taphysique

- - · fruits = verites

Im Gegensatz zu Bacon, der die Metaphysik der Naturphilosophie unterordnet, stellt sie für Descartes die «Wurzel» aller Wissensentwicklung, inklusive der naturwissenschaftli­chen Teile Mechanik (die Bacon wohl unter physics eingereiht hätte) und Medizin (philo­sophy of the human body bei Bacon) . Hier manifestiert sich Descartes' Bestreben, die Philo­sophie nicht als ein «Sammelsurium» verschiedener mehr oder weniger praktisch orien­tierter Wissensgebiete (DESCARTES, Principes:Preface [557s ,]) , sondern als Wissenschaft der einen res cogitans im Gegensatz zu den Wissenschaften der vielgestaltigen res extensa (DESCARTES, PrincipeS:I,53 [595] ; Miditations:VI [3 1 8-34]) zu etablieren, womit Naturphi­losophie und Philosophie des Geistes getrennte Wege gehen,

Trotz ihres völlig unterschiedlichen Philosophieverständnisses erscheint das Bild des Baumes bei Bacon und Descartes in zentralen Passagen, allerdings nicht mit dem strikt dichotomisierenden Muster, wie man es z .B, bei Ramus findet.

3.9 Der Übergang zum «tableau de l'age classique» : frühe sprachwissenschaftliche Raster (Wallis, Lodwick)

Mit der Erkenntnisphilosophie des Barock bzw. des klassischen Zeitalters vollzieht sich ein allmählicher Variantenwechsel in der Darstellung des Wissens: von den Arboreszen­zen des Mittelalters und der Renaissance zu rasterhaften Tableaux, Dies dürfte einerseits mit der abnehmenden Leitfunktion der Theologie zusammenhängen - das Prinzip des höchsten «Alleinen», aus dem die Formen der Dinge und des Geistes «sprießeID), rückt

27 Weil der physique nach Descartes die Reduktion der Gegenstände auf die Koordinaten des Raumes obliegt, vollzieht sich mit ihr der Übergang vom geistigen Bereich der mitapbysique zu den praktischen Wissenschaften (cf. auch CASSlRER 1971 /1 :457-64) .

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1 3 1

in den Hintergrund. Zugleich schwindet der Glaube a n ein alle geistigen und weltlichen Phänomene durchdringendes Ähnlichkeitsprinzip. Im Gegensatz zur Renaissance, die von der Ahnlichkeit z.B. zwischen geistigen/logischen und weltlichen Strukturen ausgeht, erlangt mit dem Anbruch des age classique das Prinzip des differemjerenden Vergleiches die Oberhand:

Le semblable qui avait ete longtemps categorie fondamentale du savoir - a la fois forme et contenu de la connaissance - se trouve dissocie dans une analyse faite en termes d'identite et de difference . . .

Maintenant, une enumeration complete va devenit possible: soit sous la forme d'un recensement exhaustif de tous les elements qui constitue l'ensemble envisage; soit sous la forme d'une mise en categories qui articule dans sa totalite le domaine etudie ... L'activite de l'esprit . . . ne consistera donc plus a rapproeher les choses entre dIes . . . mais au contraire a discerner . . . (F0UCAULT 1 966:68s.)

Vor allem aber erscheint nun die zunehmende Fülle naturwissenschaftlichen Erkennt­nisse nicht mehr mit einer arboreszenten Auffacherung von Ähnlichkeiten erfaßbar, die eine strikte Durchorganisation von Oben nach Unten erfordert, geschweige denn mit strikten Dichotomisierungen. Angemessen erscheinen vielmehr aufzählend­akkumulative und ahierarchische Gruppierungen. Die «neue» Art (die Novität ist aller­dings durch Beispiele wie Scaliger zu relativieren), Wissen zu gliedern und übersichtlich zu präsentieren, zieht deshalb die koordinatenhafte Darstellung des tableau vor, die eine flächig-taxonomische Übersicht über die Elemente eines bestimmten Wissensbereiches erlaubt .

. . . l' epistime dassique [du XVII' et XVIII' siede] peut se definit, en sa disposition la plus ge­nerale, par le systeme articule d'une mathesis, d'une taxonomia et d'une analyse ginitique. Les sciences portent toujours avec dIes le projet meme lointain d'une mise en ordre exhaus­tive: dIes pointent toujours aussi vers la decouverte des elements simples et de leur com­posi tion progressive; et en leur milieu, dIes sont tableau, etalement des connaissances dans un systeme contemporain de lui-meme. Le centre du savoir, au XVII' et XVIII' siede, c'est le tableau. (FOUCAULT 1 966:89, cf. ib. : 1 48)

Die folgenden Abschnitte zeigen an Exempeln, daß diese neue «Ordnung der Dinge» nicht nur in den Einzelwissenschaften ihre Anwendung findet (Lodwick, Wallis, später Linne), sondern auch auf der Metaebene der Erkenntnisphilosophie (z .B. bei Leibniz) .

Schon fast zeitgleich mit Descartes' arbre philosophique tauchen in der Sprachwissen­schaft erste Raster auf, nämlich in den phonetischen und grammatischen Untersuchun­gen von Francis Lodwick (London, später Leyden) und John Wallis (Oxford) . Visuell und inhaltlich charakteristisch für die Rasterdarstellungen im Gegensatz zu Arboreszen­zen ist die Kreuzung von zwei oder mehr Kriterienschienen.

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1 32

So kreuzt Wallis in seiner erstmals 1 653 erschienenen Grammar für die «Synopse» der Pronomen die Kriterienschiene primitiva/ possessiva mit 1. Pers. /2. Pers. /3. Pers. / interrogativ (WALLIS, Grammatica:99 [324]) . Deutlich sind bei den Kriterien noch Verzweigungen zu erkennen: bei der 3. Person die Verzweigung in Singular und Plural etc. Im Vorder-grund stehen sie aber ganz klar nicht mehr - le centre, c'est le tableau.

Dasselbe gilt für seine zeit­gleich im Tractatus de loquela erschienene Einteilung der «Buchstaberu>. Sie zählt zu den ersten Untersuchungen der Laute nach ihrer Artikulation, und nicht nach ihrer Wahr­nehmung im Ohr, wie dies in der Tradition der antiken Grammatik die Regel ist. Der Anstoß zu dieser neuen Be-trachtungsweise kann u.a. der Orthographie-Reform des 1 6 . Jahrhunderts zugeschrieben werden, mit der allmählich die Trennung zwischen Laut und Symbol bewußter zu werden beginnt, und mit der in ver­schiedenen Ländern erste

Literarum omnium Synoptis. Apertllra

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I majori. I media I minori. I r -- \ -- -;; e foemini- Ü obfcu-\ Gutturales \ . } aperta. , } I o nllm. 0 rum. � --- ---- --- ---

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Ansätze zu phonetischen Beschreibungen entstehen28• In ihrer Systematizität und Diffe­renzierung setzt Wallis' Einteilung neue Maßstäbe, die denjenigen der modernen Phone­tik schon sehr nahe kommen (Abbildung: WALLIS, Grammatica:35 [1 96]) .

35 Jahre später dehnt Francis Lodwick diesen Ansatz aus", indem er ein «universelles Alphabeo> entwirft, einen Vorläufer der internationalen Lautschrift: «This new Primer will without change except in the Tide, be the same for all Nations and Languages .» (LODWICK, Alphabet. 1 36 [245]) . Basis des primers (oder Buchstabentafel) sind Erhebun­gen über jeden Laut in verschiedener vokalischer, konsonantischer, vokalisch­konsonantischer und syllabischer Umgebung (ib. : 1 34s. [243s.]) , ähnlich den Aufzählun­gen Linnes (3 . 1 2) . Aufgrund dieser Erhebungen teilt Lodwick z.B. die Konsonanten der ihm bekannten Sprachen in elf files (Spalten) und sechs ranks (Zeilen) . In Zeile 1 ordnet

28 Cf. KEMP 1 972: 39s. und zur English school of phonetics ROBINS 1 997 : 1 35-37. Von orthogra­phischen Überlegungen inspiriert sind auch die Lautbeschreibungen von MEIGRET, Traitf.!/ 1 -4 (5-20) . - Cf. auch später die vergleichenden Vokaltafeln von: SWEET 1 874:5 , 41 , 44; 1 895 :5 , 1 0 und WHITNEY 1 867:9 1 , 1 875 :62. Für das Indogermanische: SCHLEICHER, Comp: Faltblatt z u p . 340; SIEVERS 1 893: 1 35 ; WHITNEY, SG:2. Und jüngere Tafeln wie das Sanskrit Alphabet (ALLEN 1 965 :20) oder universalphonetische Tafeln (PIKE 1 968) .

29 Zu Lodwick und seiner Rezeption cf. ABERCROMBIE 1 948:2- 1 1 , MUGDAN 1 996:261 -66.

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1 33

er die pn'mitives, die in sich «all alike in kind» sind; damit ist wohl gemeint, daß sie von ihrer Artikulationsstellung her elementare Typen darstellen. In Zeile 2, 3 etc. folgen die jeweiligen derivates dieser primitives; die Derivation entsteht dabei durch eine «characteri­stical addition», die methodisch nicht näher erläutert wird (ib. : 1 32 [241]) . Die Beispiele zeigen j edoch, daß es sich dabei um die <<Additiow> des Merkmals 'Stimmlosigkeit' in Zeile 2, oder von 'Nasalität' in Zeile 3 handelt. Grob kann man konstatieren, daß die vertikale Kriterienschiene von den phonetischen Merkmalen 'Sonorität' und 'Artikulationsart' ('plosiv', 'nasal', 'frikativ' etc.) gebildet wird, während die horizontale Schiene Differenzierungen nach der Artikulationsstelle ('bilabial', 'labio-dental', 'dental/ alveolar', 'velar' etc.) präsentiert, auch wenn dies nicht durchgängig zutrifft (danach müßte nämlich z.B. «W wand», das als pnmitive auftritt, eigentlich in der Spalte 1 [bila­bial] in Zeile 5 [frikativ] erscheinen) .

2 1 4 5 I B bond D dark . .r J eil IG Game 2 P Pond T tart eh. Cheft. K came _

1 Mmind N name gl1 Setgnior }Fr.!ng fong = 4 = dll this J JwJ. Ig gaen Vd. V Vallcy � th thing Ih fhall Ich dach J F Folly 6 n d.1J!fe Fr

6 7 8 9 I O I r

IL lalle H hanel Y yarn R ralld\V wanel Fr fi...z,N . .ti m. Li: Lowd/lt,1; IV. IVe(;h

Z zeal\lh W S Seal

(LODWICK, Aphabet: 1 30 [239])

Da Lodwick die orthographische Wiedergabe der Laute (wie zwei Buchstaben für einen Laut z .B. bei th) bereits irreführend scheint, entwirft er als Synthese seiner Einteilungen das formelhafte Tableau des « Universall Alphabet»30.

30 cr das spätere « alphabet organique & universel compose d'une voyelle & de six conson­nes» von DE BROSSES 1 765 :1 76ss. , planche VI.

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1 34

2 5 1-5 6

The Unwerfall Alphabet . ,

I G h P 711 m '77 = :p =

8 '7 /L

2 1 d 'h t '7n n D dh qy 'tR h Tl

9 CIt !f

Th, TaUe 0/ Cc'!foIL.ants J + 5 6

Tf ) � 3 '7 = '1 -1'h eh. 'h k '/1 = 9, =

'hz :in Lf-n ng '7n = 'In =

'b J 'b 9 b J! <:b Z-'b �h. fj, c....fl � .f 'b s

Th� Ta.6fe if Vowds ...p: � � ;: C \Q Q:) '-.l o. "-t1 � ..... � l\i ,.... V > A " O ,< ) ( - U A I ' / g) g> � ) ;:::: 0 � ::) i=: .... · S l � � � �

(LODWICK, Alphabet. 1 37 [246])

7 p [

r; (fi

3.10 Zwischen logischer Arboreszenz und analogisierendem, aufzählendem Tableau: die Grammaire generale et raisonnee (Arnauld, Lancelot)

Auch die 1 660 in Paris erscheinende Gramaire generale et raisonnee befaßt sich in ihren er­sten beiden Kapiteln mit Phonetik (fes mots se/on les sons, GGR: 1 6) . Wie bei Lodwick und Wallis tauchen einschlägige Kriterien auf wie: Artikulationsstellen (langue, livres, dents . . . ) , Stimmhaftigkeit, Abhängigkeit von der lautlichen Umgebung usw. (GGR: l - 1 3) . Wie Lodwick versuchen auch d'Arnauld und Lancelot einen Universalitätsanspruch der Lauteinteilung durch einen sprachübergreifenden Vergleich zu untermauern, der eben­falls in Tableau-Form erscheint (GGR: 1 0; Abbildung nächste Seite) . Anders als Lodwick insistiert die Grammaire generale j edoch nicht auf der Universalisierung der Schreibweise (GGR: 1 9-23) . Deshalb werden die einzelsprachlichen Graphien parallel aufgeführt, wie z .B. : « . . . n, liquide que les Espagnols marquent par un tiret sur 1'11, & nous comme les Italiens par un gn.» (GGR: 1 1 N9) . Ziel ist also nicht die Systematisierung universaler Merkmale, sondern lediglich eine Systematisierung der lautlichen Elemente der Spra­chen.

Anders verhält es sich im Hauptteil der Grammair. : Dort sind Arnauld und Lancelot sehr wohl um eine Universalisierung nach «sprachinternen» Kriterien bemüht, welche für sie identisch mit den Kriterien logischer Denkgesetze sind. Das Axiom der grammaire raisonnee lautet: Die Sprache ist der Ausdruck des Denkens, die significations des mots korre­spondieren mit den formes de la pensee. In dieser Hinsicht steht die GGR deutlich in der Tradition der Scholastik, und Descartes' (cf. DONZE 1 967 :25-34) .

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oo®®oo�@�®®�oooooo®oo���oo C O N S O N E S

qui n'o m qu'vn [on limple.

L.tines & 'Vulg.im. Grec'fuu. H<bra''fuct. B . b B. ß , :l I B eth. P. p n . 'iT ) !) Pe. F . f ' ph �. � , 1 , V. v , confone. i1 ' <\ 5 C. C , 6 K. r. , ::J Caph. G . g , 7 r. )' , .1 Gimel . j , confme. lC f Iod. D. d , A . J, , D.deth . T . t , T. 'T , 10 Tcth. R . r , P . f , , Refch. L. I , /\ . 1\ , � bInd .. il! . 8 lC lC M . m , M. {J- , C Mem. N. n , N. v , J NUll . gn . 9 lC S . s , $ . r! ) o Samech. Z. z , 7. . ( , r o . r Zaii n . C H . eh " lC lJ) Schin. H. h , I ' c . I } n 1 <\ Hher.

135

Entsprechend geht die Grammaire bei ihrem Entwurf der «geistigen» Gliederung der Sprache (im Gegensatz zur «körperlichen» Gliede­rung der Buchstaben und Töne) endang des Ariadnefa­dens universeller, «logischer» Einheiten vor (GGR:26- 161 ) . - Nicht von ungeEihr beruft sich Chomsky später (u.a. CHOMSKY 1 966:3 1 -46 und IM: 1 4- 1 9) auf die Grammaire generale als «frühen Vorläufer einer Transformationsgram­matilm31 •

Die «geistige» Gliederung der Sprache, die die Grammai­re textuell sichtbar machen will, folgt deudich dem Mu­ster der Arboreszenz (die folgende Graphik ist eine Umsetzung der im Text be­schriebenen Arboreszenz mit entsprechenden Seitenanga­ben) . Dies ist darauf zurück­

zuführen, daß nicht der Vergleich und die taxonomische Erfassung von Elementen an­visiert ist (der in der Regel zum Tableau führt) , sondern vielmehr die fortschreitende Differenzierung von Elementen. Dies spiegelt sich auch in der für das Werk grundle­genden Zweiteilung des Zeichens in son und pensee (cf. DONZE 1 967:47-59) , siehe Abbil­dung nächste Seite. In welchem Maße die Arboreszenz dem grammatischen Programm von Port-Royal unterlegt ist, wird vollends sichtbar, wenn man weiterhin die Ausfüh­rungen zur cote signiftcation verfolgt (GGR:28-1 53) . Sowohl der textuelle Duktus der Dar­stellung wie auch der dargestellte Inhalt sind mühelos als äußerst «prächtiges» Exemplar einer Arboreszenz zu erkennen, das wir auf dem Faltblatt in der Anlage zu diesem Buch rekonstruiert haben.

31 Cf. auch CHEVALIER 1 967:1 9-22, FOUCAULT 1 967: 1 5 . Andere Linguisten sahen in ihr le­diglich eine weitere latinisierende Grammatik: ]ESPERSEN 1 924:47, BLOOMFIELD 1 933:6s . , HOCKETT 1 961 :4s .

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136

Grammaire = art de parler, parler = expliquer ses pensees par des signes

t signes

eote sonl earaetere

� voyelles eonsonnes (6-9) (9-1 3)

(GGR9-27)

syllabe ('son eom­plet', 1 4s .)

mot ('se prononee a part" 1 6) [mot phonetique]

aeeent aeeent aeeent aigu grave eireonflexe

eote signifieation (6)

� formes de la signifi­eation des mots = formes de la pensee (26s .) [Verzwe(gungen von hier: cf. Faltblatt]

Unschwer ist zu erkennen, daß die Grammaire bei ihrem Kernanliegen nicht den von Foucault für das age classique als paradigmatisch beschriebenen Tableaux folgt. - Einer unter vielen Belegen dafür, daß Bilder ebenso wie Paradigmen (hier: logisch­philosophische Sprachbetrachuntg der GGR vs. « beobachtende» Sprachwissenschaft bei Wallis und Lodwick) zeitlich überschneidend und inhaltlich komplementär auftreten (cf. Kap. 1 ) .

Gleichwohl erscheinen in der GGR am Rande durchaus auch kleine Tableaux. So ei­ne Graphik der Personalpronomen, wo die für das Raster typische Kreuzung zweier Kriterien (person und Numerus mit Kasus) und die Aufzählung von Elementen gra­phisch sichtbar ist (GGR61) . Und auch bei den Präpositionen findet man aufzählende Darstellungen (GGR89) ; die teilweise die Parallelität der in den Präpositionen ausge­drückten Relationen über verschiedene Sprachen hinweg wird im Text erwähnt, aber nicht graphisch umgesetzt (GGR88) . Deutlich an ein Tableau gemahnende Analogisie­rungen finden sich z.B. bei der vergleichenden Betrachtung der Kasus (GGR43-5 1 ) . Aus dem Text läßt sich unschwer folgendes Bild ableiten:

Nominativ Genitiv Dativ Akkusativ Ablativ Vokativ

Latein domin-us domin-i domin-o domin-um domin-o domzil-e

Franz. position prepo- prepo- position prepo- noms avant sition sition apres le sitions propres le verbe de cl verbe pour, par, voc.=nom.;

sans, ehe" noms gene-devant . . . raux: sup-

pression de l'article

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1 37

Mit Blick zurück auf die logische Tradition wie z .B. auch Ramus, kann festgehalten werden, daß universal-logische Überlegungen eine starke Affinität zur Arboreszenz he­gen. Dieser Trend setzt sich ungebrochen von der Renaissance bis hin zu Chomsky fort. Mit Blick zurück auf Wallis und Lodwick (und voraus blickend auf Naturwissenschaftler wie Linne) ist festzuhalten, daß taxonomisch orientierte Überlegungen das Tableau be­vorzugen. Auch dieser Trend endet nicht mit dem age classique, sondern erneuert sich im Strukturalismus des 20. Jahrhunderts.

3.11 Die Tafel der Wissenschaften und die Tafel der Ideen (Leibniz)

Auch in der Erkenntnisphilosophie halten die Tableaux, wenn auch etwas später, Ein­zug. So findet beispielsweise Leibniz in seinen Nouveaux essais sur J'entendement humain (1 704 verfaßt, jedoch erst 1 765 postum publiziert und dann stark rezipiert32) «trois gran­des provinces dans le monde intellectueb), die nicht mehr als Verzweigungen mit ge­meinsamem Ursprung in der Metaphysik gelesen werden, sondern als parallel­analogisierende, sich strukturell entsprechende Arrangements: «des arrangements divers des memes verites» (LEIBNIZ, NE :IV,21 [495]) . Ein Inklusionsverhältnis zwischen den «Provinzen des Verstandes» , wie es hierarchische oder genealogische Baumschemata implizieren, soll vermieden werden: « . . . la principale difficulte, qui se trouve dans cette division [des Anciens] , est que chaque parti paralt engloutir le tout; premierement la morale et la logique tomberont dans la physique [etc.] . . . » (ib. :rv,21 [49 1])33 . Der Hang zur Parallelisierung verschiedener Denkbereiche tritt bereits beim frühen Leibniz zutage, wenn er in der Ars combinatoria (Leipzig 1 666) über eine Analogie arithmetischer Gesetze mit Denkgesetzen spekuliert (cf. ISHIGURO 1 990:44s. , KOCH 1 908:5) , die sich auch im Titel ankündigt: « Dissertatio de Arte combinatoria in qua ex Arithmeticae fundamentis Complicationum ac Transpositionum Doctrina novis praeceptis exstruitur, et usus am­barum per universum scientiarum orbem ostenditur . . . » (LEIBNIZ, Math 5) . Er zieht sich durch Leibniz' gesamte Philosophie (cf. RESCHER 1 981 :33s.) .

Im Kapitel zur Einteilung der Wissenschaften (LEIBNIZ, NE :IV,21 [490-95]) entwirft Leibniz textuell ein entsprechend striktes Tableau, das sich graphisch folgendermaßen wiedergeben läßt:

32 U.a. von Diderot, cf. KRÜGER 1 985. 33 Cf. RESCHER 1981 :385 . zur Abwendung Leibniz' vom deduktiven Systembegriff Euklids .

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1 38

sphere de I'entendement humain

science . . . ou philosophie . . .

disposition de la verite

connatssance des . . . [objetJ

Tableau du monde intellectuel (division des sciences)

nature des I'homme en choses en qual iM el/es-memes d'agent

physique morale

theorique pratique

synthetique analytique

corps et leurs moyens d'obtenir affections des choses bonnes (nombre, figure; et utiles esprits, Dieu, anges) (verites, le juste)

moyens d'acquerir et de communiquer ja connaissance

logique

du discours

suivant les termes (repertoire)

signes34

Dem Raster liegt, historisch gesehen, eine Kreuzung aus genealogischem Baum des en­tendement und seinen Verzweigungen in sciences, verites, connaissances (wie bei Descartes) mit dem Genus-Species-Baum der science und seinen Verzweigungen de la nature, de I'homme, de la parole (ähnlich bei Bacon) zugrunde, die die Baumstruktur aufhebt.

Allerdings muß der Begriff des Tableau im Zusammenhang mit Leibniz vorsichtig gehandhabt werden. Leibniz' Werk ist u.a. von dem Wunsch durchzogen, eine «Tafel der Grundbegriffe», ein «GedankenalphabeD> zu fInden. Der Begriff «Tafeb> wird dabei j edoch nicht im Sinne eines Foucaultschen Tableau Cmatrixhafte Übersicht') gebraucht (wie wir ihn auch verwenden) . Wenn Leibniz von tabula spricht, so geht es in der Regel um den Einspruch gegen Lockes Behauptung, es gebe keine angeborenen Ideen und der Verstand sei vor den Sinneseindrücken eine tabula rasa (z .B. LEIBNIZ , NE:I/ l [36] ; II/ l /2 [75])35 . Der Begriff Taftl wird also bei Leibniz nicht zur Bezeichnung eines Ord­nungsprinzips gebraucht, sondern im Sinne der leeren (Wachs-)Taftl ('Ideen werden er­worben') bzw. der beschriebenen Tafel ('Ideen sind bereits angeboren') .

Dieser terminologische Stolperstein ändert freilich nichts daran, daß Leibniz' Überle­gung, wie wir uns unserer verschiedenen angeborenen Ideen durch Sensation und Re­flexion « gewahr werdern>36 (ib. :I/ l /8 [76]) ein Tableau der verschiedenen Ideenarten

34 Zur Leibnizschen Zeichentheorie, zur Untrennbarkeit von « Sprache» und « Wahrheio>, zum Projekt einer Universalsprache (characteristica universalis) , die auf der Analyse der Ideen (cf. unten « Tafel der Ideem» beruhen und Instrument der scientia generalis sein soll, cf. z .B. HEINEKAMP 1 976:520-37, 564s. ; SCHNEIDER 1 994; VERBURG 1 976:601 -08.

35 Locke spricht vom «unbeschriebenen Blato> (LOCKE, Emry:1I/ 1 / §2 [po 1 04]) . 36 Die weite Problematik der « angeborenen Ideem> bei Descartes, Locke und Leibniz können

wir hier nur grob skizzieren. Descartes versteht darunter diejenigen Ideen, die sich durch Ab­straktion von sinnlichen Eindrücken (Zweifelsmethode) ermitteln lassen (DESCARTES, Princi­peS:T/ 1 -4, Meditations:I, VI) . Locke plädiert für eine Ideenbildung mittels sensation und reflection (LOCKE, ESSiry:II/ 1 [po 1 04ss.] ) . Leibniz verwahrt sich zwar gegen den Materialismus Lockes, indem er angeborene Ideen annimmt (cf. JOLLEY 1 984: 1 62-93, ISHIGURO 1 990:61 ) . Er modifi-

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139

generiert. Der Text der Nouveaux Essais unterscheidet Ideen nach den Kriterienpaaren: (1) Sensation vs. Reflexion und (2) einfach vs. komplex. Die zweite Unterscheidung wird dop­pelt verwendet für (a) die Einteilung in einfache vs. komplexe Ideen und (b) die Einteilung von Sensation und Reflexion in einfache Sensation VS. vielfache Sensation bzw. einfache Reflexion vs. Mischung aus Reflexion und SensationJ7• Die Ideen-Einteilung wäre zwar auch als Arbori­sierung darstellbar, die grundlegende Kombinatorik der Leibnizschen Differenzierung, d.h. die Überschneidung und I<reuzung der dichotomen I<riterien, würde sie jedoch fahrlässig in den Hintergrund treten lassen, wie die graphische Umsetzung zeigt. Leib­niz' «Tafel der Ideen» vollzieht einen deutlichen Sprung von der arboreszierenden Dar­stellung der (sprachlichen) Ideen bei Lancelot und d'Arnauld38 zu einem analogisieren­den Raster (siehe Abbildung folgende Seite) .

Inwieweit das Modell des Tableau auf das philosophische Gesamtsystem Leibniz' anwendbar ist, ist umstritten. Während SERRES 1 968 vom Polythematismus und der Zentrumslosigkeit des Leibnizschen Systems spricht - was sich mit dem Tableau, nicht aber mit der Arboreszenz in Einklang bringen läßt -, sieht DUMONCEL 1 983 verschie­dene Varianten von Arboreszenzen strukturbestimmend. Welches Bild für das gesamte Leibnizsche System «das richtige» ist, können wir hier nicht entscheiden. Zu vermuten ist, daß in Leibniz' umfangreichem Werk (vom frühen Atomismus bis zum Kontinui­tätsdenken der Monadologie) beide Varianten für mehr oder minder umfangreiche Inhalte anzutreffen sind.

Für unsere historische Betrachtung bleibt hiervon relevant: Während die vorange­gangenen Beispiele des Alten Testaments, Dantes, Du Bellays, Bacons und Descartes' sich auf die analytischen oder organischen Eigenschaften des Baumbildes berufen, rük­ken mit den Tableaux (Rastern) des age classique bei Wallis , Lodwick, der Grammaire gene­rale und auch bei Leibniz der Kreuzungspunkt und die Analogisierung von I<riterien in den Vordergrund39.

ziert aber das cartesianische Verständnis der idies innies, indem er sie als eine angeborene Kom­petenz versteht (cf. ISHIGURO 1 990: 1 1) , die eine Ideendifferenzierung über sensation und reflection ermöglicht. Diese Konzeption findet ihren Niederschlag im <Monadem>-Konzept, wonach jede individuelle Substanz alle ihre Zustände und Bestimmungen bereits (<kausal» in sich schließt (LEIBNIZ, Monadologie:§ l l [po 30] , Principes:§ l l [p . 1 7] ; cf. auch RUDOLPH 1 986), andererseits in der Idee einer scientia generalis, die quasi als Erschließungsprogramm den Weg zeigen soll, wie aus den uns angeborenen Ideen nach strenger Methode ein systematisches Wissen erworben werden kann (cf. CASSlRER 1 97 1 /2 : 139, 141) .

3 7 Die Analogien der Unterscheidung sind dabei nicht ganz stringent durchzuhalten. So ent­spricht z .B. die rijlexion mixte einer Mischung von rijlexion und sensation (LEIBNIZ, NE:n/7) wäh­rend die sensation mixte eine Mischung aus unterschiedlichen Arten von sensations (z .B. Tastsinn, Gesichtssinn) ist. Ähnliches gilt bei den komplexen Ideen, wo eine <<Leerstelle» im Bereich der reflexion mixte erscheint (cf. Schema) .

38 Zur Korrespondenz zwischen Leibniz und Arnauld cf. SLEIGH 1 990. - Zur Sprachbe­trachtung Leibniz' cf. z.B. GENSINI 1 999.

39 Gleichwohl erscheint die Arboreszenz weiterhin z.B. dort, wo es um genealogische Aussa­gen geht. Cf. LEIBNIZ, UG: 1 7, 21 -24 zur Vielzahl der « europäischen Sprachem>.

Page 142: Die Wiederkehr Der Bilder

Leibniz, Nouveaux Essais: Tafel der Ideen

simple (1 1/2)

idees qui nous viennent par un seul sens (IV3),

simple p.ex. ,solidit<!' ( 1 1/4)

SENSATION idecs simples qui nous vienncnt par divers sens,

m ixte p.ex. ,espace' , ,figure" (eomplexe) ,mouvement', ,repos'

(lJ/5)

idees simples qui vienuent par reflexion; i. e. idees de

simple I 'entendement et de la volonte (1l/6)

REFLEXION idees simples qui vicnnent par' sensation et par refle-

mixte xion, p .ex. ,plaisir', (complexe) ,doulenr', ,puissanee' ,

,existence', ,unite' (rV7)

IDEE

modes [- ,qualit<!s'] (1 111 2/3)

müdes simples, p.ex. de I ' espace, de la duree, du nombre (11/ 1 3 - 1 6); composes d'idees simples de la meme espece ( 1 I/22/J )

müdes mixtes, acquis par observation, p .ex. , lutte' (11/22/9)

müdes simples: reminicence d'tute sensation, sans que I 'ob-jet exterieur qni J ' a d'abord fait naltre, soit pr':sent (1 t/1 9); p .ex . ,plaisir' ,doulem', ,plaisance� ,liberte' (1I/20s.)

müdes mixtes, acquis par assemblage volontaire (invention) ou assemblage involontaire (reve) ou explieation des tennes affectes aux actions qu 'on n'a jamais vues (1l /22/9)

complexe

substarlces ( ,choses particulieres et distinctes' ; 1 1112/6, 1 1/23)

substances singul ieres corpo-relles, p .ex. ,homme', ,brebis' (11/23/4, IV1317)

substances eolleelives corporel-les, p.ex. , WIe annce d'hommes" , un troupeau de brehis' (lJ/ 1 317)

suhstarlCe spirituelle (1l/23/4)

0 (?)

relations (11/ 1 2/3)

simple: entre deux choses (11 /25/6), p .ex. ,cause/effet' , ,identite!diver-site' (It/26s.)

vs.

complexe: entre plusieures eho-ses, graduelle (lJ/25/7, lt/28/ 1 ), p.ex. ,propor-tion', origine', ,morale' (H/28)

- ------------------

...... .p.. o

Page 143: Die Wiederkehr Der Bilder

3.12 Arboreszenzen und Tableaux der frühen Biologie: Classes plantarum (Linne)

141

Das Bestreben, das Wissen der Zeit übersichtlich und umfassend - eben enyyklopadisch -darzustellen, generiert im 1 8 . Jh. eine Vorliebe für das Tableau. Bevor wir diese Spur bei den französischen Enzyklopädisten aufnehmen, werfen wir noch einen Blick in die Na­turwissenschaft des 1 8 . Jahrhunderts: auf die PflanzenklassifIkationen von Linne40. Dies empfIehlt sich zum einen, weil Linnes Darstellungen deutlich die Verquickung der Dar­stellungsmuster Arboreszenz und Tableau bis hin zur alphabetischen Aufzählung zei­gen. Zum anderen bietet Linne ein gutes Beispiel dafür, daß die grundlegenden Darstel­lungs- und Denkweisen der sich allmählich trennenden Geistes- und Naturwissenschaf­ten doch frappierende strukturelle Ähnlichkeiten aufweisen. Dies zeigt sich erneut im 1 9 . Jahrhundert im Bezug zwischen Lamarck, Darwin und der vergleichenden Sprach­wissenschaft (Kap. 4) .

Linnes Verdienst um die Classes plantarum besteht weniger darin, eine neue KlassifI­zierung der Pflanzen zu liefern (obwohl er dies für einzelne Bereiche getan hat) , sondern systematisierend die Fülle von zeitgenössischen KlassifIkationen zusammenzufassen. Hierfür faßt er vorab die KlassifIkationsmethoden verschiedener Botaniker in einem basalen Baumdiagramm zusammen. Dessen drei Verzweigungsstufen werden bestimmt von (1) der allgemeinen Art der Methode (methodus universalis vs. methodus partialis) ; (2) dem Ul1terscheidul1gskriterium der j eweiligen Methode - so gehören z.B. zur universalen Methode Methoden, die Pflanzen nach (a) Art der Frucht, (b) Art der Blüte oder (c) Art der Bestäubung unterscheiden; (3) den j eweiligen Vertretern der einzelnen Methode (LIN­NAEUS 1 738 : s .p.) .

Die eigentliche Systematisierung vollzieht Linne i n drei Schritten:

(1) Die Klassifikation jedes im Basisdiagramm genannten Botanikers wird wiederum in

einem Baumdiagramm dargestellt. Als Beispiel ist umseitig die Einteilung von Andrea Ce­

salpino (übri XVI. de plantis, Florenz 1 583) abgedruckt.

(2) wird sodann zu jeder «Endverästelung» (repräsentiert durch die römischen Ziffern) ein

Inventar der in diese Untergruppe fallenden Pflanzenarten angeführt. Hierbei wird

nochmals nach verschiedenen äußeren Kriterien der Pflanzen unterteilt (mit arabischen

Ziffern); dies erfolgt jedoch nur noch in aufzählender Form (ib. :5s .) .

(3) Als letzter Schritt folgt schließlich die Synthese im Index universalis, der nichts anderes

als ein Tableau der Pflanzenarten (vertikale Koordinate) und der Klassifikationsmethoden

einzelner Botaniker (horizontale Koordinate) ist. Den Punkten dieses Koordinatensy­

stems werden nach Möglichkeit Seitenverweise auf die Classes plantarum zugeordnet, so

daß für jede Pflanze zurückverfolgt werden kann, wo sie im komplexen Klassifikationsge­

füge einzuordnen ist.

40 cr hierzu auch FOUCAULT 1 966 :1 50-61 .

Page 144: Die Wiederkehr Der Bilder

Beispiel für Schritt (2) : Cesalpini Systema

I. ARBORAE CORDE EX APICE SEMINIS. Seminibus saepius solitarüs . . .

1 . Glandiferae flore abeunte in amentum. Quercus cap. 2 Quercus - Cerrus Quercus - Farnia Quercus - Suber Quercus - SubereIla Quercus - Ilex Querctls - Gr. tinctorium Qtlerctls

2. Vasculifere quae apertae pftlra semina ctlm propriis stlis corticibtls continent. Fagus 3 Fagtls Castanea 4 Fagtls

(LINNAEUS 1 738 :55 .)

3. Osseae florae abetlnte in atlmenttlm. Nux juglans 5 Jtllans Nux avellana 6 Coryftls Carpinus 7 Carpintls Ainus 8 Afntls Ulmus 9 Ulmtls Tilia 1 0 Tifia Platanus Acer Fraxinus

1 1 Pfatanus 1 2 Acer 13 Fraxintls

Page 145: Die Wiederkehr Der Bilder

1 43

Beispiel für Schritt (3) : Index universalis,

Secundum nomina Authoris per omnes universales Methodos.

Caesalp[inusJ MonS[onusJ Ray[usJ Knaut[hiusJ Herm[annusJ Abies 8 37 1 00 1 23 1 53 Acacia Acalypha Acanthus 1 7 63 90 1 40 Acer 5 39 1 03 1 56

Achillea 25 52 77 1 1 9 1 34

(LINNAEUS 1 738:607s.)

Linne verbindet auf diese Weise seine Ausgangsarboreszenzen mit aufzählenden Ta­bleaux zu einem großen enzyklopädischen System des botanische Wissens41 •

In Linnes Bestreben, die Dinge in möglichst lückenlosen Tableaux zu ordnen (cf. MAYR 1 984: 1 38ss . , 386ss .) äußert sich eine physikotheologische Suche nach dem Gleichgewicht: « . . . göttlicher Weisheit und Vorsehung wird die Funktion zugeschrieben, die Welt in Balance zu halten. Alles hat sein rechtes Maß und die angemessene Zahl . . . » (LEPENIES 1 988:27) . Wenn sich die Idee der Regulierung der Dinge/der Natur/des Systems auch bei Darwin fortsetzt (in der Variante der Selbstregulierung statt göttlicher Regulierung), so besteht der Unterschied doch darin, daß das Tableau die unendliche VervielfaItigung der Arten, gleich einem antigöttlichen Chaos, gebannt sehen will, wäh­rend diese für das Auffacherungsschema des Stammbaumes die Essenz der Aussage sein wird.

3.13 Arboreszenzen und Tableaux der französischen Aufklärung (d' Alembert, Diderot, Du Marsais, Beauzee)

Nach dem Ausflug in die Botanik zurück zur Philosophie. Wie Leibniz arbeitet auch der Mathematiker, Physiker und Aufklärungsphilosoph d'Alembert an einer Übersicht über die Elemente von Erkenntnis und Wissenschaft. In seinem Essai sur les e/ements de philoso­phie (1 759) versucht er wenige Dekaden nach Leibniz eine enzyklopädische Übersicht über die connoissances humaines und die Wissenschaften (verstanden als Teile einer überge­ordneten philosophie) zu geben. Als geeignete Darstellungsweise einer solchen Übersicht erscheint ihm das tableau (D'ALEMBERT, Essai: §2 (p. 1 3, 1 6] u.a.) und die table: «Notre des sein dans cet Essai n' est point de parcourir en detail Ies differentes matieres qui doi­vent entrer dans les elemens dont nous padons; nous ne voulons que les exposer som­mairement, et en faire comme une espece de table . . . » (ib. : §2 [1 7]) . Daß hier einer ahie­rarehisehen Inventarisierung der Vorzug vor einer deduktiven Hedeitung der Erkennt­nisse (wie bei Bacon oder Descartes) gegeben wird, dürfte mit der Mitte des 1 8 . Jahr­hunderts erreichten «Unübersichtlichkeiö> der Erkenntnisse erklärbar sein, die Antrieb

41 cr auch die Arboreszenzen in LINNE 1 787: Tafeln zu p. 12 (Clavis systematis sexualis) und LINNAEUS 1 742:6 (Clavis classium) , die Aufzählungen in LINNAEUS 1 742:21 ss . und die Tableaux in LINNE 1 787:32ss. (Delineatio plantae) .

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1 44

des aufklärerischen Impulses ist. Nachdem die Theologie als «ReligioID> aus dem Bereich der Philosphie, i .e. der Wissenschaften, ausgeschlossen wurde (cf. z.B. ib. : §3 [p o 21]) und die Naturbetrachtung nicht mehr dem deistischen Prinzip gehorcht - aus der «Naturphi­losophie» haben sich defInitiv die «NaturwissenschafteID> (Astronomie, Physik, Mecha­nik) entwickelt - «explodiereID> die Entdeckungen und Erkenntnisse im Bereich der Naturwissenschaft (physik, Mechanik und auch Mathematik) . Noch kann man in dieser Fülle kein neues, alles durchwirkendes Prinzip erkennen, keine durchgängige Abfolge oder Abhängigkeit. Vorerst sei es deshalb angezeigt, so d'Alembert, die elementaren Einheiten zu inventarisieren, soweit man nicht doch auch vereinzelt Verzweigungs zu­sammenhänge erkennen könne:

Tous les etres, et par consequent tous les objets de nos connoissances, ont entr'eux une liaison qui nous echappe; nous ne devinons dans la grande enigrne du monde que quel­ques syllabes dont nous ne pouvons former un sens. Si les verites presentoient a notre esprit une suite non interrompue, il n'y auroit point d'i'lemens a faire, tout se reduiroit a une verite unique dont les autres verites ne seroient que des traductions differentes . . . �e] guide necessaire [du fJ.! dans le labyrinthe des sciences] nous manque; en mille endroits la chaine des verites est rompue; ce n'est qu'a force de soins, de tentatives, d'ecarts meme que nous pouvons en saisir les branches: quelques-unes sont unies entr'elles, et forment comme differens rameaux qui aboutissent a un meme point; quelques autres isolees, et comme flottante, representent les verites qui ne tiennent a aucune. (D'ALEMBERT, Es­sai:§4 [po 25s.])

Die schlüssige Folge ist, daß großformatige hierarchische Darstellungen zur Erkenntnis­theorie seltener werden, und wenn sie auftreten, über relativ bescheidene « BäumcheID> kaum hinauskommen. Für die vereinzelt auftretenden Verzweigungen eignet sich die Darstellung in einer Koordinatentafel besser, da sie zugleich auch eine Aufnahme der isolierten Elemente in das Inventar gestattet. Sichtbar wird dies z.B. in d'Alemberts tex­tueller Darstellung der ilements de philosophie (oder nature des sciences humaines) (D'ALEMBERT, Essai: §4 [p . 1 9-2 1 , 2S]) ebenso wie in seiner Einordnung der objets de la philosophie (oder etendue des sciences humaines) (ib. : §4 [p.2S, 29]) , die sich beide graphisch problemlos als Tableau wiedergeben lassen:

Elements de la philsosophie

de la nature historique morale philosophie pure especes de con-naissance

faits X X

sentiments X

discussion X

Page 147: Die Wiederkehr Der Bilder

1 45

Hier zeigt sich klar die überwiegende «Isolierun�> der Elemente. Nur die Koordinate der faits birgt eine Verzweigung, da sie sowohl Elemente der science de la nature wie der science historique birgt.

Objets de la philosophie

idees abstraites idees primitives

� d'idees espace temps esprit matiere

sciences

geometrie x

astronomie X

histoire X

metaphysique X

physique X

mecanique X X X

morale X X

Wie oben sind auch hier die Elemente überwiegend «isolierb>. Zwar gibt es Verzweigun­gen (z.B. von der abstrakten Idee Zeit zu den Wissenschaften Astronomie und Ge­schichte) , sie sind aber nur einstufig und werden konterkariert von gegenläufigen Ver­zweigungen von der Wissenschaft zu den Ideenarten (z .B. von der Mechanik zu den Ideenarten Raum, Zeit, Materie) . Inhaltlich liegt also klar eine Analogisierung von Kriteri­en, eine rasterhafte Matrix vor, auch wenn sie von d'Alembert nicht visualisiert wird.

Vereinzelt ist zwar in d'Alemberts Text die Baum-Metaphorik vorhanden (cf. die oben zitierte Passage: rameaux, branches; oder die Einteilung der histoire des sciences et des arts, D'ALEi\1BERT, Essai: §2 (p.14-17]) . Gleichwohl bevorzugt er insgesamt das Raster aus den genannten Gründen, insbesondere bei Gliederungen mit zahlreichen Elementen.

Umso mehr erstaunt, daß die Encyc!opedie, die unter der Herausgeberschaft von Dide­rot und d'Alembert entsteht, diesem Trend auf den ersten Blick überhaupt nicht zu fol­gen scheint. Im Gegenteil: Das Vorwort" der Encyc!opedie eröffnet programmatisch mit dem arbre encyc!opedique, der der enzyklopädischen «exposition de l'ordre & de l'enchainement des connoissances humaines» dienen soll und ebenso der Darlegung des Wissenschafts systems « lies branches infiniment variees de la science humaine»; Enc 1 :1S .) ; « ... il ne nous reste plus qu'iI former un Arbre genealogique ou encyclopedique qui . . . rassemble �es differentes parties de nos connoissances & les caracteres qui les

" D'Alembert zeichnet zwar als Autor des Vorwortes, der Text beruht aber weitgehend auf Dide

rots ProspecltiS für die Enzyklopädie (1 750) .

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1 46

distinguent] sous un meme point de vue, & qui serve a marquer leur origine & les liai­sons qu'elles ont entr'elles . (ib.:X.lv) . Die Metapher des Baumes und die damit verbundene Vorstellung einer umfassenden Hierarchie der Wissensgebiete durchzieht einen Großteil des Vorwortes . Diderot und d'Alembert knüpfen mit ihrem Baumbild jedoch nicht an ihren Landsmann Descartes (3 .8) an, sondern orientieren sich an britischen Vorbildern. Wie ihnen Chambers als Modell für die enzyklopädische Arbeit an sich gilt (Ene l :XXXIVSS.), berufen sie sich hinsichtlich der arboreszenten Wissenschaftstheorie auf Bacons tree of human kar­ning/ understanding (3 .7)43: «Nous declarons ici que nous devons principalement au Chan­celier Bacon l'Arbre encyclopedique . . . » (Ene 1 :xxv, cf. ib. :LIS .) . Der solchermaßen angekündigte Baum, betitelt als Systeme figure des eonnoissanees humaines, folgt auf dem Fuße und ist von noch monumentaleren Ausmassen als derjenige Bacons (siehe hintere Um schlagseite des Buches) . Natürlich hat man leicht Veränderungen gegenüber Bacons Baum vorgenommen. Deren relevanteste ist, daß der Zweig raison/philosophie nun der imagination/poesie vorgezogen wird - dies entspreche eher der «ordre metaphysique de l'esprib>44. Darüberhinaus wurden weitere «Äste» hinzugefügt. Für unsere Zwecke ist es nicht nötig, den enzyklopädischen Baum näher zu kommentieren (zumal sich eine ent­sprechende Erläuterung in Ene l :XLVII-L fIndet) oder einen Vergleich zu Bacons Kon­zeption zu ziehen. Viel interessanter ist, daß dort, wo Bacon apodiktisch und verführe­risch klar ist, Diderot und d'Alembert enorme Zweifel an der Striktheit des Baumprinzi­pes hegen:

. . . l'execution [de I'Arbre encyclopedique] n'en est pas sans difficulte. Quoique l'histoire philosophique que nous venons de donner de l'origine de nos idees, soit fort utile pour faciliter un pareil travail, il ne faut pas croire que I' Arbre encyclopedique doive ni puisse meme etre servilement assujetti it cette histoire. Le systeme general des Sciences & des Arts est une espece de labyrinthe, de chemin tortueux, Oll I'esprit s'engage sans trop connoltre la route qu'il doit teM. (Ene 1 :XIV)

Hier klingen dieselben Zweifel an, ob die Vielheit der Ideen tatsächlich in ein übersicht­liches Schema zwängbar sei, wie sie d'Alembert bereits in seinem Essai formuliert, wenn er von den «isolierten ErkenntnisseID> spricht. Im Falle der Encyclopidie scheint man al­lerdings das Problem weniger in isolierten Fakten zu sehen4" als in der Frage der Per­spektive, die man für den Entwurf des Baumes einnehmen soll. Soll die Hierarchie der eonnoissanees entlang einer immanenten Ordnung der Wissenschaften (z .B. von der um­fassendsten zu spezielleren Wissenschaften) etabliert werden oder nach der Ordnung menschlichen Erkennens und Verstehens? Das heißt: nach wissenschafts theoretischen oder nach kognitiven Gesichtspunkten? Radikal umgesetzt erzeugt jede Perspektive eine Ordnung, die der anderen gegenläufIg ist: Eine Gliederung der Erkenntnisse als Wissen­schaften müßte die abstrakteste Wissenschaft (i. e. die Philosophie als scientia altior, als

43 Dies hängt mit der breiten Durchsetzung des Sensualismus zusammen (cE. das Lob Lockes [Ene l :xxx] und die Kritik an Descartes [ib. :XXVI]) . CE. zur Bacon-Rezeption auch LUXEM­BOURG 1 967, MALHERBE 1 985 . - Das Motiv des arbre encyc!opidique wird u.a. von SAINT-SIl',mN, Introduetion: 1 05ss . wieder aufgegriffen.

44 Allerdings wird im Artikel idee die Baconsche Reihenfolge befolgt (Ene 8:489-94) . - Der Autor dieses Artikels dürfte Diderot sein, da kein Autorenkürzel vorhanden ist.

45 Obwohl auch von isolierten "Wissensinselrm die Rede ist (Enc l :xv) .

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1 47

« science renfermant les principes de toutes les autres», Enc 1 :XIVS .) in der Spitze ihrer Arboreszenz führen. Eine Gliederung der Erkenntnisse nach der Reihenfolge des indi­viduellen Verstehens müßte dagegen ihren Ausgang vom konkreten Sinneseindruck (idees directes) nehmen, also vom memoire zur raison und von dort zur imagination fortschrei­ten.

Weiterhin kompliziert wird die Frage der Perspektive dadurch, daß Diderot die Indi­vidualgenealogie des Verstehens (von konkreten Sinneseindrücken zu abstrakten Ideen und Phantasie) soziohistorisch mit der Wissenschaftsgenealogie verknüpft. Der Motor der Wissenschaftsentwicklung wird in den menschlichen besoins gesehen, die ursprüng­lich körperlich sind. Die Erfahrung des eigenen Körpers ('eigener Körper' vs. 'Außenwelt') entfaltet den Trieb zur Selbsterhaltung. Dieser ist wiederum Quell für wei­tere «besoins qui se multiplient sans cesse» (Enc 1 :IV) bis hin zur <<Vergnügungssucht» (besoin de plazsir) . So ist der Selbsterhaltungstrieb letztlich Anlaß für die Entwicklung von notions abstraites in drei Stufen: (1) die Trennung von Gut und Böse (aus der Erfahrung 'Was schadet meinem Körper?') , das Erfassen von Geist, Seele und Gott, sowie die Er­fmdung sprachlicher Zeichen als Mittel der Gesellschaftsbildung'6 - kurzum des Berei­ches <doi et moral»; (2) die Herausbildung von arts necessaires und praktischer Wissen­schaften wie agriculture und midecine für eine planmäßige « Selbsterhaltung»; und (3) die Herausbildung abstrakter Wissenschaften wie Geometrie und Arithmetik, die sich mit den universalen Eigenschaften der Körper befassen (Enc Ur-XI) . Doch damit nicht ge­nug. Weiter stellen die Enzyklopädisten fest, daß zwischen diesen drei Stufen der Wis­senschaftsentwicklung und Erkenntnisabstraktion Wechselbeziehungen bestünden: Er­kenntnisse aus der Abstraktion führten zu einer neuen Perzeption der Gegenstände und damit wieder zu neuen Erkenntnissen, so z .B. bei physique experimentale einerseits und sciences physico-mathimatiques andererseits (Enc 1 :vrs.) .

Vor dem Hintergrund dieser differenzierten Überlegungen gilt der arbre encycfopidique Diderot und d'Alembert als der bestmögliche Kompromiß aus der Vielzahl der Perspek­tiven (ib. :xvs.) . Daß die Mischung verschiedener Perspektiven das Baum-Muster, das im strengen Sinne nur eine Perspektive (nämlich von einem Zentrum zu den Verzweigun­gen) kennt, sprengen muß, läßt sich denken - und es zeigt sich auch in Graphik und Text der Encycfopidie. Der arbre encycfopidique, von dem im Vorwort stets die Rede ist, be­steht im Grunde aus drei Bäumen in je einer Spalte. Die Arboreszenz verläuft j eweils quer zu einer der drei entendement-Kategorien. Anders ausgedrückt: dem arbre encycfopidique liegt bereits (wie auch in Bacons Konzeption, die dies allerdings nicht reflektiert) am Ausgangspunkt ein Raster zugrunde, dessen Parallelen die Sukzessionen von entendement und connoissances bilden: « Ces trois facultes forment d'abord les trois divisions generales de notre systeme, & les trois objets generaux des connoissances humaines» (Enc 1 :XVI) :

entendement memoire raison imagination

connozssance histoire philosophie poesie

46 Die Anlehnung an Rousseaus Essai SUI" I'origine des langues ist hier deutlich.

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1 48

Die teilweise Flächigkeit ihrer Systemdarstellung scheint den Herausgebern auch durch­aus bewußt gewesen zu sein. Dieser Eindruck wird schon von der Metapher des Laby­rinths (cf. oben) angeregt und verstärkt sich, wenn die « Wissenszweige» auch als «Wege» auf einer Weltkarte metaphorisiert werden:

[L'ordre encydopedique] ... est une espece de Mappemonde qui doit montrer les princi­paux pays, leur position & !eur dependance mutuelle, le chemin en ligne droite qu'il y a de l'un it l'autre: chemin souvent coupe par mille obstades, qui ne peuvent etre connus dans chaque pays que des habitans ou des voyageurs, & et qui ne sauraient etre montres que dans des cartes particulieres fort detaillees. Ces cartes particulieres seront les differens ar­tides de l'Encydopedie, & l'arbre ou systeme figure en sera la Mappemonde. (Enc 1 :xv)

Diese « Weltkarte» wird gerade durch die Artikelanordnung in alphabetischer Reihenfol­ge nötig. Der Text der Eneyclopidie, der aus praktischen Erwägungen der eindimensiona­len alphabetischen Ordnung folgt, bedarf eines Schlüssels, der die dahinterstehende Ordnung erkennbar macht - ebenso wie dies Linnes clavis classicum für den Bereich der Botanik unternimmt. Zu diesem Zweck erhält j eder Artikel einen Verweis auf das ent­sprechende Gebiet im « Wissenssysteffi» . In der enzyklographischen Makrostruktur der Eneyclopidie finden sich also bewußt mehrere Ordnungsprinzipien zur wechselseitigen illumination korreliert: (1) das Raster (bzw. le tableau de tage classique nach der Epistemolo­gie Foucaults), das eine inhaltliche Parallelisierung birgt; (2) die alphabetische Linearisie­rung als schlichte Aufzählung; und (3) (immer noch) die Arboreszenz. 1 und 3 korrelie­ren als Muster einer « cohesion multidimensionelle» mit der Eindimensionalität der Auf­zählung und sind damit greifbarer Ausdruck der enzyklopädischen Suche nach dem « discours synthetique» (AUROUX 1 979 :31 6ss . ) .

Innerhalb der einzelnen Artikel (Mikrostruktur) der Enzyklopädie, die bekanntlich den Federn verschiedener Spezialisten der j eweiligen Fachgebiete entstammen47, tritt das arboreszierende Prinzip häufig in graphischen48 oder textuelIen Darstellungen zutage. Als Beleg sollen hier im Hinblick auf unsere Untersuchungen zur Bearbeitung des Baummotives in der Sprachwissenschaft insbesondere Artikel aus dem Bereich der Sprachbetrachtung herangezogen werden. Ein eindeutiges graphisches Beispiel bietet das Systeme figure des especes de mots in Beauzees Artikel mot (Abbildung rechts oben)49.

Ein einfaches Belegbeispiel für textuelle Arboreszenz findet sich gleich zu Beginn des ersten Bandes in Du Marsais' Artikel zum accent, das ich hier graphisch wiedergebe (Ab­bildung rechts unten) .

47 Für die Aufschlüsselung der Autorenschaften cf. Enc l :XLVI und MONTREAL-WICKERT 1 977: 1 8, 1 7 1 -79. Demzufolge sind die Kürzel der Encyclopidie-Ausgabe von 1 75 1 - 1 780 folgen­dermaßen aufzulösen: F = Du Marsais (Artikel A-Fond, Futur, Grammairien) , E.R.M. = Beauzee und Douchet (Artikel Formation bis Guttural, Htfllenisme, Heterogene, Hyperbate) , B.E.R.M. und E.R.M.B. = Beauzee (Mehrzahl der Artikel ab H) .

4 8 Die zweite Edition (Lausanne/Berne) verwendet Arboreszenzen auch häufig i n geographi­schen Artikeln, z .B. s. EUROPE « <Division generale de l'Europe») , ADRlATIQUE, AFRlQUE.

49 Cf. den Kommentar von SWIGGERS 1 986:25-35. - Cf. s . lvlOT in EncMeth 2 :581 . Dort fin­den sich auch weitere Graphiken u.a. s . AC CENT (vol. 1 :47) , ARTICLE (vol. 1 :254) , ARTICULATI· ONS (vol. 1 :262) .

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AFFECTIFS. SYSTEMEjigur/ tks ,JPms J, mots. ��I�:::�JECTIONSI' I . {{ ��;,���:

t:� z . appellatifs. { gegel i<jucS'. � z {de la J. perfonne. Ipeclhqucs.

I PROSO.'I1.S. de ta H. perfonne. � de la I H. per(ollne . .::; � IADJECT 'F S . 5 phyr,ques . ...:..; � 1 metJphyfiques. E-< � {fUbCl.tntif DU abllnlt.

t.NONCIA TIFS.

�< VERBES. {aair.. � Z ,

ad J edifs ou COncrecs �����s. � IPitEPOS lT'ON S'1de !ems.

(Etlc 10 : 7 60)

accen! �----

(Etlc 1 :63-67)

E de Heu. -l A DVE R II ' S. d·ordre .

. i: de quantltc. :> de caufe. (/) de maniere.

I����r�r::;. � disjonfrives. in explicanvcs. � CONJONCT I O N S p�riodiq�es. :> hypo,hetlqucs. � conduhves. Q �a%i�::::

decermiDltives.

variete dans le ton � grave (ton baisse)

temps que l'on met a prononcer =

aigu (ton eleve) circonflexe (ton eleve et

bref long

ensuite baisse)

aspiration -=============== avec (fe biros) sans (I'biroitle)

~ interrogation

variete du ton pathetique admiration (accent oratoire) ironie

coJere & autres passions . . .

~ entre une proposition et

une autre intervalles que l'on met entre une parenthese et dans la prononciation la proposition

entre une proposition principale et une proposition incise

1 49

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1 50

Auch der für die enzyklopädische Sprachtheorie zentrale Artikel langue (Enc 9:249-66) birgt eine textuelle Arboreszenz. Beauzee setzt sich dort zunächst mit Rousseaus Sprachursprungstheorie auseinander. Rousseaus These des ursprünglich sprachlosen (<Wilden Menschen» (wie sie auch im Vorwort der Encyclopidie anklingt) lehnt er ab (ib. :250-52) . Sprache und Sozialität seien menschliche Eigenschaften per se und nicht Ergebnis einer Entwicklung50. Die Frage nach dem Sprachursprung erübrigt sich für Beauzee demzufolge. Für weit mehr einer Betrachtung wert hält er die multiplication mira­culeuse des langues (ib. :253), für deren Erklärung er einerseits auf den Babel-Mythos (cf. 3 . 1 ) zurückgreift, andererseits auf eine Erklärung der Sprachspaltung durch «natürliche» Einflüsse51 und vor allem durch Veränderung der usag/2• Göttliches Eingreifen und Entwicklung sieht Beauzee dabei keineswegs als widersprüchliche Erklärungen; schließ­lich handele es sich hierbei nur um zwei Seiten einer Medaille, denn «Dieu n'agit point contre la nature, parce qu'il ne peut agir contre ses idees eternelles & immuables, qui sont les archetypes de toutes les natures.» (Enc 9:256) .

Wo e s im weiteren um die «Ursprache» geht, zeigt sich die Doppelbödigkeit des en­zyklopädischen Ursprungbegriffes. Er wird einerseits rationalistisch-ideell gedacht (Wel­che archetypischen Funktionen muß die langue primitive erfüllt haben?) , andererseits auch sensualistisch-historisch53 (Welches ist die älteste Sprache?54) . Die Synthese erfolgt in drei Schritten: (1) Die adamitische Ursprache muß die Ideen auf «natürliche» (= lo­gisch-analytische) Weise repräsentiert haben, also eine langue analogue (analog zur logi­schen Ordnung) gewesen sein55. (2) Die älteste bekannte analoge Sprache ist das Hebräi­sche. (3) Vorsichtige Synthese: Die Ursprache muß dem Hebräischen nahegestanden haben (Enc 9:258s .)56. - Damit gelangt die Encyclopidie zu einem ähnlichen Ergebnis, wie Dantes mythologische Darstellung des Sprachursprungs (3 .2) .

Diese Argumentation zeigt in geballter Form, wie sehr die Encyclopidie um die eine große Synthese der verschiedensten Ansätze bemüht ist. Religiöse Mythen werden mehr oder weniger nahtlos an sprachphilosophisch-grammatische Überlegungen gebunden. Letztere tragen sowohl dem sensualistischen Ansatz (Sprache als Abdruck, Erinnerung, wandelbarer usage) Rechnung wie auch dem rationalistischen Ansatz (universelle, logi-

50 Cf. HERD ER 1 772: 1 50ss. 51 Hier differenziert Beauzee zwischen ideeller Sprachenentwicklung auf grund eines unter­

schiedlichen genie du peuple und unterschiedlicher Entwicklung des Ausdrucks durch äußere Ein­flüsse wie Klima etc. auf die organes de la parole (Enc 9:259-62) - hier kommt Rousseau implizit doch zum Zuge.

52 Die usa ge-Debatte reicht mindestens bis Meigrets Traiti zurück, und zeigt sich u.a. in Vau­gelas' Remarques sur la langue franfaise und der GGR (cf. WUNDERLI 1 987, PERCIVAL 1 976b), be­vor der Begriff in der Sprachkonzeption der Encyclopedie wiederum eine zentrale Rolle erhält.

53 Zu Rationalismus os. Sensualismus in der Sprachbetrachtung der Aufklärung cf. AUROUX 1 979:55-59; MONTREAL-WrCKERT 1 977:44, 95ss . ; DELIGNE 1 999; HOrNKES 1 999; RICKEN 1 976.

54 In der Erstausgabe der Encyclopedie wird das Sanskrit lediglich als «sehr alte» und «heilige Sprache» beschrieben (Enc 1 4:627, s. SANSCRIT - 1 765) . In der Encyclopedie methodique widmet Beauzee dem Sanskrit bereits weitaus mehr Aufmerksamkeit (EncMeth 3:355-59, s. SAMSKRET -1 786) . Ihr stark flektierender Charakter ist nun bereits erkannt, Beauzee glaubt aber, daß es sich um eine Endige Kunstsprache handle, die er, wäre sie nicht religiös besetzt, als universale Wis­senschaftssprache vorschlagen würde (EncMeth 3:356-59) . - Im gleichen Jahr erscheint William J ones' vergleichende Untersuchung zur genealogischen Bedeutung des Sanskrit.

55 Enc 9:259. Cf. auch unten zur Satzstellung (construction) in der Encyclopedie. 56 Cr. ebenso Vrco , Scienza nuooa:rrr/23 (p. 1 74) , rrr/5 (p. 1 5 1) .

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sche Ordnung des Denkens, das sich in der Sprache mehr oder weniger deutlich wider­spiegelt) .

Von dieser Warte aus ergibt sich für Beauzee ein Sprachenstammbaum, der als Krite­rium der genealogischen Entwicklung nicht «Wortähnlichkeiten»57 (wie bei späteren Ge­nealogien) ansetzt, sondern eine prinzipielle Ähnlichkeit des Satzbaues58. Dies hat den Effekt, daß der Stammbaum überhaupt nicht genealogisch im Sinne einer historischen Entwicklung ist, sondern vielmehr klassifIkatorisch. Die KlassifIkation schlägt sich in den «genealogischem> Verzweigungs kriterien 'Grad der Analytizität der Wortstellung' (--+ analogue vs. transpositive) und 'Grad der Freiheit der Wortstellung' (--+ lihre vs. uniforme) nieder. Die letzten Zweige des Baumes (langue analogue, lihre, uniforme) korrespondieren dabei mit der Einteilung der eonstruetion (cf. unten) in eonstruetion simple (logische Funkti­on) , eonstruetion figuree (rhetorische Funktion) und eonstruetion usuelle (<<grammatisch­konventionelle» Funktion) . Wir geben die textuelle Arboreszenz graphisch wieder (Enc 9:258s.) :

ordre analytique (prototype invariable)

t langue primitive

(premiere langue analogue a I' ordre analytique; probablement pres de l'hebraique)

------------langues analogues & lumineuses (succession des mots soumise a l'ordre analytique; p.ex.: hebra­ique; fran<;ais, italien, espagnol60)

langues transpositives59 (terminaisons relatives a l'ordre analytique)

� libres

(construction depend de celui qui pade; p .ex. latin, grec)

uniformes (construction reglee par l'usage; p.ex. allemand)

Auch an originär graphischen Arboreszenzen mangelt es in der Encyclopedie nicht. Ein prächtiges Exemplar fIndet sich in Beauzees Artikel grammaire. Der «grammatische Bauffi» (Abbildung folgende Seite, Ene 7:846; cf. auch den Kommentar von SWIGGERS 1 984b) zeigt eine klar arboreszierende Gliederung der Sprach betrachtung, die einerseits noch der Logik verpflichtet ist (cf. den Bereich der syntaxe) , andererseits einzelsprachlich

57 Die Etymologie wird von den Enzyklopädisten einzelsprachlich verstanden (Ene 9:263, s . LANGUE; Ene 6 :98-1 1 1 , s . ETYMOLOGIE), nicht sprachvergleichend und genealogisch wie bei BROSSES 1 765 , Leibniz oder später den Komparatisten (cf. SWIGGERS 1 996:370, 1 986:21 -25) .

58 Beauzee beruft sich hierfür auf die Sprach typologie von Girards Vrais plincipes de la langue franfoise (1 747) . Cf. auch MONTREAL-WICKERT 1 977:54-58, AUROUX 1 973:48.

59 Da hier keine analytische Wortstellung gilt, ist die Verbindung zur langue primitive «brüchig» . 60 Es wird also noch kein Zusammenhang zwischen dem Latein und den «romanischem)

Sprachen gesehen (Ene 9:262s.) .

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1 52

und usa ge-orientiert ist (dies zeigt sich z.B. in der Gleichrangigkeit von construction analyti­que und construction usuelle und natürlich durch die Einbeziehung der Orthographie) ; die hinsichtlich der Methode Universalismus (Logik) mit Deskriptivität (valeurs des mots) und Präskriptivität (z .B. choix des lettres und ponctuation) verbindet; und die im Grunde schon alle Bereiche der klassischen linguistischen Grundeinteilung berücksichtigt (phonologie: materid des mots; Semantik: valeurs des mots; Morphologie: etymologie des mots; Syntax) .

S Y S T E M E FlG llR E D E S PA R TI E S D E L A G R AMMAIR E.

M A T t R I c I D I: S 5 EI"men •• {' Sons & articuluions. Syllabe ••

M o n . 2 Prorodie. S A ccenc. 1 Quantit<.

Y A � E U R D E S M O T S .

{ Sens fondo- 5 Propre. mtr.tJl. 1 Flig�lrr;; • • • •

Sens fp':ci6- { Noms. que. Pronom ••

("c. Sens acci� { �enres.

demei. N ombrcs. (",. 1 D�rjvation,

iFormation. ETYMOtOGI B DH Compofition. MOTS. A ' I I . rt dy mo o· 5 nvent lon.

gique. , Critique.

� FiprtJ Je tliflion.

Tropft. } Synonymi,. } Dc,tinaifons .. C()Itjugaifons.

5 Mots primitifS. 1 Mo!! Mrives. S Mors fimples. 1 Mots compoles. � � { Sujet. Paui .. �� la Parties lagiques. Attribut.

111" T T I: R'E "11 LA propOiluon. Copule . .r R 0 l'OS ITI O N . Parties grammaticales. i Simples &: camporees.

Erroces. de Incomplcxes & complexe" propo!lcion. Princlpale� & incidentes.

("C. F 0 R NI I! D I: L A R<gime.

iconCOl'dance. P R o r o s l T ION. {An.lyt;QUe.

ConOrufrion. UCudle.

CAR ACTE R B S Üi.'{ Voy :lles. 1'r'!.� � T A I R E S ()U

LET f l\ E S. Confor.nes. } Alpha.". � Ced ill e .

�d.ex?rOf1ion. TApollcophe.

lrc[. , Di�rc(e.

C A R A C T E 1\ F. S Accem aign. PHOSODIQUES. d';l.::cer.t. { AccCnt grave.

A ccent circonflexe. { LOngUe. de qllin:ite. Rr�ve. ei \

Douteu(e.

;: CHOIX nli:S t.ET� f r eUres capicales ou Cl)ur:1ntt's .. 5 r R ES , rc.Luivtment C:\r:!<l'cres rOllla :ns ou I ta1 lquc:s. Q a Ja phrale. 1. Leltrcs repnElemauves des acnJt m des mors.

U P.',,, ,,,,,,

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Allerdings geht dieser Einteilung zunächst die Unterscheidung von grammaire generale und grammaire particuliere voraus - Letztere ist mit dem Systeme figure des parties de la gram­maire gemeint. Die Dichotomisierung zwischen den «Arten der Grammatik» erfolgt da­bei über elle parallele Variation des Grundthemas 'Universalität' vs. 'Einzelsprachlichkeit' (mit ihrem konventionell-arbiträren Charakter) nach den verschie­denen Gesichtspunkten verite, olv"et, etc. (textuelle Darstellung, Enc 7:841 s . ; ebenso BEAUZEE 1 767:xs.) . Sie läßt sich in Form einer Matrix wiedergeben:

grammaire generale grammaire particu/iere

SClence art

verite universelle hypothetique, dependante des conventions libres

objet principes immuables de la pensee principes variables d'une langue particuliere [convention, usage]

methode speculation raisonnee application pratique des instiru-tions arbitraires d'une langue par-ticuliere aux principes generaux de la parole prononcee ou ecrite

[ontogeneti- anterieure it l'existence des langues posterieure a l'existence des langues scher Status]

Ebenso wie bei den Überlegungen zur Einteilung des Wissens treffen wir hier abermals auf den Wunsch, verschiedene Perspektiven (Sprache als logisch bzw. konventionell determiniert) gleichberechtigt zu Wort kommen zu lassen. Ergebnis ist eine Verflech­tung verschiedener Darstellungsvarianten. Trotz der stattlichen Zahl graphischer Arbo­reszenzen in der Encyclopedie sollte man deshalb vorsichtig sein, eine Dominanz des ar­boreszierenden Prinzips zu behaupten. Vielmehr scheinen Raster und Arboreszenz in vielen Fällen verwoben. Ein weiteres komplexes Beispiel für das Verfahren der perspektivischen Verschränkung von Einteilungen bieten die Artikel zum Satzbau: du Marsais' Artikel zur construction (Enc 4:73-92) und die «Fortsetzung» im Artikel proposition (Enc 1 3 :471 -84. Für diesen Artikel fehlt ein Autorenkürzel; da er in den Bereich der Logik fallt, dürfte er von d'Alembert stammen) . Du Marsais' Differenzierung des Begriffes consfrttction beginnt ähnlich wie das systeme figure des connoissances humaines und das systeme figure des parties de la grammaire mit einer Parallelisierung. Diese wird zwar nicht explizit formuliert, der Dreiteilung der con­struction in simple -figuree - usuelle ist jedoch sichtlich analog zum Trivium der Scholastik (Logik - Rhetorik - Grammatik) . Von dieser Dreiteilung aus wird textuell wiederum eine Arboreszenz entwickelt, die sich folgendermaßen visualisieren läßt (die Seitenanga­ben beziehen sich auf Enc 4, soweit nichts anders angegeben) :

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« <naturelle» , weil die mots de I'enonciation in 1 : 1 -Relation der logischen Abfolge des

simple pensee folgen; <<necessaire» , weil das Ver- proposition ständnis der eonstruetion jiguree und usuelle (vol. 4:85 und die eonslr. simple als Basis voraussetzt; 73, vol. 1 3 :471 -84) 75s.)

ellipse (76-78) (keine 1 : 1 -Relation zwischen mots und pleonasme (78) pensee, sondern ab-

eonstruetiol1 figuree weichend auf ver- syllepse (78) schiedene Weisen; 73, 76-80)61

hyperbate (78s .)

imitation (79)

attraction (79s .)

usuelle (usage des livres, des lettres et des honneres gens, construction ni toute simple, ni toute figuree; 73, 80)

Zur eonstruetion usuelle folgt keine weitere Unterscheidung. Dagegen wird die eonstruetion simple mit der proposition gleichgesetzt, und von diesem Punkt aus erfolgt eine weitere Differenzierung nach verschiedenen Perspektiven. Die Komplexität der Perspektiven­mischung zeigt sich beim Blick auf Du Marsais' Graphik, die gegenläufige Arboreszen­zen (von links und von rechts) miteinander kombiniert:

T..l BLE des divtrl noms tjUt " on donm au.l: propcjiJions , aur [ujets ) f/ 4I/.X atlrihUls. te mode indic,ltif. 1. M u lup�e , IOI(qu'on a pptique le me-

Elle muque un jugcmcnt. Lc:s pr"po(ic io.os Lt fuj" ... me UUlbut ä dltftrcns md'vaeJus. &. fes cnunClI- J' Cumplcxe.

� P R O P O S I T I O N DI RECrI: Inoncle pu ! � I. Simple "nt .u pluriel qu'.u fingulier.

tions [ont com- 1', 0:.1 "f- Enoncc par pluficurs mors qu i rar .. D 1iji'on { PROPOS IT ION ORLlQtfE cxprimte pofccs d'un fu- mcnc uo [cn$ tottl , & qui fonc �qui .. H'l l . pu qudqu'lutre mode du verbe. J!:f &. d'un ami- VdCDS t UD nom.

Eli� muque non un jugem�nt . mJis qud· but. L'attribUI� S,'mple , quc confi#ruion puticuliere de " cl· prit . On hppelle iMnci4Jio/J rß, ou Comport . c'efi.i· di,e ) enonee par plu-

lic.urs mOts. � P A O P O S J T J O � A D S O L U I Oll COM.­

r L IT T E ) /I. Di"ijion. PRO P O S I T I O N RELAT I v .E DU P A R .. } L'�nrembl� d�s propoficions {LItPt'tiO'� } De mcrabres feulem�Dt. T I ELLE. condlciv('s. ou plrtieJJes tfl compo- D'incirctl feulement. On 1('$ �ppel1c luffi corrdll,i,'CI" forme 11 pcuodc. fit . ou De membrcs � d'ioci[ts. 1/1, 5 Propolicion txpliclIive. V. { Prcpol'ition cxplicire. Divrfion. 1 Propolicion d�terminujve. Divifion. Propo(jrion impl icite ou dlipdqut. /P. { Propolicion principille. P1. { Propo(jrion con(jd�rte gummiltlcllemcnr. Dj.,ijioil. PropoficioQ meidentc. Dh'ijiuiI. Propofition confidtrce Iogiquement.

(Ene 4:85)

Während bei den Matrixordnungen (wie im System der eonnoissanees, bei der Unterschei­dung von grammaire generale und particuliere oder grammatischen Tafeln62) zwei Kriterien

6 1 Cf. auch Du Marsais' Artikel zu jigure, terme de rhetotique (Elle 6:766-72) .

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im rechten Winkel korreliert werden und sich so kleine übersichtliche Schnittmengen ergeben, produziert die visuelle Gegenläufigkeit der Verzweigungen (respektive der Klammern) im oberen Teil (division I und I1) keinen unmittelbaren Aha-Effekt. Es er­weist sich als schwierig, ja verwirrend, die Einteilung nachzuvollziehen. Nimmt man den Kommentar zur Graphik zuhilfe, so erkennt man, daß der verwirrende Eindruck daraus entsteht, daß die Graphik eine hierarchische Arboreszenz von sechs Einteilungen und zwei gegenläufigen Einteilungen versucht, wo es sich inhaltlich eigentlich um sieben verschiedene Grundeinteilungen handelt. Die Verzweigung in der rechten Hälfte der division II ist nämlich - entgegen dem visuellen Eindruck - inhaltlich gar nicht gegenläu­fig, es handelt sich lediglich um eine weitere Unterteilung der propositions relatives ou partiel­les in (a) propositions de membres seulement, (b) d'incises seulement und (c) de membres et d'incises. Umgekehrt scheint es sich bei der Unterteilung von sujet und attribut in division I um eine eigenständige Grundeinteilung zu handeln, da sie sich nicht nur auf proposition directe und oblique, sondern ebenso auf die proposition absolue (division I1) oder die proposition principale (division IV) anwenden läßt.

Problematisch ist die Graphik auch deshalb, weil es sich bei den einzelnen divisions­nicht nicht um strikte « entweder-odem-Alternativen handelt. Du Marsais scheint dies auch selbst gesehen zu haben, wenn er in einem Nebensatz anmerkt: <<Les divers noms que l'on donne aux differentes propositions, & souvent a la meme, so nt tires des divers points de vue sous lesquels on les considere . . . » (Enc 4:85) . Es handelt sich also entge­gen dem visuellen Eindruck um Unterscheidungen, die untereinander mehr oder weni­ger umfassende Korrelationen eingehen können. Beispiele: (1) Wie bereits genannt, kann die st�iet:attribut-Dichotomie gleichermaßen als Merkmal von pro positions directes, obli­ques, absolues und principales gesehen werden. (2) Teile der Dichotomie proposition abso­lue:relative können mit Teilen der Dichotomie proposition explicative:determinative korrelieren, z .B. kann ein Relativsatz determinativ/restriktiv oder explikativ / appositiv sein". (3) Die Dichotomie der division VI, proposition consideree grammaticalement: . . . logiquement, findet sich wieder in der vierten Art des sujet (division I; bzw. division 7 nach unserer Einteilung un­ten) : «enonce par plusieurs mots [consideration grammaticale] qui forment un sens total, & qui sont equivalens a un nom [consideration logique]». (4) «Ces proposition incidentes sont aussi des propositions explicatives, ou des propositions determinatives .» (Enc 4:1 89) . Usw.

Demnach handelte es sich bei den getroffenen Unterscheidungen also weder um eine arboreszente noch um eine rasterhafte Ordnung, sondern um die «sieben Koordinaten einer Matrix», also eine komplexe stellare Form (cf. Enc 4:8 1 -85)64:

62 Solche Graphiken finden sich z.B. zahlreich in Beauzees Artikeln zu temps, grammaire (Enc 1 6 :96-1 1 7) oder zu pronom (Enc 1 3:449-56, dort p. 451 ) . - Wenig später nutzt DESTUTI OE TRACYS Grammaire (1 803) solche Konjugationstafeln für den Sprachvergleich (p. 208, 236, 21 1 ) .

6 3 So heißt es zu z.B. den propositions relatives/partielles: <<lI y a donc des propositions . . . qw ne servent qu'a expliquer ou a determiner un mot d'une proposition precedente . . . » (Enc 4:83).

64 Die Benennungen der einzelnen Unterscheidungen (in einfachen Ellipsen) stammen nicht von du Marsais, sondern wurden von mir als Orientierungshilfe eingefügt.

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avec ::

l:�

f

afflfvgatif SOU�haitcom

':�::::::tc.

avec I multiple complexe adV:;:Jconj . jugement

conjonction directe oblique Sim�le (indicatif) (auttes plusieurs mots

composee de prop. VOdeS) forment 1 sens absolue partielles/ relatives

20

principale ------7,

incidente

simple

� attribut � compose

----r- 10

explicite implicite/

elliptique

logiquement camme entendement

grammaticale­ment comme elocution

Erläuterungen zu einzelnen Elementen der Graphik nach dem Text von Du Marsais, so­weit sie nicht in den Graphiken angeführt sind (unter Beibehaltung der Numerierung aus der Originalgraphik, bis auf n° 7)65 : 1 ° Mode: Die Proposition drückt entweder ein jugement über eine Sache aus (bejahend oder

verneinend) oder eine conslderation de i'espn"t qui re garde un objet comme tel, ohne daß eine decision über den etat positif de i'objet getroffen wird (p. 81) - eine Unterscheidung aus der logischen Grammatik.

2° Dependance: Die proposition absolue ist eine abgeschlossene Sinneinheit. Die proposition rela­tive oder partielle setzt eine weitere Proposition zum Abschluß der Sinneinheit voraus. Dabei wird unter prop. relative nicht ein Relativsatz verstanden; die prop. relative ist der Teilsatz unter seinem korrelierenden Aspekt, die prop. partielle ist der Teilsatz unter sei­nem Teil-Aspekt. Zwei oder mehr prop. partielles/ relatives bilden eine proposition composee. Wieviele Propositionen vorliegen, hängt von der Zahl der Verben ab (p. 82) . Prop. com­postes können konjunktiv (Konjunktion [disjunktiv, konditional, kausal, adversativ] oder konjunktives Adverb) oder relativ sein (p. 85) . Die Unterscheidung folgt dem­nach semantischen (<<abgeschlossene Sinneinheit» ) und syntaktischen Kriterien (V or­handensein eines Verbs) .

3° Modification de la signification: (<La proposition explicative ne sert qu'it expliquer un mot . . . sans aucune restrictioill>, die prop. determinative spezifiziert die Bedeutung (p. 83) -diese Differenzierung ist also rein semantisch.

4° Rapport grammatical lineaire: Hier wird Haupt- und Nebensatz nicht nach der Abhängig­keit unterschieden wie bei 2°, sondern anhand der logischen linearen Abfolge «Subjekt - Attribut» und deren Durchbrechung: (<La proposition incidente est celle qui se trouve entre le sujet personnel & l'attribut d'une autre proposition qu'on appelle propo­sition principale . . . » (p. 83s .) .

65 Cf. auch den Kommentar von DELESALLE/ CHEVALIER 1986:93ss .

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S° Presence des parties: Die Unterscheidung fußt auf der universallogischen Annahme bes­timmter Einheiten, die für eine Proposition vorliegen müssen: « . . . il faut toujours re­duire toutes les phrases et toutes les propositions a la construction pleinlJ» . (p. 84) . Ebenso wie bei der Unterscheidung von construction simple -figuree - usuelle, wo es heißt <cil faut tout rameneer a la consttuction simple» (p. 80s.), ist auch hier das logische Prinzip Maßstab für Abweichungen. Eine prop. elliptique stellt gewissermaßen eine Umkehrung zum Fall des stljet enonci en plusieurs mots (cf. 7°, d) dar, wo eine logisch-grammatische Position von mehreren Wörtern gefüllt wird.

6° Proposition conszJeree grammaticalement ou logiquement: Die grammatikalische Betrachtung blickt auf die Wörter und ihre wechselseitigen Beziehungen (z .B. « Satzgegenstancb> =

nominatif du verbe) , die logische Betrachtung auf den Gesamtgedanken und seine Aspek­te (z .B. « Satzgegenstancb> = suje� (p. 84s.) . Diese Unterscheidung nennt die Betrach­tungspole, die in j eder der anderen Perspektiven graduell verschieden vertreten sind (cf. AUROUX 1 979 :1 67s.) . Sie ist so allgemeiner Natur, daß sie schwer in einem Über­begriff formulierbar ist, wie dies für 1 °_6° und 7° möglich war.

7° Parties: (a) sujet simple: dem Subjekt entspricht ein mot, Nomen oder InfInitiv (Le soleil est leve.); (b) sujet mult iple: Reihung von gleichrangigen mots (La foi, I'esperance & la chante sont frais vertus.) ; (c) sujet complexe: beinhaltet ein Adjektiv oder eine Apposition 0lexandre,

fils de Philippe, . . . ) ; (d) sujet en plusieurs mots qui forment un sens total: p.ex. lat. imperante Cae­sare Augusto 'dans le temps qu'Auguste etait empereur' statt fr. sous le regne d'Atlgtiste, d.h. <<lexikalische Lückeru> werden paraphrasiert (p. 82) .

Die stellare Form zeigt quasi in Reinkultur das enzyklopädische Anliegen, wie es im Vorwort formuliert wurde: die Perspektivenhaftigkeit der Unterscheidungen, die an ein Objekt anknüpfen. Dabei können Zweige verschiedener Unterscheidungen parallel ver­laufen oder sich überschneiden - wie es für das enzyklopädische Labyrinth typisch ist.

Der vergleichsweise breite Raum, den wir hier der Encyclopidie eingeräumt haben, rechtfertigt sich durch den Variantenreichtum, der hier hinsichtlich des Metaphernfeldes Baum (arbre encyclopidique) , insbesondere aber im Bereich des visuellen Feldes Baum gebo­ten wird: von der Arboreszenz über das Raster bis hin zu stellaren Konstellationen und Labyrinthen bzw. mappemondes. Die Formenvielfalt in den Wissensanordnungen sowie die Erhöhung der Formenkomplexität ergibt sich als natürliche Folge aus dem Selbst­verständnis der Encyclopidie, die ihre Aufgabe in der AuWicherung eines vielfach verwo­benen und unübersichtlich gewordenen Wissens sieht. So knüpft sie einerseits an die Tradition der Arboreeszenz an (wenn auch nicht in der streng dichotomisierenden Form, wie wir sie in der scholastisch-logische Tradition finden) , andererseits an die flä­chig analogisierenden Tableaux des dge classique. Zugleich erfordert aber die <<neue Un­übersichtlichkeit» die Entwicklung von Mischformen, seien sie einfacherer Natur (z.B. wenn eine kleine Arboreszenz die Koordinaten einer Matrix liefert) oder komplexer Natur wie die genannte stellaren Darstellungsform - dort wird je eine Dichotomisierung (eine «Minimal-Arboreszenz») zur Achse eines multiaxialen Systems, das einerseits den Zentrumsgedanken der Arboreszenz, andererseits den Analogisierungsgedanken des Rasters beibehält. So kann man also wörtlich nehmen, was AUROUX 1 979 :314 schreibt: «C' est le jeu des principes differents qui determine les differentes figures de l'encyclopedie ... ».

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3.14 «Schnitt!»

Unsere Ausführlichkeit zur Encyclopedie war auch strategisch begründet. Sie dient uns als Schlußpunkt einer Retrospektive über fünf Jahrhunderte, mit Bildern aus Mythologie, Philosophie, Geschichte, Sprachbetrachtung, Biologie. Dieser Schnitt ist natürlich eben­so willkürlich gesetzt wie alle chronologischen und inhaltlichen Schnitte in diesem Kapi­tel. Die Technik des Filmschnittes, die uns eine willkürliche Zusammenstellung von Bildsequenzen aus der Kontinuität der Bilder ermöglichte, war angesichts der nötigen zeitlichen und materialmäßigen Raffung unumgänglich. Als Zeichen unseres trotz dieser brutalen Methode durchaus vorhandenen Willens zu einer zusammenhängenden Diffe­renzierung bot es sich an, der Encyclopedie mehr " Film» zuzugestehen. Erstens als Über­leitung zu den folgenden, sich auf die sprachwissenschaftlichen Bäume konzentrieren­den Kapitel. Zweitens, weil die Verwendung des Baummotives in der Encyclopedie exem­plarisch zeigt, wie eng die auf den ersten Blick so verschieden erscheinenden visuellen Muster miteinander verwoben sind, sowohl, was ihre Anwendung als auch was ihre Bild-/Ordnungsprinzipien angeht. (Auf das stellare Muster werden wir aber allenfalls marginal nochmals zu sprechen kommen.)

Wie eng Arboreszenz und Raster darstellungsgeschichtlich zusammenhängen, dürf­ten die Abschnitte dieses Kapitels gezeigt haben. Über bestimmte Phasen läßt sich durchaus eine Dominanz des einen oder anderen Musters feststellen - auch wenn ich in diesem chronologisch und disziplinär weidäufigen Zusammenhang nicht unbedingt wa­gen würde, von "Paradigmen» zu sprechen. So scheint z.B. die Arboreszenz in Philoso­phie und Wissenschaft vom Hochmittelalter bis in das 17. Jahrundert als Leitmotiv zu fungieren, dessen Anfange zeitgleich mit Umwälzungen im Bereich der bildenden Kunst liegen, und dessen Ende mit der zunehmenden Konzentration auf die Erforschung ,<ir­discher Dinge» eingeleitet wird. Durch diese gelangt die Rasterstruktur in den Vorder­grund (abermals parallel zur Formensprache der bildenden Kunst in Renaissance und Barock) : Die Vielzahl der zu Tage tretenden neuen Erkenntnisse (physik, Medizin, neue Sprachen, . . . ) ist nicht mehr in einer mehr oder minder streng dichotomisierenden Ta­xonomie verstehbar und darstellbar, sondern erfordert eine "Sortierung» mit weniger Fixpunkten. Während die Zahl der Fixpunkte in einer Arboreszenz (i.e . die Verzwei­gungspunkte, die zwischen einem hierarchisch niedrigen Punkt und der ersten Verzwei­gung liegen) bei komplexen Strukturen relativ hoch sein kann, erfordert das Raster für j edes Element nur zwei Fixpunkte (Koordinaten) . Zudem ermöglicht es die provisori­sche Einbeziehung von ,<isoliertem> Elementen, deren Zusammenhang mit dem bisheri­gen System noch nicht erkennbar ist, indem man für sie einen eigenen Fixpunkt im Ko­ordinatensystem eröffnet (cf. 3 . 1 3 zu D'Alembert) .

Nach der Epoche der Aufklärung, wie sie sich beispielhaft im enzyklopädischen Un­ternehmen manifestiert, zeichnet sich, wie wir in den folgenden Sprachwissenschaft­spezifischen Kapiteln sehen werden, ein erneuter Dominanzwechsel zur Arboreszenz ab. Dabei erfahrt die Verzweigungs struktur freilich eine Umdeutung: Nicht mehr lo­gisch geführte Unterteilungen wie in Scholastik und Renaissance drückt die Arboreszenz aus, sondern die Entstehung (der Sprache) aus einem Ursprung. Diese Wende erfahrt Vorschub zunächst von den Entdeckungen und der Kolonalisierungspolitik des ausge­henden 1 8 . und des 1 9 . Jahrhunderts, sowie dann verstärkt und in ganz anderer Weise

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durch die Entdeckung der Artenevolution in der Biologie. Um die Wende zum 20. Jahr­hundert bahnt sich der nächste Dominanzwechsel zum Raster seinen Weg. In etwa zeit­gleich mit der «abstrakten RevolutioID> in der Kunst, beginnt man Sprache wieder in Systemen mit zwei Fixpunkten zu betrachten - als synchrones System (5 .3), nicht mehr als arboreszierendes Abstammungssystem. «Bald darauf» - die Intervalle verkürzen sich von Jahrhunderten zu Dekaden - werden wiederum arboreszierende Dependenzsyste­me für die synchrone Sprachbeschreibung entwickelt (Kap. 6) . . . Das zeigt: Auch nach dem 1 8 . Jahrhundert ist jede Wiederkehr der Bildvarianten des «Baumes» (Arboreszenz oder Raster) mit einer Reinterpretation verbunden.

Trotz der wechselnden Dominanz der Varianten bleiben die Übergänge gleichwohl chronologisch oft fließend, inhaltlich erweisen sie sich oft als komplementär. So läßt sich beispielsweise Foucaults zugespitzte These, das dge c!assique sei das Zeitalter der Ta­bleaux, zwar grundsätzlich bestätigen. Im Einzelfall lassen sich jedoch durchaus Brüche feststellen, wie z .B. Vermischungen von Rastern mit arboreszenten Strukturen usw., die ebenso wie die vielmalige wechselseitige Ablösung der beiden Bilder als Beleg für ihre Interdependenz und Zusammengehörigkeit gelten müssen.

In den folgenden Kapiteln werden wir diese Ablösungsprozesse für den Bereich der Sprachwissenschaft unter die Lupe nehmen. Deshalb: «Schnitt, I<J.appe und Zoom!»

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Arboreszenzen im Zeichen von «Entwicklung» und «Vergleich»

Nach viel Theorie (Kap. 1 und 2) und ein wenig Anschauungsmaterial (Kap. 3) wenden wir uns nun der Untersuchung des Baummotives und dessen Wandel in der «moderne!») Sprachwissenschaft zu. Darauf, wie willkürlich dieser Schnitt in die Historie der Sprach­betrachtung gesetzt ist, haben wir bereits hingewiesen. Diesen Schnitt « Beginn der <mo­dernem Sprachwissenschafb> zu benennen, mag nicht minder willkürlich sein. Wenn man bedenkt, daß die Grundidee der generativen Transformationsgrammatik schon bei Port-Royal zu finden ist, daß Wallis und Lodwick bereits im 17 . Jahrhundert phonologi­sche Prinzipien formulieren usw., so verfließt die Grenze zwischen moderner Sprach­wissenschaft und «prämoderneD> Sprach betrachtung rasch. So problematisch die histori­sche Grenzziehung im Kontinuum der rekurrenten Inhalte, Darstellungsweisen und Reinterpretationen auch sein mag, so herrscht doch breiter Konsens darüber, daß der Begriff <<Moderne der Sprachbetrachtung» wenigstens methodengeschichtlich rechtfer­tigbar ist: Mit dem 19 . Jahrhundert und der aufkeimenden vergleichenden Methode be­ginnt die Sprachbetrachtung in der Tat sich allmählich von logischen, idealistischen oder anderweitigen Objektvorgaben zu lösen und sich damit von der Philosophie zu emanzi­pieren. Diesem unterstellten Konsens' schließt sich unsere «Schnittführung» aus prakti­schen Gründen an, auch wenn wir im Folgenden sehen werden, wie durchbrochen die Emanzipation und die «Modernisierung» der Sprachwissenschaft im Einzelnen ist.

4.1 Idealistischer vs. naturwissenschafdicher Vergleich: Humboldt vs. Schlegel und Bopp

Die Entwicklung der Sprachwissenschaft (ebenso wie der Naturwissenschaft) im 1 9 . Jahrhundert wird beflügelt von der Vielzahl der Entdeckungsreisen und den zweifelhaf­ten Früchten eines blühenden Kolonialismus und Missionarismus. Mit der Entdeckung fremder Länder geht die Entdeckung fremder Kulturen und Sprachen einher, die sich mit den traditionellen Maßstäben westlicher Wissenschaft nicht ohne weiteres vermes­sen lassen. Einerseits wird angesichts des Alters z.B. der aztekischen Sprachen der feste Glaube erschüttert, daß die Ursprache (wenn es sie gegegeben haben sollte) notwendig dem Hebräischen, Lateinischen oder Griechischen nahegestanden haben muß. Anderer­seits verleiht die vermeintliche «Primitivitäb> fremder Kulturen der Frage nach der Ent­stehung der Sprache, die von der Encyclopidie bereits mehr oder weniger ad acta gelegt worden war (3 . 1 3) , wieder Aufwind. Man spekuliert, ob über den «primitivem> Stand mancher Sprachen, wie z.B. der nordamerikanischen Indianersprachen, Rückschlüsse auf die Entstehung der Sprachen gezogen werden könnten, und ob die <<reine Gedan-

1 Cf. z.B. ROBINS 1 997: 1 90, AMSTERDAMSKA 1 987:35 u.a . . Dagegen sehen z.B. SWJG­GERS/DESMET 1 996 in der Komparatistik keinen paradigmatischen Bruch.

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kenwelD> des Sanskrit (SCHLEGEL 1 808 :62ss .) Rückschlüsse auf die Strukturierung einer Ursprache zulasse.

Neben der Frage, wohin die Forschung angesichts der zahlreichen Entdeckungen ge­hen soll, stellt sich rasch die Frage: Wie soll das Neue erforscht und begriffen werden? In dieser Lage greift die Wissenschaft auf ein geradezu verblüffend einfaches Mittel zu­rück: den Vergleich. Das Bekannte wird neben das Unbekannte gestellt, um mittels der Struktur des Bekannten auf die Strukturierung des Unbekannten schließen zu können. Daß damit (im Vergleich z.B. zur logischen Grammatik) ein hohes Maß an Induktio­nismus einhergeht, versteht sich. Dies erscheint jedoch im 1 9 . Jahrhundert nicht als Problem, da durch die Wegbereitung des Baconschen Induktionismus ebenso wie des romantischen Idealismus und dessen Wirklichkeitsbegriff (<<die Wirklichkeit ist ideeller NatuD» 2 der induktive Zugriff auf die Welt nicht den Makel der Illegitimität trägt.

4.1.1 Humboldt: «Sprachmischung» und «Sprachstufem>

Als Personifizierung dieses «Entdeckungszeitalters» und der Beförderung der verglei­chenden Methode in Natur- und Sprachwissenschaft kann das Brüderpaar Humboldt gelten. Während Alexander von Humboldts zahlreiche Forschungsreisen in verglei­chende Beschreibungen verschiedener Naturerscheinungen münden, formuliert sein Bruder Wilhelm, nachdem er sich von der politischen Bühne zurückgezogen hat, Grundsätze für eine «vergleichende Sprachwissenschaft».

Daß Humboldt dennoch heute eher in einem Atemzug mit Chomsky genannt wird, hingegen als Begründer der vergleichenden Sprachwissenschaft (gerade weil darunter gemeinhin die historische vergleichende Sprachwissenschaft verstanden wird) Rask, Grimm und Bopp genannt werden, ist nicht ohne Grund. Zwar betont Humboldt wie die Komparatisten, daß die vergleichende Sprachkunde sich mehr mit der «Sprache an sich» beschäftigen müsse. Das Verständnis der «Sprache an sicID> erweist sich aber doch als grundlegend verschieden, und in der Konsequenz auch die der vergleichenden Me­thode zugewiesene Tragweite.

Humboldt bestimmt als Zweige der « allgemeinen Sprachkunde» 3 (1) das Studium der Sprachen « an sicID> und (2) das Studium der Sprachen in ihrem geographisch­historischen Zusammenhang. Untersuchungen über Abstammung und Verwandtschaft der Sprachen gehörten dem letzteren Zweig an, weil sie geographische und kulturhisto­rische Kenntnisse voraussetzten (HUMBOLDT, GAS:367s.) . Das Studium der Sprachen « an sicID> (1) befaßt sich wiederum (a) mit den grammatischen und lexikalischen Ele­menten der Sprache (und zwar sowohl in synchroner als auch in diachroner Hinsicht) -hier kommt die vergleichende Methode zum Einsatz - und (b) mit dem <<Verfahren der Sprache» , d.h. der Anwendung und dem Gebrauch der Elemente, die für die elementare Prozessualität der Sprache (Sprache als energeia) verantwortlich seien (HUMBOLDT, GAS:370s. , VS: l 0s .) .

Bereits hier zeigt sich der Unterschied z u den Komparatisten. Weder versteht Hum­boldt unter dem Studium der Sprachen « an sicID> die Ergründung ihrer Abstammungs-

2 Cf. FORMIGARI 1999:230-53. 3 Zum Konzept allgemeinetl SprachkulIde bei Leibniz und Humboldt cf. z.B. TRABANT 1 990.

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verhältnisse, noch versteht er Sprachen als Sedimente wie die Komparatisten: denn in der Sprache sei « • . • nichts . . . statisch, alles dynamisch. Auch tod te Sprachen machen hierin keine Ausnahme» (HUMBOLDT, GAS:369) . Dementsprechend sieht Humboldt für die vergleichende Methode, wie sie die Naturwissenschaft und auch die junge Kompara­tistik praktizieren (als Vergleich von Elementen/«Sedimenten»), nur den sehr begrenz­ten Anwendungsbereich der «Bestandtheile» bzw. «technischen Mittel» der Sprache (h) . Zwar könne mit solchen Untersuchungen die <<Abfassung einer wahren Geschlechtstafel der Sprachen» (HUMBOLDT, NS:423) erreicht werden (Humboldt hat also durchaus auch eine Genealogie der Sprachen, oder einen «Sprachenstammbaum» im Visier) , über das eigentliche «Wesen der Sprache» sei damit jedoch nichts gewonnen:

Es giebt bis j etzt kein bewährtes Verfahren . . . die Eigenthümlichkeit einer Sprache derge­stalt zu schildern, dass daraus ihr Verhältnis zu andren, und ihre Stelle im Gebiete der Sprachen überhaupt auf eine ähnliche Weise hervorgienge, als eine Pflanzengattung durch die botanische Bestimmung ihrer Charaktere ihre feste Stellung in dem Systeme erhält. Man ist zwar wohl auf den Einfall gerathen, die Sprachen nach der Aehnlichkeit und Un­ähnlichkeit ihrer grammatischen Formen . . . zu classificiren. Zusammenstellungen solcher Art können mancherlei untergeordneten Nutzen gewähren, aber schon geringes Nach­denken zeigt, dass sie zu einer über die wesentliche Natur der Sprachen entscheidenden Classification niemals zu führen im Stande sind. Die Dinge, welche man hierbei zum Eintheilungsgrunde annimmt, sind nur technische Mittel der Sprachen, deren Gebrauch oder Mangel wenig über die innere Natur, und fast nichts über ihre Uebereinstimmung oder Nichtübereinstimmung im Ganzen beweist (HUMBOLDT, GAS:368s. ; cE. VS: 1 1)

Worin besteht dann Humboldts idealistische vergleichende Methode, angesichts seiner Skepsis gegenüber dem naturwissenschaftlichen, isolierenden und differenzierenden Vergleich und den daraus resultierenden Stammbäumen? Sein Gegenentwurf läßt sich an der Kritik am Stammbaum-Modell ablesen:

. . . [ der Begriff der Abstammung darEi nie so genommen werden .. . als könnte eine [Spra­che] in ihrer Totalität aus der anderen hervorgehen, sondern nur so, daß sich die angebli­che Muttersprache in dem Munde von Generationen, die sich absonderten und vermisch­ten, in eine Tochtersprache verwandelt hat. Da aber auf diese Weise mehrere Sprachen in eine neue übergehen, so misleitet die Anwendung dieses Begriffes schon darin, dass sie nach der StammSprache suchen lässt . . .

Alle Sprachen von Völkern, zwischen denen jemals irgend eine Verbindung obwaltet hat, müssen daher als Eine, nur durch Entfremdung und Vermischung zu mannigfaltigen Unterarten umgeänderte Sprache gesehen werden . . .

Mit der in dem so eben aufgestellten Grundsatz ausgesprochenen Einheit mehrerer Sprachen ist keineswegs die Einheit einer Ursprache gemeint, sondern die, dass j ede ir­gend ein Element in sich trägt, das auch einer anderen angehört . . . (HUMBOLDT, GAS:390s. ; cf. ÜVS: §8 [po 1 72-79])

Mit der Betonung der Mischung und der sprachübergreifenden Einheit hebelt Humboldt zwar das Abstammungsmodell nicht aus, richtet aber für seine «vergleichende Methode» den Blick klar auf das tertium comparationis, das der Verschiedenheit zugrundeliegt (cf. BORSCHE 1 990: 1 1 0- 12) : Zwar soll mittels des Vergleichs die Verschiedenheit erkannt werden, aber nur als archetypisches «Charakteristisches in der Gleichartigkeib> (HUM­BOLDT, GAS:394) . Humboldt versteht «Gleichartigkeib> nicht etwa als bloße Gleichar-

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tigkeit der menschlichen Sprachanlagen (competence) , sondern als zeitübergreifende Gleichartigkeit der Sprachen, als «geschichtlichen Zusammenhang» (ih. :393) , «inneren Charaktem und «transzendentalen Ursprung» (DI CESARE 1 998:40) . Jener kann freilich weniger durch Vergleich bzw. «kritische Ergründung» erschlossen werden, er muß viel­mehr «geahnt» werden (HUlVlBOLDT, AG:8) . Die Betonung der Einheit in Objekt (Ein­heit der Sprachen) und in der Methode (tertium comparationis im Vergleich)' und eine per­spektivische Reduktion der historischen Komponente (ROBINS 1 990:96) gehen Hand in Hand. So wird letztlich « . . . der Typologisierungsversuch der vergleichenden Sprachwis­senschaft von Humboldt ausdrücklich aufgegeben . . . » zugunsten des « Kraftbegriff[es] , der durch den Nachdruck auf der Untersuchung der inneren Natur der Sprachen und dem wechselseitigen Zeugungszusammenhang von Sprache und Gedanken entschei­dendere Bedeutung hab> (MÜLLER-SIEVERS 1 993: 1 1 1) . Hierin zeigt sich die Differenz zu den Komparatisten; deren Vergleiche auf eine Unterscheidung der Sprachen in ihrer ge­schichtlichen Entwicklung abzielen. Diese Differenz schlägt sich entsprechend in den Modellen zur Sprachentwicklung nieder: Während die Komparatisten zunehmend das Stammbaum-Modell favorisieren, spricht Humboldt (ebenso wie zuvor schon Smith, die Brüder SchlegelS, später Bopp) von den drei Stujen6 der Sprachentwicklung, die zur « Sprachvollendung» führen - isolierende, agglutinierende und flektierende Sprachen:

Die Sprache bezeichnet ursprünglich Gegenstände, und überlässt das Hinzudenken der redeverknüpfenden Formen dem Verstehenden . . .

. . . auf der zweiten Stufe . . . [geschieht] die grammatische Bezeichnung durch feste Wort­stellungen . . .

. . . auf der dritten Stufe [geschieht] die grammatische Bezeichnung durch Analoga von Formen. (HUMBOLDT, EGF:305s. ; cf. VS: 1 7s . , ÜVS:§22 [p.363])

Dabei denkt Humboldt diese drei Stufen weniger als Entwicklungshierarchie, sondern mehr als ahierarchische Typologie'. Dies geht Hand in Hand mit seiner Argumentation, daß die « Ursprache» nicht in der Historie bzw. einer Geneaologie zu suchen sei, sondern

4 Die Einheit des Objektes Sprache findet sich z.B. dort betont, wo Humboldt die Vielzahl der Lautgestalten von Sprache(n) der inneren Sprachform gegenüberstellt, die <<I1othwendig mehr Gleichheit mit sich führö> (HUMBOLDT, ÜVS:§ 1 3 [po 220] ) . Am Humboldtschen Spagat zwi­schen Einheit und Vielheit der Sprachen cf. die Kritik von STEINTHAL 1 850:45, 1 848 : 1 1 2, 1 877: 1 1 3ss . - Zum Begriff der inneren Sprachfornl cf. z.B. DI CESARE 1 998: 85-89, BORSCHE 1 989, SEUREN 1 998: 1 1 8s . , CONTE 1 976:624.

5 SMITH, Considerations (cf. auch COSERIU 1970a) . August Wilhelm Schlegel übernimmt in Ob­servations sur la langue et la litteratttre provenrales (1 8 1 8) die Drei-Stufen-I(]assifikation von seinem Bruder Friedrich (SCHLEGEL 1 8 1 8: 1 4- 1 7) . Ob Humboldt das Stufenmodell von Schlegel über­nommen hat oder ob das Modell allgegenwärtig war, ist strittig (cf. DI CESARE 1 990a: 1 59s .) .

6 Die Parallele z u Hegel ist deutlich: <<Die Natur ist als ein System von Stufen z u betrachten, de­ren eine aus der anderen notwendig hervorgeht und die nächste Wahrheit derjenigen ist, aus welcher sie resultiert, aber nicht so, daß die eine aus der anderen natürlich erzeugt würde, sondern in der innern, den Grund der Natur ausmachenden Idee.» (HEGEL, En?Jklopadie:§249; cf. STEIN­THAL 1 848:455 . , 1 38) .

7 DI CESARE 1 998: 1 2-24. Zur Sprachtypologie nach Humboldt cf. BOSSONG 200 1 .

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vielmehr als der metaphysisch-transzendentale Sprachursprung des Formats «die Spra­che ist immer schon komplett im Menschen angelegD> (cf. DI CESARE 1 990b : 1 20)8 .

Entwicklungsarboreszenzen sind also vor dem Hintergrund der Humboldtschen Konzeption der Sprachentwicklung und seiner spezifischen Konzeption der verglei­chenden Methode nicht zu erwarten. Nur vereinzelt finden sich zeitgemäße Metaphern des Stammes, die jedoch auf grund ihrer Verstreutheit für unsere Zwecke kaum aussage­kräftig sind. Wenn Humboldt also auch geradezu ein Gegenbeispiel für den Leitmotiv­charakter des Baum-Bildes zu sein scheint, so erwähnen wir ihn hier gleichwohl, weil sich an seinen Texten der Bruch zwischen dem idealistisch-psychologisierenden Para­digma (wie es sich in der (Nölkerpsychologie» Steinthals und Wundts fortsetzt') und dem naturwissenschaftlichen Paradigma der Sprachwissenschaft ablesen läßt. Hum­boldts «vergleichendes Sprachstudiuffi» sollte nicht ohne weiteres mit der (<vergleichen­den Sprachwissenschafo> bzw. Komparatistik, die wir als Anfangspunkt unseres Kapitels gewählt haben, gleichgesetzt werden.

4.1.2 Schlegel und Bopp: «Abstammung», «Wurzeln» und «physischer

Organismus»

Der Bruch zwischen dem idealistischen und komparatistischen Verständnis von «Ver­gleidl»l0 zeichnet sich ab bereits bevor Darwin der Sprachwissenschaft einen biologisti­schen «I<iclm verleiht. Schon vor Humboldts Schriften zur Sprache erscheint 1 808 Friedrich Schlegels Über die Sprache und Weisheit der Indier. Zwar spricht Schlegel wie spä­ter Humboldt von der <<Aehnlichkeit in der innersten Struktur der Grammatilm (ver­schiedener Sprachen mit dem Sanskrit), deren «Uebereinstimmung» nicht mit «Einmi­schung» erklärbar sei (SCHLEGEL 1 808:3) . Andererseits votiert Schlegel klar für eine qua­si-anatomische Sprachvergleichung zur Rekonstruktion der Abstammungsverhältnisse des Lateinischen, Griechischen, Germanischen und Persischen aus dem «Indischem> (ib:5) .

Jener entscheidende Punkt aber, der hier alles aufhellen wird, ist die innere Structur der Sprachen oder die vergleichende Grammatik, welche uns ganz neue Aufschlüsse über die Genealogie der Sprachen auf ähnliche Weise geben wird, wie die vergleichende Anatomie über die höhere Naturgeschichte Licht verbreitet hat. (SCHLEGEL 1 808:28; cf. ebenso Bopp 1 833:VI, XIV)

8 In jüngerer Zeit erscheint dieser quasi-metaphysische Sprach ursprung wieder als competence in der generativen Grammatik (6.4) und in der These des Proto·Human (ein abstrakt gedachtes Stadium, in dem alle menschlichen Sprachen strukturell « equicomplex» sind, DYEN 1 987: 1 02) .

' Die Humboldtschen Komponenten Volk, Geist, Prozeß und Geschichte finden sich wortwört­lich in SteinthaIs Programm der Völkerpsychologie wieder. Auch SteinthaI eine Völker- Mischung zugrunde (LAZARUS/STEINTHAL 1 860:25-38) . Cf. WUNDT 1 91 7: 1 72-90, 238-79.

1 0 RAMA T 1 990:206s. ermittelt insgesamt drei epistemologische Phasen des Vergleichs: (1) die rationalistisch-ahistorische Phase (Descartes, Locke, Leibniz) ; (2) die idealistische Phase, in der der Vergleich historisch-kulturell relativiert wird (neben Humboldt zählt Ramat hierzu auch Bopp - den wir aufgrund seiner Bejahung der anatomischen Sektion bereits zu den «Positivisteru> des Vergleiches zählen, cf. unten); (3) die technisch-positivistische Phase (nach Bopp) . Zur Ab­grenzung zwischen comparatismo und grammatica comparata cf. auch SWIGGERS 1 990b.

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Damit unterscheidet sich Schlegels Gewichtung klar von Humboldts : naturhafte Ana­tomie der Sprachen, sezierender Vergleich und genealogische Rekonstruktion rücken in den Mittelpunkt.

Dabei spielt die (<völlige Gleichheit des Wortes» (gemeint ist die ausdrucksseitige Gleicheit der «Wortwurzeb) eine tragende Rolle (SCHLEGEL 1 808:6) . Wo Humboldt die ideelle Einheit aller Sprachen höher gewichtet als als Abstammungs- oder Mischungsver­hältnisse, rückt Schlegel in den Mittelpunkt, daß die sprachübergreifende Gleichheit be­stimmter Ausdrücke ein Abstammungsverhältnis belege. Dazu wendet er just die von Humboldt geschmähte Methode der «PflanzenclassificatioID> bzw. «Anatomie» an, wo vom Erscheinungsbild auf ein Arten- bzw. Abstammungsverhältnis geschlossen wird. (Damit ist sein Ziel bescheidener, aber auch präziser als das Humboldtsche gesteckt, cf. auch MADVIG 197 1a:83) .

Die Darstellung des Sprachvergleichs wird im Schlegelschen Text durchgängig von einer «Wurzeb-Metaphorik begleitet. Sie findet zunächst Verwendung als allgemeine Bezeichnung für Etyma: «Zerstreute Glieder der abgeleiteten Sprachen finden sich im Indischen wie an der Wurzel zusammen . . . » (SCHLEGEL 1 808: 1 8) , « . . . die Wurzel Vedo, wovon vetti, das deutsche Wissen . . . » (ib. :20) .

Da Schlegel aber nicht hauptsächlich auf den Nachweis vereinzelter Etymologien, sondern vielmehr auf die Gleichheit des grammatischen «Princips» abzielt (cf. ebenso RASK, Etymologie: 59, 65), wie es sich am Konjugationssystem nachweisen lasse, dient der Begriff «Wurzeb insbesondere zur Bezeichnung des Verbstammes. Damit hat sich Wur­zel von der Metapher für den Wortursprung (18 . Jahrhundert) zur Metapher für das Kernelement einer Sprache, das Verb, gewandelt (cf. FOUCAULT 1 966:301 s . ; in dieser Be­deutung erscheint die Wurzelmetapher auch in der Dependenzgrammatik Tesnieres) .

Das Wesentliche ist die Gleichheit des Princips [der griechischen, lateinischen und indi­schen Grammatik] , alle Verhältnisse und Nebenbestimmungen der Bedeutung nicht durch angehängte Partikel oder Hülfsverba, sondern durch Flexion, d.h. durch innere Modification der Wurzel zu erkennen zu geben. (SCHLEGEL 1 808:35, cf. ib. :41 s .)

In diesem Zusammenhang wird der Wurzel-Metapher ihre volle Interpretationsbreite -'Keim', 'Ursprung (einer Entwicklung! !)', 'Knotenpunkt einer Entfaltung' - eingeräumt:

In der indischen und griechischen Sprache ist jede Wurzel wahrhaft das, was der Name sagt, und wie ein lebendiger Keim; denn weil die Verhältnißbegriffe durch innre Verän­drung bezeichnet werden, so ist der Entfaltung freier Spielraum gegeben, die Fülle der Entwicklung kann ins Unbestimmte sich ausbreiten . . . Alles aber, was auf diese Weise aus der Wurzel hervorgeht, behält noch das Gepräge der Verwandtschaft, hängt zusammen und so trägt und erhält sichs gegenseitig. Daher der Reichthum . . . dieser Sprachen, von denen man wohl sagen kann, daß sie organisch entstanden sein, und ein organisches Ge­webe bilden . . . In Sprachen hingegen, die statt der Flexion nur AffIxa haben, sind die Wurzeln [= Verbstämme, S.R.] nicht eigentlich das; kein fruchtbarer Same, sondern nur wie ein Haufen Atome, die j eder Wind des Zufalls leicht auseinander treiben oder zu­sammenführen kann; der Zusammenhang eigentlich kein andrer, als ein bloß mechani­scher durch äußere Anfügung. (SCHLEGEL 1 808:505 .)

11 Die Wurzel-Metaphorik dient Schlegel also sowohl zur Bezeichnung einer diachronen Entwicklung (Etymologie) als zur Bezeichnung einer Formenvielfalt (um eine Wurzel herum).

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Daß Schlegel die Wurzelmetaphorik mit dem Organismus-Begriff12 verknüpft, bedarf eines kurzen Ausholens, weil uns die Organismus-Idee bis hin zu den Junggrammatikern noch mehrmals begegnen wird. In aristotelischer Tradition bedeutet Organon/ Organismus zunächst die Gliederung einer Einheit in eine Vielheit (von daher besteht schon eine prinzipielle Nähe zur Verzweigungsstruktur) . Bereits Leibniz' Monadologie modifiziert diesen Gedanken der «inneren Gliederung» dahingehend, daß der Entwicklung und Seinsweise j eder natürlichen Einheit (substance simple) eine «innere Kausalität» zugrunde liege, eine Art inneres Entwicklungsprogramm: « . . . les changements naturels des Mona­des viennent d'un principe interne»13. Dieses Entwicklungsprogramm funktioniere ohne Ausnahme, denn die Natur mache keine Sprünge: « . . . les phenomenes actuels de la na­ture sont menages et doivent l'estre de telle sorte, qu'il ne se rencontre jamais rien, Oll la loi de la continuite . . . et toutes les autres regles les plus exactes des Mathematiques soient violees.» (LEIBNIZ, PhiI 4:568) . Kant führt diese Idee fort, wenn er die Naturpro­dukte (im Gegensatz zu den Kunstprodukten) als «organisierte Wesen»l4 definiert, die <<von sich selbst Ursache und Wirkung» seienl5 (Schlegel: « sich gegenseitig tragen») . Die­se innere Kausalität des Organismus gelte sowohl für die Erhaltung der Gattung wie auch für das Wachstum und die Erhaltung des Individuums. Kant illustriert dies dan­kenswerter Weise am Beispiel des Baumes :

Ein Baum zeugt erstlich einen anderen Baum nach einem bekannten Naturgesetze. Der Baum aber, den er erzeugt, ist von derselben Gattung; und so erzeugt er sich selbst der Gattung nach, in der er einerseits als Wirkung, andererseits als Ursache von sich selbst unaufhörlich hevorgebracht [wird] . . .

Zweitens erzeugt ein Baum sich auch selbst als Individuum. Diese Att von Wirkung nennen wir zwat nur Wachstum; aber . . . es [ist] von jeder anderen Größenzunahme nach mechanischen Gesetzen gänzlich unterschieden . . .

Drittens erzeugt ein Teil dieses Geschöpfes auch sich selbst so , daß die Erhaltung des einen von der Erhaltung des anderen wechselweise abhängt ... die Blätter sind zwar Pro­dukte des Baumes, erhalten diesen aber doch auch gegenseitig . . . (KANT, KdU:§64 [po 234s.])

Spätestens mit Kant erfolgt damit die Umdeutung des Organon-Begriffs zu einem wahr­lich naturhaften Organismus, der sich unter dem Licht des aufsteigenden Sterns der Biolo­gie zu einem biologischen Organismus auswachsen und sich von einer MechaniiJtai distanzie-

12 Zur Frage, ob Schlegel den Organismus-Begriff von befreundeten Naturwissenschaftlern übernommen hat oder ob er <<in der Luft lag» , cf. u.a. KOERNER 1 990a:243ss. , MORPURGO DA­VIES 1987:94, R.S. WELLS 1 987:53-56. Zur OrganistJlUs-Metapher cf. SCHLANGER 1 995 : 1 1 4-3 1 .

1 3 LEIBNIZ, Monadologie:§ l l [po 30] . Cf. LEIBNIZ, Principes:§3 [po 4] , PhiI 4:472. 14 Zum Begriff des Organischen bei Kant cf. Löw 1 980. - Organisation und Organismus wer­

den im 1 8. / 1 9 . Jh. oft synonym verwendet. Wo z.B. deutsche Theoretiker vom « Organismus der Spracheru> sprechen, spricht Lamarck von der «organisation des corps» . Bei der englischen Versi­on von Bopps Vergleichender Grammatik wird dt. Organismus mit eng!. organization übersetzt.

15 KANT, KdU:§64s. (p. 233ss.), cf. ebenso KrVB 233ss. (p. 241 ss .) . In seiner frühen Schrift über Naturgeschichte und Theorie des Himmels (1755) definiert Kant diese innere Kausalität noch als eine mechanische (KANT 1 884: 1 305 . , 1 36) , wie es später auch die Junggrammatiker tun werden. -Zur Problematik des Kantschen Kausalitätskonzeptes cf. EWING 1 969, FINSTER 1 982, RANG 1 990, LANGSAM 1 994. Zum Kausalitätsproblem allgemein in der Wissenschaftstheorie cf. z.B. PLAN CI<. 1 958, BUNGE 1 963, STEGMÜLLER 1 960, 1974:428ss. , FALKENBURG/SCHNEPF 1 998.

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ren wird (cf. SCHMITIER 1 992) . Der Organismus-Begriff des ausgehenden 1 8. und des 1 9 . Jahrhunderts" ist damit doppelt mit dem Bild des Baumes verwoben: Einerseits verweist die abstrakte Bedeutung von Organismus 'Gliederung einer Einheit in eine Viel­heit' auf das visuelle Verzweigungsprinzip, anderereseits verweisen die Bedeutungskom­ponenten 'innere Kausalität' respektive 'Austreiben' und 'Wachstum von innen' klar auf das Feld der sprachlichen Baummetapher (2.4.4) .

Schlegels Metapher der WU1"{el und der aus ihr « organisch» erwachsenden Verwandt­schaft entspricht präzise dem Entwurf Kants . Auch Humboldt verwendet die Organis­musmetapher in diesem Sinne: « Wenn man . . . das Wesen der Sprache . . . wahrhaft fühlt . . . so entdeckt man in ihm das von innen heraus schaffende Prinzip ihres . . . Organis­mus»l7 . Und auch die biologistische Komparatistik wird den Konzepten der inneren Kausalität und des sprachlichen Organismus weitgehend treu bleiben (obwohl parallel in der Biologie der « äußeren Kausalität» in Form der natürlichen Auslese zunehmend Be­deutung eingeräumt wird) und ebenso die Junggrammatiker mit der <<Mechanizitäb> des physiologischen Lautwandels (cf. ROGGENBUCK 2004) .

Bereits acht Jahre nach Schlegels vergleichender Untersuchung erscheint Franz Bopps Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. Schon im Titel wird hier die vergleichende Methode propagiert. Obgleich Bopp sich von der oft mystisch anmutenden Sprachwis­senschaft Schlegels deutlich abhebt, bleiben die Grundthesen weitgehend unverändert. Die Flexionsstärke des Sanskrit gilt weiterhin als Merkmal seines urtümlichen Charak­ters oder umgekehrt: « Der Ursprung organischer Flexionen . . . muß so wie die Entste­hung der bedeutenden Stammsilben bey dem frühesten Ursprung der Sprache gesucht werden . . . » (Bopp 1 8 1 6 :95) . Wie Schlegel unterstreicht auch Bopp die zentrale Bedeu­tung der <<inneren Umbiegung und Gestaltung der Stammsylbe auf wahrhaft organische Weise» (ib. : 7) und behält, wenn auch verhaltener, die Wurzel-Metaphorik bei (Bopp 1 833 : 1 05-32 [§ 1 05ss .]) . Während bei Schlegel die Vermutung einer <<idealen Einheib> der Sprachen noch vorhanden ist (das «organische Gewebe» geht aus der «Wurzeb> hervor), sieht Bopp eher eine « stufenweise Zerstörung» bzw. eine Ersetzung des organischen Wachstums durch «mechanische VerbindungeID> (cf. auch FERRINI 1 993) :

. . . [wir werden die Conjugationen] vergleichend . . . durchgehen, wodurch wir deren Identi­tät einsehen, zugleich aber die allmählige und stufenweise Zerstörung des einfachen Sprachorganismus erkennen und das Streben beobachten werden, denselben durch me­chanische Verbindungen zu ersetzen, woraus, als deren Elemente nicht mehr erkannt wurden, ein Schein von neuem Organismus entstand. (Bopp 1 8 1 6: 1 1)

1 6 Cf. RENSCH 1 967, R.S. WELLS 1 987, HAßLER 1 991 : 1 26-39, HOMBERGER 1 994, NEU­MANN 1 984.

17 HUMBOLDT, ÜVS:§4 (p. 1 56) ; cf. ebenso ib. :§9 (p. 1 78) , § I l (p. 213) ; AG:8-14, 20s., 26-29; GAS:433; VS:2s. , 8s., 1 2, 19; EGF:307. Cf. auch SCHARF 1 994: 1 37-52. Dominant bleibt aber bei Humboldt die Interpretation des Organismus als 'gegliederte Einheit' (cf. RENSCH 1 967:73s . , MÜLLER-SIEVERS 1 993:89-95, DI CESARE 1 998:30, 57s .) . - Geradezu eine Inflationierung der « Organismus» -Metapher findet sich bei BECKER 1 824: 1 -24, 52-58. STEINTHAL 1 855 : 1 -40, 379s. kommt dehalb zu dem Schluß, daß das Wort O1-ganisch « seine Epoche ausgelebo> habe und es durch den Begriff System ersetzt werden müsse.

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Noch deutlicher wird Bopp in seiner Vergleichenden Grammatik. Bereits das Vorwort er­setzt die Idee des «geistigen Organismus» durch die von «physischen und mechanischen Gesetzmäßigkeiterm innerhalb «körperlichem Verwandtschaftsverhältnisse. Die Orga­nismus-Metapher wird also entscheidend reinterpertiert vom 'geistigen Wirkungs- und Wachstumsprinzip' zum 'sezierbaren Organismus' (und zwar eines 'lautlichen Körpers') . Das hat zur Folge, daß der Gegensatz zwischen « OrganischelIl» und <<MechanischelIl» schwindet: Der Organismus wird zu einer quasi-biologischen Entität, die ihrem inneren Entwicklungsprogramm mechanisch-unausweichlich unterliegt (cf. MORPURGO DAVIES 1 9 87) . Was Humboldt und Schlegel als mehr oder weniger metaphysisch bedingtes « WachstulIl» galt, wird bei Bopp zur analysierbaren « Zusammensetzung» (ARENS 1 969 :21 9) , ja zur fast berechenbaren Entwicklung. Damit ist der Weg frei für eine An­näherung der Sprachwissenschaft an die Naturwissenschaft und ihre « exakte Metho­de» 1 8, wie sie Schleicher fortführen wird.

Ich beabsichtige in diesem Buche eine vergleichende, alles Verwandte zusammenfassende Beschreibung des Organismus der auf dem Titel genannten Sprachen, eine Erforschung ihrer physischen und mechanischen Gesetze und des Ursprungs der die grammatischen Verhältnisse bezeichnenden Formen. (BOPP 1 833 :III)

Obwohl Bopp damit implizit bereits eine Sprachgenealogie fordert, gilt sein Interesse mehr der gemeinsame Wurzel als der Sprachdifferenzierung. Die vergleichende Metho­de sucht den «organischen Zusammenhangr> (ib. :VIII) , der es erlauben soll, « . . . die ver­schiedenen Grammatiken als ursprünglich Eine zu erkennen und darzustellen» (ib.:v) . Bopp ist sicher, diesen Zusammenhang i m Sanskrit gefunden z u haben, denn seitdem « das Sanskrit an unserem sprachlichen Horizont aufgegangen iSD>, verschwindet « das Vielartige . . . wenn es als einartig erkannt und dargestellt, und das falsche Licht welches ihm die Farbe des Vielartigen auftrug, beseitigt ist.» (ih. :VIIS .) .

Vor diesem Hintergrund ist e s nicht verwunderlich, daß Bopp noch Schlegels Drei­Stufen-Klassifikation der Sprachen treu bleibt (SCHLEGEL 1 808:45-56, Bopp 1 833: 1 08ss. [§ 1 08] ; zu weiteren Varianten cf. STEINTHAL 1 860a:7- 1 3) . Dagegen äußert just der Humboldtianer Steinthal Zweifel an der Adäquatheit des Stufenmodells. Er fragt 1 860 (ein Jahr nach Erscheinen von Darwins Origin of Species und von Schleichers ersten Stammbäume) , ob die « Gliederung des Organismus» tatsächlich linear gedacht werden kann. Modelltheoretisch verlangt das Stufenmodell ja eine Parallelisierung verschieden­der Sprachen entlang dreier Höhenstufen. Zur Darstellung der komplexen sprachlichen Verwandtschaftsbeziehungen erscheint dies mehr und mehr unzulänglich:

Ein solcher unendlicher Organismus [wie der Geist] ist auch die Sprachidee; sie lebt in j e­dem Gliede ganz und ihre Gliederung läßt sich nicht in gerader auf- und absteigender li­nie darstellen; sondern sie ist ein Baum, der sich nach allen Seiten verzweigt, die Zweige mannichfach miteinander verflicht, wenn er auch doch endlich einen Gipfel hat. So wird sich in der Eintheilung der Sprachen im Großen und Ganzen eine Stufenleiter klar erge­ben; aber in den einzelnen Fällen wird eine bestimmte Entscheidung oft unmöglich sein. Jeder Zweig steht so nach verschiedenen Seiten hin zu andern im Verhältniß, daß man von zweien oft nur sagen kann, sie sind beide durch ihre innerste Natur eben so wohl höher, als niedriger gegeneinander. (STEINTHAL 1 860a:1 06)

1 8 CE. hierzu MAOVIGs Kritik an der <<Materialisierung» der Sprache 1971a:88s . , 1 971 b:350.

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Steintha! entwirft deshalb eine (oberflächlich) arboreszierende I<Jassifikation. Sie trennt zwischen « Formsprachen» (flektierenden Sprachen) und « formlosen Sprachen» (Spra­chen ohne Flexion) . Agglutination und Isolation werden jeweils zu Subkriterien dieser Grundunterscheidung (STEINTHAL 1 860a:327; cf. ebenso 1 850:82) :

A. Form­lose Sprachen

B. Form­sprachen

1 . nebensetzende I . Die hinterindischen Sprachen.

2. abwan­delnde

a) Inhalts-Bestimmungen durch Reduplication und Präfixe ausdruckend . . . . . . . H. Die polynesischen.

b) Inhalts-Bestimmungen durch den Wurzeln hinten angefügte Anhänge ausdrückend . III. Die ural-altaischen.

c) Beziehungen und Inhalts­bestimmungen durch Einver-leibung ausdrückend . . . IV. Die amerikanischen.

1 . nebensetzend . . . . . . . . V. Das Chinesische.

VI. Das Aegyptische. { a)

2. ��:�:- b)

durch lose Anfügung der grammatischen Elemente durch inneren Wandel der Wurzel VII. Das Semitische.

c) durch eigentliche Suffixe . . . VIII. Das Sanskritische.

Bei genauem Hinsehen erkennt man rasch, daß Stein thai sein I<Jassifikationsschema zurecht als « tabellarisch» (ib.) bezeichnet, denn es liegt ihm ein kreuzklassifikatorisches Raster zugrunde:

Abwandlung Nebenstellung

geht voraus folgt nach ist mittig

formlose Sprache I 11 III IV

Formsprache V VI VIII VII

Wie nah der Humboldtianer Stein thai damit forma! und methodisch der von Humboldt so abschlägig beschiedenen « PflanzenclassificatioID> gekommen ist, die die Biologie noch bis weit ins 1 9 . Jahrhundert hinein dominiert, wird klar, wenn man sich der Bäume, Ra­ster und Aufzählungen Linnes (3 . 1 2) erinnert. Andererseits zeigt Steinthais I<Jassifikati­onsversuch auch, wie weit die humboldtianische Richtung und ihre Art des <N ergleichs» sich mittlerweile von der Komparatistik entfernt hat, die nach Bopp mehr und mehr von einer evolutions theoretischen Kehre gekennzeichnet ist.

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4.2 Impulse für eine «biologistische» Sprachwissenschaft:

«natürliche», «positive» und «evolutive» Ordnung der Dinge

Wir haben nun schon mehrmals von einer zunehmend «biologistischen Prägung» der Sprachwissenschaft im 19 . Jahrhundert gesprochen - dabei ist dies gar nicht unbestrit­ten. Schon Schleicher verwahrte sich dagegen, daß die Sprachwissenschaft bei den Bio­logen « zu Tische» gehe. Und auch die Sekundärliteratur mahnt oft, das Licht der Sprachwissenschaft hier nicht voreilig unter den Scheffel der Naturwissenschaft zu stel­len (z.B. KOERNER 1 978a:30ss.) - schließlich können begriffliche und methodische Übereinstimmungen zwischen Biologie und Sprachwissenschaft des 1 9 . Jahrhunderts ja auch Zeitgeist-begründete « zufallige» Parallelen gewesen sein. Es wäre sicherlich ver­fehlt, angesichts der komplexen Traditions- und Autoritätsgefüge in der Wissenschaft von einer einseitigen « Prägung» im Sinne einer mystical conversion (Lakatos, 1 . 1 .9) der Sprachwissenschaft zum Biologismus zu sprechen. Andererseits : Wenn die Metapher der « Prägung» überhaupt auf itg,endein Stadium der Sprachwissenschaftsgeschichte zu­trifft, dann am ehesten auf die Sprachwissenschaft des 1 9 . Jahrhunderts. Weil sie be­strebt ist, ihre metaphysischen Traditionen abzustreifen und sich als « exakte» Wissen­schaft zu etablieren, trifft man allenthalben auf das Vorbild der Naturwissenschaft und insbesondere der Biologie - z.B. in der Organismus-Metapher, der Betonung der physi­kalisch-mechanischen Konstitution des Objektes, des Vergleiches, der methodischen « Exaktheit» usw.

Wahrhaft « exakt» (mit beweiskräftigen Rezeptionsspuren) dürfte die wissenschaftsge­schichtliche Kausalitätsfrage «<Prägung oder Zeitgeist?») weder im hiesigen noch in an­deren Fällen zu beantworten sein. Eine praktikable Lösung scheint mir deshalb, die « biologistische Prägung» der Komparatistik als einen disziplinübergreifenden Widerhall (1 . 1 . 9) verstanden zu wissen, der stattfinden kann, weil sich die Sprachwissenschaft theoriegeschichtlich in einem « empfangnisbereitew> Zustand befindet.

Der Vorlauf zu dem intensiven rezeptiven Austausch zwischen Sprachwissenschaft (insbesondere Schleichers) und Biologie (Darwin, Haeckel) verläuft durchaus getrennt. Einer der ersten evolutions biologischen Entwürfe erscheint bereits lange vor Darwin in den Werken Lamarcks (1 802 und 1 809) , also etwa zeitgleich mit Schlegels Schriften, die noch keinerlei ausgeprägte evolutionstheoretische Züge zeigen. Schleicher veröffentlicht bereits vor Erscheinen von Darwins Origin of Species seine ersten Sprachenstammbäume und lernt erst danach Darwins Theorie in der deutschen Übersetzung kennen. Erst in der zweiten Hälfte des 1 9 . Jahrhunderts springt dann spürbar der biologistische Funke auf die Sprachwissenschaft über, weil man in der Evolutionstheorie einen bestätigenden Widerhall zur eigenen Sprachtheorie erkennt. Visuell macht sich dies in einer explosi­onsartigen Vermehrung von Sprachenstammbäumen und einem <<Artew>-Vokabular bemerkbar. Dies verhindert j edoch nicht, daß die Evolutionsidee in der Sprachwissen­schaft eine eigene Charakteristik hat.

In diesem Zusammenhang darf auch nicht die Komplexität des inspiratorischen Be­ziehungsgefüges verschiedener Disziplinen ausgeblendet werden. So hat z .B. die Philo­sophie Comtes (ab den 20er Jahren) sicherlich auf die Ausweitung eines positivistischen Ansatzes gleichermaßen in Natur- wie Sprachwissenschaft Einfluß genommen. Später wird sie wiederum von Spencer im evolutions theoretischen Sinne « korrigiert» werden.

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Bevor wir deshalb zur «biologistischen» Komparatistik kommen, soll kurz ein Blick auf die Wegbereiter dieser «Inspiration» aus den Feldern der Biologie und der Philoso­phie geworfen werden.

4.2.1 Lamarck und Comte: Stufen- und Verzweigungsmodelle

Im Zusammenhang mit der Vergleichskonzeption im Idealismus sind wir bereits zwei­mal auf die klassifizierende Methode gestoßen. Humboldt (4. 1 . 1) lehnt sie ab, weil sie als statisch-sezierendes Verfahren dem essenziell dynamischen Charakter von Sprache nicht angemessen sei. SteinthaI gelangt dagegen unversehens in große Nähe zur statischen Klassifikation, wo er ein Gegenmodell zu Humboldts Drei-Stufen-Modell entwirft (4. 1 .2) . Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, daß in diesen rund 40 Jahren (ca. 1 820 bis 1 860) eine Annäherung der humboldtianischen Sprachwissenschaft an die stattfindet (wie sie bei Bopp teilweise schon gegeben ist) . Die Biologie befindet sich nämlich schon seit geraumer Zeit auf der Überholspur und hat das rein klassifikatorische Verfahren schon längst ad acta gelegt.

Diese Trendwende ist beispielhaft an Lamarcks Schriften abzulesen, die rund 20 Jah­re vor Humboldts sprachtheoretischen Schriften erscheinen. Schon 1 802 moniert La­marck, daß die Naturwissenschaftler sich nicht in der Verfeinerung des K]assifikations­systems verfransen dürften, sondern dem origine, den rapports, dem « mode d'existence de toutes les productions naturelles» mehr Aufmerksamkeit widmen sollten (LAMARCK 1 802: 1 2s .) . Noch deutlicher wird dies in der Philosophie Zoologique, die als wissenschafts­theoretischer Entwurf für eine <<neue» Biologie gelten kann. Dort wendet sich Lamarck gegen die unter den Biologen um sich greifende Manie, stets mit neuen, immer feineren Klassifikationen aufzuwarten, die dann wiederum mit neuen Teilklassifikationen korri­giert werden müssen. Nach seiner Ansicht reicht ein Klassifikationssystem der Linne­schen Körnung vollkommen zur Einteilung der Arten aus (LAMARCK 1 809:23, 28s .) . Über der Begeisterung für Klassifikationen dürfe nicht vergessen werden, daß e s sich bei diesen lediglich um Hilfsmittel zur Einteilung der Arten handle, nicht aber um eine tatsächliche Gliederung der Arten in der Natur .

. . . seduits par la consideration des rapports naturels qu'ils reconnoissent entre les obj ets qu'ils ont rapproches, presque tous croient encore que les genres, !es famiiies, !es ordres et !es classes qu'ils etablissent sont reellement dans la nature. Ils ne font pas attention que . . . les lignes de separation qu'il leur importe d'etablir de distance en distance pour diviser l'ordre naturel, n'y sont nullement. (LAMARCK 1 809:33)

Nach Lamarck gibt es in der Natur weder klare Scheidelinien noch eine absolute Kon­stanz der Arten, wie es ein Klassifikationssystem vorgaukelt. Entsprechend fordert er, den alten statischen Artbegriff durch einen neuen, dynamischen zu ersetzenl9: « . . . les especes n'ont reellement qu'une constance relative a la duree des circonstances dans les­quelles se sont trouves tous les individus qui les representent . . . certains de ces individus ayant varie, constituent des raees qui se nuancent avec ceux de quelque autre espece voi-

1 9 LAMARCK 1 809:53. Zum Wandel des Artbegriffes von Linne zu Darwin, Mendel und Haeckel cf. JAHN /LÖTHER/SENGLAUB 1 982:41 4-42.

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sine . . . » (LAMARCK 1 809:55) . Mit diesem neuen Artbegriff sind zwei entscheidende Theoreme der neuen Biologie verbunden: Variation durch individuelle Sprünge in der Reproduktion und Wandel der Arten durch äußere Einflüsse20. Während in der Philoso­phie von Leibniz bis Kant die innere Kausafitaf als allen Naturerscheinungen zugrundelie­gendes «Programm» gedacht wird (4. 1 .2) , versucht die Biologie hier bereits ein pro­grammexternes dehors zu denken, das in den Naturbegriff eingegliedert werden muß -ein Punkt, der von der Komparatistik nicht übernommen werden wird:

. . . it mesure que les individus d'une de nos especes changent de situation, de climat, de ma­niere d'etre ou d'habitude, ils en re�oivent des influences qui changent peu it peu la consistance et les proportions de leurs parties, leur forme, leurs facultes, leur organisation meme . . .

. . . par la suite des temps, la continuelle difference des situations des individus . . . amene en eux des differences qui deviennent, en quelque sorte, essentielle it leur etre; de maniere qu'it la suite de beaucoup de generations . . . ces individus, qui appartenoient originaire­ment it une espece, se trouvent it la fin transformes en une espece nouvelle, distincte de l'autre. (LAMARCK 1 809:62s.)21

Vor dem Hintergrund einer Artentheorie, die akzidentellen Einflüssen wie Klima etc. Tür und Tor öffnet, wird es schwierig, die bereits « relativierte Konstanz» der Art wei­terhin in einem mehr oder weniger linearen Stufensystem zu denken, wie wir es in der Sprachbetrachtung von Schlegel über Humboldt bis Bopp finden. Viel früher als die Sprachwissenschaft beginnt deshalb die Biologie zaghaft von Verzweigungsstrukturen zu sprechen. Nun haben wir auch bei Linne (3 . 1 2) Arboreszenzen gefunden. Bei diesen handelt es sich jedoch noch um statische Subklassifikationen (von Methoden und Pflan­zenarten) . Lamarck aber steuert gerade aufgrund der zu beschreibenden Dynamik der Naturentwicklung vorsichtig auf eine Entwicklungsarboreszenz zu. Der Weg zu dieser in­haltlich, wenn auch nicht visuell, neuen Arboreszenz beginnt mit der Auflösung des alten Artenbegriffes und der starren Klassifikationssysteme. Wenn die methodischen Scheidelinien der Arten fiktiv genannt werden müssen, so bedeutet dies, daß dieser Fik­tion in der Realität eine unendliche Differenzierung in feinste Stufen gegenübersteht. Damit wird das Ende des Stufenmodells eingeleitet. Zwar spricht Lamarck an zahlrei­chen Stellen von den <<Stufen der zoologischen Organisatiofi» , tut dies jedoch nie, ohne nicht auch auf die geschichtlich zunehmende «Komplikation ihrer Organisatiofi» hinzu­weisen (u.a. LAMMCK 1 809:2s. , 5, 7) . Damit ist Lamarck im Grunde bei einem genealo­gischen Verzweigungsmodell der Arten angelangt, auch wenn sein Vokabular noch überwiegend der Tradition des Stufenmodells angehört:

Les especes [des differents corps organises, S.R.] . . . rangees en series et rapprochees d'apres la consideration de leurs rapports naturels, presentent, avec celles qui les avoisinent, des differences si legeres . . . que ces especes se confondent . . . les unes avec les autres . . .

20 Cf. auch GOETHE, Anatomie: 1 77 und Zo% gie: 1 20s. 21 Die Selektion spielt bei Lamarck keine tragende Rolle im Artenwandel. Dieser basiert auf

der Kette <<Veränderung der äußeren Umstände --> Veränderung der Gewohnheiten --> Wieder­holung der neuen Tätigkeit --> Änderung des betroffenen Organs» (LAMARCK 1 809:74) . Die Organveränderung erfolgt dabei unmittelbar am Individuum, nicht durch Variation und Selekti­on in der Fortpflanzungskette wie bei Darwin (LAMARCK 1 802:61 s . , 1 809:VJs.) .

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Je ne veux pas clire pour cela que les animaux qui existent forment une serie tres­simple, et partout egalement nuancee; mais je clis qu'i1s forment une serie rameuse, irregu/itre­ment graduee, et qui n'a point de cliscontinuite dans ses parties . . . II en re suite que les especes qui terminent chaque rameau de la serie generale, tiennent, au moins d'un cote, a d'autres especes voisines, qui se nuancent avec elles. (LAMARCK 1 809:58s . , Hervorh. S.R.)

Als Mittel zur Erkenntnis der «natürlichen», das heißt historisch sich differenzierenden Artenorganisation reicht für Lamarck die Induktion a la Bacon (Beobachtung und In­terpretation des Beobachteten) nicht mehr aus . Er fordert eine Metbode, die die Analyse des Objektes (Art oder Individuum) in seine Teile (etwa: Art � Individuum � Organ) verbindet mit der syntbetischen «Betrachtung der BeziehungeID>. Darunter versteht er die «Vergleichung gleichartiger Teile» auf verschiedenen Hierarchiestufen mit dem Ziel, « Züge von Analogie oder Ähnlichkeib> zu entdecken (LAMARCK 1 809:39, 42)22.

Lamarcks Methodik deckt sich der vergleichenden Metbode von Bopp 1 833. Anders als Bopp sieht Lamarck jedoch schon früh voraus, daß diese Metbode zu komplexen Ergebnissen führen wird, denen das Stufenmodell nicht mehr gerecht werden kann. Stattdessen werde ein Verzweigungsmodell erforderlich werden, das nicht nur die «Hö­herentwicklung» (in vertikaler Linie), sondern auch die Diffirenif·erung (auf horizontaler Linie) berücksichtige.

Zu ähnlichen Vermutungen hätte auch die Sprachbetrachtung kommen können, nachdem Halhed 1 778 und Jones 1 786 auf die Verwandtschaft des Sanskrit mit Grie­chisch, Latein, Persisch und anderen Sprachen hingewiesen hatten (cf. METCALF 1 974) . Jedoch wurden solche Vermutungen noch einige Jahrzehnte als spekulativ verworfen, weil man noch nicht (wie die Biologie) über umfangreiche Materialsammlungen und Auswertungen verfügte. Eine solche Basis, d.h. Material alter «SpracharteID>, mußte ja erst aufwendig rekonstruiert werden. Über «positive», beobachtbare Wahrheiten, wie Lamarck sie selbstverständlich annehmen kann (LAMARCK 1 809:xXII) , verfügt die Sprachwissenschaft nur mittelbar. Wie um diese Mittelbarkeit auszugleichen, ist sie um­so mehr um Positivität bemüht.

Mit dem Streben nach Positivität geht die Sprachwissenschaft allerdings nicht zwin­gend an der Leine der Biologie oder der Naturwissenschaften. Im Nachklang der Auf­klärung und im Zuge naturwissenschaftlicher Entdeckungen befaßt sich auch die Philo­sophie, «ältere Schwester» der Sprachwissenschaft, mit der Ausarbeitung einer Erfah­rungswissenschaft oder science generale positive (SAINT-SIMON, Projet:283-85) , die anders als die auf der Kritik fußende metaphysische Tradition auf Beobachtung gegründet sein soll.

Die neue positivistische Doktrin findet sich gebündelt in Comtes Cours de philosophie positive (1 830) . Comtes Philosophie verfestigt die Bedeutung des Wortes positiv im Sinne eines Paradigmas, das wissenschaftliche Erkenntnisse an faits riels, an beobachtbare und intersubjektiv nachvollziehbare Phänomene koppelt und sich vehement von jeder meta­physischen Spekulation distanziert. Nicht Spekulation über die letzten Ursachen der Phänomene sei Aufgabe der positiven Wissenschaft, sondern die Erkenntnis von lois naturelles invariables anhand der Beobachtungen (COMTE, Cours: 1 6) . Damit verbindet sich ein hoher Anspruch: Die Phänomene sollen nicht nur beschrieben und klassifiziert wer­den, sondern die Kenntnis ihrer Gesetzmäßigkeiten soll es ermöglichen, die Phänomene zu erkkiren und zu prognosti<:jeren (ib. : 1 7 , 51 ) . Dahin kann die Wissenschaft aber nur gelan-

22 Cr. auch GOETHE, Anatomie:54-56, 1 70.

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gen, wenn sie (wie auch Lamarck fordert) Beziehungen zwischen den Phänomenen her­stellt, und zwar nach Möglichkeit bis zu einer sehr abstrakten Ebene. Dies kann sie wie­derum nur auf Basis einer vergleichenden Methode, wie sie Bopp zeitgleich bereits an­wendet. Was Lamarck für die zoologische Ordnung und Bopp für den Sprachvergleich leistet, formuliert Comte allgemein für die positiven Wissenschaften:

. . . le veritable principe fondamental de I'art de classer . . . est une consequence necessaire de la seule application directe de la methode positive . . . Il consiste en ce que la classifica­tion doit ressortir de I'etude meme des objets it classer, et etre determllee par les affinites reelles et l' enchainement naturel qu'ils presentent, de teile sorte que cette classification soit el­le-meme I'expression du fait le plus general, manifeste par la comparaison approfondie des objets qu'elle embrasse. (COMTE, Cours:49s. ; Hervorh. S.R.)

Zwischen Biologie, Sprachwissenschaft und (Wissenschafts-) Philosophie zeigen sich in der ersten Hälfte des 1 9 . Jahrhunderts deutliche Übereinstimmungen in puncto Vergleich, Bez:jehung und natürliche Ordnung sowie in dem Bemühen um eine objektive Methode, die der Subjektivität der KlassifIkationen Einhalt gebietet.

Besonders relevant für unsere Untersuchung ist, daß auch bei Comte entsprechend ein Ringen zwischen linearem Stufenmodell und Arboreszenz stattfIndet. Auch wenn er mit der echelle encyclopedique weitestgehend auf dem Stufenmodell beharrt, kündigt sich die Arboreszenz schon auf den ersten Seiten des Cours an (COMTE, Cours:7) .

Comtes Stufenmodell fußt wie die Wissenschaftseinteilung Bacons auf der Paralleli­sierung individueller Verstehensarten mit verschiedenen Wissenschaften. Anders als Bacon glaubt Comte jedoch, daß jede Verstehensart in j eder Wissenschaft beteiligt ist, weshalb er die Einteilungen grundlegend in ein dreistufiges Entwicklungsschema umarran­giert: das theologische (oder fiktive) Stadium, das metaphysische (oder abstrakte) und schließlich das wissenschaftliche (oder positive) Stadium. Alle drei Stadien fInden sich sowohl in der individuellen Entwicklung (<< . . . chacun de nous . . . ne se souvient-il pas qu'il a ete successivement, quant a ses notions les plus importantes, tbiologien dans son enfance, mitaphysicien dans sa jeunesse, et physicien dans sa virilite?»; COMTE, Cours: 1 1 ; cf. ib. :66) als auch in der Entwicklung der Wissenschaften. In beiden Fällen gilt das positive Stadium als das letzte und höchste Stadium einer linearen Entwicklung (ib. :9 , 2 1 ) .

Diese lineare Entwicklung wird als dependances successives beschrieben, wobei diese Ab­folge nur zum Teil historisch, überwiegend aber inhaltlich (dogmatique) determiniert er­scheint23• Für die inhaltliche Sukzessivität gilt eine Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen (wie in der Evolutionstheorie) - und zwar sowohl bei den Phänomenen, wie bei den lois und dem Verstehen der lois, weil das Komplexe immer das Begreifen des einfachen voraussetze (ib. :68) . Entsprechend teilt Comte die Naturwissenschaften in solche der corps vivants (physique organique) und der corps bruts (physique inorganique) . Erstere gliedert sich linear in eine einfache physique du corps individuelle, auf der die komplexe phy­sique sociale aufbaut. Letztere gliedert er nach zunehmender Komplexität bzw. abneh­mender Allgemeinheit in physique celeste/ astronomie -7 physique terrestre -7 physique mecanique

23 Obwohl Comtes ansonsten klar zwischen Synchronie und Diachronie trennt, bleibt diese Trennung für die Wissenschaften unbestimmt (cf. z.B. COMTE, Cours:25, 6 1 , 77) .

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---7 physique chimique (ib. :71 -73)24. - Die Nähe zum sprachwissenschaftlichen Stufenmodell nach Komplexitätsgrad der Grammatik liegt auf der Hand.

Comtes Cours bietet aber auch Passagen, in denen für die Charakterisierung der Ent­wicklung die historische Komponente stärker einbezogen wird. Während für die inhalt­lichen Komplexitätsstufen meist der Begriff categories erscheint, wird für die ontologisch­genetische Entwicklung von einer Ver'{lVeigung des Wissens gesprochen. Die Parallelen zu Lamarcks Enrwurf der Artenentwicklung sind dabei nicht zu übersehen:

Dans l'etat primitif de nos connaissances, il n'existe aucune division reguliere parmi nos travaux intellecruels; toutes !es sciences sont cultivees simultanement par les memes es­prits. Ce mode d'organisation .. . change peu a peu, a mesure que les divers ordres de con­ceptions se developpent. Par une loi dont la necessite est evidente, chaque branche du sy­steme scientifique se separe insensiblement du tronc, lorqu'elle a pris assez d'acroisse­ment pour comporter une culrure isolee, c'est-a-dire quand elle est parvenue a ce point de pouvoir occuper a elle seule l'activite permanente de quelques intelligences . . . la division du travail intellecruel, perfectionnee de plus en plus, est un des attributs caracteristiques les plus importants de la philosophie positive. (COMTE, Cours:25s.)

Probleme sieht Comte nur dort, wo Arboreszenz und Stufenmodell aufeinandertreffen. Während Darwins Artenstammbäume später problemlos die Artendifferenzierung mit verschieden hohen Entwicklungsstufen der einzelnen Art vereinbaren können, empfin­det Comte die Diversität des systeme intelleetuel, in dem sich die j eweiligen Wissenschaften auf einer unterschiedlich hohen Entwicklungsstufe (theologisch, metaphysisch, positiv) befinden können, noch als einen etat incohirent (COMTE, Cours:48) .

Fassen wir zusammen, so sehen wir, daß die «biologistische Prägung» der Sprachwis­senschaft in der ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts noch nicht klar auszumachen ist. Es zeichnen sich lediglich methodische (V ergleichsmethode) , und begriffliche (Organismus, Entwicklung etc.) Übereinstimmungen mit der Biologie ab. Auch herrscht das Stufenmo­dell gleichermaßen in Sprachwissenschaft (Schlegel, Bopp) , Biologie (Lamarck) und Phi­losophie (Comte) noch vor. Mit dem Rückgriff auf die Arboreszenz und ihrer Reinter­pretation von einem klassifikatorischen Modell zu einem Modell natürliche Ordnung und EntJvicklung eilt die Biologie/Naturphilosophie voraus, die positivistische Wissenschafts­philosophie folgt, und schließlich wird auch die Komparatistik diesen Weg einschlagen.

Was den visuellen Unterschied zwischen Stufenmodell und Arboreszenz anbelangt, so ist er geringer als es zunächst scheint. Das Stufenmodell bietet eine vertikale Dimensi­on (lineare Abfolge oder Hierarchie), die Arboreszenz eine vertikale und eine horizontale Dimension (lineare Abfolge/Hierarchie und horizontale Differenzierung) . Die Arbores­zenz bildet von daher eine Erweiterung des Stufenmodells:

... I I I

3

2

a)Va'y bMy 3 -------�--------;--------- --- -::l------------- --�--- -------------------- -- ---- -----

24 Diesem Srufenmodell stellt bereits SPENCER, Sciences:75ss . eine Arboreszenz gegenüber.

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Der Übergang vom Stufen- zum Verzweigungsmodell per se kann deshalb nicht als tiefgreifender paradigmatischer Einschnitt gewertet werden. Was aber auf einen para­digmatischen Wechsel hindeutet, ist der Interpretationswandel: Darstellung statischer Klassiftkation vs. Darstellung natürlich-historischer Entwicklung.

4.2.2 Darwin und Spencer: «the tree of species» als Produkt innerer und

äußerer Kausalität, die Universalität des Entwicklungsgesetzes

Der Aufstieg des sprachwissenschaftlichen Baumes im 19 . Jahrhundert geht einher mit der Faszination und methodologischen Bestärkung, die (nicht nur) für die Sprachwis­senschaft von der Evolutionstheorie Darwins25 ausgeht. Obwohl schon Lamarck auf einen dynamischen Artenbegriff pocht, und auch Vergleichsmethode und Positivität schon lange vor Erscheinen des Origin of Species (1 859) etabliert sind, ist es doch Darwins Werk, das international und interdisziplinär rasant rezipiert wird, erkennbar an den zahl­reichen Übersetzungen. In der Sprachwissenschaft dürfte Rezeptionsfreudigkeit damit verbunden gewesen sein, daß man in Darwins Theorie viele Züge der eigenen For­schungsergebnisse wiedererkannt hat und sich dadurch als «exakte» Wissenschaft bestätigt sah. Hinzu kam, daß mit Darwins Theorie vom Menschen als Naturprodukt das Para­digma der Gottgegebenheit von Natur und Sprache (wie sie noch von Herder und der Encyclopedie vertreten wird, cf. auch AARSLEFF 1 974) deftnitiv widerlegbar scheint und die Suche nach einem wie auch immer gearteten metaphysischen Ursprung in ihre Schranken verweist26 .

Der letzte Punkt dürfte allerdings 1 859 für die Sprachwissenschaft weniger ein Pro­blem dargestellt haben als für die Biologie. Seit der Entdeckung des Sanskrit 1 786 und der Etablierung der vergleichenden Methode konzentriert sich die Forschung zuneh­mend auf die Erforschung von Ähnlichkeiten verschiedener indogermanischer Spra­chen, die eine Gruppierung von Sprachfamilien erlauben. Allmählich kann man hinter diesen Familienähnlichkeiten eine genealogische Entwicklung und Veränderung erken­nen. Die sprachwissenschaftliche Sympathie für eine evolutionäre Erklärung der Ent­wicklung der Lebewesen liegt also auf der Hand. Dagegen ist in der Naturwissenschaft das Konzept der konstanten Arten zu Darwins Zeit immer noch gängig. Obgleich schon von Lamarck angefochten, muß Darwin immer noch auf der Falschheit dieser These insistieren (cf. DARWIN, OS:XIII-XXI) .

In der Folge Darwins vollzieht sich aber doch der umfassende epistemologische Wandel von der Naturtheologie zur Naturtheorie (cf. z .B. SOBER 1 992) . Die Natur ist damit nicht mehr die von Gottes Kreaturen bevölkerte Schöpfung, wo der Mensch sich als gottgewollten Sonderfall verstehen darf (die Natur als Gabe an den Menschen) , son­dern ein komplexes Entwicklungs- und Beziehungsgeflecht von Organismen, das seinen eigenen Gesetzen gehorcht. Die Idee des Geschopfls (creature) wird deftnitiv abgelöst von der des Organismus. Deutet sich dies auch schon bei Lamarck an, so ist doch an Darwins

25 Zur Entwicklung von Darwins Theorie cf. MAYR 1 984:314-42 1 . Zum anfanglichen Wider­stand gegen Darwins Theorie cf. Haeckels Nachruf (HAECKEL 1 882:7s .) .

26 Dies zeigt sich auch in den Statuten sprachwissenschaftlicher Gesellschaften: <<La Societe n'admet aucune communication concernant, soit l'origine du langage, soit la creation d'une lan­gue universelle.» (Memoires de la Sociite linguistique de Paris 1 [1 868J :III) .

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Konzeption neu, daß der Organismus nicht nur einer inneren Entwicklungskausalität ge­horcht, sondern auch das Produkt eines Selektionsprozesses (unit of seJection) , also einer äußeren Kausalität, ist:

. . . the view which most naturalists until recendy entertained ... that each species has been independendy created ... is erroneous. I am fully convinced that species are not immuta­ble; but that those belonging to what are called the same genera are lineal descendants of some other . . . Furthermore, I am convinced that Natural Selection has been the most im­portant, but not the exclusive, means of modificarion. (DARWIN, 05:4)

Noch prägnanter faßt Spencer die Koppelung von innerer und äußerer Kausalität zu­sammen, wenn er Leben als «continous adjustment of internal relations to external rela­tions» bzw. als «adaptation between organic processes and processes which environ tbe organislID> definiert (SPENCER, Psychology:293s.) .

Das Prinzip der äußeren Kausalität ist grundsätzlich nicht neu. Schon Lamarck spricht von einer Anpassung der Organe an veränderte Umweltbedingungen. Gleich­wohl ist Darwins Definition der Anpassung (modiftcation) neu. Während Lamarck die Anpassung der Organe im Leben eines einzelnen Individuums vollzogen sieht (wieder­holte, veränderte Tätigkeiten verändern die Organe), verlagert Darwin sie in das Leben der Art: Nicht-angepaßte Individuen fallen der Selektion zum Opfer, d.h. sie kommen bei der Fortpflanzung nicht zum Zuge, sterben früher usw. , so daß sie ihre spezifischen Merkmale innerhalb der Art nicht weitergeben können. Die Folge ist eine mehr oder minder markante Veränderung der Art.

Die Selektionstheorie, die in dieser Form bei Lamarck nicht vorhanden ist, ist ent­scheidend für den neuen Entwicklungs- und Artenbegriff: Entwicklung erfolgt nicht durch geschmeidige Anpassung gleich einer Plastillin-Modellation, sondern der «Baum wird beschnitteID> und es fallen Äste. - Die Möglichkeit des Aussterbens einer Art, die Lamarck ausdrücklich ablehnt (LAMARCK 1 809:75ss .) , ist damit im Spiel (DARWIN, 05:96) und ist radikale Antipode zur These der «immerwährendeID> Artenkonstanz .

Darwins Distanzierung von diesem Artenbegriff zeigt sich auch terminologisch. Zwar betitelt er seine Schrift The Origin of 5pecies, kritisiert aber den Begriff species als «a mere useless abstraction implying and assuming a separate act of creatioID> sei (ib. :39) und ersetzt ihn deshalb durch variety (ib. :33) . Epistemologisch ist dies sehr bedeutsam, weil damit <<i\rb> nicht mehr als «roter Faden in der Verschiedenheib> der Phänomene verstanden wird, sondern umgekehrt: die Art stellt gerade eine spezifische Verschieden­heit dar in Form eines Variationspotentials27 (<<Genpoob> in moderner Terminologie; Entwicklunsgpotential bzw. Potential der inneren Kausalität in unserer Terminologie) . Nur aufgrund dieser Variation ist Selektion und Entwicklung möglich. Das Augenmerk gilt nicht mehr der Einheit und Konstanz äußerer Merkmale (Spezies-Essentialismus) , sondern einer inneren (genetischen) Verschiedenheit und Variation (Spezies-Indivi­dualismus) .

27 In der Wissenschaftsgeschichte sind solche <<Aufweichungerm ursprünglich starrer Def111i­rionen gängig. Man findet sie z.B. auch in der «fuzzy [ogio> oder der Prototypensemantik.

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. . . individual differences [in the same species] are of the highest importance for us, for they are often inherited . . . and they thus afford material for natural selection to act on and accumulate . . . (DARWTN, 05:34)

Kriterium der Artenbestimmung ist nicht mehr eine Überschneidung in Aussehen, Ver­halten oder Lebensraum (danach müßten z.B. Wale zu den Fischen gehören), sondern eine Überschneidung im historisch-genetischen Stammbaum, der genealogical nexus (BAR­TELS 1 996 : 1 5 1 s .) . Das I<riterium des Phänotyps wird durch das des Genotyps ersetzt.

Die Betonung des difforen::;jerenden Momentes durchwirkt die gesamten Ausführungen zur Artenentwicklung. Die genetische Variation (die freilich von Darwin noch nicht als « genetisch» benannt wird) ist die innere treibende Kraft der Evolution28 verstanden als differenzierender und diversifi::;jerender Prozeß, der immer feinere Verästelungen am Stammbaum der Arten produziert: « . . . the larger genera . . . tend to break up in smaller genera. And thus, the forms of life throughout the universe become divided into groups subordinate to groups.» (DARWIN, 05:47) . Der Diversifizierungsprozeß wird dabei als irreversibel gesehen. Das zeigt sich dort, wo Darwin eine Konvergenz der Arten (also eine Vereinheitlichung, wie wir sie in der Sprachwissenschaft im Analogieprinzip der Junggrammatiker finden werden) ausdrücklich ablehnt:

Mr. H.C. Watson thinks that I have overrated the irnportance of divergence of character . . . and that convergence . . . has likewise played a part. If two species, belonging to two dis­tinct though allied genera, had both produced a large number of new and divergent forms, it is conceivable [according to Mr. Watson] that these might approach each other so closely that they all would have to be classed under the same genus . . . It is incredible that the descendants of two organisms which had originally differed in a marked manner, should ever afterwards converge so closely as to lead to a near approach to identity throughout their whole organisation. (DARWTN, 05: 1 00s.)

Von welcher epistemologische Tragweite die Idee von der diversifizierenden (und das heißt: arboreszenten) Entwicklung war, zeigt sich in ihrer multidisziplinären Dominanz. So kommt z.B. Spencer (noch vor dem Erscheinen des Ongin of Species) auf grund seiner Beobachtungen in Biologie und Kulturgeschichte zu dem Schluß, daß das organisch­biologische Entwicklungsgesetz «Entwicklung erfolgt vom Homogenen zum Heteroge­neID> für alle Arten von Entwicklung gelte, auch für die Entwicklung der Formen des Tanzes, der Dichtung, der Malerei ete. Er hält es deshalb für gerechtfertigt, hinter dem law of development ein übergeordnetes universal law of change zu vermuten, das besagt: «Every active force produces more than one change - every cause pro duces more than one effect . . . each of the several changes produced becomes the parent of further changes.» (SPENCER, Progress:37s .) . Damit postuliert Spencer im Grunde ein universales Gesetz der arboreszierenden Entwicklung, die ausgehend von einer verborgen bleibenden Ur­Ursache ihrer unendlichen <<inneren Kausalitäb> von Ursache und Wirkung gehorcht, wie wir sie schon bei Leibniz und Kant finden.

Zurück zu Darwin. Er sieht das Wirken dieser inneren diversifizierenden Kausalität (Variation und Differenzierung der Formen) zwar durch eine äußere Kausalität (natural

28 Der Terminus Evolution geht auf Spencer zurück, Darwin spricht von der theory of descent (DARWIN, 05: 1 33) . Zur Bedeutungsentwicklung von Evolution ab Darwin cf. NERLICH 1 990:54-6 1 .

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selection2� beschränkt. Beides arbeitet jedoch Hand in Hand für eine über die Generatio­nen zunehmende Differenzierung/Spezialisierung der Lebewesen in der Anpassung an ihren Lebensraum (DARWIN, 05:49, 96-98, 1 03, 1 66) . Variation und Selektion, Diversi­fizierung von Innen und Beschränkung von Außen determinieren gemeinsam die Form des Tree ofLtfi:

The afflllities of all the beings of the same dass have sometimes been represented by a great tree. I believe this simile largely speaks the truth. The green and budding twigs may represent existing species; and those produced during former years may represent the long succession of extinct species . . . this connection of the former and present buds by ramifying branches may weil represent the dassification of all extinct and living species in groups subordinate to groups . . . . the great Tree of Life . . . fills with its dead and broken branches the crust of the earth, and covers the surface with its ever-branching and beau ti­ful ramifications. (DARWIN, 05: 1 04s.)

Neu oder gar eine «poetische Vision» (BULHOF 1 992:63) ist die Metapher des Tree ofLift, wie wir in 3 . 1 gesehen haben, nicht. Neu ist allerdings, daß der Lebensbaum nun nicht mehr mythischen Wert hat, sondern zum Leitbild einer modernen (Natur-) Wissen­schaft avanciert30 - und daß er als Stammbaum Mensch und Tier gleichermaßen beher­bergt: Die bistory of man wird Teil der bistory of life (DARWIN, 05:428; DM:9-33) . Signifi­kant ist, daß zu Darwins Zeit der Tree of Lift tatsächlich noch ein vorgreifendes, hypo­thetisches Bild ist, und nicht ein Abbild fertiger Erkenntnisse über die Evolution, denn noch mangelt es an ausreichend geologischen Funden zur Untermauerung der Baum­hypothese. Aus diesem Grund widmet Darwin ein ganzes Kapitel der Impeifection of tbe Geological Record (DARWIN, 05:264-89) .

Während Darwin in der oben zitierten Passage weitgehend dem sprachlichen Bildfeld Baum folgt (<<grüne, austreibende, tote, abgebrochene Zweige») , ist natürlich die visuelle Arboreszenz des Stammbaumes weitaus bekannter und in dieser oder jener Form mit entsprechenden Abbildungen vom Urtierchen bis zum Menschen in jedem anständigen Biologieschulbuch zu finden. Darwins Text selbst enthält nur einen einzigen Baum, nämlich eine schematische Darstellung des Stammbaumes (Abbildung siehe Seite 1 81 ) . Diese zeichnet sich dadurch aus, daß die Verzweigungspunkte einer Entwicklung zu­sätzlich durch horizontale Linien markiert sind - ein Beleg für das Inklusionsverhältnis zwischen Stufenmodell und Arboreszenz, wie wir es oben skizziert haben. Darwins Schema verweist so einerseits zurück auf das Stufenmodell des frühen 19 . Jahrhunderts (nur hinsichtlich seiner visuellen Prinzipien, nicht hinsichtlich seiner Interpretation) , andererseits voraus auf die Trennung synchroner und diachroner31 Relationen, wie sie im 20. Jahrhundert von Saus sure für die Sprache gefordert wird (5 .3) .

Die vertikale Dimension des Baumes stellt die Diversifierung der Arten in der Dia­chronie bzw. generationenübergreifende genetische Variationen und Ähnlichkeiten dar. Die Variationen sind repräsentiert durch die mehrfachen Verzweigungen, die von jedem

29 Darwin zieht später hier Spencers Begriff survival of the fittest vor (SPENCER, Inadequacy: 1 1 , DARWIN 05:49) .

30 Cf. OESER 1 996:90-92 zum Naturforscher Pallas (1 741 - 1 8 1 1) als Urheber des naturwissen­schaftlichen Baummodells.

31 Dem entspricht in biologischer Terminologie Diversifikation (horizontale Komponen­te/Synchronie) vs. Transformation (vertikale Komponente/Diachronie) (MAYR 1984:3 19) .

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Knotenpunkt ausstrahlen. Innerhalb eines bestimmten Zeitraums setzt sich in den mei­sten Fällen nur eine Variation durch (natural selection) , die die Art fortführt. Manchmal gelingt es jedoch zwei Variationen, sich durchzusetzen. Ist ihr Genpool genügend diffe­renziert, verzweigt sich die genealogische Linie der Art:

The brandung and cliverging dotted lines of unequal lengths proceecling from [species] (A) , may represent its varying offspring. The variations . . . are not supposed all to appear simultaneously, but often after long intervals of time . . . Only those variations which are in some way profitable will be preserved or naturally selected . . . this will generally lead to the most clifferent or clivergent variations . . . being preserved and accumulated by natural se­lection. When a dotted line reaches one of the horizontal lines, and is there marked by a small numbered letter, a sufficient amount of variation is supposed to have been accumu­lated to form it into a fairly well-marked variety . . . (DARWIN, 05:90s.)

Die horizontalen Schichten repräsentieren dagegen jeweils ein web of camp/ex relations (DARWIN, 05:57) der Arten zu einem bestimmten Stadium. Dieses Beziehungsgeflecht ist seinerseits Ergebnis des vorangehenden (diachronen) Selektionsprozesses und birgt zugleich die Bedingungen für künftige Selektionen in sich. Das horizontale Beziehungs­geflecht wird dabei, will mir scheinen, von Darwin doppelt gedacht: einmal unter dem Blickwinkel der genetischen Differenzen und Ähnlichkeiten (hierbei bleibt es im Prinzip bei der genealogischen Grundperspektive), ein andermal unter dem Blickwinkel eines momentanen Artengleichgewichtes (ib. :48-61 ) . Ersteres macht die Horizontale zur Di­mension verwandtschaftlicher Nähe zwischen koexistenten Arten: « . . . species (A) being more nearly related to B, C and D, than to the other species; and species (I) more to G, H, K, L, than to the others.» (ib. :94, siehe Abbildung folgende Seite) . Letzteres macht die Horizontale zu einem geradezu räumlichen Netz von Überlebensabhängigkeiten (und Lebensräumen) der Arten untereinander, das Darwin in seinem eigenen Garten beobachtet: «I shall hereafter have occasion to show that the exotic Lobelia fulgens is never visited in my garden by insects, and consequently, from its peculiar structure, ne­ver sets a seed.» (ib. :57) .

Erstaunlich ist, daß Darwin die grundsätzlich diachrone Idee des «Baumes» bereits durch die Idee des synchronen «Netzes» ergänzt (wenn er dies auch zurückstellt, um nicht in die alte Methode der Lebensraumbeschreibung zu verfallen) . In der Sprachwis­senschaft des 19 . Jahrhunderts taucht dies erst später auf - erst Schuchardt, Whitney und Saussure beginnen nach einem synchronen, pragmatisch bzw. systematisch gepräg­ten Beziehungsnetz Ausschau zu halten. Man konzentriert sich zunächst ganz auf die Genealogie der Sprachfamilien. Synchronie spielt allenfalls bei der Feststellung von Ähnlichkeiten zwischen Sprachen eine Rolle, bleibt also Mittel zum Zweck der Genea­logie. Ebensowenig spielt die «äußere Kausalität» (Selektion) eine wesentliche Rolle in der Sprachwissenschaft, schon gar nicht bei Schleicher. Der Veränderung der Lebens­umstände (Völkerwanderung, zivilisatorische Entwicklung, soziale Kontakte zwischen Sprechern/Sprachgemeinschaften) wird erst von Kritikern Schleichers wie z.B. Schu­chardt wieder mehr Gewicht eingeräumt, während sie bei Darwin eine zentrale Stelle seiner Theorie einnimmt.

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(Darwin, OS: s.p. , Faltblatt zu p. 91)

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Während sich die Rezeption der Evolutionstheorie i n der «biologistischew> Sprachwis­senschaft gerade bei ihrem «Paradebeispieb> Schleicher also als partiell erweisen wird (4.3) , gibt es von seiten der Biologie und der aufkeimenden evolutiven Soziologie durchaus Ansätze, die Entwicklung von Sprache in das allgemeine Evolutionskonzept einzugliedern. Darwin selbst ist hier allerdings zurückhaltend. Erst in Descent of Man äu-

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ßert er sich überhaupt zur Sprache, und dort nur beiläufig zur Parallelität von Arten­und Sprachentwicklung (DARWIN, DM:59s .) . Im übrigen geht er kaum über drei allge­mein gehaltene Thesen hinaus: (1) Die Entwicklung von Sprache hänge mit der organi­schen Weiterentwicklung des Gehirns und der mentalen Fähigkeiten zusammen; (2) Imitation und Modifikation der Sprache der Vorgängergeneration spiele eine Rolle; (3) Sprachbeherrschung habe vermutlich als ein evolutiver Vorteil in der Evolution des Menschen gewirkt. Unter der Ausgangshypothese, daß Denken unabhängig von Sprache erfolge ((Auch Hunde können denkern>, cf. DARWIN, DM:54-62) werden Tier- und Menschensprachen als Produkte ein und derselben großen Entwicklung gesehen.

Anders der Geologe Lyell. Schon vier Jahre nach Erscheinen des Origin of Species (1 863) überträgt er hellsichtig und Punkt für Punktdie Evolutionstheorie auf die Ent­wicklung der Sprachen (inklusive der Punkte, die eine «äußere KausalitäD> implizieren) . (1) Der biologischen Variation entsprechen sprachlich diaphasische und diastratische Inventionen und Modifikationen. (2) S elektion (durch «äußere KausalitäD» erscheine in der Sprache darin, daß viele der Inventionen und Modifikationen wegen (a) der begrenz­ten Memorierungsfahigkeit der Sprecher, (b) lautlicher Ökonomie oder Ästhetik, (c) Moden oder (d) Sprachpolitik nicht überleben. (3) Geographische Trennung bringe zwingend immer auch eine Spaltung der Arten bzw. Sprachen mit sich. (4) Der relativen Konstanz der Arten entspreche eine relative Konstanz der Sprachen über Generationen. (5) Der Anpassung an die Umwelt und der Spezialisierung der Organe (ebenfalls ein Punkt der Ciußeren Kausa/itCi!) entspreche im sprachlichen Bereich die Entstehung abstrak­ter Ideen und einer Spezialisierung der sprachlichen Funktionen, wie z .B. der Bedeutung bestimmter Wörter (LYELL 1 873:5 1 1 - 1 7) .

Spencer schließlich sieht Sprache (ähnlich wie schon Rousseau) als Produkt einer su­praorganischen Evolution, d.h. einer sozialen, auf der Kooperation von Individuen be­ruhenden Entwicklung. Das «soziale Produkt> Sprache reiht sich hier in die Entwicklung von Artefakten überheupt ein, die von Werkzeugen über Sprache bis zu Literatur und Wissenschaft reicht (SPENCER, Soci% gy: 1 2s .) . Wie die soziale Entwicklung überhaupe2

gehorcht nach Spencer auch die Sprachentwicklung dem Gesetz der Diversifizierung der Funktionen. Sichtbar werde dies in verschiedenen Derivationen von einer Wortwur­zel, der Multiplikation der Wörter, damit der Differenzierung der Bedeutungen und der Grammatik, die schließlich zu einer Sprachspaltung führen kann (SPENCER, Progress:23) . Damit ist auch sprachliche Entwicklung unter das <<universale Entwicklungsgesetz» sub­sumiert (ib.:24)33.

32 Zur socia! evolution Spencers cf. WILTSHlRE 1 978: 1 92-42, KENNEDY 1 978:87-1 02. 33 Nachdem Spencer die Evolutionstheorie auf nahezu alle empirisch erfahrbaren Bereiche

angewendet hat, reagiert auch die Philosophie. LAl'vIINNE 1 907:1 33s. fordert eine Philosophie der Evolution. Bergson kritisiert dagegen im gleichen Jahr die Blindstellen der Evolutionstheorie (BERGSON 1 957) und erhält dafür 1 927 den Nobelpreis .

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4.2.3 Haecke1: monistische Beschränkung auf die innere Kausalität des

«Organismus»

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Wir haben gesehen, daß die Evolutionstheorie, wie sie von Darwin, Spencer und auch Lyell vertreten wird, für die Determination von Entwicklungen sowohl eine innere Kau­salität (Variation) als eine äußere Kausalität (Selektion) am Werke sieht. Wir haben vor­ausgreifend auf 4.3 bereits angedeutet, daß trotz der Analogien zur Artentheorie die zeit­gleiche Sprachwissenschaft sich hier weitgehend auf die innere Kausalität beschränkt. Es stellt sich also die Frage: Warum konzentriert sich die historisch-vergleichende Sprach­wissenschaft zunächst nur auf die innere Kausalität, obwohl das Prinzip der äußeren Kausalität sich problemlos integrieren ließe, wie wir bei Lyell sehen konnten? Nun muß man bei wissenschaftsgeschichtlichen Betrachtungen zwar vorsichtig damit sein, spezifi­sche «Ursachen» für Entwicklungen ausmachen zu wollen. Im vorliegenden Fall kann man j edoch berechtigt vermuten, daß bei der sprachwissenschaftlichen Beschränkung auf die innere Kausalität, besonders bei Schleicher, der Monismus eine entscheidende Rolle gespielt hat. Dessen Credo besteht vereinfacht gesagt darin, Entwicklung als einen ursprünglich materiell-organisch determinierten Prozeß zu verstehen, der in der Entfal­tung von einer minimalen Einheit von innen heraus besteht. Der Monismus war im 1 9 . Jahrhundert, insbesondere unter Naturwissenschafdern, eine weitverbreitete «Weltan­schauung» , die heute nahezu in Vergessenheit geraten ist. Seine damalige breite Akzep­tanz unter Sprach- und Naturwissenschafdern zeigt aber, daß einerseits die Naturwis­senschaft nicht homogen zum Darwinismus umschwenkt (bzw. wie sie denselben flugs modifiziert) bzw. die Sprachwissenschaft gegenüber dem Darwinismus ihre eigene Prä­gung bewahrt.

Zu den führenden Vertretern des Monistenbundes gehörte Ernst Haeckel (cf. ZAN­DER 2001) , Professor für Biologie in Jena, und Freund von August Schleicher. Haeckel ist überzeugter Anhänger der Darwinschen Theorie (cf. QpPENHEIMER 1 987, HAECKEL 1 882: 1 6- 1 9) und besonders des tree oflife-Schemas:

Kein anderes Bild mag uns die wahre Bedeutung, welche die verschiedenen Kategorien innerhalb ihres Stammes besitzen, so treffend, klar und anschaulich zu versinnlichen, als das Bild des weitverzweigten Baumes, dessen Äste und Zweige, nach verschiedenen Rich­tungen divergierend, sich zu verschiedenen Formen entwickelt haben . . . wenn wir im vollständigen Besitze aller Tier- und Pflanzenarten sein würden, welche jetzt leben und jemals auf der Erde gelebt haben, so würde es, wie Lamarck, Goethe und Darwin be­merkt haben, ganz unmöglich sein, ein System mit scharf abgegrenzten Kategorien aufzu­stellen . . . Es gibt allerdings ein natürliches System, und zwar nur ein einziges. Dieses ein­zig natürliche System ist der reale Stammbaum, das Phylema. (HAECKEL, GM:398s .)

Entsprechend finden sich ausführliche Stammbäume in seinen Schriften: von menschli­chen Rassen, von Affen und Menschen, von Würmern, Pflanzen u.v.m. (HAECKEL, NS:624-626, 57 1 , 464s.) - oder den «sechs Tierstämmew> (Abbildung folgende Seite) .

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(HAECKEL, NS: Tafel VI)

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Haeckel hält Darwins «mechanisch-causale Selections-Theorie»34 für die einzig mögli­che Erklärung « aller biologischen Erscheinungen, und also auch der anthropologischen Tatsachen» (HAECKEL 1 868a:Ivs) . In dieser Überzeugung wird er nicht müde, seinen widerstrebenden Freund Schleicher zur Lektüre der deutschen Übersetzung der Dar­winschen Theorie zu animieren. Es bedarf dazu offensichtlich einiger Hartnäckigkeit vonseiten Haeckels, der geschickt genug ist, Schleichers Liebe zur Gärtnere?5 als zusätz­liches Argument für eine Lektüre ins Feld zu führen. Dies läßt sich aus einem offenen Brief Schleichers an Haeckel ablesen:

Du hast mir, lieber Freund und College, nicht eher Ruhe gelassen, als bis ich Darwins viel besprochenes Werk . . . gelesen hatte. Ich habe Deinen Willen gethan und mich durch das einiger Maassen unbeholfen angeordnete und schwerfallig geschriebene und theilweise in kurioses Deutsch übersetzte Buch von Anfang bis zu Ende hindurch gear­beitet . . . Dass mich die Schrift ansprechen würde, schienst Du mit Bestimmtheit voraus zu setzen; freilich dachtest Du zunächst an meine gärtnerischen und botanischen lieb­habereien. (SCHLEICHER, DT5:3)

Obwohl Schleicher die Lektüre offenbar einigermaßen qualvoll empfand, ist er doch vom Inhalt tief angetan, weil er von Parallelen zu seinem Fach geradezu überquille6• Hierauf kommen wir in 4.3 zurück.

Wenn Haeckel von « anthropologischen Tatsachen» spricht, so zählt er hierzu neben Anatomie und Physiologie auch Geologie, Archäologie, Völkergeschichte, Geographie und nicht zuletzt die Sprachforschung (HAECKEL 1 868a:Ivs .) . Das Darwinsche Schema des tree of fije wird damit zum Leitbild einer ganzen Palette von Disziplinen erhoben, und der heutige Leser staunt zurecht, wenn er hier Geologie und Geographie ohne wei­teren Kommentar mit eingebunden sieht. In Haeckels monistischer Sichtweise erscheint dies j edoch eher zwingend als problematisch. Die monistische Anschauung verdient deshalb hier etwas Aufmerksamkeit, zumal auch Schleicher seine wissenschaftlichen Ansichten dezidiert in den Rahmen des Monismus stellt: « Die Richtung des Denkens der Neuzeit läuft unverkennbar auf Monismus hinaus. Der Dualismus, fasse man ihn nun als Gegensatz von Geist und Natur, Inhalt und Form, Wesen und Erscheinung . . . i s t für die naturwissenschaftliche Anschauung unserer Tage ein vollkommen überwun­dener Standpunkt.» (SCHLEICHER, DTS:8) .

Der Monismus richtet sich in erster Linie gegen die cartesianischen Dualität von Geist und Materie (wie sie z .B. auch für Humboldt noch gültig ist) . Das göttliche Prin­zip - « Gott als Schöpfer und Ursache der NatuD> bzw. der « Geisb> als Determinante der Materie» - erscheint ihm angesichts der Erkenntnisse über materielle Entwicklungsge-

34 Der von Haeckel aufgenommene Kantsche Kausalitätsbegriff « <ein Naturprodukt ist von sich selbst Ursache und Wirkung»), erscheint bei Darwin nicht wörtlich, aber auch er spricht davon, daß « die Natur des Organismus jede seiner Variationen determinierD> (DARWIN, 05:8) .

35 Die gärtnerische Passion Schleichers war nach Aussagen von Zeitgenossen weit mehr als bloßer Zeitvertreib: <<Die erste Honorarrate für das Compendium ward zur Erbauung eines Ge­wächshauses verwendet . . . Die nicht unbedeutenden Kosten dieser Liebhaberei deckte er durch die Zucht von Riesenastern . . . welche er zu solcher Vollkommenheit brachte, daß eine Erfurter Samenhandlung ihm jährlich seine ganze Ernte abnahm.» (SCHMIDT 1 890:415) .

36 Darwin wiederum hat offenbar eine englische Übersetzung von Schleichers Die Darwinsche Theorie und die 5prachuJlssenschaft gelesen (DARWTN, DM:56 N24) . Die Rezeptionskontakte waren also durchaus gegenseitig, vermutlich durch die Vermittlung Haeckels.

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setze der Natur nicht mehr haltbar. Die monistische Lösung besteht in einer materiali­stischen Wende und der Postulierung eines allumfassenden mechanisch-kausales Natur­gesetzes, in dem Materie und «Lebem> (das epistemologisch den « Geist» ablöst) nicht mehr im Gegensatz zueinander stehen. Dieses eine Gesetz ist verantwortlich für die Ent­stehung der gesamten Natur: für anorganische und organische Materie, für Tier- und Pflanzenwelt, den Menschen und in letzter Konsequenz auch Sprache und Kultur. (Dies erklärt Haeckels Verständnis der anthropologischen Wissenschaften.) Der Monismus behauptet also «weiter nichts . . . als daß Alles in der Welt mit natürlichen Dingen zugeht, daß jede Wirkung ihre Ursache und jede Ursache ihre Wirkung hat . . . . [der Monismus] stellt also über die Gesamtheit aller uns erkennbaren Erscheinungen das Causal-Gesetz ... für ihn giebt es . . . nirgends mehr eine wahre Metaphysik, sondern überall nur Physik. Für ihn ist der unzertrennliche Zusammenhang von Stoff, Form und Kraft selbstver­ständlich.» (HAECKEL, NS:32)37. Den Zusammenhang von Organik, Anorganik38 sowie der Gültigkeit materieller Kausalität bis in Bereiche des <<vermeintlichem> Geistes legt Haeckel ausführlich in seiner Generellen Morphologie (1 866) dar.

Alle uns bekannten Naturkörper der Erde, belebte und leblose, stimmen überein in allen wesentlichen Grundeigenschaften der Materie, in ihrer Zusammensetzung aus Massen­atomen und darin, daß ihre Formen und ihre Funktionen die unmittelbaren und notwen­digen Wirkungen dieser Materie sind . . . Die eigentümlichen Bewegungserscheinungen, welche man unter dem Namen des <<Lebens» zusammenfaßt . . . sind nicht der Ausfluß ei­ner besonderen (innerhalb oder außerhalb des Organismus befmdlichen) Kraft (Lebens­kraft, Bauplan, wirkende Idee etc.), sondern lediglich die unmittelbaren oder mittelbaren Leistungen der Eiweißkörper und anderer komplizierter Verbindungen des Kohlenstoffs. (HAECKEL, GM:80s.)

Nachdem solchermaßen die Trennung zwischen lebender und toter Materie aufgehoben und das Geistige als <<wirkende Idee» auf die Auswirkung einer mechanischen (chemi­schen) Kausalität reduziert ist, widmet sich Haeckel in seinen Spätwerken der Ästhetik dieser materialistischen Naturordnung. Prototypisch hierfür scheinen ihm die Kristalle, in deren variantenreicher Symmetrie (die auch ein visuelles Kriterium der Arboreszenz ist, 2.4.3) er die Klarheit des mechanische Naturgesetzes, regelhafte Entwicklung von innen nach außen, verkörpert sieht (siehe Abbildung rechts) .

Mit der Faszination für die Regelhaftigkeit des natürlichen Formeninventars steht Haeckel nicht alleine. Auch Spencer setzt sich in den Jahren 1 863 und 1 864 mit dem Phänomen der Symmetrie organischer Formen auseinander, differenziert aber stärker als Haeckel. Zwar habe j ede Formenentwicklung grundsätzlich zentralen Charakter, in auf­steigender Reihenfolge der Organismenkomplexität könne man j edoch unterscheiden: Symmetrie mit einem Zentrum (Organismen niedriger Stufen) und mit mehreren Zen­tren, axiale Symmetrie mit einer bzw. mehreren Achsen (SPENCER, Biology: 1 62-67)39 .

37 Cf. ebenso HAECKEL, GM: 84, 138 , 342; 1 899:22, 1 45s . , 339s . ; 1 906. - Kritik am Monis­mus kommt u.a. von den Radikalempiristen, die der Totalität des monistischen Universums ein pfurafistic universe entgegensetzen (JAMES, PU:25) .

38 Die Einheit von Anorganik und Organik wird dadurch bekräftigt, daß erstmals die chemi­sche Herstellung organischer Stoffe aus anorganischen gelingt (HEISENBERG, EW: 1 1 2) .

3 9 Dieses visuelle IUassifikationssystem, das auf denselben Prinzipien wie das visuelle Feld des Baumes basiert, stellt Spencer anhand einer Baumgraphik dar.

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Haeckel geht jedoch weit über Spencer hinaus, verleitet ihn doch die Ästhetik der Na­turformen dazu, von «Kristallseelen» zu sprechen: «Von unserem monistischen Stand­punkte aus betrachten wir jetzt die Kristalle als lebende Naturkijrper und mit Rücksicht auf ihre psycho-mechanischen Eigenschaften auch als beseelte.» (HAECKEL 1 9 1 7 : 1 ) . - Nicht zuletzt aufgrund solcher Spekulationen nennt schon Haeckels Zeitgenosse Wundt die monistischen Naturwissenschaftler «Metaphysiker wider Willen» (WUNDT 1 9 1 3 :96) .

(HAECKEL 1 9 1 7:75, 79 ; cf. 1 924 zu den Strahlingen)

Wenn die Entwicklung der Natur im radikalen monistischen System als umfassende Arboreszenz dargestellt wird, die der treibenden Kraft der inneren Kausalität entspringt und sämtliche Naturerscheinungen (vom Kristall bis zum Menschen) hervorbringt, so hat dies verschiedenste Folgen. So muß Haeckel beispielsweise folgerichtig einen «ein­heitlichen Ursprung des Menschengeschlechtes» annehmen (HAECKEL 1 868b:74) . Und obwohl dieses Modell auch zu dieser Zeit nicht unumstritten ist, entwirft er eine «hypo­thetische Skizze des monophyletischen Ursprungs der Menschen-Species» (HAECKEL, NS: Tafel xv; Abbildung folgende Seite) .

Damit liegt aber auch der Versuch nicht mehr fern, die Sprachentstehung in das mo­nistische Modell zu integrieren. 1 868 schreibt Haeckel ein Vorwort für das Buch Ur­sprung der Sprache seines Vetters Wilhelm Bleek40• Dort ist zunächst noch vorsichtig von einer strukturellen Parallelität der Menschen- und der Sprachentwicklung die Rede, die noch stark an Humboldts Stufenmodell erinnert. Als « Evidenz» wird angeführt:

Bekanntlich sind die Völkerschaften Südafrika's, die Hottentotten, Buschmänner, Kaffern und andere, gewöhnlich als Negerstämme betrachteten Zweige der wollhaarigen langköp­figen . . . Völkerfamilie bis auf den heutigen Tag auf der tiefsten Stufe menschlicher Ent­wicklung stehengeblieben, und haben sich am wenigsten von den Affen entfernt. Wie von ihren gesammten physischen und moralischen Eigenschaften, so gilt dies auch von ihrer Sprache. (HAECKEL 1 868a:I; cf. auch HAECKEL, NS:617, 623-25)41

40 Bleeks Forschungsgebiet sind die südafrikanischen Sprachen, was ihm durch eine Stellung in Kapstadt ermöglicht wird. Von welcher Qualität seine Forschungen sind, sei dahingestellt.

41 Man ahnt, wie Kolonialisierung, Christianisierung und «Wissenschaft» hier Hand in Hand gehen.

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Die Entwicklungsstufen eines Sprachen- oder Völkerstammbaums geraten Haeckel hier kurzerhand gleich zur synchronen Hierarchie in geistiger und moralischer Hinsicht. -Hier steht er in klarem Kontrast zur wissenschaftlichen Bedachtsamkeit Darwins und Spencers . Darwins Rassenbegriff trägt keinerlei rassistische Züge (cf. DARWIN, DM:214-50) , und Darwin vermeidet die Aufstellung von Rassenstammbäumen, mit denen Hae­ekel sehr großzügig umgeht (HAECKEL, NS:564ss.) . Spencer bindet Einteilungen wie die in simple und compound societies an klare soziologische Kriterien, wie z .B. verschiedene Arten von sozialer Hierarchie (SPENCER, Sociology:539-42) . - Der späte Haeckel versucht gar, das monistische Kausalprinzip bis zur Sprachentwicklung durchzudeklinieren. Zwar sind seine Ausführungen dazu vergleichsweise zurückhaltend, doch immerhin sieht er zwischen Lautorgan, Tiersprache und Menschensprache einen kontinuierlichen kausalen Entwicklungszusammenhang. Und unter Berufung auf die Komparatistik von Hum­boldt bis Schleicher gelangt er zu dem Schluß, daß «die historische Entwicklung der Sprachen nach denselben phylogenetischen Gesetzen erfolgt, wie diejenige anderer phy­siologischer Thätigkeiten und ihrer Organe» (HAECKEL 1 899: 1 46) .

4.3 Die «biologistische» Sprachwissenschaft Schleichers

Wir haben gesehen, daß Schleicher Darwins Artentheorie über die Vermittlung Haeckels rezipiert hat (und umgekehrt) und wie weit Haeckel vom Monismus überzeugt war (<<Die Richtung des Denkens der Neuzeit läuft unverkennbar auf Monismus hinaus»). Ohne gleich eine «Prägung» Schleichers durch Evolutionstheorie oder Monismus be­haupten zu wollen, kommt man dennoch nicht umhin festzustellen, wieviele Gemein­samkeiten Schleichers Sprachtheorie mit diesen beiden Richtungen aufweist. Damit ver­bunden ist eine positivistische Komponente, die zu dieser Zeit ebenfalls gang und gäbe ist. Elemente von Evolutionstheorie, monistischer Naturauffassung und positivistischer Wissenschaftsauffassung greifen (nicht nur bei Schleicher) derartig ineinander, daß sie nur schwer auseinanderzuhalten sind. Wir wollen im Folgenden versuchen, diese drei Spuren in den Schleichersehen Schriften zu verfolgen.

Nach der Lektüre von Darwins Origin of Species gelangt Schleicher zunächst zu dem Schluß, daß Darwins Werk «durch die Geistesrichtung unserer Tage beclingt» scheine (SCHLEICHER, DTS:7) . Er sieht so viele unabhängig voneinander entstandene Gemein­samkeiten zwischen seiner eigenen Sprachforschung und der Darwinschen Naturwis­senschaft, daß er den Wunsch äußert, die Naturforscher mögen doch umgekehrt künftig auch «mehr Notiz von den Sprachen» nehmen (ib. :5) . Inwiefern die epistemologischen Gemeinsamkeiten zwischen Sprachwissenschaft und Evolutionstheorie bereits bestan­den, bevor man sich deren bewußt wurde, läßt sich erahnen, wenn man Schleichers Vorwort zum Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen liest, das bereits 1 861 erschienen ist - also zwei Jahre vor seiner Darwin-Lektüre und ein Jahr nach Erscheinen der deutschen Darwin-Übersetzung. Bereits dort entfaltet Schleicher die Idee des Sprachenbaumes und reiht die Glottik bezüglich Gegenstand und Methode in die naturgeschichtliche Forschung ein:

Die grammatik bildet einen teil der sprachwißenschaft oder glottik. Dise selbst ist ein teil der naturgeschichte des menschen. Ire methode ist im wesentlichen die der natur-

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wißenschaften überhaupt . . . Eine der hauptaufgaben der glottik ist die ermittelung und beschreibung der sprachlichen sippen oder sprachstämme . . . (SCHLEICHER, Comp: 1)

Die naturgeschichtlich-genealogische Idee der Sprachwissenschaft auf die Darwinrezep­tion Schleichers zurückführen zu wollen, wäre also schon chronologisch schwer haltbar. Eine allgemeine methodische V orbildhaftigkeit der Naturwissenschaften liegt bereits seit Bopp ungebrochen <<in der Luft». Und auch das Bild des genealogischen Sprachen­stammbaumes ist keineswegs ein Novum42• Entlang der Metaphern wie Wurzel, Mutter­sprache etc. ist es bis mindestens zu Varro (4. Jh.) zurückzuverfolgen (PERCIVAL 1 987:8-

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42 cr auch MAHER 1 966; STEWART 1 976:8-13 ; KOERNER 1 987b; KOERNER 1 989c; DAHL· KE 2001 :20s. ; 61 -84; HOENIGSWALD 1 963.

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1 9 1

22) . AUROUX 1 990:221 -30 liefert den Nachweis, daß bereits die Sprachursprungsfor­schung des 1 8 . Jahrhunderts graphische Stammbäume verwendet, wie denjenigen von FeJix Gallet, der der «Table des langues comparees» in COURT DE GEBELIN 1 774 nach­gestaltet ist (Abbildung links: Felix Gallet, Arbre Genealogique, um 1 800; abgedruckt nach AUROUX 1 990:229) . Während Gallets Baumdarstellung die noch vagen genealogische Vorstellungen des 1 8 . Jahrhunderts (wie die Herleirung des Lateinischen aus dem He­bräischen, cf. 3 . 13) und geographische Einteilungen vermischt (gemäß der West-Ost Koordinate sind Brasilien und Peru links, Indien dagegen rechts eingezeichnet) , gilt für die Sprachenstammbäume der Komparatistik des 1 9 . Jahrhunderts allein das Kriterium des genealogischen Nexus, ablesbar an einer morphologischen Ähnlichkeit.

Schon 1 859 (zeitgleich mit dem Origin of Species) veröffentlicht Schleicher ein Sprach­stamm-Schema, das dem Schema Darwins stark ähnelt (auch wenn es keine «toten Äste» berücksichtigt) .

b

a -�- - - " . _ .. . _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ . _ . _ _ _ _ . _ _ _ _ . .. _ _ .. . _ _ _ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ _ a

(SCHLEICHER, DS:28)

Wie Darwin geht auch Schleicher zunächst davon aus, daß Spalrungen in verschiedenen Sprachzweigen gleichzeitig erfolgen (eine merkwürdige Annahme, denn sie erscheint auf Anhieb relativ unwahrscheinlich) : «Die Linien aa, bb, cc u.s .f. sollen die Zeitabschnitte darstellen, in welchen die Sprachtheilungen Statt fanden, von denen wir hier annehmen, daß sie auch in den schon getrennten Theilen einer Sprachsippe stets zugleich vor sich giengen.» (ib.) . Diese Behauprung modifiziert er bereits wenig später in Abbildungen des spezifischen indogermanischen Sprachenstammbaumes, dessen Verzweigungen auf ver­schiedenen Höhen ansetzen (Abbildung folgende Seite) .

Die ursprünglich horizontale Markierung der Entwicklungssrufen wird nun ersetzt durch die «länge der linien», die die Zeitdauer andeutet (SCHLEICHER, Comp:8s .) . Schlei­cher erweitert also das ausschließlich Abstammungsverhältnisse repräsentierende Des­zendenzmodell um eine chronologische Komponente: Linienlänge repräsentiert Länge des Zeitabschnittes43 • Wo Darwin die Zweige des Baumes je nach Hierarchiesrufe genera, species oder varieties benennt, differenziert Schleicher ganz analog44:

43 Diese Unterscheidung erneuert HOENIGSWALD 1 987a mit topologica/vs. metrical tree. 44 Zu sprachlichen VS. genetischen Stammbäumen cf. WIENER 1 987, RUVOLO 1 987.

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Die zunächst auß der ursprache entstandenen sprachen nennen wir grundsprachen, fast j ede von inen differenzierte sich zu sprachen; j ede dieser sprachen kann ferner in mundarten, die­se in untermundarten gespalten sein.

Alle von einer ursprache stammenden sprachen bilden zusammen eine sprachsippe oder einen sprachstamm, den man wider in sprachfamilien oder sprachäste teilt. (SCHLEICHER, Comp:5; cf. DTS: 1 3)

Obwohl Schleicher bei der Lektüre des Origin of Species postum die Gemeinsamkeiten seiner Darstellung mit der Darwins erkennt « < . . . was Darwin für die Arten der Thiere und Pflanzen geltend macht, gilt . . . auch, wenigstens in seinen hauptsächlichsten Zügen, für die Organismen der Sprachen.», SCHLEICHER, DTS: 1 2) , betont er doch, daß Darwins Stammbaum lediglich ein <<idealen> sei (dies formuliert Darwin angesichts mangelnder Fossilienbelege ja auch selbst) , während die Stammbäume der Komparatistik « das Bild der Entstehung einer gegebenen Sippe zeichnen» (ib. : 1 4) , also ein Abbild realer, positiv nachweisbarer Verhältnisse seien.

Trotz dieses interpretatorischen Unterschiedes stimmen Darwins und Schleichers Modell in der Betonung des difJeren'<Jerenden Momentes überein. Während Humboldts ver­gleichende Sprachbetrachtung das Verbindende (dem « gemeinsamen Stamrru» in der Viel­heit der Sprachen betont, betont Schleicher wie Darwin (diver;gence of character) die Bedeu­tung von Variation und Differenzierung, also die Zweige. Dies zeigt auch seine Paraphra­sierung des arboreszenten Bildes :

Nachdem sie (die indogermanische Ursprache] von einer Reihe von Generationen ge­sprochen ward . . . nahm sie auf verschiedenen Theilen ihres Gebietes ganz allmählich ei­nen verschiedenen Charakter an, so daß endlich zwei Sprachen aus ihr hervorgingen. Möglicher Weise können es auch mehrere Sprachen gewesen sein, von denen aber nur zwei am Leben blieben und sich weiterentwickelten . . . Jede dieser beiden Sprachen unter­lag dem Differenzierungsprozesse noch zu wiederholten Malen . . . Der . . . (slawodeutsche] Zweig . . . theilte sich abermals durch allmähliche Differenzierung . . . Die . . . (ariograecoita­lokeltische] Sprache theilte sich später ebenfalls . . . (SCHLEICHER, DTS: 1 5s.)

Siehe nebenstehende Graphik aus SCHLEICHER, DTS: s.p. (Die Graphik reicht im Ori­ginal über zwei Seiten und ist im Knick beschädigt. Die Reproduktion weist an diesen Stellen deshalb kleine Lücken auf. Zu ergänzen ist oben nordisch, unten Mitte iranische respektive indische Grundsprache, unten rechts indische Sprachen und Mundarten. Eine einfa­chere Darstellung fIndet sich in SCHLEICHER, Comp:9) .

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Entsprechend dem Differenzierungsgedanken flndet sich auch Darwins Theorem des advancement of organization, d.h. die Entwicklung hin zu komplexeren, spezialisierteren, höherentwickelten Organisationsstufen45 fast wortwörtlich bei Schleicher: <<Alle höheren sprachformen sind auß einfacheren hervor gegangen, die zusammen fügende sprach­form auß der isolierenden, die flectierende auß der zusammen fügenden.» (SCHLEICHER, Comp:4; cf. DS:35)46. Wo Darwin eine Konvergenz in der Evolution gänzlich bestreitet, läßt Schleicher zwar die «Macht der Analogie» gelten, die zur Konvergenz ursprünglich differenzierter Formen führen könne. Im gleichen Atemzug wird aber die Analogie als Negativsymptom marginalisiert: Sie sei Symptom einer Bequemlichkeit und eines <<im­mer mehr ersterbenden Gefühls für die Bedeutung und den Ursprung des Besonderen» (SCHLEICHER, DS:61) , kurzum einer « rückschreitenden Metamorphose» (ib. :36s .) . Auch das Faktum der Mischung von Sprachen aus verschiedenen Familien durch eine örtliche Nähe erklärt Schleicher als irrelevant, weil es nur das <<Wahre» (nämlich verwandtschaft­liche, genealogische) Verhältnis der beiden Sprachen verschleiere (SCHLEICHER, SU:29) . Dies wird die Kritik seiner Schüler Schmidt und Schuchardt (4.4) hervorrufen.

Am Prozeß der Höherentwicklung ist nach der Evolutionstheorie sowohl eine innere Kausalität (differenzierende Variation) als auch eine äußere Kausalität (Selektion) betei­ligt, deren Zusammenspiel erst eine Spezialisierung und optimale Anpassung an die Umgebung hervorbingen kann. Die oben zitierte Passage zeigt, daß Schleicher auch in puncto Selektion Parallelen zur Sprache sieht « <nur zwei Sprachen blieben am Leben und entwickelten sich weiten» . Ebenso glaubt er an einen « Kampf ums Dasein» unter den Sprachen (SCHLEICHER, DTS:30s.) . Trotzdem bleibt die Frage, inwieweit in Schlei­chers Augen tatsächlich eine sprachäußerliche selegierende Kausalität existiert und wel­cher Natur diese ist? Hier ließen sich natürlich spontan die Völkerwanderung, soziale Prozesse usw. anführen (wie dies z .B. Spencer tut) . Doch um es gleich vorwegzuneh­men: Schleicher bleibt in diesem Punkt zurückhaltend oder diffus. Zwar ist wohl die Rede davon, daß sich durch die Völkerwanderung die «ursprünglichen Verhältnisse der Sprachen verschoben» hätten (ib. :30) und daß «Verschiedenheit der Lebensverhältnissö> wahrscheinlich in Relation zur Verschiedenheit der Sprachen gesehen werden müsse (ib. :26) . Gleichwohl fehlt eine tiefere Ausarbeitung, wie sie für andere Vergleichspunkte zur Evolutionstheorie vorhanden ist. Dieser Überhang der inneren Kausalität gegenüber einer äußeren muß vermutlich im Zusammenhang mit den monistischen Tendenzen Schleichers gesehen werden47, auf die wir gleich zurückkommen.

Bleiben wir j edoch noch kurz bei den Inhalten und Nebeninhalten der Schleicher­schen Arboreszenz. Der Baum ist nicht nur probates Mittel, um Differenzierungen jed­weder Art (zoologische, anthropologische, sprachliche) darzustellen. Seine Präsenz in

45 Obwohl Darwin betont, daß die ,?!veckmaßige Anpassung (advancement of organization, st/rvival of the fittes� lediglich eine specialization, nicht aber eine teleologische perfection bedeute (DARWIN, 05:97s . , 1 03) , wird diese Maßgabe wird schon früh übersehen, z.B. von Haeckel und GALTONs Inquiries. - Zur Teleologiedebatte in der Biologie cf. WUKETITS 1 978 :1 26-31 , 1 70-75; MAYR 1 984:42ss . , 424-26; KÖTTER 1 984; PENZLIN 1 988: 1 1 - 17, 21 -24; RUSE 1 989: 1 46-54; JA­NICH/WEINGARTEN 1 999:1 96ss . ; CASSlRER 2000: 1 37-58) . - Auch jüngere Sprachwandeltheori­en greifen auf teleologische Vorstellungen zurück (z .B. LÜDTKE 1 980, KELLER 1 994) .

46 Das Stufenmodell zitiert SCHLEICHER auch in SE:4ss. und SU:6ss . (cf. BENES 1 958:95ss.) . Die Verquickung von Stufen- und Baummodell zeigt sich bis zu POTT, Alfg5pr.295s .

47 Die These von HOENIGSWALD 1 990: 1 5, daß Schleicher bei der Darwin-Lektüre das Prin­zip der äußeren Kausalität/Selektion schlicht entgangen sei, scheint mir nicht plausibel.

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verschiedenen Disziplinen ist auch Zeichen einer paradigmatisch relevanten Allgegen­wart der Entwicklungsidee und der Übereinstimmung, ja nahezu Verschmelzung, der Objekte: «Ist nicht die Entwickelungsgeschichte der Sprache eine Hauptseite der Ent­wickelungsgeschichte des Menschen?» (SCHLEICHER, DTS:5) .

Wie die Objekte der Botanik, Zoologie und Anthropologie, wird auch die Sprache als lebender Organismus gesehen. Dabei tritt die Organismus-Metapher inhaltlich gesehen auf drei Stufen in Erscheinung: (1) Sprache als Organ (Zweig) des großen Organismus (Baumes) zoologisch-anthropologischer Entwicklung, (2) Sprache als sich in verschie­dene Sprachen verzweigender Baum (Einzelsprachen als spezialisierte «Organe» des Gesamtorganismus Sprache) , (3) Einzelsprache als Individualorganismus, dessen « Orga­ne» spezifische grammatische Funktionen, Laute etc. sind. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Hierarchie-Stufen sind, gemäß dem allumfassenden Entwicklungsgedan­ken und dem Gliederungsprinzip der Arboreszenz, fließend. Aus wissenschaftstheoreti­schen Gründen beschränkt sich die Sprachwissenschaft zwar auf die Bereiche 2 und 3 . Innerhalb dieser Grenzen wird aber kaum zwischen Sprachart (Sprachgattung) und Sprachindividuum (Einzelsprache) unterschieden48, denn alles ist Leben und Entwicklung. « " . nicht nur die Individuen haben ein Leben, sondern auch die Arten und Gattungen» (SCHLEICHER, DTS: l l ) . Sprachleben heißt in dieser Terminologie nicht Anwendung einer individuellen Sprache durch Individuen, sondern genealogisches Leben einer Art.

Die Organismus-Metapher, der wir schon bei Humboldt und Kant begegnet sind, wird hier also reinterpretiert. Sie wird von der Bezeichnung geistiger Gliederung (Hum­boldt) , der schon Bopp physische und mechanische Gesetzmäßigkeiten entgegensetzt, zur Bezeichnung quasi-biologischen Lebens und dessen differenzierender Entwicklung. Dies bestätigt einerseits Schleichers Parallelisierung von biologischer Lebensentwicklung und Sprachentwicklung « Non den sprachlichen Organismen gelten ". ähnliche Ansich­ten, wie sie Darwin von den lebenden Wesen überhaupt ausspricht ". » , SCHLEICHER, DTS:4) , andererseits seine Beschreibung sprachlicher Differenzierung als Prozesse, wo zu den « einfachen Sprachzellem> der « Wortwurzelm> « Organe» hinzutreten, die die ver­schiedenen grammatischen Beziehungen auszudrücken vermägen (ib. :23s.) . Die lautliche Differnzierung der Sprache (Stufe 3) geht nahtlos über in eine Spaltung in verschiedene Arten bzw. Sprachen (Stufe 2) .

An der Umdeutung der Organismus-Metapher und der Arboreszenz von einem Gliederungs- zu einem Entwicklungsprin'?Jp manifestiert sich die Abkehr der Sprachwis­senschaft von ihrer geisteswissenschaftlichen, philologischen Herkunft und ihre Annä­herung an die Naturwissenschaft: <<Der Glottiker ist Naturforscher ". Der Philolog aber gleicht dem Gärtner ". » (SCHLEICHER, DS: 121) . - In diesem Punkt erfahrt die Bezeich­nung «biologistische Sprachwissenschaft» eine gewisse Berechtigung. - Sprach Hum­boldt im Zusammenhang mit der « geistigen Gliederung» der Sprache von Organismus, so werden nun « Geist» und « Geschichte» (verstanden als « Geistesgeschichte») als Kriterien ausdrücklich abgelehnt49:

Die Sprachwissenschaft . . . ist keine historische, sondern eine naturhistorische Disciplin. Ihr Object ist nicht das geistige Völkerleben, die Geschichte (im weitesten Sinne), son-

48 Wie in der Biologie Hologenie und Ontogenie verwoben sind (ZIMMERMANN 1 968:21 -23) . 49 CE. die Kritik von STEINTHAL 1860b:434 und BRUGMANN 1 904:29 an der Anti-Histori­

zität der vergleichenden Grammatik Schleichers.

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dem die Sprache allein; nicht die freie Geistesthätigkeit (die Geschichte), sondern die von der Natur gegebene, unabänderlichen Bildungsgesetzen unterworfene Sprache, deren Be­schaffenheit eben sosehr außerhalb der Willensbestimmung des Einzelnen liegt, als es z.B. der Nachtigall unmöglich ist ihren Gesang zu ändern, d.h. das Object der Glottik ist ein Naturorganismus. (SCHLEICHER, DS: 1 20; cf. Comp:2s. , DTS:6s .)

Entwicklung heißt also für die «biologistische» Komparatistik Schleichers weder <<histori­sche Enrwicklung» im Sinne der Geistesgeschichte, noch bedeutet sie andererseits eine Reihung von Momenten, wie später Saussures diachronie. Die Trennung zwischen einzel­nen Momenten ist ebenso aufgehobenso wie die Grenzen zwischen Einzelorganismus und Art, Sprachen und Sprache: « . . . j ede höhere Sprache beschliesst alle niederen in sich, enthält sie als aufgehobene Momente; wie ist es also möglich einer Sprache ihren Platz anzuweisen und ihr Wesen richtig zu begreifen ohne die ganze Scala sprachlicher Enrwicklung vor Augen zu haben?» (SCHLEICHER, SE:4) .

Um die Sprachwissenschaft vor der geisteswissenschaftlicher «Vereinnahmung» zu bewahren, reicht Schleicher eine methodische Abgtenzung nicht aus . Darüber hinaus muß eine Immanenz des Objektes etabliert werden, die man in den mechanischen Ge­setzmäßigkeit der Sprache gefunden zu haben glaubt, in den «naturgegebenen, unabän­derlichen BildungsgesetzeID>, der inneren Kausalität jeder (organischen) Enrwicklung. Was bei Leibniz als metaphysisch-physikalisches, bei Kant als metaphysisch-naturhaftes Prinzip verstanden ist, wird durch die Biologie des 1 9 . Jahrhunderts zum Prinzip allen Lebens schlechthin reinterpretiert. Und in dieser Form erlangt es Gültigekit auch für die «biologistische» Sprachwissenschaft: Sprache als in sich geschlossener Organismus, der immanenten Diversifizierungs (und nur bedingt Selektionsgesetzen, cf. unten) folgt, unabhängig von anthropos und Bewußtsein, Geist, Psyche - und insofern mechanisch. Die­se extreme Position Schleichers wird nicht allgemein geteilt und ruft schon früh die Kri­tik Whitneys auf den Plan. Er hält Schleichers Aussagen für «dogmatiscID> und <illnwis­senschaftlicID>, weil sie den Faktor Mensch nicht berücksichtigten: « . . . gtowth or life of language is produced solely by human action; . . . since human action depends on human will, languages, instead of being undeterminable by the will of man, are determinable by that will, and by nothing else.» (WHITNEY 1 869s. :47s.) .

Wenn Sprachveränderungen «von innen heraus, durch nothwendige Processe» eintre­ten (SCHLEICHER, DS:36) , so muß verwundern, daß Schleicher hier nicht recht mit der ansonsten weitgehend als kongruent empfundenen Evolutionstheorie Darwins überein­stimmt. Während Darwin für die Evolution der Arten sowohl eine innere Kausalität (genetische Variation) als auch eine äußere Kausalität (Selektion durch Feinde, Klima etc.) veranrwortlich macht, konzentriert sich die genealogische Sprachwissenschaft Schleichers weitestgehend auf die innere Kausalität. Als äußerer Faktor der Sprachent­wicklung werden zwar die Völkerwanderung oder <<verschiedene Lebensverhältnisse» genannt (cf. oben) . Doch bleibt auch die «Naturgewalt» der Völkerwanderung lediglich ein Anstoß für die Sprachenrwicklung. Sozial-kulturelle Strukturen gar werden aufgrund ihres historischen Charakters enrweder als sprachmodellierende Faktoren überhaupt nicht

so STREITBERG 1 909:416 verweist hier zurecht auf die Parallele zu Hegel (cf. REGEL, Phäno­menologie:85 zur Aufhebung). Cf. KOERNER 1 983:XXXJls . , NvISTERDAMSKA 1 987 :47-49, RENZI 1 976:648.

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anerkannt51 , oder aber (wie die Analogie) als Ursachen des «Sprachverfalls» diagnosti­ziert:

Die Völkerwanderung war ein Anstoß . . . der auf die Sprachen der von dieser Bewegung ergriffenen Völker mächtig wirkte; als sie gänzlich abgelaufen war, stunden Sprachformen da, die man früher vergeblich sucht . . .

Tritt ein Volk in die Geschichte ein, so hört die Sprachbildung auf; auf der Stufe, auf welcher in diesem Zeitpunkte die Sprache stund, auf dieser verharrt sie nun für alle Zu­kunft, aber sie verliert im Laufe der Zeit immer mehr von ihrer lautlichen Integrität . . .

Das Leben der Sprache zerfallt also vor allem in zwei völlig gesonderte Perioden: in die Entwickelungsgeschichte der Sprache: vorhistorische Periode, und in die Geschichte des Verfalles der sprachlichen Form: historische Periode. (SCHLEICHER, DS:36s . ; cf. SE1 0-20)

Warum die Evolutionstheorie in puncto Kausalität letzten Endes recht selektiv rezipiert wird, hat zwei Ursachen. Erstens verbietet das Streben nach (Natur-) Wissenschaftlich­keit und autonomem Gegenstand außersprachliche Erklärungsmöglichkeiten, seien sie sozialer, kultureller oder geographischer Natur. Nur ohne diese glaubt man eine Imma­nenz auf Theorie-, Methoden- und Objektebene gewinnen zu können. Zweitens dürfte hier die monistische Bewegung nicht ohne Einfluß auf Schleicher gewesen sein. Nach monistischer Philosophie scheiden äußere Ursachen (wie z.B. «geistige» im weitesten Sinne) schon deshalb aus, weil Geist und Materie eins sind, und genauso argumentiert Schleicher: « . . . es gibt weder Geist noch Materie im gewöhnlichen Sinn, sondern nur eines, das beides zugleich ist.» (SCHLEICHER, DTS:8) . Demzufolge bleibt nichts, was «außeru> stehen könnte.

Schleichers Wertschätzung des Monismus ist gar so groß, daß er das Durchschlagen der induktiven Methode - im Gegensatz zur systemorientierten deduktiven Methode -auf diesen zurückführt: «Eine nothwendige Folge der monistischen Grundanschauung, die hinter den Dingen nichts sucht, sondern das Ding mit seiner Erscheinung für iden­tisch hält, ist die Bedeutung, welche heute zu Tage die Beobachtung für die Wissen­schaft, zunächst für die Naturwissenschaft, gewonnen hat . . . Alles a priori Construierte . . . gilt . . . für die Wissenschaft aber als werthloser Plunder.» (ib. :9) .

Damit sind wir bei der eingangs angekündigten positivistischen Komponente der «biologistischeru> Sprachwissenschaft angelangt52. An die Stelle des geisteswissenschaftli­chen Sprachkommentars, des «subjectiven Deutelns, haldosen Etymologisierens, vagen Vermutungen ins Blaue hineiru> (ib. : 6) sollen die empirische Beobachtung des «Dinges an sidm und das Verfahren der Induktion treten, wie sie in den Naturwissenschaften üblich sind.

Aus heutiger Sicht erstaunt, mit welcher Nonchalance Schleicher bei der Beschrei­bung Jahrtausende alter Sprachen von «empirischer Beobachtung» sprechen kann. Wäh­rend Darwin die Hypothetizität seiner Baum-Theorie auf grund mangelnder geologischer Beweislage einräumt, stellt Schleicher mit einer gewissen Befriedigung fest, daß die Sprachwissenschafder hinsichtlich der Beobachtbarkeit «ausnahmsweise» im Vorteil

51 Ganz anders z.B. POTT, AIIgSpr.259-265; DARMESTETER, VM: 1 5s . ; SCHRADER 1 883; SCHERER, GdS:x oder die Junggrammatiker BRUGMANN/LESKIEN 1 907:6 .

52 Auch in der traditionelleren, an Bopp orientierten Komparatistik versteht man sich als «science positive» zur Erforschung eines Teils der «histoire naturelle» (z.B. CHAvEE 1 867, 1 862) .

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gegenüber den Naturforschern seien, «da uns mittels der Schrift das im wesentlichen getreue Bild ihrer [der Sprachen und Sprachfamilien] früheren Formen überliefert ist». (ib. : 1 8) . Der Unterschied zwischen dem Beobachtungsmaterial der Sprachwissenschaft­ler und der Zoologen /Biologen sei lediglich ein quantitativer, kein «specifischeD> (ib. :20) . Die sprachwissenschaftlichen Entwicklungsarboreszenzen müßten deshalb als «para­digmatisches Beispieb> für die Entstehung von Arten aus gemeinsamen Grundformen -also auch für die Biologie! - gelten (ib. : 1 8s .) .

Angesichts der mangelnden Problematisierung schriftlicher Zeugnisse bzw. der ge­nealogischen Erkenntnisse der Indogermanistik an dieser Stelle fragt sich schon, ob die Forderung nach der puren Induktion von Schleicher nicht recht blauäugig aufgestellt wird. Immerhin impliziert schon der Titel «vergleichende GrammatilO>, daß nach Sprachunterschieden gesucht wird, und dafür muß es ein zumindest hypothetisch zugrundeliegendes Modell (nämlich von arboreszierender Sprachentwicklung) geben. Der indogermanische Sprachenstammbaum dürfte nicht nur eine induzierte Darstellung der Ergebnisse, sondern in verschiedenen Stadien der Indogermanistik vor allem eine hypothetische Antizipation von Ergebnissen, also ein Leitbild gewesen sein.

Schleicher mag ein Extrembeispiel für die Durchschlagskraft dieses Leitbildes in sei­ner biologistischen Prägung sein (deshalb haben wir ihn auch exemplarisch ausgewählt) . Aufgrund des Einflußreichturns Schleichers sowie der allgemein in der zweiten Hälfte des 1 9 . Jahrhunderts kursierenden Wurzel-, Verzweigungs- und Organismus-Metaphorik - unabhängig von der theoretischen Nähe der j eweiligen sprachwissenschaftlichen Theorie zur Evolutionstheorie - kann man j edoch davon ausgehen, daß Schleicher mehr ein Parade- denn ein Einzelbeispiel der paradigmatischen Relevanz der Ent­wicklungsarboreszenz ist.

4.4 Alternativen zur Entwicklungsarboreszenz:

Wellensektor und Kegel (Schmidt, Schuchardt)

Das breit etablierte Leitbild der genealogischen Arboreszenz ist j edoch keineswegs un­angefochten. Seine mechanisch-materialistische Auslegung wird von einem geistig (Hum­boldt) bzw. psychologisch (Steinthal, Whitney) orientierten Strang der Sprachwissenschaft angefochten, der die Ausklammerung der Faktoren «Bedeutung» und <<Mensch» (worin Kultur, Sozialität, [Völker-] Psychologie usw. eingeschlossen sind) kritisiert. Und aus­drucksseitig bezweifelt die Wellentheorie Schmidts die Adäquatheit der Arboreszenz als Ausdruck sprachlicher Gliederung: «Es lag mir daran die dicussion einer frage wider zu eröffnen, welche manchem schon abgeschlossen erscheint, zu manen, wie unsicher der gegenwärtig als giltig anerkannte stammbaum unserer sprachen ist . . . » (SCHMIDT 1 872:IIIs .) .

Anlaß für Schmidts Alternativmodell zur Sprachentwicklung sind zunächst Uneinig­keiten unter den Sprachgenealogen. Obwohl über die gröbsten Züge des seit Bopp aus­gearbeiteten Stammbaumes der indogermanischen Sprachen Einigkeit besteht - diese Grundzüge sind in der Tat sehr allgemein, nämlich: (a) die Spaltung in einen im weite­sten Sinne «(nord-) europäischem> und einen «arischem> Zweig, (b) das Persische bzw. Iranische gehört zu den arischen Sprachen - ist man sich über die Relationen der feine­ren Verästelungen alles andere als einig. Offenbar ist die genealogische Sprachwissen-

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schaft in eine ähnliche «I<lassifikationsfalle» geraten, wie sie Lamarck für die klassifika­torisch-systematische Zoologie und Botanik beschreibt: Revisionen und Re-Revisionen der Unterteilungen sind an der Tagesordnung.

Schmidt vergleicht nun erneut die grammatischen Übereinstimmungen der in Schlei­chers Stammbaum gruppierten indogermanischen Sprachen. Um dem Leser ein Zu­rückblättern zu ersparen, bilden wir hiervon nochmals einen Teil ab.

Slawisch

Slawo­deutsch

indogerm. Ursprache

Ariograeco­italokeltisch

Schmidt stößt bei seinen Vergleichen auf zahlreiche grammatische Erscheinungen, <<in welchen das slawolettische mit dem arischen übereinstimmt, vom deutschen aber ab­weich!» . Dieser grammatische Befund decke sich außerdem mit den geographischen Verhältnissen, wo das Slawische dem Arischen näher liege als dem Litauischen (SCHMIDT 1 872: 1 3) . Dennoch mache es keinen Sinn, den Ast «Slawisch» zum Arischen hin umzupfropfen, denn Slawisch gehe eindeutig aus dem Slawolettischen hervor und dieses wiederum sei rnit dem Deutschen ebenso wie mit dem Arischen «Verkette!» (ib. : 1 6) . Ähnliche, das Verzweigungsverhältnis untergrabende Verkettungen stellt Schmidt auch für Griechisch, Italisch und Arisch fest (ib. :21 -24) .

Die Befunde veranlassen Schmidt zu zwei Schlüssen: (1) Schleichers Stammbaum ist bis hin zur Basisgabelung der indogermanischen Ursprache nicht haltbar: « ... es gibt keine Grenze zwischen den arischen und den europäischen Sprachen», und die <<Urspra­che bleibt demnach bis auf weiteres . . . eine wissenschaftliche fiCtiOID> (ib. :24, 3 1 ) . (2) Aufgrund der komplexen sprachlichen Übereinstimmungen nach mehreren Seiten hin hält Schmidt das Stammbaummodell überhaupt für unbrauchbar53 •

Man mag sich also drehen und wenden wie man will, so lange man an der anschauung fest hält, dass die in historischer zeit erscheinenden sprachen durch mehrfache gabelun­gen aus der ursprache hervorgegangen seien, d.h. so lange man einen stammbaum der in­dogermanischen sprachen annimmt, wird man nie dazu gelangen alle die hier in frage ste­henden tatsachen wissenschaftlich zu erklären. (SCHMIDT 1 872: 1 7)

53 Ebenso äußert sich auch PAUL, Prin:::jpien:42s. - Dem widerspricht später SOUTHWORTH 1 964, indem er belegt, daß Isoglossenmodell (das wie das Wellenmodell Überlappungen darstel­len kann) und Arboreszenz kombinierbar sind. Cf. ebenso GASIOROWSKI 1 999:41 .

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Zur Darstellung der kontinuierlichen Übergänge zwischen den Sprachen greift Schmidt provisorisch auf die altbekannten Stufen zurück: « . . . wir sehen überall nur stufenweisen continuierlichen übergang von Asien nach Europa.» (ib. :24) . Neu ist allerdings, daß diese Stufen keine klaren Grenzen haben wie Schlegels 3-Stufen-Modell (Kontinuität) , und daß diese Stufen geographisch54 (von Ost nach West) gedacht werden (ib. : 1 5, 26) - ähn­lich wie bei Gallet (4.3) . Schmidt selbst legt zwar auf solche Bilder <mur ser geringen wert» - Stufen, Wellen, Treppen, schiefo Ebenen erscheinen ihm gleichermaßen adäquate Dar­stellungen (SCHMIDT 1 872:27s.) . Seine Entscheidung fällt er jedoch zugunsten des Wel­lenmodells.

Wollen wir nun die verwandtschafts verhältnisse der indogermanischen sprachen in einem bilde darstellen, welches die entstehung irer verschiedenheiten veranschaulicht, so müssen wir die idee des stammbaumes gänzlich aufgeben. Ich möchte an seine stelle das bild der welle setzen, welche sich in concentrischen mit der entfernung vom mittelpunkte immer schwächer werdenden ringen ausbreitet. Dass unser sprachgebiet keinen kreis bildet, son­dern höchstens einen kreissector, dass die ursprünglichste sprache nicht im mittelpunkte, sondern an dem einen ende des gebietes ligt, tut nichts zur sache. (SCHMIDT 1 872:27)55

Schmidts Wellentheorie erfährt eine breite Rezeption, u.a. bei SCHRADER 1 890:71 -98, GÜNTERT 1 925: 1 3 1 s . (er sieht Wellen und Baum als zwei korrelative Sichtweisen, nämlich als Quer- bzw. Längsschnitt durch sprachliche Gebilde), bis hin zu BLOOMFIELD 1 933 :31 1 -20.

Auch Schuchardt, wie Schmidt ein Schüler Schleichers, schließt sich der Kritik der Stammbaumtheorie an. Wie Schmidt ist Schuchardt von der Dominanz des Faktors einer geographischen Ausstrahlung überzeugt, ergänzt dies j edoch dadurch, daß Sprachver­änderung auch auf Sprachmischung basiere, letztlich also auf soiialen Ursachen beruheSG• Beide Erklärungen richten sich gegen Schleichers mechanische, innere Kausalität der Sprachentwicklung und den reinen Differenzierungsgedanken. Die Begegnung von Sprachen hat es nach Schuchardt in jedem Stadium der Sprachentwicklung gegeben; immer habe diese Mischung als Zentripetalkraft der Sprachdifferenzierung entgegenge­wirkt. Er schreibt 1 900 (basierend auf einem Vortrag schon von 1 870) :

. . . diese Wechselwirkung [differenzierende Entwicklung/Zentrifugalkraft und gegenseitige Beeinflussung/Zentripetalkraft] hat mit der Divergenz selbst ihren Anfang genommen. Wir verbinden die Äste und Zweige des Stammbaums durch zahllose horizontale Linien, und er hört auf, ein Stammbaum zu sein. (SCHUCHARDT, Brevier. 149)

Visualisiert entspricht dies dem Schmidtschen Modell des Wellensektors und als solches tritt es in einer 1 9 1 7 erschienen Schrift Schuchardts auch auf, wenn er das Lateinische

54 Auch die moderne Dialektologie und Dialektometrie sieht einen Zusammenhang zwischen Lautwandel und Geographie. So kommt z.B. WANG 1 987:254 zu dem Schluß « . . . there is a cor­relation between the distribution of the vowel reflexes and the rivers in the southern part of England . . . where there are rivers, the similiarity of the adjacent communities is decreased rather than increased . . . » . Entsprechend arbeitet man mit Arboreszenzen, die sowohl genealogisch (diachron) als auch geographisch (synchron) zu lesen sind (cf. GOEBL: 1 993:70-72) .

55 Bereits PICTET 1 859-63/1 :48/§5 äußert eine solche Idee, allerdings ohne das Wellenbild. 56 SCHUCHARDT, Brevier. 128-30, 1 44ss . , 1 7 1 ss . Ebenso Humboldt (cf. 4. 1 . 1) ; PAUL, Prin<:fpi­

en:390-403; WHITNEY 188 1 : 14s .

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und seine Nachkommen in Kegel­form anordnet. Das Lateinische steht als A in der Spitze des Kegels, von der Entwicklungslinien (An, Ab . . . A� ausgehen, die j eweils verschiedene zeitliche Entwicklungsstufen (auf verschiedenen Höhen des Kegels) durchlaufen (A"" Aa2 • • . Aax etc.) . Je weiter sich die Entwicklungslinie von der Kegelspitze nach unten fort­pflanzt, desto weiter entfernt sie sich auch räumlich von anderen Entwick-lungslinien (A") und Ab3 sind weiter

,/ /

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A� . . . . . . . . . . A�

voneinander entfernt als An, und Ab, es voneinander sind) . Je weiter die zeit-räumliche Entfernung zwischen zwei Gliedern, desto weiter auch die Entfernung <<ihrem inneren Wesen nadm57 (Abbildung: SCHUCHARDT, Brevier.1 69) .

Hält man sich die verschiedenen Bilder dieses Kapitels vor Augen - das Stufenmo­dell Schlegels und Humboldts, die Arboreszenz Schleichers und das Wellen- bzw. Ke­gelbild Schmidts und Schuchardts - so stellt man fest, daß sie in ihren visuellen Prinzi­pien nicht so stark differieren, wie dies die verschiedenen inhaltlichen Auslegungen sug­generen58:

Stufen

----+---- --- ----- ----- . v·········· ··· ···· · ·· ·· ··· · ··· ····· ······· ··· ·· -------- ------- ----------

------

---

------------ ------------- -Arboreszenz Wellensektor, Kegel

Visuell ist allen drei Bildern die Stufigkeit (Stufen, Verzweigungspunkte, Wellen) und eine Ausrichtung (von einer einfachen Stufe, Stamm, Zentrum aus) gemeinsam. Daß das Stufenmodell in der Arboreszenz integriert ist, haben wir bereits in 4.2 . 1 festgestellt. Nach dem Blick auf Schmidt und Schuchardt können wir nun ergänzen, daß das Wel­lensektor-Modell innerhalb der sprachwissenschaftlichen Bildgeschichte des 1 9 . J ahr­hunderts eine weitere Integrationsstufe darstellt, denn es beinhaltet das Stufenmodell und eine Vielzahl nicht kongruenter, sich überlagernder, ineinander greifender und sich zuwiderlaufender <<Arboreszenzem> (Schmidts <,verkettung grammatischer Ähnlichkei­tem» , die sich derartig mischen; daß nur noch der Eindruck einer zentrifugal abneh­menden Dichte bleibt (Wellen) . Wie verschieden auch die inhaltlichen Interpretationen der drei Bilder im Laufe des Jahrhunderts ausfallen - klassiftkatorische Stufen, genealogische

57 Mit Saussures Achsenkreuz von Synchronie und Diachronie (5 .3) ist das Modell nur be­dingt vergleichbar, da es Raum- und Zeitphänomene mischt (cE. WUNDERLI 1 975:55-57) .

58 Dies bestätigen zum Teil auch späte Kritiker der Wellentheorie wie HÖFLER 1 955 .

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Arboreszenz, geographzSch-so'?Jale Wellen -, so ist allen Interpretationen doch gemein, daß sie das (mehr oder weniger stark variierte) Bild einer Arboreszenz zur Darstellung der Entwicklungsidee verwenden. Insofern müssen alle drei Varianten des Baumes zu einem Paradigma gezählt werden. Die visuellen Variationen der Arboreszenz sind im Vergleich zur Makrovariation Arboreszenz " Raster gering, so daß sie alleine kein Indiz für einen Paradigmenwechsel darstellen. Sie sind lediglich Zeichen einer schritrweisen Auslotung des Entwicklungs-Paradigmas (im Rahmen der normal science) in seinen komplementären Bereichen von systematischer Klassifikation, genealogischer Klassifikation und geogra­phisch-sozialer Dynamik der Enrwicklung. Ein paradigmatischer Wandel tritt erst mit dem Strukturalismus ein, der hinsichtlich des Darstellungsmusters erneut auf das Raster zurückgreift, und zugleich bei der Bildinterpretation die Enrwicklungsidee in den Hin­tergrund treten läßt.

4.5 An der Schnittstelle zwischen «Entwicklung» und « Struktur» :

Die Junggrammatiker

Bevor wir uns dem Strukturalismus zuwenden, soll ein kurzer Abschnitt den Jung­grammatikern59 gewidmet werden. Obwohl sie das Baumbild nicht verwenden, sind sie für unsere Untersuchung insofern relevant, als sie die allmähliche Formung eines neuen Paradigmas zeigen: Scharmützel im Vorfeld der revolution.

Einerseits sind die «jungem> Grammatiker60 eben so wie die «altem> grundsätzlich «hi­storisdm orientiert61 . Mit dem Theorem des mechanischen Laurwandels behalten sie die Idee der inneren Kausalität «natürlichem Sprachenrwicklung bei. Andererseits sehen sie aber Sprache nicht mehr als unabhängigen Naturorganismus, sondern als psychisch ver­ankert. Die Dualität von Geist und Materie kehrt wieder zurück und verdrängt den radi­kalen Monismus a la Haeckel und Schleicher. Entsprechend wird der Ursprung der Sprache im Prinifp der Kombination von Laut und Bedeutung gesehen, nicht in der Genealogie aus einer « Keimzelle» oder einem <<Stamrm>. So ordnen sich die Junggrammati­ker in puncto Weiterverfolgung des historischen Sprachvergleiches zwar voll und ganz in das Paradigma der Ennvicklung, gleichwohl bereiten sie mit dem Theorem der Zweisei­tigkeit der Sprache den Boden für das Paradigma der Struktur.

Die Wiedereinbeziehung der Psychizität ist das konzeptuell Neue. Bereits 1 878, sechs Jahre nach Erscheinen von Schmidts Wellentheorie, formulieren Osthoff und Brug­mann unter Berufung auf Scherer und den Humboldtianer Steinthal62 die Abkehr von «metaphysischem> (hier darf man getrost auch an die « monistische Metaphysilo> der Ein­heit von Geist und Materie denken) und « biologistischem> Sprachauffassungen. Zwei

59 Cf. die Zusammenfassungen von BARTSCHAT 1 996 :1 3-32, AMSTERDAMSKA 1 987:90-120. 60 Der Name <<Junggrammatiker» geht auf den Bruch zwischen Brugmann und seinem Lehrer

Curtius zurück. Der Studentenjargon bezeichnete so die von Curtius <<Abtrünnigem> (MOUNIN 1 974:207) .

61 Cf. SEUREN 1 998: 1 035 . ; AMSTERDAMSKA 1 987:93-1 00, 1 40; CHRlSTMANN (ed.) 1 977:35 . ; DlDERlCHSEN 1 974:302.

62 Cf. SCHERER, GdS:VIII-X zu Causalital, Übertragung und DijJet�n:derung. Steinthal liefert die Vorgaben von der Sprache als Einzelsprache, die Gedanken darstellt, und den Dualismus von Stoff und Form (STEINTHAL 1 855 : 1 375. , 355-57).

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Jahre später folgt Hermann Paul etwas gemäßigter und differenzierter63 . Das Manifest der «neuen Grammatik» findet sich auf der ersten Seite der Morphologischen Untersuchungen: <<Der menschliche sprechmechanismus hat eine doppelte seite, eine psychische und eine leibliche.» (OSTHOFF /BRUGMANN 1 878:m)64. Wissenschaftsgeschichtlich erlebt Hum­boldt hier also ein Comeback, das die Junggrammatik in die strukturalistische Sprach­wissenschaft hinein überdauert.

Die Einbeziehung der Psychizität heißt zunächst, daß nun das sprechende Indivi­duum einbezogen wird. Nicht mehr der sprachliche Organismus an sich lebt, sondern Sprache lebt im menschlichen Organismus. Dessen Lautwerkzeuge und Psyche sind Ort der Lautbildung und der Lautveränderung: « ". die sprache [ist] kein ding " . , das ausser und über dem Menschen steht und ein leben für sich führt, sondern [hat] nur im individuum ihre wahre existenz ". somit [können] alle veränderungen im sprachleben nur von den sprechenden individuen ausgehen ". » (ib. :XlI) .

Mit dem Kriterium der Kommunikation und der sozialen Funktion von Sprache, die schon bei Schmidt und Schuchardt Beachtung findet, wandelt sich das Objekt der histo­rischen Sprachwissenschaft ganz erheblich. Während Schleicher und die gesamte « ältere» Komparatistik mittels schriftlicher Dokumente die genealogischen Nexus bis hin zu frühesten Sprachen zu rekonstruieren suchen, richtet die « junge Grammatik» ihr Au­genmerk auf die jüngeren Sprachen, die mündlich belegbar sind (ib. :m-VIII, BRUGMANN 1 9 1 8 :5) . Auch wenn dies weitestgehend eine petitio principii bleibt und die Hinwendung zur gesprochenen Sprache erst nach den Junggrammatikern tatsächlich in Schwung kommt, manifestiert sich in diesem Punkt immerhin der Übergang vom abstrahierten Objekt der Sprachart (mit genealogischem Nexus) zu einem «realen Objekt mit Kausal­nexus» (auf letzteren kommen wir gleich zurück), wie Paul schreibt:

Der Kausalzusammenhang bleibt verschlossen, solange man nur mit diesen Abstraktio­nen rechnet, als wäre die eine wirklich aus der anderen entstanden. Denn zwischen Ab­straktionen gibt es überhaupt keinen Kausalnexus, sondern nur zwischen realen Objek­ten und Tatsachen ". Das wahre Objekt für den Sprachforscher sind vielmehr sämtliche Äusserungen der Sprechtätigkeit an sämtlichen Individuen in ihrer Wechselwirkung auf­einander. (P AUL, Pn'nzipien:24)

Mit der (zumindest nominellen) Höherbewertung der gesprochenen Sprachen rückt auch der Satz65 als Einheit der Rede mehr in den Blickpunkt. Methodologisch rechtfer­tigt das veränderte Objekt es gar, dem objektiven Vergleich die subjektive Introspektion zur Seite zu stellen:

Die in Rede stehende Aufgabe [der Klassifizierung der Satzarten) kann am ehesten bei le­benden Sprachen gelöst werden. Am leichtesten natürlich so, daß der Forscher sein eige­nes Sprechen beobachtet. Des Sprachgenossen Rede, die an sein Ohr kommt, muß er

63 Mäßigung war sonst nicht unbedingt die Regel. BRUGMANN 1 909 :220 schreibt zum herr­schenden Ton lakonisch: « ". es wäre sicherlich nicht im Interesse der Wissenschaft gewesen, den bestehenden Gegensatz der Anschauungen durch allzu konziliatorisches Entgegenkommen zu verdeckeru>. CE. auch STREITBERG 1 919 : 145, 1 48 oder die Rezension BRUGMANN 1 877.

64 Entsprechend fordern sie eine Ergänzung der Disziplin durch eine Sprachpsychologie it la Steinthai (OSTHOFF/BRUGMANN 1 878:rv, BRUGMANN 1 904:30) .

6 5 Cf. z.B. BRUGMANN 1 9 1 8: 1 8, 27ss . ; 1 925 und 1 904:623ss . ; OSTHOFF 1 883:36.

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insbesondere auf die ihr zu Grunde liegenden Impulse immer erst interpretieren, und da­bei muß er den Maßstab von seinem eigenen Empfinden nehmen. (BRUGMANN 1 9 1 8 :4s.)

Die konzeptuellen, objekt- und methodentheoretischen Verschiebungen ändern jedoch nichts daran, daß Sprachwandel und Sprachenrwicklung prinzipiell weiterhin kausal ge­sehen werden. Wie Schleicher die innere Kausalität des Sprachlebenl6 betont, die die ge­nealogische Verzweigung der Sprachen generiert, so konzentrieren sich die Junggram­matiker auf eine mechanische Kausalität der physiologischen Seite67 des Laurwandels: «Es darf wohl jetzt als allgemein zugestanden betrachtet werden, daß der Laurwandel sich durchaus dem Sprechenden unbewußt, daher rein mechanisch vollzieht.» (OSTHOFF 1 879: 1 3) . Der mechanische Laurwandel erfolge aufgrund einer Veränderung der Sprechorgane, die wiederum mit klimatischen und kulturellen Gegebenheiten zusam­menhänge (ib. : 1 6- 1 9) . «Mechanische Kausalitäb> bedeutet also: ohne Zutun eines indivi­duellen Sprecherwillens, aber determiniert durch innere physiologische Faktoren (Sprechorgane), äußere materielle Faktoren (Klima) oder äußere immaterielle Faktoren (Kultur) . Besonderes Kennzeichen dieser Mechanizität ist, daß sie ausnahmslose Verände­rungen erzeugt; d.h. Lautveränderungen erfolgen für alle Sprecher einer Sprache (bzw. mit homolog geformten Sprechorganen) einheitlich.

Aller lautwandel, so weit er mechanisch vor sich geht, vollzieht sich nach ausnahmslosen gesetzen, d.h. die richtung der lautbewegung ist bei allen angehörigen einer sprachgenos­senschaft, ausser dem fall, dass dialektspaltung eintritt, stets dieselbe, und alle wörter, in denen der der lautbewegung unterworfene laut unter gleichen verhältnissen erscheint, werden ohne ausnahme von der änderung ergriffen. (OSTHOFF/BRUGMANN 1 878:XllI, cf. OSTHOFF 1 879:3)

Damit distanzieren sich Osthoff und Brugmann vOn Curtius, der diese Ausnahmslosig­keit nicht zugestehen will (CURTIUS, TL), und nehmen die kantige Forderung vOn Les­kien auf, daß das Eingeständnis von Abweichungen die Bankrotterklärung der Wissen­schaftlichkeit sei (cf. RÜZICKA 1 977 : 1 6) . Vor dem Hintergrund einer solchen Aus­nahmslosigkeit kann «Sprachspaltung» freilich nicht entlang der Unterschiede - und Gemeinsamkeiten - groß angelegter Sprachtypen stattfinden, sondern entlang einer Mi­nimierung der Sprechergemeinschaft, notfalls bis hin zum Individuum. SCHUCHARDT, Brevier.51 erkennt hellsichtig das Problem: «Selbst Delbrück steigt, um eine wirkliche Ein­heitlichkeit zu finden, innerhalb deren die Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze gelte, zur Individualsprache herab, und zwar zu deren Momentandurchschnitb>. Gerade für diese Konkretisierung und Individualisierung beruft man sich kurioserweise wiederum auf die Biologie:

Es ist zu verwundern, dass die Darwinisten unter den Sprachforschern sich nicht vor­zugsweise auf diese Seite geworfen haben . . . Der große Umschwung, welchen die Zoo­logie in der neueren Zeit durchgemacht hat, beruht zum guten Teile auf der Erkenntnis, dass nichts reale Existenz hat als die einzelnen Individuen, dass die Atten, Gattungen, Klassen nichts sind als Zusammenfassungen und Sonderungen des menschlichen Vers­tandes . . . Auf eine entsprechende Grundlage müssen wir uns auch bei der Beurteilung

66 Diese Metapher wird von OSTHOFF/BRUGMANN 1 878:x als nebulös abgelehnt. 67 Cf. auch BROSSES 1 765 : 1 6ss . zurftrmation micanique des langues.

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der Dialektunterschiede stellen. Wir müssen eigentlich so viele Sprachen unterscheiden als es Individuen gibt. (pAUL, Prinzipien:37)

Wo jedoch Darwins und Schleichers Augenmerk auf den immer feineren Verästelungen der Stammbäume ruht, legen die Junggrammatiker mit dem Theorem der Ausnahmslo­sigkeit deutlich mehr Gewicht auf die Kontinuitiü im Wandel - natura non facit sa/tus.

Dies zeigt sich auch bei der Betrachtung der psychologischen Seite des Sprachwan­dels . Das « Wirken des psychologischen Triebes» besteht darin, « . . . daß Sprachformen, im Begriffe gesprochen zu werden, mittels der Ideenassociation mit ihnen nahe liegen­den anderen Sprach formen in unbewußte Verbindung gebracht und von diesen letzte­ren formal beeinflußt und lautlich umgestaltet werden.» (OSTHOFF 1 879:3) . Nun könnte man meinen, daß genau diese Sprecherpsychologie, z .B. mit willkürlichen «ldeenassocia­tioneID> oder unvorhersehbaren lautlichen Veränderungen, den Störenfried für Konti­nuität und Ausnahmslosigkeit des physiologischen Lautwandels darstellt. Genau das Gegenteil ist nach den Junggrammatiker aber der Fall: (1) Auch die psychologische Seite des Lautwandels gehorche Gesetzen, z .B. bestimmten Mechanismen der Annäherung zwischen Laut- oder Bedeutungsebene oder beiden Ebenen (ib. :24ss .) ; und (2) bewirke die <<ldeenassociatioID> eine andere Art der Ausnahmslosigkeit, indem sie per Analogie (cf. OSTHOFF /BRUGlvIANN 1 878:m) eine Vereinheitlichung der Sprach formen, eine « stoffliche Ausgleichung» (OSTHOFF 1 879:30) erzeuge. (Auch heute begründet man den Nutzen der Analogie hauptsächlich damit, daß sie eine « psychische», d.h. memorielle Überlastung des Sprechers verhindert.) So fungiert die Analogie auf psychologischer Ebene ebenso wie das physiologische Ursache-Wirkung-Prinzip « <mechanische Kausali­tät») als ein der unendlichen Diversifizierung gegenläufiger Mechanismus, der allzu feine Verästelungen verhindert oder Zweige zusammenführt (cf. RÖZICKA 1 977: 1 8) . Wenn man darüber hinaus bedenkt, daß die Analogiebildungen auf durch physiologischen Lautwandel entstandenen Vorgaben fussen68, so können sie nachgerade als Epiphäno­men der mechanisch-physiologischen Kausalität gelten69 Die Strenge des Kausalitäts­konzeptes bleibt somit bei den Junggrammatikern im Grunde gewahrt'°, auch wenn die kontextuelle Einbettung sich aufgrund des Postulates « Psychizität der Sprache» (das aufgrund der positivistischen Ausrichtung nur bedingt eingelöst wird) geändert hat und das Augenmerk der Kontinuität statt der Diversifiiierung gilt.

68 Beispiel: Die physiologisch reguläre Lautentwicklung von indogerm. k > ch zu germ. ch im Auslaut bzw. h im Anlaut oder Inlaut erzeugt im Deutschen nach regulärem Muster: schmach -schmähell, nach - nahe, hoch - hober. Andererseits entsteht als Analogiebildung zum Inlaut-h: rauh (statt regulär rauch, wie es noch in Rauchwaren 'Pelze' enthalten ist) . Cf. OSTHOFF 1 879:4.

69 Auch wenn man sich über die Dominanz der Kausalität einig ist, ist die Gewichtung von physiologischer vs. psychologischer Kausalität unterschiedlich. PAUL, Prinzipiell: 28 betont z .B. , daß die « psychischen Organismen . . . die eigentlichen Träger der historischen Entwicklung» seien (PAUL, Prinz ipien:28) . Außerhalb des junggrammatischen Kreises wird ohnehin das Prinzip der mechanischen Kausalität gleichermaßen auf Physiologie und Psychologie angewendet, z .B. bei Steinthais psychischer Mechanik (STEINTHAL 1 881 :91 ss.) . <<Liegt es in dem Wesen des Causal­princips, dass es sich nie auf ein bleibendes Sein, sondern immer nur auf Veränderungen be­zieht, so umfasst es dagegen unumschränkt alle Arten von Veränderungen . . . Es würde daher vollkommen willkürlich sein . . . wenn man irgendeinen Theil der Naturerscheinungen oder der psychologischen und geschichtlichen Vorgänge davon ausnehmen wollte.» (WUNDT 1 903: 12:) .

70 Die innere Kausalitat der Radikalen Osthoff und Brugmann erscheint allerdings bei Paul ge­mäßigt als ein Prinz ip der ZlVeckmaßigkeit (ähnlich wie Darwins specialization) : Das Gelingen der Kommunikation entscheidet über Lautkontinuität oder -wandel (PAUL, Prinzipien:32) .

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Die Frage nach dem Sprachursprung, die in den Stammbäumen der vergleichenden Sprachwissenschaft immer mitwirkt, kann unter den neuen Vorgaben nicht mehr phylo­genetisch gestellt werden. Die Konzentration auf die Sprachindividualität und (psychi­sche) Kausalität des Sprachwandels - ein Vorzeichen des Überganges zur synchron ori­entierten Sprachwissenschaft - führt dazu, daß die «Sprachursprungsfrage» zu einer on­tologischen Frage nach den allgemeinen Verursachungsfaktoren von Sprachwandel wird. Paul bezeichnet sie dementsprechend als eine Frage der «Prinzipienlehre». Denn die Frage, die sich überhaupt nur beantworten läßt, heißt: «Wie war die Entstehung der Sprache möglich?» (PAUL, Prin:;:jpien:35) . Obwohl Paul die Suche nach der Ursprache als illusorisch bewertet, behält er dennoch die grundsätzliche Idee eines wurzelhaften Ur­sprunges bei, den er in der Zweiseitigkeit des Zeichens (Laut und Bedeutung) verortet. Da diese Bindung der beiden Seiten keinem Kausalzusammenhang gehorcht und des­halb Laut- und Bedeutungsverschiebungen ermöglicht, ist sie die Wurzel des Sprach­wandels: <<Die uranfängliche Zusammenknüpfung von Laut und Bedeutung . . . (können] wir als Urschöpfung bezeichnen . . . Mit dieser hat natürlich die Sprachentwicklung begon­nen, und alle anderen Vorgänge sind erst möglich geworden auf Grund dessen, was die Urschöpfung hervorgebracht hat.» (PAUL, Prin:{ipien:35) .

Fassen wir zusammen, so sehen wir, daß die Junggrammatiker thematisch zwar dem Paradigma der Sprachentwicklung zuzuordnen sind, andererseits lösen sie sich bereits deut­lich vom evolutorischen Differenzierungsgedanken. An der «Wurzeb> des Strukturalis­mus stehen sie ideengeschichtlich mit der Rückkehr zur Zweiseitigkeit des Zeichens, wissenschaftsgeschichtlich dadurch, daß die ausschlaggebenden frühen Strukturalisten des 20. Jahrhunderts wie Saus sure, Meillet, Boas und Bloomfield in ihrem Studium durch die junggrammatische Schule gegangen sind.

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Raster im Zeichen von «Werte system» und Abstraktion

Es giebt Wendungen und Würfe des Geistes, es giebt Sentenzen, eine kleine handvoll Worte, in denen eine ganze Cultur, eine ganze Gesellschaft sich plötzlich kry­stallisiert. (NIETZSCHE, Jenseits von Gut und Böse)

Mit dem Herannahen des 20. Jahrhunderts erweist sich das Paradigma von EntJvickfung und Natur, das die Sprachwissenschaft im 19 . Jahrhundert dominiert und zu einer Blüte der indogermanischen Komparatistik geführt hat, zunehmend ausgeschöpft, und es zeichnet sich allmählich ein Wechsel der Vorzeichen ab. Die Junggrammatiker bringen trotz ihrer positivitischen Ausrichtung (Mechanizität und Ausnahmslosigkeit der Laut­entwicklung) wieder den psychischen Faktor der Sprache ins Spiel. Daneben existiert ungebrochen, wenn auch ein wenig im Windschatten der Komparatistik, die Fortset­zung der Humboldtschen Tradition, die stets den Zusammenhang von Sprache und <Nolksgeisb> (bzw. <Nölkerpsychologie») betont und sich einem <<II1echanischem> Positi­vismus verweigert hat. Darüber hinaus wird in den 80er Jahren des 1 9 . Jahrhunderts bereits von Whitney und Schuchardt der soziale Charakter der Sprache hervorgehoben und Sprache als kommunikativer Austausch verstanden. Die Ausgeschöpftheit des komparatistischen Paradigmas zeigt sich also vor allem in der wachsenden Ablehnung eines naturwissenschaftlich-technischen Positivismus und im Perspektivenwechsel von der <<Sprache als vergleichbarer historischer Substanz» hin zur « Sprache als sozial­funktionalem Gebilde», welcher schließlich in die abstrakte Sichtweise der <<Sprache als synchronem System sich wechselseitig bestimmender Werte» münden wird.

Mit dem Perspektivenwandel hin zur Systemhaftigkeit der Sprache und zur Abstrak­tion von historischer Realität findet sich die Sprachwissenschaft nicht alleine. In anderen Disziplinen lassen sich signifikante Analogien ausmachen, so in der volkswirtschaftli­chen Theorie von Marx, die Ökonomie auf der Basis eines Tauschwertsystems erklärt, und in der bildenden Kunst, die auf eine Abstraktion vom Gegenstand hinarbeitet (5 .2) .

Bildgeschichtlich wird im Zuge dieses Umschwunges das Leitbild des organisch ge­wachsenen Stammbaumes, also die Arboreszenz (Ausdruck) als Darstellung historischer Entwicklung/Genealogie (Inhalt), abgelöst vom Raster. Als leitbildhafter Ausdruck ist das Raster nicht neu (cf. 3 .9-3 . 1 3) . Neu ist aber seine inhaltliche Ausdeutung - dient es doch nun zur Darstellung der systemhaften oppositionellen Konstitutionen sprachlicher Werte auf verschiedenen Ebenen. Die Varianten dieser Bildinterpretation werden wir bei je einem « klassischem> Vertreter der europäischen strukturalistischen Schulen Genf, Prag und Kopenhagen verfolgen ' .

1 Verwiesen sei an dieser Stelle auch auf die guiIIaurnistische Schule, die zeitgleich ebenfalls mit <<Rasterru> zur Darstellung von Sprache arbeitet. Cf. z.B. GUILLAUME, TV9, 29; AT:37; 1 964: 1 22, 269 zur Chronogenese; GUILLAUME 1 964: 1 47 zum cinetisme des Artikels; oder POT­TIER 1 974: 1 06-56 zu den Relationen im grammatischen System. Die guillaumistischen <<Ras teD> stellen allerdings in mehrerlei Hinsicht einen Sonderfall gegenüber dem mainstream des Struktura­lismus dar (Gründe für uns, sie hier nicht ausführlich zu behandeln): Sie konstituieren sich weit-

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5.1 Jenseits der junggrammatischen Schnittstelle: Whitney und Gabelentz

Bevor wir auf die fachfremden Inspirationen eingehen, die die Sprachwissenschaft ver­mutlich in ihrem Konzeptions- und Bilderwechsel bestärkt haben, werfen wir zunächst einen Blick auf die Anfange des neuen Paradigmas in der Sprachwissenschaft selbst, exemplarisch illustriert an Gabelentz und Whitney.

5.1.1 Whitney: «life of language» zwischen individueller Variation und sozialer

Konvention, «organic structure» als soziales Produkt und Wertesystem

Daß Whitney in unserem Text nach den Junggrammatikern erscheint, ist nicht unge­wöhnlich, da er gemeinhin als einer der Wegbereiter des Strukturalismus gilt, der u.a. auch von Saussure rezipiert wird. Mit der Chronologie verhält es sich freilich genau um­gekehrt: Whitneys Hauptwerke erscheinen in den 60er und 70er Jahren des 1 9 . Jahrhun­derts, also vor bzw. sich knapp überschneidend mit den Morphologischen Untersuchungen von Osthoff und Brugmann (1 878) . Eines von vielen Beispielen für die chronologische Überschneidung sprachwissenschaftlicher Paradigmen.

Die Überschneidung ist j edoch nicht nur eine chronologische. Auch inhaltlich befaßt sich Whitney über weite Strecken mit den seinerzeit noch dominierenden Inhalten des komparatistisch-genealogischen Paradigmas (WHITNEY 1 867:249-87; 1 875: 1 79 2 12, 228-56) und versucht, sie auf nicht-indogermanische, z .B. indianische Sprachen zu übertragen (WHITNEY 1 867:346-50) . In diesem Zusammenhang erscheint selbstver­ständlich die traditionelle komparatistische Wurzel-Metaphorik und die an den genealo­gischen Stammbaum gekoppelten Metaphern von Sprachzweigen und Sprachfamilien, auf die wir hier nicht mehr näher eingehen müssen. Bei aller Anerkennung der komparatisti­schen Leistungen versieht Whitneys aber sowohl die arboreszente genealogische }Classi­fikation wie auch das damit verbundene Stufenmodell mit Fragezeichen. Fußt das Stammbaummodell doch auf der Annahme, daß morphologische Ähnlichkeiten zwi­schen Sprachen eine genealogische Verwandtschaft beweisen. Diesen Nexus hält Whit­ney j edoch für keineswegs zwingend: « . • • the value of morphological accordances as evidence of genetic connection has hitherto been repeatedly overrated . . . » (ib. :358) . Da­rüberhinaus geht mit dem genealogischen Modell, wie wir gesehen haben, unweigerlich eine Ausrichtung auf die Diversifiiierung der «SprachorganismeID> einher - Assirnilations­faktoren (SprachmischuniJ wie die sozial-kommunikative Komponente von Sprache wer­den vernachlässigt. Gerade diese will Whitney j edoch betont wissen: « . . . that same ne­cessity of mutual understanding which makes and preserves the identity of language throughout a community has power also to bring forth identity out of diversity.» (ib. : 1 60) ; « . . . wherever civilization is at work . . . out of the Babel of discordant dialects are growing languages of wider and constantly extending unity.» (WHITNEY 1 875 : 1 76) .

gehend vektoriell und nicht-flächig und sie stellen psychomechanische Einteilungen und Prozesse dar, die als Repräsentationssystem der Weft (cf. z .B. POTTIER 1 963: l Os.) , nicht als abstraktes System gesehen werden. Cf. auch WILMET 1 972, ]OLY 1 988, WUNDERLI 1 973.

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Sprachmischung in Form von Entlehnungen oder einer großflächigen Überlagerung von Straten ist für Whitney ein vollkommen natürlicher Prozeß der Sprachentwicklung, weil er im Einklang steht mit den prozessualen Gesetzen des Spracherwerbs überhaupt (WHITNEY 1 88 1 , 1 875:271 s .) . Das Argument der Mischung macht Whitney ebenso ge­gen das Drei-Stufen-Modell geltend. Zwar sei das Modell im großen und ganzen durch­aus brauchbar, gleichwohl übersehe es, daß die Wortbildungsmuster einer bestimmten Sprache in der Regel sowohl Isolation als auch Agglutination bzw. Flexion nutzten:

. . . [the scheme of division between three orders] faithfully represents, in the main, three successive stages in the his tory of language, three ascending grades of linguistic develop­ment. But its value must not be overrated, nor its defects passed without notice. In the fIrst place, it does not inelude all the possible and actually realized varieties in the mode of formation of words. (WHITNEY 1 867:360, cf. ib. :358s . , 1 875:277)

Aus der Bildkritik Whitneys an Arboreszenz- und Stufenmodell läßt sich bereits ablesen, daß sein eigener Entwurf über eine Sprachgenealogie hinausgehen will. Sprachwissen­schaft brauche zwar die Komparatistik, müsse sich nun aber auch an die nächste Ab­straktionsstufe der general laws of linguistic life heranwagen.

Comparative philology and linguistic science, we may say, are two sides of the same study: the former deals primarily with the individual facts of a certain body of languages, elassi­fying them, tracing out their relations . . . the latter makes the laws and general principles of speech its main subject, and uses particular facts rather as illustrations. The one is the working phase, the other the regulative and critical and teaching phase of the science. (WHITNEY 1 875:3 15)

Wenn von speech im Sinne von 'Sprache' die Rede ist, so zeigt dies schon, daß Whitneys Begriff von Sprache und Sprachleben sich grundlegend von dem der Komparatisten unterscheidet. Wo Schleicher ein genealogisches, vom Menschen unabhängiges Sprachle­ben sieht, die Junggrammatiker den Sprecher lediglich als Ort einer psychologischen und physiologischen Mechanizität einbeziehen, geht Whitney bereits sehr viel weiter, wenn er Sprachleben in den Zusammenhang von Denken2, Spracherwerb, Kommunikation, Tradition und Kultur stellt. Sprachleben ist damit nicht mehr biologistisch oder mechani­stisch definiert, sondern als Prozeß zwischen Individuum und Gesellschaft3 .

. . . the individual learns his language, obtaining the spoken signs of which it is made up by imitation from the lips of others, and shaping his conceptions in accordance with them. It is thus that every existing language is maintained in life . . . (WHITNEY 1 875 :32)

A language is living, when it is the instrument of thought of a whole people, the wonted means of expression of all their feelings, experiences, opinions, reasonings; when the connection between it and their mental activity is so elose that the one reflects the other,

2 In diesem Zusammenhang wird auch die innere Sprachform (WHITNEY 1 875:22) zitiert, ob­wohl Humboldt sonst kaum erwähnt wird (Ausnahmen: WHITNEY 1 867:5, 367) .

3 Von Zeitgenossen wurde dies prompt mißverstanden als Behauptung, «die Macht des Ein­zelnem) könne Sprache verändern; cf. die Rezension von SCHERER 1 875 : 1 1 0 zur deutschen Ausgabe von WHITNEY 1 867 (ed. J. Jolly, München 1 874) .

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and that the two grow together, the instrument ever adapting itself t o the uses which i t is to subserve. (WHITNEY 1 867:32)

Wie schon die Titelgebung Lift and Growth of Language nahelegt, wird also Sprachleben nach wie vor als historischer Entwicklungs- und Anpassungsprozeß verstanden - jedoch nicht mehr ausschließlich als Differenzierungsprozeß von einem Zentrum aus (wie bei Schleicher), sondern als ein dialektischer Prozeß zwischen individueller Neuerung (Va­riation) und sozialer Akzeptanz (Konvention) - eine Konzeption, die trotz Whitneys Ablehnung naturwissenschaftlicher Vorbilder (WHITNEY 1 867:48s. , 53, 238) durchaus an Darwin gemahnt.

A process of linguistic growth, then, is only the collective effect, in a given direction, of the acts of a number of separate individuals, guided by preferences, and controlled by the assent, of the community of which those individuals form a part. And upon the joint and reciprocal action on language of the individual and the community depend all the phe­nomena of dialectic separation and coalescence. (WHITNEY 1 867 : 1 54; cf. ib. :48)

In dieser Konzeption des Sprachwandels mittels Variation und Konvention (die bei Saussure als Wechselspiel von parole und langue wiederkehren wird) liegt bereits der Keim für eine Konzeption von Sprache als synchrones System. Variationen werden nämlich nicht nur von den sprechenden Individuen hervorgebracht, wo sie bei entsprechender Häufung und Akzeptanz diachron zu einer Veränderung der sprachlichen Konventionen führen können. Variationen sieht Whitney ebenso synchron in den diastratischen, diapha­sischen und diatopischen Subsystemen (Varietäten), die gleichwohl einer gemeinsamen Sprache angehören:

We must be careful not to overrate the uniforrnity of existing languages . . . In a true and defensible sense, every individual speaks a language different from every other . . . every separate part of a great country of one speech has its local form . . . Every dass . . . has its dialectic differences . . . each trade, calling, profession, department of study, has its techni­cal vocabulary . . . there are differences in grade of education . . . Finally there are differ­ences of age . . .

And yet, despite all these varieties, the language is one; and one for the simple reason that, though the various individuals who speak it may talk so as to be unintelligible to one another, they may aiso, on matters of the most farniliar common interest, understand one another. As the direct object of language is communication, the possibility of communi­cation makes the unity of a language. (WHITNEY 1 875 : 1 54-57)

Unity of a language wird von Whitney entsprechend seiner Bildkritik am Arboreszenzmo­deli nicht als Knotenpunkt einer Hierarchie gedacht, sondern als Produkt eines kommu­nikativen Wechselspieles variationeller Differenzen - was bei Saus sure abstrakter als Wechselpiel von identiti und diffrrence im systeme de valeurs wiederkehren wird4. Von daher muß Whitney dem strukturalistischen Paradigma zugerechnet werden, auch wenn er noch nicht (wie später Saussure und Hjelmslev) das Raster als Bild des synchronen Wer­tesystems und als visuelles «Gegenmodell» zur genealogischen Arboreszenz verwendet. Überhaupt könnte man Whitneys Texte im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Tex-

4 Cf. NOR1VlANO 2004, OE MAURO 1 973 :1 86-89 und NERLICH 1 990:73.

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ten geradezu als metaphorische Diaspora bezeichnen: Metaphern und (sprachlich oder graphisch umgesetzte) Bilder finden sich ausgesprochen selten - trotzdem scheinen seine Überlegungen den Bilderwechsel mit vorzubereiten.

Dafür spricht auch, daß er der O'2;anismus-Metapher, der wir schon häufig begegnet sind, einen neuen Stempel aufdrückt. Sprache ist für Whitney kein Organismus im Sinne eines autonom entwickelnden <<Lebens» (WHI1NEY 1 867:35) , sondern im Sinne der ge­gliederten Struktur (o'2;anic structure) , des Systems von sich wechselseitig bedingenden Ele­menten:

This . . . is what is meant by the phrases «organic growth, organic developmeno>, as applied to language. A language, Iike an organic body, is no mere aggregate of similar particles; it is a complex of related and mutually helpful parts. (WHITNEY 1 867:46)

A language is, in very truth, a grand system, of a highly complicated and symmetrical structure; it is fitly comparable with an organized body . . . The unity and symmetry of the system is the unconscious product of the efforts of the human mind . . . (ib. :50)

Die Symmetrie, die uns schon bei Haeckels Kristallseelen als zentrales Gliederungsprinzip begegnet ist, taucht auch hier wieder auf. Whitney scheint damit auf eine symmetrische Korrelation zwischen Ausdrucksebene (signs, speech) und Inhaltsebene (conceptions, thoughf) zu verweisen, was mit seiner Arbitrarietätstheorie harmoniert. Insgesamt bleibt aber unklar, welche formale Struktur man sich hier genau vorzustellen hat.

Deutlich ist dagegen, daß Whitney die Sprache als «system of arbitrary signs for thoughts» (ib. :41 0) wesentlich als Produkt quasi ökonomisch-demokratischer Prozesse konstituiert sieht. Sprache ist das Produkt von Mehrheitskonventionen, die über Aus­tauschprozesse zustandekommen .

. . . language as an institution . . . a body of conventional signs, deriving their value from the mutual understanding of one man with another . . . (WHITNEY 1 867:400)

The speakers of language thus constitute a republic, or rather, a democracy, in which au­thority is conferred only by general suffrage and for due cause, and is exercised under constant supervision and contro!. (ib. :38)

So vorsichtig, ja ablehnend Whitney insgesamt mit Metaphern umgeht (cf. WHI1NEY 1 867:35 und unten) , stößt man doch immer wieder auf eine Metaphorik sozialer und wirtschaftlicher Prozesse, die man in Texten der «biologistischen» oder der Humboldtia­nischen Sprach theorie in dieser Form nicht antreffen wird:

Language . . . has its value and currency only by the agreement of speakers and hearers. (WHITNEY 1 867:35)

It �anguagel is not a faculty, a capacity; it is not an immediate exertion of the thinking power; it is a mediate product and an instrumentality. (WHITNEY 1 875 :278)

. . . slower or more rapid, the production of language is a continous process; it varies in rate and kind with the circumstances and habits of the speaking community . . .

What term we shall apply to the process and its result is a matter of very inferior con­sequence. Invention, fabrication, devisal, production, generation - all these are terms which have their favorers and also their violent opposers. Provided we und erstand what

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the thing in reality is, we need care little about the phraseology used in caracterizing i t . . . every language in the gross i s an institution, on which scores o r hundreds of generations and unnumbered thousands of individual workers have labored. (ib. :308s.)

Fassen wir die für unsere Problematik relevanten Ansätze Whitneys zusammen. Seine Kritik am Stammbaum- und Stufenmodell, seine Reinterpretation des Sprachlebens zum 'sozialen Prozeß', sein Verständnis von 01J!,anismus als 'gegliederter Struktur' im Sinne eines institutionalisierten Wertesystems weisen seine Nähe zum strukturalistischen Para­digma aus . Die Abstraktion von der konkreten Rede, wie sie Saussure später aus metho­dologischen Gründen fordert (langue als systeme de valeurs vs. parole) liegt bei Whitney je­doch noch nicht vor. Teils in sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen, teils in biologi­stischen Begrifflichkeiten sieht er Sprache als Anonymisierungsprozeß von individuellen Variationen hin zu sozialen Konventionen bzw. sprachlichen Werten, deren genaue Herkunft sich im komplexen, marktgleichen Gefüge von Innovation (bzw. Angebot) und Akzeptanz (bzw. Nachfrage) verliert. <<Austausch» wird dabei vorrangig noch als kommunikativer Austausch (mutual understandiniJ verstanden, weniger als abstrakte Wer­te differenzierung über positionalen Austausch (mutual helpful parts; im späteren Struktura­lismus: Kommutation) . Jedoch ändern weder die Betonung der kommunikativen Konstitu­tion von Sprache noch der Umstand, daß Whitney sprachliche Metaphorik und visuelle Bilder meidet, etwas daran, daß seine Sprachtheorie den Bilderwechsel von der genealo­gischen Arboreszenz zum strukturalistischen Raster des Wertesystems vorbereitet, wie wir es bei Gabelentz, Saussure und Hjelmslev im Zusammenhang von paradigmatischer Austauschbarkeit von Elementen oder der Parallelisierung von verschiedensprachigen Lexemen für Farbwerte fInden werden.

5.1.2 Gabelentz: «organisches System» und «Entwicklungsspirale»

Anders als Whitneys Schriften ist Gabelentz' erstmals 1 891 erschienene Sprachwissenschaft von einer ausgesprochenen Freude an der zeitgemäßen Metaphorik geprägt. Das er­schwert uns die Arbeit, denn nicht jede Metapher ist bei Gabelentz ein Hinweis darauf, daß er auch den an die Metapher gekoppelten sprachwissenschaftlichen Hintergrund transportieren will. Dies zeigt sich u.a. dort, wo er Metaphern wie den Stammbaum (GABELENTZ, SprW: 1 45) oder den Kampf ums Dasein (ib. : 1 7, 259ss .) relativ breit dar­stellt. Dies, obwohl er mit den zugrundeliegenden Modellen Darwins bzw. Schleichers wegen deren Materialismus ganz und gar nicht einverstanden ist, ebensowenig wie mit der Einreihung der Sprachwissenschaft in die Naturwissenschaften:

Eine seltsame Einseitigkeit war es, die Sprachwissenschaft den Naturwissenschaften ein­reihen zu wollen. Einem platten Materialismus, wie er noch vor wenigen Jahrzehnten un­reife Köpfe verwirrte, ist freilich nicht einzureden, dass nicht alle Wissenschaft Naturwis­senschaft sei; und als nun vollends Char/es Danvin mit seiner epochemachenden Theorie hervortrat, da streckte ihm selbst ein ernsthafter Linguist wie August Schleicher die Bruder­hand entgegen . . . Wer freilich in der Sprache nichts besseres sieht, als todte Lautgebilde, Cadaver, die man auf dem Seciertische zerlegt und zerstückelt, der muss sich wohl zum Anatomen verwandtschaftlich hingezogen fühlen. Aber . . . man kann jahrelang Wörter

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und Wortformen zerlegen, ohne vom Wesen der Sprache eine Ahnung z u erlangen. Die Sprache lebt, und nur im Leben lernt man Lebendes verstehen. (GABELENTZ, SprW:1 5)

Trotz der Distanz zur Naturwissenschaft und zum «anatomischen Sezieren» (cf. ib. :389s. und oben zu Schlegel und Bopp) , finden wir bei Gabelentz nach wie vor die Metapher des Sprachlebens, die historisch untrennbar verwoben ist mit der komparatistisch­biologistischen Organismus- und Stammbaumidee. Aber auch hier ist Vorsicht geboten, denn Gabelentz versteht die Metapher des Sprachlebens nicht im biologistischen Sinne, sondern in Anlehnung an Humboldt5: Sprache lebt nicht «an und für siel})), sondern durch das Gesprochen-Werden in einer Sprechergemeinschaft (ib. :8) .

Solches Verständnis vom Sprachleben läßt sich freilich nicht mit der Lautforschung der Junggrammatiker in Einklang bringen. Das Wesen der Sprache kann «nicht, oder doch nicht allein in der Art ihrer mechanischen (physiologischen) Hervorbringung und ihrer akustischen Wirkung bestehen, sondern die Gliederung [der Sprache] muß in Rücksicht auf einen Zweck gedacht werden, durch den sie zur menschlichen Artikula­tion gestempelt wird. (GABELENTZ, SprW:5s . ; cf. ib. :304) . Dementsprechend skeptisch beurteilt Gabelentz die junggrammatische Forderung nach der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze. Dieses Manko der Junggrammatik scheint ihm aber durch die von ihr selbst als Korrektiv (wieder) eingeführte psychisch bedingte Analogie weitgehend wett-gemacht6: « . . . die Sprachgeschichte ist nur zum Theile aus lautmechanischen Vorgängen zu erklären . . . so musste man für den unerklärlichen Rest eine fremde, nicht lautmecha-nische Macht verantwortlich machen, und diese konnte nur seelischer Art sein. Es schien, als wäre das Prinzip der Analogie auf einem weiten Umwege ein zweites Mal entdeckt, das grosse Gesetz der lebendigen Sprache.» (ib. : 1 37) .

Entsprechend der Ablehnung einer positivistischen Sezierung bzw. Mechanisierung der Sprachentwicklung, betont Gabelentz wie Schuchardt und Whitney das Faktum der Sprachmischung, der er ein eigenes Kapitel einräumt (GABELENTZ, SprW:1 38, 1 41 , 259-83) . Der Stammbaumtheorie Schleichers und der Wellentheorie Schmidts zollt er Re­spekt (GABELENTZ, SprW:1 63-65) . Sprachmischung, Sprachspaltung und geographisch­historisch sich wellenhaft ausbreitende Sprache gehören für ihn jedoch allesamt der Ab­teilung «äußere Sprachgeschichte» an, wie sie im 1 9 . Jahrhundert dominiert habe.

Die wahre Originalität Gabelentz' zeigt sich, wo er über diese etablierten Entwick­lungsmodelle hinausgeht und als Pendant zur «äußeren Sprachgeschichte» und als logi­sche Konsequenz aus der psychisch-sozialen Seite der Sprache eine «innere Sprachge­schichte» fordert. Darunter hat man sich diejenigen Phänomene des Sprachwandels vor­zustellen, die nicht auf äußere Ursachen wie geographische Veränderungen zurückzu­führen sind, sondern auf das Sprachgefühl der Sprecher, das « Gefühl, vermöge dessen wir das Fehlerhafte empfinden und verwerfen . . . das sprachliche Gewissen» (ib. :258) . Wie das moralische Gewissen in der Dialektik von Verbot und Erlaubnis besteht, besteht nach Gabelentz das sprachliche Gewissen in der Dialektik von Isolation (Deutlichkeit) und

5 Zu Gabelentz' Anlehnung an Humboldt cE. GABELENTZ, SprW:3, 5s. (Sprache als Gliede­rung des Gedankens durch Laute), ib. : 8 1 , 327-37 (innere Sprachform), ib. :387s. , 393s . , 476 (Sprache und Volksgeist), ib. : 148-5 1 , 479 (Sprachbau und Sprachverwandtschaft) .

6 Zur Analogie cf. auch GABELENTZ, SprW:209-14. Weiterhin stimmt Gabelentz mit den Junggrammatikern punktuell in der Bevorzugung der Satzbau-Untersuchung (ib. : 81 ) und der (teilweisen) Zulässigkeit der introspektiven Methode überein (ib. :82, 92) .

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Agglutination (Verschleifung) . Der Entwicklungsverlauf der Sprache wird abwechselnd mal von diesem, mal von jenem Pol beeinflußt, so daß ihre Fortbewegung einer Spirale gleicht:

Nun bewegt sich die Geschichte der Sprachen in der Diagonale zweier Kräfte: des Be­quemlichkeitstriebes, der zur Abnutzung der Laute führt, und des Deutlichkeitstriebes, der j ene Abnutzung nicht zur Zerstörung der Sprache ausarten lässt. Die Affixe verschlei­fen sich, verschwinden am Ende spurlos; ihre Functionen aber oder ähnliche bleiben und drängen wieder nach Ausdruck. Diesen Ausdruck erhalten sie, nach der Methode der iso­lierenden Sprachen, durch Wortstellung oder verdeutlichende Wörter. Letztere unterlie­gen wiederum mit der Zeit dem Agglutinationsprozesse . . . immer gilt das Gleiche: die Entwicklungslinie krümmt sich zurück nach der Seite der Isolation, nicht in die alte Bahn, sondern in eine annähernd parallele. Darum vergleiche ich sie der Spirale. (GABELENTZ, SprW:256)

Die spürbare Anlehnung an Humboldts Sprach typologie führt Gabelentz auch dazu, j enseits der genealogischen Sprachwissenschaft wieder nach einer «einzel sprachlichen Forschung» Ausschau zu halten, die sich mit dem «Bau» einer Einzelsprache befaßt (cf. ib. :48 1 , 1 49s . zur Sprachphysiognomie) . Abermals taucht in diesem Zusammenhang die vertraute Metapher des Organismus auf, nun erneut als Bezeichnung eines Ganzen, das auf der Wechselwirkung seiner Teile beruht - begrifflich neu gefaßt unter dem Begriff des Systems (cf. auch HAßLER 1 99 1 : 1 36s.) . Wie der Organismus bei Kant oder Schleicher transportiert das System nach wie vor das Prinzip der inneren Kausalität ('von sich selbst Ursache und Wirkung') , mit dem Unterschied, das diese Kausalität wie bei Whitney nun weniger als eine Entwicklungs- denn als eine Gleichgewichtskausalität gedacht wird:

Die Sprache ist ebensowenig eine Sammlung von Wörtern und Formen, wie der organi­sche Körper eine Sammlung von Gliedern und Organen ist. Beide sind in j eder Phase ih­res Lebens (relativ) vollkommene Systeme, nur von sich selbst abhängig; alle ihre Theile stehen in Wechselwirkung und j ede ihrer Lebensäusserungen entspringt aus dieser Wech­selwirkung. (GABELENTZ, SprW:8s.)

Jede Sprache ist ein System, dessen sämmtliche Theile organisch zusammenhängen und zusammenwirken. Man ahnt, keiner dieser Theile dürfte fehlen oder anders sein, ohne dass das Ganze verändert würde. (ib. :481)

Im Gegensatz zu Whitney wird jedoch in Gabelentz' Ausführungen zur Grammatik recht klar, wie er sich die Ordnung eines solchen synchronen Systems vorstellt. Im Rückblick auf die Leistungen der grammatischen Beschreibung, die oftmals und «ideal­erweise» in tabellarischer Form erfolge (cf. seine Tabellen zu Personalpronomina und Zahlwörtern in verschiedenen Sprachen, ib. : 1 6 1 , 1 63) , hält Gabelentz dieses Ordnungs­prinzip für grundlegend für das grammatische Wissen des Sprechers überhaupt. Dem Verständnis einer linearen Wortkette (Rede) muß ein kombinatorischer «Bauplan» zug­rundeliegen, der eine Analyse der Kette in bedeutungstragende Teile ermöglicht. Das sprachliche Wissen muß demzufolge tabellarisch gegliedert sein, entlang einer syntheti­schen (horizontalen) und einer analytischen (vertikalen) Achse:

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Als Darstellungsmittel ist sie [die Sprache] fortlaufende Rede, und der Lauf der Rede ist bekanntlich geradlinig, also ein Vor und Nach, kein Links und Rechts, kein Oben und Unten. Als Darstellungsgegenstand ist die Sprache Vermögen, und für dieses Vermögen wäre der ideale graphische Ausdruck zweidimensional, tabellarisch, sodass man von je­dem Punkte aus zwei Reihen überschauen könnte . . .

Diese tabellarische Form einer ganzen Grammatik ist ideal, wird wohl auch aus sehr äusserlichen Gründen ewig ideal bleiben. In unserem Geiste aber ist sie vorhanden . . . So ergeben sich zwei einander nothwendig ergänzende grammatische Systeme: das eine nen­ne ich das analytische, weil in ihm die Spracherscheinungen durch Zerlegung erklärt wer­den; das andere nenne ich das synthetische, weil es lehrt, die grammatischen Mittel zum Aufbaue der Rede zu verwerthen. (GABELENTZ, SprW:85)

Saussures Achsenkreuz von Syntagrnatik und Paradigmatik (5 .3) ist hier bereits vorweg­genommen. Allerdings führt Gabelentz seinen Entwurf nicht unmittelbar graphisch aus, wie Saus sure dies später tun wird. Das Muster der Tabelle bzw. des Achsenkreuzes oder Rasters läßt sich aber an seinen Beispielen zum synthetischen System erkennen (ib. :95 ,1 01 ) :

Em FIxstern hat . . . . } Jeder FIXstern hat . . . . (DIe) FIXsterne 1- haben eIgenes Licht u.s .w. Alle FIXsterne J FIxsterne haben msgesamt

:es ) 1 sem

thun wIe?

Die Tabellenachsen verbergen sich hinter den Klammern und der Parallelität der Satz­teile und sind leicht in eine tabellarische Rasterform zu überführen, z.B. so:

analyti- Ein

}

} 0

}

sehes Jeder Fixstern } h" System Die eigenes Licht . . .

Alle Fixsterne haben 0 insgesamt

m! e D hetzs hes System

Nach dem Muster, das durch die Achsen von analytischem und synthetischem System vorgegebenen wird, schlägt Gabelentz bereits eine Beschreibung der Laute vor:

Es giebt in der Sprache Dinge, bei denen der analytische und der synthetische Gesichts­punkt völlig zusammenfallen: die letzten stofflichen Elemente, die Laute, sind wohl durch Analyse zu entdecken, aber sie sind nicht weiter zu analysieren, - wenigstens nicht vom Grammatiker. Und andererseits finden sie sich . . . in der Synthese, d.h. im Zustande der Zusammensetzung vor . . . Mindestens also hat die Lehre vom Lautbefunde den beiden Systemen vorauszugehen. Unter dieser Lehre verstehe ich die systematische Aufzählung und Beschreibung der Laute und die Angabe, an welchen Stellen und in welchen Verbin­dungen sie erscheinen dürfen . . . (GABELENTZ, SprW:87)

Aus dieser Skizze einer Phonologie (Lehre vom Lautbefunde) geht zweierlei hervor. Einer­seits scheint Gabelentz bereits eine «Kommutationsprobe» vorzuschweben, die den

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Laut als kleinstes bedeutungsunterscheidendes Element analYsiert (wie z.B. im Minimal­paar Mutter:Butter) : « durch Analyse zu entdecken, aber nicht weiter zu analysieren». Die­ses Verfahren folgt der analytischen/paradigmatischen Achse und ihrem Austauschcha­rakter. Andererseits denkt er auch eine Distributionsanalyse entlang der synthetischen Achse an: <<An welchen Stellen und in welchen Verbindungem> erscheint ein bestimmter Laut? Beide Verfahren werden von verschiedenen strukturalistischen Schulen später ausgearbeitet: von der Prager Phonologie und vom amerikanischen Distributionalismus.

Die Idee, daß ein Wort in seine paradigmatischen Bestandteile zerlegbar ist, ist frei­lich keine originäre Erfindung von Gabelentz. Seit eh und je gehört sie zum grammati­schen Handwerk (man denke z.B. an Deklinationstabellen), und auch in der Komparati­stik erscheint sie im Zusammenhang von Wortwurzel und Verbstamm «<Basismorpherm» und dessen Konjugationsmorphemen (in diesem Sinne ist die Wurzel-Metaphorik auch bei GABELENTZ, SprW:87, 1 95-97 zu finden) . « NeID> an Gabelentz' Darstellung ist aller­dings, daß die Verbindung paradigmatischer Elemente nicht wie bei den Komparatisten als «organische Entwicklung» im Rahmen einer Sprachgenealogie gesehen wird, sondern als für eine Einzelsprache charakteristisches, systematisches Wechselspiel von Analytizi­tät und Kombinatorik. Auch wenn die Wurzel- und Organismus-Metaphorik bei Gabe­lentz weiterhin zu finden ist, so rückt er sie doch allmählich in einen neuen Kontext: nämlich in einen, wo nicht mehr der genealogische Baum vieler Sprachen (und damit die Historie) das Leitbild darstellt, sondern das synchrone systemhafte Raster von Syntagmatik und Paradigmatik einer Sprache.

Diese synchrone Ordnung sieht Gabelentz, ganz in Humboldtscher Tradition, gehal­ten vom Sprachgeist, nicht von etymologischen bzw. genealogischen Bedingungen:

Aus dem Begriffe des analytischen Systemes folgt, dass gleichartige Erscheinungen zu­sammengeordnet werden müssen. Was aber als gleichartig zu gelten habe, darüber ent­scheidet nicht die Vorgeschichte, die Etymologie, sondern der jeweils wirkende Sprach­geist. Dieser wird wohl in den meisten Fällen mit der Etymologie übereinstimmen, aber er thut dies nicht immer. (GABELENTZ, SprW:90)

Gabelentz unterscheidet damit bereits klar zwei Objekte der Sprachwissenschaft: den momentanen Sprachzustand « <jeweils wirkender Sprachgeisb» von der Sprachentwick­lung « <Etymologie»)" - eine Unterscheidung, die Saussure zum zeitlichen Achsenkreuz von Synchronie und Diachronie abstrahiert und die sich in der Folge determinierend für den Strukturalismus erweisen wird.

7 Ebenso trennt Gabelentz wissenschafts theoretisch zwischen <,einzelsprachlicher Wissen­schafo), « Sprachgenealogie» und «allgemeiner Sprachwissenschafb) (GABELENTZ, SprW: 1 2, 30, 1 39s.) . Auch in der Trennung von Sprachvermägen, Sprache und Rede (ib. :3-9, 3 17 -24) liegen weitere Parallelen zu Saussure, auf die wir hier nicht näher eingehen.

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5.2 Inspirationen für Sprache als «Werte system» und für die «Abstraktion» von der Historizität des Gegenstandes

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Wie wir am Beispiel von Whitney und Gabelentz sehen konnten, beginnt sich bereits vor dem Erscheinen der Junggrammatiker ein neues Paradigma abzuzeichnen, das sich nicht mehr der historischen Entwicklung, sondern der synchronen Gliederung von Sprache verpflichtet sieht - und zudem Sprache weder als Naturprodukt sieht (wie Schleicher) noch als Produkt einer bei allen Individuen identischen Physio- und Psy­chomechanik (Junggrammatiker) , sondern als ein soziales, i.e. über-individuelles Pro­dukt. Wie auch im vorangegangenen Kapitel kann man sich nun die Frage stellen, wel­che interdisziplinären Einflüsse hier eine unterstützende oder inspirierende Rolle ge­spielt haben könnten.

Anders als für den paradigmatischen Rahmen von Evolutionsbiologie und kompara­tistischer Sprachgenealogie des 1 9 . Jahrhunderts Endet man für das nachfolgende Para­digma allerdings kein wohlbeackertes Feld vor. Und das hat seinen guten Grund. Will man hieb- und stichfeste «Beweise» interdisziplinärer Zusammenhänge liefern, so ist der sicherste Weg, konkrete Einzelrezeptionen zwischen Vertretern verschiedener Diszipli­nen nachzuweisen. Im Falle von Schleicher und Darwin ist dies beispielsweise möglich. Solche Nachweise sind aber leider die Ausnahme. Und selbst wo sie möglich sind, er­scheint ihre Relevanz oftmals gering im Vergleich zu den über die Details einer direkten Rezeption hinausgehenden großformatigen Parallelen.

Im Falle des beginnenden Strukturalismus, wie er sich um die Wende vom 1 9 . zum 20. Jahrhundert abzeichnet, besteht noch weniger Aussicht, direkte interdisziplinäre Rezeptionen nachzuweisen. Dies ändert j edoch nichts daran, daß sich deutliche interdis­ziplinäre Korrelationen ausmachen lassen, die wir als Widerhall charakterisiert haben (1 . 1 .9) . Inwieweit solche Korrelationen unmittelbar als Impulse auf den einen oder an­deren Sprachwissenschafder gewirkt haben oder nicht, dürfte zwar kaum nachweisbar sein. Dennoch erscheinen die Parallelen deutlich genug, um sie als mögliche inspirative Momente für die Sprachwissenschaft, mindestens aber als manifeste Phänomene des gleichen «paradigmatischen Zeitgeistes» einzustufen. Es versteht sich, daß folgenden Beispiele nicht den Anspruch erheben, ein Inventar aller möglichen «Inspirationen» zu sein.

5.2.1 Mill, Marx und Durkheim: «Tauschwert», « relationales Wertesystem» und

«fait social» in Ökonomie und Soziologie des 19. Jahrhunderts

Die Charakterisierung von Sprache als so:;jales Produkt Enden wir bereits 1 867 bei Whit­ney (5 . 1 . 1 ) . Sie ist untrennbar verknüpft mit der Arbitrarietätstheorie, welche besagt, daß Ausdruck und Inhalt eines sprachlichen Zeichens nicht «vorgegebel1» sind, sondern allein auf Konventionen der Sprechergemeinschaft beruhen8• Diese Idee Endet sich bekanntlich schon bei Aristoteles, und für Ohren des 2 1 . Jh. klingt sie relativ banal. Wis-

8 Leider führt die hartnäckige Übersetzung von Arbitrarietiü mit «WillkürlichkeiD) hier immer wieder in die Irre, weil sie 'individuelle Willkür' statt richtig 'Konvention' suggeriert.

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senschaftsgeschichtlich bedeutet die Arbittarietätstheorie Ende des 1 9 . Jh. j edoch eine «neue» Basis für die Abgrenzung sprachlicher Elemente. Sprachliche Zeichen sind nicht mehr «göttliCID>, «volksgeistlicID> (Humboldt), sprachgeschichtlich (Schleicher) oder sprachphysiologisch Ounggrammatiker) prädeterminiert, sondern sie sind Produkt eines dialektischen Prozesses: Im kommunikativen Austausch etablieren oder verändern sich sprachliche Werte/Konventionen, zugleich setzt aber Kommunikation bereits die Exi­stenz von sprachlichen Konventionen (z .B. «Wörterru» voraus .

Das momentane System eines sprachlichen Konsens hat man sich wiederum, wie Gabelentz zeigt (5 . 1 .2) , als ein «grammatisches Wertesysterru> vorzustellen, das teilweise auf dem Prinzip des kommutativen Austausches fußt (z.B. wo sich durch Austausch Satztei­le abgrenzen lassen wie im obigen Beispiel <<Ein/Jeder Fixstern hat . . . ») . - Wie wir in diesem Kapitel noch sehen werden, führt gerade das Prinzip des kommutativen Austau­sches in der sttukturalistischen Sprachwissenschaft zu zahlreichen Rasterdarstellungen.

Wen Whitneys Vokabular von workers,fabrication, production schon hat aufhorchen las­sen, der wird angesichts der zenttalen Konzepte von (soiJalem) Produkt, Werl und Aus­tausch nicht zu unrecht vermuten, daß hier Parallelen zu ökonomischen Theorien vorlie­gen (cf. auch JAKOBSON 1 973:36s .) . Dieser Verdacht läßt sich chronologisch untermau­ern, wenn man bedenkt, daß schon Mill 1 848 in seinen Principles of Political Economy die Ökonomie als Teil einer umfassenderen social philosophy interpretiert, oder wenn man das im selben Jahr wie Whitneys Language erschienene Kapital von Marx (1 867) zur Hand nimmt.

Sowohl das ökonomische Modell von Mill wie das von Marx gehen von der Relativi­tät ökonomischer Werle aus . Bei beiden spielt der Gedanke des Tauschwerles eine ent­scheidende Rolle, auch wenn dessen Bedeutung im gesamtwirtschaftlichen System un­terschiedlich gewichtet wird. Während Marx' Kapital die Ausführungen zu Produktion, Ware, Geld und Austauschprozeß als Basis der Theorie an den Textanfang stellt, folgen sie in Mills Prinaples erst im 3. Buch, weil Mill den Wert und insbesondere den Tauschwert nicht als den zenttalen Punkt einer ökonomischen Theorie bettachtet (MILL, PPE:435s .) . Dies hängt damit zusammen, daß Mill nicht wie Marx die Determinanten des Wertesystems auf zwei (nämlich Tauschwert und Arbeitswert) reduziert, sondern ökonomische Wertekonstitution darstellt als multifaktoriellen Prozeß zwischen mehre­ren Subsystemen wie (1) dem Tauschwert der Waren, (2) den Produktionskosten (Ar­beitswert und Kapitalkosten, cf. MILL, PPE:451 ss .) , und (3) von Angebot und Nachfrage bzw. Wettbewerb (ib. :440-50) . Auch sieht Mill, anders als Marx, den Geldwert (preis) der Ware als abgekoppelt vom Tauschwert - weil der Preis durch Inflation in die Höhe schnellen könne, ohne daß dies sich dadurch das Werteverhältnis der Waren unterein­ander verändere (ib. :439) . Auch wenn wir hier nicht weiter auf die komplexe ökonomi­sche Theorie Mills eingehen können, so bleibt festzuhalten, daß Mill - nach Adam Smith - zu den frühen Vertretern der Theorie eines relativen Werle,rystems zählen kann, wie sie später auch das linguistisch-sttukturalistische Paradigma prägt.

Sehr deutlich lassen sich die Parallelen zwischen ökonomischer und linguistischer Theorie bei Marx erkennen (cf. JAY 1987s .) . Vielleicht deshalb, weil Marx ebenso wie z.B. Saussure (aber anders als Mill) seine Theorie endang von Dichotomien (wie «Kapi­tal vs . Arbeib» entwickelt. Das Kapital beginnt gleich im ersten Kapitel mit der Analyse des Verhältnisses von Ware und Geld sowie der Konstitution von Werten. Da dieser Textteil bereits in anderer Form 1 859 veröffentlicht worden war, kann man sagen, daß

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die Idee des Wertesystems offensichtlich in den 50er und 60er Jahren des 1 9 . Jahrhun­derts bereits in voller Ausarbeitung begriffen war.

Der volkswirtschaftliche Entwurf Marx' zeigt aber nicht nur hinsichtlich dieser all­gemeinen Idee, sondern auch im Einzelnen eklatante Übereinstimmungen mit Theore­men des neuen sprachwissenschaftlichen Paradigmas . So vermag z.B. Ware «menschli­che Bedürfnisse irgend einer ArD> zu befriedigen (MARX, Kapita/: 1 ) , wie die Sprache das Bedürfnis, Gedanken auszudrücken, in der parole befriedigt. Diese Eigenschaft der Ware ist j edoch nur ihre konkrete Seite. Daneben verfügt sie auch über die abstrakte Seite des Tauschwerte/ :

Eine gewisse Waare, ein Quarter Weizen z.B. tauscht sich mit x Stiefelwichse, oder mit y Seide, oder mit z Gold U.S.w . . . . [also] müssen x Stiefelwichse, y Seide, z Gold u.s .w. durcheinander ersetzbare oder einander gleich grosse Tauschwerthe sein. Es folgt daher . . . Die gültigen Tauschwerthe derselben Waare drücken ein Gleiches aus . . .

. . . es [ist] grade die Abstraktion von ihren Gebrauchswerthen, was das Austausch­verhältniss der Waaren augenscheinlich charakterisiert . . . Da existirt keine Verschieden­heit oder Unterscheidbarkeit zwischen Dingen von gleich großem Tauschwerth. (MARx, Kapital:3s.)

Erst innerhalb ihres Austausches erhalten die Atbeitsprodukte eine von ihrer sinnlich ver­schiednen Gebrauchsgegenständlichkeit getrennte, gesellschaftlich gleiche Werthgegen­ständlichkeit. (ib. :39)

Eine solche sozial-konventionelle Tauschwertbestimmung läßt sich dann in folgendem Schema illustrieren:

Allgemeine WerthJorm

1 Rock 10 Pfd. Thee 40 Pfd. Kaffee 1 Qrtr. Weizen 2 Unzen Gold

(MARX, Kapital:31 ) 10

20 Ellen Leinwand.

Damit ist im Grunde für die Volkswirtschaft beschrieben, was Whitney ein «aggregate of similar particles» , Gabelentz das analytische System der Sprache nennt, und was später schlicht Paradigmatik genannt werden wird: die Austauschbarkeit von Elementen wie

jeder und der in einer bestimmten Position, wie im Satz <<Jeder/Der Fixstern hat eigenes

9 Während Marx die Verbrauchs- und Tauschmöglichkeiten von Produkten/Ware hervor­hebt (MARX, Kapita/:68) , sieht Mill das Produkt vor allem als Möglichkeit, Mehrwert zu produ­zieren (MILL, PPE:49), und als Teil einer Produktions kette (z.B. Schmieden, Pflug, Pflügen, Säen, Ernten, Mahlen, Backen, Brot; MILL, PPE:29-39). Man kann also sagen, daß bei Mill eher der Enrwicklungsgedanke (sukzessive Produktion als Enrwicklung) vorherrscht als in Marx' « Koordinatensysterru> von Atbeit, Waren, Kapital.

1 0 Ob der Tauschwert in Ware oder Geld bestimmt wird, macht seinerzeit noch keinen Un­terschied, da der Geldwert noch unmittelbar (Goldmünzen) oder mittelbar (Goldreserven der Staatsbanken) an die Ware Gold gekoppelt ist (cf. MARX, Kapital:36, 53-56, 88s.) . Den Wert von Papiergeld sieht Marx nicht durch Tausch, sondern « Zwangskurs» bestimmt (ib:93) .

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Lichb>. Sprachliche Werte definieren sich ebenso wie ökonomische durch systeminterne wechselseitige Relationen:

Ich kann z.B. den Werth der Leinwand nicht in Leinwand ausdrücken. 20 Ellen Leinwand = 20 Ellen Leinwand ist kein Werthausdruck . . . Der Werth der Leinwand kann nur relativ ausgedrückt werden, d.h. in andrer Waare. Die relative Werthform der Leinwand unter­stellt daher, dass irgend eine andre Waare sich ihr gegenüber in der Aequivalentform be­findet. (MARX, Kapital: 1 5)

Marx' Abstraktionskette reicht j edoch, ebenso wie die der Sprachwissenschaft, noch weiter: Vom konkreten Gebrauchswert (vergleichbar der Stillung des Kommunikations­bedürfnisses in der parole) gelangt er zum Tauschwert; von dort abstrahiert er weiter zum Warenwert bzw. Arbeitswert. Dieser entstehe nicht durch eine Korrelation von Ware mit Ware, sondern durch eine Korrelation von Ware mit Arbeitszeit bzw. dem Aufwand an «abstrakt menschlicher Arbeib> (cE. ib. : l 1 - 1 3) . «Der Werth einer Waare ver­hält sich zum Wert j eder anderen Waare, wie die zur Produktion der einen nothwendige Arbeitszeit zu der für die Produktion der anderen nothwendigen Arbeitszeit. Als Werte sind alle Waaren nur bestimmte Masse festgeronnenener Arbeitszeit.» (ib. :6) .

Auf der Ebene abstrakter Wertkonstitution ergeben sich also zwei Achsen: erstens die paradigmatische Achse der Tauschwerte (Ware:Ware), zweitens die syntagmatische Achse der Warenwerte (Ware:Arbeit) . Ganz analog zu Gabelentz' Darstellung von ana­lytischem und synthetischem System können wir also für die ökonomische Wertkonsti­tution nach Marx folgendes Achsenkreuz geltend machen:

quantitativ und qualitativ verschiedene Waren =

Tauschlverte

Tauschwerte (Leinwand, Rock, Tee . . . )

Warenwert quantitativer Arbeitslvert

Wem die Parallelen zwischen Ökonomie und strukturalistischer Sprachtheorie in puncto Konventionalität, Relationalität, Austausch (Kommutation) und Zwei-Achsen-System noch nicht genügen, dem liefert der Marxsche Text schließlich noch expressis verbis die Parallelen von individuellem Akt der Produktion (parole) und sozialem Produkt (langue) :

Der Werth verwandelt . . . j edes Arbeitsprodukt in eine gesellschaftliche Hieroglyphe. Spä­ter suchen clie Menschen den Sinn der Hieroglyphe zu entziffern, hinter das Geheimnis ihres eigenen gesellschaftlichen Produkts zu kommen, denn clie Bestimmung der Ge­brauchsgegenstände als Werthe ist ihr gesellschaftliches Produkt so gut wie clie Sprache. (MARX, Kapitaf:40)

Etwa dreißig Jahre nach Whitneys Language und Marx' Kapital, und fünf Jahre nach Ga­belentz' Sprachwissenschaft, erscheinen Durkheirns Regles de la methode sociologique (1 895) .

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Durkheims Versuch, die Soziologie als eigenständige Wissenschaft von den «übrigen Naturwissenschaften» abzugrenzen (DURKHEIM, RMS:3) , besteht darin, le fait social un­abhängig von biologischen oder psychologischen faits zu deftnieren: nämlich als ein ge­sellschaftlich konventionalisiertes Handeln. Diese verfügt über eine Tradition mit « Ei­genlebem> (das nunmehr weder organisch noch psychologisch verstanden wird, cf. ib. : 5) insofern, als das Individuum sich in seinem Handeln der tradierten Konvention unter­ordnen muß, will es « richtig verstandem> werden: « Est fait social toute maniere de faire, ftxee ou non, susceptible d' exercer sur l'individu une contrainte exterieure; ou bien en­core, qui est generale dans l'etendue d'une societe donnee toute en ayant une existence propre, independante de ses manifestations individuelles.» (ib. : 1 4) . Es wird also für die Soziologie wiederholt, was schon Whitney und Marx als Dichotomie von konkreter individueller Handlung/Gebrauch vs. abstrakt-sozialem Produkt beschreiben.

Wie Marx zieht auch Durkheim die Parallele zwischen ökonomischem, sprachlichem und sozialem Wertesystem:

Le systeme de signes dont je me sers pour exprimer ma pensee, le systeme de monnaies que j 'emploie pour payer mes dettes, les instruments de credit que j 'utilise dans mes rela­tions commerciales, les pratiques suivies de ma profession, etc . , etc . , fonctionnent inde­pendamment des usages que j 'en fais . Qu'on prenne les uns apres les autres tous les membres dont est composee Ja societe, ce qui precede pourra etre repete it propos de chacun d'eux. Voilil donc des marueres d'agir, de penser et de sentir qui presentent cette remarquable propriete qu'elles existent en dehors des consciences individuelles . (DURK­HEIM, RMS:4)

Die Betonung der Abstraktion vom empirischen und historischen Gegenstand und die Betonung von so'{!"aler Konvention sind signiftkant für das sich formierende neue Paradig­ma, seine Konstruktion wissenschaftlicher Gegenstände und deren Bilder. Die histori­sche Realität des Gegenstandes wird abgelöst von einer relativ und momentan bestimm­ten Realität, in der der Faktor « Historie» allenfalls als mehr oder weniger flüchtige sedi­mentierte Tradition erscheint. Dies funktioniert, weil an die Stelle einer inneren Ent­wicklungskausalität des Gegenstandes nun eine Determination des Gegenstandes durch soziale, ökonomische und sprachliche Austauschprozesse tritt. Wissenschaftsgeschicht­lich gesehen bedeutet die Abstraktion die Ablösung des Vergleiches. Während der Ver­gleich der Komparatistik auf die Feststellung von (genealogischen) Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeiten abzielte, die sich graphischer in Gabelungsform (Y) und Ar­borezsenzen präsentieren, zielt die Abstraktion auf sich synchron-kommutativ abgren­zende Werte, die visuell in Juxtaposition (l<:.oorclinatensystemen, Rastern) dargestellt werden.

Die Bemühungen um eine solche Abstraktion im strukturalistischen Sinne, um eine theoriegeleitete Heraussetzung aus dem konkret bzw. historisch Gegebenen, lassen sich sowohl in der Sprachwissenschaft wie auch in der Ökonomie erkennen. Und so nimmt nicht wunder, daß Durkheims soziologische Abstraktion sich auf die Ökonomie beruft:

La plus fondamentale de toutes les theories economiques, celle de la valeur, est marufeste­ment construite d'apres cette meme methode. Si la valeur y etait etudiee comme une reali­te doit l'etre, on verrait d'abord l'economiste indiquer it quoi l'on peut reconnaitre la chose appelee de ce nom, puis en classer les especes, ehereher par des inductions metho­diques en fonetion de quelles causes elles varient, comparer enfin ces divers resultats pour

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en degager une formule generale. La theorie ne pourrait donc venir que quand Ja science a ete poussee assez loin. Au lieu de cela, on la rencontre des le debut. (DURKHEIM, RMS:25)

Statt der Induktion, wie sie z.B. noch bei den Junggrammatikern als Introspektion auf­taucht, wird theoretische Distanz zum Gegenstand gefordert, denn nur sie erlaubt es, die erkannten Merkmale der Dinge säuberlich nebeneinander aufzureihen Ouxtapositi­onl 1) :

Il nous faut donc considerer les phenomenes sociaux en eux-memes, detaches des sujets conscients qui se les representent; il faut les etudier du dehors comme des choses exte­rieures . . . (DURKHEIM, RMS:28)

Die so methodisch geforderte Entfremdung vom Gegenstand ist eine Objektivierungs­bewegung, die unter veränderten Vorzeichen zu erneuern sucht, was sich die Ver­gleichsmethode der Komparatisten vorgenommen hatte, als sie sich über das « subjective Deuteln und haltlose Etymologisieren» (Schleicher) ihrer Vorgänger erhob.

5.2.2 «Punkt, Linie und Fläche», «Nebeneinander und Gegenüber», «das weiße

Quadrat»: Abstraktion und Raster in der bildenden Kunst des frühen

20. Jahrhunderts (Kandinsky, Malewitsch, Mondrian, Magritte, Duchamp)

Die Distanzierung vom unmittelbaren Objekt, die Reduktion des Gegenstandes auf seine Wertigkeit fIndet auch in der bildenden Kunst ein Pendant. Auch hier müssen wir uns wieder willkürliche Bezugspunkte herausgreifen, die als exemplarisch gelten können. Auf den ersten Blick problematisch mag erscheinen, daß die im Folgenden zitierten Werke etwa ab der Jahrhundertwende datieren, also einen großen zeitlichen Abstand z.B. zu Whitneys Language aufweisen. Trotzdem scheint es mir legitim, hier nicht nur inhaltliche sondern auch chronologische Parallelen zu sehen, denn immerhin bahnt sich die Abstraktion in der Kunst schon wesentlich früher an, als die zitierten Exempel sug­gerieren. Und in der Linguistik setzt sich schließlich die strukturalistische Abstraktion auf breiter Basis erst deutlich nach Saussure (etwa ab den 30er Jahren) durch.

Als textuelles Beispiel der neuen Abstraktionsbewegung greifen wir Schriften Kan­dinskys von 1 9 1 2 und 1 926 heraus. Wie Durkheim und Marx in der Soziologie und Ökonomie, versucht auch die abstrakte Kunst, zu den Darstellungswerten j enseits der materialistischen Abbildung vorzudringen, sich vom <<Alb druck der materialistischen Anschauungen» (KANDINSKY, ÜGK:22) zu lösen. Die organische Existenz von Men­schen, Dingen und Welt erscheint zunehmend als willkürlich, die Natur erscheint nicht mehr <<11atürlidl», <<Leben als solches wird als Störung des ästhetischen Genusses emp­funden» (WORRINGER 1 976:59) . Die Ästhetik der Einfühlung in natürliche Schönheit wird infolgedessen relativ rasch durch eine Ästhetik j enseits natürlicher Vorgaben sub­stituiert:

1 1 Dies zeigt sich auch noch in der Soziologie des 20. Jh., cf. z.B. PARSONS 1 967, bes. p. 1 98.

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Wie der Einfühlungsdrang als Voraussetzung des ästhetischen Erlebens seine Befriedi­gung in der Schönheit des Organischen findet, so findet der Abstraktionsdrang seine Schönheit im lebensverneinenden Anorganischen, im Kristallinischen, allgemein gespro­chen, in aller abstrakten Gesetzmäßigkeit und Notwendigkeit. (WORRINGER 1 976:36)

. . . die einfache Linie und ihre Weiterbildung in rein geometrischer Gesetzmäßigkeit muß­te für den durch die Unklarheit und Verworrenheit der Erscheinungen beunruhigten Menschen die größte Beglückungsmöglichkeit darbieten. Denn hier ist der letzte Rest von Lebenszusammenhang und Lebensabhängigkeit getilgt, hier ist die höchste absolute Form, die reinste Abstraktion erreicht; hier ist Gesetz . . . wo sonst überall die Willkür des Organischen herrscht. (ib. :54s.)

Die Bestrebung, das «Innere im Äußerem> zu entdecken, beginnt schon mit dem Neo­Impressionismus, der nicht mehr ein Stück Natur, sondern die Natur darzustellen ver­sucht (KANDINSKY, ÜGK:49s.) . Nun soll dieser Anfang «formvollendet» werden, indem nicht das individuell Gegebene, Natürlich-Zufallige, sondern das «Innerlich­Wesentliche» dargestellt wirdl2 • «In allem Erwähnten sind die Keime des Strebens zum Nichtnaturellen, Abstrakten und zu innerer Natur.» (KANDINSKY, ÜGK:54) . ; « . . . abstrakt, d.h. isoliert von der realen Umgebung der materiellen Form der materiellen Fläche . . . » (KANDINSKY, PLF: 1 9) . Das Abstrakte fußt dabei auf einem System darstellerischer Ba­siswerte, wie z.B. der Wertigkeit der Farben zwischen warm - kalt' und 'hell - dunkel' (KANDINSKY, ÜGK:87) oder gegensätzlichen Formelementen wie Punkt, Linie (Spur des bewegten Punktes) und Fläche (produkt aus zwei Linien) 13 (KANDINSKY, PLF:57, 62) . Sind die Unterscheidungen zwischen solchen einfachen Werten noch überwiegened gradueller Natur, gilt spätestens für ihre Verarbeitung in der Komposition die volle wechselseitige Relationalität eines Werterystems wie in Sprache oder Ökonomie:

Es gibt nichts Absolutes. Und zwar ist die Formenkomposition, auf dieser Relativität ru­hend, abhängig 1 . von der Veränderlichkeit der Zusammenstellung der Formen und 2 . von der Veränderlichkeit j eder einzelnen Form bis ins kleinste. Jede Form ist so empfind­lich wie ein Rauchwölkchen: das unmerklichste geringste Verrücken j eder ihrer Teile ver­ändert sie wesentlich. (KANDINSKY, ÜGK:77)

Damit bildet eine Komposition ein komplexes System von relationalen Farbwerten (warm - kalt', 'hell - dunkel') und Formenwerten (punkt, Linie, Fläche) :

12 Dem entspricht der Funktionalismus des Bauhaus (1 9 19-1 933), wo Kandinsky lehrte. 1 3 Cr. auch die Arbeiten der russichen Konstruktivisten, z .B. Rodtschenkos Hiingekomtrllktion

Nr. 1 1 , 1 920-1 921 oder Linie, 1 920 (in: JOACHIMIDES/ROSENTHAL 1 997: Abb. 1 44s.) .

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Kandinsky, Komposition VI, 1 9 1 3 (abgedruckt nach J OACHIMIDES/RoSENTHAL 1 997: Abb. 1 23)

Die wechselseitige Relationalität der Elemente in einer Komposition läßt sich sogar (wie im Falle der sprachlichen Systemkoordinaten Syntagmatik und Paradigmatik) auf zwei verschiedene Prinzipien reduzieren. An die Stelle der Zentralperspektive der gegen­ständlichen Abbildung tritt ein Kräfteverhältnis der Komposition (cf. GRÜBEL 1 98 1 :39s .) , das sich über Nebeneinander (;::;; Kombina­torik, Syntagmatik) und Gegenein­ander (;::;; Kommutation, Paradig­matik) konstituiert: <<Auch in die­sem für die abstrakte Kunst ent­scheidenden Punkte [dem Kompo-sitionsgesetz] entdecken wir schon jetzt das Gesetz des Nebeneinan-der und der Gegenüberstellung, das zwei Prinzipien - das Prinzip der Parallele und das Prinzip des Ge-

\

gensatzes - aufstellt . . . » (KANDINSKY, Pl.F: 1 1 6) . Die Relevanz der Prinzipien von Ne­ben- und Gegeneinander läßt sich praktisch mit einem Blick auf eine Kohlezeichnung bestätigen, in der Kanclinsky die der Komposition VI zugrundeliegende Linienkomposition skizziert (Abbildung: Kanclinsky, Hauptlinien der Komposition VI, 1 9 1 3; abgedruckt nach BRUCHER 1 999:536, Abb. 149) .

Da die Kunst wesensmäßig über erheblich größere experimentelle Freiheiten als die (Sprach-) Wissenschaft verfügen kann, ist für sie die Grenze der Abstraktion mit einer

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arbiträr-kompositorischen Ordnung des Neben- und Gegeneinander noch nicht er­reicht. Malewitsch geht hier über Kandinskys Kompositionsanalytik hinaus, indem er auf grund des relationalen Charakters jeder Ordnung zu dem Schluß kommt, daß Ord­nung bestenfalls als Illusion existiert:

Man sagt: «Das Bild ist aufgebauD>, <<Die Rede ist aufgebauD> . . . Wir versuchen den unver­sieglichen Weisheitsquell der Natur zu erforschen, aus dem die Wissenschaft ihre Weis­heit schöpft und dafür sorgt, daß wir nicht dumm bleiben und einiges verstehen. Wir ver­suchen festzustellen, ob es im gesamten vorstellbaren und nicht vorstellbaren Sein eine Ordnung gibt, und müssen erkennen, daß uns j ede Möglichkeit fehlt, auf diesem Gebiet irgendetwas Endgültiges festzustellen. Der Mensch hat aber etwas gar nicht so Dummes gefunden: Die Bedingtheit und die Relativität. Und gerade die Relativität beweist, daß es nichts <<Aufgebautes», nichts «Geordnetes» gibt, wie auch nichts Chaotisches. (MALE­WITSCH, Suprematismu.r.64)

Malewitsch nimmt damit bereits in den 20er Jahren vorweg, was dem linguistischen Strukturalismus erst in den 60er Jahren mit der Dekonstruktionsphilosophie Derridas begegnen wird: die Absolutsetzung der Relativierungs- bzw. Differenzierungsbewegung (difforance) , die eine Konstitution von Identitäten oder jedweder Ordnung auf immer aufschiebt « Ja differance differe») 14. Die logische Konsequenz liegt für Malewitsch in der absoluten Gegenstandslosigkeit, in der sich «nichts herausheben oder unterscheiden» läßt (MALEWITSCH, Suprematismus:59) 1 5. An die Stelle von unterschiedlichen Farb- und Formwerten (punkt, Linie, Fläche) setzt der Suprematismus das einheitliche Weiß und die einheitliche Form des Quadrats. <<Das weiße Quadrat ist der Schlüssel zum Beginn einer neuen klassischen Form, eines neuen klassischen Zeitgeistes.» (ib. :224) . Diesen Schlüssel setzt Malewitsch u.a. mit quadratischem Format und weißer Grundfläche um:

Malewitsch, S cbJvarzes Quadrat, Malewitsch, Schwarzes Kreu'?, frühe 20er Jahre frühe 20er Jahre (beide abgedruckt nach MALEWTTSCH 1 995 : 1 30s.)

14 Cf. DERRlDA 1 967:54s . , ROGGENBUCK 1 998:30-43.

1 5 Malewitsch stellt damit den Extrempunkt der Abstraktionbewegung dar, von dem aus es einen «Fortschritb> nur noch durch Umkehr geben konnte. Der jeder Ideologie ohnehin abholde Picasso schreibt 1 935: «Es gibt keine abstrakte Kunst. Man muß immer mit etwas beginnen. Nachher kann man alle Spuren des Wirklichen entfernen.» (PICASSO, WB:39) .

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Das «weiße Quadrat» stellt in der Entwicklung der Abstraktion einen unüberbietbaren Extrempunkt dar, dessen Pendant in der Sprachwissenschaft natürlich nicht erreicht werden kann. Wer wollte schon eine gegenstandslose Sprachwissenschaft betreiben? Nichtsdestoweniger kann dieses Extrem nicht nur als Paradebeispiel für Abstraktion, sondern auch als Paradebeispiel aus dem «Paradigma der Rasten> gelten. Daß dies nicht aus der Luft gegriffen ist, läßt sich an einem weiteren Beispiel veranschaulichen. Gerade für unser Bild des Baumes (worunter wir sowohl Verzweigungs- wie auch Rasterstruktu­ren zusammenfassen) gibt es nämlich Material, das den Übergang von der (fast) figürli­chen Abbildung zur abstrakten Darstellung ebenso belegt wie den chronologischen Übergang von der Arboreszenz zum Raster als einem interdisziplinären Leitbild.

Malt Mondrian in seiner naturalistischen Phase nahc:zu ikonische Bäume (Five Tree Silhouettes) , abstrahiert er wenige Jahre später zum Baumskelett, dessen Linien kaum mehr Äste sind, sondern Grenzlinien zwischen Flächen, die durch die flächige Pinsel­technik betont werden (The Gray Tree) . Die sich dort abzeichnende <<mimetische Ab­straktioID> (BOIS 1 977 : 1 73) mündet schließlich in pure Flächen- und Linien­Kompositionen, die ebenfalls mit dem «weißen Quadrab> arbeiten (Composition - blanc et rouge:B) .

Mondrian, Five Tree Si/houettes along the Gein with Moon, 1 907-08 (abgedruckt nach MONDRlAN 1 998a:92)

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Mondrian, The Gray Tree, 1 9 1 1 (abgedruckt nach MONDRIAN 1 998b: 1 1)

Mondrian, Composition - blanc ef rouge:B, 1 936 (abgedruckt nach MONDRIAN 1998b:77)

Wie sehr Monclrians späte Abstraktionen in ihrer Rasterhaftigkeit mit den Bildprinzipien des Wertesystem-Paradigmas in Einklang stehen, wird klar, wenn man sie neben die Syntagmatik-Paradigmatik-Schemata von Gabelentz oder Marx hält. Daß diese Überein­stimmungen in der Tat paradigmatisch relevant, und nicht nur zufallig sind, läßt sich mit einem weiteren Beispiel untermauern, das durch die zusätzliche Verwendung von Schrift

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und damit sprachlichen Elementen noch höhere Deckungsgleichheit mit Darstellungen des linguistischen Bereiches aufweist:

Magritte, Le miroir vivant, 1 928 (abgedruckt nach M!\GRITIE 1 992:325)

Magritte, Le masque vide, 1 928 (abgedruckt nach MAGRITIE 1 992:326)' 6

1 6 Variationen solcher Wortgegenüberstellungen sind Querelle des universaux, L'apparition, Le monde perdu, Le corps bleu, L'usage de la parole. Gegenüberstellungen von Bildern im Bild bieten L'idie fixe und L'homme au journal (cf. MAGRITIE 1992:272-313/ Abb. 21 95 . , 2555 . , 269s . , 275-77; alle genannten Werke stammen aus dem Jahr 1 928) .

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Noch deutlicher wird die Übereinstimmung, wenn man Mondrians Composition, vor al­lem aber Magrittes Le masque vide neben etwa zeitgleiche Darstellungen in Saussures Cours (5 .3) stellt oder neben Hjelmslevs parallelisierende Darstellung der Bedeurungsbe­reiche von HolZ und Wald bzw. von bestimmten Farblexemen in verschiedenen Spra­chen (5 .4) . Alle Bilder gleichen sich nicht nur in ihrer axialen Grundkompositorik, son­dern auch in der Aussage, daß Inhalte (<<Flächen» bei Mondrian oder «sprachliche Ein­heiten» bei Magritte und Hjelmslev) nicht präexistent und deshalb nicht einfach «abbild­bar» sind, sondern erst durch die Gegenüberstellung oder Benachbarung zu anderen Inhalten ihre jeweilige Form erhalten.

Während Magritte Sprache gelegentlich dazu nutzt, die Distanz zwischen Ausdruck und Inhalt, Sprache und Bild zu thematisieren (man denke an das zur Ikone gewordene Ceci n 'est pas une pipe) , zählt Duchamp zu denjenigen Künstlern, für die Sprache ein nicht wegzudenkender Teil ihrer Ausdrucksmöglichkeiten ist. Dies zeigt sich in Duchamps Schriften ebenso wie in seinen Kunstwerken, die oft mit multilateralen Sprach-Bild­Assoziationen arbeiten. So z.B. Bildtitel wie Tu m' (1 9 1 8) oder die Ready-mades, wo die künstlerische Idee (die auch ein sprachliche Idee beinhalten kann) hinter der Ausfüh­rung zurücktritt (cf. KÖRNER 1 983:22s.) . Abschließend sei deshalb ein zugegebenerma­ßen suggestives Beispiel von Duchamp an-geführt, das auf den Abschnitt zur Phono­logie (5.4) vorausverweist: das von 1 920 datierende Ready-made The Fresh Widow. Aus dem Bezug von Titel und Werk erge­ben sich (mindestens) zwei Interpretations­schienen. Einmal kann die Form des Fen­sterrahmens und das Schwarz im Einklang mit widow kunsthistorisch beispielsweise als Verweis auf die Tradition der Flügelaltare (Fenster als geschlossener Flügelaltar) oder auf Ikonen (Maria als Witwe) gesehen wer­den (HOFMANN 1998:286) . Für Sprachwis­senschaftler interessanter ist dagegen die phonologische Deurungsschiene. Fügt man dem Titel zweimal ein n hinzu, so stehen wir statt vor einer fresh widow vor einem french window. Die Zweckentfremdung des Objektes Fenster zum Kunstwerk spiegelt sich in der klanglichen Verfremdung des Titels wieder. Für diese nutzt Duchamp die Methode der phonologischen Minimalpaare (jreshfrench, lvidow:lIJindow) , deren kommutativer Abgrenzungsmechanismus dem Muster der carres folgt, wie sie just das « Fenster» Duchamps zeigt (Abbildung: Duchamp, The Fresh WidoJv, 1 920; abgedruckt nach HOFMANN 1 998:284, Abb. 1 59) .

Zusammenfassend können wir also festhalten, daß der Bildwechsel zum Raster, wie er sich schon früh im Achsenkreuz von analytischem und synthetischem System in der Sprachwissenschaft Gabelentz' abzeichnet (mindestens) von zwei Seiten Widerhall er­fährt: von der Axialität des ökonomischen Tauschwertsystems, und von den Komposi-

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tionsgesetzen (Neben- und Gegeneinander statt «natürlichen> Gegenständlichkeit) der abstrakten Kunst.

5.3 Saus sure: «langue» als abstraktes Werte system und die Achsenkreuze von «association/ syntagme» und «synchronie / diachronie»

Konzepte, die wir schon bei Whitney (konventioneller Charakter der Sprache) und Ga­belentz (analytisches und synthetisches System der Sprache) und Durkheim (jait socia!) finden, kehren in Saussures Cours de linguistique generale (gehalten 1 907-1 9 1 1) in pointier­ter Form wieder. - Auf die Debatte, ob und inwieweit die Ersteren Vorbilder des Letz­teren waren, werden wir hier nicht eingehen, da sie schon breit bearbeitet wurde. Fest steht in j edem Fall, daß große inhaltliche Parallelen hinsichtlich Arbirrarietät und sozia­ler Konventionalität des Zeichens zu Whitney, hinsichtlich Syntagmatik und Paradigma­tik zu Gabelentz, und hinsichtlich der langue als fait social zu Durkheim bestehenl7 • Dar­über hinaus gibt es für die Dichotomie Synchronie/Diachronie Übereinstimmungen mit Whitney, Gabelentz, Paul, de Courtenay, Kruszewski, Meyer-Lübke und Schuchardtl8 . Ausdrücklich im Cours genannt wird nur Whitneyl9 . - Die Absrraktion von der konkre­ten sprachlichen Handlung und der «natürlichen» Historizität der Sprache, die mit Whitney einsetzt und sich in der Soziologie Durkheims widerspiegelt, wird von Saussure methodisch weiterverfolgt und präzisiert. Im Zuge dieser Präzisierung arbeitet Saus sure vorrangig mit den Dichotomien langue/parole, synchronie/diachronie, arbitrariti/ convention. Wie stark diese zenrralen Dichotomien Saussures mit dem Muster des Rasters bzw. Achsenkreuzes verknüpft sind, wollen wir im Folgenden berrachten.

Pech scheint (auf den ersten Blick) zu sein, daß ausgerechnet der bekannteste der Saussureschen «Bäume» (unter die wir in 2.4.4 entgegen der allgemeinen Baumvorstel­lung auch die Raster gefaßt haben) just kein Raster, sondern «eben ein richtigen> Baum

ist (SAUSSURE, Cours 1 : 1 47/D 1 86/1 087) . Saussure verwendet obfets

cl-('"

nmns

etc.

hier einen ikonischen Baum, um die Absurdität einer nomen­klatorischen Zeichenkonzeption zu veranschaulichen, die be­hauptet, daß jeweils ein Zeichen (z.B. das lateinische Wort arbos) für j eweils ein Ding (einen realen Baum) steht. Etwa so, wie uns die Genesis die Benennung der Dinge durch Adam überliefert. Damit dient einer der wohl bekanntesten Bäume der Sprachwissenschaft aber der puren Iffustration eines Dings (Referenzobjektes) . In unserer Untersuchung zur paradigmati­

schen Relevanz von Bildern kann es j edoch nicht um solche zufälligen exemplarischen Illusrrationen gehen (den gleichen Zweck hätte hier auch das Wort KochlöfJel und eine entsprechende Zeichnung erfüllen können) , sondern ausschließlich um Darstellungen,

17 CE. DOROSZWESKI 1 933; BlERBACH 1 978: 1 46-76 (Saussure/Durkheim) ; OE MAURO 1985:333s. , 360s. , 382 (Saussure/Whitney/Durkheim); COSERlU 1 967 (Saussure/Gabelentz); HIERSCHE 1 972, KOERNER 1 989b:37-40 (Saussure/Durkheim/Gabelentz). CE. auch AARSLEFF 1 982:382-91 zu Breal als Vorläufer Saussures .

1 8 CE. KOERNER 1 973, WUNOERLI 1 981 :267-69. 1 9 CE. die ausführlichen Notizen zu Whitney in SAUSSURE, COllTS 2:21 -25/3297.

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231

die die Konstruktion wissenschaftlicher Gegenstände und wissenschaftlicher Ordnun­gen im weitesten Sinne verkörpern.

Immerhin ergibt sich bei näherer Untersuchung der Trost, daß diese Baum­Illustration in einem Zusammenhang auftaucht, der letztlich in die Darstellung eines rasterhaft sich konstituierenden Wertesystems (ähnlich wie bei Gabelentz und Marx) mündet. Die Illustration bildet nämlich den Ausgangspunkt für Saussures Darlegung der Arbitrarietät des Zeichens, und von da ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Zeichen­konstitution über die Achsen von Simile und Dissimile - eine Argumentation, die wir im Folgenden im Hinblick auf ihre visuellen Muster nachzeichnen wollen.

Die nomenklatorische Zeichenkonzeption beurteilt Saus sure schlichtweg als «kin­disdm (SAUSSURE, Cours 1 : 1 48/III C 278/1 092) , weil sie die Art der Verknüpfung zwi­schen Zeichen und Bezeichnetem völlig nebulös lasse. Saussures Lösung besteht be­kanntlich darin, das Zeichen nicht als «Zeichen für (ein Ding» > zu verstehen, sondern es als zweiseitige Einheit von Ausdruck und Bedeutung zu definieren. Die Referenzbedeu­tung (echter Baum) wird ersetzt durch eine sprachliche Bedeutung ('Baum') , die zei­cheninterner Gegenpart des Ausdrucks ist. Mit der Lösung vom benannten «realen Ob­jekt» und dem Theorem des zweiseitigen Zeichens verbindet sich notwendig eine Um­deutung von Bezeichnetem und Bezeichnendem. Nicht das objet designe garantiert die Zeicheneinheit, sondern die psychische Verknüpfung einer Idee (concep� mit einem Lautbild (image acoustique/o:

Dans Ja conception rationnelle nous retrouvons deux termes

concept: arbre

et ils seront tous deux dans le sujet et so nt tous deux psychiques, concentres au meme lieu psychique par l'association. (SAUSSURE, Cours 1 : 1 48/III C 279/1 094)

Psychologisierung und Arbitrarietät des Zeichens gehen Hand in Hand. Nachdem die dingliche Bindung des Zeichens an ein objet designe aufgehoben ist, besteht nur noch eine arbiträre, d.h. unmotivierte und veränderliche wechselseitige Bindung zwischen Be­zeichnetem und Bezeichnendem21 :

Le lien qui relie une image acoustique donnee avec un concept determine et qui lui confere sa valeur de signe est un lien radicalement arbitraire. Le signe est arbitraire, c'est­a-dire que le concept s(J;ur par exemple n'est lie par aucun caractere, <rapport> interieur avec la suite des sons s + o' + r qui forme l'image acoustique correspondante. (SAUSSURE, Cours 1 : 1 52/III C 280 / 1 1 23s .)

20 In seinen späten Vorlesungen wird das psychische Zeichen (aus concept und image acoustique) revidiert zur abstrakt-differentiellen Einheit von signifiant und signifie (SAUSSURE, Cours 1 : 1 5 1 /III C 309/1 1 1 6- 19 ; cf. auch AMACKER 1 975:69-78) .

21 Benveniste hat mit der Definition, die Verbindung zwischen signifiant und signifie sei ein lien necessaire, einige Verwirrung gestiftet (BENVENISTE 1 966:49-55) . Zu Rezeption der Saussure­schen arbitrarite und ihrer Typologisierung cf. ENGLER 1 962: 12-40 und 1 964.

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Die relative Stabilität des Zeichens beruht also nicht wesentlich auf der psychischen Verknüpfung von concept und image acoustique, denn diese betrifft nur den Bereich des einzelnen Sprechers, sondern auf dem korrelierenden Prinzip der über-individuellen sozialen Konvention. Das Individuum wird in diese von früheren Sprechergenerationen geschaffenen (und nur insofern «historisch gewachsenen») Konventionen hineingebo­ren, muß sie erlernen, kann sie aber alleine nicht unmittelbar verändern. <1amais une societe n'a connu la langue que comme un produit plus ou moins perfectionne par les generations precedentes et ä prendre tel queb)22. Von der Konventionalität der Einzel­sprache wiederum abstrahiert Saussure weiter - und hier geht er über Whitney hinaus -auf die Grundmechanismen von Sprache überhaupt. Daß eine Konventionalisierung von Zeichen überhaupt möglich ist, liege in dem Grundprinzip begründet, daß Zeichen auf keinerlei apriorischer Positivität beruhen, sondern sich alleine aus ihrer gegenseitigen Abhängigkeit bzw. ihrer wechselseitigen Abgrenzung und Differenzierung defInieren lassen. Auf abstrakter Ebene23 gilt also: «Tout le mecanisme de la langue roule autour d'identite et difference.» (SAUSSURE, Cours 1 :245/ 1 769) . <<Le premier caractere <univer­sel> du langage est de vivre au moyen de differences et de difforences seules, sans aucune mitigation <comme> celle qui proviendrait <de l'introduction> d'un terme positif quelconque ä un moment quelconque.» (SAUSSURE, Cours 2:48/3342.3) . Die Darstellung dieses Mechanismus lehnt sich zunächst an die oben zitierte Darstellung der Einheit von concept und image acoustique an:

(SAUSSURE, Cours 1 :259/ 1 864)

Diese Graphik ist allerdings stark vereinfacht. In Wirklichkeit haben wir es beim Me­chanismus der differences mit einem ganzen Netz von Differenzierungsbewegungen zu tun (cf. Graphik unten) :

(1) einer horizontalen Differenzierung (oder Opposition) zwischen Gesamtzeichen als Makroeinheiten ({::::} in der Graphik) ;

(2) einer horizontalen Differenzierung der Zeichenbestandteile ( ...... in der Graphik) (a) verschiedener signifiants untereinander, wie z.B. zwischen Butter ,' Mutter ,' Müt­ter ,' Müller ,' " . , (b) verschiedener signifies untereinander, wie in der analogen Serie: 'Butter' ,' 'Mutter' . . . - aber auch in einer Serie wie: 'Butter' ,' 'Margarine ' ,' 'Öl' ,' 'Diesel' ,' . . . ;

(3) einer vertikalen Verknüpfung (t in der Graphik) von je einem signifie mit einem signifiant zu Gesamtzeichen (Butter/ 'Butter' etc.)24.

Die erweiterte Darstellung der Zeichendifferenzierung nach dem Prinzip von identitt und difference müßte also eigentlich folgendermaßen aussehen (cf. HAßLER 1 991 : 1 75, ROG­GENBUCK 1 998 : 1 8-30) :

22 SAUSSURE, Cours 1 : 1 60/III C 3 12/ 1 1 90; cf. ib. : 1 53ss . Cf. COURTENAY, Anth:252, 275s . 23 Saus sure unterscheidet damit insgesamt drei Ebenen der Abstraktion: (1) die Sprecherebe­

ne mit dem psychisch fixierten Sprachschatz (tresor dipose) , der die parole ermöglicht, (2) die Ebe­ne der Einzelsprache mit ihrer konventionellen Determinierung von Zeichen (Ies langues) , (3) die Ebene sprachlicher Systematik überhaupt (la langue) . Cf. ROGGENBUCK 1 998:94- 1 1 7 .

24 Cf. AMACKER 1 975 : 1 59, ENGLER 1 983:535, ROGGENBUCK 1 998 : 1 8-25 .

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An der Graphik wird ersichtlich, daß an dieser sprachlichen Werte konstitution wie bei ökonomischen Werten zwei Achsen beteiligt sind: die Achse des Ähnlichen (Geldwert bzw. Arbeitswert bei Marx, cf. Graphik in 5 .2 .1) und die Achse des Unähnlichen (Ware bzw. Tauschwert bei Marx) . Oder anders gesagt: Jeder Wert bestimmt sich innerhalb des Systems horizontal und vertikal über das, was er nicht ist. Saus sure greift hierzu selbst auf eine ökonomische Metapher zurück25:

1 0 Valeur est determinee par une chose dissemblable qu'on peut echanger: t . . . 20 Deter­minee aussi par des choses similaires qu'on peut comparer: +-> II faut ces deux elements pour la valeur. Dans une piece de vingt francs, determination de valeur: 1 0 je peux I' echanger contre tant de livres de pain; 20 je la compare avec piece d'un franc du meme systeme, ou avec {" valeur similaire. (SAUSSURE, Cours 1 :260/D 272/1 868-71)

Semiologisch gesehen identifiziert sich also j edes Zeichen und jeder Zeichenteil (signifie und signifianf) über ko-kategorielle Ähnlichkeit (des signifiant x zu anderen signifiants, des signifie x zu anderen signifies) und den unterscheidenden Widerpart (das signifie x zum signi­flant x) . Diese Form des axialen Nebeneinanders und Gegenübers (im Sinne von Kan­dinsky) liegt auch dem später formulierten Kommutationsprinzip (5 .4) zugrunde.

Valeur est <eminemment> synonyme <iJ. chaque instant> de terme situe dans un systeme <de termes similaires>, de meme qu'i1 est <eminemment> synonyme iJ. chaque instant de chose echangeable. Prenant la chose echangeable d'une part, de I'autre les termes co­systematiques, cela n'offre aucune parente. C'est le propre de la valeur de mettre en rap­port ces deux choses . . . la valeur va dans ces deux axes, est determinee selon ces deux axes concouramment:

25 HJELMSLEV, Essais l :77s . und HARRIs 1 987: 1 22s . , 220 kritisieren später, daß die Münzme­tapher nicht zur Veranschaulichung der Relativität sprachlicher Werte geeignet sei, weil der Münzwert ebenso wie Einheiten von Ware auf materiell vorgegebenen Wertgrenzen basierten (ein Laib Brot bzw. Währungsstückelung in 1, 2 und 5 Franc) . - Cf. auch die Münzmetapher bei BÜHLER, Sprachtheorie:60s.

Im Zusammenhang mit der Konstitution des Wertesystems wird zuweilen falschlich der Schachspielvergleich des Cours zitiert. Von dem Umstand abgesehen, daß das Schachbrett ein positionales Raster darstellt, hat die Schachspielmetapher j edoch wenig mit der rasterhaften Konstitution des Wertesystems zu tun. Sie dient vielmehr: (a) der Darstellung von linguistique interne vs. Externe: Das regelsystem des Schach (interne Seite), ist unabhängig von Material und Form der Spielfiguren (externe Seite) (SAUSSURE, Cours 1 :64/II R 49/417-21) ; (b) der Darstel­lung von synchronie vs. Diachronie: Die Figurenkonstellation (synchroner Spiel- bzw. Sprachzu­stand) wird durch einen Zug (Diachronie) verändert, so daß eine neue Konstellation und neue «momentane Spielwerte» der einzelnen Figuren entstehen (SAUSSURE, Cours 1 : 1 95-98) . Cf. WUNDERLI 1 982, 1 990:46.

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+-------+ Similia I

Di"imil,

Simile

(SAUSSURE, Cours 1 :259/N 23.6/ 1 864)

Similia Similia

C'est l'evidence, meme a priori, qu'il n'y aura j amais un seul fragment de langue qui puisse etre fonde sur autre chose comme principe ultime que sa non-coincidence, ou sur le degre de sa non-coincidence avec le reste " .

a ' x

(ib. :265/N 1 0/ 1 906)

In den Vorlesungsnotizen der Studenten Constantin Degallier erscheint diese Darstel­lung des Wertesystems aufgefüllt mit den Begriffen signiftant und signifte (ib. :259/III C 392/1 864) . In den Darlegungen des Cours zeigt sich in diesem Zusammenhang ein ge­wisser Vorrang der horizontalen Linearität, weil stets beide Seiten des Zeichens (signiftant und signifte) einbezogen werden. - Würde nur eine Seite einbezogen, so ergäbe sich ein flächiges Tableau von unterschiedlichen semantischen oder phonologischen Werten. -Dies deutet darauf hin, daß Saussure in diesen grundlegenden Betrachtungen zum <<Me­chanismus» der Sprache die Linearität der parole und damit die syntagmatische Kompo­nente der Sprache nie aus dem Blick verliert (cf. WUNDERL] 1 972b, ENGLER 1974) .

Entsprechend dient das Achsenkreuz nicht nur der Darstellung der Wertekonstitu­tion über simile und dissimile (bzw. Identität und Differenz) , sondern auch der Darstel­lung syntagmatischer und paradigmatischer Gliederung - rapports syntagmatiques und rap­ports associatifs26.

Le rapport <et la difference> des mots entre eux se deroule suivant deux ordres, dans deux spheres tout a fait distinctes; chacune des spheres sera generatrice d'un certain ordre de valeur et l'opposition meme qu'il y a entre les deux rend plus claire chacune d'elles. (SAUSSURE, Cours 1 :276/III C 379/ 1 981)

lei, i l faut poser une nouvelle opposition fondamentale: groupes d'association et syntag­meso (ib. :276/G 2.25 b/ 1 982)

Je mehr Saus sure in die Details der Syntagmatik-Paradigmatik-Dichotomie eintaucht, desto klarer wird, daß er sich hierbei nicht um abstrakte Mechanismen (wie Identität und Differenz) handelt, sondern um konkretere sprachliche Ordnungen: den psychisch verankerten Sprachschatz eines einzelnen Sprechers (tresor interieur) und die durch die Artikulationsorgane bedingte Linearität der lautlichen Äußerung (parole)27 . Die paradig­matische, «assoziative» Ordnung wird klar im tresor interieur verortet. Die syntagmatische

26 Die Ersetzung von asso'(jativ durch paradigmatisch führt SEUREN 1 998 : 1 54 auf Firth zurück. 27 Cf. AMACKER 1 975 : 1 36-45, BALLY, LGLF und Sechehayes syntaxe imaginatil!e.

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Ordnung dagegen sieht Saus sure (anders als Tesniere oder Chomsky) weniger im trisor interieur verankert - nur am Rande wird die Existenz von types syntagmatiqueP erwähnt -als vielmehr durch die Linearität der parole bedingt: « . . . dans la parole, autre genre de rapports, et dependants de <!eur> enchainement: rapports syntagmatiques» (SAUSSURE, Cours 1 :277 /S 2 .39/1 983) . Die zwei konkreten Existenzweisen der Sprache (psychisch fIxierter Sprachschatz und konkrete Rede) korrelieren im CONrs mit den Gliederungs­prinzipien von Paradigmatik und Syntagmatik. Die syntagmatische Verknüpfung ist line­ar präsent. Die paradigmatische Verknüpfung ist eine virtuelle und als solche eine Asso­ziation in absentia, sie liefert ein Feld potentieller Möglichkeiten (cf. ib. :282) .

C e qu'il y a autour d e lui [du mot) syntagmatiquement, c'est c e qui vient avant 0 \1 apres, c'est le contexte, tandis que ce qui va autour de lui associativement, cela n'est dans aucun contexte, vient de Ja conscience . . . pas idee d'espace. (SAUSSURE, Cours 1 :290/III C 383/2044)

tresor interieur (magasin)

unites d'association

groupes au sens defamilles

(ib. :281 /II C 67/1 998)

discours, chaine

unites discursives (unites qui se presentent dans le discours) groupes au sens de syntagmes.

Während die syntagmatische Dimension durch die Linearität der parole determiniert ist, bilden die rapports associatifs eine anders geartete «innere Ordnung» im Sprecher (cf. ib. :287 /2027, WUNDERLI 1 972a:97 - 1 04) :

<Il nous faut donc etudier.> Le classement intineur. <Si> la masse de formes qui compo­sent la langue pour chaque individu ne <restait qu'> un chaos dans chaque tete <la pa­role et le langage seraient inconcevables ... Comme premier element de cet ordre nous devons poser: l'association primordiale entre forme et idee et groupes d'idees; puis une autre association sans laquelle la premiere ne pourrait <pas> exister: l'association deforme ci forme, des formes entre elles . (SAUSSURE, Cours 1 :286/I R 2.25/2024)

Die assoziative Ordnung kann also endang von semantischen Teilübereinstimmungen (groupes d'idies) erfolgen, wie bei 'enseignement', 'instruction ', 'apprentissage ', 'iducation '; oder endang von Teilübereinstimmungen des Ausdrucks, wie bei enseigner, enseignons, (une) en­seigne. Dies erinnert nicht zu unrecht an Gabelentz' Vorschlag, die sprachlichen Elemen­te nach dem Muster grammatischer Deklinationstabellen zu arrangieren. Auch im Cours erscheint dies als Beispiel für eine assoziative Formation: <<Ainsi, un tableau de declinai­son est un groupe d'associations.» (SAUSSURE, Cours 1 :289/II R 90/2038) .

Schon das Minimalbeispiel der Deklinationstafel zeigt aber, daß der paradigmatische Bezug nicht zu trennen ist von den Vorgaben der Syntagmatik. Dies zeigen auch die entsprechenden graphischen tableaux zu den rapports associatifs und syntagmatiques:

28 Cf. SAUSSURE, Cours 1 :285/II R 93/201 9 und WUNDERLI 1 982:84ss.

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On pourrait representer ces deux principes, ces deux activites qui se manifestent syn­chroniquement par deux axes :

dijaire syntagmatique;

Simultanement et sur un autre axe mentalement existant comme dans un nuage . . . toutes les autres possibilites qui peuvent etre unies par association . . . (SAUSSURE, Cours 1 :293/II R 96/2064)

parfaire re faire

faire

de-faire

de-placer de-ranger de-mettre

etc.

(ib. : 1 89/II C 70/2066)

Daß Saus sure in den axialen Koordinaten eine elementare Struktur sieht, zeigt auch der Blick auf seine Anagrammstudien, wo er nach vertikal verschlüsselten Wörtern hinter der horizontalen Linearität des Textes sucht (cf. WUNDERLI 1 972a: 1 6ss . , 78ss .) . Die anagrammatische Codierung von Schlüsselwörtern kann beispielsweise so aussehen (ib. : 80) :

civ-ilib1..1S con.trov-ersii s ? I I I I I I I I

C1 ----

, , , , , , , ,

C ---'-'- ER

RO

Gleichwohl erkennt Saus sure durchaus, daß die rechtwinklige Koordination von Syn­tagma und Paradigma als Abstraktion vertanden werden muß, die der tatsächlichen Komplexität assoziativer Ordnungen nicht immer gerecht wird. Entlang dem Prinzip von Identität und Differenz kann j ede Ausdrucks- oder Inhaltsseite eines Zeichens das Zentrum mehrerer Assoziationsreihen sein: eine «intersection de plusieurs series», die einer verzweigten oder stellaren Struktur entsprechen, wie sich in den Notizen von Riedlinger, Sechehaye und Constantin zeigt (SAUSSURE, Cours 1 :289/2036)29:

29 Die Beispiele zeigen, daß Saussure unter shies associatives sowohl begrenzte grammatikali­sche Reihen (Iegitis . . . legimus . . . legito) als auch offene lexikalische Reihen (habere . . . legere . . . dieere . . . ) zusammenfaßt (cf. AMACKER 1 975 : 1 67-74, GORDON 1 979, GODEL 1 966: 66) .

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legitis t , 0 / habemus dicimus

K � legito t

enseigne '" t / enseignement

/ t � enselgner

Die Signifikanz des bi-axialen (bzw. multiaxialen) Musters für Saussures Sprachtbeorie wird weiterhin dadurch bestätigt, daß auch Saussures das Verhältnis vOn Sprache und Zeit, das lange als genealogischen Arboreszenz gedacht wurde, dem axialen Modell folgt. Mit der methodologischen Forderung, Synchronie und Diachronie in der Sprach­wissenschaft klar getrennt zu halten30, wird das, was sich in den Querlinien der Arbores­zenzen von Darwin oder Schuchardt schon andeutet, nun radikal umgesetzt in ein Ko­ordinatensystem bzw. ein carre linguistique:

Et il est parfaitement exact que les sciences auraient interet a marquer plus scrupuleuse­ment les axes OU se passent les choses.

+ axe de la contemporaneite: plusieurs a la fois, axe de Ja successibilite dans le temps; une a la fois.

(SAUSSURE, Cours 1 : 1 77 /J 1 66/1 3 1 9s.)

Carre linguistique. Toutes considerations <possibles> Sut un fait linguistique sont immeclia­tement enfermees en une figure simple et partout la meme, comprenant quatre termes

a ------ b

I a ----- b'

Le sens vertical marquant la valeut du temps, et la clistance horizontale [ J . (SAUSSURE, Cours 2:28/3299; cf. ebenso Cours 1 :21 6-220)31

Wie auch beim Achsenkreuz von Paradigmatik und Syntagmatik handelt es sich hier um die Opposition zwischen einer Sukzessivität und einer Simultaneität. Im Fall von Syn­tagmatik und Paradigmatik ist dies eine Opposition der sprachlichen Seinsweise, im Fal­le von Synchronie und Diachronie eine methodologische Opposition32, ohne die ein Erkennen und Vergleichen sprachlicher valeurs nicht möglich ist (SAUSSURE, Cours 1 : 1 77/N 23.6 / 1321 ) .

Dem Leitbild des Organischen erteilt Saussures metbodisch-chronologisches Ach­senkreuz eine klare Absage. Ohnehin wird schon in der Einführung des Cours die Leit-

30 Cf. WUNDERLI 1 990:7-34. ENGLER 1 988 : 1 25-27 unterscheidet im Detail drei Verwen­dungsweisen des Begriffes diachronie im Cours.

31 Nach cliesem Schema erfolgen auch Analogiebildungen. 32 J akobson führt beide Achsenkieuze (paracligmatik/Syntagmatik, Synchronie/Diachronie)

zusammen, indem er clie Zeitlichkeit des Gesprochenen und der Syntagmatik betont (cf. Ho­LENSTEIN 1 975 :34-42, 142-47; BRADFORD 1 994: 1 48-5 1 ) .

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metapher Organismus33 als überholtes Modell charakterisiert, weil sie auf der inneren Kausalität der Sprach entwicklung beharre und den konventionalen Charakter der Spra­che unberücksichtigt lasse:

On se representait la langue dans une sphere indefinissable <comme une sorte de vegeta­tion>, tandis que la linguistique d'aujourd'hui y reconnait un produit de l'esprit humain: <la langue n'est plus quelque chose se developpant par elle-meme, elle> est a tout mo­ment l'truvre de l'esprit collectif. (SAUSSURE, Cours 1 : 1 7/II R 1 62/93)34

Da erstaunt es dann zunächst, wenn Saussure die methodologische Notwendigkeit der Trennung der Zeitachsen mit Elementen der Pflanzenwelt illustriert. Doch es zeigt sich, daß er dies nicht tut, ohne der «vegetation se developpant par elle-meme» den Todes­stoß zu versetzen (auch illustratorisch) : Sie wird entlang der zeitlichen Achsen seziert. Die synchrone Perspektive entspricht dabei einem horizontalen Schnitt durch den Pflanzenstengel, der die synchrone Wertekonstellation (Fasernkonstallation) erkennen läßt. Die diachrone Perspektive entspricht dem Längsschnitt, der die Entwicklung ein­zelner Werte (Fasernführung) offenlegt:

Si l'on coupe horizontalement certains vegetaux, on aura devant soi certaines formes plus ou moins compliques. Ce dessin n'est pas autre chose qu'une certaine perspective que l'on prend des fibres verticales.

(SAUSSURE, Cours 1 : 1 94/D255/ 1 458)

Freilich denkt Saus sure nicht, daß diachrone Entwicklungen derart linear verlaufen, wie die Illustration dies suggeriert. So können sich zwei Elemente der Epoche A auf ein Element in der Epoche B reduzieren (z.B. durch Analogie, cf. 4.4, 4.5) , ein Element kann sich zu zweien differenzieren, oder ein Element bleibt erhalten, wechselt aber seine Position innerhalb des synchronen Wertesystems (z .B. Bedeutungsveränderung bei un­veränderter Lautgestalt) :

(SAUSSURE, Cours 1 : 409/II R 56/271 5)

33 Der Begriff organisme erscheint zwar vereinzelt, j edoch nie im biologistischen Sinne, son­dern im Sinne der 'gegliederten Vielheit' (SAUSSURE, Cours 1 :32/ 1 62, 59/372s. , 62/395, 242/ 1 755).

34 Ebenso äußert sich GABELENTZ, SprW: 17 .

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Saussure vollzieht damit hinsichtlich des Baummotives zwei entscheidende Entwick­lungen. Erstens wird der sich verästelnde Baum zum Achsenkreuz und Raster abstra­hiert - analog zum Prinzip des Neben- und Gegeneinanders bei Kandinsky (5 .2.2) . Zweitens beginnt die Betrachtung des Sprachzustandes (Synchronie) defInitiv i n den Mittelpunkt des Interesses zu rücken, zulasten von Genealogie und Diachronie über­haupt. Zwar widmet Saus sure - durch sein Studium in Leipzig nicht unwesentlich von den Junggrammatikern geprägr35 - einen beträchtlichen Teil des Cours der diachronen Linguistik (SAUSSURE, Cours 1 :3 1 7-434) , insistiert auf der wechselseitigen Abhängigkeit von Synchronie und Diachronie (ib. :221) , und bezeichnet die Synchronie als projection gegenüber der dalite historique (ib. : 1 94/ 1 456) . Dennoch beantwortet er die Frage des Vorranges insofern zugunsten der Synchronie, als sie der Perspektive der gesprochenen Sprache gleiche: « . . . c' est la tranche horizontale qui a la primaute, <parce qu' on pade dans tranche horizontale> . Autant de tranches horizontales, autant d'etats qui servent a pader. La section verticale ne sera consideree que par le linguiste.» (ib. : 1 98/III C 371 / 1 496) . Auch wenn diesem zurückhaltend formuliertem methodischem Vorrang der Synchronie die essenzielle Historizität von Sprache gegenübersteht (cf. WUNDERLl 1 990:25, 29-32) , so ist es doch die synchrone Betrachtungsweise, die sich in der Nach­folge Saussures faktisch durchsetzt (cf. ROBINS 1 997:225) . Und dies vermutlich deshalb, weil mit der synchronen Betrachtungsweise «erstmals» wieder die Frage nach der Kon­stitution sprachlicher Einheiten gestellt wird, die im komparatistischen Paradigma ein Jahrhundert lang weitgehend unbeachtet blieb (AMACKER 1 975 :1 6-2 1 , AMSTERDAMSKA 1 987 :1 99-205) . Die fortschreitende Fokussierung auf die Synchronie spiegelt sich auch in den weiteren Variationen des Baummotives wieder. Wenn die Raster auch in der De­pendenz- und Transformationsgrammatik wieder Arboreszenzen weichen, so werden die nachfolgenden Arboreszenzen doch allesamt Darstellungen der Synchronie bzw. der Sprecherkapazität sein und damit weit enfernt von jeder historischen Genealogie.

5.4 Kommutation und Dichotomisierung in der strukturalistischen Phonologie der Prager Schule

Die Abkehr von der Genealogie zeichnet sich ab den 20er Jahren des 20. Jh. immer mehr ab. So versuchen z.B. Trubetzkoy, Marr und Uhlenbeck eine RedefInition des Indogermanischen, indem sie dessen ideelle Einheit nicht über eine genealogische Her­leitung begründen, sondern über einen Strukturvergleich und die Aufstellung von sechs Basismerkmalen (phonologische, morphonologische und morphologische), die allen indogermanischen Sprachen unabhängig von der Altersstufe gemeinsam sind (cf. ARENS 1969:488-96) . Noch deutlicher zeigt sich der Trend zur Systematisierung in der Suche

35 Die Diachronie-Konzeption zeigt deutlich Saussures junggrammatische Ausbildung (z.B. SAUSSURE, Cours 1 :327ss. zur Regularität der changements pho11l!tiques oder sein Memoire sur le systeme primitif des voyelles dans /es longues indo-europeennes von 1 879) . Cf. AMSTERDAMSKA 1 987 : 1 78-90 MEILLET 1 952: 1 75-77, DE MAURO 1 9 85:325-30. Sie entbehrt aber teleologischer Anteile, wie sie in Hjelmslevs Sprachwandel-Konzept zu flnden sind (cf. unten N60, COSERIU 1 974:1 52-205) .

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nach «atomaren Einheiten», an der die Phonologie der Prager Schule3", wie sie in der Nachfolge Baudouin de Courtenays u.a. durch Trubetzkoy vertreten wird.

5.4.1 Trubetzkoys «carre» der Kommutation und Korre1ationsbünde1

Trubetzkoy kommt ebenso wie Jakobson über die Vermittlung Karcevskij s , der zeitwei­se in Genf lehrt, mit der Saussureschen Sprach theorie in Kontakt (V ACHEK 1 970: 1 8-22) . In der Phonologie Trubetzkoys findet sich u.a. die Basisdichotomie Saussures, langue V.r. parole, wieder. Analog wird unterschieden zwischen Lautsystem und Lautäußerung bzw. Phonologie und Phonetik.

Die artikulatorischen Bewegungen und die ihnen entsprechenden Lautungen, die in ver­schiedenen Sprachakten vorkommen, sind unendlich mannigfaltig, aber die Lautnormen,

aus welchen die Einheiten der bezeichnenden Seite des Sprachgebildes bestehen, sind endlich (zählbar), der Zahl nach beschränkt.

Da das Sprachgebilde aus Regeln oder Normen besteht, so ist es im Gegensatz zum Sprechakt ein System oder, besser gesagt, mehrere Teilsysteme . . .

. . . Wir bezeichnen die Sprechaktlautlehre mit dem Namen Phonetik, die Sprachgebilde­lautlehre mit dem Namen Phonologie. (TRUBETZKOY, GP:6s .)

Mit der Berufung auf abstrakte Normen, die den Werlen (valeurs) Saussures entsprechen, will die neue «Lautgebildelehre» eine noch deutlichere Trennung zwischen Phonetik und Phonologie erreichen, als sie die ältere englische Lautlehre mit Sweet (cf. 3 .9) und Jespersen aufweist (cf. TRUBETZKOY, GP: l O) . Hier liegt einer der Punkte, wo die Ab­grenzung der neuen strukturalen Sprachwissenschaft zur Naturwissenschaft, und damit ein paradigmatischer Bruch, klar angesprochen wird. Die Phonetik bedarf naturwissen­schaftlicher Methoden, weil sie sich mit Physik, Akustik und Physiologie beschäftigt. «Da das Bezeichnende des Sprechaktes eine einmalige Naturerscheinung ist . . . so muß die Wissenschaft, die sich damit befaßt, naturwissenschaftliche Methoden anwenden.» (TRUBETZKOY, GP: 1 3) . Die «Naturhaftigkeio> des Objektes und die daraus folgende «naturwissenschaftliche Methode», die im 1 9 . Jahrhundert gerade als Argumente für die Wissenschaftlichkeit der Linguistik gegolten haben, dienen nun als Ausgrenzungskriteri­um. Der eigentliche Bereich der Sprachwissenschaft liegt jenseits von Naturerscheinung und Naturwissenschaftlichkeit. Wie Saus sure die Lautphysiologie vollkommen aus der Linguistik ausschloß (SAUSSURE, Cours 1 :22, 92) schreibt auch Trubetzkoy: « . • • ein ge­wisser Kontakt zwischen der Phonologie und der Phonetik [ist] trotz ihrer grundsätzli­chen Unabhängigkeit unvermeidlich und unbedingt notwendig. Dabei . . . aber . . . darf die Grenze des unbedingt Notwendigen nicht überschritten werden.» (TRUBETZKOY, GP: 1 7)37 .

Sprachliche «Organizitäo> bedeutet nun ausschließlich Physiologie der Artikulation ( Jautbildenden Organe» etc.) ; an die Stelle des Leitbildes Naturwissenschaft ist das

36 Zur Verbindung der Prager Schule mit dem russischen und dem Genfer Strukturalismus sowie zur bewegten Geschichte des Prager Zirkels cf. VACHEK 1 970, TOlVIAN 1 995.

37 Ebenso lehnt TRUBETZKOY, GP:37s . eine Psychologisierung der Phonologie ab .

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Leitbild des Werte systems getreten38, das nun entlang der Dichotomie von Ausdruck und Bedeutung sukzessive am Gegenstand «abgearbeitet» wird (im Sinne der normal scien­ce Kuhns) . In Trubetzkoys Konzeption der Phonologie ist dieses Leitbild deutlich abzu­lesen an der Korrelativität von Ausdruck und Bedeutung. Die Segmentierung (Wertebe­stimmung) der abstrakten Lauteinheiten (phoneme) kann nur über die Koordinate der Bedeutungseinheiten erfolgen (cf. auch DE COURTENAY, Anth: 1 52) . Nur so lassen sich funktional bedeutsame Elemente des sprachlichen Systems unterscheiden. Oder in Sau­ssurescher Terminologie: Identitäten und Differenzen der signiftant-Seite (phonologie) korrelieren mit solchen der signifte-Seite (Semantik) .

Das Bezeichnende des Sprachgebildes besteht aus einer Anzahl von Elementen, deren Wesen darin liegt, daß sie sich voneinander unterscheiden. Jedes Wort muß sich von allen übrigen Wörtern desselben Sprachgebildes durch etwas unterscheiden. Das Sprachgebilde kennt aber nur eine beschränkte Anzahl von solchen Unterscheidungsmitteln, und da die­se Anzahl viel kleiner als die Zahl der Wörter ist, so müssen die Wörter aus Kombinatio­nen von Unterscheidungselementen « <Malern) nach K. Bühlers Terminologie39) bestehen . . . Ihre Kombination unterliegt besonderen Regeln, welche für j ede Sprache anders gear­tet sind. Die Phonologie hat zu untersuchen, welche Lautunterscruede in der betreffenden Sprache mit Bedeutungsunterscrueden verbunden sind, wie sich die Unterscheidungsele­mente (oder Male) zueinander verhalten und nach welchen Regeln sie zu Wörtern . . . kombiniert werden dürfen . . .

Der Phonologe hat am Laut nur dasjenige ins Auge zu fassen, was eine bestimmte Funktion im Sprachgebilde erfüllt. (TRUBETZKOY, GP: 14)

Die Nähe dieses linguistischen Modells zu ökonomischen Modellen (5 .2. 1 ) wird auch von Trubetzkoy indirekt bestätigt: « . . . die Phonologie [verhält sich] zur Phonetik wie die Nationalökonomie zur Warenkunde oder die Finanzwissenschaft zur Numismatik.» (TRUBETZKOY, GP: 1 4) .

Auf die phonologische Kombinatorik, die Trubetzkoy in der zitierten Passage an­spricht, werden wir hier nicht näher eingehen. Wir beschränken uns auf die Betrachtung der distinktiven Funktion, die sprachliche Einheiten wechselseitig unterscheidbar macht. Trubetzkoy selbst bezeichnet diese Funktion als « die weitaus wichtigste» (ib. :30) - im Vergleich zur kulminativen Funktion (sie zeigt u.a. an, aus wievielen Elementen der Satz besteht, z.B. der Wortakzent im Deutschen) und zur delimitativen Funktion (sie gibt die Grenze zwischen zwei Einheiten an, z.B. der Knacklaut im deutschen Spiegel'ez) , die komplexere Einheiten gliedern - und sie ist diejenige, die auf kleinstem Raum das Grundprinzip der strukturalen Phonologie erkennen läßt.

Historisch kennzeichnend für die (funktionale) Distinktion ist, daß sie sich deutlich von der vergleichenden Differenzierung der Komparatistik unterscheidet. War Letztere beim Vergleich auf das tertium comparationis, d.h. den gemeinsamen Ursprung hinter der Ver­schiedenheit bedacht (visualisiert im «Y» der sich verzweigenden Äste der Sprachent­wicklung) , so folgt die Distinktion der strukturalistischen Phonologie dem Prinzip der

38 Cf. GASPAROV 1987:49-62 zur im slawischen Sprachraum seit dem 19 . Jh. existierenden Gegenbewegung zur positivistisch-genealogischen Sprachwissenschaft Westeuropas.

39 Bühler definiert Phoneme als <<Lautmale am Klangbild des Wortes» , so wie Bäume die Ge­samtgestalt des Waldes ausmachten (BÜHLER, Sprachtheorie:278) . Hier ist also das gesamte Pho­nem Mal oder Marke des Wortes - cf. VIEL 1 984 zu Mal (marque) bei Trubetzkoy und Jakobson.

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Austauschbarkeit (Kommutation) 40. Die Gegenüberstellung zweier Elemente zielt nicht auf die Erkennung des Gemeinsamen « <Vergleichsgrundlage» , TRUBETZKOY, GP:60) , son­dern des Verschiedenen ab.

Schallgegensätze, die in der betreffenden Sprache die intellektuelle Bedeutung zweier Wörter differenzieren können, nennen wir phonologische (oder phonologisch distinktive oder auch distinktive) Oppositionell. (TRUBETZKOY, GP:30)

Jedes Glied einer solchen Opposition nennen wir phonologische (bezw. distinktive) Einheit . . . Phonologische Einheiten, die sich vom Standpunkt der betreffenden Sprache nicht in

noch kürzere aufeinanderfolgende Einheiten zerlegen lassen, nennen wir Phoneme . . . . . . Die Phoneme sind eben die Unterscheidungsmerkmale der Wortgestalten. Jedes Wort

muß so viele Phoneme und in einer solchen Reihenfolge enthalten, daß es sich von jedem anderen Worte unterscheidet. (ib:33s.)

Praktisch sieht das Verfahren der Phonemanalyse so aus, daß über die Probe der bedeu­tungsunterscheidenden Wirkung (Kommutationsprobe) sukzessive verschiedene Oppo­sitionen4l von Phonemen herausgeflltert werden, bis man das gesamte Phoneminventar einer Sprache erfaßt hat. So ergeben sich beispielsweise aus der Opposition Stuhl.-Stahl die bedeutungsunterscheidenden Phoneme / u/ und / a/; weiter aus 5 tahl.·Mahl der Pho­nemkomplex / It/ und das Phonem /m/; aus Stahl.-schal ergibt sich / I/ und /t/ usw.

Der Wechsel vom methodischen Prinzip Vergleich zum Prinzip der distinktiven Op­position/Kommutation deckt sich mit dem Bilderwechsel von der Gabelung (<<Y») der Arboreszenz zum carre, dem wir schon bei Saus sure begegnet sind. Grundsätzlich liegt nämlich liegt jeder Phonemabgrenzung elle Parallelisierung zweier Zeichen (Stahl/'Metalllegierung' : Mahl/ 'Essen') und eine Gegenüberstellung ihrer jeweiligen signifiant- und signifie-Seiten zugrunde (Stahl.Mahl und 'Metalllegierung': 'Essen') . Das Ver­fahren der kommutativen Distinktion besteht demnach in einem carre von Nebeneinander und Gegeneinander (Kandinsky) , dessen Seiten Parallelen (in der Skizze dargestellt als horizon­tale Linien) und Oppositionen (vertikale Doppelpfeile) bilden42:

40 Für Nicht-linguisten hier eine kurze Erläuterung zum Kommutationsprinzip. Es werden verschiedene Fälle von Austauschbarkeit unterschieden. (1) Laute sind austauschbar oder nicht austauschbar. Kriterium hierfür ist die identische Umgebung. (l a) Z.B. sind im Deutschen /i/ und lai in der Umgebung M-st austauschbar: Mistl Mast. Weil dieser Austausch mit verschiede­nen Bedeutungen einhergeht, sind Ii/ und lai «bedeutungsunterscheidende EinheiteID>/Phone­me des Deutschen, sie bilden eine «distinktive OppositioID>. (1 b) Nicht austauschbar sind dage­gen Laute, die nur in unterschiedlichen Umgebungen auftauchen (komplementäre Distribution) . Z.B. stehen im Deutschen der «ich-Laub> 1�/und der «ach-Laub> Ixl nie in der gleichen Umge­bung. I�I erscheint nur nach hellen Vokalen (Pech, mich) , lxi nur nach dunklen Vokalen (Schach, Tuch, Koch) . I�I und Ixl können deshalb nicht bedeutungsunterscheidend wirken, sie bilden keine distinktive Opposition. Ein mit I�I ausgesprochenes Schach würde lediglich als merkwür­dige Realisierung verstanden. (2) Vertauschbare Laute können eine distinktive Opposition bil­den, müssen aber nicht. So ist z.B. im Deutschen die Tonhöhe der Vokale in gleicher Umge­bung austauschbar. Weil sich aber dadurch (anders als im Chinesischen) die Bedeutung dzdurch nicht ändert, liegt hier keine distinktive Opposition vor.

4l Zur Unterscheidung verschiedener Oppositionsarten cf. TRUBETZKOY, GP:60-75 . 42 Cf. COURTENAY, Anth: 1 66-70 zur Phonemalternanz:

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@ ahl A signifiant Asignific

I I I 1 @ ahl ��9 B siginfiant Bsignifie

Daß dem phonologischen Analyseverfahren beide Seiten des Zeichens zugrundegelegt werden, charakterisiert die gesamte Prager Schule, und grenzt sie ab vom rein aus­drucksseiteigen Distributionalismus bei US-Strukturalisten wie Harris (6 .4) .

Sind über dieses kommutative Kernverfahren alle Phoneme einer Sprache ermittelt, kann die Strukturierung der Phoneme untereinander erschlossen werden (fRUBETZKOY, PB:6) . Diese bestimmt sich einerseits über das sprach spezifische Phoneminventar, ande­rerseits über die spezifischen Korrelationen der Phoneme in sogenannten Bündeln43 • Die­se Korrelationen bilden die zweite Abstraktionsstufe in Trubetzkoys Phonologie. Wie bei der ersten Stufe werden hierfür abermals die Instrumente Parallelisierung und Ge­genüberstellung angewendet. Definiert wird das Korrelationsmerkmal als «eine phono­logische Eigenschaft, durch deren Vorhandensein oder Nich tvorhandensein eine Reihe von Korrelationspaaren gekennzeichnet iSD> (fRUBETZKOY, GP:77) . Die Parallelisierung (<<Reihe von Paaren») und Gegenüberstellung (<<Präsenz vs. Absenz einer EigenschafD» manifestiert sich in verschiedenen Konstellationen, deren häufigste nach Trubetzkoys eigener Einschätzung diejenigen sind, in denen zwei phonologische Eigenschaften rei­henweise korrelieren. Für diesen Fall gibt es zwei mögliche Konstellations- bzw. Korre­lationsformen: (a) viergliedrige Korrelationsbündel (carris) oder (b) dreigliedrige Korrela­tionsbündel (minimale Verzweigungen) . Was man darunter zu verstehen hat, illustriert TRUBETZKOY, GP:78 an zwei Beispielen.

Fall (a) . Ein viergliederiges Korrelationsbündel liegt vor, wenn jedes Element der ei­nen Korrelationsreihe auch an der anderen Korrelation teilnimmt. Z.B. ergeben sich bei den Konsonanten des Altindischen hinsichtlich der Eigenschaften 'Sonorität' und 'Aspiration' folgende Gruppierungen:

P b

ph bh

k g

kh gh

t d

th dh

Die Vierergruppierungen in Reihe ergeben sich dadurch, daß j edes Element der Korre­lationsreihe + / - SONOR (p - b, k - g, t - cf) auch an der Korrelationsreihe + / - ASPIRIERT teilnimmt (p - ph, b - bh usw.) . Anders gesagt: in einer Kreuzklassifikation aus den Merkmalen + / - SONOR und + / - ASPIRIERT ist jede Position belegt. Die carris ergeben sich also nach folgendem Muster:

43 Cf. die Kritik von TESNIERE 1 968 an dieser taxonomischen Sichtweise.

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- SONOR +

P b

ASP. 1 1 ASP. + +

ph bh - SONOR +

Fall (b) . Reihen von Minimalverzweigungen bzw. dreigliedrigen Korrelationsbündeln ergeben sich, wenn nur j eweils ein Element der einen Korrelation an der anderen teilnimmt. Die ist beispielsweise in der Konsonantengruppierung des Altgriechischen nach + / - SONOR und + / - ASPIRIERT der Fall:

rr ){

A A ß y x

Die Dreiergruppen ergeben sich dadurch, daß nicht wie oben alle Positionen der Kreuz­klassifIkation besetzt sind. Es «fehlt» das Element mit den Merkmalen + SONOR und + ASPIRIERT. Die Verzweigungen folgen also dem Muster:

- SONOR rr - ASPIRIERT

/ \ ß 'P

+ SONOR + ASPIRIERT

Damit unterscheidet sich die Phonemstruktur des Altindischen strukturell von der des Altgriechischen. Trubetzkoy führt dieses Verfahren auch für Konsonanten anderer Sprachen aus (bei denen sich noch komplexere und seltenere Konstellationen von bis zu achtgliedrigen Bündeln ergeben) und für Vokale (<<dreiklassige» und «vierklassige Vokal­systeme» ; TRUBETZKOY, GP:89-1 1 4) . Im Grunde lassen sich aber auch die komplexen Bündelungsmuster auf die oben dargestellten Basisprinzipien des carri und der Minimal­verzweigung reduzieren.

In der Anwendung auf ein komplettes Phonemsystem ergeben sich so erneut um­fangreiche kreuzklassifIkatorische Tableaux (cf. auch MARTINET, LS: 1 60s.) , die den phonetischen Tableaux eines Wallis oder Lodwick (3 .9) ähneln, jedoch viel stärker an einer dichotomisierenden Gegenüberstellung bzw. Parallelisierung orientiert sind, wie sich an Trubetzkoys Darstellung des hottentotischen Konsonantensystems zeigt:

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!Consonantcn Labiale 11 VorderIinguale I Hinterlinguale I ---,---::-- Larvn2"ale I Einiuch I Schna lzl. 1 Einfach I Schn31zl. J ...

� 1 leicht \1, I T- k I I ! k I -P t 1--1 k 1--1 (wird nicht

� � schwer j I, =1= I ! I bezei�hnet) a 1 , I , ] -_-I' leicht '\----:\----j-='-.---x-I---j--j-x-I---- I � ts 1 -'--1 "X --- I \ � \-:=\ __ I #Ilk� -- l'I' hk 1I 1 I leIcht _

I _�_I_S_ch_ .. _-e_r I s _1_ -/,-, -\

I U i X :� I le icht I I X

� 1 schwer I I� I plosiv I I � n I

Nmle I-affr-ik.-tiv I m I n �I (TRUBETZKOY, GP: 1 55)

I/ x

/1 h

\ ! n I I-I I // n

h

245

5.4.2 Achsenkreuz der «speech analysis», Plus-Minus-Matrix und Arboreszenz

bei Jakobson/llalle

Der nun folgende Abschnitt ist also chronologisch gesehen ein «Ausreißen>, Eigentlich müßten wir mit Hjelmslev in der Chronologie des europäischen Strukturalismus fortfah­ren. Die Betrachtung von J akobsons Sprach theorie an c1ieser Stelle bedeutet einen zeitli­chen Sprung in c1ie 50er Jahre. Zwar beginnt Jakobson seine c1istinktive Phonologie zeit­gleich mit Trubetzkoy im Prager Zirkel zu enrwickeln, c1ie breite Ausarbeitung und Re­zeption seiner Phonologie und Poetik erfolgt jedoch erst nach seiner Emigration, als er in englischer Sprache zu publizieren beginnt, (Die frühen Werke erscheinen in russi­scher, tschechischer oder deutscher Sprache und werden erst ab den 70er Jahren nach und nach ins Englische übersetzt und so einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich) , Die Durchbrechung der Chronologie zu einer kurzen Darstellung der Phonologie von Ja­kobson und Halle ist hier sinnvoll, wahrt sie doch den c1isziplinären Zusammenhang (phonologie) und erlaubt darüber hinaus einen «Blick in c1ie Kristallkugeb, nämlich auf den sukzessiven Bilderwandel ab den 50er/60er Jahren - und bietet damit einen weite­ren Beleg für c1ie enge Verwobenheit von Raster- und Arboreszenzbild,

Jakobson setzt einerseits auch nach seiner Emigration in c1ie USA c1ie c1istinktive Phonologie des Prager Zirkels fort. Dies äußert sich auch in entsprechenden rasterhaf-

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ten Darstellungen. Andererseits zeigen die späteren Arbeiten bereits eine Durchbre­chung der Dominanz des Rastermotives zugunsten der Arboreszenz. Zu vermuten ist, daß bei diesem Bilderwandel der Einfluß mathematischer Kommunikationstheorien, wie sie auch der amerikanische Distributionalismus und die Transformationsgrammatik auf­greift, eine Rolle gespielt hat. Da Jakobsons Arboreszenzen aber überwiegend klassifika­torischer (und nicht generativer) Natur sind, ist es sinnvoller, sie hier im Rahmen des europäischen Strukturalismus und seiner Raster zu behandeln - obwohl die späten Ar­beiten von Jakobson (entsprechend seiner veränderten Forschungsumgebung und evtl. vermittelt durch die Zusammenarbeit mit Halle, der auch mit Chomsky koproduziert) deutliche Annäherungen an die generativen Arboreszenzen des US-amerikanischen Strukturalismus aufweisen 44.

Die Anlehnung an Trubetzkoys Kommutationsverfahren zur Abgrenzung der Pho­neme bzw. ihrer distinktiven Züge wird schon auf den ersten Seiten von JAKOB­SON/FANT/HALLE 195 1 deutlich, wo anhand der «Substitution eines Segmentes» (l(ommutation) entlang einer Reihe wie z .B. bill - pill - mill . . . die ultimate units /b/, /p/, /m/ herausgeflitert werden. Diese bedeutungsunterscheidenden Minimaleinheiten (pho­neme) basieren wiederum auf distinctive features (= Mal bei Trubetzkoy) wie + / - STIMM­HAFT, wie bei /b/:/p/ etc. (cf. auch JAKOBSON/HALLE 1956:4) . Ebenso wie Trubetz­koy unterscheiden JAKOBSON/F ANT /HALLE 195 1 :6s . zwischen kommutierbaren Lauten mit und ohne distinktiver Funktion (cf. oben N40) , konfigurativen, kulminativen und delimitativen Merkmalen (JAKOBSON/HALLE 1 956 :9) usw. Anders als Trubetzkoy beru­fen sie sich allerdings im Zusammenhang mit den distinctive features viel stärker auf die Linearität der Rede. Distinctive features sind für sie nicht nur systematische Male, die sich wiederum in einem Metasystem (wie den Bündeln Trubetzkoys) korrelieren lassen, son­dern vor allem Male, die der sukzessiven Kodierung bzw. Dekodierung eines Inhaltes in der Redekette dienen. In dieser Perspektive bildet j edes Phonem in der Redekette eine Position, wo der Sprecher/Hörer vor die Wahl (Sprecher) bzw. die Erwartung (Hörer) -bzw. Wahrscheinlichkeitsvermutung (Linguist) - eines nachfolgenden Merkmals bzw. Merk­mals bündels (phonem) gestellt wird45:

Any minim�l distinction carried by the message confronts the listener with a two choice situation. Whithin a given language each of these oppositions has a specific property which differentiates it from all the others . The listener is obliged to choose either be­tween two polar qualities of the same category, such as grave vs . acute . . . or between the presence or absence of a certain quality, such as voiced vs. unvoiced, nasalized vs. non­nasalized . . . The choice between the two opposites may be termed distinctive feature . . . Tbe distinctive features combined into one simultaneous . . . concurrent bundle form a phoneme. OAKOBSON/FANT/HALLE 1 9 5 1 :3, cf. JAKOBSON/HALLE 1 956:4)

44 Gerade in den 50er bis 70er Jahren zeigt sich am europäischen und US-amerikanischen Strukturalismus (I<:onstituentenanalyse, Transformationsgrammatik; Kap. 6) , daß geisteswissen­schaftliche Paradigmen durchaus parallel existieren können. Cf. auch ALBRECHT 1 988 :81 - 1 02.

45 Hier liegt der Berührungspunkt von Phonologie und Informationstheorie (Distributions­berechnung, Wahrscheinlichkeitskalkulation für das Auftretens eines bestimmten Phonems in einem bestimmten Kontext; cf. MARTINET, Elements:25-27, 32s., 1 82ss.) . - PIKE 1 959:46s. und 1 967 kritisiert diese vereinfachende Segmentierung der <<Lautkette» in «a+b+c+d . . . » .

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Jakobson/Fant/Halle berufen sich damit nicht wie Trubetzkoy auf ein cami-Geflecht systeminterner, abstrakter Oppositionen, sondern auf das Achsenkreuz von Rede/Syn­tagmatik und System/Paradigmatik. Dem entspricht, daß sie den Terminus bundle nicht als Begriff für eine Phonemkorrelation auf Metaebene verwenden (wie Trubetzkoy), sondern entweder für die simultane Bündelung von distinctive features in einem Phonem der Redekette oder für die lineare Bündelung (Sequenzierung) von Phonemen zu Silben (phonemgruppen), die wiederum bestimmten Abfolgegesetzen gehorchen, die einzel­sprachlich oder auch universal sein können:

A set of rules, some of them universal, determine the pattern of the syllable. For instance, there is no known language where a syllable cannot begin with a consonant or terminate in a vowel, whereas there is a number of languages in wruch a syllable cannot begin with a vowel or terminate in a consonant. Thus, for a sequence of phonemes, the contrast of vocality and non-vocality is of primary importance, while the occurence of these oppo­sites in one and the same position is much more restricted ... (JAKOBSON/FANT/HALLE 195 1 :20; cf. ]AKOBSON/HALLE 1 956 :20s.)

Für das Achsenkreuz bedeutet dies, daß es nur noch sehr bedingt ein <mach oben offe­nes» Koordinatensystem ist, denn mit steigender Länge der syntagmatischen Lautkette (vom Phonem zur Silbe bis zum Wort - horizontale Achse) nehmen die den Positionen zugeordneten paradigmatischen Möglichkeiten (vertikale Achse) ab .

Aus der linearen Betrachtungsweise, die mit der Kommunikationsorientierung der Prager Schule46 ebenso übereinstimmt wie mit dem distributionalistischen Ansatz der US-Linguistik - ergibt sich das Problem der Redundanz, das bei der abstrakten Analyse systemimmanenter Phonemoppositionen per definitionem keine Rolle spielen kann. Folge ich aber dem linearen Kodierungs-/Dekodierungsprozeß der parole, so stelle ich fest, daß z.B. nach der Sequenz /haup/ im Deutschen mit hundertprozentiger Wahrschein­lichkeit das Phonem /t/ folgen wird. Das /t/ ist hier also für die Kodierung des Inhal­tes theoretisch redundant. Durch suprasegmentale Merkmale, die hinsichtlich der Fort­setzung der Sequenz zusätzlich selektiv wirken, wird die Zahl solcher Redundanzen noch erhöht. Praktisch haben solche Redundanzen allerdings den Wert, bei gestörtem Kommunikationskanal (Leitungsrauschen beim Telefonieren etc.) die Wahrscheinlich­keit der richtigen Dekodierung zu erhöhen. Eine Äußerung wie <<Komm . . . du heu . . . abend?» bleibt insgesamt für den Hörer interpretierbar, auch wenn er nicht jeden Laut verstehen konnte. «Redundant features help to identify a concurrent or adjoining feature or combination of features . . . The auxiliary role of redundancies must not be underesti­mated.» OAKOBSON/HALLE 1 956:9, ebenso JAKOBSON/FANT/HALLE 1 95 1 : 8) .

Daß die Bündelung von distinctive features nicht als systemimmanentes Muster (wie bei Trubetzkoy), sondern als Phänomen der Redekette gesehen wird, belegt die Nähe von Jakobsons Phonologie zum distributionalistischen Ansatz und zur ko-epochalen ma­thematischen Kommunikationsanalyse. Weitere Hinweise hierfür sind die Verwendung von Begriffen wie encoding und decoding, sowie die Binarisierung phonologischer Opposi-

46 Cf. die Kritik von ] AKOBSON 1988:403- 1 6 an Saussures Konzept von <<innerem Monolog» und parole.

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tionen auf «yes-or-no situations» bzw. Merkmalshaftigkeit und Merkmalslosigkeit47 . Die­se Binarisierung ist zwar schon bei Trubetzkoy zu spüren (cf. Konsonanten-Tableau oben) , entwickelt sich nun aber zu einem mathematischen Dualsystem von Plus und Minus48, das anfanglich viel Kritik auslöst, später j edoch von der Informationstheorie und der Entwicklungspsychologie Bestätigung erfahrt:

Analytic Transcription The phonemes may be broken down into inherent distinctive features which are the ulti­mate discrete signals. Where this operation is reduced to yes-or-no situations, the pho­neme pattern of English (Received Pronunciation) could be presented as follows: OAKOBSON/FANT/HALLE 195 1 :43)

1 . V o c a H c/Non-vocalic

2 . C o n s onantal/N o n - c: on s onamal

3. C o mpact/Diffuse

4 . Grave!A c ute

5 . Flat! Plain

6. No.saljOrat 7. T e n s ej Lax

8 . C onti nuani!Interruptecl

9. Strident/ Mellow

O a e U i' i l ;J / ] k S 3 g m f P v b n s 9 t z a d h i! 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + + '+ _ . - - - 1 - - 1 -- - - - - - - 1 - - - - - - -- - - 1- 1 - - + + + + + + + + + + + + + + 1" I + + + + +

i + I + + - - - + + + +, + + + - - - - - - - 1 - - - - -i + I + - + + I + + + + + - - -I I I

' r + - + - - - 1 - - - + - - - - + - - - - -I 11 : : : 1' : : : : � : : : : : � + -

I + _ + _ + _ + _

Key to phonemic transcriptio n: 101 - PQt , l ai - pgt ; l ei - p�t , lul - pg,t , 181 - p!!.tt , l i l - pit , I II - lulI , 11]1 - lung , IJI - � i p , jJ/ - <J:! i p , I k/ - �i p , �I - a�ure , 13/ - juic e , Igl - goo s e -:-I ml - �ill , Ifl - 1ill , I.p/ - 'pill , l vi - :'{im, I bl - .\?ill , In/ - gil , Tsl - .§.il l , l e/ - !)!ill , I t/ , - 1ill , / z/ - �ip , /tf/ - thi s , Id/ - dill , I h/ - hili , / # / - i l l . T h e prosodie opposition stre s s e d v s . un�tre s s e d , splits e a c h cf t h e vow�l . phone me s into tw o .

Die phonologischen Matrices von J akobson und Halle können (ebenso wie die semanti­schen Matrices Pottiers49) als Beispiele von Rastern dienen, die sich schlüssig aus Sau­ssures Grundkonzeption des systeme de valeurs ergeben.

47 Saussure lehnte die sogenannten Nullzeichen/ signes zero ab: ein Wert könne sich nicht durch eine "Opposition zu nichts» konstituieren. Zur Nullzeichen-Diskussion cf. u.a. SAUSSURE, Cours 1 : 1 92/1 442s . ; Cours 2:35/3308; BALLY, LGLF: 1 60-64; GODEL 1 953; HJELMSLEV, Essais 2 : 148s . ; JAKOBSON 1 972; HOLENSTEIN 1 975 : 134-36; HARRIs, 5L: 1 68; CHOMSKY, 55:64.

48 An dieser Darstellungsweise wird sogar festgehalten, obwohl für bestimmte Phoneme das Zutreffen von + und - gleichzeitig eingeräumt werden muß OAKOBSON/FANT/HALLE 1 95 1 :44) . Abstrakt gesehen leuchtet dies wenig ein, erklärt sich aber vermutlich aus den «Grau­zonero) empirischer Artikulationsmessung. - Nicht vergessen werden darf, daß J akobson und Halle nicht durchweg auf strikter Plus-Minus-Binarität pochen. Man denke an das auf gradierba­rer Opposition fussende polarity principle OAKOBSON/HALLE 1 956 :5 , 58ss.) .

49 Cf. Pottiers Matrixdarstellungen der semantischen Struktur der Wortfelder 'Sitzgelegen­heiten', 'Straßen', 'Fortbewegungsarten' (POTTIER 1 963: 1 6 und 1 974:98) . Bei den Sitzgelegen­heiten dienen z.B. Merkmale wie 'avec dossier', 'sur pied', 'pour 1 personne', 'avec bras' und

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Daß das Verfahren der Plus-Minus-Matrix nicht nur für die Phonologie sondern auch für die Poetik taugt, zeigt JAKOBSON 1 966. Die Linearität poetischer Sprache folgt grundsätzlich denselben phonologischen Gesetzen der Opposition wie Sprache über­haupt. Anders als die «gewöhnliche» Sprache, die diese Oppositionen weitgehend für die darstellende Funktion nutzt, kommt bei der poetischen Sprache ein erhöhtes Maß an ästhetischer Funktion hinzu (cf. BÜHLER, Sprachtheorie:28-33) . Diese kann u.a. dadurch realisiert werden, daß phonologische Oppositionen zur Generierung von «MusterID> im Text genutzt werden - diese Idee des <<Musters unter dem Text» verfolgten ja auch schon Saussures Anagrammstudien. Indem die distinktiven Oppositionen der Normal­sprache von prosodischen Mustern (die ebenso der Gesetzmäßigkeit von + / - -Distinkt­ion folgen) überlagert werden, entsteht ein verdoppeltes Muster der Distinktionen. Un­ter Umständen können kleinere prosodischen Muster wiederum als Spiegelungen grö­ßerformatiger inhaltlicher Motive (wie z.B. 'Abkehr' und 'Wiederkehr' in einem Roman) dienen. Jakobson demonstriert dies, auch graphisch, an der Analyse einer Kapitelüber­schrift aus Jules Romains' Amours enfantines:

Le chapitre final des Amours enfantines de Jules Romains s'intitule Rumeur de la rue Riaumur. Le nom meme de cette rue, nous dit l'auteur, «ressemble a un chant de roux et de murail­leS» et evoque divers autres bruits de la ville, «trepidatioID>, «vibratioID>, «bourdonnemenD>. Ces motifs, etroitement unis aux themes de flux et de reflux qui fait le fond du livre, s'incarne dans la forme sonore rue Riaumur. Au nombre des phonemes consonanti­ques de ce nom, on trouve seulement des sonnantes; la sequence consiste en quatre son­nantes (S) et quatre voyelles (V) : SVSV - VSVS, symetrie en rniroir . . . les voyelles de ces syllabes correspondantes manifestent trois oppositions phonologiques: 1) grave (veJaire) contre aigue (palatale); 2) bemolisee (arrondie) contre non bemolisee (non arrondie); 3) diffuse (fermee) contre non diffuse (ouverte) :

ru meur ru re au mur rou mur re meu

grave D 1 - - I + + bemolisee + 1 + + D + diffuse + + 1 - + + + (JAKOBSON 1 966:35s .)

Damit ist klar, daß Jakobsons Poetologie rein textimmanent arbeitet; auch später nähert sie sich nicht kontextuell arbeitenden Literaturtheorien (BRADFORD 1 994: 1 08-1 8) . Das heißt, Prosodie besteht für Jakobson in der Kompositorik sprachlicher Oppositionen, ihre Mittel sind Parallelisierung und Kontrastierung phonologischer oder grammatischer Kategorien (JAKOBS ON 1 981 :93) . Daß sich in dieser formalen Ästhetik just die Prinzipi­en russischer Konstruktivisten (z.B. Rodtschenkos) , Kandinskys (Nebeneinander und

'avec materiau rigide' zur Unterscheidung der Sememe 'chaise', 'fauteuil', 'tabouret', 'canape' und 'pouf. Pottier greift bei seiner Analyse allerdings auch auf außersprachliche Erfahrungen von Sitzgelegenheiten. Die strukturalistische Forderung nach systemimmanenter Werteabgrenzung erfüllt seine Analyse deshalb nicht ganz (cf. COSERIU 1 970b: 1 1 3s . , 1 973:55-77) .

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Gegeneinander) oder Malewitschs (Absenz des Gegenstandes bzw. bei Jakobson: des Außertextlichen) wiederfinden (5 .2.2) , ist sicherlich kein Zufall. Immerhin war Jakobson

in den 20er Jahren stark in der formalistischen Lite-a

p L-___ --'-___ -'"

raturszene in Prag verwurzelt, zu der u.a. Xlebni­kov und Aljagrov zählen. Mit Letzerem ist Jakob­son gemeinsam dichterisch tätig (BRADFORD 1 994:36s.) . In verschiedenen Publikationen befaßt er sich mit zeitgenössischen Entwicklungen in der bildenden Kunst: mit Futurismus, Realismus, Da­daismus (rOMAN 1 9 87:3 1 6-21) .

Jakobsons strukturalistische Poetologie schlägt damit wieder eine Brücke zwischen Sprach- und

Literaturwissenschaft, jedoch nun mit veränderten Vorzeichen. Lieferte den Komparati­sten des frühen 19 . Jahrhunderts die literaturwissenschaftliche Analyse (z.B. des Sans­krit) ein Medium für die Sprachanalyse, so ist es nun umgekehrt: die strukturalistische Sprachanalyse liefert ein Medium für die Literaturwissenschaft.

Doch zurück zur «reinem> Phonologie. Neben der Plus-Minus-Matrix bringen Halle und Jakobson die Idee der implikativen Ordnung (respektive EntwickluniJ der phonologi­schen Struktur ins Spiel. Damit ist nun j edoch nicht allein die diachrone Lautentwick­lung einer Sprache gemeint wie in der Komparatistik, sondern ebenso (a) der ontologi­sche Aufbau einer phonologischen Struktur oder (b) der phylogenetische Aufbau einer phonemischen Struktur im Spracherwerb. In beiden Fällen haben wir es mit relativ großformatigen Arboreszenzen zu tun.

Anders als Trubetzkoys systeminterne Korrelations-Bündel vergleichen Jakobson und Halle nun die Implikations-Muster einer Sprache (bzw. von Sprache überhaupt) mit dem Muster bzw. Verlauf des phonemischen Spracherwerbs . Dabei kommen sie zu dem Schluß, daß die ontologische Relevanz phonologischer Oppositionen deckungsgleich ist mit ihrer chronologischen Stellung im Spracherwerb des Individuums sowie in der dia­chronen Lautentwicklung der betreffenden Sprache.

The eomparative deseription of the phonemic systems of diverse languages and their con­frontation with the order of phonemie aequisitions by infants learning to speak, as weil as with the gradual dismantling of language and of its phonemie pattern in aphasia, gives us important insights into the interrelation and classifieation of the distinctive features. The linguistie, espeeiaily phonemie progress of the ehild and the regression of the aphasie obey the same laws of implieation. If the ehild's aequisition of the distinetion B implies his aequisition of distinetion A, the loss of A in aphasia implies the absence of B . . . The same laws of implieation underlie the languages of the world both in their statie and dy­namie respeets. OAKOBSON/HALLE 1 956:26s.)

Das heißt zum Beispiel: Eine grundlegende phonologische Opposition wie Konsonant vs. Vokal steht auch im Spracherwerb in einer Basisposition. Die ersten «sprachlichem> Äu­ßerungen des Kindes (nach der rein vokalischen Phase) sind Wörter wie Papa und Ma­ma, die sich aus einem offenen Vokal und einem Verschlußlaut zusammensetzen. Damit ist zugleich die Opposition 'hohe, konzentrierte Energie' / a/ vs. 'Niedrigenergie-Stop' /p/ gegeben. Aus dieser Opposition können sich wiederum weitere Oppositionen ent­wickeln: zunächst vokalische /u/ : /i/, dann konsonantische OAKOBSON/HALLE

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1 956:40) 50. - Umgekehrt belegen Studien zur Aphasie, daß phonemische Oppositionen höheren Grades, wie z.B. nasal:non-nasal, vor Oppositionen niedrigeren Grades (wie Vokal:Konsonant) verloren gehen bzw. der Verlust einer Opposition von Stufe 3 immer zugleich den Verlust der Opposition von Stufe 4 impliziert. Spracherwerb und Sprach­verlust folgen also einer Arboreszenz von Oppositionen wie dieser GAKOBSON/HALLE 1 956:40) .

Der implikative Aufbau phonemischer Strukturen im Spracherwerb stimmt formal mit der Implikationsstruktur distinktiver Züge eines phonologischen Systems überein. Dies zeigt ein Blick auf Halles Arboreszenz des russischen Phonemsystems51 (Abbil­dung folgende Seite) . Mit der für verschiedene Bereiche gültigen Implikationsstruktur ist die strukturale Pho­nologie letztlich an die Grenzen der Universalienforschung gelangt, denn: «The univer­sal repertory of possibilities from which a given language makes a selection reflects the capability of the human mind to polarize certain sound elements for their efficient use as distinctive oppositions .» GAKOBSON/WAUGH 1979:60) .

Damit hat sich das Modell der strukturalen Phonologie binnen fünfzig Jahren von systeminternen oppositiven Rastern über Plus-Minus-Matrices bis hin zu arboreszieren­den Implikationsstrukturen gewandelt. Die Spekulation Jakobsons und Waughs, daß diese Arboreszenz nicht nur ein Klassifikationsmodell, sondern auch ein Modell des Spracherwerbs und schließlich auch eine universale Struktur (cf. JAKOBSON 1973:23) , d.h. eine Strukturierung der menschlichen Sprachfahigkeit (capability of minet) überhaupt sein könnte, bedeutet, daß die strukturale Phonologie nicht nur hinsichtlich des Bildes der Arboreszenz, sondern auch hinsichtlich dessen Interpretation als universaler, gene­rativer Struktur der etwa zeitgleich sich formierenden Transformationsgrammatik sehr nahe kommt. Ob dies auf gleiche «Inspirationen» aus mathematischer Kommunikations­theorie und Computersprache zurückzuführen ist, oder auf eine innerlinguistische «In­spiration» zwischen phonologischem Strukturalismus und Generativismus, sei offen gelassen.

50 Dies entspricht einer 90°-Drehung des üblichen Vokaldreiecks, das den Querschnitt durch den Artikulationsraum repräsentiert. Velares lai steht dort links (hinterer Mundrauml Gaumen­segel), Ipl und Itl rechts (vorderer Mundraum/Zähne, lippen) bzw. umgekehrt.

5 1 Da die Darstellung der Plus-Minus-Dichototnie folgt, läßt sie sich ebensogut als Matrix ähnlich der oben abgebildeten darstellen (HALLE, SPR45) .

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'5: "� � � � -9

,/

\ I

t . d d, n n1 C ' 1 1 lj P PI b b, m m, f ' . V "', k , 0 K e '8 '0 '0 'j ' u r 1 1 1 ,

Fig. I-I . Branch ing diagram l'epreser.ting the morphonemes of Russian . The numbers with which each node i s labe l ied refer 10 the d ifferent features, as folIows : 1 . vocal ic vs. nonvocalic ; 2. consonantal vs. nonconsonantal ; 3 . diffuse vs. nondiffuse ; 4. campact vs. noncompact ; 5. low ton­al ity vs. high tonali ty ; 6. strident vs. mellow ; 7. nasal vs. nannasal ; 8 . continuant VB. inlerrupled ; 9. voiced vs. voiceless ; 1 0 . sharped vs. plain ;

1 1 . accented vs. unaccented. Left branelles represent minus val ues, und right branches, plus va lues for the particlilar fealure.

N � N

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5.5 Hjelmslevsche Vielfalt: Abstraktion vom Gegenstand, Kreuzklassiftkation, deduktive Arboreszenz, projektives Netz der Form, semantische Blockmatrix

253

Nach unserem chronologischen Ausflug in die 50er und 70er Jahre kehren wir nun mit Hjelmslev in die chronologische Reihenfolge Saussure - Trubetzkoy - Hjelmslev zu­rück. Zugleich kommen wir damit nach der Genfer und Prager Schule zur Kopenhage­ner Schule als dritter im Bunde der maßgeblichen strukturalistischen Impulsgeber in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Die Sprachtheorie Hjelmslevs ist thematisch sehr vielseitig. Sie umfaßt beispielsweise die Bereiche Semantik und Grammatik, zwei Gebiete, die in der Sprachwissenschaft an­derweitig eher als Kontrahenten anzutreffen sind (man denke an die unüberwindlich erscheinenden Hürden zwischen Transformationsgrammatik und universeller Semantik) . So verschieden die Themen auch sein mögen - in jedem Entwurf ist Hjelmslev stets und vor allem darauf bedacht, die Abstraktheit der Sprachtheorie zu bewahren, Sprache als immanentes System und Linguistik als immanente Linguistik (H]ELMSLEV, Essais 1 :23, 1 00) darzustellen: «To establish a true linguistics . . . something else must be done. Lin­guistics must attempt to grasp language, not as a conglomerate of non-linguistic (e.g. , physical, physiological, psychological, logical, sociological) phenomena, but as a self­sufficient totality, a structure sui generis.» (H]ELMSLEV, ProI:3s.) .

Was uns bei Saussure und in der Phonologie der Prager Schule bereits als sprachli­ches Wertesystem begegnet ist, aber immer noch an korrelative Faktoren wie soziale Konventionalität, sprachverändernde Einflüsse der parole, artikulatorische Gegebenhei­ten52 oder kommunikative Situation gebunden bleibt, wird von Hjelmslev weiter abstra­hiert zur algebraisch-abstrakten Struktur sui generis. - Es nimmt daher nicht wunder, daß die Glossematik allgemein und Hjelmslev Algebra im Besonderen «Schreckgespenst>>> aller ist, «denen abstraktes Denken Unbehagen bereitet» (ALBRECHT 1 988: 121 ) und die Feindfigur aller, denen an der kommunikativen Funktion der Sprache gelegen ist.

Hjelmslevs Abstraktion umfaßt drei ineinandergreifende Teilbereiche. (1) Objekt­theorie: Jeder Prozeß (also auch die parole usw.) kann in eine begrenzte Anzahl rekurrie­render Elemente in verschiedenen Kombinationspositionen zerlegt werden. Diese Ele­mente können nach den Kombinationen, in denen sie auftreten, in Klassen eingeteilt werden. Demnach soll eine exakte, allgemeine Sprachwissenschaft eine « Kalkulation» (calculus) aller miiglichen Kombinationen erstellen (H]ELMSLEV, Prol:9) . Dieses Streben nach einer « Kalkulation»53 bildet die Spitze des erneuten Anlaufes zu einer « exakteren» Sprachwissenschaft, den unter anderen Vorzeichen schon die Komparatisten unternah­men: War seinerzeit die Naturwissenschaft das Ideal, so ist es nun die quasi­mathematische sprachimmanente Formalisierung. Mit der Abstraktion vom realen (psy­chologischen, artikulatorischen . . . ) Sprachprozeß (parole) und dem Blick auf nicht­realisierte Miiglichkeiten entfernt sich Hjelmslev objekttheoretisch allerdings schon weit

52 Cf. hierzu auch die Kritik von ULDALL, Outline:28 an Jakobson.

53 Ebenso ULDALL, Outlille: 1 - 1 9 . Zu Unterschieden der Glossematik Hjelmslevs und Uldalls cf. FISCHER-J0RGENSEN 1 975 : 127s .

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von seinen strukturalistischen Vorgängern und nimmt Ideen der Transformations­grammatik vorweg.

(2) Dazu gesellt sich die methodologische Kehre zur reinen Deduktion. Sie gipfelt in Hjelmslevs RedefInition von Empirie. Das Empirie bedeute nicht Induktion « <our so­called empirical principle is not the same as an assertion of inductivism .. . », HJELMSLEV, Pro!: l l , 1 7) , sondern <<widerspruchs freie, erschöpfende und möglichst einfache (abstrak­te) Beschreibung» . Es gibt keine Empirie außer derjenigen, die durch die Methode vor­bestimmt ist: «there is no experience except by means of the methoci»54. Das landläufIge Verständnis von Empirie kommt nur marginal ins Spiel, insofern sich eine «empirische» Beschreibung aposteriori (!) als dem Gegenstand angemessen erweisen muß.

(3) Sprachtheorie besteht für Hjelmslev nicht in einer Beschreibung des «Wesens» oder der Funktionen von Sprache (wie z.B. bei Bühler), sondern hauptsächlich in einem deduktiven System von Hypothesen (HjELMSLEV, Pro!: 1 3) , das von der empirischen Erfahrung völlig unabhängig ist:

A theory, in our sense, is in itself independent of any experience. In itself, it says nothing at all about the possibility of its application and relation to empirical data. It includes no existence postulate. It constitutes what has been called a purely deductive system, in the sense that it may be used alone to compute the possibilities that follow from its pre­misses. (HJELMSLEV, Pro1: 14)

Es dürfte damit ziemlich klar auf der Hand liegen, wie sehr Hjelmslevs Sprachtheorie der Kunsttheorie Kandinskys oder Malewitschs (5 .2.2) ähnelt: Nicht der konkrete Ge­genstand und seine «naturgetreue» Erfassung ist das Ziel, sondern die Ausschöpfung kompositioneller bzw. «kalkulatorischeD> Möglichkeiten.

Die Prinzipien des Nebeneinander und Gegeneinander verschiedener Formen prägen gleichermaßen Kandinskys Kompositionstheorie erscheinen, Trubetzkoys Kommutati­ons-camf sowie Hjelmslevs Sprachtheorie, wo sie als die grundlegenden Formrelationen Interdependenz (wechselseitige Abhängigkeit/ «GegeneinandeD» , Determination (einseitige Abhängigkeit) und Konstellation (<<NebeneinandeD» erscheinen. Entsprechend seinem deduktiven Vorgehen leitet Hjelmslev aus diesen drei Grundprinzipien sein weiteres Begriffsinstrumentarium ab (HjELMSLEV, Essais 2 : 1 08) . Dies geschieht, indem er diese drei Relationsarten der sprachlichen Form in kreuzklassifIkatorische Relation zu der von Saus sure übernommenen Syntagrnatik-Paradigrnatik-Dichotomie setzt. Die Entstehung dieses Begriffsinstrumentariums (HjELMSLEV, Prol:24s.), das wir hier graphisch darstel­len, kann als symptomatisch für die «Komposition» seiner Theorie aus deduktiven Prin­zipien gelten, denn ähnliche KreuzklassifIkationen fInden sich auch für dass/ component/ analysis in Relation zu process/ system (ib. :29-3 1 ; SIERTSEMA 1 965:73s .) so­wie in der Unterscheidung der Funktionen (HJELMSLEV, Prol:41) . (Um die Abstraktion in Grenzen zu halten, füllen wir Hjelmslevs Raster mit Beispielen.)

54 CE. HJELMSLEV, Essais 2 : 104; ULDALL, Otttline:20-25; BR0NDAL 1 943:97.

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Interdependenz Dependenz Konstellation Sprach- art x +-> y x --> y x / y achse

syntagmatisch «solidarity» « selectioID> «combinatioID>

Iprocess) (Bsp.: Kasus- und (Bsp.: lat. sine er- (Bsp.: lat. sub mit Numerusmorphem fordert den Abla- Akle, denn sub treten im La tew- tiv: sine -->Ab!.) kann mit Akk. schen nur gemeinsam oder Ab!. stehen: auf: Kasusmorphem subl Akk.) +-> Numerusmorphem)

paradigmatisch « complementarity» « specificatiorID> «autonom}'»

(system) (Bsp.: fr. femme und (Bsp.: Hyponymie; (Bsp.: Beziehun-homme schließen sich fr. mere impliziert gen zwischen Ko-aus : + homme +-> -femme) femme: mere --> femme) Hyponymen;

fr. mere und tante stehen zueinander in keinerlei Impli-kationsverhältnis : mere I tante)

Der kreuzklassiEkatorischen Entwicklung des Begriffs- und Unterscheidungsinstrumen­tariums verschiedener Relationen folgt methodentbeoretisch ein Arboreszenzmodell. Mit dem Basisinstrumentarium von Interdependenz, Dependenz und Konstellation kann der Linguist an die linear gegebene Form der Sprache, den text herangehen (in dieser Begriffswahl zeigt sich schon, daß sich Hjelmslev nicht unmittelbar auf Saussures parole, in der eine lautliche Substanzialität mitschwingt, berufen Will55) ; von dieser maxi­malkomplexen Einheit aus sollen deduktiv die Einheiten der Sprache analysiert werden, ohne daß dabei auf substanzielle Entitäten (wie psychologische, physiologische) zurück­gegriffen werden muß. Eine solche formal-deduktive Analyse ist unter glossematischer Algebra zu verstehen, die ULDALL, Outlim:36-87 in regelrechte algebraische Formeln umsetzt und die von Hjelrnslev folgendermaßen beschrieben wird:

. . . linguistic theory prescribes a textual analysis, which leads us to recognize a linguistic form bebind the « substance» immediately accessible to observation by the sens es, and be­bind the text a language (system) consisting of categories from whose definitions can be deduced the possible units of language ... Therefore one must not expect from this deduc­tive procedure any semantics or any phonetics, but both for the expression of a language and for the content of a language only a <dinguistic algebra» , which provides the formal basis for an ordering of deductions of non-linguistic «substance». (HJELMSLEV, Prol:96s . ; cf. Essais 1 :23, 31)

55 Zur zwischen Systematizität und Prozessualität schwankenden Bedeutung der Begriffe text und context bei Hjelmslev cf. SIERTSEMA 1 965 : 1 30-33.

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Die Form dieser Algebra ist eine methodische Hierarchie, die deduktiv von komplexen syntagmatischen, korrelationalen Einheiten aus dem sprachlichen process zu weniger komplexen und schließlich zu paradigmatischen, relationalen Einheiten des sprachlichen system fortschreitet.

. . . in the process, in the text, is present a both-and, a conjunction or coexistence between the functives entering therein; in the system is present an either-or, a disjunction or alter­nation between the functives entering therein. (HJELMSLEV, Pro!:36)

We shall thus understand by correlation the either-or function, and by relation the both-and function. The functives that contract these functions we call respectively correlates and re­lafes. And on this basis we can defme a system as a correlational hierarchy, and a process as a relational hierarchy. (ib.: 38s .)

So wird zwar Saussures Dichotomie von rapports associatzjs vs. syntagmatiques in das metho­dische Verfahren übernommen, in der Perspektive der Methode erscheinen sie aber als einander nachgeordnete Analysestufen. Durch diese Unterordnung setzt Hjelmslev sei­ne bereits früher geäußerte Forderung um, daß faits syntagmatiques und faits morphologiques nicht zu trennen seien (H]ELMSLEV 1 935:III, 50-52) .

Der Analysebereich Syntagmatik reicht dabei von der maximal komplexen Einheit text über die Hierarchieebene der verschiedenen Satztypen (chains, z.B. Haupt- und Ne­bensätze) bis zur Wortbildung (groups of syllabies) , deren Komponenten die Morpheme (syllabi es) 56 bilden. Zugleich beginnt von den syllables abwärts der paradigmatische Bereich, der lediglich die Ebene der syllables und deren Komponenten, die Phoneme (= figurae: Elemente, die keine Bedeutung tragen, aber bedeutungsunterscheidend wir­ken) umfaßt. Während der obere Bereich vom Prinzip der conjunction (syntagmatische Verknüpfung) gekennzeichnet ist, regiert im unteren paradigmatischen Bereich das dis­junktive oder kommutative Prinzip, das wir von Saussure und Trubetzkoy kennen57• Im Wechselspiel von Analyse und Synthese (FISCHER-J0RGENSEN 1 975 : 1 25) ergeben sich stufenweise Einheiten und Klassen von Einheiten: Die Beziehung zwischen einer höhe­ren und ihrer jeweils niedrigeren Hierarchiestufe sind die einer I<Jasse zu ihren Kompo­nenten. Da jede Ebene « eine Klasse für sich» bildet, ist die Hierarchie nicht von der Spitze bis zu Basis transzendent, sondern setzt auf jeder Ebene neu an58 • Die Arbores­zenz der glossematischen Algebra dürfte sich demnach als eine Art <<verkehrter Weih­nachtsbaum» darstellen lassen (nach H]ELMSLEV, Prol:29-47, 100; cf. Essais 2 : 1 07) :

56 Zur Silbe als struktureller Einheit cf. HJELMSLEV, Essais 2:239-45 . 57 HJELMSLEV, Essais 2:1 1 4s; cf. SIERTSEMA 1 965 :1 64-79. 58 Zur Verhinderung einer Analyse auf zu hoher Hierarchiestufe, enthält das Deduktionssy­

stem eine rule oftransflrence (HJELMSLEV, Pro!:41) .

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text

chain chain chain chain ---.---

conjunction / relation (Syntagmatik)

group group group group group of of of of of syllables syllables syllables syllables syllables

'-- -----,.....--

[

syllable syllable syllable syllable '-- ---.-

disjunction / � torrelation (paradigmatik) figura figura figura

-t Zeriegung in Komponenten: im syntagmatischen Bereich durch partition, im para­digmatischen Bereich durch articulation;

Y Zusammenfassung zu einer Klasse.

Neben der deduktiven Analyse fordert die glossematisch-taxonomische Methode wei­terhin die Erstellung eines Inventars der Einheiten für jede Hierarchiestufe59 :

In each single partition [= Verzweigungsstufe des syntagmatischen Bereiches, S .R.] we shall be able to make an inventory of the entities that have the same relations, i.e. that can occupy the same position in the chain. We can, for example, make inventories of all the clauses that could be inserted in various positions . . . (HJELMSLEV, Prol:41)

. . . if there were no restricted inventories, linguistic theory could not ho pe to reach its goal, which is to make possible a simple and exhaustive description of the system behind the text. (ib.:42)

Mit nach unten fortschreitender Analyse werden die resultierenden Inventare immer kleiner und übersichtlicher, was ganz im Sinne der glossematischen Prinzipien von eco­nomy und reduction ist: « The object of an operation is to reduce the number of resultants

59 Der hier anknüpfende Vorwurf, der Strukturalismus sei taxonomisch und vernachlässige den Sprachwandel, ist nur bedingr richtig. Hjelrnslev äußert sich durchaus zum Sprachwandel. Anders als Saussure (SAUSSURE, Cotlrs 1 :223/ 1 640, 221 / 1 626, 2 13/1 5 89) sieht er Sprachwandel allerdings nicht als diachronen Raum zwischen System 1 und System 2, sondern als veränderte Nutzung eines unveränderlichen, a-zeitlichen Systems von Möglichkeiten. Z.B. können neue Wörter nur im Rahmen der von diesem pandiachronen System bereitgestellten Möglichkeiten ent­stehen (HJELMSLEV, Essais 2 : 1 38, Language: 1 28s . , Essais 1 : 1 8s . , 1 928: 1 0 1 -07) .

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taken over from the preceding operation . . . » (ULDALL, Outline:32) . So umfaßt das Sil­beninventar einer Sprache beispielsweise erheblich weniger Elemente als das Inventar der möglichen Nebensätze (HJELMSLEV, Prof:41 ss . , 6 1 ) , das Phoneminventar weniger Elemente als das Silbeninventar. (Wir haben dies in der Graphik durch eine Verjüngung nach unten wiedergegeben.) Die Möglichkeit einer exhaustiven Inventarisierung ist also umso größer, je weiter die Deduktion von Klassen und Komponenten fortgeschritten ist (cf. MARTINET, E/ements: 1 9s .) . Klassenbildung und Inventarisierung gemeinsam erge­ben eine exhaustive, spezifische Beschreibung einer Sprache.

Hjelmslevs objekttheoretischer Arboreszenz (cf. auch LARSEN 1 993) gelingr es, die Prinzipien der Relationalität bzw. das Klasse-Komponentenverhältnis und die Dicho­tomie Syntagmatik/Paradigmatik unter einen Hut zu bringen. Nicht berücksichtigt wird allerdings diejenige Dichotomie, die maßgeblich für die Konstitution von Einheiten ist: die Zweiseitigkeit des Zeichens (signifiant/ signifie) . Es stellt sich also die Frage, wie die Sprachanalyse mit der Linearität des Textes, die aus der Koppelung einer content line mit einer expression line besteht, verfahren soll. Hjelmslevs Lösung ist, daß die methodische Arboreszenz ausgehend von der linearen Form des text getrennt für beide Seiten der Sprache, content und expression, angewendet werden muß. Unter Berufung auf Saussure (cf. SAUSSURE , Cours 1 :236s. , 252s.) setzt er deshalb die Trennung von Ausdrucks- und Inhaltsebene als ersten Schritt der Analyse fest:

Any sign, any system of signs ... contains in itself an expression-form and a content-form. The flrst stage of the analysis of a text must therefore be an analysis in these two entities . . . any text must always be analyzed in the flrst stage into two and only two parts , whose minimal number guarantees their maximal extension: namely, the expression /il1e and the content line, which have mutual solidarity through the sign function. After that, the expres­sion line and the content line are each analyzed further, naturally with consideration of their interaction in the signs. (H]ELMSLEV, Pro/:58s .)

Nach der Scheidung von content line und expression line sollen also die Formen des Inhalts und die Formen des Ausdrucks separat untersucht werden. Da die lineare Koppelung im text dabei aber weiter als Kontrollinstanz dient (<<with consideration of the interac­tiOID» , ergeben sich auf Ausdrucks- und Inhaltsseite analoge Strukturen von methodi­schen Kategorien und Einheiten6o:

It turns out that the two sides (the planes) of a language have completely analogous cate­gorical structure, a discovery that seems to us of far-reaching signiflcance for an under­standing of the structural principle of a language or in general of the «essence» of a semi­otie. (HJELMSLEV, Prof: 1 0 1 ; cf. Essais 2: 1 27, 1 50)

Für das methodische Arboreszenzmodell bedeutet dies : Die lineare Koppelung von content plane und expression plane bildet in Hjelmslevs Sprach theorie eine Spiegelungsachse analoger Deduktionen der Ausdrucks- und der Inhaltskategorien (cf. auch SIERTSEMA 1 965 :207- 1 1 ) . - Die Symmetrie fasziniert Hjelmslev schon in La catigorie des cas

60 Zum Isomorphismus zwischen Inhalts- und Ausdrucksstruktur cf. KURYLOWTCZ 1 970, POTTIER 1 963:8 und POTTIER 1 974:34.

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(HJELMSLEV 1 937:2) . - Die methodische «Weihnachtsbaum»-Arboreszenz wird so ver­doppelt6! .

Für die Strukrurierung des Objektes Sprache gilt die algebraische symmetrische Arbo­reszenz jedoch nicht. Objekttheoretisch rückt Hjelmslev die semiologische Funktion, d.h. die Zweiseitigkeit des Zeichens (content, expression) , sowie die Dichotomie von Form (form) und Substanz62 (substance, purporl) in den Vordergund. Metaphorisch greift er in diesem Zusammenhang zurück auf Saussures Wellen bild:

(SAUSSURE, Cours 1 :252/Vulgata/ 1 827) (ib. :252/D 276/ 1 827)

. . . le röle <caracteristique> du langage vis-a-vis de la pensee, ce n'est pas <d'etre> un moyen phonique, materie!, mais c'est de creer un milieu intermediaire de teile <narure> que le comprornis entre la pensee et le son aboutit d'une fa<;:on inevitable a des unites <particulieres> . . . comparaison de deux masses amorphes: l'eau et l'air. Si Ja pression at­mospherique change, la surface de l'eau se decompose en une succession d'unites : la va­gue <= chaine intermediaire qui ne forme pas de substance !> . . . (SAUSSURE, Cours 1 :253/II R 37/ 1 828, 1 831)

Hjelmslev kritisiert an diesem Bild, daß es allzu leicht suggeriere, die Substanz (Wasser, Luft) sei an der Entstehung sprachlicher Formen (Wellen) beteiligt (HJELMSLEV, Pro!:50) . Darüber hinaus weicht er insofern von Saussures Bild für Formkonstirution ab, als er auf Objektebene nicht von einer symmetrischen Gliederung bzw. 1 : I -Relation von Ausdrucksform und Inhaltsform ausgeht (anders als im Deduktionsmodell von Klassen und Komponenten) . Beispielsweise entspreche ein komplexer Wort-Inhalt auf der Aus­drucksseite einer Kette von Phonemen (cf. SIERTSEMA 1 965 : 147, 1 53-59) . Und selbst wenn man den komplexen Wortinhalt weiter in Seme zerlegte, so stünden auch diese nicht in symmetrischer Relation zu den ftgurae auf Ausdrucksseite. Hjelmslev ersetzt deshalb das Wellenmodell durch ein weniger spezifisches Modell von vier Schichten. Gleichwohl setzt sich auch hier wieder die Symmetrie durch: nun als Symmetrie der Schichten als Ganzes (nicht der Einheiten in den Schichten) .

Die Schichrung des Hjelmslevschen Modelles besteht aus content form und expression form als inneren Schichten, content substance und expression substance als äußeren Schichten:

61 Dem steht in der Prager Schule das Modell der double articulation gegenüber, das auf Bubrix zurückgeht (JAKOBSON 1 973:45) . Demnach ist der erste Analyseschritt nicht die Trennung von content line und expression line, sondern die Zerlegung der Redekette in Einheiten aus Ausdruck und Inhalt (Sätze, Lexeme, Morpheme) . Erst ein zweiter Schritt analysiert in Einheiten ohne Inhalt (cf. MARTINET, LS: 1 3-33; Elements: 1 3-27, 60; WUNDERLI/BENTHIN/KARASCH 1978:394) .

62 Zu Form und Substanz bei Saussure cf. SAUSSURE, Cours 1 : 1 6-21 , 46-48, 69ss. und WUN­DERLI 1 976, ROGGENBUCK 1 998:79-86 - in der Glossematik cf. HJELMSLEV, ProI:49s. ; Essais 2 : 100s . , 227-32; ULDALL, Outline:8-14; 1 944: 14s . ; SIERTSEMA 1 965: 1 1 3-20.

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I content substance f

= arbiträre Verbindung = interdependenzielle Relation/Funktion = dependenzielle Relation/Funktion

(CE. HjELMSLEV, Pro!: 57-60; Essais 1 :39)

sign

Dabei stehen die beiden Seiten der Form zueinander in arbiträrer Verbindung (content form:expression form), ebenso wie die Form mit ihrer jeweiligen Substanz (content form:content substance, expression form:expression substance) : «Le rapport entre forme et substance est arbi­traire au meme titre que celui entre contenu et expression . . . » (HJELMSLEV, Essais 1 : 1 06; cf. ib. :36ss . ; ULDALL, Outline:26-29) . Hinsichtlich der Relationen zwischen den Schichten gibt es jedoch einen Unterschied. Content form und expression form stehen in interdepen­denzieller Relation, sie «formem) und determinieren sich gegenseitig. Die content form ist ein Funktiv der expression form und umgekehrt (HJELMSLEV, Prol:47, 60) . Dagegen stehen Form und Substanz in dependenzieller Relation, weil die Form die Substanz determi­niert63 • Für unsere Untersuchung interessant ist, lilie Hjelmslev sich die dependenzielle Relation zwischen Form und Substanz vorstellt: nämlich nicht nicht als wellenhafte Ar­tikulation wie Saussure, sondern als Neti; das die Substanz projektiv «aufrastero) und damit überhaupt erkennbar macht64:

. . . by virtue of the content-form and the expression-form, and only by virtue of them, ex­ist respectively the content-substance and the expression-substance, which appear by the form's being projected on to the purport, just as an open net casts its shadow down on an undivided surface. (HJELMSLEV, Pro!:57)

Den Bedeutungen und Lauten gegenüber sind die sprachlichen Einheiten stofflose For­men. Die ganze Struktur, welche das Sprachsystem ausmacht, ist nur ein Netz, das über die Begriffswelt und über die Lautwelt gelegt ist, und wodurch die Begriffswelt und die Lautwelt aufgefaßt und beschrieben werden müssen. Jede sprachliche Einheit ist eine Ma­sche in diesem Netz, und die stofflichen Größen, welche sich unter ein und derselben Masche befinden, sind Varianten unter ein und derselben sprachlichen Einheit. Wie die Maschen eigentlich nur ein leerer Zwischenraum zwischen den Fäden sind und ohne das Netz undenkbar wären, so sind auch die sprachlichen Einheiten leere Räume, welche . . . nur ein Ergebnis der Gesamtstruktur des Netzes darstellen, so sind auch die eigentliche Realität der Sprache nicht die Einheiten, sondern ihre Grenzen, welche auf die Begriffs­welt und auf die Lautwelt projiziert werden. (HjELMSLEV 1 938 : 1 58)

63 CE. HjELMSLEV, Pro/:57s . , FISCHER-J0RGENSEN 1 966s . : 1 7, SPANG-HANSSEN 1 970: 1 5 1 . 64 Dieselbe Metapher verwendet auch TRIER 1 968: l Os .

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26 1

Während also Hjelmslev wie andere Vertreter der Glossematik methodisch eine deduktive Arboreszenz favorisiert, gilt für die Ob;ektstruktur das Raster oder Netz. Bei der projekti­ven Funktionsweise des Netzes sind die Gren<Jinien das Entscheidende, die erst die flä­chigen Einheiten als <<leere Räume» - gleich den «weißen Quadraten» Mondrians oder Malewitschs - konstituieren: « . . . le carre n'est jamais donne a voir comme tel, directe­ment, sans entours: s'il est . . . visible dans le recoin d'une construction . . . c' est en tant qu'index minuscule de la loi qu'il represente . . . » (Bors 1 977 : 1 55) . Hjelmslev transpor­tiert damit weiter, was bei Saussure und Trubetzkoy bereits als carre finguistique angelegt war.

Relativ deutlich wird in diesem Zusammenhang, wie altvertraute Bilder wieder auf­tauchen und Reinterpretationen unterzogen werden, die für das strukturalistische Para­digma symptomatisch sind. Die Welle, bei Schmidt Bild für die sprachhistorische Ent­wicklung und Ausbreitung, erscheint bei Saussure als Bild für die Konstitution sprachli­cher Form65, das bei Hjelmslev zum Netz wird. Das Schichtenmodell, bei Schlegel, Hum­boldt und Bopp als genealogisch-typisierendes Stufenmodell vertreten, und schon von Schuchardt <wernetzD> zu einer Arboreszenz, wird nun zum semiologischen Schichten­modell von Form und Substanz, das die «Zentralperspektive» einer Schichtung überein­ander ersetzt durch ein symmetrisches Neben- und Gegeneinander der Schichten.

Trotz der Präferenz für symmetrische Strukturen (Schichten im objekttheoretischen Modell) und repetitive Strukturen (die spezielle Arboreszenz im methodischen Modell) geht die Glossematik nicht davon aus, daß das Untersuchungsergebnis, die Struktur einer Einzelsprache, sich auch streng diesen geometrischen Prinzipien fügt. Die «Netze» von Ausdrucks- und Inhaltsform einer bestimmten Sprache erweisen sich vielmehr als «verschieden gestrickD>:

It is a particularly characteristic feature of glossematics that content and expression are regarded as completely parallel entities, which are analysed in the same way . . . At the same time, however, it is emphasized that the two planes are not conformal, i.e. it is not the case that a given sign-content is structured in the same way as the corresponding sign­expression, so that they might be divided into corresponding constituents (or digurae» , as Hjelmslev calls them). Whereas the Latin sign-expression -us in dominus can be divided into two parts (u and s) , the corresponding sign-content is divided into three parts: mas­culine, singular, nominative. And it is not the case that u corresponds to one or more of these contents and s to others . (FISCHER-J0RGENSEN 1 975 : 1 1 9; cf. ib. : 1 36, SPANG­HANSSEN 1 970: 1 42-47)

Auch versteht es sich aufgrund des Arbitrarietätstheorems für die Glossematik von selbst, daß die <<Ausdrucksnetze» verschiedener Sprachen untereinander nicht kongruie­ren (H]ELMSLEV, Prof:56) - schon Saus sure diente ja die Verschiedenheit der signiftants zwischen Sprachen als Beleg für die Arbitrarietät der Zeichen. Gleiches muß deshalb auch für die szgnifte-Struktur der jeweiligen Sprachen gelten.

65 Pike fügt später eine weitere Variante des Wellenbildes hinzu, wenn er von der Überlap­pung komlexer Subsysteme als «wavelike hierarchical blending and fusion of units» spricht oder gar von (<Waves of behavioral movemenD> (PIKE 1 959:50, 38, 44s .) .

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Was die «semantischen Netze» anbelangt, muß allerdings zwischen einem «frühen» und einem «späten» Hjelrnslev unterschieden werden (cf. auch FISCHER-J0RGENSEN 1 966s . :4) . Während sich der späte Hjelmslev (z .B. in den Prolegomena) ganz kategorisch gegen die Universalität sprachlicher Strukturen66, auch der semantischen wendet, da dies eine Rückführung der Struktur (Form) auf substanzielle Vorgaben wie Wahrnehmung oder Psychologie bedeutete, ist dies beim frühen Hjelrnslev nicht der Fall. In La catigorie des cas (1 935-37) ist er noch auf der Suche nach (wenn auch nicht universellen, so doch) generellen Struktur der Kasusinhalte. So kritisiert er an vorausgegangenen Kasustheorien, daß sie in der Regel vom Kasussystem einer Sprache ausgingen (Griechisch, Latein oder Sanskrit/Hindu) und die Ergebnisse anschließend auf weitere Sprachen übertrügen. So entständen willkürliche Systemideale, die nur dadurch vermieden werden können, daß als empirische Basis der Untersuchung Sprachen mit einem möglichst umfangreichen und ausnahmearmen Kasussystem gewählt werden, aus denen eine größtmögliche An­zahl möglicher Kasuskategorien abge­leitet werden kann (HJELMSLEV 1 935:83; Beispiele ill HJELMSLEV 1 937:7, 32) . - Das Axiom des «Sy­stems als komplettes System der Mög­lichkeiten» ist damit bereits angedacht. - Ausgangspunkt für seine Überle­gungen ist das Kasusmodell der tradi­tionellen Grammatik, das er wie hier abgebildet darstellt (HJELMSLEV 1 935:72) . Dieses Modell hält Hjelrns­lev insbesondere aus zwei Gründen für fragwürdig. Erstens fusse es teil­weise auf schlecht definierten Katego­rien wie 'Geschlecht' (Genus) und 'Quantität' (Numerus) . Zweitens prä-sentiere es das Kasussystem weitge-

-=--1 ·a ,'um

-um ·anv -um -- -- --

-I ,, / -at -I

-�I / -0 -- -- --

,, " -Ö -ii -0

Ci ·ae .a/ ·os -os Ta

hend als Nomendeklination, führe also das inhaltliche System der Kasus auf morpholo­gische, statt auf inhaltsimmanente Differenzen zurück (HJELMSLEV 1 935:72-74) . - Hier deutet sich die spätere Forderung nach primärer Trennung von Ausdrucks- und Inhalts­seite bereits an.

Hjelrnslevs Gegenvorschlag besteht in einem lokalistischen Modell67, dem er eine Kreuzklassifikation aus dimension (Annäherung/Entfernung) und coherence (innen/außen, mit Kontakt/ohne Kontakt) zugrundelegt68. Beide Achsen der Klassifikation sind drei­gliedrig (+, 0, -) . Die vertikale Achse der dimension gliedert sich in 'rapprochement' (+) , 'repos' (0) und 'eloignement' (-) . Die horizontale Achse der cohirence besteht aus zwei parallelen Achsen, nämlich inhirence (+ = 'innen', 0 = 'parallel', - = 'außen') und adhiren­ce (+ = 'mit Kontakt', 0 = 'zwischen', - = 'ohne Kontakt') . Die Beispiele zu den einzel­nen Fällen dürften deutlich machen, was man sich darunter vorzustellen hat:

66 Universalien gesteht Hjelmslev allenfalls auf Theorieebene: «Vorhandensein einer Bedeu­rung» , «positionale Anordnung der ZeicheIl» etc. (HJELMSLEV, Essais 2:1 24-52) .

67 Angelehnt an Rasks Analyse des fmnischen Kasussystems (HJELMSLEV 1 935:36-45, 64s.) . 68 Cr. ebenso das Gesamttableau grammatischer Kategorien in HJELMSLEV, Essais 1 : 1 57 .

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+ 0 � , --- --,------- - - ------, : rapproehem e n t x i rapp roehel11 ent : rupproehemcnt x -I eoherenee ; p e n etrant i s a n s cliffere n c e de I ineohe rc n e e ; ::appro- ' , d a n s o u p.ren a n t eon- : eohercn ce ct d'inco- . chan! d<" sans pene-I taet avec i heren e e ! tr a t i o n O ll s a n s eon-

+ I l at. in + ace. ! fr. par i t n e t

I" al l . in + a c e . I' a n gl . atong i l a I. ad

d a n . ind i d a n . ad I all . Oll + a c e . I I I d a n . hen ved, hen 111 1------------1 . __ l . ___ _ ____ __ .. __

I, eoherenee sans dif- I ancu n c differenee ni : ineohercn ec s a n s d if- I ferenec de direetion ; I de d i r e e t i o n ni d e I fere n e e de d i r e e tion ; eontenu a l'interieur eohcren ee el ant a eD le de- QU I de O ll elant en eOIl- fr. entre ' pres de, sans eIre

o taet avee ! lat . inter I e o n t e n ll dans D U sans I lat. in + abI. I a l l . zwischen eire en eontaet avec I all . in + dat. i Hngl . be/wem I all . a l l + dat . angl . within, inside I dan. mellem I dan . henne ved , dan: indern} i I - . . :--.-.---- 1

elolgnement X I elolgn cmc n t I eJOlgncment X . I - e,ohe;-enee ; sortant de ! s u n s,

differenee de ! i n eo h erenec ; 5 'elo.1- 1 I llltenenr de O ll ees- I eoher e n e e el d 'weo- 'I' gn ant d e, sa n s aV01r

I sant d'etre en eon- I here n e e pen etre dans 1) 1 1 sa ns taet avec ; fr. a travers ' 3voir pris eon t�ct

l a t . ex i l a t . per I �vec al l . allS i alL dlll'C 11 , J at . ab

" a o gL {rom wi/hin I aog! . thro ugh i al l . VOll dan '.��� _ ___ �: __ H_�_L'_'2.e_,'2. _ . i dn n . b ()!!.J.!9._ _

(HJELMSLEV 1 935 : 1 30)69

263

Daß dieses System mit gewissen Differenzierungen auch für Sprachen mit 36 Kasus wie das Avar gültig ist, zeigt HJELMSLEV 1 937:2-24.

Die Ausrichtung auf ein generelles Inhaltssystem verschiedener Sprachen, wie es die­se Kreuzklassifikation repräsentiert, findet sich beim späten Hjelmslev nicht mehr. In den Prolegomena und späteren Schriften dominiert die Ansicht, daß Ausdrueks- und In­halts struktur sprachspezifisch sind. Mit diesem Perspektivenwechsel geht auch ein Bil­derwechsel von der Kreuzklassifikation (zur Darstellung allgemeiner Kategorien) zur Blockmatrix (zum Strukturvergleich zwischen verschiedenen Sprachen) einher.

Daß die Ausdrucksseite verschiedener Sprachen unterschiedlich strukturiert ist, be­darf keiner großartigen Argumentation (cf. HJELMSLEV, Pro!:56) . Daß beispielsweise I und r im Deutschen zwei Phoneme darstellen, im Chinesischen aber nur eines, ist j edem Laien aus entsprechenden Witzen und Werbeslogans bekannt (<<Leckei!») . - Für die In­haltsseite der verschiedenen Sprachen dagegen gibt es sehr wohl die These, daß es eine universelle, sprachübergreifende Strukturierung gebe. Dies läßt sich auch durch die allen Menschen gemeinsamen Wahrnehmungsmechanismen argumentativ untermauern. Der

69 In den 50er ] ahren entwirft ] akobson ein ähnliches Modell: das eines Würfels für das Ka­sussystem des Russischen. Die acht Kasus des Russischen (Nominativ, Genitiv I und 11, Dativ, Akkusativ, Instrumental, Lokativ und Präpositional) entsprechen den acht Ecken des Würfels . Die drei Dimensionen (entsprechend den Achsen zweidimensionaler Darstellungen) des Wür­fels werden dabei von den inhaltlichen Polaritäten besetzt (+ / - MARGINAL, + / - QUANTIFIZIE­REND, +/- DIREKTIONAL). Cf. ]AKOBSON 1 971 : 1 75, 1 79; CHVANY 1 987:1 995 . , 2 1 1 -22; SANG­STER 1 982:54-62; BARTSCHAT 1 998.

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späte Hjelmslev wendet sich ganz kategorisch gegen eine solche semantische Universali­tät, schon deshalb, weil sie auf außersprachlichen (substanziellen) Kriterien wie Wahr­nehmung, Psychologie usw. beruht. Das Inhaltskontinuum «Weltwahrnehmung» ist eine Substan:v die überhaupt erst durch die jeweilige Sprache geformt wird (H]ELMSLEV, ProI:51 s .) . Generell, d.h. sprachübergreifend argumentiert Hjelmslev j etzt nur noch inso­fern, als er die Formen einzelner Sprachen einander vergleichend gegenüberstellt. Diese Betrachtungsweise resultiert u.a. in rasterhaften Blockdiagrammen (cf. 2.4.4) , die im Gegensatz zu den vorangegangenen Rastern und Arboreszenzen (die ja zum Teil nur textuell ausgeführt sind), zu den bekannteren Bildern der Glossematik zählen. Hjelmslev nutzt das Blockdiagramm in verschiedenen Versionen. Einmal für die Einteilung des Farbenspektrums 'grün-blau-grau-braun' im Englischen und Walisischen, wo z.B. die Bedeutung von wal. glas komplett die Bedeutung von eng!. blue, sowie Teilbereiche von eng!. green und grey abdeckt. Außerdem für die Einteilung von 'Holz-Baum-Wald' im Dänischen, Deutschen und Französischen, wo z.B. das fr. bois komplett die Bedeutung von dt. HolZ abdeckt (une table en bois/ein HolZtisch) sowie zusätzlich einen Teil von dt. Wald (Je Bois de Boulogne, aber: der Grunewald) 70 (H]ELMSLEV, Prol: 53s .) :

gwyrdd green Baum arbre

ttae blue glas Holz bois

skov grel' Wald

llwyd foret brown

Im Aufsatz «Semantique structurale» folgt ein entsprechendes Beispiel der Bezeichnun­gen für 'Schwester' und 'Bruder' im Ungarischen, Französischen und Malaysischen (H]ELMSLEV, Essais 1 : 1 04; cf. ebenso POTTIER 1 974:95s .) . Daß solche inhaltlichen Ra­ster nicht nur im semantischen, sondern auch im grammatischen Bereich existieren, belegt Hjelmslev (textuell) am Beispiel der Numerusstruktur (H]ELMSLEV, ProI:53) . Der weitverbreiteten Singular-Plural-Dichotomie stehen nämlich mehrgliedrige Unterteilun­gen im Altgriechischen und Litauischen (3-Teilung) , im Melanesischen und Westindone­sischen (4-Teilung) und im Mikronesischen (5-Teilung) gegenüber. Aus naheliegenden Gründen sind hier die Raster nicht in dem Maße gegeneinander verschoben wie bei semantischen Einteilungen:

70 Diese Einteilungen können jedoch schon innerhalb einer Sprache u.a. diatopisch varüeren. Beispielsweise deckt süddt. HolZ in etwa den selben Bereich wie das fr. bois ab. Im Süddeutschen ist sowohl der HofZtiscb möglich als auch ein Satz wie: Wir gehen heute ins Holz Cin den Wald').

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Singular Singular Singular Singular

Dual Dual Dual Plural

Plural Trial Trial

Plural Quadral

Plural

Vergleicht man diese linguistischen Strukturraster mit Werken Mondrians wie dem oben abgebildeten Gray Tree und insbesondere der Composition - blanc et rouge:B, oder mit Ma­grittes Masque vide, sind die Übereinstimmungen derart ins Auge springend, daß sie kaum mehr einer Erläuterung bedürfen: Die sprachwissenschaftlichen Graphiken sind ebenso wie die Bildkompositionen bestimmt von flächigen Gegenüberstellungen und Paralleli­sierungen sowie von Linien, die als Begrenzungen fungieren und nicht als Verbindungen wie im Falle der genealogischen Bäume.

Vergleicht man Hjelmslevs Raster mit den kommutativen carris linguistiques bei Sau­ssure oder Trubetzkoy, so zeigt sich zwar, daß sie im Detail verschieden genutzt werden: (1) Saus sure und Trubetzkoy dienen sie zur Darstellung des Differeniferungsprozesses über den Mechanismus von identiti und difforence bzw. Simile-Dissimile, Hjelmslev dienen sie zum Vergleich von <fertigem) Differeniferungen verschiedener Sprachen. (2) Saus sure und Trubetzkoy nutzen die Linien des carre zur Darstellung der <<AbstoßungsreaktioID> zwi­schen zwei Punkten (Identitäten) , Hjelmslev nutzt die Fläche (<<das weiße Quadrat») zur Darstellung der Identität, die Linien dagegen als Grenzlinien. Gleichwohl bleibt die Grundidee in beiden Fällen die der systemgeleiteten Abgrenzung - und damit deutlich unterschieden von arboreszenten Linien, die eine Verbindung oder Nexus darstellen wol­len (wie in den sprachgenealogische Bäumen Schleichers; aber auch in den Stemmata Tesnieres oder den grammar trees der generativen Grammatik, cf. folgendes Kapitel) .

Würde der Übergang von der Arboreszenz des 1 9 . Jahrhunderts zu den Rastern des 20. Jahrhunderts alleine nicht ausreichen, einen Paradigmenwechsel zu begründen (schon deshalb nicht, weil am Rande neben dem Raster auch immer wieder Arboreszen­zen auftauchen und umgekehrt), so ist doch der Bilderwechsel in Einheit mit dem In­terpretationswechsel von der Entwicklungs-Arboreszenz zum rystembedingten Raster klares Zeichen eines Paradigmenwechsels und bestätigt a posteriori die Signifikanz des Bilder­wechsels.

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6

Arboreszenzen im Zeichen von Dependenz, Konstituenz und Generativität

Das letzte Kapitel führt uns erneut zu Arboreszenzen. Wir haben gesehen, inwiefern die Sprachwissenschaft des 1 9 . Jahrhunderts von der Entwicklungsidee bestimmt war und wie sich damit das Bild der Arboreszenz verbindet (I<:ap. 4) , und inwiefern der sich um die Wende vom 1 9 . zum 20. Jh. sich formierende europäische Strukruralimsus von der Idee des «Wertes» und rasterhaften Wissensbildern dominiert war (Kap. 5). Nun sind wir an einem neuerlichen Wendepunkt des Bild- und Interpretationswandels angelangt: Die Arboreszenz kehrt nämlich als synchrone hierarchische Strukrur wieder. Erneut tritt damit die arboreszente Verbindungslinie in den Vordergrund zulasten der Trennungslinie der Raster, wie wir sie oben beschrieben haben. Die Verzweigungen der Arboreszenz dienen j etzt jedoch nicht mehr der Darstellung von Sprachengenealogie, sondern der Formulierung von Abhängigkeitsstrukruren im sprachlichen Wissen der Sprecher.

Allerdings vollzieht sich dieser Bildwechsel in sich zeitlich bzw. geographisch gespal­ten. In der US-amerikanischen Linguistik beginnt die Trendwende mit Sapir und Bloomfield, also spätestens ab den 20er Jahren (und damit etwa zeitgleich zu den Ra­stern des frühen europäischen Strukruralismus) . Sie leitet sich zunächst aus dem spezifi­schen Forschungsfeld der noch jungen amerikanischen Linguistik her, den Indianer­sprachen (Boas) . Angesichts der Forschungsaufgabe, die Strukrur dieser bis dahin unbe­kannten Sprachen zu ergründen, konzentriert man sich auf strikte Beobachrung und damit vorderhand auf die Gliederung des Ausdrucks. Dies hat zur Folge, daß die seman­tische Komponente der Sprache in den Hintergrund rückt (Bloomfield) - anders als im etwa zeitgleichen europäischen Strukruralismus. Dieser «anti-semantische» Trend findet ein Pendant im Positivismus der behavioristischen Psychologie (Weiss, Zipf, Skinner), später auch in der mathematischen Kommunikationsforschung (algorithmische <<Ma­schinen», Computerprogrammierung, künstliche Intelligenz; Harris und früher Choms­ky) . Das linguistische Forschungsinteresse verlagert sich dabei allmählich von der Erfas­sung der Distributionsverhältnisse, die bereits die Frage von Wahrscheinlichkeiten im­pliziert, hin auf die Frage, inwieweit die Abfolge von Elementen eines Satzes vorhersag­bar ist (Harris) . Von da ist es ein kleiner, wenn auch entscheidender Schritt zur generati­ven Perspektive, die hinter der Linearität des Syntagmas eine arboreszente hierarchische Tiefenstrukrur sieht, und damit ein Gegenbild zum Syntagmatik-Paradigmatik­Achsenkreuz (Saussure) und zum « Netz» (Hjelmslev) liefert.

Während sich in den USA aus den genannten Gründen ein eigenes Paradigma ent­wickelt, bleibt in Europa bis in die 80er Jahre hinein die <<klassische» Form des Strukru­ralismus (und dessen Raster) lebendig (man denke beispielsweise an Martinet oder Cose­riu) . Daß die beiden Paradigmen lange Zeit voneinander relativ unangefochten bleiben und als « ParalleluniverseID> existieren, dafür lassen sich aus europäischer Sicht verschie­dene Gründe denken. Erstens besteht in Europa kein ethnologisch-linguistischer For­schungsbedarf, wie er der Erforschung der Indianersprachen vergleichbar wäre. Einen vergleichbaren Forschungsbedarf hat man bereits im 1 9 . Jahrhundert durch die Indo-

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germanistik quasi «erledigt» . Zweitens wird Europa im 20. Jahrhundert von zwei Welt­kriegen heimgesucht, die das Wissenschafts leben zwar nicht lahmlegen, aber doch ein­schränken. Darüber hinaus treiben die Pogrome der Nationalsozialisten führende Wis­senschafder und Philosophen in die Emigration, wie Jakobson, Carnap, Cassirer und viele andere. Drittens entwickelt sich nach dem Zweiten Weltkrieg der linguistische Strukturalismus zu einer Leitdisziplin für viele andere Wissenschaften: für Psychologie (Lacan), Anthropologie (Levi-Strauss), Literaturtheorie (Barthes) und historische Er­kenntnistheorie (Foucault) . In Anbetracht des breiten Feldes, das sich durch die struktu­ralistische Methode auch außerhalb der Sprachforschung erschließt, scheint in Europa zunächst schlicht kein Bedarf an «neuen Paradigmen» zu bestehen.

Gleichwohl erscheinen auch hier Überlegungen zu einer dependenziellen Arbores­zenz1 in der Syntax von Tesniere. Obwohl Tesniere etwa zeitgleich mit Bloomfield und Harris eingeordnet werden muß, unterscheidet sich sein Ansatz doch deudich von Kon­stituentenanalyse, Distributionalismus und generativer Grammatik. Wir ziehen die Dar­stellung seiner Syntax in unseren Betrachtungen vor, um die Einheit des «europäischen Strukturalismus» wenigstens in der Linearität des Textes zu wahren.

Die beschriebene «paradigmatische Gemengelage» dürfte veranschaulichen, wie pro­blematisch ein zu starrer Paradigmenbegriff ist. Die Paradigmenopposition «europäi­scher VS. amerikanischer Strukturalismus» ist weder geographisch ungebrochen (sie wird einerseits von Tesniere, andererseits von Bloomfield unterlaufen) , noch chronologisch (die Paradigmen lösen sich nicht zeidich ab, sondern existieren etwa parallel) . Ange­sichts der enormen Differenzen dieser Makro-Sprachtheorien erscheint es ohnehin na­hezu ungehörig, von einem Strukturalismus zu sprechen. Wir teilen das folgende Kapitel deshalb in vier Abschnitte: europäische strukturalistische Syntax Tesnieres (6. 1 ) ; Prä­gung der US-amerikanischen Syntax durch die Erforschung der Indianersprachen (Boas) und dadurch Ausrichtung auf die Linearität der utterance und erste Konstituentenanaly­sen (Sapir), dann Lösung von der Kulturpsychologie und Wende zum Behaviorismus (Bloomfield) (6 .2) ; komplette Lösung von der Psychologie und Einführung der tech­nisch-distributionalistischen Methode, aus der die ersten Ansätze einer transformation el­len Grammatik entstehen (Harris, 6 .3) ; Lösung von der Linearität des Satzes hin zu einer Tiefenstruktur (Chomsky, 6 .4) .

6.1 Tesniere: Dependenzielles Stemma als Satz struktur und als Instrument der Sprachtypologie

Obwohl Lucien Tesniere in Romanistik und Germanistik stark rezipiert wurde, scheint er im anglo-amerikanischen Raum wenig bekannt. So taucht er bespielsweise in Robins' Short History ofLinguistics gar nicht, in anderen wissenschaftsgeschichdichen Überblicken nur marginal auf. Dies mag damit zusammenhängen, daß die amerikanische Rezeption des europäischen Strukturalismus entscheidend von Bloomfield und J akobson vermittelt ist, und deshalb weitgehend nur die Begründer des Strukturalismus umfaßt, der Kontakt dann aber abzureißen scheint. Eine Auseinandersetzung der amerikanischen Syntax mit

1 Zur Geschichte des Dependenzkonzeptes cf. PERCIV AL 1 990.

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der Tesniereschen findet nicht statt. Vielleicht spielt auch eine Rolle, daß Tesniere seine Theorie im wesentlichen unverändert läßt. Chomsky dagegen löst durch wiederholte Änderungen und Erneuerungen seiner Theorie, durch Ausgriffe in die Kognitionstheo­rie und Erkenntnisphilosophie eine viel stärkere Rezeptions- und Diskussionsdynamik aus. Tesniere entwickelt seine Syntax-Theorie ab den 30er Jahren2 und verfeinert sie bis zu seinem Tod 1 954, krankheitsbedingt wahrscheinlich in weitgehender Unkenntnis der Entwicklungen in den USA. Kurz vor seinem Tod erscheinen die Esquisses d'une syntaxe struc!urale (1 953) , postum die Elements de syntaxe structurale (1 959) .

Obwohl ein Schüler von Meillet (und damit des Genfer Strukturalismus) und trotz seiner Verbindung zum Prager Zirkee scheint Tesniere sich über weite Strecken mehr der Indogermanistik, der Sprachgeographie und der kontrastiven Grammatik verpflich­tet zu fühlen. Seine syntaxe struc!urale steht in dreierlei Hinsicht trotz des Namens nicht im mainstream des europäischen Strukturalismus. (1) Sie arbeitet weitgehend mit der tra­ditionellen Einteilung in Wortarten, die auf gemischten Kriterien wie «Natum der Wort­art (Nomen bezeichnet Personen und Dinge) , Funktion (Pronomen steht für ein Nomen) oder Position (Präposition steht vor einem Nomen) fußt, also nicht auf einer systemim­manenten Werteabgrenzung beruht. Überhaupt fehlt eine theoretische Fundierung, wie sie für den abstraktiven Strukturalismus typisch ist, vollkommen zugunsten einer prak­tisch-deskriptiven Orientierung. (2) Tesnieres Syntax vertritt eine Teildisziplin, die im Überhang der paradigmatisch orientierten Disziplinen Phonologie, Morphologie, Lexi­kologie, Semantik nahezu unterzugehen scheint. Das heißt aber natürlich zugleich, daß sie ein nötiges Komplement zum europäischen Strukturalismus beisteuert. (3) Das Strukturbild. Wenn auch der frühe Syntax-Entwurf Tesnieres (1 934) noch auf das struk­turalistische Achsenkreuz «paradigmatisches Inventar vs. syntagmatische Reihung> (mit entsprechenden Rastern) zurückgreift, wenden sich die Esquisse und die Elements mehr und mehr einer arboreszent-dependenziellen Sichtweise zu, die Satzelemente als Knoten einer Hierarchie sieht (SWIGGERS 1 994) . (In dieser Substitution des Achsenkreuzes durch eine Arboreszenz liegt ein Verbindungs punkt zwischen den ansonsten recht un­terschiedlichen Syntaxtheorien von Tesniere und Chomsky.) Die zeitgleiche Phonologie, Morphologie, Lexikologie und Semantik halten dagegen weitgehend an rasterhaften Strukturbildern fest.

Bis Tesniere sind hierarchische Strukturen im europäischen Strukturalismus eine Ra­rität, die allenfalls im Bereich der Paradigmatik zu finden ist. Bei Saus sure treten sie im Zusammenhang mit der langue oder der syntaxe überhaupt nicht auf (WUNDERLI 198 1 : 82, 87, 94s .) . Hjelmslev spricht zwar von einer « correlational hierarchy» (H]ELMSLEV, Prol:38s .) und definiert Sprachstruktur als autonomes System <<interner Dependenzeru> (m. , Essais 1 :21) - Dependenz muß dabei jedoch nicht eine einseitige Dependenz (deter­mination) sein, wie sie in Arboreszenzen erscheint, sondern kann auch zweiseitig (interde­pendence) oder lose sein (constellation) (5 . 5) . Eine hierarchische Dependenzstruktur findet sich allenfalls im deduktiven Aufbau seiner Methode und teilweise in der objekttheoreti­schen Hierarchie der Elementklassen. Bei Jakobson treten erst spät Hierarchien im Zu­sammenhang mit dem Aufbau der phonologischen Oppositionen auf (5 .4.2) . Auch an

2 Cf. TESNIERE 1 934 und die Bibliographie seiner Publikationen in TESNIERE 1 970 (s.p.) . 3 Cf. BAUM 1 976:21 -23, 43-45. Im übrigen scheint er dem Guillaumismus näher zu stehen als

anderen Schulen, cf. die Aufsätze zu den Tempora 1 935 und 1 939 (TESNIERE 1 970:s .p.) .

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semantische Hierarchien in Wortfeldern denkt man erst später. Hierarchische Depen­denzstrukturen sind aufgrund der Basistheoreme von Identität und Differenz bzw. Op­positivität der Elemente im europäischen Strukturalismus zunächst, wenn überhaupt, für die Paradigmatik zu fInden. Für die Syntax bleibt man lange dabei, sie im Sinne des Ach­senkreuzes als horizontale Zeichenreihung (Syntagmatik) zu betrachten (5 .3) .

Hier liefert Tesniere mit der Idee einer arboreszenten ordre structurale hinter der linean­ti de la parole ein echtes Komplement zur Paradigmatik-Lastigkeit des europäischen Strukturalismus. Zugleich aber birgt dieses Komplement auch Sprengmaterial für das Paradigma. Mit der dependenziellen Syntax vollzieht sich nämlich ein signifIkanter Per­spektivenwechsel: begrifflich und methodisch von der (oppositiven) difference zur depen­dence, bildlich vom Raster zur Arboreszenz. Für die Arboreszenz selbst bedeutet dies ein Wiederaufleben bei gleichzeitiger Reinterpretation: Die Arboreszenz, als tree of life im 1 9 . Jahrhundert das Bild der diachronen Deszenden:v wird zum Bild der synchronen Dependenz umgedeutet'. Wie man sich diese vorzustellen hat, soll im Folgenden erläutert werden.

Der durch die Zeit zur Einbahnlinie bestimmten Lautkette (sequence, chaine parke) stellt Tesniere eine realiti structurale profonde gegenüber, die keine «paradigmatische Achse» ist (TESNIERE 1 953:4) . Die «Tiefe» ist nämlich nicht durch eine Reihe von Elementen ge­geben, die «auch an dieser Stelle stehen könnten», sondern sie entsteht dadurch, daß die Zahl der linear aufgereihten Elemente nicht der Zahl der Elemente entspricht, die die Bedeutung des Satzes ausmachen. So bestehe z.B. der Satz <<Alfred parle» nicht aus zwei Elementen (<<Wörtern»), wie es die Linearität suggeriert, sondern aus drei: Alfred, parle und der Abhängigkeitsrelation (connexion) zwischen dem Verb parle und dem Subjekt Alfred. Obwohl sich durch den Terminus «Tiefenstruktur» eine Analogie zu Chomsky anzubieten scheint, handelt es sich doch um zwei grundlegend verschiedene Vorstellun­gen von «Tiefe» (cf. 6 .4.) . Die unterschiedliche Betrachtungsweise von (paradigmatisch orientiertem) Strukturalismus, Tesniere und Chomsky sei an drei kleinen Schaubildern verdeutlicht. Die fettgedruckten Teile repäsentieren den Bereich Syntax bzw. Syntagma­tik, die Oben-Unten-Relation jeweils die Vorstellung von «Tiefe».

STRUKTURALISMUS TESNIERE CHOMSKY

Alfred parle parle S Syntagmatik I � syntax/

Pierte ecrit Alfred NP VP eieep Maman dort (Syntax/ ordre struc- I I structure

turale profonde) N V Paradigmatik I I morpho-

V projection Alfred parle honem. Alfred parle suiface structure (ordre lineaire)

' Wie sie schon in der scholastischen Grammatik (cE. BAUM 1976:28-30) und in der Renais­sance-Grammatik von Ramus (3.3) schon auftritt.

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Wie wir im folgenden sehen werden, versteht Tesniere «Tiefe» als eine Relation unmit­telbar zwischen den Elementen; entsprechend erscheint eine Formalisierung der Relation zwischen «Tiefe» und «Oberfläche» (ordre lineaire) nicht in dem Maße erforderlichs, wie dies bei Chomsky der Fall ist (cf. VAINA-PU;iCÄ 1 971) . Sie ist schlicht «Projektion»: « . . . l a vraie phrase, c'est la phrase structurale dont la phrase lineaire n'est qu l'image projetee tam bien que mal . . . sur la chaine parlee.» (TESNIERE 1 959 :20) .

Das Verstehen von Sprache bzw. Sätzen fußt nach Tesniere nicht auf dem Verstehen von der paradigmatisch defInierten Elemente der Redekette, sondern (ähnlich wie bei Chomsky) auf der syntaktischen Ordnung (connexions) zwischen ihnen.

L'objet de Ja syntaxe structurale est l'etude de la phrase ... La phrase est un ensemble organise dont les elements constituants sont les mots . . . [Entre tout motJ et ses voisins, l'esprit aper�oit des connexions . . . Sans la connexion . . . nous ne pourrions qu'enoncer une succes­sion d'images et d'idees isolees les unes des autres et sans lien entre dIes. Cest donc la connexion qui donne a Ja phrase son caractere organique et vivant, et qui en est comme le principe vital . . . La notion de connexion est ainsi a la base de toute syntaxe structurale . . . nous representerons graphiquement les connexions entre les mots par des . . . traits de con­nexion. (TESNIERE 1 959: 1 1 - 13)

Die traits de connexion stellen also Verbindungslinien eines syntaktischen Verstehenspro­zesses dar, und übernehmen damit eine ganz andere Funktion als die differenzierenden Trennungslinien der carres linguistiques, die wir in Kap. 5 kennengelernt haben. Die Tren­nunglinien der carris dienten einer abstraktiven StrukturfIndung. Die connexions dagegen sind die Struktur selbst in dem Sinne, daß sie unmittelbar eine «innere Sprachform» re­präsentieren, für die sich TESNIERE 1 959 : 1 2s . ausdrücklich auf Humboldt und Guil­laume beruft.

Die connexion ist dabei immer dependenziell - ein Postulat, das von Tesniere nicht weiter gerechtfertigt wird. Sie bezeichnet die syntaktisch-hierarchische fonction stmeturale zwischen zwei Satzpositionen (nIEuds) , die im Falle eines konkreten Satzes durch nueleus (nlEud aufgefüllt mit einem « Wort») gegeben sind:

Quant aux elements <<Alfrem> et « chante», qui sont unis par la connexion, nous leur don­nerons le nom de nueleus. Le nucleus est l'atome constitutif de la phrase. Cest lui qui con­tient l'idee. Il assume la fonction semantique. Nous le representerons par un cercle ... Pour une connexion il faut deux nucleus, un superieur, que nous appellerons rigissant, et un infe­rieur, que nous appellerons le subordonne. (TESNIERE 1 953:4)

Unter der verbozentrischen Direktive, daß das oberste rigissant eines Satzes j eweils das Verb ist (TESNIERE 1 959 : 102s.), ergibt sich für das Beispiel Alfred chante die Minimalde­pendenz (TESNIERE 1 953:4) von einem nlEud verbal (der den Vorgang/procis ausdrückt) und einem nlEud substantival/ actant (person oder Ding, das an dem Vorgang teilhat') . Auf­gefüllt mit den Lexemen Alfred und chante ergibt sich folgendes « Stemmro>:

5 TESNIERE 1 959: 1 1 s . Zur Ausblendung der linearen Oberfläche cf. auch HELBIG 1 996:42. 6 Die Metapher des lebenden Organismus findet man hier am Rande wieder. 7 Cf. TESNIERE 1 959: 1 03. Die Definition der Aktanten ist nicht unproblematisch. Ein Satz

wie II pleut. hat demnach keinen actant (ib. : 1 06) , weil il keine semantische Funktion übernimmt bzw. keine « am Vorgang des Regnens beteiligte Person oder Ding» bezeichnet.

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. . . . . . . . . . . . . . . nucleus regissant (verbe); fonction syntaxique: na:ud verbal

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . connexion/ fonction structurale

.. . . . . . .. .. . . . . nucleus subordonne (substantif) ; fonction syntaxique: na:ud substantiva/ 8 / actant

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In der Mehrzahl erfordern Sätze freilich eine komplexere Form von Dependenzrelatio­nen. Je nachdem, wieviele na:uds an einem Satz beteiligt sind, ergeben sich verzweigte Dependenzen (bifurcation, trifurcation etc.) z .B. zwischen Verb (rigissan� und Subjekt, Ob­j ekten (subordonnes) . Das Verb fungiert dabei immer als oberster Knotenpunkt, als na:ud des na:uds (TESNIERE 1 953:4) . Zur Darstellung solcher Dependenzverhältnisse bedient sich Tesniere durchweg des stemma fourchu, das für einfache Sätze wie Aifred frappe Bernard und Aifred donne le li1JTe d Charles folgendermaßen aussieht (wir lassen die Ellipsen zur Markierung der fonction semantique einfachheitshalber weg), cf. ibo

frappe donne

� Alfred Bernard Alfred le livre Ci CharIes

Neben den actants (Subjekt als actant 1 , direktes Objekt als actant 2, indirektes Objekt als actant 3)9 können weiterhin Adverbien oder adverbiale Bestimmungen hinzutreten. Diese circonstants positioniert Tesniere auf gleicher Hierarchiestufe wie die actants, weil sie se­mantisch am Vorgang teilhaben. Innerhalb der Hierarchiestufe ordnet er sie aber den actants nach, weil sie im Gegensatz zu diesen in der Regel fakultativ seien (TESNIERE 959 :1 28) 10 . Neben der Oben-Unten Hierarchie kommt also auch eine Links-Rechts­Ordnung zum Tragen. Der Satz Au caje Aifred donne rapidement le livre d Charles ist also stemmatisch so darzustellen (cf. TESNIERE 1 953:5) :

8 Eine substantivische Knotenfunktion liegt eigentlich nur dann vor, wenn von dieser Positi­on weitere Dependenzen folgen (cf. Beispiel unten) .

9 Der Begriff «Wertigkeit» wird also umgedeutet. Verstand Saussure unter valeur eine differen­tiell abgegrenzte Einheit (signifie, signifiant, signe) , so ist valence bei Tesniere die chemische Meta­pher für die «Wertigkeit» eines Verbes, d.h. für die Zahl der Aktanten, die es «bindern> kann (TESNIERE 1 959:238) . Cf. die Valenzwörterbücher BUSSE 1 974, HELBIG/SCHENKEL 1 982. Zur Trennung obligatorischer und fakultativer Valenzen cf. z.B. KOCH 1 981 : 89-95, HERINGER 1 984, HELBIG 1 985, SCHWITALLA 1 985, WELKE 1 988:21 -32, HELBIG 1 996:47s . , GANSEL 1 996.

1 0 Die Zuordnung actants = obligatorisch vs. circonstant = fakultativ ist problematisch (cf. WER­NER 1 993: 148-54) , denn: (a) Nicht immer sind alle Aktanten obligatorisch; bei er schreibt können die Aktanten 2 und 3 (was? an wen?) problemlos entfallen; (b) im Satz er schreibt hier ist der circon­stant die entscheidende Information und demnach «obligatorisch» (cf. OESTERREICHER 1 991 :371 -79) . Tesniere selbst äußert hier auch Bedenken (TESNIERE 1 959: 127) .

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Alfred le livre

(actant 1) (actant 2)

Ci CharIes

(actant 3)

rapidement

(circonstan� I I

au cafi

( circonstan�

Während Subjekt, Objekte und Adverbien direkt dem Verb untergeordnet sind, sind Adjektive als epithetes dem jeweiligen actant untergeordnet. Die epithetes selbst wiederum können weiter adverbial bestimmt sein. So entstehen weitere Hierarchiestufen, die vor Tesniere bereits Jespersen mit der Theorie der three ranks beschrieben hat (<<ln the com­bination extreme!J hot weather the last word weather, which is evidendy the chief idea, may be called primary; hot, which defines weather, secondary, and extreme!J, which defines hot, tertiary.»; JESPERSEN 1 924:96; cf. ID., SG:455-58) . Für den Satz Au caß Alfred donne le chapeau et un fres beau livre d sa jeune cousine sieht die Arboreszenz folgendermaßen aus :

Alfred I I \

, ,

, ,

le chapeau- et -- un livre I

... .... ... ... " " -

beau I

ci cousine

� au cap

sa jeune

Wie man sieht, entstehen durch die vermehrten Hierarchiestufen neue Knotenpunkte: livre bildet z.B. den nlEud substantival für beau, (d) cousine den Knotenpunkt für sa' 2 und jeune (TESNIERE 1 959 : 144-46) . Darüber hinaus haben wir noch zwei weitere Komplikationen eingebaut: (1) Aktanten, die durch Konjunktionen oder Disjunktionen «verdoppelb> werden (actant 2 = le chapeau et un livre) , bilden graphisch eine Verzweigung, inhaldich sind sie lediglich eine Doppelbesetzung der fonction semantique. Das Junktiv et ist ein mot videl3 , das morphologische, aber nicht semantische Funktion hat (keinen nlEud bildet; TESNIERE 1 959 :80-82, 1 953 :7) . (2) Es können sich «semantische Querverweise» ergeben (gestrichelte Linie) . Sie sind den connexions structurales (i.e. syntaktischen Verbindungen) nachgeordnet, weil sie diese voraussetzen (TESNIERE 1 9 59 :85s . ) .

Auf weitere Verfeinerungen in der strukturalen Syntax Tesnieres wie die Translatio­nen - mit denen das beachdiche Kunststück gelingt, adjektivischen Gebrauch von Sub-

1 1 Adverbien der Art und Weise (circonstants de maniere) stehen auf gleicher Hierarchiestufe wie Zeit- und Ortsangaben. Da sie aber unmittelbar die Handlung bestimmen, stehen sie im Stemma links von den circonstants de temps et de lieu (TESNIERE 1 959 : 125s . , 79) .

12 Demonstrativa und Possessiva sind «ZwitteD), die syntaktisch Artikelsubstituten, seman­tisch Adjektiven entsprechen.

1 3 Cf. HELBIG 1 971 :201 , BUSSE 1 974:82-85.

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stantiven, zusammengesetzte Tempusformen, Nebensätze14 u.a. in eine simple Formel zu fassen - werden wir hier nicht eingehen, weil die Translation für die grundlegenden Ei­genschaften des Stemma keine weiteren Bezugspunkte bringt. Die bisherige Skizze der Tesniereschen Arboreszenzen dürfte für unsere Zwecke ausreichen.

Daß die Arboreszenz in Tesnieres strukturaler Syntax eine zentrale Position ein­nimmt, wird nicht nur durch die Ausschließlichkeit der graphischen Darstellungen be­stätigt (man fIndet keine alternative Transkription wie das bracketing in der generativen Transformationsgrammatik) . Tesniere wählt auch mit größter Selbstverständlichkeit das Stemma als bildhaftes Repräsentationsmuster, weil ihm dieses Bild als die direkte Visuali­sierung der abstrakten syntaktischen Struktur erscheint (<<Denken in Bildern», 2 .3 .2) 1 5 :

Le stemma montre clairement la hierarchie des connexions, fait apparaitre schematique­ment les differents nceuds qui les nouent en faisceau, et materialise ainsi visuellement Ja structure de la phrase ... Le stemma est ainsi une representation visuelle d'une notion abs­traite qui n'est autre que le scheme structurale de la phrase. (TESNIERE 1 959 :1 5s .)

Selbst die Zweidimensionalität, zu der die graphische Arboreszenz zwingt (man könnte sich drei Aktanten ebenso dreidimensional verteilt vorstellen), erscheint Tesniere eher als positiv-disziplinierende Eigenschaft denn als Nachteil des Bildes : <<Le stemma . . . de­vrait donc etre . . . ä plusieures dimensions. Mais il peut etre en fait ramene ä deux dimen­sions.» (ib. : 1 6) . Graphische Notwendigkeit und linguistische Reduktion gehen hier Hand in Hand. Die Begeisterung Tesnieres für die Arboreszenz geht sogar so weit, daß er es aufgrund aller Vorteile des Baumschemas für unausweichlich hält, daß sich das Stemma auch für andere Analysen durchsetzen werde: « . . . on peut entrevoir le jour OU toute analyse, l'analyse grammaticale [de la grammaire traditionnelle] comme l'analyse logique, serait remplacee par une analyse unique, l'analyse stemmatique . . . » (ib.) . - In Anbetracht der langen Geschichte der Arboreszenzen kommt diese Prognose eigentlich verspätet, wird sich aber nichtsdestotrotz für die Arboreszenzen der generativen Grammatik be­wahrheiten.

Wie ist nun aber Tesnieres Stemma in der Linguistik einzuordnen? Wie die obige Skizze gezeigt haben dürfte, orientieren sich die strukturalen Stemmata an funktionalen Kategorien, die in zweiter Instanz an traditionelle Wortklassen gebunden werden (na:ud central --t Verb, actant --t Substantiv oder entsprechende Translation, circonstant --t Ad­verb oder entsprechende Translation u.s .w.) . Von einer paradigmatisch-strukturalen I(]assifIzierung, wie sie in der Prager und der Kopenhagener Schule ausgearbeitet wurde, ist in Tesnieres strukturaler Syntax nicht einmal ein Hauch zu spüren. Hochgesteckte Ziele einer «Algebra» wird man bei Tesniere ohnehin vergeblich suchen, da er hierfür schlicht zu praktisch orientiert ist. Sein Ziel ist eine für viele Sprachen anwendbare allge­meine Beschreibungsmethode (TESNIERE 1 959 :361) , die die syntaktischen Strukturen einer Sprache übersichtlich und zugleich nach Möglichkeit vergleichbar mit denjenigen anderer Sprachen macht (hier zeigt sich Tesnieres indogermanistische Ausbildung) . Und

14 Cf. hierzu z.B . : BAUlvl 1 976 :1 06-33; WERNER 1 993:27-38, 1 89-98; KOCH/KREFELD 1 993; GAATONE 1 994 - besonders den Vergleich von Translation (Tesniere), Transposition (Bally) und Transformation (Harris/Chomsky) in WERNER 1 993:27-51 .

1 5 C f. auch ASKEDAL 1 996 z u Tesnieres Stemma und Peirces Valenzdiagramm.

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dieses Ziel glaubt er mit seiner an den Wortklassen orientierten Form der Stemmatisie­rung erreicht zu haben.

Die Suche nach Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit darf j edoch nicht als Suche nach einer universalen Struktur mißverstanden werden, wie sie in der logischen Gram­matik oder bei Chomsky anzutreffen ist (cf. BIERWISCH 1 973:98) . Obwohl die logische Grammatik gleichfalls mit Arboreszenzen arbeitet (cf. 3 .3, 3 . 1 3) , erscheint sie Tesniere eher als «Feindbilcb>. Er begründet dies mit zwei Argumenten. Erstens: Die Opposition von Subjekt und Prädikat in der logischen Grammatik sei apriorisch und morphologisch nicht immer nachträglich zu rechtfertigen. So trage z.B. lat. amat das prädikative Ele­ment ama- und das Subjektelement -t. Im Falle von Filius amat patrem gelange man in logischer Sichtweise zu einer schwer darstellbaren Doppelung des Subjektes. In der strukturalen Syntax entsteht hier kein Problem: amat besetzt die Position des naitld verbal,

filius die des actant (TESNIERE 1 959 : 1 04) . Diese Argumentation ist natürlich fragwürdig, denn der umgekehrte Fall «Wie ist stemmatisch der lateinische Satz Amat. darzustellen?» wird in diesem Zusammenhang nicht geklärt. Daß bei Amat. semantisch ein Prozeß oh­ne Aktanten vorliegt (wie bei il pleut, cf. N7) kann nicht geltend gemacht werden, weil ja eine «liebende Persorn> an der Handlung beteiligt ist. Analog zu ähnlichen Beispielen (it. paria sempre, TESNIERE 1 959 : 1 25) kann aber geschlossen werden, daß Tesniere amat stemma tisch ebenso notieren würde wie il pleut. als einen na:ud verbal ohne Aktanten. An solchen Punkten zeigt sich eine Problematik, die aus der Berufung auf Worteinheiten und aus notationellen Vorstellungen resultiert.

Für unsere Untersuchung relevant ist jedoch Tesnieres zweites Argument, die Sub­j ekt-Prädikat-Opposition der Logik erzeuge als Ausgangspunkt eine Waagerechte statt eines zentralen Knotens . Dies habe eine Störung der arboreszenten Symmetrie zur Fol­ge. Daß diese Asymmetrie nicht nur ein graphischer Schönheitsfehler ist, sondern Struk­turerkenntnisse behindere, die über das Bild erfolgen sollen, verdeutlicht Tesniere an einem Beispiel (TESNIERE 1 959: 1 04s.) - links jeweils die Darstellung nach dem logi­schen Subjekt-Prädikat-Muster, rechts die Darstellung nach syntaxe structurale:

filius

ami ---co1lnaft

/\ I votre jeune cousm

/\ mon jeune

amat -- amat

patrem

pater -- amatur

I a filio

connait ---------------. . amt couszn

/\ /\ votre jeune mon )eune

jilius patrem

ama/ur

/� pater a jilio

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Bei Betrachtung der Strukturgraphiken ist schnell klar (und dies gibt Tesnieres Vertrau­en auf die Erkenntniskraft der Bilder recht) , daß die symmetrische Stemma-Notation leichter die analoge Struktur bzw. die Austauschbarkeit von Subjekt und Objekt im ersten Beispiel, von Aktiv und Passiv im zweiten Beispiel erkennen läßt. Die asymmetrische Subjekt-Prädikat-Darstellung verschleiert diese Austauschbarkeiten visuell. Im Zuge der arboreszenten Symmetrie erscheint also bei Tesniere doch noch das strukturalistische Prinzip der Kommutation, das uns ursprünglich als carre finguistique begegnet ist (5 .3-5 .5) . Austauschbarkeit visualisiert sich hier allerdings nicht als Raster, sondern als waagenhaf­tes equifibre der Arboreszenz:

L'opposition du sujet et du predicat empeche ainsi de saisir l'equilibre strucrural de la phrase . . . C'est lit accorder a l'un des elements de la phrase une importance dispropor-tionnee . . . L'opposition du suj et et du predicat masque le caractere interchangeable des actants, qui est a la base du mecanisme des voix active et passive . . . [elle) introduit un fac­teur de dissymetrie . . . (TESNIERE 1 959 : 1 05, cf. ib. : 1 5 NI)

Daß damit Strukturerkenntnis und -vergleich auf nahezu intuitiven Einsichten beruhen - undenkbar in der algebraischen Glossematik und ihrer «Deduktion ab OV(J» - stellt für Tesniere keinerlei Rechtfertigungsnachteil dar. Introspektion, geläutert durch eine ent­sprechende Mucation de I'introspection, erscheint ihm durchaus als legitime, ja objektive Methode: <<Assurement, la methode introspective fait appel a l'intuition. Mais elle fait aussi appel a f'experience interne. Elle est a ce titre une methode experimentale et par conse­quent oijective» (ib. :38, cf. auch HERlNGER 1 996 :69-72) .

Darüberhinaus rechtfertigt Tesniere die Introspektion dadurch, daß die syntaktische Struktur nicht abstrakt, sondern ein im Sprecher verankertes Wissen (ähnlich dem tresor depose Saussures) sei. Dieses strukturale Wissen ermöglicht dem Sprecher, den auf einem dependenziellen Arrangement beruhenden Gesamtsinn projektiv in die lineare Redekette zu überführen (und umgekehrt) .

. . . la vraie phrase, c'est la phrase structurale dont la phrase lineaire n'est que l'image projetee tant bien que mal, et avec tous les inconvenients d'aplatissement que comporte cette pro­jection . . .

. . . par/er une langue, c'est savoir quelles sont les connexions strucrurales qu'il y a lieu de sacrifier en transformant l'ordre strucrural en ordre lineaire, et inversement . . . comprendre une langue, c'est savoir quelles sont !es connexions strucrurales non exprimees par des sequences ... (TESNIERE 1 959 :20s.)

Obwohl der «Transformation» zwischen ordre lineaire und ordre structural zu Anfang der EJiments ein ganzer Abschnitt gewidmet ist (ib. : 1 9s .) , bleibt unklar, wie man sich diese genau vorzustellen hat.

Damit lassen sich bereits zwei Punkte festmachen, in denen sich Tesnieres Struktura­lismus vom übrigen ko-epochalen europäischen Strukturalismus unterscheidet. (1) Das Achsenkreuz von Syntagmatik und Paradigmatik wird durch eine Dichotomie von ordre lineaire (Linie) und ordre structuraf (arboreszente Hierarchie der connexions) ersetzt, wobei die Hierarchie und ihre «Tiefe» eindeutig im Vordergrund steht. (Daß diese Tiefe nur sehr bedingt mit Chomskys Tiefenstruktur verglichen werden kann, haben wir oben gesehen) . Zwar entspricht I'ordre lineaire grob der Syntagmatik Saussures, I'ordre structural entspricht jedoch nicht einer paradigmatischen Achse von substituierbaren valeurs

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(kommutative Syntagmatik) , sondern einem arboreszenten Dependenzsystem: «11 y a donc antinomie entre l'ordre structural, qui est a plusieures dimensions (reduites a deux dans le stemma) , et l'ordre lineaire, qui est a une dimension. Cette antinomie est la 'quadrature du cercle' du langage.» (ib. :21) . Das Achsenkreuz wird also durch eine Di­chotomie von Syntagmatik (horizontaleLnie) vs. Syntax (arboreszente Struktur) abge­löst. Auch wenn im Zusammenhang mit syntaktischen Verzweigungs komplexen noch das Theorem der Austauschbarkeit erscheint (cf. Beispiel oben «filius amat patrem») , ist diese doch keine, die an der paradigmatischen Inventarisierung von Elementen interes­siert wäre, sondern vielmehr eine, die an transformationelle movements erinnert. Die Pa­radigmatik tritt bei Tesniere also ebenso in den Hintergrund wie eine von der Syntax unabhängige Semantik der «Wortbedeutungen». (2) Tesniere sieht Sprache nicht als ab­straktes System neben einem Sprecherwissen (wie Saussure) oder jenseits davon (wie Hjelmslev) , sondern als savoir des connexions. Ob dieses Sprecherwissen als angeboren (wie bei Chomsky) oder als erworben (Saus sure, Whitney, Behavioristen) gelten soll, bleibt offen.

Das Stemma spielt in der syntaxe structurale aber nicht nur eine Rolle als Darstellungs­form einzelsprachlichen syntaktischen Wissens, sondern auch für den Sprachvergleich, der in eine Sprachtypologie mündetl 6 • Das Baumschema erlebt also bei Tesniere unter verwandelten Vorzeichen eine Renaissance für den Sprachvergleich. War es im 1 9 . Jahr­hundert fruchtbar für die Sprachgenealogie, dient es hier erneut der Unterscheidung von Sprachrypen, wofür sich das 19 . Jahrhundert des Stufenmodells bediente (4. 1 . 1 ) . Sprach­typen möchte Tesniere nicht genealogisch, nach ihrer communaute d'origine, unterschieden wissen, sondern nach der Art und Weise, wie der hierarchische ordre structural in den ordre lineaire umgesetzt wird, also nach einer communauti de structure (TESNIERE 1 959:29) . Krite­rium hierfür ist, ob die umgesetzte Lnie des Satzes (von links nach rechts) die Ordnung des Stemmas von unten nach oben (ordre montant, centripete) oder von oben nach unten (ordre descendant, centrifuge) reproduziert. Verständlich wird dies am Beispiel von Franzö­sisch und Englisch:

cheval I --> cheval blanc

blanc

(TESNIERE 1 959 :23)

horse I --> I/Jhite horse

white

Das Französische verhält sich zentrifugal, weil der regissant (cheva� in der Linearität dem subordonne (blanc) vorangeht. Das Englische verhält sich dagegen zentripetal. Dieses Typi­sierungskriterium ist freilich nicht immer in Reinform vertreten. Einige Sprachen sind mehr zentrifugal, andere mehr zentripetal. Deshalb stellt Tesniere eine sprachtypologische Arboreszenz auf, die man wissenschaftsgeschichtlich als kuriosen «NachzügleD> der Wortfolgedebatte des 1 6 . Jahrhunderts (3 .4, 3 .5) und des Drei-Stufen-Modelles sehen kann (4. 1 . 1 , 4. 1 .2; cf. TESNIERE 1 959:30-32 zu Humboldts Stufenmodell) . Die Graphik unterteilt Sprachen in zentrifugale und zentripetale mit jeweils ausgeprägter Form (accu­sees) oder schwacher Form (mitigees) . Wir geben Tesnieres Graphik hier gekürzt wieder:

1 6 BLOOMFIELD 1 933:207 sieht Sprachunterschiede mehr morphologisch als syntaktisch.

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accusees

centrifuges mitigees

Langues

mitigees centripetes

accusees

(TESNTERE 1 959:33, cf. auch ib. :24s.)

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Langues semitiques (hebreu, arabe). { Langues bantoues.

Langues negro-africaines.

Basque.

Langues celtiques. Langues neo-latines (italien, espagnol, fran�ais) .

Grec. Latin. Langues germaniques (anglais, allemand). Langues slaves (russe) .

Langue d'Australie.

Langues indo­europeennes

Langues sino-tibetaines (chinois) . { Langues du Caucase. Langues sud-africaines (hottentot, boschiman) .

Obwohl dabei eigentlich eine skalare Einteilung zwischen den Polen «zentrifugal» und «zentripetal» naheläge, bleibt Tesniere bei der Auffacherung in vier Typen. Diese erwei­sen sich als nicht deckungsgleich mit genealogischen Gruppen. So verläuft z.B. die Haupttrennlinie « zentrifugal vs. zentripal» mitten durch die indoeuropäischen Sprachen (romanische Sprachen als schwach zentrifugale vs. germanische und slawische Sprachen als schwach zentripetale) . Und entscheidender noch: Latein (als schwach zentripetale Sprache) und die romanischen Sprachen befinden sich in verschiedenen Gruppen. Die strukturelle Klassifikation ergibt also eine völlig andere « Geographie» der Sprachvertei­lung als die genealogische I<Jassifikation (cf. ib. : s .p. , Karte der Repartition typologique des langues par le sens du releve lineaire) .

Insgesamt erweist sich Tesnieres syntaxe stnteturale als ein paradigmenhistorisches Ku­riosum. Weder die Einbeziehung von Wortklassen noch die bildliche Ausrichtung an der Arboreszenz entspricht dem zeitgenössischen europäischen Strukturalismus, wo das Prinzip des funktionalen Wertesystems und des Rasters dominiert. Andererseits wird die Austausehbarkeit (als Kommutation von syntaktischen Komplexen, cf. oben) und die Dichotomie von syntagmatischer Linie und « Tiefe » (sei diese auch arboreszent und nicht axial wie bei Saussure) beibehalten. Obendrein wird mit den Überlegungen zu zen­tripetalen und zentrifugalen Sprachen an die Sprachtypologie des 19 . Jahrhunderts ange­knüpft. Als ob dies noch nicht genug der Weigerung wäre, sich in eine paradigmatische Schublade stecken zu lassen, birgt die Nachrangigkeit der Semantik gegenüber der Syn-

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taxl 7 sowie die Vorstellung einer arboreszenten «TiefenstruktuD> Parallelen zu Chomsky und damit zum US-amerikanischen Strukturalismus. Von den Arboreszenzen der gene­rativen Grammatik unterscheidet sich jedoch Tesnieres Syntax in zwei Punkten wieder­um sehr deutlich. (1) Chomskys Ausgangspunkt ist der Satz bzw. eine Variante der Sub­jekt-Prädikat-Einteilung (S ---> NP+VP) , so daß sich in der Regel asymmetrische Arbo­reszenzen ergeben. Tesnieres Ausgangspunkt dagegen ist der «Verbknotem>, aus dem sich eine weitgehend symmetrische Konstellation entwickelt. (2) Tesnieres Stemmata weisen anders als Harris' oder Chomskys /ree dia grams keine Eigenschaften einer Konsti­tuentenanalyse auf.

Dies zeigt sich darin, daß in Tesnieres Diagtammen j eder Verzweigungspunkt unmit­telbar ein lexematisch aufgefüllter nucleus ist bzw. der « ordre stmetural sich ausschießlich über Größen aufbaut, die ein direktes Gegenstück im ordre lineaire habem> (WERNER 1 993 : 1 77) . Es werden keine Regeln für den Übergang von der syntaktischen Hierarchie zur lineare Wortfolge formuliert. Graphisch zeigt sich die Unbekümmertheit um den ordre lineaire darin, daß sich der lineare Satz im Stemma nur mit Mühe aufstöbern läßt (cf. Graphik unten) . Daß er in den angeführten Beispielen überhaupt ansatzweise zu erken­nen ist, liegt an der suggestiven Anordnung gleichrangiger Elemente von links nach rechts (z.B. im Stemma unten sa vor belle) , die jedoch dependenziell keineswegs vorge­geben ist. Nicht zu unrecht wurde der Dependenzgrammatik deshalb vorgeworfen, daß ihre Dependenzen nicht empirisch begründbar seien (HELBIG 1 97 1 :207) . In der Konsti­tuentenanalyse und den generativen /ree diagrams dagegen setzen sich die Verzweigungen vom Ausgangspunkt Satz sukzessive fort, die Knotenpunkte bleiben kategorielle Posi­tionen (wie NP, VP, V, N, A, Det) und werden erst auf der letzten Stufe der Verzwei­gung mit Konstituenten « aufgefüllt»; und zwar so, daß dies der Konstituentenreihung der Oberflächenstruktur (Redekette) entsprichtl 8 . Zur Veranschaulichung dieser Unter­schiede die Arboreszenzen für den Satz Le jeune homme donne le livre d sa belle cousine nach Tesniere und Phrasenstrukturgrammatik:

le hrm\\

".

jeune .

... ' ... .... .... ....

donne

le livre

sa belle

17 TESNIERE 1 959 :40 räumt allerdings ein, daß die <<Semantik indirekt die Syntax beeinflußb>. Dies zeigt sich vor allem in der Unterscheidung von Wörtern mit semantischem Gehalt (mots pleins) als dependeziell relevanten Wörtern von mots vides wie ef, ou etc. (cf. auch GARDE 1 994) .

1 8 In verschiedenen Weiterentwicklungen der Tesniereschen Syntax zeigen sich allerdings Annäherungen an Chomsky (cf. FILLMORE 1 968: 1 , 3 1 -5 1 ; MAYERTHALER 1 994: 1 37-39) .

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s

� NP VP

� � Det AP N V NP

� A NP

Det N

le jeune homme donne le livre

PP

� P NP

� Det AP N

sa

I A

I belle cousine

Trotz aller Zwitterhaftigkeit, die Tesnieres «strukturaler Syntax» anhaftet - weil sie sich einerseits teilweise den paradigmatischen Vorgaben des europäischen Strukturalismus entzieht, andererseits auch nicht als entfernte Verwandte der generativen Grammatik zählen kann - nimmt sie doch in bildgeschichtlicher Perspektive eine klare Position ein: Sie zeigt für Europa den Bilderwechsel zwischen paradigmatischem Raster­Strukturalismus und syntaktischem Arboreszenz-Strukturalismus an.

6.2 Jenseits des großen Teiches: eine neue Mischung von Traditionen und «Erfahrung»

Während im europäischen Strukturalismus (abgesehen vom «Sonderfall Tesniere») das Bild des Rasters eine leitende Rolle übernimmt, verläuft die Bild-Entwicklung in der US­amerikanischen Linguistik ganz anders. Spontan und zurecht werden hier manchem die «grammar trees» Chomskys in den Sinn kommen.

Ist die unterschiedliche Bilddominanz (die wir in den folgenden Kapiteln belegen werden) das Phänomen eines Paradigmenwechsels, sprich einer Reibung am europäi­schen Paradigma, die einen «revolutionären» Bruch mit der europäischen (Raster-) lin­guistik mündete? Diese These ist aus zwei Gründen nicht haltbar. Zum einen ist die nordamerikanische Rezeption europäischer Sprachwissenschaft zu Beginn des 20.Jh. insgesamt zu gering - obwohl Linguisten wie Boas und Sapir aus Europa stammen, Bloomfield die Genfer und Kopenhagener Schule rezipiert, Jakobson in die USA emi­grieren muß. - Zum anderen ist die Entwicklung der Linguistik in Nordamerika relativ klar geprägt von neuen Anforderungen an Sprachuntersuchung. Ihr originärer und «neueD> Aufgabenbereich lag in der Erforschung der Indianersprachen, wozu es neuer Methoden bedurfte. Man hatte also die Gelegenheit, fast bei Punkt Null zu beginnen.

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Eine (<wissenschaftliche RevolutioID> im Sinne des Niederringens eines bestehenden Pa­radigmas inklusive Rechtfertigung war nicht oder kaum nötig.

Zu sagen, die amerikanische Linguistik habe fast bei Punkt Null angefangen, ist na­türlich stark vereinfachend. Genauer müßte man argumentieren, daß sie im ausgehenden 1 9 . Jahrhundert noch nicht über eine gefestigte Tradition verfügt, auch wenn z.B. her­ausragende Repräsentanten wie Whitney durchaus als Traditionsbilder fungieren (aber eben historisch in kleinerem Format als «Idealismus» und «Sprachgenealogie» in Euro­pa) . Das heißt, die (<DiszipliID> Linguistik fungiert zunächst noch als Schmelztiegel ver­schiedener Strömungen und Vorgaben. Nimmt man als exemplarische Vertreter Boas, Sapir und Bloomfield, so findet man vereint: (1) originäre Ideen Whitneys, den sich alle drei Linguisten auf die Fahnen schreiben; (2) eine Reihe von direkten und indirekten Ideenimporten aus Europa: So berufen sich Boas und Sapir auf die psychologisierenden und anthropologisierenden Ideen Humboldts (beide sind außerdem in Europa geboren) , Bloomfield studiert in den Jahren 1 9 1 3 und 1 9 1 4 bei den Junggrammatikern Brugman und Leskien und rezipiert später auch stark Saussures Cours; (3) eine stark empirisch­positivistische Strömung, die durch die Forschungsaufgabe entsteht, die Indianerspra­chen empirisch zu analysieren, und zudem von mechanistisch-biologistischen Ansichten des Behaviorismus (Weiss, Zipf, später Skinner) befördert wird. Letztere zeigen ihren Einfluß insbesondere beim späten Bloomfield (Language) . In der Folge entsteht aus der Ablehnung der Bloomfieldschen Psycho-Empirie wiederum die formal-distributionalisti­sche discourse analYsis von Harris und die generative Transformationsgrammatik Choms­kys . Trotz der Unterschiedlichkeit der Ansätze, die sich beispielsweise an der Reihe «Völkerpsychologie (Boas/Sapir) - behavioristische Psychologie (Bloomfield) - apsy­chologische formale Analyse (Harris) - rationalistisches Psychologieverständnis (später Chomsky)>> festmachen läßt, bleibt diesen klassischen Vertretern der US-Linguistik doch eines gemeinsam: die Fokussierung auf utterance bzw. Satz und die damit einhergehende Dominanz arboreszenter Darstellungen.

Betrachtet man die anfängliche «Gemengelage» (Whitney, Humboldt, Empirie) , so wird man schnell gewahr, daß hier eine andere Situation vorliegt, als wir sie für die in­terdisziplinären Inspirationen der europäischen Linguistik rekonstruieren konnten. In der noch «jungeID> amerikanischen Linguistik ist zu Vieles im Werden begriffen, als daß man fein säuberlich den «paradigmatischen Zopf» aus verschiedenen Disziplinen aufzu­flechten vermöchte. Als Disziplin-externer Einfluß ist zunächst allenfalls der Behavioris­mus auszumachen, während es sich bei den übrigen «IngredienzieID> um Disziplin-interne Traditionen (z.B. die Junggrammatiker oder Saussure) oder Erfahrungsvorgaben (empi­rischer Forschungsbedarf angesichts der Indianersprachen) handelt. Als «InspiratioID> für die amerikanische Linguistik kommt also nur in Frage: die empirische Bedingung der Inidanersprachen, deren Beschaffenheit andere Beschreibungsmodelle generiert als die zeitgleichen Raster in Europa, und der Behaviorismus . (Für die vergleichsweise indirek­ten Einflüsse aus der europäischen Tradition sei auf 4. 1 , 4.5 und 5. verwiesen.) Es ist daher nicht verwunderlich, daß gegenüber der Bildenrwicklung im Europa des 1 9 . und 20. Jh., wo wir einen starken «Bildwiderhalb aus anderen Disziplinen (Biologie, Öko­nomie, Kunst) feststellen konnten, die Arboreszenzen der US-Linguistik nur teilweise und erst relativ spät einen «Widerhall» aus anderen Disziplinen erfahren.

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Die wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung in den USA wollen wir im Folgenden näher beleuchten und dabei verfolgen, wie sich allmählich eine Dominanz des arbores­zenten Bildes bis hin zur Ikonizität von Chomskys «grammar trees» verfestigt.

6.2.1 Ethnologie und Linguistik (Boas, Sapir): Die Erfahrung der Indianer­

sprachen, Sprachstruktur durch «psychological grouping» , der Satz als

sprachliche Einheit und Modifikationskomplex

Die eigenständige Problematik, der sich der frühen amerikanische Linguistik tritt exem­plarisch im Handbook of Amencan Indian Languages zutage, das von Boas herausgegeben wird und an dem u.a. auch sein Schüler Sapirl 9 mitwirkt. Die dem Handbook zugrunde­liegende Feldforschung kann in zwei Punkten als «prägend» für die Paradigmenbildung in den USA gelten: (1) Mit der Feldforschung ist die Fokussierung auf utterance und Satz­analyse verbunden. (2) Die empirische Sprachanalyse und damit auch die Frage, wie Empirie zu defInieren ist, wird in der Nachfolge immer eine zentrale Rolle spielen (bis hin zur Debatte um discovery procedures vs. evaluation procedures bei Harris und Chomsky) . Neu ist diese Feldforschung aber eigentlich nicht. Schon im Europa des 1 9 . Jh. hatte sich die Erschließung der Weltkarte, die Kolonialisierung und Missionierung fremder Länder mit dem Interesse an «exotischen Sprachem> verbunden (man denke an das Brü­derpaar Humboldt) . Das Besondere an der amerikanischen Feldforschung zu den India­nersprachen ist allerdings, daß sie als nationale Aufgabe gesehen wird und eine hohe Systematizität entwickelt.

Boas' Einleitung zum Handbook, die erstmals 1 9 1 1 (etwa zur Zeit der Genfer Vorle­sungen Saussures) erscheint, fIndet sich in der Sekundärliteratur meist nur summarisch erwähnt. Dies ist verwunderlich, denn sie enthält eine ganze Reihe von wissenschaftsge­schichtlich bedeutsamen Aussagen. Sie zeigt die Anknüpfungspunkte an die europäische Tradition (Humboldt) , die Distanzierung von der genealogischen Komparatistik und die völlige Abwesenheit eines Systemgedankens im Sinne des zeitgleichen europäischen Strukturalismus. Bündig und einleuchtend werden die spezifIschen Probleme der «ame­rikanischem> Linguistik formuliert und im Hinblick darauf eine Methode vorgeschlagen, die (wenn auch mit Variationen) auch für spätere Ansätze der US-Linguistik mehr oder minder prägend bleiben wird.

In Deutschland geboren, wandert Boas 1 885 in die Vereinigten Staaten aus . Von Hause aus Physiker und Geologe, widmet er sich in seiner neuen Heimat zunehmend und auf weitgehend autodidaktischer Basis anthropologischen und sprachlichen Studien. Dies führt ihn dazu, Sprache als kulturgeprägt zu verstehen (dies wird auch die Sapir­Schule fortführen, cf. z.B. SAPIR, Language:4, 1 6s . , 207ss .) . Während bei Whitney solches ein abstraktes Bekenntnis bleibt - er interessiert sich nämlich kaum für Feldforschung, und schon gar nicht zu den Indianersprachen oder -kulturen, die er für «barbarisch» gegenüber der «kultiviertem> weißen Nation hält (SEUREN 1 998 : 1 80s.) - untermauert Boas seine Hypothese durch linguistisch-ethnologischen Feldforschungen (cf. DÜRR 1 992) .

19 Sapir steuert die Beschreibung des Takelma/Südwest-Oregon bei (SAPIR 1 922) .

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Wie Humboldt sieht er Sprache und Sprachforschung als Teil einer «Völkerpsycho­logie» 20. Was später unter dem Etikett Humboldt-Sapir-Whorf-Hypothese»2 1 laufen wird, beschreibt Boas als « . . . each language has a particular tendency to select this or that aspect of the mental image which is conveyed by the expression of the thougho> (BOAS, Introduction:34) . Anders als Whitney, und wohl aus einem tieferen ethnologischen Verständnis heraus, zieht Boas eine vorurteilsfreie Unterscheidung zwischen den «primi­tivem> und den europäischen Sprachen/Kulturen. Ihre Differenz beschreibt er nicht als verschiedene Grade von Entwicklungsvollkommenheit, sondern als die Fügung, daß j ede Sprache den spezifischen Notwendigkeiten ihres Kulturkreises Rechnung trage (also evolutionsbiologisch gesprochen «angepaßo> ist22) , wofür das Wechselspiel zwi­schen Sprache und Kultur sorge. Daß die europäischen Sprachen einen höheren Grad an Abstraktion und Analytizität aufWiesen, hänge mit der philosophischen Tradition ihres Kulturkreises zusammen. Dagegen entspreche der konkrete und synthetische Cha­rakter der indianischen Sprachen der naturgebundenen Kultur, wo Kommunikation über konkrete Dinge und Vorgänge im Vordergrund stehe. Dies bedeute j edoch nicht, daß Angehörige einer sogenannten «primitiven KultuD> keiner Abstraktionen fahig seien. Lediglich erfordere die sprachliche Darstellung abstrakter Begriffe mehr AufWand, weil die Sprache auf konkrete Begrifflichkeiten ausgerichtet ist.

Boas illustriert dies an einem einleuchtenden BeispieL Ein Engländer kann sagen «The eye is the organ of sigho>. Ein Indianer kann nun freilich 'Auge' ausdrücken - seine Sprache nötigt ihn aber lexikalisch-morphologisch, zugleich zu spezifizieren, ob es sich um 'ein menschliches Auge', 'ein Tierauge', 'dieses Auge hier' etc. handelt. Um die ab­strakte Kategorie 'Auge' auszudrücken, müßte er auf eine Umschreibung wie etwa an indefinite person 's rye zurückgreifen. Die für europäischer Sprach- und Denkweise <<Um­ständliclm erscheinende Paraphrasierung markiert jedoch keineswegs einen Mangel der Indianersprache. Sie ist lediglich ein Zeichen dafür, daß in der indianischen Kultur kein Bedarf für den abstrakten Ausdruck besteht, weil im Alltagsleben spezifische Dinge, im Religionsleben antropomorphe Formen entscheidend sind, und nicht philosophische Abstraktion (BOAS, Introduction:53s .) . Umgekehrt gilt, daß die abstraktiven Sprachen Eu­ropas eines größeren begrifflichen AufWandes bedürfen, um konkrete Bezüge darzustel­len.

Für die Entwicklung der linguistischen Methodik spielen solche Faktoren eine enor­me Rolle. Wenn indianische Sprachen über einen solch hohen Grad an semantisch­morphologischer Synthetizität verfügen CMenschauge', 'Tierauge', 'dieses-Auge-hier'; aber nicht. 'Auge'!), so bedeutet dies, daß hier nur schwer einzelne Sinnelemente « heraus­analysiero> werden können (wie dies die strukturelle Semantik tut) . Hinzu kommt, daß auch die Ausdrucksseite dieser Sprachen stark agglutinierenden oder gar polysyntheti-

20 BOAS, Introduction:52s. , 59. Seine Humboldt-Rezeption scheint jedoch nur indirekt gewesen zu sein (cf. STOCKING 1 974:476-78, KOERNER 1 990b: 1 1 4- 17) .

21 Auch bei Sapir ist keine direkte Humboldt-Rezeption nachzuweisen (cf. ERICK­

SON/GYMNICH/NüNNING 1 997) . Zur Debatte um die Humboldt-Sapir-Whorf-Hypothese cf. z.B. PENN 1 972, GIPPER 1 972, ROBINS 1 976b.

22 Boas selbst lehnt Rassendeterminismus und Evolutionismus ab (cf. RENNER 1 992: 135 47, VERNON 1 996) .

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schen Charakter hat23• Beispielsweise erscheint Chinook anid'lOt phonetisch als ein «WorD>, semantisch j edoch als ein Satz 'I give him to her' (a = tense, n = '1', i = 'him', d = 'her', 1 = 'to', ij = direction away, t = 'to give'; BOAS, Introduction:23) . Obwohl stark agglutinierend, läßt sich diese Form immerhin noch linear analysieren. - Bei polysynthe­tischen Sprachen kommt die Komplikation hinzu, daß die Bedeutung einzelner Aus­drucks formen davon abhängt, in welcher Position sie stehen. Die Ausdrucksform für '3. Pers .Sg.' kann von der Semantik des Verbs bestimmt sein oder von der morphemati­schen Umgebung. So bedeutet z.B. Eskimo takuvoq 'he sees' (taku- 'sehen' + voq '3. Pers. Sg. für Verben der Bedeutung sehen') . 'Er beginnt zu sehen' hat die Form takuletpoq. Sie setzt sich zusammen aus taku- 'sehen', -ler 'Anfang' und poq '3. Pers .Sg. ' . In der scheinba­ren Reihung verstecken sich jedoch syntagmatische und paradigmatische Determinie­rungen: So nimmt ler die Bedeutung 'Anfang' nur an, wenn ein phonetischer Komplex vorausgeht; außerdem determiniert !er die Endung des phonetischen Komplexes, indem es statt des üblichen Morphems voq für '3. Pers.Sg./sehen' die Endung poq erfordert (ib. :24) .

Schon anhand dieser Mirnimalbeispiele läßt sich konjekturieren, daß keine der Me­thoden der europäische Linguistik problemlos auf die Eigenart der indianischen Spra­chen übertragbar erscheint.

(1) Die europäische strukturalistische Methode (die in der Chronologie ohnehin erst später folgt) und ihr analytisches Verfahren der Kommutationsprobe zwischen Aus­drucks einheit (Morphem) und Inhaltseinheit wäre auf grund der mangelnden Analytizität von Ausdrucks- und Inhaltsseite auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen. Eine auch nur annäherungsweise Abstraktion auf ein 1 : 1 -Gegenüber von minimaler Ausdruckseinheit und minimaler Inhaltseinheit, bei gleichzeitigem 1 + I -Nebeneinander in der Redekette, wie sie dem Wellenmodell und dem carre linguistique zugrundeliegen, erscheint aufgrund der semantisch-konkreten Komplexität und der polysynthetischen Grammatik schwieri­ger zu verwirklichen als für analytische Sprachen (bei denen natürlich auch lineare De­terminationsverhältnisse existieren) . Hinzu kommt, daß lexikalische und grammatische Formkomponenten indianischer Sprachen sich gegenseitig in einem Maße modifizieren können, daß Trennungen in Minimalelemente (geschweige denn eine übersichtliche In­ventarisierung des paradigmatischen Netzes) aufgrund des <dack of permanence of form» (BOAS, Introduction:24) , nicht einfach zu bewerkstelligen wäre24. Die Zahl der kon­textuellen Varianten wäre zu hoch.

(2) Die Methode des morphologischen Vergleiches, wie sie die Komparatistik bzw. Indogermanistik mit Erfolg angewendet hat, scheidet aus, weil (a) die Morphologie der indianischen Sprachen mit den europäischen Sprachen zu wenig Gemeinsamkeiten auf­weist, als daß hier ein Vergleich möglich wäre, und (b) weil die Morphologie der India­nersprachen überhaupt noch zu wenig erforscht ist, um einen Vergleich ziehen zu kön­nen, geschweige denn einen diachronen Vergleich. Hinsichtlich der Etablierung einer Genealogie der Indianersprachen hegt Boas eine begtündete Skepsis (BOAS, Introducti-

23 Boas erweitert deshalb die Drei-Klassen-Typologie zu «isolierend, agglutinierend,polyJ)'nthe­tisch, flektierend» - mit dem Hinweis, daß nicht alle indianischen Sprachen polysynthetisch seien (BOAS, Introduction:62ss.) . Cf. auch Sapirs graduelles Modell (SAPIR, Language: 1 26-28, 1 38-44) .

24 Im Beispiel ließen sich vielleicht poq und voq noch als Varianten eines Morphems beschrei­ben, oder die verschiedenen Bedeutungen von ler als distributionell bedingte Varianten. Ge­samthaft dürfte aber die Polysynthetizität eine Beschreibung in «Varianten» unhandlich machen.

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on:69s .) , u.a. mit dem Argument der Sprachmischung (ib. :39-44; ebenso SAPIR, Langua­ge: 1 92-206) , wie es in Europa auch von Schmidt und Schuchardt gegen die Stammbäu­me geltend gemacht wird. Auch einer Koppelung der Sprachentwicklung an eine Rassenentwicklung (wie bei Haeckel, 4.2.3) erteilt Boas eine klare Absage (BOAS, Intro­duction:3-9) . Daß die Diachronie aus dem Spiel bleibt, dürfte aber auch damit zusam­menhängen, daß die Indianersprachen zum größten Teil nicht verschriftlicht sind.

(3) Auch die Übertragung traditioneller grammatisch-logischer Kategorien auf die in­dianischen Sprachen scheidet aus, weil die im und für den europäischen Sprachraum entwickelten Kategorien wie Tempus, Kasus, Genus etc. (hier schließt sich der Zirkel vermeintlich universaler Kategorien und sprachlicher Prädetermination von Erkenntnis­sen) sich als nicht deckungsgleich mit Kategorien indianischer Sprachen erweisen. So tritt z .B. die in europäischer Grammatik (und Sprache) an das Verb gebundene Katego­rie Tempus in indianischen Sprachen auch mit Nomen auf (mit den Bedeutungen 'der ehemalige Freund', 'der künftige Freund' etc.) . Die Nominalkategorie Kasus, die Struktu­ralisten wie Hjelmslev und Jakobson zu großflächigen Schematisierungen des Kasussy­stems anregte, ist in den Indianersprachen weitgehend auf zwei Formen (Rectus und Ob­liquus) reduzierbar. Die drei Kasus eines Satzes wie The man cut the woman lJJith the knife (Nominativ, Akkusativ, Instrumentalis) wird im Chinook dadurch dargestellt, daß die Nomen unverändert bleiben, aber durch Pronomen verdoppelt werden, nach dem Mu­ster: he her it with cut, man, woman, knife. Es gibt also allenfalls Pronominalkasus, deren Komplexität beschränkt ist (BOAS, Introduction:30s.) . Die Kategorie Genus tritt nicht in allen Indianersprachen auf, in manchen wird sie durch eine Kategorie 'belebt/unbelebt' «ersetzD>, z.B. im Sioux (ib. :29) .

Vor diesem Hintergrund dürfte einleuchten, inwiefern die Erfahrung mit indianischen Sprachen und Kulturen als Impulsgeber für einen eigenständigen Ansatz der amerikani­schen Linguistik fungiert haben muß (cf. auch HOlJER 1 963) . Hier haben wir es nicht mit einer transdisziplinären «Inspiration», sondern mit einem echten externen Anstoß aus der Objektrealität zu tun, der eine neue Methode und Theorie notwendig erscheinen ließ. Daß man gegen den Widerstand der eher abstrakt orientierten Linguistik Whitneys me­thodisch unvoreingenommen an das neuartige Objekt herantreten konnte, wurde da­durch erleichtert, daß Erforschung der Indianersprachen unter der Ägide der ethnologi­schen Abteilung des Smithsonian Institute erfolgten25• Die Ethnologie kann also, wenn auch nicht als transdiszplinäre Inspiration, so doch als institutionelle Förderin der neuen linguistischen Entwicklung gesehen werden.

Boas' Ansatz zur Bewältigung der geschilderten Objektproblematik, fußt wesentlich auf dem Begriff des grouping. Boas verwendet ihn einerseits für das psychische Verfahren der Begriffsbildung, d.h. für die Klassifi'{jerung sensueller Erfahrungen in «Gedankenkate­goriew>, die später ein prototypisches Wiedererkennen der Erfahrung ermöglichen (der Terminus «prototypisch» wird freilich von Boas noch nicht verwendet) . Diese Klassifi­zierung bedeutet eine Limitierung bzw. symbolische Reduktion26 und gilt nach Boas und

25 Während Boas Sprache und Kultur als cultural l/Jholes untersuchen wollte, favorisierte die ethnologische Abteilung des Smithsonian Institute seinerzeit noch ein naturwissenschaftlich­evolutionäres Paradigma (cf. DARNELL 2000:273-79, 285-90) .

26 PsycholOgische Klassifikation von Erfahrung als einen symbolischen Kondensationsprozess zu verstehen, unterscheidet Sapir und andere klar vom mechanischen Behaviorismus, der Klassifi­kation als Eliminiert/ng einzelner empirisch wahrgenommener Eigenschaften versteht (WEIN-

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Sapir nicht nur für die Ideenbildung überhaupt (von der particular idea zur elementary idea im Locke'schen Sinne), sondern ebenso für die Ausdrucksseite der Sprache, wo ein be­grenztes Lautinventar (phonetic elements) bzw. Wortinventar (elementary phonetic groups) uns den Ausdruck zahlloser Ideen ermöglicht:

In our actual experience no two-sense impressions or emotional states are identical. Nev­ertheless we classify them, according to their similarities, in wider or narrower groups . . . Thus the limitation of the number of phonetic groups expressing distinct ideas is an ex­pression of the psychological fact that many different experiences appear to us as repre­sentatives of the same category of thought. (BOAS, Introduction: 1 9; cf. SAPIR, Language: 1 2s.)

Dem Prinzip des klassifizierenden grouping, das die Vielzahl der sinnlichen (u.a. artiku­latorischen Erfahrungen) auf prototypische Muster reduziert, entspricht auf der anderen Seite das Prinzip des kombinatorischen grouping, das es uns ermöglicht, mit einem be­grenzten Inventar von Ideen und Ausdrücken eine theoretisch unbegrenzte Zahl an Kombinationen zu erzeugen. Ähnlich wie bei Hjelmslevs methodischer Klassifikations­Arboreszenz in Stufen haben wir es hier bei Boas mit einem stufenweisen Wechsel von Klassifikation/Reduktion und Kombination/unbegrenzter Zahl der Möglichkeiten zu tun: Reale Laute werden auf Lautklassen reduziert. Die Kombination von Lauten ent­sprechend den Lautklassen ermöglicht eine unbegrenzte Zahl von phonetic groups (<<Wör­term» . Diese potenziell unendliche Zahl reduziert sich wieder dadurch, daß nur ein Teil der kombinatorisch möglichen Wörter genutzt wird, nämlich die elementary phonetic groups (wohl eher eine Selektion als eine klassifizierenden Reduktion) . «The total number of possible combinations of phonetic elements is . . . unlimited; but only a limited number are used to express ideas . This implies that the total number of ideas that are expressed by distinct phonetic groups is limited in number.» (BOAS, Introduction: l 8) . Diese Teil­menge von (elementary) phonetic groups (Lexemen) wiederum ist das Material für unendliche syntaktische Kombinationsmög-lichkeiten. Für diese komplexe Kombinatorik bedarf es dann allerdings zusätzlich der formal elements (Grammeme), die als Wegweiser fungieren (ib. : 20) .

Trotz der Befürwortung der klassifikatorischen Methode, die auch im europäischen Strukturalismus beheimatet ist, zeigt sich bei Boas eine unterschiedliche Perspektive. Sein Augenmerk gilt der synthetischen Konstitution komplexer Ausdrucks- und Ideen­einheiten, und nicht einer paradigmatischen Analytizität. Dies zeigt sich in der Einbezie­hung der formal elements neben den zweiseitigen Zeichen (phonetic groups und elementary ideas, entsprechend signifiant und signifie) . Damit unterschiedet sich schon Boas vom eu­ropäischen Ansatz. Er stimmt nicht mit dem Achsenkreuz-Modell von Syntagmatik und Paradigmatik überein, das vereinfachend eine l : l -Relation von Ausdrücken und Inhal­ten entlang einer Redekette zugrundelegt. Und er stimmt auch nicht mit Tesnieres Theorie der connexions überein, denn dort sind die «Wegweiser der syntaktischen Struk­tuD> nicht durch Konstituenten (formal elements) repräsentiert, sondern durch eine un­sichtbare syntaktische Tiefenstruktur (connexions und n«uds) .

Überhaupt gibt Boas angesichts des polysynthetischen Charakters der Indianerspra­chen wenig auf eine paradigmatische Atomisierung der Elemente. Dies zeigt sich in sei-

STEIN 1986:484s. , CONTINI-MoRAVA 1 986:359s . , NEWMAN 1 986:414-20) , und vom simplen Modell der empreintes psychiques (Saus sure).

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nen kritischen Bemerkungen zur «künstlichen Einheib> des Wortes, die er allenfalls in der fixed phonetic group sehen kann, nicht aber in einer « Sinneinheib>. Und selbst seine eigene Unterscheidung zwischen phonetic groups und formal elements hält er nur für bedingt aufrecht erhaltbar (BOAS, Introduction:26s.) . Wörter transportieren nach Boas und Sapir keine complete idea (ib. :22) - ganz im Gegensatz zur «natürlichen sprachlichen Einheit» des Satzes:

Since all speech is intended to serve for the communication of ideas, the natural unit of expression is the sentence; that is to say, a group of articulate sounds which convey a complete idea. It might seem that speech can readily be further subdivided, and that the word also forms a natural unit from which the sentence is built up. In most cases, how­ever, it is easy to show that such is not the case, and that the word as such is known only by analysis. (BOAS, Introduction:21 ; ebenso SAPIR, Language:25)

Während Tesniere oder Hjelmsle�7 den Satz als «Kombination von Einheitem> sehen, erscheinen Boas und Sapir weder die Grenzen zwischen den Einheiten (z.B. zwischen mots pleins/Lexem und mots vides/Grammem) klar, noch die Grenzen zwischen Wort und Satz:

Our fIrst impulse, no doubt, would have been to defIne the word as the symbolic, linguis­tic counterpart of a single concept. We now know that such a defInition is impossible. In truth it is impossible to defIne the word from a functional standpoint at all, for the word may be anything from the expression of a single concept - concrete or abstract or purely relational (as in of or by or andJ - to the expression of a complete thought (as in Latin dico 'I say' or, with greater elaborateness of form, in a Nootka verb form denoting «l have been accustomed to eat twenty round objects [e.g., apples] while engaged in [doing so and so] » ) . In the latter case the word be comes identical with the sentence. (SAPIR, Language:32)

Die Methode kann deshalb nicht in einem Vergleich bzw. einer Kommutation von Ein­heiten bestehen, sondern sie muß der quasi-introspektiven Aufdeckung von psychological groupings als der <<inneren Sprachforrm> (cf. MACKERT 1 993) folgen:

The analytic treatment of languages results in the separation of a number of different groups of the elements of speech. (BOAS, Introduction:26)

... the method of treatment [in the grammatical sketches of the Handbook] has been throughout an analytical one . . . in each case the psychological groupings which are given depend entirely upon the inner form of each language. In other words, the grammar has been treated as though an intelligent Indian was going to develop the forms of his own thoughts by an analysis of his own form of speech. (ib. :68)28

27 Hjelmslev räumt zwar ein, daß Syntax und Morphologie (<<Wortbildung») nicht zu trennen seien (HJELMSLEV 1 928:99) , benutzt dies jedoch als Argument, den Satz gerade nicht als sprach­liche Einheit zu akzeptieren. Der Satz ist für Hjelmslev eine combinaison de mots (ib. :98) , Syntax deshalb eine Frage der Kombinatorik, nicht der Analytik.

28 Die Sprach beschreibungen des Handbook fussen auf solchen native texts: Transkriptionen indianischer native speakers nach einer vom Feldforscher vermittelten Methode. Die Verwertung der native texts fuhrte bald zum Streit zwischen Boas und Sapi!, da Sapir die Texte auch für eth­nologisch-kulturelle Untersuchungen nutzen wollte (cf. DARNELL 1 990) .

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In der Zulassung der Introspektion und der indirekten Berufung auf Humboldt liegen zwar kleine Berührungspunkte mit Tesnieres späterer strukturaler Syntax. Synchron gesehen, bereitet die Erfahrung der Indianersprachen aber ein eigenständiges US­strukturalistisches Paradigma vor. Während der europäische Strukturalismus von para­digmatisch-differenziell definierten Elementen ausgeht, um von dort abstrakte Relationen innerhalb des Paradigmas (cf. die Raster bei Trubetzkoy, Jakobson, Hjelmslev) oder Dependenzen innerhalb eines Syntagmas (cf. die Stemmata bei Tesniere) zu erschließen, bleibt für den amerikanischen Strukturalismus das Axiom der complete idea of the sentence bis hin zur generativen Syntax und zur generativen Semantik gültig - auch wenn die Frage, ob diese groupings angeborene Strukturen sind, unterschiedlich beantwortet wird (vom späten Chomsky bejaht; von der Boas-Sapir-Schule verneint, cf. SAPIR, Langtta­ge: l 0s .) .

Obwohl der zentrale Begriff vom psychological grouping es erwarten läßt, lassen die Ar­boreszenzen bei Boas und Sapir zunächst auf sich warten. Das Handbook of American Indian Languages enthält keinerlei Arboreszenzen (weder textuell noch graphisch) , son­dern besteht weitgehend aus einer listenhaften Inventarisierung sprachlicher Elemente, zum Teil ergänzt durch herkömmliche Tableaux von Deklinations- und Konjugations­mustern, Phonemen etc. Dies gilt auch für Sapirs Beitrag zum Handbook (SAPIR 1 922) .

Dagegen zeigt SAPIRS beispielhafte Analyse eines komplexen Wortes aus dem Paiu­te29 (SAPIR, Language:30-32) eine konstituentenanalytischen Arboreszenz. Sie wird tex­tuell dargestellt und diese Darstellung ist in einem Maße verwirrend und undeutlich, daß SEUREN 1 998 : 1 86 zurecht bemerkt, daß «Sapir's very precise analysis of this complex would have been greatly facilitated had he used a tree diagram to illustrate it», und eine entsprechende Graphik erstellt. Das Beispielwort (es zeigt abermals, wie problematisch die Trennung von Satz und Wort in den indianischen Sprachen sein kann) lautet:

l/JZZ- to- kuchum- pU11ku- riiga11i-'knife- black- buffalo- pet- cut-up-

yug1Vi- va- ntii- m(ii) sit (plur.)- future- participle- animo plur.'

'they who are going to sit and cut up with a knife a black cow (or bull)'

Es handelt sich also um eine komplexe Nominalgruppe ('they who . . . ') , die auf der Transformation (SAPIR, Language:32) eines Prädikates ('cut up and sit') beruht und ein Ob­j ekt beinhaltet ('black buffalo-pet') . Sapirs Analyse der Nominalgruppe erfolgt entlang eines Formelsystems aus Buchstaben und Klammern. Dabei gilt: (1) Jeder Buchstabe bezeichnet eine Konstituente des linearen Syntagmas; (2) Großbuchstaben bezeichnen radical elements mit eigenem semantischen Gehalt; Kleinbuchstaben bezeichnen grammati­cal elements (ib. :25s .) ; (3) Klammern zeigen an, welche Elemente in der gegebenen Kon­stellation von einem anderen (nicht-eingeklammerten) Element abhängig sind.

Sapirs Transkription der Nominalgruppe sieht entsprechend diesen Formalisierungs­regeln folgendermaßen aus :

29 Die Paiute sind ein im Südwesten von Utah ansässiger Stamm.

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JVU- to- kuchum- punku- riigani- yugwi- va- ntü- m(ü) '!mife- black- buffalo- pet- cut-up- sir(plur.)- future- participle- animo plur.'

(F) + (E) + C + d + I

A + B + (g) + (h) + (i) + (0) 0( ..

Anhand der Reihenfolge der Buchstabenvergabe zeigt sich, daß Sapir offenbar vom Verb ('cut up and sit') ausgeht (A+B) . Von dort entwickeln sich zwei Zweige, die wir durch Pfeile symbolisiert haben: nach links der «Objektzweig» (C bis F: what do they cut up?', 'how?') und nach rechts der «Transformationszweig» (g bis i, und 0) , an dessen Ende das Nominalisierungselement (0) steht, das als einziges Element in der Konstitu­entenreihe keine Entsprechung hat. Anders als in europäischen Sprachen kann die No­minalisierung ('die Sitzenden und Aufschneidenden') weiterhin durch ein Tempusele­ment ('future' / va-) determiniert werden (---> 'die künftig Sitzenden . . . ') .

Setzt man die alphabetisch kaum erkennbare Verzweigung sowie die durch die Klammern angezeigten Abhängigkeitsverhältnisse graphisch um, so gelangt man zu ei­ner klaren Arboreszenz (cf. SAPIR, Language:30-32 und SEUREN 1 998 : 1 87) :

'!mife' (F)

'black' (E)

'buffalo' C

Erläuterungen:

A 'sir' 1 B 'cut up

,j

d 'pet'

(0) 'subject' .

(i) 'animate plur. '

Transformatifm (Nominalisier'lfngJ

- (F) IVii- '!mife' kann auch ein freies radical element sein, wird hier aber adverbial ge­braucht « <instrumentally usem» , und ist deshalb abhängig von 'cut up' und ergo einge­klammert.

- (E) to- 'black': Das Adjektiv transportiert zwar eine eigene Idee, die aber nicht unab­hängig wiedergegeben werden kann (<<the absolute notion of 'black' can be rendered only as the participle . . . black-be-ing;» . Es ist deshalb grundsätzlich abhängig (einge­klammert).

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d punku- 'pet' würde freistehend 'Pferd' bedeuten; als Affix bedeutet es, daß das Tier, das vom radical element (e 'buffalo') bezeichnet wird, einem Menschen gehört. Da es Affix und damit ein grammatical element ist, notiert Sapir es als Kleinbuchstaben; da es andererseits auch frei auftreten kann, nennt Sapir es ein «quasi-sub ordinate element» und notiert es als I<.1einbuchstabe ohne I<.1ammern.

(g), (h), (i) sind grammatical elements, die immer in Abhängigkeitsverhältnissen auftreten.

Haben wir oben (6 . 1 ) bereits vorausgreifend die Unterschiede von Tesnieres struktura­len Stemmata zur generativen Arboreszenz skizziert, können wir nun einen Vergleich zwischen den Arboreszenzen von Tesniere und Sapir ziehen30, an denen sich beispiel­haft die Differenz des amerikanischen und des europäischen Paradigmas abzeichnet.

(1) Sapirs Arboreszenz ist trotz der Spaltung in zwei Zweige nicht symmetrisch. Das Beispiel alleine wäre hier sicherlich nicht relevant -Sapir weist aber des öfteren darauf hin, daß die Einheit des Satzes (neben phonetischen Kriterien) vor allem auf dem pro­positionalen Charakter, also auf der Subjekt-Prädikat-Relation beruhe (SAPIR, Langua­ge:35, 93s.) . Tesniere lehnt diese zugunsten der Aktantensymmetrie ab.

(2) Tesnieres Stemma setzt sich aus semantisch autonomen Einheiten (na:uds) zu­sammen, die mehr oder weniger mit Wortarten (Verb, Nomen, Adjektiv, Adverb etc.) korrelieren, und aus dependenziellen connexions, die keine Konstituentenentsprechung haben. Die Stufen der arboreszenten Hierarchie zeigen dabei eine von oben nach unten abnehmende semantische Autonomie an (Verb � actants, circonstants � ipithetes [Adjek­tive] � ipithetes [adverbiale Bestimmungen von Adjektiven]) . Sapirs Arboreszenz will dagegen gerade keine stufbare Arboreszenz von Bausteinen sein, sondern die Darstel­lung eines komplexe Modifikationsgewirks aus concrete ideas und derivational/ qualifying ideas, die durch radical elements respektive grammatical elements angezeigt werden. Sapir schließt sich damit an Boas' These des psychological grouping an. Die unendliche Zahl möglicher (Satz !-)Ideen wird über Klassifikation, Kombination und Modifizierung einer begrenzten Zahl von Elementen erreicht:

It would be impossible for any language to express every concrete idea by an independent word or radical element. The concreteness of experience is infinite, the resomces of the richest language are strictly limited. It must perforce throw countless concepts under the rubric of certain basic ones, using other concrete or semi-concrete ideas as functional mediators. The ideas expressed by these mediating elements - they may be independent words, affixes, or modifications of the radical element - may be called «derivationab> or «qualifying» . (SAPIR, Language:84)

Während Tesniere eine Schwarz-Weiß-Einteilung in mots pleins und mots vides durchzuhal­ten versucht, sieht Sapir die Übergänge (concrete vs. derivationa� fließend - und damit zu­gleich auch die Grenzen zwischen paradigmatischen und syntagmatischen Konzepten, zwischen semantischer und syntaktischer Bestimmung (ib. : l 0l ) . Die Charakteristik der einzelnen Elemente geht, soweit sie überhaupt satzunabhängig gesehen werden kann, in der synthetischen Modifizierung innerhalb des Satzes auf. So ergeben sich transzendente Hierarchiestufen hinter den Komponenten: Die Vorstellung einer echten Tiefenstruktur jenseits der Oberfläche beginnt also hier, nicht bei Tesniere.

30 Gemeinsam ist ihnen die Nutzung der Arboreszenzen für die Sprachtypologie (cf. 6.1 und SAPIR, Language:37, 1 20ss.) .

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(3) Sapir bezieht erheblich stärker als Tesniere die Linearität der Sprache (speech) ein, was sich logisch aus der Forschungssituation ergibt, die die «Ethno-Linguisten» mit dem nicht-verschriftlichten (also auch nicht durch die Schrift präanalysierten) Lautkontinuum unbekannter Sprachen konfrontierte. Der französische Strukturalist sieht entsprechend der dichotomisierenden Methodik des europäischen Strukturalismus Fordre liniaire als eine der strukturalen syntaktischen Ordnung entgegengesetztes Prinzip, das dem Be­reich der parole angehört und in Überlegungen zur Struktur deshalb nicht einbezogen wird. Es bedarf einer transformation, um von der einen in die andere Ordnung zu gelan­gen (TESNIERE 1 959 : 1 9s .) . Sapir dagegen sieht den Satz zugleich als psychologisch­propositionale Einheit und als phonetic unit (SAPIR, Language:35) . Darüberhinaus können lineare Anordnungen als Indikatoren syntaktischer Modifizierungen fungieren. In Lan­guage wird deshalb die Wortstellung als erste Form der grammatical processes genannt (ib. : 6 1 ) . «The most fundamental and the most powerful of al1 relating methods is the method of order . . . Words and elements . . . once they are listed in a certain order, tend not only to establish some kind of relation among themselves but are attracted to each other in greater or in less degree.» (ib. : 1 1 1 ) . Hier zeichnet sich bereits die Bedeutung der Linearität ab, die für die Konstituentenanalyse Bloomfields ebenso grundlegend sein wird wie für den Distributionalismus Harris' .

Die Unterschiede zum europäischen Strukturalismus, die hier zutage treten, dürften also mit zwei Umständen zusammenhängen. Zum einen kann die junge US­amerikanische Linguistik freier auf traditionelle Modelle wie das Propositionsmodell und das Wortstellungsmodell zurückgreifen, ohne sich einer Rückschrittlichkeit verdächtig zu machen. Der europäische Strukturalismus dagegen arbeitet seit dem 19 . Jahrhundert daran, sich durch «Vergleidm und «Systemimmanenz» von der Determinierung durch die Logik (inklusive deren Propositionsmodell und der daraus resultierende alten Wort­stellungsdebatte) zu lösen. Zum anderen verarbeitet die US-Linguistik mit den Axiomen des psychologzcal grouping und «die Einheit ist der Satz» folgerichtig ihre Erfahrung mit dem komplexen morphologischen Charakter der indianischen Sprachen.

6.2.2 Behaviorismus, Strukturalismus und Binarismus (Bloomfield):

«mechanische» Konstituentenanalyse

Neben Boas und Sapir gilt Bloomfield als Dritter im Gründungs-Dreigestirn der ameri­kanischen Linguistik Oäßt man Whitney beiseite, der durch seine noch stark diachrone Ausrichtung eine Ausnahmestellung einnimmt) . Wissenschaftshistorisch gesehen ist Bloomfield eine schillernde Figur, weil er die unterschiedlichsten Ansätze kombiniert: Komparatistik' l , Junggrammatik und phonologischen Strukturalismus aus Europa - aus der US-Tradition die Vorgabe des Lautkontinuums und des Satzes als sprachliche Ein­heit. Für unsere Betrachtung zu Leitbildern in der Linguistik ist er zunächst deshalb relevant, weil er wie Sapir mit der immediate constituent-Analyse eine arboreszente Struktur liefert, anders als Sapir aber dabei streng binär vorgehen will. Neben dieser Arboreszenz muß aber auch der Position Bloomfields an der Schnittstelle zwischen Europa und Amerika (hinsichtlich der Strukturalismus-Rezeption) und zwischen Ethnologie (Boas,

3l Cf. LEHMANN 1 987. Zur Diachronie bei Bloomfields cf. HOENJGSWALD 1 987b .

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Sapir) und späterer Generativität (Harris, Chomsky) Rechnung getragen werden, weil sie exemplarisch dafür ist, wie sich aus der anfänglichen oft noch widersprüchlichen Mi­schung verschiedener Theorien allmählich ein eigenständiges «amerikanisches Paradig­ma» herausschält, dessen Konstitution also grundlegend anders verläuft als der Paradig­menwechsel von der «Sprachentwicklung» zur « SprachstruktuD> in der europäischen Lin­guistik.

Wie Sapir kommt Bloomfield als Kind europäisch-jüdischer Einwanderer in die USA. Bei beiden scheint ihre persönliche Lebensphilosophie die Theorien beeinflußt zu ha­ben: Sapir war privat religiös, seine Sprachtheorie betont die kulturell-psychologische Seite der Sprache. Bloomfield wird areligiös erzogen und vertritt schon früh eine weit­gehend mechanistische Sprachauffassung (cf. SEUREN 1 998 : 1 90) . Wie es auch immer um die Zusammenhänge mit dem Privaten auch bestellt sein mag, richtig ist in jedem Fall, daß in Bloomfields Linguistik von Anfang an die Bereiche Psychologie (im mentalpsy­chologischen, nicht im biologistischen Sinne) und Semantik nicht im Zentrum stehen bzw. anderen Bereichen untergeordnet werden, und später gänzlich marginalisiert wer­den - zugunsten eines formimmanenten und behavioristischen Strukturalismus.

Üblicherweise wird die Kehre Bloomfields zum «BehavioristeID> mit den 20er Jahren angesetzt, als er an der Qhio State University den Behavioristen Albert Paul Weiss ken­nenlernt. Dies wird durch diverse Verweise Bloomfields auf Weiss zu dieser Zeit bestä­tigt32. Bei genauem Hinsehen kann man aber schon in der Introduction to the Stmb ofLan­guage von 1 9 1 4 - im gleichen Jahr kehrt Bloomfield von seinem einjährigen Forschungs­aufenthalt in Deutschland zurück - die Distanzierung von der mentalistischen Psycho­logie Humboldts erkennen, die in Language (1 933) manifest werden wird. Zu Beginn der Introduction beruft sich Bloomfield auf Whitneys Postulat des social character of languagel3• Während Boas und Sapir dies als eine Wechselwirkung von Kultur und Sprache verste­hen, interpretiert Bloomfield es als kommunikative Determiniertheit. In diesem Zu­sammenhang erscheint bereits 1 9 1 4 behavioristisches Vokabular: Kommunikation wird als Stimulus der Sprachentwicklung gesehen; Sprachentwicklung erfolge nur durch eine kollektive Verursachung, der Sprecher fungiert als konditioniertes, der eigenen Sprache unbewußtes Wesen34, das Sprache mechanisch anwendee5:

We have seen that the greatest stimulus toward the development of expressive actions is their emergence into voluntary communicative use ... The individual's language, conse­quently, is not his creation, but consists of habits adopted in his expressive intercourse with other members of the community . . . The change which occurs in language is thus never a conscious alternation by individuals, but an unconscious, gradual change in the habits of the entire community. The motives which cause it are . . . new associative tenden­cies or neJv conditions of innervation due to some change in the circumstances of life affecting the community . . . As we examine more closely the different aspects of language, we shall again and again find the same characteristic: as the individual speaker receives his habits

32 BLOOMFIELD, RW:1 1 2s . , LS: 1 5 1 s . , OW (Nachruf auf Weiss) . Umgekehrt zitiert WEISS 1 925:201s . BLOOMFTELD 1 914 .

33 Im übrigen bleibt die Berufung auf Whitney begrenzt. In Language wird er nur einmal flüchtig erwähnt (BLOOMFIELD 1 933: 1 6) .

34 Nichtsdestotrotz wird die Introspektion (allerdings ergänzt durch ein mental traininj) be­fürwortet (BLOOMFIELD 1 9 14: 124) . CE. auch WEISS 1 925:241 .

35 CE. auch später WEISS 1 925:290s., 392.

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from the community, individual motives do not co me into play, but only causes affecting the community as a whole . . . the individual, from childhood, practises his speech until the details of it are mechanized and unconscious, he is rarely aware of the specific characteris­tics, such as the phonetic or grammatical, which are involved in it. (BLOOMFIELD 1 9 14: 1 7, Hervorh. S.R . . )

Angesichts solcher Passagen kann man sich nur wundern, daß sich in wissenschaftsge­schichtlichen Überblicken hartnäckig die These hält (z.B. ESPER 1 968 : 1 87) , Bloomfield sei in den 20er Jahren abrupt durch den Kontakt mit Weiss zum Behaviorismus «kon­vertiert» - zumal FRIES 1 963:204s. und auch HOCKETI 1 999:299 hier schon begründete Einwände erhoben haben.

Bloomfields Konzeption der Sprachentwicklung durch «Umweltveränderung» (<<new conditions of innervation due to so me change in the circumstances of life»)36 erinnert nicht von ungefahr an Darwins und Lamarcks Evolutionstheorien, nach denen der Gi­raffenhals mehr oder weniger direkt auf die Wuchshähe der Futterpflanzen zurückzu­führen ist. In der Tat scheint sich hier über die Vermittlung der Ethnologie eine neuerli­che Annäherung von (psycho-) Biologie und Sprachwissenschaft anzubahnen, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen, als im Europa des 1 9 . Jahrhunderts. (Dieser Trend kehrt rationalistisch gewandelt beim späten Chomsky wieder, cf. 6 .4) .

I m Behaviorismus Bloomfields äußert sich das Bestreben, die Linguistik von der ex­planatorischen Introspektion zu einer empirisch begründeten Objektivität leiten zu wol­len. Das verbindet ihn einerseits mit dem Biologismus Schleichers, andererseits - und trotz starker Rezeption des europäischen Strukturalismus37 - mit der von Feldforschung geprägten Geschichte der amerikanischen Sprachwissenschaft. Zugleich knüpft er mit seiner empirisch-behavioristischen Ausrichtung später an den logischen Positivismus des Wiener Kreises (Russell, Carnap) an (cf. HrZ/SWIGGERS 1 990) .

Wie ist dieser frühe behavioristische Trend Bloomfields wissenschaftsgeschichtlich zu « erklären» angesichts der Tatsache, daß er erst in den 20er Jahren direkt mit dem psychologischen Behaviorismus in Kontakt kommt? Hier scheinen zwei Umstände eine Rolle zu spielen.

(1) Bloomfield distanziert sich zwar zunehmend von der Ethnolinguistik Boas' und Sapirs, die sich auf eine Mentalpsychologie europäischer Tradition (Humboldt, Stein thaI, Wundes) beruft. Dennoch übernimmt er hiervon das Konzept der psychologischen Klassifikation von Erfahrungen, das sich vom Stimulus-Reaktion-Modell nur graduell unterscheidet (nämlich im Grad von psychologsicher Abstraktionsleistung, der zuge­standen wird; cf. auch WErss 1 925:297) . Wie Boas sieht Bloomfield die psychologische I<lassifikation als grundlegenden konzeptuellen Prozeß, der bei Mensch und Tier die «mentale Basis» für Sprache ist: «The animals have in common with us a process which may be called the formation of total experiences. Like us, they experience the outside world not as chaotic jumble of sensations, but as a system of complex recurrent units . . . The perceptual and emotional elements which we group together, for instance, as a rabbit,

36 Cf. auch BLOOl'v!FIELD 1 9 14:63, 323, wo Sprachentstehung als lautliche Reaktion auf Objek­te dargestellt wird.

37 Auch Sapir steht in Kontakt mit Trubetzkoy und dem Prager Zirkel, entwickelt seine pho­nologischen Arbeiten aber unabhängig davon (cf. ERAMIAN 1 988) .

38 Cf. z .B. BLOOMFIELD, RWUl1dt (1 9 1 3) VS. BLOOMFIELD 1 926: 1 53s . , 1 933 :VIl . , LS: 149 .

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appear to a dog also coherent and distinct from other perceptions and emotions . . . » (BLOOMFIELD 1 9 1 4:56s . , cf. ib. :58)39 .

(2) Daneben muß man bedenken, daß Bloomfield 1 9 1 4 von einem einjährigen For­schungsaufenthalt in Deutschland zurückkehrt, wo er auch die Vorlesungen von Brug­mann und Leskien besucht hat. Die Konzeption einer psychischen Mechanizität dürfte durchaus Bestärkung durch die Junggrammatiker erfahren haben40, auch wenn die Jung­grammatiker diese vorrangig für diachrone Entwicklungen in Betracht ziehen, Bloom­field dagegen für den Sprachgebrauch (speech) . Sie wird bis zu Language immer deutlicher. Dort wird der Materialität des Psychomechanismus41 , dem nervous system als trigger­mechanism (BLOOMFIELD 1 933:33) breiten Raum gewidmet. Der Sprechakt wird als causal sequence beschrieben (ib. : 1 39)'2. Das Funktionieren von Stimulus und Respons/Reaktion wird als determiniert von den gesammelten Erfahrungen (predisposing lactors) gesehen -womit eine «kreative Reaktion» ausschiedet (ib. :23) . Schließlich wird gar die sprachliche Reaktion sekundarisiert, indem sie als Substitut für eine eigentliche, z�e. praktische Hand­lung vorgeführt wird (ib. :25) . In all diesen Punkten stimmt Bloomfield weitgehend mit dem behavioristischen Modell von Weiss überein (WEISS 1 925:25, 287, 303) .

Mit Blick auf nachfolgende Entwicklungen in der Linguistik steht Bloomfield damit (1) jenseits des europäischen Systemstrukturalismus (und auch j enseits einer a-mecha­nischen Sprechakttheorie d Ia Bühler), (2) am Beginn einer Sprechakttheorie, wie sie mit Austin und Searle folgt. (3) wird hier der Boden bereitet für die spätere « generative Re­aktion» auf den Behaviorismus, mit der competence als angeborenem (also nicht nur erfah­rungsdeterminiertem) Sprachschatz und der Einbeziehung einer (regelgeleiteten) Kreati­vität (6.4) .

Gleichwohl schließen die Generativisten in einem anderen Punkt an Bloomfield an, nämlich darin, daß descriptive linguistics als Prognose aller möglichen Außerungen in einer Spra­che zu verstehen sei. - Für die Generativisten ist dieser Ansatz freilich nicht wegen sei­nes behavioristischen Gehaltes (<<Reaktionen sind mechanisch und deshalb berechen­bam) interessant, sondern wegen seiner Parallele zur Computerprogrammierung, wo das Programm die Prognose der virtuellen Anwendungsmöglichkeiten darstellt. - Für die Prognose der deskriptiven Linguistik Bloomfields soll einerseits die Informantenbefra­gung, andererseits die Aussonderung rekurrenter Elemente als Basis herangezogen werden (BLOOMFIELD 1 926: 1 55, 1 58) .

39 Nach HARRIS 195 1 :297 sah Bloomfield in diesem Abstraktionsprozeß eine Parallele zu den von Marx beschriebenen sozialen Anonymisierungsprozessen (cf. 5 .2 . 1 ) .

40 Cf. zur Konzeption von Laut und Lautwandel z .B . BLOOMFIELD 1 926:1 54s., 1 63; 1 933:23s. ; 1 939:8- 1 9 und auch FRIES 1 963: 1 99-203.

41 Cf. auch Zipfs zeitgleiche methodische Umsetzung der behavioristisch-materialistischen Sprachauffassung mit der These der cumulative force of chance (ZIPF, PBL: 1 99s.) .

42 In der behavioristischen Psychomechanik des Sprechaktes kehrt das Kausalitätskonzept gewandelt wieder: Handelte es sich bei den Junggrammatikern um eine innere Anpassungskausali­tät, die zu analogen Entwicklungen führt, ist es im linguistischen Behaviorismus Bloomfields die äußere Kausalität des practical stimulus. - Cf die Radikalisierung der Stimulus-Kausalität bei SKlN­NER 1 957:7- 1 0 (causal relations statt Wortbedeutungen); Skinner nimmt dabei nicht Bezug auf Weiss oder Bloomfield. Zur Kritik an Skinner cf. z.B. PROCTOR/WEEKS 1 990:1 35-38 und Chomsky (unten) .

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Auf die Rezeption des europäischen Strukturalismus durch Bloomfield weist bereits 1 922 die Erwähnung von Saussure als «newer trend in linguistic study» hin43, in der Theorie erkennbar wird sie erst in seinen späteren Schriften. Zur Homogenität der Theorie trägt es nicht bei, denn neben konkreten Theoremen wie das der Prognose und des stimulus-response « <vorhersagbare Reaktionen»), treten nun abs trakte Theoreme des europäischen «Raster-Strukturalismus», wie Identität/Differenz (<<That which is alike will be called the same. That which is not same is differenf» , BLOOMFIELD 1 926: 1 5 5) und die Distinktion von Ausdruck- und Bedeutungseinheiten über das carre linguistique (BLOOM­FIELD 1 926: 1 57, 1 6 1 ; 1 933:77s . , 93) . Daß Bloomfield selbst die Problematik einer Mi­schung aus Behaviorismus und Strukturalismus registriert hat, zeigt sich darin, daß Lan­guage die Ansätze in verschiedenen Kapiteln zur Sprache bringt: Behavioristische Theo­reme werden dem Kapitel use of language zugeschlagen, distinktive Semantik und Phono­logie dagegen der «idealen Ebene» der Linguistik (BLOOMFIELD 1 933:74) . Gleichwohl wird es dort problematisch, wo die Beobachtungsebene der Linguistik (Beobachtung und Beschreibung sprachlicher Reaktionen als Lautketten) mit der «abstrakten» Ebene (nicht beobachtbare Koppelung eines Ausdrucks an einen Inhalt) zusammentrifft. Nach der Feststellung, daß « . . . in human speech, different sounds have different meanings» (BLOOMFIELD 1 933:27) , ist kein rechtes Weiterkommen auf einer Seite: Nur die sounds sind beobachtbar, (behavioristische) meanings dagegen schwerlich zu fassen (ib. : 1 40-43) . So bleibt als Konsequenz nur die Beschränkung der Semantik auf eine distinktive Funk­tion in der speech anafysis (ib. : 77) oder eine implizite Funktion der Syntax (cf. unten) , an­sonsten wird sie vorerst aus der Linguistik ausgeschlossen: «The statement of meanings is . . . the weak point in language-study . . . In practice, we define the meaning of a linguis­tic form, wherever we can, in terms of some other science.» (ib. : 1 40) .

Der «Einbau» des europäischen Strukturalismus wird einerseits durch den Behavio­rismus begrenzt, andererseits durch das Interesse für syntaktische Strukturen, denen der atomisierende «Inventam-Strukturalismus nicht angemessen gerecht zu werden scheint. Hinsichtlich der Syntax steht Bloomfield durchaus in der Tradition von Boas und Sapir. Obwohl Bloomfield sich kaum mit Indianersprachen befaßt, räumt er ein, daß ihre spe­zielle Morphologie dazu beigetragen habe, eine Trennung zwischen Syntax und Mor­phologie, Wort und Satz als obsolet erscheinen zu lassen. «Syntax cannot be sharply se para ted from morphology. This is apparent when we find that it is not always possible to determine what is one word, what a combination of words.» (BLOOMFIELD 1 9 1 4: 1 67; ebenso 1 933 :1 38) . «This is true of many American languages : their words are 'sentence­words'.» (BLOOMFIELD 1 9 1 4: 1 69) . Entsprechend werden semantische und syntaktische Kategorien im wesentlichen als eines betrachtet, Semantik wird zum Implicitum der Syn­tax (wie es auch in der generativen Grammatik der Fall sein wird) : «The first task of the linguistic investigator is the analysis of language into distinctive sounds, their variations, and the like. When he has completed this, he turns to the analysis of the semantic struc­ture, - to what we call the morphology and syntax of the language, its grammatical sys­tem.» (BLOOMFIELD, SW:38)44.

43 BLOOMFIELD, RYapir.56 . Cf. ID., Rl"aussure, und RW: 1 1 4s. ; KOERNER 1 989f. 44 Das klassisch gewordene Beispiel für «syntaktische Semantik» ist das Syntagma old men and

1JJOmen. Seine Doppeldeutigkeit Cold [men and women] ' vs. ' [old men] and women') läßt sich nur durch verschiedene syntaktische Strukturen (i. e. Arboreszenzen) erklären, nicht über Wortbe-

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Als Argument für eine «syntaktische Semantik » dient Bloomfield zunächst die Ein­teilung in partes orationis: Subjekt (� Nomen; 'Handelnder oder Objekt') , Prädikation (--> Verb; 'Handlung' oder ist-Prädikation), Attribution (� Adjektiv; 'Eigenschaft') usw.4S «The English language has the syntactic categories of actor and action; that is, it has identified subject with actor and predicate with action. Our parts of speech serve these syntactic demands: the verbs, for instance, express an action . . . and must therefore be present as the central element of the predicate in every sentence.» (BLOOMFIELD 1 9 1 4: 1 75; cf. ib. : 1 1 2, 1 1 9) . Damit greift Bloomfield ähnlich wie Tesniere auf eine Korre­lation von syntaktischer Position, Wortartenklassifikation (cf. BLOOMFIELD 1 933 :1 85, 1 96) und «Bedeutung» zurück. Syntactic categories sind nichts anderes als «the generalized expression of a particular type of experience» (MATIHEWS 1 993:57) .

Daß Bloomfield die Satzgliederung (anders als Tesniere) primär in der Subjekt­Prädikat-Relation sieht - was 1 935 durch ZIPF, PBL:230, 238 bestätigt wird -, erlaubt ihm die Binarisierung der Satzstruktur, woran ihm bereits 1 9 1 4 deutlich gelegen ist. 1 9 1 6 widmet e r ihr einen Aufsatz (BLOOMFIELD, SP, besonders p . 49s .) . Hierin liegt einer der deutlichen Bezugspunkte Bloomfields zu Wundt, der schon in Die Sprache die Funda­mentalität der Zweigliederung der «Satz-Gesamtvorstellung» festhält: (<Man kann sie [Subject und Prädicat) dann in ihrer Correlation zu einander als den Ausdruck für das fundamentale Princip der Gliederung der dem Satze zugrundeliegenden Gesammtvor­stellung ansehen, da diese Gliederung eben stets eine Zweigliederung ist . . . » (WUNDT 1 900:258, cf. ib. : 3 14) . Auch in Language hält Bloomfield unverändert an der Zweiteilung des Satzes fest46:

When a language has more than one type of full sentence, these types may agree in show­ing constructions of two parts. The common name for such bipartite favorite sentence­forms is predications. In a predication, the more object-like component is called the subject, the other part the predicate. (BLOOMFIELD 1 933 : 1 73)

Every syntactic construction shows us two (or sometimes more) free forms combined in a phrase . . . (BLOOMFIELD 1 933 : 1 94)

Begründet wird die Fundamentalität der Zweiteilung mit dem kognitionspsychologi­schen Argument, daß jede Wahrnehmung zweigeteilt in ein Je� ifocus) und ein Vor­her/ Nachher (remainder) erfolge:

When we say ,vhite rabbit we more or less vividly separate the two elements of the total experience . . . an utterance analyzing an experience into elements we call a sentence.

The relation of the elements of a sentence to each other has a distinctive psychological tone. Ir is called the logica/ or discursive relation. It consists of a transition of the attention

deutungen. Cf. HOCKETI 1 954:21 8-20, 1 958:246-49; WELLS 1 947 :93-98. Im Gegensatz zu Bloomfield zeigt HOCKETI 1 958 keinerlei Scheu gegenüber Graphiken.

4S BLOOMFIELD 1914 : 120-27; 1 933: 1 46, 1 65 . BLOOMFIELD 1 914: 1 74 räumt allerdings ein, daß die Korrelation von syntaktischer und semantischer Kategorie nicht in allen Sprachen funk­tioniere .

46 Die Subjekt-Prädikat-Gliederung will Bloomfield jedoch nicht symbolistisch verstanden wissen (cf. die Kritik an Sapirs radicaf ideas, BLOOMFIELD, lU'apir.56s.) , sondern logisch (cf. BLOOMFIELD 1 939:55s . , WUNDT 1 900:246, HOCKETI 1 999:305s.) .

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from the total experience, wruch throughout remains in consciousness, to the successive elements, wruch are one after another focused by it.

The attention of an individual, - that is, apperception, - is a urufied process: we (an attend to but one thing at a time. Consequently the analysis of a total experience always proceeds by single binary divisions into a part for the time being focused and a remain­der. In the primary division of an experience into two parts, the one focused is called the subject and the one left for later attention the predicate; the relation between them is called predication. If after this first division, either subject or predicate or both receive further analysis, the elements in each case first singled out are again called subjects and the ele­ments in relation to them, attributes . . .

Constant repetition, to be sure, 111echani,jng these processes, saves us the trouble of re­peating the entire discursive analysis in every sentence we utter. (BLOOMFIELD 1 9 14:60s .)

In dieser Passage wird der Zusammenhang hergestellt zwischen (a) der Linearität des Satzes (successive elements) , (b) der zunächst gestalthaft wahrgenommenen Satzstruktur bzw. Satzinhaltes (total experience) und (c) ihrer hierarchischen Gliederung in binäre Ver­zweigungen von focus und remainder (bzw. Subjekt/Prädikat oder Subjekt/Attribut etc . ; discursive anajysis) . Das Verstehen über eine stufenweise Analyse der Satzruerarchie wird dabei als mechanischer Vorgang dargestellt, der über Wiederholung konditioniert wurde. Behavioristischer Mechanizität wird so verbunden mit einer psychologischen Analyse des Sat<:gefüges a la Wundt, wo der Satz nicht als «Kombination von WörterID> verstanden wird (HJELMSLEV 1 928:99) , sondern als Gesamtausdruck:

Psychologisch betrachtet ist demnach der Satz beides zugleich, ein simultanes und ein successives Ganzes: ein simultanes, weil er in j edem Moment seiner Bildung in seinem ganzen Umfang im Bewusstsein ist . . . ein successives, weil sich zugleich das Ganze von Moment zu Moment in seinem Bewusstseinszustand verändert, indem nach einander be­stimmte Vorstellungen in den Blickpunkt treten und andere dunkler werden. Daraus geht hervor, dass der Ausdruck, der Satz sei eine «Verbindung von Vorstellungeru>, ebenso wie der andere, er sei eine <<Verbindung von Wörterru> psychologisch unhaltbar ist. Vielmehr ist er die Zerlegung eines i111 BeJJJusstsein vorhandenen Ganzen in seine Thei!e.» (WUNDT 1 900:236)

Insgesamt bietet Bloomfields Satz konzept ein bemerkenswertes Konglomerat von Ge­stalt- bzw. Wundts Völkerpsychologie, Behaviorismus und Logik. Sein Binarismus kann einerseits auf die grammatische Dichotomie Subjekt-Prädikat, andererseits auf die psy­chologische Dichotomie focus-remainder zurückgeführt werden. Beim späten Bloomfield muß als weitere «lnspiratioID> für die Binarität möglicherweise auch die Rezeption von strukturalistischen Dichotomien wie prisence-absence, identite-difference hinzugezogen werden (z.B. BLOOMFIELD 1 926 :1 55) . Die Einteilung wird dann mehr und mehr von der Sub­jekt-Prädikat-Dichotomie löst, um sie durch das principle of immediate constituents zu erset­zen.

Der Weg dorthin führt zunächst über eine Kreuzklassifikation, die sprachliche For­men binarisiert nach den Kriterien von Analysierbarkeit (---> non-minimum form und mini­mum form) und potentieller Eigenständigkeit als utterance (---> free form und bound form) . Es ergeben sich also vier mögliche Arten von Satzkonstituenten:

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free form bound form (may form an utterance) (may not form an utterance)

analyzable form phrase complex formative (non-minimum form) (z .B. eng!. it rains) (z.B. lat. -batur. -ba + -tur)

unanalyzable form morpheme minimum formative (minimum form) (z .B. eng!. rain) (z .B. eng!. -inj) or word

(Cf. BLOOMFJELD 1 926: 1 55s . ; 1 933: 1 60, 1 78ss.)

Um einen Satz nun in diese Konstituenten zu zerlegen, könnte man im Prinzip nach der strukturalistischen Kommutationsmethode vorgehen: Aus der Gegenüberstellung eines «minimalen Satzpaares» wie lohn ran und lohn fell könnte man folgern, daß ran und feil satzsemantisch distinktive Elemente sind. Es läßt sich leicht ausmalen, daß diese Me­thode bei auch nur ansatzweise komplexeren Sätzen kläglich scheitern würde. Dennoch zieht Bloomfield die Gegenüberstellung von Sätzen provisorisch in Betracht - jedoch nicht auf der Suche nach dem distinktiven, sondern nach dem rekurrenten, i.e. gemeinsa­men lautlichen Element:

We recognize at once that these two forms, lohn ran and lohn Jell, are in part phonetically alike, since both of them contain an element lohn [d3:>n] , and our practical knowledge teils us that the meanings show a corresponding resemblance . . .

The common part of partly like utterances . . . answers, therefore, to the defInition of a linguistic form. The parts which are not common to the partly-like utterances . . . may, in the same way, turn out to be linguistic forms . (BLOOMFIELD 1 933 : 1 59)

Auf dieser Basis, die im Grunde dem strukturalistischen Achsenkreuz von Syntagmatik und Paradigmatik entspricht, könnte also ein Satz wie Poor lohn ran aJJJay in fünf Konsti­tuenten zerlegt werden: poor I lohn I ran I a- I way, wobei die Analyse von a- auf ihrer Rekurrenz in Formen wie aground, ashore, al oft, around beruht (BLOOMFIELD 1 933: 16 1 ) . Eine solche Analyse der syntagmatischen Linie in simultane positionale Minimaleinhei­ten entpreche jedoch nicht der discursive analysis, die im Kopf des Sprechers abläuft:

However, the structure of complex forms is by no me ans as simple as this; we could not understand the forms of a language if we merely reduced all the complex forms to their ultimate constituents. Any English speaking person who concerns hirnself with this matter, is sure to tell us that the immediate constituents of Poor lohn ran aJvay are the forms poor lohn and ran away; that each of these is, in turn, a complex form; that the immediate constituents of ran aJvay are ran, a morpherne, and away, a complex form, whose con­stituents are the morphemes a- and lVay; and that the constituents of poor lohn are the morphemes poor and lohn. Only in this way will a proper analysis (that is, one which takes account of the meanings) lead to the ultimately constituent morphemes. (BLOOM­FJELD 1 933: 1 61)

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298

Die Konstituentenanalyse verläuft also von der linearen Gesamtheit Satz in binären Ver­zweigungen (wobei die erste Verzweigung i.d.R. eine Subjekt-Prädikat-Verzweigung ist) schrittweise bis zu den Konstituenten. Erstaunlicherweise verwendet auch Bloomfield (wie Sapir) keine graphische Arboreszenz, obwohl sie den Mechanismus der Konstitu­entenanalyse auf Anhieb klarstellen würde. SEUREN 1 998:204 mutmaßt hier eine «gen­tlemanly reluctance to stoop to drawing figures»47. Wir verzichten auf die vornehme Textualität, und holen die Graphik nach. Sie ist gleichermaßen als Blockmatrix oder Arboreszenz möglich:

Poor lohn ran alvay

poor lohn ran a!vl1)'

poor lohn ran alvay

poor lohn ran a- Iway

poor lohn a- way

Die Arboreszenz scheint a11erdings die angemessenere Darstellungsform, weil sie die Transposition der ultimate constituents über mehrere Analysestufen hinweg erspart und die binäre Stufung besser sichtbar macht. Auf die Stufung (ranks) legt Bloomfield großen Wert, weil sie den « Grad der Gebundenheib> unter den Konstituenten wiedergibt. Auf der letzten Stufe dieses analytischen ranking finden sich demzufolge Einheiten, von de­nen kein Affix mehr abgespalten werden kann ifree mophemes wie boy, run, red) oder Ein­heiten die ausschließlich mit einem bestimmten AffIx vorkommen (bound mopheme oder root word wie [spajd] in spider) .

Wie MATTHEWS 1 993:53s . zurecht betont, finden sich klare Vorläufer dieser Konsti­tuentenanalyse schon bei Wundt. Bereits im Zusammenhang mit der binären Gliede­rung des Satzes spricht WUNDT 1 900:262 nämlich von verschiedenen Abstufimgen sol­cher Binarismen. Sie veranlassen ihn, drei Grundtypen einfacher Satzformen zu entwer­fen, deren Übereinstimmung mit Bloomfields Konstituentenanalyse kaum weiterer Er­läuterung bedarf:

47 Auch WELLS 1 947:84 präsentiert die Konstituentenanalyse nicht als Arboreszenz, sondern in einer Notation, die die Analysestufen durch Wiederholung senkrechter Trennungslinien wie­dergibt. Nach SEUREN 1 998 :221 erscheint die erste graphische Arboreszenz einer Konstituenten­analyse erstmals 1 946 in Eugene Nidas Morphology (NIDA 1 949:87) .

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Typus I

C A ß

(WUNDT 1 900:322)

E i n fa c h e S a t z fo r m c n : Typus Ir

C .-

A jJ ,! b c d

Typus III C;

� . /1 jJ

a a' b' c' d'

299

Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Arboreszenzen von Tesniere und Bloomfield? Gemeinsam ist ibnen sicherlich clie Suche nach der «strukturalen Ordnung» hinter der Linearität des Satzes. Damit enden clie Gemeinsamkeiten aber auch schon. Schon visuell zeigen clie Graphiken, daß (1) Tesniere in keiner Weise eine Binarisierung anstrebt; in cliesem Punkt kann man Bloomfield getrost «strukturalistischem nennen. (2) Die « struk­turale Ordnung» wird ganz unterschiedlich gesehen. Tesniere hierarchie des connexions geht vom Zentrum Verb aus, Bloomfields structural order of constituents (BLOOMFIELD 1 933:2 10) geht aus vom Satz . Dort sind clie « Zweige» connexions, hier sind sie analytische Spaltungen 48 .

Insgesamt erweist sich Bloomfields Theorie als eine eigenstänclige Mischung mit neuen Akzenten: Die ethnologische Gewichtung wird zugunsten einer gestaltpsycholo­gischen (Wundt) aufgegeben, der eine behavioristische Ausrichtung an clie Seite tritt. Damit setzt sich Bloomfield vom europäischen Mentalismus der Humboldt-Traclition ebenso ab wie vo von der strukturalistischen Systernlinguistik. Seine Binarisierung der Konstituentenanalyse verweist auf clie Dichotomisierung in der partes orationis­Grammatik und im Strukturalismus. Mit der Betonung des Zusammenhanges zwischen sprachlichen Elementen und sprachlicher Linearität erweist er sich als Kind der wahr­nehmungspsychologischen Auffassung (Wundt) , aber auch der jungen amerikanischen Linguistik, clie durch clie Erforschung von Lautkontinua (Inclianersprachen) geprägt ist. Weder greift er auf das Syntagmatik-Paracligmatik-Achsenkreuz des europäischen Sy­stemstrukturalismus zurück, noch gleicht clie Ordnung der Konstituentenanalyse dem ordre structural Tesnieres.

Wenn man bedenkt, wie groß der Einfluß Bloomfields auf clie weitere Entwicklung der US-amerikanischen Linguistik war, bestätigt clies unsere These, daß das Paracligma der amerikanischen Sprachwissenschaft anfänglich einerseits von Objekt-<<ErfahrungeID> (Boas, Sapir), andererseits von Theorie-<<MischungeID> (Bloomfield) inspiriert war. Von einem Paracligmenwechsel kann hier also nicht clie Rede sein, es handelt sich um eine Paracligmenkonstitution. Gleichwohl findet sich in den damit einhergehenden Arbores-

48 Während Tesnieres und Sapirs Arboreszenzen Deterrninationsverhältnisse berücksichti­gen, lagert Bloomfield dieses Problem auf die Tagmemik aus, die später von Pike weiterentwickelt wird. Ein Beispiel: <<lf we say John ran! with exclamatory pitch, we have a complex grammatical form, with three tagmemes. One of these is 'strong stimulus', the second is ' (object) performs (action) ', and the third has the episememe of 'complete and novel' utterance, and consists, for­mally, in the selective feature of using an ac tor-action phrase as a sentence.» (BLOOMFIELD 1 933 : 1 67) . Tagmeme können also pragmatischer Bedeutung haben ('strong stimulus') oder syn­taktisch-semantische ('object performs action', 'complete and novel utterance') .

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300

zenzen ein deutlicher Bilderwechsel gegenüber dem zeitgleichen europäischen Raster­s trukturalism us.

6.3 Empirie der «discovery procedures» und Formalisierung der Analyse (Harris): distributionalistische Raster und transformationel1e «lattices»

Auch Harris steht in gewisser Weise an der Schnittstelle mehrerer Traditionen. Er ist editorisch noch an der Verwaltung des Boas'schen ethnolinguistischen Erbes beteiligt ­zusammen mit Voegelin gibt er den Index to the Franz Boas Collection of Maten'als for Ameri­can Linguistics heraus (VOEGELIN/HAIuuS [ed.] 1 945) . Entgegen seiner eigenen Aussage (HARRIS 1 990:9) , scheint der kulturanthropologische Ansatz seine Linguistik j edoch nicht tiefgreifend beeinflußt zu haben. In der Tradition Bloomfields steht der frühe Harris insofern, als die Einheiten morpheme und utterance sowie die Frage der Konstituen­tenanalyse im Zentrum seines Interesses stehen.

Allerdings verläßt Harris schon früh den Boden der Bloomfieldschen Theorie, als er in den 40er Jahren beginnt, die Distanzierung von einer leitenden Funktion der Seman­tik (sei sie kulturell, sprachlich, psychologisch determiniert) radikal voranzutreiben49, die bei Bloomfield noch vergleichsweise gebremst ist. Harris, der wie Hjelmslev an einer Formalisierung der Linguistik und der Sprache interessiert ist, versucht, das «vage» Kri­terium des meaning, das er nur für bedingt sprachspezifisch hält (HARRIS, DS:780s.) , mit­tels einer formal-distributiven Konstituentenanalyse zu erübrigen. Die erweiterte An­wendung der distributiven Äquivalenzmethode führt ihn schließlich dazu, Transforma­tionen zwischen Sätzen anzunehmen, womit der Grundstein für die generative Trans­formationsgrammatik gelegt ist.

Während Bloomfields Konstituentenanalyse sich trotz der Vorbehalte gegenüber der Semantik sehr wohl auf das meaning als Medium zur Auffindung von Konstituenten­grenzen beruft, postuliert Harris gleich zu Beginn der 195 1 erscheinenden Structural Lin­guistics, daß eine stringente Analyse nur durch formal distinctions erreicht werden könne. Dies wird von der Fachwelt zwar als zukunftsträchtiger Schritt begrüßt, praktisch aber zunächst kaum umgesetzt50

Zur Vermeidung einer <mnkontrollierten DateninterpretatioID> und eines «Rückgriffes auf die Bedeutung» 51 schlägt Harris ein Entdeckungsverfahren (HARRIS, SL: 1) vor, das dar­auf ausgerichtet ist, allein anhand distributioneller Regelhaftigkeiten in sprachlichen Ausdruckssequenzen Elemente verschiedener Größen zu isolieren: « . . . the only relation which will be accepted as relevant in the present survey, is the distribution or arrange­ment within the flow of speech of some parts or features relatively to others .» (ib. : 5) .

Daß Harris hiermit ganz i n der amerikanisch-empirischen Tradition steht, die durch die Ausgangsbasis «sprachliche Linearitäb> (speech) und durch den nahtlosen Übergang

49 Zur Semantik in der Bloomfield-Nachfolge (z .B. bei Hockett, Trager, HilI) cE. MATIHEWS 1 993: 1 1 3-24, und die Vorschläge von WELLS 1 947:87.

50 Cf. HYMEs/FOUGHT 1 98 1 : 146s . und die zahlreichen Rezensionen, wie HOCKETI 1 952, MEAD 1 952 (I) , TOGEBY 1 953, DORFMAN 1 954.

51 CE. HARRJS, SL:3, 8; DS:780s. und einschränkend HARRJS, SL:20, 347s.

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zwischen Morphem und Satz gekennzeichnet ist, zeigt sich auch in seinen Basisdefini­tionen:

An utterance is any stretch of talk ... before and after which there is silence ... The utterance is, in general, not identical with the «sentence» . . . since a great many utterances . . . consist of single words, phrases, <cincomplete sentences» , etc . . . .

The environment or position of an element consists of the neighborhood, within an ut­terance . . . <<Neighborhood» refers to the position of elements before, after, and simulta­neous whith the element in question . . .

The distribution of an element is the total of all environments in which i t occurs, i . e . the sum of all the (different) positions (or occurrences) of an element relative to the occur­rence of other elements. (HARRIS, SL: 14- 1 6)

Wie grundlegend sich das empirische Verfahren der Distributionsanalyse unterscheidet vom introspektiven Kommutationsverfahren endang des carre linguistique (5 .3 . , 5 .4 . 1 ) , wird bei näherer Betrachtung klar. Nehmen wir als Beispiel die Wörter Mist und Mast. Das Kommutationsverfahren schließt aus der Bedeutungsverschiedenheit bei gleichzei­tiger laudicher Differenz zwischen i und a, daß /i/ und / a/ bedeutungsunterscheidende Einheiten (phoneme) sind. Die Distributionsanalyse gelangt auf längerem Wege zum gleichen Ergebnis . Stellt man innerhalb eines Korpus von utterances fest, daß es zwei Sequenzen Mast und kann gibt, so kann provisorisch ein Element a segmentiert/isoliert werden, weil es in beiden Sequenzen vorkommt, aber in verschiedener Umgebung (M­st, k-n) . Die Probe aufs Exempel muß dann der Substitutionstest liefern: Das a aus der Sprecherprobe von Mast wird kopiert und ersetzt in einer Lautmontage das a von kann. Akzeptiert der native speaker die Substitution, ist der Beweis für die Aquivalenz der beiden a's geliefert52 • Während also die Kommutationsprobe von einer laudichen Ähnlichkeit (Minimalpaar) ausgeht und von da (über den Indikator der Bedeutungsverschiedenheit) zu einer laudichen Verschiedenheit gelangt, geht die distributionelle Analyse den umge­kehrten Weg: von der laudichen Verschiedenheit zum übereinstimmenden Segment. Dabei ist der Indikator für die Richtigkeit der Segmentierung nicht die Bedeutung, son­dern das «Gehör» des Informanten. Auch in diesem empirischen Ansatz sind die In­strumente Identitaf und Differenz (cf. auch Bloomfields Set of Postulates) wirksam. Das Re­sultat wird aber kein oppositives Raster sein, sondern distributive Arboreszenzen - die sich zunächst noch als Raster tarnen, wie wir gleich sehen werden.

Harris' Entdeckungsverfahren in Structural Linguistics umfaßt sechs Schritte, die teil­weise rekurrent sind. (1) Zunächst muß ein adäquates Korpus von utterances erstellt wer­den. Dann folgt die eigendiche Analysearbeit in drei Schritten: (2a) die distributionelle Analyse und Inventarisierung der Phoneme, (2b) die Feststellung der distributionellen Relationen (arrangements) zwischen Phonemen. Die gleiche Arbeit muß dann für die Morphemebene wiederholt werden (= 3a, 3b) , und für komplexere Morphemsequenzen (= 4a, 4b) . Die Erfassung der distributiven Struktur erfolgt also aszendent von den mi­nimalen bis zu den komplexen Einheiten, bis man sich kurz unterhalb der Komplexität der Ausgangsbasis (utterance bzw. Satz) bewegt53• - Erst später erweitert Harris die Aus-

52 Diese induktive Methode beschreibt schon SWADESH 1 934. 53 Man beginnt mit kleinsten Sequenzen (phonemen), weil hier die Zahl der Umgebungen

überschaubar ist, und arbeitet sich vor zu größeren Sequenzen mit höherer Zahl der Umgebun-

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gangsbasis zum text, so daß die Frage nach dem strukturellen Verhältnis von Sätzen auf­geworfen werden kann, deren Beantwortung zur Transformationstheorie führt. - (5) Ist alles inventarisiert, kann die grammatical s!ructure einer Einzelsprache, d.h. ihre spezifi­schen distributionellen Strukturierung in Formeln oder Diagrammen beschrieben wer­den. Wenn solche Beschreibungen für mehrere Sprachen ausgeführt sind, ist ein Ver­gleich struktureller Typen möglich. (6) Die strukturale Beschreibung ermöglicht aber auch die Prognose von Sätzen, die im Korpus nicht enthalten waren. Decken die Progno­sen alle denkbaren Korpora der Sprache ab, so war das Ausgangskorpus (1) repräsenta­tiv bzw. adäquat. Die Beschreibung ist also zunächst bewußt approximativ, ihre Repräsentativität ist eine nachträgli­che statistische Frage (HARRIs, SL:3-1 4, 1 56s . , 1 95, 262, 374) . (Die Grund­idee der «generativen Beschreibung» für alle möglichen Äußerungen ist in der Idee der Prognose bereits enthalten. Wir kommen unten darauf zurück.)

Die Ergebnisse der einzelnen Schritte, und dies gilt insbesondere für die distributionellen Relationen von Phonemen und Morphemen (2b, 3b) , lassen sich, so Harris, in I<Jammern­formeln (bracketiniJ zusammenfassen. Beispielsweise gilt im Y okuts für die Verteilung von Vokal (V), Konsonant (C) und Länge U die charakteristische Sequenz # [CV (f:)] CV (C)# (Erläute­rung: # = Grenze der utterance, ( ) =

kann vorkommen oder nicht, [ ] =

kommt zwingend vor, HARRIs, SL: 1 5l ) . Bei komplexeren Relationen sei allerdings die Diagrammform vor­zuziehen.

Dafür liefert die nebenstehende Graphik (HARRIS, SL: 1 53) ein Bei­spiel. Sie stellt einen Teil der Phonem­distribution im Englischen dar. Das Diagramm erinnert zunächst nicht von ungeHihr an das Syntagmatik-Paradig­matik-Schema des europäischen Struk­turalismus, das Harris von Saussure kannte (HARRIS 1 990:9) . In beiden Fällen stellt die Horizontale eine zeitli-

---

y z Z C

---

S ---

r ---

s ---

I w n

-ffi-

h v

---

g y b f

I ; s --p n---I---I I-r-----I--=--L _ _ q, s

I----·I-- t- i -1,-------1

d w

e

V '

u

'y"'

gen (HARRIs, SL: 1 7 1 , 1 97) . Harris' Analyse ist damit gegenläufig zu Hjelmslevs deszendenter Analyse des text in chains, groups of syllabfes, syllables und phonemes (cf. 5 .5) .

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che Reihung dar (parole, Syntagma, utteranee) , die Vertikale eine Substituierbarkeit (<<ent­weder-odem-Relation)54. Zu lesen ist das Diagramm von links nach rechts . Es zeigt die Phonemdistribution in Wörtern, die mit Konsonant beginnen bis zum ersten Vokal (V' oder u), wobei für jede neue Position sich vertikal die Kombinationsalternativen zeigen. So folgt z .B. auf /s/ (hierunter faßt Harris die Phoneme /s , C, 3/ zusammen) entweder 0 + V (z.B. shudder) oder /r/ + V (shruj). Auf /s/ kann entweder direkt der Vokal fol­gen (see) , oder /1/+ V (slo� , oder /I+p/ + V (splash) , oder /k+y+u/ (skew) . Nach /m/ folgt entweder direkt der Vokal (male) oder /y+u/ (mule) etc. Die Rasterdarstellung zei­tigt dabei den Nachteil, daß /s/ in der linken Spalte aus graphischen Gründen wieder­holt werden muß. Obwohl das Rasterdiagramm im Grunde mehrere Arboreszenzen einschließt (z.B. die distributionellen Möglichkeiten bzw. Verzweigungen nach /si wie: «Nach /s/ folgt direkt der Vokal oder /1, w, n, m/» etc.) , ist die Gesamtübersichtlichkeit nur im Blockdiagramm gewährleistet, weil so verschiedene «Wortanfange» (/s, s, y, r, .. . /) und damit Ausgangspunkte berücksichtigt werden können.

Harris spricht sich deshalb, anders als Sapir und Bloomfield vor ihm, explizit für eine graphische Darstellung aus . Mag er auch hinsichtlich der Analyse voll der Skepsis ge­genüber intuitiver Erkenntnis (introspektivem Verfahren) sein, so scheint dies für die Darstellung der Ergebnisse keineswegs zu gelten: «Diagrams of this type may be useful both because they permit graphically rapid inspeetion, and comparison with analogous diagrams, and because they enable us to see immediatefy whether or not a particular se­quence occurs . . . » (HARRlS, SL: 1 54 [Hervorh. S.R.] ; cf. ib. :352) .

I n ähnlichen Tafeln können auch morphematische Umgebungsklassen (environment classes) repräsentiert werden. So taucht das eng!. Morphem see in den folgenden Umge­bungen auf: Did you - the stuf!?, He '11 - it later, I didn 't - the book, - ing pietures is a bit out of my line, They will -. Bei weiterer Untersuchung stellt man fest, daß auch tie, jind, burn u.a. in denselben Umgebungen okkurrieren. Eine erste Klasse der morphologischen Distri­butionsanalyse kann also in folgender table (Harris) festgehalten werden:

Didyou He '11

T dldn 't

see fie find burn

lift

take They lviiI cut

list

(HARRIS, SL:259)

the stujj? it later. them Jor me, please

the book.

ingpictures is a bit out of my line.

Gerät man im Abgleich der Umgebungen an eine weitere Umgebung oder ein weiteres Morphem, die/das sich nicht in diese Tafel eingliedern läßt, muß eine neue Tafel für eine neue Umgebungsklasse erstellt werden. So okkuriert z.B. das Morphem stay mit I

54 Angesichts der Übereinstimmung wundert es nicht, daß auch die Kopenhagener Schule zeitgleich eine distributionelle Phonemanalyse fordert (FISCHER-J0RGENSEN, DCPD:35) .

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didn 't (stay) und Thry will (stay), aber nicht mit den übrigen Umgebungen (*1 didn 't stay the book, He 'll stay it later etc.) .

Basis der distributionellen Morphemanalyse ist, ebenso wie bei der Phonemanalyse, der Vergleich von Sequenzen (HARRIS, SL: 1 63) , die größer als die gesuchte Sequenz sind. - Hier wird deutlich, wie sehr sich Harris' Analyse von Bloomfields Konstituen­tenanalyse unterscheidet, die innerhalb einer Sequenz operiert. Gleichwohl räumt Harris der Konstituentenanalyse Bloomfields und Jespersens ihre Berechtigung als «Umkehr­probe» ein (HARRIS, MU: 1 1 7, SL:278-80) . - So tastet sich Harris in Structural Linguistics von minimalen Einheiten zu komplexen Segmenten vor, die j edoch immer unterhalb der utterance-Grenze bleiben. Am Ende der Entdeckungsprozedur und des Buches ste­hen deshalb Tafeln (nach dem gleichen Prinzip wie oben) der distributionellen arrange­ments komplexer Segmente wie Morphemklassen (position classes) 55 , m01phemic long compo­nents und schließlich constructions (HARRIs, SL:351) . Wünscht man z.B. darzustellen, wel­che distributionellen Relationen sich im Englischen nach der Verbalphrase ergeben können, ergibt sich für einfache Sätze folgendes Raster: « . . . no sequence of morphemes occurs except those which can be derived from the formula.» (HARRIs, MU: 1 1 7) 56 .

NV NVP NVPN NVN NVb NVb P NVb PN NV" N NVb A

(Our best books have disappeared.) (The Martian came in.) (They finally went on strike.) (We 'll take it.) (He is.) (I can't look up.) (The mechanic looked at my engine.) (He's a 100l I looked daggers.) (He's slightly liberal They looked odd.)

N

-

V P - N

Vb* A

*Vb bezeichnet Morpheme wie be, seem, die sich distributioneIl verhalten wie V, außer daß sie zusätzlich vor A okkurrieren.

(HARRIS, SL:350s.)

Das Diagramm bietet einen Überblick über Satztypen einer Sprache, indem es co­occurrences of morpheme classes zu Satzmustern zusammenfaßt, und diese visuell nach den Vorgaben Horizontalität = Abfolge, Vertikalität = Substituierbarkeit/ Äquivalenz syn­thetisiert. Daß sich hinter dem Blockdiagramm eine Arboreszenz verbirgt, deren Ver­zweigungen der «Wahl» zwischen verschiedenen Segment-Klassen (z .B. vom lnitial-N zu V oder Vb

' von Vb zu P, N oder A57) kennzeichnen, ist unschwer zu erkennen.

55 Wie Bloomfield definiert HARRIS, MU: 1 05 Morphemklassen über syntaktische Position. 56 Die Formulierung der sentence types scheint bereits die reJvriting rules der Phrasenstruktur­

grammatik vorwegzunehmen. Dies ist besonders leicht an der linearen Transkription (links der Graphik) abzulesen. Z.B. : S --+ NV; V --+ VP, VPN, VN usw. (cf. auch POSTAL 1 967:25s.) . Gleichwohl bleibt der Unterschied, daß bei Harris jede einzelne «PhrasenstrukturformeD> ein lineares Muster eines Satzes ausdrückt, während Chomskys Abfolge von relvriting rules die hierar­chische Gliederung eines Satzes darstellt (cf. unten 6.4) .

57 Die Blindstelle der Formel, daß nicht notwendig jeder Angehörige einer Klasse in einer solchen Sequenz realisiert wird (z .B. nicht alfe Präpositionen im Satzmuster NVPN), sieht Harris wohl (cf. HARRIS, MU: 124 NlO, C1LS:391 -94) .

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Nach Structural Linguistics entwickelt sich Harris' Theorie bis in die 60er Jahre rasch weiter. Die grundlegenden Prinzipien der gerichteten Linearität (von links nach rechts) und der Substituierbarkeit (Äquivalenz) bleiben dabei ungebrochen erhalten, werden aber schrittweise auf immer komplexere Einheiten angewandt; HARRIS 1 990: l Os . spricht von einer <<hierarchie» bzw. «chaine ascendante de classifications distributionelles». Der entscheidende Schritt ist dabei die Überschreitung der Satzgrenze als Analyseeinheit. Bewegt sich der Harris der 40er Jahre «from morpheme to utterance», untersucht er ab den frühen 50er Jahren den (connected) discourse, text oder strings, was mit dem Aufsatztitel Discourse Analysis (1952) programmatisch eingeläutet wird. Die Frage ist dann nicht mehr, welche Einheiten innerhalb des Satzes substituierbar/äquivalent und deshalb in einer (Distributions-) Klasse zusammenfaßbar sind, sondern welche Sätze innerhalb eines Textes als äquivalent gelten können. Dies führt Harris zunächst zur Feststellung textinterner distributioneller Sequenzmuster (double arrays) .

Der nächste Schritt besteht in der Überlegung, welche Sätze in einer Sprache, nun ver­standen als «set of discourses» (HARRIS, TLS:472) als äquivalent, d.h. als Transformen voneinander gelten können (z.B. Aktiv- und Passivsätze) . Die Untersuchung dieser Ma­kro-Äquivalenzen führt Harris zu dem Ergebnis, daß es in j eder Sprache eine begrenzte Zahl elementarer Satzmuster (elementary sentences, kerne! sentences) gibt, die durch transfor­mationelle Operationen (e!ementary transformations) umgewandelt und erweitert werden können. Alle in einem Korpus okkurrierenden, mehr oder weniger komplexen Arran­gements von Sequenzen (vom Satz bis zum Text) seien über die Rückverfolgung der «Spur» der Transformationen auf ein Set von Kernsätzen zu reduzieren. Bei dieser Rückverfolgung bzw. Textanalyse muß allerdings berücksichtigt werden, daß die Trans­formationen nicht in beliebiger Reihenfolge verkettet werden können, sondern eine bestimmte Abfolge eingehalten werden muß. Diese Abfolge sorgt dafür, wie wir weiter unten sehen werden, daß die transformationelle Analyse eines Satzes/Textes in kerne! sentences einer arboreszenten Struktur, den decomposition lattices, folgt58 .

In der gesamten Weiterentwicklung seiner Theorie bleibt Harris bei der strikten Ab­lehnung eines semantischen Kriteriums für die Analyse59, zugunsten eines rein aus­drucks formalen Kriteriums. Metasprachlich äußert sich die zunehmende Formalisierung der Theorie in einer Algebraisierung der Metasprache. Durchweg ist Harris' Nähe zu den computer sciences, zur Mathematik und zur Logik festzustellen60, die u.a. auch durch seine Teilnahme an Mathematiker-Kongressen (z.B. Moskau 1 966) belegt ist und immer deutlicher zutage tritt, wie in der Grammar of English on Mathematical Principles (HARRIS 1 982) und A Theory ofLanguage and Information (HARRIS 1 991 ) .

5 8 Cf. auch 6 .4 zum T-Marker bei Chomsky. 59 Verschiedentlich wurde versucht, Harris post festum zum Semantiker zu erklären, z.B. von

seinem Schüler James Munz, HYMEs/FoUGHT 1 98 1 : 146, NEVIN 1 993:365. Das scheint mir recht gewagt. Zwar mag Harris' späte Operatorengrammatik «semantischer» sein als frühere Theorien, der formal-distributive Gedanke dominiert gleichwohl. Zum Beispiel dann, wenn meaning defIniert wird: «The meanings of words are distinguished, and in part deterrnined, by what words are their more likely operators or arguments; and the meaning of a particular occur­rence of a word is deterrnined by the <selectiom of what words are its operator or arguments in that sentence.» (HARRIS 1 991 :5 , ebenso ib. :40-43) .

60 HARRIS 1 990:9 nennt selbst u.a. L.E.J. Brouwer, Emil Post, Turing, Gödel, Tarski und Quine als Vorbilder. Cf. auch DALADIER 1 990 und LENTIN 1 990.

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Wir werden im Folgenden versuchen, die Raster und Arboreszenzen, die sich in die­sen eben kurz umrissenen Zusammenhängen ergeben, zu charakterisieren und einzu­ordnen: das Muster des double array und der deeomposition lattiees.

Der Aufsatz Discourse Analysis (1 952) ist zunächst noch eine vorsichtige Erweiterung der Distributionsanalyse. War bislang die Frage, wie sich Morphemklassen innerhalb eines Satzes verteilen können, versucht Harris 1 952, sich an die Sequenzverteilung im Text heranzutasten. Denn schließlich sei die selbst auferlegte Grenze des sentenee rein konventionell, nicht durch eine mangelnde Potenz des distributionellen Analyseverfah­rens bedingt. Der Beweggrund dafür, nach «Größerem» zu greifen, scheint (ausgerech­net!) die nagende mangelnde semantische ErklärungsEihigkeit der Distributionsanalysen gewesen zu sein. Nun scheint sich Harris von der Ausweitung der Distributionsanalyse zunächst eine Korrelation von textuelIen Distributionsverhältnissen mit stilistischen oder thematischen Strukturen zu versprechen. Er spekuliert sogar, ob man als Fernziel nicht eine Korrelation zwischen linguistie behavior (verstanden als mechanisch­distributionelles Sprachverhalten) und non-linguistie-behavior (eulture) im Auge haben müsse (HARRIS, DA:31 3s . , 3 1 6) - eine Idee, die zugunsten der formalen Stringenz aufgegeben wird.

Für die Diskursanalyse überträgt Harris zunächst seine erprobten Entdeckungsver­fahrens auf den Text. Der Text wird in Segmente zerlegt, die sich über ihre gleiche Um­gebung definieren. Diese Segmente sind also äquivalent oder substituierbar (HARRIS, DA:321) . Z.B. ergibt sich aus den Sequenzen ABC und ADC, daß B und D Segmente sind, weil sie in gleicher Umgebung vorkommen. B und D gehören deshalb einer Distri­butions- bzw. Aquivalenzklasse an. Jeder Satz eines Textes läßt sich als eine Reihenfolge solcher Äquivalenzklassen darstellen. Da eine Äquivalenzklasse x nicht nur in einem, sondern in der Regel wiederholt in mehreren Sätzen hintereinander auftritt, macht es Sinn, zu verfolgen, welche Muster die Äquivalenzklassen über einen Text hinweg erzeu­gen. Harris denkt dabei j edoch nicht an eine serielle Aufzeichnung von Äquivalenzklas­sen in einem Text, sondern geht abermals von einer Parallelisierung von Sätzen aus, wie sie auch dem Bild der Morphemklassendistribution zugrundeliegt. Damit ergibt sich das Koordinatensystem des double array:

We thus obtain for the whole text a double array, the horizontal axis representing the equivalence classes contained in one sentence, and the vertical axis representing succes­sive sentences. This is a tabular arrangement not of sentence structures (subjects, verbs, and the like), but of patterned occurrence of the equivalence classes through the text .

. . . For the equivalence classes, wruch are set up distributionally, the tabular arrange­ment shows the distribution. For the text as a whole, the tabular arrangement shows cer­tain features of structure. (HARRIS, DA:323)

Wie man sich die schrittweise Analyse bis zum Ergebnis des double array vorzustellen hat, sei an einem Beispiel erläutert, das in verkürzter Form das Beispiel von HARRIS, DA:31 9-22 wiedergibt. Wir gehen aus von einem Text mit vier Sätzen:

(1) The trees turn here about the middle of autumn. (2) The trees turn here about the end of october. (3) The first 1roJt comes about the middle of aututJl1I. (4) We start heating about the end of october.

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Entscheidend für die distributionelle Analyse ist nun, daß «von links nach rechts» (bzw. zeilenweise) sukzessive analysiert wird. Diese Sukzessivität ermöglicht es, Äquivalenzen, die sich aus den ersten beiden Sätzen/Zeilen ergeben, auf Zeile (3) zu übertragen, und so fort. Also: Zeile (1) und (2) lassen sich nach ihrer formalen Identität/Verschiedenheit transkribieren:

(1) A (The trees turn here . . . ) (2) A (T he trees turn here . . . )

( . . . about the midd/e of autumn) ( . . . about the end of october) 6 1

Da M und N in der gleichen Umgebung auftreten (nämlich nach A) , sind sie substitu­ierbare Äquivalente und bilden eine Klasse, die wir durch den Rahmen markiert haben. Wir bezeichnen sie provisorisch mit M/N. Die Zeilen (1) bis (3) lassen sich also, unter Berücksichtigung des neuen Elementes B (The first frost comes . . . ) transkribieren:

(1) (2) (3)

M/N M/N M/N

Durch die Übertragung der aus (1) und (2) gewonnenen Äquivalenzklassen wird nun im Kontext mit (3) klar, daß auch A und B eine Äquivalenzklasse bilden (A/B) , weil sie beide vor M/N auftreten. Den nächsten Schritt ahnt man schon: C (We start heating . . . ) gehört zur gleichen Äquivalenzklasse wie A und B, weil C ebenfalls vor M/N auftritt:

(1) (2) (3) (4)

A/B A/B A/B C

M/N M/N M/N M/N

Mit dem Verfahren der Aquivalenzklassen-Übertragung (carry over of the equivalence) ist eine weitreichende Reduktion möglich: In unserem kurzen Textbeispiel können fünf formal verschiedene Sequenzen (A, B, C, M, N) auf zwei Äquivalenzklassen (A/B/C und M/N) reduziert werden. Transkribieren wir entsprechend Harris' Notation nun A/B/C als T und M/N als E, haben wir für alle vier Sätze die Abfolge: TE.

Wenn der Text nun als double array dargestellt werden soll, ist es natürlich wenig aus­sagekräftig, viermal untereinander «TE» zu notieren. Auch Harris sieht das Problem, daß durch die Äquivalenzübertragung «alles mit allem äquivalent» werden kann und die Ana­lyse kollabiert (HARRIS, DA:319) . Er löst das Problem u.a. dadurch, daß er Okkurrenz­Varianten der jeweiligen Klasse in der Notation berücksichtigt. Eine Indizierung ist auch deshalb erforderlich, weil Harris grundsätzlich gleiche Äquivalenzklassen untereinander notiert wissen will, unabhängig von ihrer linearen Okkurrenz im Satz (z .B. würde auch About the midd/e of autumn, we start heating als TE, nicht als ET, notiert) . Für den double

61 Der Einfachheit halber ordnen wir hier about vorausgreifend dem zweiten Segment zu, was distributioneIl erst mit (3) gerechtfertigt ist.

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array des Beispieltextes verwendet er Ziffern-Indikatoren, so daß sich folgendes Bild ergibt:

TI EI Tl E2 T2 EI T3 E2

Daß sich auch komplexe Texte nach diesem Verfahren auf eine vergleichsweise einfache Formel bringen lassen, zeigt Harris anhand einer Analyse eines halbseitigen volkswirt­schaftlichen Textes, den er in ein double array von vier Äquivalenzklassen (Horizontale) und l S sentences (Vertikale) überführt. Anstelle der Ziffern-Indikatoren fungieren hier Minuszeichen:

(1) S L -T. (2) S L - I T.

S L -T. (3) S L -T. (4) S L - I T. (5) - S - L I -T. (6) S - L - I -T.

-S - L - - I -T. (7) - S - L -T.

- S - L -T. (8) - S - L -T.

- S - L -T. (9) - S - L -T.

- S - L -T. S - L T.

(HARRIs, DAST:366s .)

Schon anhand dieser kurzen Skizze der discourse analYsis dürfte man ahnen können, daß ein Vorgehen strikt entlang der Linearität des Textes, wie es Harris prinzipiell fordert, für umfangreiche Texte schwierig ist. In den seltensten Fällen bieten sich die Äquiva­lenzklassen so schön von Zeile zu Zeile dar, wie dies in dem konstruierten Demonstra­tionstext oben der Fall war. Schon früh denkt Harris deshalb eine außertextliche experi­mental van'ation an (HARRIS, DA:33S) , die es erlaubt, z.B. aus einer Sequenz MNR über eine « konstruierte» Parallelsequenz (z .B. beginnend mit N) M zu isolieren. - Unausge­sprochen wird hier natürlich doch der Introspektion und der Semantik ein Hintertür­chen geöffnet62 . Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß Harris eine empirische Ve­rifikation (a posterion) per Informantenbefragung einfordert. - Damit ist der Weg frei für die Transformationstheorie, die ja von nahezu identischen Satzgruppen ausgehen muß, wie sie sich in Textkorpora kaum finden.

Eine andere Möglichkeit ist, den Text wiederholt zu durchlaufen - eine Idee, die an­gesichts der aufkommenden maschinellen Analyse von Texten (cf. HARRIs, LTIR:468-

62 Schon PIKE 1 959:39 äußert den Verdacht, Harris wolle nun die <<Mängeb> seiner früheren asemantischen Grammatik durch einen semantie deviee ausgleichen.

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70 zur machine application) eigentlich virulent sein mußte und ganz auf Harris' Linie des Algebraisierungs- und Serialitätsideals liegt.

We will speak of computing the recognition of the sentence structure if, given a sentence and a set (which may be recursiveley defined) of structures, we can offer an effective pro­cedure for deciding of which structure (or structures) of the set the sentence is a case . . .

It will be seen that the computation i s not carried out in a simple left-to-right manner with finite memory, but requires separate levels or re-runs of computation, or a back-and­forth search for environmental criteria . . . (HARRrs, CSA :254s .) 63

Bildlich hat man sich diese computational re-runs als eine Art Schaltkreis vorzustellen, der wiederholt durchlaufen werden kann, dessen dominantes feature j edoch nach wie vor die Links-Rechts-Orientierung bleibt (Abbildung: HARRIS, CSA:262) .

A n solchen Stellen zeigt sich, daß die Entwicklung der Transformations­grammatik in den SOer und 60er Jahren einer Inspiration durch die vielverspre­chende Computertechnik nicht abge­neigt war. Allerdings hielt sich der En­thusiasmus für eine praktische maschi­nelle Sprachanalyse, -übersetzung64 oder -generierung sowohl bei Harris wie auch später bei seinem Schüler Chomsky in Grenzen - vermutlich auch, weil Speicherkapazitäten und

U,FTIr======-;::::====� R I GHT

N"=N'

Rechnergeschwindigkeiten für die Berechnung sprachlicher Komplexität damals noch nicht hinreichend entwickelt waren.

Die Methode des wiederholten Links-Rechts-Durchlaufs zeigt auch, wie sehr Harris bemüht ist, sich von einer hierarchischen Struktur fernzuhalten. Sie überläßt er weiter­hin dem komplementären Verfahren der IC-Analyse: « . . . constituent analysis gives a hierarchical subdivision (in principle unbounded) of a sentence and its parts into parts, whereas string analysis gives a center and adjuncts . , . To interrelate these analyses, it is necessary to understand that these are not competing theories, but rather complement each other in the description of sentences.» (HARRIs, IT:S34s.) .

Letztlich sind es nicht die maschinellen Verfahren des wiederholten Durchlaufs, son­dern der bereits genannte Ausgriff auf außertextliche expenmental variations, die Harris' Sprachtheorie zur Transformationstheorie werden lassen. Erst sie ermöglichen, Reihen von Sätzen mit gleichen Konstituenten zu vergleichen und so zu bestimmen, «whether two consttuctions which contain the same constituents are indeed transforms of each othe!}) (HARRIS, IT:384) . Das heißt: Das Prinzip der Parallelisierung von Sätzen, wie es

63 Die Anlehnung an Turing (cf. N60) legt nahe, daß computing hier auch im Sinne von algo­rithrnischen <<Maschinell» verstanden werden kann. Zur Algebraisierung cf. auch HARRrs 1 968: 1 und 1 982, 1 991 .

64 Cf. auch POTTIER 1 963:7 .

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auch dem double array zugrunde liegt, bildet die Ausgangsbasis für die Transformations­theorie.

Dies wird klar, wenn man sich das Verfahren vor Augen führt. Reihen von Sätzen mit gleichen Konstituenten (z .B. A, B, C) werden miteinander verglichen und zwar so, daß jeweils eine Reihe (se� von Sätzen mit gleicher Konstituentenstruktur (z .B. ABC) mit einer Reihe von Sätzen mit gleichen Konstituenten, aber anderer Anordnung (z .B. ACB) verglichen wird. Wenn die Umformung von ABC zu ACB den Akzeptabilitäts­grad eines j eden einzelnen Satzes aus dem set unverändert läßt, so sind die Satzstruktu­ren ABC und ACB äquivalent und stehen in transformationeller Relation zueinander: «Linguistic transformations can be viewed as an equivalence relation among sentences or certain constituents of sentences.» (HARRrs, IT:383) .

Ein Beispiel für diese Parallelisierungsstrategien HARRrs, 1U:473ss. Wir geben e s im Folgenden verkürzt wieder.

set of sentences: (1) The man mailed a letter to the office. (2) The man mailed a letter to the moon. (3) The man mailed a cheese to the moon. (4) The idea mailed a cheese to the moon.

sequence structure J : N, V N2 P N3

Alle Sätze der Reihe (1 -4) haben die selbe Abfolge von Segmentklassen, sind also struk­turell identisch. Sie unterscheiden sich aber in ihrer (semantischen) Akzeptabilität: Wäh­rend (1) als absolut «normale» Äußerung gelten kann, nimmt die Akzeptabilität von (2) bis (4) immer mehr ab: während (2) noch für die Zukunft vorstellbar ist, ist der Inhalt von (4) unsinnig und inakzeptabel. - Die Semantik geht also als mittelbares Kriterium für Akzeptanz in Harris' Theorie ein, auch wenn er sich bemüht, dies nach I<::.räften zu marginalisieren6s, z .B. mit dem Argument, die Akzeptabilität könne anhand der Dauer gemessen werden, die der Informant für die Satzerkennung benötige (HARRlS, 1U:474) . - Transformationelle Beziehungen können nun entdeckt werden, wenn alle Sätze des set nach dem gleichen Prinzip umgruppiert werden, z .B. :

set of sentences: (1) The man mailed the office a letter. (2) The man mailed the moon a letter. (3) The man mailed the moon a cheese. (4) The idea mailed the moon a cheese.

sequence structure II: NI V N3 N2

Da jeder Satz des set in der Struktur II denselben Akzeptabilitätsgrad aufweist wie in der Struktur 1 - (1) ist akzeptabler als (2), (2) ist akzeptabler als (3) usw. -, sind die Satz­strukturen I und II äquivalent und stehen in transformationeller Relation zueinander. Basis für die Feststellung einer Transformation ist also die Erhaltung einer Akzeptabili-

6S HARRlS, IL):473. Sieben Jahre zuvor zeigte sich Harris noch aufgeschlossener gegenüber der Einbeziehung eines semantischen Kriteriums : «The consideration of meaning . . . is relevant because some major element of meaning seems to be held constant under transformation.» (HARRIS, CII..S:396).

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tätsskala in einem set of sentenees (HARRlS, IU:474) . Das Prinzip des double arrqy wird demnach doppelt angewandt: Das Akzeptabilitätsmuster des einen «Parallelarrange­ments» (I) muß sich mit dem Akzeptabilitätsmuster des anderen (11) decken (HARRTS,

IU:474s.) Ist die Deckung der Muster nicht oder nur teilweise der Fall, liegt keine Transformation vor. Z.B. würde sich für die sequenee strneture III In allen vier Sätzen der Akzeptabilitätsgrad gegenüber I und 11 ändern. III ist also keine Transformation von I oder 11.

Jel of senlenees: (1) The man mailed Ihe offiee 10 a letter. (2) The man maifed Ihe moon 10 a letter. (3) The man maifed Ihe moon 10 a eheese. (4) The idea maifed Ihe moon 10 a cheeJe.

sequenee struefure IlI: N, V N3 P N2

Aus der Untersuchung der Transformationen folgert Harris zunächst, daß es verschie­dene Arten von Transformationen gibt: solche, die einen Satz in einen Satz transformie­ren (S; ...... S)' wie: Aktivsatz ...... Passivsatz) und solche, die eine Satzform in eine Nicht­Satzform transformieren (z.B. N is A --> AN, wie: Books are interesting. --> interesting books) und so die Erzeugung komplexerer Sätze wie He got some interesting books ermöglichen (HARRlS, IT:384-87) . Weiter folgert er dann, daß alle Sätze auf ein Produkt aus Trans­formationen, elementaren Satzmustern (kerne! sentenees) und eventuell zusätzlichen eombi­ners sind:

Given any sentence, we can check it for all transformations; we will then fInd the sen­tence to consist of a sequence of one or more underlying sentences - those wruch have been transformed into the shapes that we see in our sentence - with various introductory or combining elements . . . We have thus a factorization of each sentence into transforma­tions and elementary underlying sentences and combiners; the elementary sentences will be called sentences of the kernel of the grammar .

. . . all sentences of the language are obtained from one or more kernel sentences (with combiners) by means of one or more transformations. (HARRIS, CIl.S:444)

Dem Satz NV AN (He got some interesting books) liegt beispielsweise die Kombination der Kernsätze NVN (He has books) und N is A (Books are interestiniJ zugrunde, sowie die Transformation N is A --> AN (interesting books) .

Die Sprach beschreibung besteht demnach i n der Formulierung der begrenzten In­ventare der kernel sentenees und der elementaren Transformationen (HARRls, IT:388) , die einer Sprache «zugrundeliegen» - die Idee einer «Tiefenstruktuf» zeichnet sich hier be­reits ab. Für das Englische gibt es beispielsweise nur elf Kernsatzformen (HARRls, ET:484) . Das Inventar der elementaren Transformationen ist weniger beschränkt. Es umfaßt Formeln für die Erweiterung von Kernsätzen, «Redundanzkillef» (Tilgung von durch Transformationen überflüssig gewordenen Wörtern, z.B.: I know him + I knOi/J the book --> I know him and 0 the book) und Sequenzumformungen (HARRlS, ET:485-5 1 7, TT:557-71 ) .

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Die nächste Frage ist dann, wie man das Verhältnis zwischen elementaren und kom� plexen Transformationen definieren muß. Auch hierfür setzt Harris zunächst sein be� währtes Instrumentarium von Serialität (succession) und Distribution (co-occurrence) an:

The existence of e!ementary transformations makes it possible to regard all transforma� tions as compoundings of one or more e!ementary ones . . .

If we now consider a trans form to be the effect of perhaps several e!ementary trans� formations . . . we have to see in what way the various e!ementary transformations can oc� cur together. Here we have to bring into consideration the fact that transformations are restricted to particular structural environments. (HARRIs, CILS:442; cf. ET:483, 529)

The hundred or so major transformations that a language has are each a particular app!i� cation or succession of some of these e!ementary transformations. (HARRIS, 7U:4 78)

Daß die Reihung der elementaren Transformationen zu komplexen Transformationen wie ein Satz als gerichtet verstanden wird, scheint Harris dadurch gerechtfertigt, daß die Veränderung oder Spur, die eine Transformation hinterläßt, niemals ganz von einer nachfolgenden Veränderung getilgt werden kann (HARRIS, ET:S20, cf. CIU:443) . Als Endziel scheint Harris eine algebra of transformations (CIU:442) vorzuschweben, die für die Kombinatorik von Transformationen ein ähnliches Raster aufstellen kann, wie es für die Distribution der Morphemklassen in Sätzen definiert werden konnte. Als er später j edoch feststellt, daß der Ansatz der Transformationsreihung zu begrenzt ist, weicht er auf andere Modelle aus (HARRIS 1 990: 1 7s .) , für die er sich zunehmend einer mathemati� schen Formelsprache bedient.

Dafür finden sich jedoch im Aufsatz Decomposition Lattices von 1 967 erstaunlicherwei� se zahlreiche Arboreszenzen, in denen Harris die Analyse eines Satzes in seine trans� formationellen Zweige und seine Kernsätze darstellt. An ihnen läßt sich ablesen, was sich Harris unter dem decompositional path to a given set of kernel sentences vorstellt (HARRlS, DL:S79) . Ausgehend von einem gegebenen komplexen Satz werden rückläufig die unary transformations (Umformung der Satzeinheit) und binary transformations (Spaltung eines komplexeren Satz in zwei elementarere Sätze) bis hin zu den Kernsätzen verfolgt:

The procedure for obtaining the decomposition is as follows: Starting with the given sen� tence (S) , we ask what unary or binary transformation can be undone at this point . . . We present a unary as a node on a !ine going to the right, and a binary as a node joining a downward or upward !ine to the !ine going right. If more than one transformation can be undone in this sentence, we treat them as an unordered set of transformations at this point. The resultant of undoing a transformation or an unordered set of transformations is again a senten ce, and we repeat the procedure on the resultant sentence . . . The proce� dure can be checked by recomposing the sentence from the kerne!s obtained by the de� composition. In the resulting lattice, the universal points are sentences, the residual kerne! sentences being the null points at the right. (This orientation is used here, instead of hav� ing a universal point at the top, in order to facilitate writing the language material along the lattice !ines.) (HARRIS, DL:578s .)

Daß das Ergebnis ein lattice ('Gitter') ist, liegt an der graphischen Konvention (ib. :S79) :

. . . horizontal line: is equivalent to ----< . . .

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Bei dem «GitteD> handelt e s sich nicht um ein Raster im Sinne axialer Gegenüberstellun­gen wie in früheren Diagrammen, sondern um eine analytische Arboreszenz. Anwen­dungsmöglichkeiten für diese sieht HARRlS 1 968: 1 10 - 13 im Sprachvergleich (wie auch Tesniere) und vor allem in der Verwendung als computing !ree. Die analytische Arbeit könne nämlich aufgrund ihrer algebraischen Formalisierung auch von einem Computer erledigt werden (cf. auch noch GROSS 1 990:39) : «The transformational rules decompose one form into another. The computer can be programmed to recognize forms as se­quences of classes . . . On this basis the computer can rearrange the words of the sen­tence into the form of the decomposition-product sentence, and so down to the ele­mentary sentences . . . » (HARRlS, 7LS:477) . - Die Idee des computing !ree, die auch

wh<!n

o wh

,----------..... night is in summer

on J. night

r<E:.......------<>----------':;.. insects gathcr o wh

round a. l.2mp

L--_________ ... 1 have ;) !3mp pi

this

S.:. inscct is socbl

not nced

Chomsky in Syntactic Structures aufgreift (6.4) , wird in den 80er Jahren von der Computer­linguistik in ihren parse trees als Diagrammen einer Informationsstruktur auf Basis von constraints ausgebaut66•

Die Konstitution einer solchen Arboreszenz (decomposition fattice) wollen wir an einem kleinformatigen Beispiel verfolgen (HARRlS, DL:593), nämlich an der Analyse des Satzes «When, on a summer night, hundreds of insects gather round our lamp, these insects need not be sociab> (= S4) .

Liest man das Diagramm von links nach rechts, lassen sich folgende Erläuterungen er­gänzen: Der Satz spaltet sich zunächst bei einer binary transformation mit when in zwei Teilsätze: «These insects need not be sociab> und «when - on a summer night, hundreds of insects gather round our lamp». Der erste Teilsatz unterliegt drei simultanen67 einfü­genden Transformationen: this, Plural, Negation (an die Negation reiht sich noch eine

66 Cf. z.B. SAGER 1 981 :7s . zum computer parsing und zum parse !ree, oder die parse trees für na­türliche und Computersprachen bei SHIEBER 1 992. - Zur Relevanz des sprachlichen parsing­Prinzips in traditioneller Grammatik, formaler Linguistik, Computersprachen, KI-Forschung und Psycholinguistik cf. DOWfY/KARTIUNEN/ZwrCKY (ed.) 1 985 oder GORRELL 1 995 .

Harris' Entwicklung der Operatorengrammatik in den 80er und 90er Jahren sucht wie das computer parsing nach Informationsstrukturen durch constraints. Dafür wird grundsätzlich am Mo­dell des iattice festgehalten (HARRIS 1991 :21 7s .) .

67 Die Simultaneität, die der Serialität zuwiderläuft, bezeichnet Harris als unordered set (1) .

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need-Transformation) . «Subtrahiero) man diese (DN v b e A -+ N v b e A, pI. -+ sg. , Nega­tion/ need -+ 0) , erhält man den Kernsatz «insect is social» (N v be A) . Die drei Trans­formationen, die auf diesen Kernsatz wirken, sind keine binary transformations, weil sie nur auf einen Satz wirken (die Zweige laufen wieder zusammen) . Auch der zweite Teilsatz unterliegt drei simultanen einfügenden Transformationen. Er ist zweimal um PN (on a night, round a Jamp) , einmal um D (hundreds oJJ erweitert. Subtrahiert man diese Erweite­rungen, bleibt der Kernsatz <ansects gatheD)68 (NY) . Die PN-Erweiterungen selbst sind wiederum mittels einer binary transformation mit wh- zerlegbar (a summer night -+ a night which is in summer, our Jamp -+ a Jamp which I have + Pluraltransformation) . Löst man diese auf, erhält man die Kernsätze «night is in summen> (N v be PN) und «I have a lamp» (NVN) .

Die decomposition Jattices sind wissenschaftsgeschichtlich gesehen ein singuläres Modell. Insofern sie analytische Arboreszenzen einzelner Sätze darstellen, unterscheiden sie sich in der Intention deutlich von Harris' Distributionsrastern. Z.B. bildete die Blockmatrix der Morphemklassendistribution (cf. oben) eine klassifizierende Distributionsformel, die die «entweder-oden>-Relationen innerhalb eines ganzen Korpus berücksichtigte (NVP oder NVPN etc.) . Anderen Arboreszenzen der amerikanischen strukturalen Linguistik sind die Jattices wiederum auch nicht zuzuordnen. Von Bloomfields IC-Arboreszenz unter­scheiden sie sich u.a. dadurch, daß sie keine einfachen Teil-Ganzes-Beziehungen darstel­len und die Endpunkte der Verzweigung keine morphologischen Konstituenten, son­dern Vertreter formaler Kernsatztypen sind. Von den generativen Arboreszenzen Chomskys unterscheiden sie sich u.a. dadurch, daß sie nicht oberflächenstruktureIl ori­entiert sind und nach Harris eine analytische Zergliederung, keine «syntaktisch­semantische Wahl-Hierarchie» darstellen wollen69:

La theorie generative transformationnelle de Noam Chomsky produit les composantes de la phrase sous forme de constiruants «Ja structure de phrase») ainsi que ses strucrures apres transformations. Ses representations d'arbre peuvent etre considerees comme une representation non pas tant de ses sources que des choix ordonnees qu'on doit faire dans ce systeme pour produire cette phrase. (HARRrs 1 990: 14)

Überhaupt bewerkstelligen Harris' distributionalistische Raster und transformationelle Arboreszenzen alles andere, als zu bestätigen, daß sich der gern emblematisch für den amerilranischen Strukturalismus zitierte grammar tree kontinuierlich von Sapir über Bloomfield bis Chomsky entwickelt hat. Die Idee der hierarchischen Arboreszenz, die sich bereits bei Sapir abzeichnet, und mit Chomsky durchschlagenden Erfolg verzeich­nen wird, findet bei Harris eine ganz eigene Ausprägung. Diese ist vor allem bedingt durch seine distributionalistische Ausrichtung auf die Dimension des «Vor und Nach», mit der er an Bloomfields focus and remainder anschließt, wenn auch in einer völlig «ent­psychologisierten» und mathematisierten Form. Auch mit dem Prinzip der Äquivalenz, das die vertikale Dimension in seinen Rastern ausmacht (Substituierbarkeit, «oden» knüpft er an Bloomfield an, und damit indirekt an das Syntagmatik-Paradigmatik-

68 Die Subtraktion der Pluraltransformation erübrigt sich, da gather nur im Plural auftreten kann.

69 Die Vorstellung einer «Wahb) an den Knotenpunkten scheint mir allerdings in Chomskys T-Marker und P-Marker nicht gegeben.

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Achsenkreuz des europäischen Strukturalismus - auch hier aber in einer «entsemanti­sierten», rein operationalen Form, die auf die Möglichkeiten der maschinellen Sprach­verarbeitung blickt.

Andererseits ist Harris' Transformationsgrammatik nicht gänzlich wegzudividieren von der generativen Transformationsgrammatik (GTG) seines Schülers Chomsky. Ein­mal natürlich wegen der Idee der Transformation überhaupt (HARRlS 1 990: 1 3 berichtet, er habe ursprünglich überlegt, sie Deformation zu taufen!) . Zum anderen wegen der in beiden Theorien enthaltenen Forderung nach einer generativ-prognostiziven Kraft de­skriptiver Formeln'o. Dies äußert sich jedoch kaum in einer bildlichen Übereinstimmung der beiden Theorien. - Die einzige Ausnahme bilden die Arboreszenzen decomposition lattice (Harris) und T-Marker (Chomsky) als Darstellung transformationeller Satzanalyse.

Die Differenz zwischen Formalismus und Generativismus zeigt u.a. im Verständnis der prognostiziven Kraft der FormeL Harris verlangt von ihr zwar die Vorhersage aller miJg,fichen Sätze (HARRlS, SL:372s.) , er fordert aber keine zusätzliche explanatory power wie später Chomsky. Die Probleme der Kreativität und der Bedeutung, die Frage nach dem Existenzstatus der grammatischen Struktur, die Chomsky beschäftigen, bleiben für Har­ris Marginalien (z .B. HARRls, DS:779) .

Fazit: Trotz der teilweisen inhaltlichen Nähe z u Bloomfield und der historischen und inhaltlichen Verwobenheit mit der GTG entwickelt Harris aufgrund seiner rein forma­len Ausrichtung ein eigenständiges Bildinventar. Dies belegt einerseits die Heterogenität des amerikanischen Strukturalismus um die Mitte des 20. Jahrhunderts (cf. HYMEs/ FOUGHT 198 1 : 1 53s .) . Bildtheoretisch belegt es die von uns postulierte Dominanz und Verwobenheit von Raster und Arboreszenz - hier allerdings nicht als zeitliche Ablö­sung, sondern als (fast) synchrone Komplementarität. Interpretatorisch unterscheiden sich Harris' Bilder (Arboreszenzen und Raster) von Chomskys grammar trees dadurch, daß sie als pure deskriptive Formeln gelten, und noch nicht als mentale, ja genetisch veranlagte Strukturen interpretiert werden wie beim späten Chomsky.

6.4 Chomsky: vom «computing tree» zum «generative tree» (P-Marker, T-Marker) und zum «tree of mind» mit genetischer Basis

Chomsky und seine über fünf Jahrzehnte erschienenen Schriften gaben und geben zahl­reiche Anlässe zu Kommentaren, auch außerhalb der Linguistik. Die stetige Verfeine­rung seiner Grammatiktheorie und der Shift in seinen philosophischen und methoden­theoretischen Anschauungen haben die Diskussion unablässig genährt. Ihre Bandbreite zu erörtern, würde unseren Rahmen weit übersteigen.

Für die Untersuchung des Baumbildes in der Linguistik erweist sich, daß Chomsky quantitativ, d.h. an Bildvarianten hier nicht mehr besteuert als z.B. Hjelmslev oder Har­ris . Das arboreszente Modell der Tiefenstruktur, das Chomsky in den 50er und 60er Jahren entwickelt, bleibt von den weiteren Verfeinerungen der grammatischen Theorie

'0 Die Idee der Generativität ebenso bei Hockett (HYMES/FOUGHT 198 1 : 1 66s.) .

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(wie X-bar-5yntax oder barners") im Grunde unberührt. Qualitativ dagegen nimmt Chomsky eine wichtige Position in der Entwicklung des Baummotives ein. Erstens weil sich mit der generativen Transformationsgrammatik (GTG) die syntaktische Arbores­zenz zu einem zentralen, ja geradezu emblematischen Modell der amerikanischen Lin­guistik entwickelt. Zweitens, weil Chomsky sukzessive einen Interpretationswandel voll­zieht, indem die Arboreszenz von der Darstellung einer Regelstruktur zur Darstellung einer mentalen und schließlich biologisch fIxierten Struktur umgedeutet wird. So werden zunächst Interpretationen wieder erneuert, denen man schon in der logischen Gramma­tik von Port Royal begegnet. Später wird syntaktische Arboreszenz oder Tiefenstruktur als angeborene, kognitive Fähigkeit an die Evolutionstheorie angebunden - die im 19 . Jahrhundert bereits genealogische Arboreszenzen hervorbrachte (I<.ap. 4) .

GeläufIg ist, den Anfang der GTG mit Chomskys 5yntactic 5tructures (1 957) anzuset­zen. Dies ist, wie wir in 6.3 sehen konnten, nicht berechtigt, da sich die Kernstücke der Transformationstheorie (phrasenstrukturen, Kernsätze und Transformationen) bereits bei seinem Lehrer Harris fInden. Chomsky würdigt auch Harris im Vorwort zu Syntactic 5tructures ausdrücklich (CHOMSKY, 55:5) , j edoch nicht ohne auf die Verschiedenheit ih­rer Perspektiven hinzuweisen, auf die wir gleich eingehen werden.

Eine auffallige Übereinstimmung von Harris und dem frühen Chomsky liegt in ihrer Suche nach einer formalen Beschreibung und der Zurückhaltung gegenüber dem <<ine­xakten», weil schwer objektivierbaren semantischen Kriterium. Wie Harris betont CHOMSKY, 55:5, daß syntactic structures als «opposed to semantics» zu verstehen seien: Auch wenn «verblüffende Korrespondenzen» zwischen grammatischen und semanti­schen Strukturen durchaus zugestanden werden, so kommt Semantik doch allenfalls als Semantik von Sätzen in Betracht (z.B. bilden Kernsätze basic content elements, cf. ib. :92, 1 08) , nicht als Morphemsemantik. Auch teilt Chomsky Harris' zwiespältige Einstellung zur Introspektion. Sie erweist sich zwar als unausweichlich für die Beurteilung von Grammatikalität (z .B. bei semantisch «seltsameID> Sätzen wie Colour/ess green ideas sleep furiously) und für das Erkennen unterschiedlicher Syntax hinter homonymen Sätzen (wie old men and women) , sie muß aber nachträglich grammatisch formalisierbar sein72•

Der streng empirische Ansatz, wie er die Anfange des amerikanischen Strukturalis­mus kennzeichnet, wird von Harris bereits unterminiert, wenn er Sprachbeschreibung als Prognose möglicher Sätze versteht (die auch j enseits des Korpus liegen können!) . Chomsky weicht die Empirieanforderung bereits 1 957 weiter auf: die grammatische Theorie müsse keine empirische disccovery procedure für den grammatischen Bau einer

71 Mit der X-bar-syntax werden Zwischenkategorien in der Satzhierarchie eingeführt. X-bar­Kategorien erscheinen ebenso wie andere Kategorien an Knotenpunkten des arboreszenten P­Markers. Die banier-Theorie besagt, daß Determinationsverhältnisse (governmen!) über bestimmte Kategorien hin nicht fortsetzbar sind, betrifft also allenfalls die «Zweiglänge» von grammar trees.

72 Die Grammatikalität von C% ur/ess green ideas s/eep furiously wird z.B. durch die durchgängige Satzintonation bestätigt, die im agrammatischen Satz Furiotlsly s/eep ideas green c% ur/ess nicht gege­ben ist (cf. CHOMloCSY, 55: 1 5- 17) . Bei constructiona/ homonymities kann die Differenz durch unter­schiedliche zugrundeliegende Phrasenstruktur erklärt werden, im Beispiel: [o/d men} and lvomen gegenüber old [men and lvomenJ. In anderen Fällen durch verschiedene zugrundliegende Trans­formationen. So kann the shooting of the hunters bedeuten, daß die Jäger schießen oder erschossen werden. Die Phrasenstruktur ist in beiden Bedeutungen: the Ving ofNP. Es liegen aber verschie­dene Transformationen zugrunde. Tl: NP C V (the hunters shoo!) -> the Ving ofNP gegenüber T2: NPI CV NP2 (they shoot bunters) -> tbe Ving ofNP2 (ib. :86-89) .

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Sprache liefern (Harris) , sondern lediglich eine evalution procedure zur Beurteilung, welche von zwei Grammatiken die bessere sei (CHOMSKY, 55:56) . An die Stelle der empirischen Kontrollinstanz treten, wie bei Hjelmslev, Anforderungen an die Stringenz und «formale Schlichtheib> der Theorie. Nach außen (d.h. im Bezug auf die Beschreibung einer Spra­che) muß die Theorie lediglich adäquat sein, d.h. grammatische, für den Sprecher akzep­table Sätze erzeugen. In sich muß sie die Anforderungen von generality und simplicity er­füllen (ib. :49s .) . Chomsky entzieht sich damit strategisch der in den 50er Jahren noch gängigen Meinung, eine (empirische) grammatische Beschreibung könne erst in Angriff genommen werden, wenn die phonologische und morphologische Beschreibung abge­schlossen ist (was damals nicht der Fall war) .

Darüber hinaus hegt Chomsky bereits in 5yntactic 5tructures den Anspruch, daß die ge­nerative Formel einer Sprache (zu der auch die Arboreszenzen gehören) nicht nur die mechanisch-algebraische Prognose grammatischer Sätze darstellen solle - wie bei Harris - sondern auch explanatory power haben solle. Sie soll erklären, wie eine endliche Zahl Regeln eine unendliche Zahl grammatischer Sätze erzeugen kann, denn hierin spiegele sich der Kern «sprachlichen Verhaltens» . Hier zeigen sich noch behavioristische Ein­sprengsel: « . . . grammar mirrors the behavior of the speaker, who on the basis of a finite and accidental experience with language, can produce or understand an indefinite num­ber of new sentences. Indeed, any explication of the notion «grammatical in v> [L =

language as a finite or infinite set of sentences, S .R.] . . . can be thought of as offering an explanation for this fundamental aspect of linguistic behavior.» (CHOMSKY, 55: 1 5) . Die Aussage, daß Grammatik « sprachliches Verhaltem> des Sprechers widerspiegele, bedeutet zwar kein Abstriche am Formalisierungswillen, bedeutet aber doch eine « philosophi­scherö> Interpretation der Formel als bei Harris, und deutet vage voraus auf die Rolle des mind in späteren Schriften.

In 5yntactic 5tructures bleibt es trotzdem noch beim <<1{aschinenmodell» als Ausgangs­punkt und damit bei den Arboreszenzen als computing trees. Wo Harris die Informations­technik für aufwendige Distributions- oder Dekompositionsanalysen nutzen will, analogi­siert Chomsky menschliche und maschinelle 5pracherzeugung, wenn er das Verfahren der finite state grammar als (wenn auch unzureichende) Möglichkeit einer grammatischen Be­schreibung in Betracht zieht. Die finite state grammar übertägt die mathematischen Kommunikationstheorie73 und Markov-Prozesse auf die Grammatik: Die Produktion von Sätzen wird als Ablauf von algorithmisch-maschinellen Ausgangs- und Endzustän­den (initial state, final state) gesehen, wobei jeder Endzustand Ausgangszustand für einen weiteren Schritt im Programmablauf sein kann74• Die Satzerzeugung ist so ein linearer Schaltprozess, dessen Variationsmöglichkeiten durch kodierte internal states vorgegeben sind.

Suppose that we have a machine that can be in any one of a finite number of different in­ternal states, and suppose that this machine switches from one state to another by pro­ducing a certain symbol Qet us say, an English word) . . . the machine begins in the initial

73 SHANNON/WEAVER 1 949, MILLER 1951 (cf. CHOMSKY 1 982: 1 3) . Zur umgekehrten Re­zeption von Chomskys Arboreszenzen in der mathematischen Kommunikationstheorie cf. z .B. PAUN 1 997, MONTI 1 997.

74 Cf. die Zusammenfassung von Maschinenmodellen in BACH 1 974: 1 8 1 -98 und Lo PIPARO 1974:25-90 zu verschiedenen algorithmischen Maschinen und ihren Bezug zur GTG.

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state, runs through a sequence o f states (producing a word with each transition), and ends in the fmal state. Then we call the sequence of words that has been produced a «sen­tence». Each such macrune thus defmes a certain language, namely the set of sentences that can be produced in this way. (CHOMSKY, 55: 1 9)

Der Regelinhalt (oder Ablauf) einer solchen finite state grammar kann in einem state diagram dargestellt werden. Dabei steht jeder Knotenpunkt für ein Stadium des maschinellen Ablaufes, j ede Linie für die Produktion eines Wortes . Die Zahl der dargestellten Sätze kann erweitert werden durch zu­sätzliche Verzweigungen oder rekursive «Schlaufen» (im Diagramm bei olt!) . Mit letzteren kann die Zahl der erzeugbaren Sätze (mathematisch gesehen) ins Un-endliche ausgedehnt werden. Das Dia-gramm (CHOMSKY, 55: 1 9) beschreibt

OLD THE

z.B. die Sätze The old man comes, The oM old man comes etc. sowie The old men come, The old oM men come etc. 75 . Es muß, wie Harris' sentence rype-Diagramm (6 .3) , von links nach rechts gelesen werden, wobei j ede Verzweigung eine «Wahlmöglichkeib> bedeutet. Die Aufni­cherung des computing tree endet j edoch immer in einem Endpunkt, dem finite state. Wäh­rend für Harris die «Verzweigungen» in seiner sentence rype-Blockmatrix reines Darstel­lungsmittel für die Abfolge der distributionellen Klassifikation ist, begreift Chomsky den computing tree des state dia gram nicht nur instrumental (als Darstellungsmittel) , sondern auch real - im Computer und im Sprecher:

Trus conception of language [fInite state grammar] is an extremely powerful and general one. If we can adopt it, we can view the speaker as being essentially a machine of the type considered. In producing a sentence, the speaker begins in the initial state, produces the fIrst word of the sentence, whereby switcrung into a second state wruch limits the choke of the second word, etc. Each state through wruch he passes represents the grammatical restrictions that lirnit the choice of the next word at this point of the utterance. (CHOMS­KY, 55:20)

Weil sich das simple computing Modell für die Komplexität natürlicher Sprachen als we­nig adäquat erweist, schlägt Chomsky stattdessen eine phrase structure grammar (pSG) vor (cf. POSTAL 1 967:78) . Sie verfügt über eine höhere explanatory power, weil sie mit geringe­rem Beschreibungsaufwand die Generierung einer größeren Zahl von Sätzen als die finite state grammar erlaubt. Die PSG beruht auf Zergliederungsregeln (rewriting rules) , die suk­zessive ein hierarchisches Satzmuster (oben-unten) erzeugen. Sie steht damit in der Tradi­tion der arboreszenten Konstituentenanalyse und des «parsing,» (Einteilung der Rede in artes orationis) - anders als Harris' sentence rypes und die finite state grammar mit ihrer links­rechts-Ausrichtung, wo Verzweigungen distributionelle bzw. prozessuale «Wahlmöglichkei­ten» darstellen.

Nach der PSG verfügt jede Sprache über eine charakteristische Sammlung und An­ordnung von Zergliederungsregeln. Diese rewriting rules werden auf zwei verschiedene

75 Für Beispiele komplexerer Abläufe und Diagramme cf. LEIBER 1 994:726, 737.

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3 1 9

Sachverhalte angewandt (VATER 1982:80) : auf syntagmatische Verhältnisse (z .B. S ---> NP + VP) und auf paradigmatische Verhältnisse (z .B. Verb -7 hit, took) . Das für den europäischen Strukruralismus charakteristische Achsenkreuz von Syntagmatik und Paradigmatik wird dadurch aufgehoben. Jeder Satz einer Sprache läßt sich über eine bestimmte Abfolge dieser PSG-Regeln analysieren, oder umgekehrt generieren. So er­gibt sich für jeden Satz ein hierarchisches Derivationsmuster, das mittels eines Strukrur­baumes (p-Marker) darstellbar istJ6. Zum Beispiel:

set of rewriting rules

Sentence --7 NP + VP NP --7 T + N VP --7 Verb + NP T --7 the N --7 man, ball, etc. Verb --7 hit, took, etc.

I T

I the

derivation diagram (P-Marker)

Sentence

I I NP VP

I I I N Verb

I I man hit

I NP

� T N I I

the ball

Exkursorisch sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, wie Osgood die Opposition zwi­schen Links-Rechts- und Oben-Unten-Verzweigung zu synthetisieren versucht. Beweg­grund dürfte gewesen sein, daß die horizontale Verzweigung dem behavioristischen Ansatz Osgoods entgegenkommt, nach dem ein Satz eine linear-zeitliche Entwicklung von Entscheidungen ist - eine Vorstellung, der wir bereits bei Bloomfield als focus and remainder begegnet sind. Andererseits sieht Osgood durchaus auch die Berechtigung ei­ner vertikalen Gliederung, die eine hierarchische Simultaneität repräsentiert.

Chomsky's generative grammar, even in its full-blown transformational form, says no­thing whatsoever about decision making . . .

. . . [The figure] suggests how sequential (probabilistic) and simultaneous (unitizing) hi­erarchies can be integrated . . . Divergent sequential hierarchies . . . indicate that what fol­lows within the noun phrase or whithin the verb phrase is in part optional and therefore probabilistically deterrruned. Both an antecedent sentence (So) and a subsequent sentence (S2) , which could have been produced either by the same or a different speaker, have be­en added, to indicate that sentences as wholes do not appear out of nowhere but rather are themselves linked probabilistically to other units at their own level. Transitional deci­sions at supraordinate levels modify the probabilities of units at sub ordinate levels, but only partially; not that the noun dass of man in the diagrammed sentence is jointly de­pendent upon its vertical relation to NP and its horizontal relation to T. (OSGOOD 1 967: 1 1 5s.)

Sein synthetisches Modell sieht für den Beispielsatz The man hits the color/ul ball so aus (ib. : 1 1 6) :

76 BIERWISCH 1 973:77-81 überlegt, o b hier eine Parallele z u Hjelmslevs glossematischer Ar­boreszenz (vom text zu figurae, cf. 5 .5) zu sehen sei, verneint dies aber zurecht (ib. : 85) .

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320

R[WR I T E RUl E S

S - N P t VP

N P - T -+ N

V P _V t N P

N P _ T . A t N

D I C T I O NARY RU l E S

T R E E D I AGRAM

'/'� 5,

N P � V P

/ \ y � I � N

+ + , , , , , I : : , ,

, ..

T H E �

, , , I I , , I I

.. M A N

! �l�

i ; � . � . I I • I I I I t I I I , I I I I

t t t t � H I T 5 � T H E � COlORfUl � BAll

So plausibel Osgoods Synthese ist, bleibt sie letztlich doch mehr eine Formulierung des Problems als ein echter Lösungsvorschlag (GREENE 1 972: 1 83s .) .

In 5yntactic 5tructures erscheint das Problem der Horizontalität in der Form kontextu­eller Beschränkungen. Soll die PSG nämlich wirklich grammatische Sätze bis in ihre phonetische Form erzeugen, muß weiter dreierlei beachtet werden. (1) In den rewriting rules (F) müssen kontextuelle Beschränkungen berücksichtigt werden, z .B. : NP'ing + Verb --> NP'ing + works, gegenüber NPp'u, + Verb --> NPp'u, + 1l!ork. (2) Es gibt eine Reihenfol­ge für die Regelanwendung. (3) Morphophonemic rewriting rules, wie z.B. walk --> / w:Jk/ oder take + past --> /tuk/, regeln den Übergang zur phonetischen Ebene (CHOMSKY, 55:28, 33) .

Damit ergibt sich für di e Adäquatheit der PSG folgendes Bild: Ihr Plus ist die Über­sichtlichkeit, die sie mit den derivational trees (p-Markern) schafft, der auch einen Ver­gleich relativ komplexer Satzstrukturen und deren Äquivalenz ermöglicht: «We say that two derivations are equivalent if they reduce to the same diagram . . . » (ib. :28) . Andererseits haben die PSG-Arboreszenzen (bzw. die entsprechenden rewriting rules) den Nachteil, daß sie die sukzessive und z.T. rekurrente Anwendung der Regeln (wie z.B. einmal N -7 man, ein andermal N -7 ball) im Dunkeln lassen. Und: <<As soon as we consider any sen­tences beyond the simplest type, and in particular, when we attempt to define some or­der among the rules that produce these sentences, we find that we run into numerous difficulties and complications.» (ib. :35) . Das heißt: Die Einhaltung einer strikten Reihen­folge von Verzweigungsregeln kann sich im Einzelfall als so aufwendig erweisen, daß die Grenzen des arboreszenten Modells offenbar werden. So erweist sich das Verfahren der PSG u.a. als unzureichend für die Beschreibung von Passivsätzen, weil hier «unele­gante Regelverdoppelungen und zahlreiche Restriktionem> (ib. :43) notwendig würden.

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Diese Probleme werden vermieden, wenn man Transformationsregeln einführt, die einen bereits erzeugten stn'ng (z .B. einen Aktivsatz) konvertieren. Modelltheoretisch be­deutet dies : Was in der Arboreszenz nicht adäquat darstellbar ist, wird durch eine Um­gruppierung auf horizontaler Ebene (striniJ dargestellt: <<A grammatical transformation T operates on a given string (or . . . on a set of strings) with a given constituent structure and converts it into a new string with a derived constituent structure . . . » (ib. : 44) .

Zur Generierung von Sätzen müssen insgesamt drei Ebenen durchlaufen werden: phrase structure (d.h. arboreszente tiefenstrukturelle Gliederung mit Verzweigungen nach unten) , transformational structure (lineare Umgruppierung des string in der Dimension: <-» , und schließlich morphophonemics (die vertikal-eindimensionale Umschreibung des syntakti­schen string in eine phonetische Kette, in der Dimension 1) . Innerhalb der transforma­tionellen Struktur muß allerdings wiederum eine Ordnung gewahrt bleiben (ähnlich wie zuvor bei den Phrasenstruktur-Regeln) . Beispielsweise muß die Adjektivtransformation (the boy is tall --+ the tall boy) vor der Passivtransformation (She saw the tall boy --+ The tall boy was seen by her) erfolgen, sonst entstehen ungrammatische Sätze. Die order of application on transformations (ib. :44)77 scheint sich Chomsky 1 957 noch als sequence vorzustellen, nicht als Arboreszenz: «We then run through the sequence of transformations . . . » (ib. :46) . Transformationen sind hier noch nicht in arboreszente Strukturen «verwickelt» wie spä­ter in Aspects (T-Marker) oder bei Harris (decomposition lattice) ; Arboreszenzen werden vorerst nur im Regelsystem der Phrasenstruktur (p-Marker, derivation dia gram) gesehen.

Sehr viel differenzierter, aber auch terminologisch weniger zugänglich stellt sich die Einordnung der PS-Arboreszenz in den 60er Jahren dar. Beeinflußt durch die Arbeiten von Katz und Postal sieht Chomsky die Notwendigkeit, die semantische Komponente stärker an die syntaktische Komponente der GTG anzubinden. Andererseits zeigt die fortschreitende Untersuchung von Transformationen, daß diese nicht nur als horizonta­le Umgruppierungen von strings gesehen werden können. Und nicht zuletzt ist Choms­kys Grammatikkonzeption mehr und mehr von der Suche nach einer universalen grammatischen Tiefenstruktur geleitet.

In Current Issues in Linguistic Theory (1 964) und vor allem in Aspects (1 965) führen diese neuen Motivationen zu einer Reihe von Experimenten u.a. mit der Tragweite der Begrif­fe P-Marker und Transformation78 • Das Ergebnis ist letztlich eine Erweiterung des P­Marker zum generative P-Marker, der nun als echte deep structure verstanden wird (wie wir im Folgenden skizzieren wollen) . Spätere Theorieentwicklungen wie die bereits genann­te X-bar-Syntax (CHOMSKY 1 970) , die Einbeziehung von constraints (conditions on transfor­mations) und filters (surface structure constraints) zur Verhinderung einer Übergenerativität der base grammar und der Transformationen79 in der sog. Extended Standard Theory, die government and binding-Theorie (CHOMSKY 1 981) , die barrier-Theorie (CHOMSKY 1 986a) oder die Komprimierung der Theorie im Minimalist pro gram (CHOMSKY 1 995) bewirken keine Veränderungen der deep structure-Arboreszenz von der Art, daß man sie für das Arboreszenzschema oder dessen interpretatorisches Verständnis als Tiefenstruktur rele­vant nennen müßte. Interessant für unsere Fragestellung ist allerdings die Interpretati-

77 CE. auch CHOMSKY, 55:45, 61 -84 zu obligatorischen und optionalen Transformationen und HARRIs, ET:505s. zu required transformations.

78 MATIHEWS 1 994: 1 98 bemängelt deshalb die mangelnde Originalität von Aspects. 79 Cf. CHOMSKY 1 977 und z.B. F ANSELOW /FELIX 1 984:32, 46-48.

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onsverschiebung von der deskriptiven zur universalen und evolutorisch bedingten Struktur. Diese Verschiebung erfolgt weniger im Rabmen grammatischer als vielmehr sprachphilosophischer Überlegungen, die zum Teil schon in Aspects erkennbar sind und in späteren Schriften vertieft werden80•

Wie wird die Arboreszenz in eurrent Issues und Aspects modifiziert? Wichtig ist zu­nächst, daß die Grammatik nun die semantische Komponente mehr berücksichtigen soll. Zu diesem Zweck wird die Dreiteilung der generativen Grammatik verändert. Be­stand sie in Syntactic Structures aus PSG-Struktur, Transformationsstruktur und morphopho­nemics, besteht sie nun aus (1) einer zentralen syntaktischen Komponente, die Regeln für die Generierung einer Tiefenstruktur und einer Oberflächenstruktur beinhaltet; (2) einer semantischen Komponente, die die syntaktisch vorgegebene Tiefenstruktur interpretiert (cf. }(ATZ 1 971)8 1 ; (3) einer phonologischen Komponente, die die syntaktisch vorgege­bene Oberflächenstruktur interpretiert82. Später erhält sie den Namen standard theo'] (CHOMSKY 197 1 : 1 85)83.

Aufgabe einer solchen generativen Grammatik ist unverändert, die begrenzte Zahl von Regeln zu beschreiben, die die Generierung einer unbegrenzten Zahl von Sätzen ermöglicht. Mehr als zuvor wird aber Generativität im Sinne eines mechanischen compu­ting verstanden; die entsprechende description wird nicht nur mit dem sprachlichen Wis­sen (competence) <<im Kopf» eines idealen Sprechers verglichen, sondern bewußt mit ihm gleichgesetzt (cf. auch SCHARF 1 994:47-63) :

Clearly, a child who has learned a language has developed an internal representation of a system of rules that determine how sentences are to be formed, used, and understood. Using the term «grammaD> with a systematic ambiguity (to refer, first, to the native spea­ker's internally represented «theory of language» and, second, to the linguist's account of this), we can say that the child has developed and internally represented a generative grammar . . . (CHOMSKY, A.pects:25)84

Methodisch ist damit - gegensätzlich zu Harris - die introspektive Methode (beispiels­weise das intuitive Wissen um eine unterschiedliche Semantik bei constrtlctional homonymi-

80 Die Reinterpretation scheint mit Ru/es and Representations (CHOMSKY 1 980) abgeschlossen. Spätere Schriften (z .B. CHOMSKY 1 988, 2000) bergen keine wirklich neuen Thesen mehr.

8! Hieran entfacht sich die Differenz von GTG und generativer Semantik. Deren Vertreter (Lakoff, McCawley, PostaI, Ross u.a.) gehen davon aus, daß die Tiefenstruktur wesensmäßig semantisch ist (cf. z.B. BACH 1 974: 1 30-33, 222-34 und BREKLE 1 969) . Arboreszenzen finden sich in beiden Theorien jeweils für syntaktische und semantische Strukturen (cf. unten zu Chomskys syntactic features»; KATZ/FoDOR 1 964, DIXON 1 971 oder den Überblick von BINNICK 1 972) . Die Härte, mit der die deep structure debates in den 60er und 70er Jahren geführt werden, führt zu einer Zersplitterung der generativen Linguistik (cf. HUCK/GOLDSMITH 1 995:79-95, HARRIS 1 993) .

82 CHOMSKY, CI:9s . , 60; A.pects: 1 6 . Zur phonologischen Komponente cf. z.B. HALLE 1 962, CHOMSKY /HALLE 1 968.

83 MATTHEWS 1 993:34 erklärt das Modell zum <<letzten großen strukturalistischen Schema» , weil es wie die Modelle Hjelmslevs die Inhalts- und Ausdrucksseite in symmetrischer Weise korreliere. Alternative dreigeteilte Modelle bieten LEWIS 1 974:260-63 und LEROT 1 974.

84 Cf. ebenso CHOMSKY, CI:23; 1 980:21 9s . Später wird die Doppeldeutigkeit desambiguisiert mittels der Unterschiedung von I-/anguage (mentales Sprachsystem) und E-Ianguage (grammatische Beschreibung), cf. MATTHEWS 1 993:238s. , MCGILVRAY 1 999 :1 05-08. GANDON 1 993: 1 03s . analysiert insgesamt vier verschiedene Verwendungen des Begriffes grammar bei Chomsky: für Jaculte de langage, desaiption exp/icite, organe mental und sous-systeme mental.

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ties wie old men and women, f!ying planes ean be dangerous etc.) absolut zulässig (CHOMSKY, Apects: 1 9s .) . Die Suche nach operationalen Kriterien kann vor diesem Hintergrund als das nachträgliche Bedürfnis «to soothe the scientific conscience» (CHOMSKY, CI:59) erscheinen.

Die syntaktische Komponente der Grammatik, deren Vorrang darin gründet, daß sie die Strukturen für semantische und phonologische «InterpretatioID> liefert, besteht aus Basisregeln (base) und Transformationsregeln. Damit wird zunächst die Zweiteilung von phrase s/me/ure als arboreszenter Tiefenstruktur (p-Marker) und transformations als Über­gang zur Oberflächenstruktur aufrechterhalten.

The base of the syntactic component is a system of rules that generate a highly restricted (perhaps finite) set of basic strings, each with an associated description called a base Phrase­marker. These base Phrase-markers are the elementary units of which deep structures are constituted . . .

In addition to its base, the syntactic component of a generative grammar contains a transformational subcomponent. This is concerned with generating a sentence, with its SUf­face structure, from its basis. (CHOMSKY, A.peet.r: 1 7)

Für den base P-Marker bleibt es bei der arboreszenten Darstellung (lediglich werden die Verzweigungen nicht mehr rechtwinklig gezeichnet, wie bei Harris und Syntaetie Stmetu­res) . Die Interpretation der Arboreszenz ändert sich j edoch merklich: sie wird weniger als eomputing !ree (wie in Syntaetie Structures) , denn als kategorielle Struktur verstanden, die zugleich die Struktur menschlichen Sprachvermögens darstellt (hierauf werden wir un­ten näher eingehen) 85 • Ebenso bleibt die ParalleInotation in rewriting mies erhalten, erwei­tert um Subkategorisierungsregeln nach dem gleichen Muster. Im Hinblick auf komple­xere strukturelle Verhältnisse wird zusätzlich die Klammernnotation (braeketiniJ einge­führt (CHOMSKY, Apeets: 1 2s . , 1 7; CI:60.) . Ein Satz wie Sineerity mqy frighten the boy (CHOMSKY, Apeets:68s .) läßt sich dann auf folgende drei Arten darstellen:

rewriting rules: kategoriell

S -> NP Aux VP VP -> V

�NP

NP -> Det N NP -> N Det -> the Aux -> M

lexikalisch

M -> may N -> sincerity N -> boy V -> frighten

85 Daß maschinelle und menschliche Sprachverarbeitung durchaus Analogien aufweisen, un­tersucht z .B. YNGVE 1 960:445-451 , 465. Demnach bilden Linksverzweigungen (die Frau des Bruders des Vaters von Erwin) Hemmnisse für den computing Prozeß, der von Links nach Rechts verläuft; sprach psychologisch entspricht dem eine erhöhte Belastung des Kurzzeitgedächtnisses (das Subjekt muß mental länger aktualisiert bleiben, bis es an ein Prädikat angeknüpft werden kann: Die Frau des . . . kocht gern) .

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tree dia gram: S

NP Aux

I I N M

I sincerity

I may

bracketing.

v I

frighten

NP �

Det N

I I the boy

An den rewriting rules zeigt sich bereits ein Problem: Für NP gelten zweierlei branching rules (NP � Det N, NP � N), für N zwei lexikalische Ersetzungsregeln (N � sinceri­ty, N � boy) . In dieser Form verhindern die Regeln nicht die Generierung von seltsamen Sätzen, deren lexikalische Auffüllung der syntaktischen Kategorien ungewöhnlich ist, wie The boy may frighten sincerity86. Die Regelformulierung ist also nicht eindeutig genug. Chomskys führt deshalb nun Selektionsregeln ein, die z.B. verhindern, daß das Nomen in einer VP mit frighten ein Substantiv mit der Eigenschaft 'unbelebt' ist. Die Regeln subkategorisieren also syntaktischen Kategorien nach notwendigen syntactic features (wo­bei es sich eigentlich um semantische Merkmale handelt, Chomsky aber dabei bleibt, daß « . . . what appear to be semantic questions fall increasingly within its [syntactic des­cription's] scope . . . » [CHOMSKY, CI:51 ] 87) . Die Struktur solcher syntactic features wird abermals über rewriting rules bzw. eine Arboreszenz aufgeschlüsselt. Für die Kategorie Nomen lasse sich beispielsweise die subkategorielle Struktur nach einem binären «ent­weder-oder-Schema» erstellen.

86 Chomsky unterscheidet verschiedene degrees of grammaticalness - in abnehmender Relevanz: (a) Syntaktisch inakzeptable Sätze wie Sincenty fnghten may boy the, die PSG-Regeln verletzen; (b) syntaktisch richtige, lexikalisch ungewöhnliche Sätze wie The boy may frighten si1lcerity; (c) Sätze, die semantisch widersprüchlich (I knelv you would come but I Ivas lVToniJ oder pragmatisch inakzeptabel sind (aber für mögliche Welten zutreffen können: Oculists are better trained than eye-doctors) . Fall (c) wird nicht weiter in Betracht gezogen, weil er die Syntax nicht berührt. Um Fälle wie (b) zu vermeiden, müssen entsprechende semantische und kontextuelle Bedingungen (constraints) in die generative Beschreibung aufgenommen werden (CHOMSKY, Apect.r:76-78, 148s.) .

87 Cf. KATZ/FoDOR 1964:496-5 1 6 (semantic markers), BIERWISCH 1 971 (Klassifikation von semantic features) .

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Common

Count

� Animate Abstract

� A Human book virtue dirt

Y\-boy dog

Animate

� Human Egypt

A John Fido

(CHOMSKY, Apects: 83; cf. KATZ/FODOR 1 964:494-500)

325

Damit gewinnt die arboreszente Darstellung eine weitere Bedeutung in der generativen Grammatik. Sie ist nicht mehr nur Bild des tiefenstrukturellen branching, sondern nun auch Bild für die Formung (CHOMSKY, Apects: 1 12) eines komplexen Symbols mittels entweder-oder- bzw. Plus-Minus-Dichotomien. Allerdings müssen oder können solche Aufschlüsselungen von features nicht immer arboreszent erfolgen. Für die Kategorie Verb dürfte beispielsweise schwerlich eine gleichartig übersichtliche Arboreszenz zu finden sein. Und auch im angeführten Beispiel der Nomen liegt der Arboreszenz eine recht willkürliche Verteilung der Inhalte zugrunde, was sich darin zeigt, daß das Kriteri­um '+ / - Animate' an zwei verschiedenen Stellen erscheint88 ; Wie wir im europäischen Strukturalismus (5.3, 5 .5) und bei ]akobson/Halle (5 .4.2) sehen konnten, lassen sich solche Dichotomien oft leichter in Rastern fassen.

Die Subkategorisierungsregeln sind innerhalb der Syntax nach den kategoriellen bran­ching rufes des P-Markers angesiedelt, weil sie dessen Endprodukte (N, V etc.) betreffen. Sie ersetzen die unspezifischen lexikalischen rewriting rufes (wie N --> sincerity, N --> boy) und werden ergänzt durch ein verfeinertes Lexikon, das nun nicht nur die morphonomi­schen Elemente (sincerity, boy, . . . ) enthält, sondern auch die syntactic features der j eweiligen lexikalischen Einheit, z .B . : (boy, [+N, + Common, + Count, + Animate, + Human]) 89. Die generative Beschreibung für den Satz Sincerity frightens the boy besteht demnach aus zwei Arten von rewriting rufes (branching rufes, subcategon'zation rufes) und dem Lexikon. Die­se drei Komponenten können dann auch in einem komplexen (<Vollem) P-Marker wie­dergegeben werden:

rewriting ru/es: (1) branching ru/es S -> NP Aux VP VP -> V

-NP

NP -> Det N NP -> N Det -> the Aux -> M

88 Cf. die Kritik von STEWART 1 976:22s. und COSERIU 1 973:57 an solchen Schemata. 89 Cf. schon KATZ/POSTAL 1 964: 12-14, 66

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(2) subcategorization rufes N -+ [+N, ±Common]

(3) fexicon

lree dia gram:

NP

I N

� [-Count] [+Common]

I+Ab'V

sincmty

(CE. CHOMSKY, A.pects:85s .)

[+ Common] -+ [±Count] [+Count] -+ [±Animate] [-Common] -+ [±Animate] [+Animate] -+ [±Human] [-Count] -+ [±Abstract]

(sincerzty, [+ N, -Count, + Abstract]) (boy, [+N, + Count, + Common, + Animate, + Human]) (may, [+MJ)

s

Aux

I M v

I I may frighten

NP

� Det N

I � the [+Count] [+Common] I

[+Animate] I

boy

Die Gefahr der Generierung eines lexikalisch ungewöhnlichen Satzes ist damit zwar eingeschränkt, allerdings um den Preis, daß das tree diagram für diesen komplexen Gene­rierungsprozeß nicht mehr die übersichtlichste Form der Darstellung ist.

We . . . extend tbe general notion «Phrase-marken> in such a way tbat tbe Phrase-marker of a terminal string also contains tbe new information. Witb this extension, a Phrase-marker can naturally no longer be represented by a tree-diagram, as befote, since it has an addi­tional «dimensioI1» at tbe level of subcategorization. (CHOMSKY, A.pects:84s.)

Die entsprechende Klammernformel ist wesentlich übersichtlicher:

[+N, -Count, + Abstract] M V the [+N, +Count, +Animate, +Human]

Noch klarer wird der Vorteil des bracketing, wenn zusätzlich die kontextuelle Subkatego­risierung (frames, contextual ftatures) eingeführt wird. So lassen sich z.B. transitive Verben wie write, read, frighten mit der frame-Notation [- NP] erfassen, weil sie eine Objekt-NP nach sich ziehen Uohn writes a letter. NP [V NP]) . Komplexere frames können mit rewriting rules wie A -+ X [+A, +Z - WJ Y wiedergegeben werden CA steht zwischen den

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strings Z und W, der string ZA W ist wiederum kontextuell eingebettet in die strings X und Y') (ib. :93-95) . Zur Darstellung kategorieller Umgebungen sind Arboreszenzen ungeeig­net.

Hinzu kommt, daß sich auch für die Formulierung von Transformationen das bracke­ting als brauchbarer erweist. Anders als in Syntactic Structures sieht Chomsky nämlich in Aspects mehr auf die tiefenstrukturellen Veränderungen, die mit Transformationen ver­bunden sind. Transformationen werden nicht mehr nur als horizontale rearmngements betrachtet:

A grammatical transformation . . . typically applies to a string Ivith a particular structural de­scription. Thus application of such a rule to the last line of derivation depends in part on earlier lines. A grammatical transformation is, in other words, a rule that applies to Phra­se-markers rather than to strings in the terminal and nonterminal vocabulary of the grammar. (CHOMSKY, Apect.r:89)

Durch die Transformation entsteht so ein derived Phrase-marker (ib. : 1 28) . Wir wollen dies am Beispiel der wh-Transformation illustrieren, die einen Aussagesatz (Basissatz) wie Your father will put the car in the garage in einen Fragesatz mit who, wly, what, when etc. trans­formiert, der keine ja/nein-Antwort erlaubt. Die Transformation muß also zweierlei bewerkstelligen. Sie muß das Determinans (the) durch ein wh-Element (which) ersetzen ---+ Your father will put which car in the garage? (NP1 Aux V NP2 PP) . Und um eine akzeptable Oberflächenstruktur zu erreichen, muß sie den Satz umgruppieren ---+ Which car will your father put in the garage? (NP2 Aux V NP1 PP) . Daß der Austausch von strings (NP1 und NPzl an der Oberfläche tiefenstrukturelle Konsequenzen hat, zeigt die Betrachtung der P-Marker. NP2, die ursprünglich VP untergeordnet ist, ist nun direkt S untergeordnet. Dadurch ergibt sich VP ---+ V PP, was nach den Basisregeln und dem frame von pu� nicht möglich wäre (*He puts in the garage) . In Baumdiagrammen präsentiert sich die Um­gruppierung folgendermaßen90:

base Phrase-marker: s

�-----NP Aux VP

/\ I � Det N will V NP PP

I I I � � your father put Det N P NP

I I I /� Ivhich car In Det N

I I the garage

90 Cf. RADFORD 1981 : 1 46-6 1 .

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derived Phrase-ltlarker. S

NP Aux

/\ I Det N will

I I Jvhich car

NP

1\ Det N

I I your father

v PP

I � put P

I zn

NP

/--Det N I I

the garage

Mit bracketing ist die Transformation leichter zu notieren. Statt eines komplexen {(Ge­zweiges» (das die lineare Umstrukturierung des s!ring nur noch schwer erkennen läßt) , wird ein I<Iammernkomplex verschoben (der die lineare und - mit einiger Übung! - die hierarchische Struktur noch erkennen läßt) :

[S [NP! [Det)o",] [Nf,thocll [Aux] I I

[VP [V] [NP2 [Detwhi'h] [N'''ll [pP [P] [NP [Det] NJ]]] L-J I I

. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . · · · · · ·t · ·· · · · · · · · ········· · ··· · ······················· . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I I y

[S [NP2 [Detwhi'h] [N"']] [Aux] [NP! [Det)'O"'] [Nbthocll y

11 [VP [V] [pP [P] [NP [Det] NJ]]]

Eine Notation auf dieser Basis kann vor allem dann von Vorteil sein, wenn eine Reihe von Transformationen verfolgt wird (z.B. könnte auf die Jvh-Transformation noch eine Passivtransformation folgen ---> Which car was put in the garage by your father?) , cf. CHOMS­KY, Apects:89 . Die notationelle Umrüstung von tree diagraltls auf brackets bedeutet natür­lich keineswegs, daß das Gliederungsprinzip des Baumes verschwindet9 ! , lediglich die Darstellungsweise ändert sich. Die Grundvorstellung einer arboreszenten Tiefenstruktur wird dadurch nicht berührt.

Allerdings experimentiert Chomsky in Apects mit der DefInition von P-Markern und Transformationen und damit auch mit der Frage, was Teil der Tiefenstruktur ist. Der Gedanke, daß Transformationen nicht nur die Umgruppierung von strings im Hinblick auf die Oberflächenstruktur bewirken (<<transformations map a deep structure into a sur-

9! Dies zeigt sich auch darin, daß CHOMSKY, A.pects: 1 24 das tree diagraltl der concatenation vor­zieht. Später bemängelt Chomsky allerdings kleine Schwächen des Baumdiagramms (CHOMSKY 1 982: 1 04) ; in Bam'ers und Knowledge of Language (CHOMSKY 1 986a, 1 986b) fIndet sich aus­schließlich bracketing. - Auch wenn die Arboreszenz ein Leitbild der generativen Grammatik ist, scheint es mir doch zu weit gegriffen, metaphorische Termini wie eltlbedding, ltIovemeM ('Transformation') oder insertion auf eine <<visuelle Abstammung» vom Baumdiagramm zurückzu­führen (STEWART 1 976:92) , da sie auch im Bildzusammenhang der Kette und ihrer Glieder (strings) funktionieren. Metaphern wie grafting ('Aufpfropfen') bei Ross oder multi-rooted vines bei Morin/ü'Malley sind dagegen zweifellos <<Derivate» des grammar tree (ib. :96-98) .

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face structure», ib. : 1 28) , sondern auch Auswirkungen auf die Tiefenstruktur haben92, führt Chomsky dazu, Transformationen in die Basiskomponente der Grammatik mit einzubeziehen: « .. , it was a mistake . . . to suppose that the base component of a trans­formational grammar should be strictly limited to a system of phrase structure rules . . . The descriptive power of the base component is greatly enriched by permitting trans­formational rules . . . » (ib. :99) .

Diese Überlegung bleibt für die grammar trees der GTG und das Verständnis von Tie­fenstruktur nicht ohne Auswirkung. Die Tiefenstruktur eines Satzes wird nun nicht mehr nur durch seine Basisstruktur (base P-Market') determiniert, sondern auch durch seine transformationelle Geschichte, d.h. die spezifische Abfolge von Transformationen, die schließlich den Satz in seiner vorliegenden Form generiert haben. Begründet wird dies u.a. damit, daß sich die unterschiedliche Tiefenstruktur von homonymen Sätzen nicht immer über die Phrasenstrukturregeln, sondern in vielen Fällen nur über die Transformationsregeln erschließen läßt. Z.B. verfügen die Sätze lohn is easy to please und lohn is eager to please über den gleichen P-Marker [S [NP [NJohnll [VP [isl [pred [Adj'''l"/"g'1 [tol [VP [Vl'k"11lll · Der P-Marker erklärt also nicht die semantische Unterschiedlichkeit. Genau dies kann aber die transformationelle Geschichte der Sätze leisten. Während lohn is eager to please über keine transformationelle Geschichte verfügt, liegt dem anderen Satz die Transformation 1t is easy to please lohn -> lohn is easy to please zugrunde. (Dieser Ge­danke taucht bereits in CHOMSKY, 55:86-89 auf, wird dort aber nicht auf seine Relevanz für die Tiefenstruktur verfolgt.)

Die Idee der «transformationellen Geschichte» liegt auch den in 6.3 . erläuterten de­composition lattices von Harris zugrunde93, so daß wir uns hier kurz fassen können. Ähnlich wie Harris geht Chomsky von zwei verschiedenen Arten von Transformationen aus. Wo Harris unary transformations ('wirken auf einen Kernsatz') von binary transformations (wirken verkettend auf zwei Kernsätze') unterscheidet, unterscheidet Chomsky zwi­schen singulary transformations (Tp/ passive, T 0/ delete, T R/ relative, TAo/agent deletion, Tro usw.) und generalized (embedding) transformations (T J .

Die Tiefenstruktur des Satzes The man who persuaded lohn to b e examined ly a special ist was fired besteht demnach nicht nur aus einem P-Marker, sondern aus den drei base P-Markers (die wir hier aus Platzgründen nicht wiedergeben) der Sätze (1) 1'1 fired the man9" (2) the man persuaded lohn of . . . und (3) A special ist examined lohn95 - und aus dem arboreszenten Transformationsmarker (T-Marker), der die «Geschichte» der linearen und einbettenden Transformationen angibt96:

92 Zur Filterfunktion von Transformationen (Verhinderung nicht wohlgeformter Tiefen­strukturen) cf. CHOMSKY 1 967:435.

93 HARRIs, DL erscheint zwei Jahre nach Aspects, erwähnt Chomsky aber nicht. Schon 1 964 verweist CHOMSKY, CI: 1 5 darauf, daß bereits die Grammaire gine,'ale et raisonnie den semantischen Gehalt eines Satzes in verschiedene Kernsätze zerlegt (GGR68s.) .

94 f, ist ein Dummy-Symbol für Kategorien, in diesem Fall für ein Nomen. 95 Im Originaltext stehen (1) und (3) aus mir unverständlichen Gründen bereits im Passiv. 96 Chomsky spricht in diesem Zusammenhang auch vom transformational cycle (u.a. CHOMSKY,

Aspects: 1 43) . Damit ist gemeint, daß bestimmte Transformationen wiederholt auf verschiedenen Stufen zwischen Tiefenstruktur und Oberflächenstruktur auftreten können. Der «Zyklus» bestä­tigt also lediglich die Gerichtetheit der Arboreszenz (die analytisch oder synthetiscl: gelesen werden kann, cf. BACH 1 974: 1 1 0-29, LAKOFF 1 971 :237s.) . Später (CHOMSKY 1 975:84s.) ist auch von root-transformations die Rede, die erst auf einer <<höheren» Stufe des transformational cycle auftre-

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(1 )

(CHOMSKY, A.pects: 1 30)

Zu lesen ist der T-Marker von links nach rechts etwa so: Die Passivtransformation wird auf (3) angewendet; das Ergebnis wird mit mit (2) verbunden (----> The man persuaded lohn oj lohn was examined by a specialisf) . To streicht sodann das redundante zweite lohn, und T,o transformiert ojzu to (----> The man persuaded lohn to be examined by a specialisf) . Nun kann die Einbettung in (1) vorgenommen werden, gefolgt von TR, die die Art der Einbettung regelt. Es folgt schließlich die Passivtransformation (The man . . . was fired by �) und TAO' die � streicht.

Chomsky faßt die Ordnung von base P-Markers, T-Marker (beide Teil der Tiefen­struktur) und derived P-Marker (Oberflächenstruktur) folgendermaßen zusammen:

The deep structure of an utterance is given completely by its Transformation-marker, which contains its basis . The surface structure of the sentence is the derived Phrase­marker given as the output of the operations represented in the Transformation-marker. The basis of the sentence is the sequence of base Phrase-markers that constitute the ter­minal points of the tree diagram (the left hand nodes . . . ) . When Transformation-markers are represented as in . . . [the diagram above] , the branching points correspond to genera­lized transformations that embed a constituent sentence (the lower branch) in a desig­nated position in a matrix sentence (the upper branch). (CHOMSKY, A.pects: 1 3 1 s . ; cf. CI: 1 4s .)

Für den grammar tree bedeutet dies, daß er nach seiner Relativierung im Zusammenhang mit den Subkategorisierungsregeln andernorts eine erweiterte Anwendung erfahrt. Die Tiefenstruktur besteht nun aus mehreren miteinander «Verwachsenem) Arboreszenzen: (a) den Arboreszenzen der base P-Markers und (b) der Arboreszenz der Transformatio­nen (T-Marker) . Daneben gibt es die Arboreszenz des derived P-Markers, die das Ergebnis aus (a) und (b) wiedergibt und dem «mapping into the surface structure» zugeschlagen wird.

Weil die (arboreszente) Transformationsstruktur eines Satzes formal stark einer Phra­senstruktur gleicht (CHOMSKY, Aspects: 1 31 ) , erscheint es Chomsky angebracht, sie deren Prinzipien noch weiter anzugleichen. So wird den embedding transformations ihre transfor­matorische Eigenschaft abgesprochen, und sie werden als branching rules den Tiefenstruk­turregeln (bzw. base componenf) zugeschlagen. Der T-Marker insgesamt habe also keine tiefenstrukturelle Relevanz (d.h. eine Relevanz für die semantische Interpretation des

ten. Sie betreffen nur nicht-eingebettete Sätze. (Z.B. ist die Inversionstransformation John is here ...... 1s John here? nicht anwendbar auf eingebettete Sätze *1 uJonder Ivhether is John here?

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Satzes) , sondern nur base P-Marker und generalized (embedding) ((transformations)). Beide wer­den zusammengefaßt im generalized P-Marker.

The grammar now consists of a base and a linear sequence of singulary transformations . . . The ordering possibilities that are permitted by the theory of Transformation-markers but apparently never put to use are now excluded in principle. The notion of Transformation­marker disappears . . . The base rules form generalized Phrase-markers that contain just the information contained in the basis and the generalized transformations of the earlier ver­sion . . . it is precisely this information that should be relevant to semantic interpretation. Consequently, we may take a generalized Phrase-marker, in the sense just defined, to be the deep structure generated by the syntactic component. (CHOMSKY, Apects: 1 35)

Was läßt sich aus alledem zur Entwicklung der Arboreszenz bei Chomsky schließen? Die Arboreszenz - sei sie P-Marker der PSG, P-Marker der base, T-Marker oder schließ­lich generalized P-Marker - ist in jeder ihrer sukzessive entwickelten Formen (die hautnah spüren lassen, was man unter einer evaluation proeedure zu verstehen hatl) das Bild einer syntaktischen, später syntaktisch-semantischen Tiefenstruktur. Wenn diese Tiefenstruk­tur Teil der generativen Grammatik ist, diese Grammatik aber spätestens ab Aspeels so­wohl als linguistische Beschreibung wie als Strukturierung der Sprecherkompetenz ver­standen wird, so folgt daraus, daß die tiefenstrukturelle Arboreszenz für Chomsky nicht nur Teil der Sprachbeschreibung, sondern auch Teil der «Sprache im SprecheD> ist. -Die Arboreszenz wird damit nicht nur als (Beschreibungs-) Instrument, sondern auch als geistige Realität (mental reality) verstanden.

Wo die Grammatik zunehmend Teil einer philosophy of mind wird (CHOMSKY, As­peets:4, 59) , wird der grammar tree zum tree of mind: «The trees used to be mere ad hoc scaf­folding by the aid of which the grammairians, each in his own way, contrived to specify the objective totality of well formed-sentences. According to the new doctrine, the trees are themselves part of the objective linguistic reality to be specified.» (QUINE 1 974: 1 05t. Wie sich die Interpretation dieser geistigen Realität und damit die Interpre­tation der Arboreszenz ab Aspeets entwickelt, soll abschließend kurz skizziert werden.

Schon in Currenl lssues sieht Chomsky große Gemeinsamkeiten der generativen Theo­rie mit der inneren Sprachform bei Humboldt (4. 1 . 1 ) , die seiner prozessualen Auffassung von Sprache entspricht. Während er die Sprach theorien Whitneys und Saussures durch eine taxonomische Sprachauffassung (store of signs) charakterisiert sieht - womit er bei­den nicht gerecht wird - repräsentiere Humboldts Sprachform die sprachkreative Kom­ponente (rule-governed creativity; CHOMSKY, CI:20-23) , d.h. das generative Prinzip der Kompetenz, das dem Sprecher erlaubt, eine unbegrenzte Zahl von Sätzen auf Basis ei­ner begrenzten Zahl von Regeln zu bilden bzw. zu verstehen98.

97 QUINE 1 974:1 04-07 hält diese Gleichsetzung des generative tree mit dem tree of mind für frag­würdig. GEORGE 1989:90-94 versucht, in die ambigue Verwendung des Begriffes Grammatik Licht zu bringen, indem er u.a. peaker's grammar (formale Entität), psychogrammar (sprachliches Wissen des Sprechers, menta! condition) und physiogrammar (physische Stadien des mind beim Sprach erwerb) unterscheidet.

98 Kritiker bemängeln hier eine unrechtmäßige Gleichsetzung von Chomskys eigener Theorie mit der Humboldts: dessen Verständnis der «endlichen Mitteb> sei (anders als dasjenige Choms­kys) nicht <<oomenklatorisclm (SCHARF 1 977:91 -97, 1 09-1 1 1 ; COSERIU 1 979 :1 77-79) .

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Speaking and understanding are in his [Humboldt's] view, differing manifestations of the same underlying capacity, the same generative principle, mastery of which provides the speaker-hearer with the ability to use and understand all of the infinite range of linguistic items . . .

A generative grammar . . . is an attempt to represent, in a precise manner, certain as­pects of the Form of language, and a particular theory of generative grammar is an attempt to specify those aspects of form that are a common human possession - in Humboldtian terms, one might identify this latter with the underlying general form of all language . . .

(CHOMSKY, lC 1 8-20; cf. 1 966 : 1 9-24)

Spätestens durch die Anlehnung an Humboldt ist evident, daß die tiefenstrukturelle Arboreszenz als Teil der human intellectual capacities verstanden wird, die Perzeptions- und Lernprozesse determinieren (cf. CHOMSKY, CI:26s. ; Aspects:56) . Der computing tree, der zu Beginn der GTG-Entwicklung durchaus eine Rolle als Ausgangsmodell spielt99 und in einer input-output-Metaphorik von Aspects bis ReJlections on Language noch nachklingt (CHOMSKY 1 975 : 1 38, 1 980:1 87s . ; cf. BOTHA 1 9 89:26) , ist nun ad acta gelegt, ja wird so­gar a posteriori durchgestrichen: « .. . [it is 1 an equally strange and factually incorrect view . . . that current work in generative grammar is in some way an outgrowth of attempts to use electronic computers for one or another purpose, whereas in fact it should be obvi­ous that its roots are fmnly in traditional linguistics.» (CHOMSKY, CI:25; cf. 1 982: 12 - 15) .

Daß der generative tree nun als tree of mind, d.h. als eine für Perzeptions- und Lernpro­zesse maßgebliche Struktur verstanden wird, heißt jedoch nicht, daß er zu einer «psy­chologische!D> Struktur umgedeutet wird - jedenfalls nicht im Sinne der behavioristi­schen Psychologie. Deren Verständnis von « Bedeutung» als stimulus meaning - woran sich seit Weiss und Bloomfield wenig geändert hat (cf. 6 .2 .2 . , SKINNER 1 957:5-1 0) - ist mit den Grundideen der GTG nicht vereinbar: weder mit der « semantischen Interpretation der TiefenstruktuD>, noch mit der rule-governed creativity, noch mit der These, daß Sprach­erwerb angeborene Formen voraussetzt. « . . . the speaker of a language knows a great deal that he has not learned and . . . his normal linguistic behavior cannot possibly be accounted for in terms of « stimulus contro!», « conditioning» . . . and « habit structures» or « dispositions to respon(:!» in any reasonably clear sense of these much abused terms.» (CHOMSKY 1 966:73) . Die Ablehnung behavioristischer Konzeptionen äußert sich in der I<:.ritik Chomskys an Skinners Verbal Behavior (1 957) ebenso wie in seiner Auseinander­setzung mit Quine, dem er vorwirft, eine « quasi-operationale» Definition des stimulus meaning-Konzeptes finden zu wollenl oo. Chomsky versucht vielmehr, eine Trendwende von der behavioral science zur science of mind einzuläuten (cf. KATZ 1 994: 1 23s .) . Im Rahmen einer solchen science of mind könne die generative Grammatik auf lange Sicht zu einer general psycholo!!J beitragen (CHOMSKY, LM:65-73) .

Die Frage ist dann: Welche Breite wird der mental reality des generative tree, d.h. dem mental tree, als Teil der Kompetenz eingeräumt? In der oben zitierten Passage zu Hum­boldt klingt dies bereits an. Das generative Prinzip wird einerseits als Sprachfahigkeit eines (idealen) Sprechers gesehen, andererseits aber auch als « common human posses-

99 Dafür spricht die Forschungsfärderung durch entsprechende Abteilungen der US-Armee (CHOMSKY, 55:7) .

1 00 Cf. CHOMSKY 1 959; CI:58; A-\">ect.r:54, 203s. N25; 1 969; 1 975 : 1 79-204 und QUINE 1 974: 1 08-1 2, sowie die Chomsky-Kritik von SEARLE 1 974, DUMMETT 1 989, SWIGGERS 1 995.

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sioID) - wie Saussures faculfi de langage (SAUSSURE, Cours 1 : 3 1 -41 , CHOMSKY, Aspects:37) -und damit als allgemeine und letztlich universale Struktur.

Mit dieser universalen Struktur soll sich ein spezieller Teil der GTG befassen, näm­lich die universal grammar (UG) . Aus der Vielzahl der generativen einzelsprachlichen Grammatiken soll sie den gemeinsamen Kern der deep-seated regularities herausftltern. Ebenso wie Humboldt stellt sich Chomsky dies anhand eines Vergleiches verschiedener Grammatiken vor (CHOMSKY, Aspects:6, 35, 46) . Auf völlig veränderte Weise kommt hier also die Idee der «vergleichenden Grammatilo> wieder zum Vorschein'o , .

Zugleich werden damit rationalistische Universalientheorien wieder hervorgeholt und reinterpretiert. Anders als Descartes, die GGR oder (zum Teil) Leibniz (3 . 1 0, 3 . 1 1 ) geht Chomsky nicht von angeborenen universalen Ideen aus, sondern vorrangig von univer­salen prozessualen Strukturen, wie sie die tiefenstrukturelle Arboreszenz darstellt (CHOMSKY, Aspects:47-5 1 ) . Daneben gebe es auch formal universals im semantischen Be­reich sowie substantive universals im phonologischen Bereich (z .B. Jakobsons distinctive features, 5 .4.2) 1 02 .

Entsprechend des durchgängigen Doppelverständnisses von grammar als Sprachbe­schreibung' und 'Sprache im Sprecher', findet auch die universal grammar ihr Pendant im Sprecher. Dort ist die UG «the innate organization that determines what counts as lin­guistic experience and what knowledge of language arises on the basis of this experi­ence» (CHOMSKY, LM:27) . Der Erwerb einer individuellen Sprache (knowledge of lan­guage' 03) , für den sekundär auch Stimulus-Mechanismen eine Rolle spielen können (<< . . . the stimulation and the organism-environment interaction . . . [set] the innate cognitive mechanism into operatioID), ib. :88) , wird also <<vorstrukturierD) von einer universalen und angeborenen Struktur (UG) , zu deren Komponenten auch Tiefenstrukturen gehören.

Das bedeutet nun allerdings eine bzw. mehrere (recht zweifelhafte) Gleichsetzungen: (1) Was vielen Sprachen gemeinsam (also genere/� ist, wird mit universellen grammatischen Gegebenheiten gleichgesetzt. (2) Die aus Beschreibung und Vergleich resultierenden «uni­verselleID) Regeln werden mit angeborenen geistigen (später: genetischen) Gegebenheiten gleichgesetzt, bei deren Universalität es sich weitgehend um eine Idealisierung handeln dürfte' 04.

Ebenso wie eine mechanistische Psychologisierung der generativen Tiefenstruktur lehnt Chomsky auch eine metaphysische Interpretation des mind ab. Obwohl die Grammatik in die Tradition der philosophy of mind gestellt wird (CHOMSKY 1 966, LM), soll sie doch eine mental reality sein - mit Betonung auf reality. Das zeigt sich schon früh, wenn über den evolutorisch-physiologischen Charakter der Sprachentstehung spekuliert wird:

1 01 Sprachtypologen nehmen die UG deshalb positiv auf (RIZZI 1 994, LEHMANN 1 982:90) . 1 02 CHOMSKY, Aspects:28s . , ]ACKENDORFF 1 994:450. CE. auch LEUNINGER 1 976 zu Univer­

salien bei Chomsky und in der spekulativen Grammatik des Mittelalters 1 03 Dieses Wissen charakterisiert Chomsky als tacif knowledge, dessen Regeln dem Sprecher

nicht bewußt sind. - Die Beurteilung von grammatical JI)ell-formedness auf Basis von knOlvledge of language ist deshalb immer nur eine eine intuitive «stimmt/stimmt nichb>-Entscheidung. - CE. die Kritik von NAGEL 1974:220-24 und D'AGOSTINO 1 986:65-70, 84, 1 1 3 .

1 04 CE. z .B . die Kritik von BOTHA 1989:32, 1 33-38; PEACOCKE 1 989: 1 27s . ; LrNZ 1 994.

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. . . there is surely no reason today for taking seriously a position that attributes a complex human achievement entirely to months (or at most years) of experience, rather than to millions of years of evolution or to principles of neural organization that may be even more deeply grounded in physical law . . . (CHOMSKY, Aspects:59; cf. LM:97)

So ist es schließlich kaum verwunderlich, daß ein Kapitel von Language and Mind (CHOMSKY, LM:1 1 5-1 60) vorab als Appendix zu Lennebergs Biological Foundations ofLan­guage publiziert wird (CHOMSKY 1 967) . Dort vertritt Lenneberg die These, daß es eine «biologische Matrix» geben müsse (die man sich nicht anders als evolutiv entstanden denken kann) , die jeglicher Entwicklung des Individuums zugrundeliege, und damit na­türlich auch dem individuellen Spracherwerb (LENNEBERG 1 967 :394) . Offenbar wird Chomskys Sprach theorie seinerzeit bereits als eine Möglichkeit gesehen, einer solchen universal-biologischen <<Matrix» auf die Spur zu kommen. Abgesehen davon, daß in die­sem spekulativen Zusammenhang generative Arboreszenzen an eine biologische Matrix gebunden werden, taucht hier erneut die Idee der inneren Kausalität auf (cf. Kap. 4 zum Entwicklungsparadigma des 1 9 . Jahrhunderts) . Dabei übernimmt die angeborene faculry of mind (verstanden als generalized learning strategies, wie sie sich u.a. in einer universal gram­mar widerspiegeln; CHOMSKY 1 975 : 1 54s.), den Part der causa, aufgrund derer eine indivi­duelle Sprache (particular grammar') erworben werden kann. Und erneut erscheint in die­sem Zusammenhang die altvertraute Organismus-Metapher:

. . . human cognitive systems, when seriously investigated, prove to be no less marvelous and intricate than the physical structures that develop in the life of an organism. Why, then, should we not study the acquisition of a cognitive structure such as language more or less as we study some complex bodily organ? (CHOMSKY 1 975 : 10)

Der seit dem 19 . Jahrhundert vollzogene Fortschritt in den Biowissenschaften ermög­licht mitderweile j edoch mehr als eine bloße metaphorische Parallele zwischen Arten­und Sprachentwicklung - nämlich die Verankerung der angeborenen Basis der Sprach­entwicklung (universal grammar) als biologische «Eigenschaft der Spezies», in «specific neural structures and even gross organization not found in other primates» (CHOMSKY 1 975 :1 1 , 41) .

Thus a linguistic theory may be understood as a theory of the biological endowment that underlies the acquisition and use of language; in other terms, as a theory of universal grammar (UG) where we take the goal of UG to be the expression of those properties of human language that are biologically necessary . . . (CHOMSKY 1 977:2)

Die anfanglich noch vorsichtigen Formulierungen zur neuronalen Fundiertheit von Sprache 1 05 geraten angesichts der Fortschritte in den Biowissenschaften in den SOer Jah­ren zu klaren Aussagen. Die «biologische Matrix» von Lenneberg wird nun explizit als Grundlage für den Spracherwerb anerkannt: «What many linguists call <universal gram­man may be regarded as a theory of innate mechanisms, an underlying biological matrix that provides a framework whithin which the growth of language proceeds .» (CHOMSKY

105 Das Verständnis von «neuronaler Struktur» wandelt sich so vom 'vorübergehenden Ner­venzustand' (Bloomfields conditions of innervations, 6.2.2) zur 'unveränderlichen, genetisch präde­terminierten Struktur'.

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1 980: 1 87) - und die universal grammar wird zum genetic program (CHOMSKY 1 980:234; cf. ib. :65, 141 ; 1 9 82:24s.) .

Certain factors that govern or enter the adult system of rules, representations and princi­pies belong to universal grammar; that is, they are somehow represented in the genotype, along with the instructions that determine that we will grow arms instead of wings . . . Among the elements of the genotype, I am tentatively assuming . . . are the option of mov­ing question-words . . . and in general certain basic properties of the mental representations and the rule systems that generate and relate them. (CHOMSKY 1 980:91)

Das bedeutet wiederum, daß nicht nur die angeborene Sprachfahigkeit als Produkt der Evolution (und damit eines Selektionsprozesses) gesehen wird - auch der Spracherwerb auf Basis eines genetischen Programmes ist kein Lernprozeß mehr (wie in Piagets Ent­wicklungskonstruktivismusI 06) , sondern ein genetisch prädeterminierter Selektionsvor­gang. Diese weitreichende These wird deutlich, wo Chomsky die Parallele zu neuronaler und biochemischer «Lernfahigkeib> zieht, in Anlehnung an J erne. Nach JERNE 1 994 sind das zentrale Nervensystem und das Immunsystem lernfahige Systeme in dem Sinne, daß ihre DNA-Basis (i. e. Proteinbasis) bestimmte Systemveränderungen durch äußere Erfah­rungen zuläßt (z .B. die Immunisierung gegen einen bestimmten Grippevirus) . Die Sy­stemveränderungen gehen jedoch nicht in den genetischen Code ein. Eine solche «Lern­fahigkeib> ist also ein rein selektiver Prozeß, der bestimmte Erfahrungen und Reaktionen zuläßt, andere nicht. Lernen ist also nicht «Lernern> im herkömmlichen Sinne von Wei­terentwicklung und Weitergabe von Wissen, sondern prädeterminierte Selektion. Glei­ches gilt nach CHOMSKY 1 980:1 37-40 auch für den Sprach erwerb: « . . . the growth of knowledge just happens to us, in effect. The mental faculty grows from its initial to its steady state without choice, though not necessarily without effort or willed action.» (cf. auch PlATIELLI-PALMARINI 1 994: 1 1 5, 1 20-28) .

Wenn solchermaßen das Objekt der Linguistik (UG als Basis einzel sprachlicher Grammatiken) genetisch-neuronal-biochemisch-biologisch defIniert wird\07, so darf frei­lich die Linguistik nicht mehr im Rahmen einer general psychology angesiedelt werden (wie noch in Language and Minet), sondern im Rahmen der Biologie: «The study of language falls naturally within human biology. The language faculty, which somehow evolved in human prehistory, makes possible the amazing feature of language learning, while inevi­tably setting limits on the kinds of language that can be acquired in the normal way.» (CHOMSKY 1 975 : 123) . Chomskys Kehre zu einer Linguistik des mind, die sich zunächst u.a. an Humboldt und Descartes lOS orientiert, wird ab Mitte der 70er Jahre zunehmend positivistisch: mit dem mind als Objekt der Naturwissenschaften. Als biological rationalist (MCGILVRAY 1 999 :32-40, 89-93) versteht Chomsky Geist und biologische Natur nicht mehr als Gegensätze: « • • . it is reasonable to study the human mind and its products in the manner of the natural sciences, rejecting a curious dualism that appears in much contemporary thought . . . » (CHOMSKY 1 980: 141) .

\06 Zur Kontroverse Chomsky-Piaget cf. z .B . CHOMSKY 1 979; 1 980:207s . , 235s . und PlAGET 1 979; 1 983: 1 1 0s . sowie CHANGEUX 1 979.

1 07 Sehr vorsichtige Äußerungen zur Korrelation von kognitiven Fähigkeiten und neuronalen Netzen findet man z.B. bei LENNEBERG 1 994 und GRODZINSKY /PIERCE/MARAKOVITZ 1 994.

lOS Zu Chomskys Descartes-Rezeption cf. AARSLEFF 1 970, 1971 , BRACKEN 1 994b, ARDUINI 1 984: 1 88 .

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Wenn wir mit Blick auf den grammar !ree und vorangehende Kapitel zusammenfassen, läßt sich festhalten, daß Chomsky qualitativ einen entscheidenden Beitrag zur Entwick­lung des Baummotives in der Linguistik liefert, der eine erstaunliche Annäherung an das biologistische Paradigma des 1 9 . Jahrhunderts birgt.

Das Verständnis der grammatischen Arboreszenz wandelt sich vom formalen compu­ting tree zur für semantische Interpretation ausschlaggebenden Tiefenstruktur. Mehr und mehr wird diese Tiefenstruktur dann nicht nur als Teil einer linguistic description, sondern als mental reality (cf. CHOMSKY 1 980: 1 43) im Gehirn eines Sprechers gesehen, dessen Idealitätsstatus durch die Biologisierung schwindet. Wenn weiterhin die UG (und damit auch eine universale TiefenstrukturlO� das sein soll, was allen Einzelsprachen gemein­sam ist, und zugleich ein in jedem Sprecher evolutionsbiologisch angelegtes Programm darstellt, so bleibt nur der Schluß, daß die arboreszente Tiefenstruktur irgendwie gene­tisch angelegt oder prädeterminiert sein muß. Damit ist man bei Spekulationen zu einem genetic tree angelangt, dessen Konzeption allerdings durchaus vage bleibt. Chomsky ver­weist in diesem Zusammenhang immer wieder auf das ethische Problem der Menschen­experimente, die allein die neuronale oder genetische Fundierung der UG empirisch (d.h. über Hirnforschung) nachweisen könnten (z.B. CHOMSKY 1 9 80:2 15 s.) .

Chomskys späte Interpretation sprachlicher Struktur zeigt etliche Parallelen zum Entwicklungsparadigma des 1 9 . Jahrhunderts. Nicht nur, daß die linguistische For­schung im Zuge der Suche nach der UG unter die Ägide der Biologie 1 1 0 (und anderer life sciences) gestellt wird. Auch rücken die Konzepte Evolution (Sprachfahigkeit als Produkt der Evolution) und Selektion (Spracherwerb als genetisch gesteuerter Selektionsprozeß) wieder ins Blickfeld. Das Kantsche Prinzip der inneren Kausalität organischer Entwick­lung wird erneuert, wenn von der genetisch gesteuerten Entwicklung des mental organ (CHOMSKY 1 980:39, 241) und der individuellen competence die Rede ist. Und mit der Cha­rakterisierung des mind als biologisch-naturwissenschaftlichem Objekt wird dieselbe Einheit von Geist und Materie heraufbeschworen, wie sie bereits der Monismus des 1 9 . Jahrhunderts (HaeckeI) vertrat.

Chomsky steht damit in deutlichem Kontrast zu den Gründervätern der US­Linguistik" l . Von Boas und Sapir, die weitgehend der linearen Dimension der Sprache und ihrer kulturpsychologischen Determiniertheit verpflichtet bleiben, trennt ihn das Konzept einer Tiefenstruktur Uenseits der Konstituenten!) und das Konzept einer (kul­turunabhängigen!) universalen Grammatik. Von Bloomfield trennt ihn vor allem sein Anti-Behaviorismus. Harris ist er in puncto Formalisierung, Generativität und Transfor­mation verpflichtet. Die Distanz zu Harris zeigt sich aber in der Ablehnung einer distri­butional-linearen Basis der Analyse und in der unbekümmerteren Zulassung «weicher» Kriterien wie Intuition und Evaluation. Die Transformationsgrammatik als eigenes Pa­radigma zu bezeichnen, ist aus diesen Gründen gerechtfertigt.

Gleichwohl ist nicht zu übersehen, daß Kernideen dieses Paradigmas sich erheblich mit dem Entwicklungsparadigma des 1 9 . Jahrunderts überschneiden. Sie sind Wiederho­lungen in dem von uns definierten Sinne (1 . 1 .9) und ein klarer Beleg gegen Poppers The-

109 Cf. CHOMKSY 1 980:239s., 1 98 1 :4, 1 983:38, 1 986b: 1 49-56, GREENBERG 1 966. 1 1 0 Jüngere Mutmaßungen zum Zusammenhang zwischen Evolution und UG finden sich in

der Evolutionslinguistik, z.B. HAWKINS 1 992, CALVIN/BICKERTON 2000. 1 1 1 Cf. zur Chomskyan revolution u.a. ROBINS 1 976a:25-3 1 , KOERNER 1 989g, BRACKEN 1994a.

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se des linearen Fortschritts. Zugleich zeigt gerade die Entwicklung der Transformati­onsgrammatik, daß «wissenschaftliche Revolutionen» nicht immer aus einer Ver­brauchtheit des alten Paradigmas entstehen, sondern auch aus der Berührung mit ande­ren Disziplinen (hier mit der Computerforschung am M.I.T. und später mit der Biologie Lennebergs) . Die interdisziplinäre Inspiration muß, wie Chomskys Fall zeigt, nicht zwingend synchron sein, sondern kann sich auch auf vergangene Paradigmen beziehen (hier die Philosophie des 1 7. bis 1 9 . Jahrhunderts mit Descartes, Hume, Kantl l 2 , Hum­boldt u.a.), was eine mehr oder weniger bewußten Annäherung an vergangene sprach­wissenschaftliche Paradigmen zeitigen kann. Solche Inspirationen über große Zeiträume hinweg lassen die These plausibel erscheinen, daß Paradigmenwechsel sich spiralförmig vorantreiben. Allerdings ist zur Bestätigung dieser These unsere Untersuchung sicherlich zu wenig umfassend - und ohnehin: Wäre die These angesichts des etablierten «herme­neutischen Zirkels» etwas Neues?

Festzuhalten bleibt, daß sich in den paradigmatisch relevanten «Klassikerr1» der Sprachwissenschaft, von Humboldt bis Chomsky, der Baum mit seinen verzahnten Rea­lisierungen Arboreszenz und Raster als tragendes Bild erwiesen hat, an dessen visueller Variation und inhaltlicher Reinterpretation sich paradigmatische Qualitäten, Verände­rungen und Kontinuitäten festmachen lassen. Bedenkenswert erscheint an den letzten Dekaden weniger die bewußte Öffnung gegenüber anderen ko-epochalen Disziplinen (das findet schon im 19 . Jahrhundert statt und ist mit den Schlagworten «Inter- und Transdisziplinarität» rnitderweile ohnehin banalisiert) als vielmehr der Rückgriff auf Konzepte der Vergangenheit - und vor allem die Beschleunigung paradigmatischer Reinterpretationen.

1 1 2 Kant wird von Chomsl..)' allerdings nicht so ausführlich rezipiert wie Humboldt (cf. z.B. CHOMSKY 1 980:128, 244-47) .

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Ende eines Waldspaziergangs

There, through the broken branches, go The ravens of unresting thought . . . (W.B. YEATS, The T1VO Trees)

Nach unserem strammen Marsch von Baum zu Baum, läßt sich vom Waldesrand aus noch einmal ein Blick zurück werfen. Fassen wir zunächst den Zirkel unserer theoreti­schen Argumentation zusammen.

(1) Geisteswissenschaftliche Paradigmen lösen sich auf grund ihrer Perspektivität nur in relativen Brüchen ab bzw. bewahren sie eine relative Kontinuität.

(2) Insofern Paradigmen (vor allem in ihrem Anfangsstadium) ein abduktiver Vor­ausgriff auf ein Wissen sind, das erst durch die Arbeit der normal science nachträglich auf­gefüllt wird, funktionieren sie prinzipiell wie sprachliche Metaphern. Am Anfang des Verstehensprozesses von Paradigmen und Metaphern steht gleichermaßen ein flash of insight, d.h. eine unmittelbare Einsicht, die nachträglich interpretiert werden kann oder soll. Das gleiche gilt für Erkenntnisprozesse an visuellen Bildern. Der Unterschied zwi­schen einem paradigmatischen und einem metaphorischen/bildlichen Verstehen liegt <<lediglich» im Grad der Spontaneität, der Abstraktion und der Komplexität der Erkennt­nis . Möglicherweise auf grund dieser strukturellen Verwandtschaft sind visuelle Bilder (und sprachliche Metaphern) dazu prädestiniert, als dominante Muster (oder Begriffe) eines Paradigmas die Funktion von «Leitbildern» zu übernehmen.

(3) Die Entwicklung des Baumbildes in der Geschichte der Linguistik zeigt, daß sol­che Leitbilder nicht ein für allemal an ein bestimmtes Paradigma gekoppelt sind und damit für weitere Paradigmen unbrauchbar werden (wie dies nach Kuhns Inkommensu­rabilitätsthese der Fall sein müßte), sondern daß sie im Gegenteil über Jahrhunderte hinweg variiert wiederkehren können. Diese Variation kann entlang der visuellen Prin­zipien (ausdrucksseitig; «Baum» als Arboreszenz oder Raster) oder entlang interpretatori­scher Eckwerte (inhaltsseitig) erfolgen. Diese variationelle Konstanz der Bilder bestätigt die Eingangsthese der relativen Kontinuität bzw. der relativen Brüche zwischen geistes­wissenschaftlichen Paradigmen.

Nach unserer Untersuchung kann das Bild des Baumes als besonders «starkes» Bild der Geschichte der Sprachwissenschaft oder vielleicht auch anderer Wissenschaften gelten. Dafür spricht seine quantitative Stärke (sein häufiges und chronologisch durch­gängiges Auftreten) , die mit seiner qualitativen Stärke korreliert. Qualitativ stark erweist sich das Baumbild (mit seinen Varianten Arboreszenz und Raster) vor allem aufgrund seiner guten Gestaltqualitäten. Seine Bildprinzipien Oben-Unten, Links-Rechts, Ver­zweigung/Überschneidung sind nicht nur einfach, prägnant und symmetrisch, sie stim­men auch mit den elementaren Koordinaten körperlicher Erfahrung überein und mit einer in unserer Kultur traditionellen Dichotomisierung von Begriffen und Werten.

Wenn wir eine <<variationelle Konstanz» des Baumbildes vertraten, so haben wird damit die «Konstanz des Bildes jenseits der Paradigmen» ebenso relativiert wie den ver-

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meintlichen «Neuanfang» bei <<wissenschaftlichen RevolutioneID>. Im Gegenzug zu die­sen Relativierungen von « ewig» und <<neU» konnten wir aber feststellen, daß es andere, « stabilisierende» Faktoren gibt, nämlich die Relationen zu anderen Disziplinen: In der Regel fillt die Wiederkehr einer Bildvariation mit einem Widerhall des Bildes aus ande­ren Disziplinen zusammen - ein Phänomen, das wir für verschiedene Epochen und Disziplinen beobachten konnten (Gotik und Scholastik, Sprachgenealogie und Evolu­tionsbiologie, Strukturalismus und Konstruktivismus, . . . ). Wir haben dies auch als In­spirierbarkeit der Geisteswissenschaften bezeichnet, die mit ihrem perspektivischen Charakter zusammenhängt. Eine solche Inspiration darf allerdings nicht als Kausalursa­che verstanden werden, sondern ist vielmehr als zeitgeistliches Echo zu sehen « <Wie man in den Wald hineinruft . . . » ) , dessen Ursprung nur schwer noch auszumachen ist. Ein solcher Widerhall kann natürlich auch als Merkmal eines disziplinübergreifenden Makro-Paradigmas gelten. (Diese Spur konnten wir in unserer weitgehend auf die Lin­guistik fokussierten Fragestellung nur bedingt berücksichtigen.)

Obwohl wir versucht haben, die Vorstellung von paradigmatischen Brüchen zu rela­tivieren, haben wir uns, wie dem Leser nicht entgangen sein wird, weitgehend an die gängige Paradigmeneinteilung für die Sprachwissenschaft gehalten: vergleichende Sprachwissenschaft des 1 9 . Jahrhunderts (Kap. 4) , europäischer Strukturalismus (Kap. 5) , US-amerikanischer Strukturalismus (Kap. 6) . Das erwies sich insofern berech­tigt, als die Verschiedenheiten dieser drei großen Paradigmen mit Variationen des Baumbildes einhergehen. Auf die Dominanz der Arboreszenz im 19 . Jahrhundert folgen die Raster des europäischen Strukturalismus, dann wiederum die Arboreszenzen des US-Strukturalismus. Der Wechsel der Bildvariante ist dabei jeweils mit einer Reinterpre­tation der visuellen Struktur verbunden: Die Arboreszenz der Komparatisten stellt eine diachrone Entwicklungsstruktur mehrerer Sprachen dar; die Raster des Strukturalismus beziehen sich in verschiedener Weise auf die synchrone paradigmatische Struktur einer Einzelsprache; die Arboreszenzen der US-Linguistik schließlich stellen überwiegend synchrone, prozessual-syntaktische Strukturen dar.

Um diese Bilderwechsel von Arboreszenz und Raster als Vanationen innerhalb eines Bildes zu verstehen, muß man freilich akzeptieren, daß es sich hier nicht um zwei grundlegend verschiedene Bildtypen handelt, auch wenn dies oberflächlich so scheint (ahierarchischer Charakter des Raster vs. hierarchischer Charakter der Arboreszenz) . Daß dieser Unterschied bildprinzipiell j edoch nur gradueller Natur ist, haben wir in un­serer bildtheoretische Analyse dargelegt (2.4.4) : In beiden Bildvarianten wird eine Oben­Unten- mit einer Links-Rechts-Ausrichtung gepaart; das Raster betont die Links-Rechts­Ausrichtung stärker und so werden Überschneidungen statt Verzweigungen generiert. Fälle wie derjenige der Blockmatrix, die auf den ersten Blick ein Raster darstellt, j edoch gleichermaßen eine ahierarchische Gegenüberstellung (Raster) wie eine hierarchische Ordnung (Arboreszenz) bergen kann, bestätigen die Verwobenheit der Bildvarianten. Darüber hinaus hoffen wir, die Verwobenheit der Bildvarianten mit den Kapiteln 3 bis 6 auch historisch hinreichend untermauert zu haben.

Betrachtet man die bildlichen und interpretatorischen Varianten des Baumes in den linguistischen Paradigmen, so zeigt sich, daß die relative Konstanz des Bildes keines­wegs zu einer auch nur ansatzweise linear zu nennenden Entwicklung beiträgt, wie sie in den naturwissenschaftlich orientierten Wissenschaftstheorien Poppers oder Kuhns (dort als kontinuierliche, hier als diskontinuierliche Linearität) skizziert wird. Die Inhalte der

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Paradigmen erweisen sich (bei entsprechend starker Verallgemeinerung) als weitgehend komplementär: diachrone Ausrichtung im 19 . Jahrhundert, dominant synchrone Aus­richtung auf Paradigmatik im frühen 20. Jahrhundert (Europa) bzw. Syntax ab etwa Mit­te des 20. Jahrhunderts in den USA. Die Chronologie zeigt große Überlappungen, bei­spielsweise was die Ausläufer des klassischen europäischen Strukturalismus und die Entwicklung der generativen Grammatik angeht. (Relative) Brüche erfolgen also nicht unbedingt nacheinander, sondern können auch nebeneinander erfolgen. Dies entspricht dem perspektivischen Charakter geisteswissenschaftlicher Paradigmen ebenso wie der Möglichkeit, die visuelle Perspektive des Baumes zu varüeren.

Die visuelle Variation des Baumbildes (Arboreszenz oder Raster), die damit verbun­denen Reinterpretationen sowie parallele Entwicklungen außerhalb der Sprachbetrach­tung oder Linguistik haben wir über einen größeren Zeitraum verfolgt. So konnten wir sehen, daß die Idee des Sprachenstammbaumes in Anlehnung an den biblischen Mythos von Babel schon in der frühesten Sprachbetrachtung (Dante) zu finden ist. Die mittelal­terliche Scholastik arbeitet u.a. in ihrer spekulativen Grammatik wie die gotische Archi­tektur mit dem Prinzip der dichotomen Verzweigung (z .B. vom Wort zur Bedeutung bzw. zum Referenzobjekt) . Dieses Prinzip bleibt im 16 . Jahrhundert erhalten, wo es auf verschiedene Sprachen - nun auch «moderne» Sprachen wie das Französische (Ramus, Meigret) - ebenso angewendet wird wie auf Logik und Medizin (Ramus) . Obwohl sich das arboreszente Muster auch im 17 . Jahrhundert, beispielsweise in Bacons tree of know­ledge, Descartes' arbre de la philosophie sowie der logischen Grammatik von Port-Royal weiter behaupten kann, treten nun vermehrt Versuche auf, das Wissen in umfangreichen parallelisierenden Tableaux zusammenzufassen. So tabellarisiert der Thesaurus Temporum Scaligers eine Fülle geschichtlicher Daten und Zeitrechnungen. Die ersten sprachwis­senschaftlichen Raster (abgesehen von paradigmatisch wenig aussagekräftigen Deklina­tionstafeln, die in Lehrgrammatiken durchgängig zu finden sind) finden sich in den «phonetischem> Tafeln von Wallis und Lodwick. Leibniz entwirft u.a. ein tableau du monde intellectuel, das als Gegenentwurf zu den Arboreszenzen Bacons und Descartes ' gelesen werden kann. Das 1 8 . Jahrhundert, obwohl von Foucault als Zeitalter der tableaux cha­rakterisiert, zeigt gleichwohl weiterhin eine simultane Präsenz von Arboreszenzen und Rastern. Sowohl die botanischen J<lassifikationen Linnes als auch die Wissensdarstel­lungen der französischen Enzyklopädie von Diderot und d'Alembert bedienen sich aus­giebig beider Muster, auch wenn bei Linne das Tableau, in der Encyclopedie die Arbores­zenz dominiert.

Ab dem 19 . Jahrhundert - dem Zeitraum, ab dem wir unsere Betrachtung auf die Sprachwissenschaft fokussiert haben - scheint sich eine deutlichere Musterdominanz auszuprägen. Das 1 9 . Jahrhundert bevorzugt die Bildvariante der Arboreszenz. Diese Präferenz steht in engem Zusammenhang mit der Ausprägung eines positivistischen (Comte) und evolutiven (Lamarck, Darwin, Spencer) Paradigmas, das von einer reinen I<lassifikation (wie bei Linne) der vorhandenen «Naturdinge» zu einer Beschreibung der Entwicklung der Arten gelangen will. Die Perspektive der Biologie trifft sich hier mit der­jenigen der Sprachwissenschaft. Mit wachsenden Kenntnissen über die Entwicklung der Sprachen sieht man diese allerdings nicht mehr nur als Aufeinanderfolge von drei Kom­plexitätsstufen (isolierende, flektierende, agglutinierende Sprachen; vertreten von Schle­gel, Humboldt und Bopp) sondern als differenzierte, sich verzweigende Entwicklung von Sprachfamilien.

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In ihrer ausgeprägtesten Form vertritt dies die biologistische Komparatistik Schleichers, die das Konzept der Sprachenstammbäume von Darwins evolutorischem tree of Izfo-Modell unmittelbar bestätigt sieht. Darüber hinaus spielt für die Stabilisierung der Entwicklungsarboreszenz das Kantsche Konzept der inneren Kausalität organischer Entwicklung eine nicht unerhebliche Rolle. Sie bestätigt Schleichers monistische Sicht­weise, nach der Sprachen sich von innen heraus, ohne Zutun menschlichen Geistes oder psychologischer Faktoren, entwickeln und differenzieren (verzweigen) .

Gegen diese einseitige Sichtweise wird von Schmidt und Schuchardt das Argument der Sprachmischung vorgebracht, das einerseits gegen den Ausschluß des Faktors Mensch, andererseits gegen den ausschließlichen Blick auf die Verästelungen protestiert. Sprachentwicklung habe man sich demzufolge wie einen Wellensektor oder einen mehr­schichtigen Kegel vorzustellen. Bei genauem Hinsehen zeigt sich j edoch, daß auch die­ser Gegenentwurf, ebenso wie das Stufenmodell, einer Arboreszenz ähnelt: In beiden Fällen bleibt es bei einer gerichteten Entwicklung hin zu einer höheren Komplexität; allein die Verästelungen sind im einen Fall deutlicher (Stammbaum) , im anderen weniger deutlich (Stufen, Welle, Kegel) zu erkennen.

Die eigentliche Loslösung vom arboreszenten Entwicklungsmodell beginnt erst mit den Junggrammatikern. Zwar bleiben sie dem Gedanken der Sprachentwicklung (und damit der Diachronie) verpflichtet. Dadurch aber, daß sie an die Stelle einer inneren Kausalität des «Organismus Sprache» eine psychisch-mechanische Kausalität setzen und die Frage der Sprachabstammung zu einer allgemeinen Frage der Ursachen und Ge­setzmäßigkeiten von Sprachwandel umdeuten, bereiten sie bereits den Übergang zum Paradigma der dominant synchronen Sprachwissenschaft und ihren Rastern vor.

Die synchrone Sprachwissenschaft, die in Saussures Cours erstmals methodisch klar von der Diachronie unterschieden wird und als deren komplementärer Bereich er­scheint, Endet ihre unmittelbaren Vorfahren u.a. in der Sprachwissenschaft Whitneys und Gabelentz' . Beide bleiben zwar noch der 0'Eani;dtät-Metapher des 1 9 . Jahrhunderts verhaftet, sehen diese Organizität aber bereits als eine Struktur bzw. System. Diese No­tion wird von ihnen j eweils unterschiedlich ausgearbeitet: Whitney sieht das sprachliche System als das Produkt von Werten, die sich über sozial-kommunikativen Austausch konventionalisiert haben. Gabelentz sieht es als eine tabellarisch nach den Achsen von «synthetischem» und « analytischem System» angelegte Form des grammatischen Wis­sens. Damit wird einerseits Saussures Theorem der Arbitrarietät/Konventionalität des Zeichens, andererseits das Achsenkreuz von Syntagmatik und Paradigmatik vorwegge­nommen, das den Wechsel zum Raster anzeigt.

Wie im 19 . Jahrhundert die Arboreszenz durch den Widerhall aus Biologie und Phi­losophie gestützt wird, Endet auch der Wechsel zum Raster seine interdisziplinären Par­allelen. Er wird einerseits gestützt von dem Konzept relationaler Wertesysteme in den volkswirtschaftlichen Theorien von Mill und Marx. Wenn z.B. Marx ein komplexes Re­lationssystem von Tauschwert, Arbeitswert und Warenwert entwirft, so bedeutet dies zugleich eine Abstraktion von konkreten wirtschaftlichen Handlungen. Nicht der kon­krete historische Zusammenhang (wie im Entwicklungsparadigma der Biologie) steht im Vordergrund, sondern ein abstraktes Wertesystem <<hinter» den konkreten Phänomenen. Ein analoger Ansatz Endet sich in Durkheims Soziologie und bei Saussure (fangue-parole­Dichotomie, systeme de valeurs) . Das Wertesystem präsentiert sich in allen Fällen als koor­dinaten-, also rasterhaft konstituiert. Etwa zeitgleich mit der Entwicklung des Struktura-

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lismus ab Saussure findet man die Prinzipien des Rasters auch in der Kunst wieder. Punkt, Linie und Fläche, Nebeneinander und Gegenüber, die Kandinsky als komposito­rische Basiselemente definiert (und die sich auch bei Malewitsch, Mondrian und Magrit­te umgesetzt finden), bilden nicht nur den Kernpunkt der Abstraktionsbewegung in der bildenden Kunst, sondern ebenso den Kernpunkt des strukturalistischen Blicks auf die Sprache. Wenn Saus sure die valeurs über Identität und Differenz bestimmt, so heißt das, daß sich sprachliche Einheiten entlang der Achsen von Simile und Dissimile konstituie­ren, durch ein Nebeneinander zweiseitiger signes und ein Gegeneinander von einem signi­fie zu allen anderen signifies (bzw. von einem signifiant anderen signifiants) . Dieses axiale Muster findet sich ebenso im Konzept von Synchronie (als horizontalem Schnitt) und Diachronie (als vertikalem Schnitt « durch die Sprache») und in der Unterscheidung von rapports associatifs und rapports !Jntagmatiques - wobei letztere Gabelentz' tabellarisches Bild des « grammatischen Wissens» fortsetzt.

Die Prager Schule steht in der Nutzung des Rastermodelles nicht nach: Das kommu­tative carre Trubetzkoys, das Ausdrucks- und Inhaltsseite zweier Zeichen (eines Mini­malpaares) einander gegenüberstellt, um so differentiell die Phoneme als minimale Ein­heiten der Ausdrucksseite einer Sprache herauszuftltern, ist aus der Phonologie nicht wegzudenken. Daß die Inventarisierung der Phoneme einer Sprache in tabellarischer Form erfolgt, sei es in Form einer mit Phonemen aufgefüllten Tabelle (Trubetzkoy) oder in Form einer Plus-Minus-Matrix wie bei Jakobson und Halle, scheint - insbeson­dere mit Rückblick auf Wallis und Lodwick - selbstverständlich. Die Vielseitigkeit seiner Interessen führt Jakobson u.a. dazu, das Modell der Plus-Minus-Matrix auch auf die Analyse poetologischer Strukturen unter der Linearität des Textes anzuwenden (ähnlich den Saussureschen Anagrammstudien) . Darüber hinaus ist Jakobson ein Beispiel dafür, daß ein Forscher nicht zwingend demjenigen Paradigma verhaftet bleiben muß, das er selbst mitgestaltet hat. Nach seiner Emigration in die USA nimmt er Teil an generativen Betrachtungsweisen, wenn er zusammen mit Halle den implikativen Aufbau phonemi­scher Strukturen im Spracherwerb untersucht. Da dieser Ansatz von sukzessive sich entwickelnden phonemischen Oppositionen ausgeht, wandelt sich die bevorzugte Dar­stellungweise von der abstrakten Plus-Minus-Matrix zur generativen Arboreszenz.

Hjelmslev, den wir als Vertreter der Kopenhagener Schule untersucht haben, ist zweifelsohne der « mathematischste» unter den europäischen Strukturalisten. In seinem Bemühen um eine Algebraisierung der Sprachbeschreibung zeigt er deutliche Parallelen zu Harris. Zu diesem Zweck entwirft er u.a. mittels einer Kreuzklassifikation (bestehend aus den Schienen « Sprachachse: syntagmatisch, paradigmatisch» und « Relations art: In­terdependenz, Dependenz, Konstellation») ein Instrumentarium zur Beschreibung ver­schiedener sprachlicher Relationen. Saussures Achsenkreuz von Syntagmatik und Para­digmatik wird so grundsätzlich beibehalten. Allerdings reihen sich methoden theoretisch diese beiden Bereiche für Hjelmslev einander unter: Die deduktive Analyse muß nach Hjelmslev von der syntagmatischen Makroeinheit Text sich stufenweise vorarbeiten bis hin zu den paradigmatischen Größen « Silbe» und Phonem. Die deduktive Analyse von Makro- zu Mikroeinheiten schreitet im Wechsel von Komponentenanalyse und Zu­sammenfassung zu Klassen voran. Auf jeder Stufe setzen erneut deduktive Verzweigun­gen an und bringen so eine eigenwillige, sich nach unten verjüngende Arboreszenz her­vor. Im übrigen dominieren auch bei Hjelmslev die Raster, sichtbar an entsprechenden Anordnungen semantischer Kasusstrukturen, der Vorstellung von Sprache als projektivem

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Netz der Form und an den bekannten sprachvergleichenden semantischen Blockmatrices (z.B. zum Farbenspektrum im Walisischen und Englischen) .

Einen «Sonderfall» innerhalb der europäischen linguistik bildet die syntaxe structurale von Tesniere. Während das Gros des europäischen Strukturalismus sich auf paradigma­tische Strukturen konzentriert und dabei überwiegend mit dem Bild des Rasters arbeitet, unternimmt Tesniere eine Untersuchung syntagmatischer Strukturen, für die er die op­timale Form in arboreszenten Stemmata findet. Anders als die differentiellen Raster des strukturalistischen mainstreams (und natürlich anders als die deszendenten Arboreszenzen des 1 9 . Jahrhunderts) stellen diese Arboreszenzen nun dependen'?jelle Verhältnisse zwi­schen Satz funktionen dar. Diese Dependenzen werden, ansatzweise ähnlich wie in der generativen Grammatik, als eine Tiefenstruktur j enseits der Linearität des Satzes gedacht. Tesnieres Theorie bedeutet deshalb nicht nur eine bildliche, sondern auch eine inhaltli­che Entfernung vom klassischen europäischen Strukturalismus. Wo Saussure eine (axia­le) Dichotomie von Syntagmatik und Paradigmatik sieht, rückt nun die Dichotomie von Syntagmatik (linearität des Satzes) und Syntax (als arboreszente «Tiefen»-Struktur) in den Vordergrund. Die Idee der Tiefenstruktur verbindet Tesnieres Ansatz grundsätzlich mit der generativen Grammatik - für uns neben dem Wechsel der Bildvariante Grund genug, Tesniere nicht dem Kapitel zum europäischen Strukturalismus zuzuordnen. Die Ähnlichkeit der Konzeptionen von Tiefenstruktur endet j edoch dort, wo Tesniere die Verzweigungspunkte (die syntaktisch-semantische Funktionen repräsentieren) seiner Stemmata unmittelbar mit Satzkonstituenten auffüllt, so daß seine Theorie letztlich eine Formulierung der Relation zwischen Tiefe und Oberfläche schuldig bleibt. Der Bezug zwischen Tiefe und Oberfläche beschäftigt Tesniere ausschließlich im Hinblick auf die Sprachtypologie. Sprachen, deren Satzlinearität die arboreszente Ordnung vom Unter­geordneten zum Übergeordneten wiedergibt, faßt er als «zentripetale» Sprachen zusam­men - Sprachen, deren Satzlinearität die arboreszente Ordnung vom Übergeordneten zum Untergeordneten wiedergibt, nennt er «zentrifuga1>. So gelangt er zu einer arbores­zenten Sprachenklassifikation nach syntaktisch-stemma tischen Kriterien, die sich mit der Entwicklungsarboreszenz der vergleichenden Sprachwissenschaft nicht deckt.

Während Arboreszenzen im europäischen Strukturalismus insgesamt keine zentrale Rolle übernehmen, zeichnet sich in der Entwicklung der US-linguistik schon rasch ein deutlicher Trend zur Arboreszenz ab. Anders als bei den europäischen sprachwissen­schaftlichen Paradigmen, wo j ede Bildvariation mit einem transdiziplinären Widerhall einhergeht, ist dies für die Entwicklung in den USA nicht der Fall. Obwohl Bloomfield Wundt und die europäischen Strukturalisten rezipiert, und ab den SOer Jahren eine ge­wisse Beeinflussung der Linguistik durch mathematische Kommunikationstheorien und maschinelle Sprachverarbeitung (Harris, Chomsky) festzustellen ist, scheint anfänglich für die Paradigmenentwicklung doch die disziplininterne Konfrontation mit dem neuen Objekt Indianersprachen (Boas, Sapir) richtungsweisend gewesen zu sein. Sie zwingt die junge amerikanische Linguistik, Analysemethoden zu entwickeln, die allein vom gespro­chenen Satz ausgehen und auf keine externen Vergleichsmöglichkeiten (z.B. aus anderen Sprachen) zurückgreifen.

So entstehen bei Sapir erste Konstituentenanalysen, die sich wie die späteren IC­Analysen Bloomfields von Anfang an weitgehend an der traditionellen Subjekt-Prädikat­Dichotomie (die die Basisverzweigung bestimmt) orientieren. Die sukzessive Verschie­bung von einem völkerpsychologischen Ansatz (Sapir) zu einer wahrnehmungpsycholo-

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gis ehen und schließlich behavioristischen Deutung der arboreszenten Satz struktur (Bloomfield) findet mit dem algebraischen Distributionalismus Harris' ein jähes Ende. Nichtsdestoweniger bleibt die Dominanz arboreszenter Strukturen weitgehend erhalten.

Beispielsweise erweisen sich Harris' Blockdiagramme zur Ko-Okkurrenz von Mor­phem- und Phonemklassen bei genauem Hinsehen als Arboreszenzen mit Links-Rechts­Orientierung entsprechend des linearen Ablaufes der utterance. Und obwohl Harris in der Entwicklung der Transformationstheorie übergangsweise auf Parallelisierungen von Sätzen (und ergo Raster) zurückgreift, mündet dies schließlich doch in decomposition lattices, die die transformationelle Erzeugung (oder Analyse) eines komplexen Satzes aus Kernsätzen darstellen (ebenso wie Chomskys T-Marker) . Daß diese transformationellen Arboreszenzen als «Gittet» bezeichnet werden, verdanken sie lediglich der graphischen Konvention, Verzweigungen rechtwinklig darzustellen.

Zu den berühmtesten linguistischen Arboreszenzen dürften zweifelsohne die Phra­senstrukturbäume (p-Marker) Chomskys zählen. Chomsky entwirft sie zunächst als Ge­genmodell zu den Links-Rechts-orientierten computing trees der finite state grammar. (Die Darstellung kann dabei als Arboreszenz, in rewriting rules oder in Klammernotation erfol­gen.) Anders als bei Tesniere wird der Bezug zwischen hierarchischer Satzstruktur und Linearität (Oberflächenstruktur) durch morphophonematische Umschreibungsregeln expliziert. Als dieses Modell seine Schwächen im Bereich der Semantik offenbart, wer­den die «Auffüllungsregelrl» für die Oberflächenstruktur in Anlehnung an Katz und Fodor um semantische Merkmale erweitert, deren Herleitung zum Teil (aber nicht zwingend) ebenfalls über Arboreszenzen erfolgt. Die Hierarchie des grammar trees umfaßt damit syntaktische Verzweigungen und, an diese anschließend, Verzweigungen in se­mantische Merkmale. Aufgrund der daraus resultierenden graphischen Komplexität wird die I<lammernotation mehr und mehr bevorzugt. Baumdiagramme anderer Art entste­hen allerdings mit den Transformations-Markern, die die transformationelle Geschichte eines Satzes (aus linearen und einbettenden Transformationen) aufzeichnen, ähnlich den lattices von Harris.

Schon sehr früh sieht Chomsky in den generativen grammar trees nicht nur ein Be­schreibungsmodell, sondern die Repräsentation eines im mind verankerten sprachlichen Wissens. Damit wendet er sich gegen Harris' Antimentalismus und gegen die behaviori­stische Psychologie. Für seine psycholog) of mind, als deren Teil die Sprachwissenschaft zu sehen sei, findet er den zeitübergreifenden «Widerhalb> bei Descartes und der Gramma­tik von Port-Royal. Konsequenz ist, daß der generative tree als tree of mind verstanden wird, der teilweise auf universelle grammatische Strukturen zurückzuführen sei. Die Struktur einer solchen universalen Grammatik sieht Chomsky angesichts der Fortschritte in der Biologie, Hirn- und Genforschung zunehmend physisch verankert. Sie beruhe auf der evolutiven Entwicklung des Menschen, sei neuronal fixiert und Teil des «genetischen Programmes» des Menschen. Insgesamt bietet Chomsky damit ein Musterbeispiel für die Wiederkehr der Bilder, für interdisziplinären Widerhall und das perspektivische tdtonnement geisteswissenschaftlicher Paradigmenentwicklung. Er knüpft an traditionelle grammatische Einteilungen an (wie Subjekt/Prädikat) und auch an das evolutorische Paradigma des 1 9 . Jahrhunderts. Er verbindet beide, indem er mind und brain gleichsetzt und als Produkt einer «inneren Kausalität» (des genetic program) interpretiert.

Soweit unser Rückblick auf den «WalcD>. Schwierig steht es um den «Ausblick», auf den jeder Spaziergänger doch hofft. Auf welche «Gesetzmäßigkeite!l» könnten wir zäh-

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len, die uns eine Prognose erlaubten? Gezeigt hat unsere Untersuchung, daß Raster und Arboreszenz als eng verwandte Bildvarianten sich wechselseitig ablösen - auch wenn diese Ablösungen mit durchaus beträchtlichen motivischen Durchbrechungen (auch bei einer Dominanz der Arboreszenz erscheinen Raster und umgekehrt) bzw. zeitlichen Überschneidungen einhergehen. Gezeigt hat sie auch, daß die Etablierung einer Bild­dominanz eines interdisziplinären Widerhalls bedarf, daß der Bilderwechsel geogra­phisch gespalten sein kann - und daß die Reinterpretationen möglicherweise immer schneller aufeinander folgen werden. Bevor wir also darüber spekulieren, ob, wo und wie nun womöglich wieder das Raster an der Reihe sei - warten wir ab, auf welchem Baum sich Yeats' Raben niederlassen - vielleicht ist es ja auch das freie Feld.

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Bibliographie

Die Angaben zum ersten Erscheinen wie [' 1 905] dienen der zeitlichen Einordnung des jeweili­gen Textes . Sie beziehen sich deshalb auf die Erstpublikation des j eweiligen Textes, nicht der angeführten Ausgabe. Bei Anthologien ist der Zeitraum der Erstpublikationen der abgedruckten Texte angegeben. Bei Manuskripten, die so spät publiziert wurden, daß ihr Erscheinungsdatum nicht mehr als repräsentativ für ihren chronologischen Entstehungszusammenhang gelten kann, ist das Jahr der Niederschrift bzw. des Vortrages angegeben (cE. auch die Zeittafel ausgewählter Texte).

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Zeittafel ausgewählter Texte

Die Jahresangaben beziehen sich auf die Erstpublikation des jeweiligen Textes . Bei Texten, deren Erscheinungsdarum nicht repräsentativ für ihren chronologischen Entstehungszusam­menhang ist, wird das Jahr der Niederschrift bzw. des Vortrages angegeben.

1 303 (ca.) 1 528 1 549 1 550 1 562 1 603 1 605 1 606 1 620 1 641 1 644 1 653 1 660 1 686 1 690 1 725 1 738 1 746 1751 - 1 780 1 755 1 759 1 761 1 765

1 767 1 768 1 774 1 787 1 790 1 803 1 808 1 8 1 6 1 8 1 8 1 824-1 826 1 830 1 833 1 836 1 842 1 848

1 853-1 855 1 855 1 859 1 859-1 863 1 861

Dante, De vulgari eloquentia Agricola, De inventione dialectica libris tres Du Bellay, La deffence et illustration de la langue francoyse Meigret, Le Traite de la Grammaire franfaise Ramee, Gramere Bacon, Valerius Terminus. Von der Interpretation der Natur Bacon, The Advancement ofLearning Scaliger, Thesaurus Temporum Bacon, Novum Organon Descartes, Meditations mitaphysiques Descartes, Les Pn'ncipes de la philosophie Wallis, Grammar of the English Language Arnauld/Lancelot, Grammaire generale et raisonnee Lodwick, An Essay Towards An Universal Alphabet Locke, An Essay Concerning Human U nderstanding Vico, La Scienza nuova prima Linne, Classes plantarum Condillac, Essai sur I'origine des connoissances humaines Diderot/ d'Alembert, Encyclopedie Kant, Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels d' Alembert, Essai sur les tlements de philosophie Srnith, Considerations Concerning the First Formation of Languages Leibniz, Nouveaux essais sur I'entendement humain (pos rum) de Brosses, Traiti de la formation mecanique des langues Beauzee, Grammaire generale ou exposition raisonnee des tlements necessaires du langage Maupertuis, ReJlexions philosophiques sur I'origine des langues et la signification des mots Court de Gebelin, Monde primitif, analyse et compare avec le monde moderne Linne, Termini botanici Kant, Kritik der Urteilskraft Desrutt de Tracy, Elements d'ideologie / Grammaire Schlegel, Über die Sprache und Weisheit der Indier Bopp, Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache Rask, Von der Etymologie überhaupt Humboldt, Grundzüge des allgemeinen Sprachtypus Comte, Cours de philosophie positive Bopp, Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Zent/, Griechischen, Lateinischen . . . Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues Madvig, Ueber Wesen, EntJvickeiung und Leben der Sprache Mill, Principles of Political Economy Schleicher, Sprachvergleichende Untersuchungen Spencer, The Principles of Sociolo!!JI Steinthai, Grammatik, Logik und Psychologie, ihre Prinzipien und Ihr Verhältnis '(!teinander Darwin, The Origin of Species by Means ofNatural Selection Pictet, Les ong,ines indo-europeennes ou les Aryas primitifs Schleicher, Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen

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1 863

1 863-1 864 1 866 1 867

1 868

1 870 1 871 1 875 1 877 1 878 1 879 1 880 1 883 1 884-1 890 1 885 1 886 1 891 1 895 1 900 1 904 1 907-191 1 1 9 1 1 1 9 1 2 1 9 1 4 1 9 1 7 1 9 1 8 1 921 1 922 1 925

1 926

1 933 1 934 1 935 1 935-1 937 1 939 1 943 1 945 1951

1 952 1 955 1 956 1 957

1 959

Schleicher, Die Danvinsche Theorie und die SprachwissCflschaft Lyell, The Geological EvidCflces of the Antiquity of Man Spencer, The PrifICiples ofBiolo!!J Haeckel, Generelle M01'hologie Marx, Das Kapital Whitney, Language and the Study ofLanguage Chavee, La seience positive des langues indo-europeCflfICs Haeckel, Natürliche Schopfungsgeschichte Scherer, Zur Geschichte der deutschen Sprache Curtius, Bemerkungen über die Tragweite der Lautgesetze Darwin, The DescC11t of Man and S election in Relation to Sex Whitney, The Uft and GrOlvth ofLanguage

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Steinthai, Der Ursprung der Sprache im Zusammenhange mit den letzten Fragen allen Wissens Osthoff/Brugmann, M01'hologische Untersuchungen Osthoff, Das physiologische und psychologische Moment in der sprachlichen Formenbildung Paul, Prin::(jpien der Sprachgeschichte Schrader, Sprachvergleichung und Urgeschichte Pott, Einleitung in die Allgemeine Sprachlvissenschaft Schuchardt, Über die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker Darmesteter, La vie des mots itudiie dans leurs significations Gabelentz, Die Sprachwissenschaft Durkheim, Les regles de la methode soeiologique Wundt, Volke1'sychologie / Die Sprache Brugmann, Kurze vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen de Saus sure, Cours de linguistique generale Boas, Introduction to the Handbook of American Indian Languages Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst Bloomfield, An Introduction to the S tudy of Language Schuchardt, Sprachvenllandtschaft Brugmann, Verschiedenheit der Sat'?j!,estaltung nach Maßgabe . . .

Sapir, Language Malewitsch, Suprematismus - Die gegenstandslose Welt Brugmann, Die Syntax des einfachen Satzes im Indogermanischen Weiss, A Theoretical Basis ofHuman Behavior Kandinsky, Punkt und Unie Zu Fläche Bloomfield, A Set ofPostulates Jor the Seience ofLanguage Bloomfield, Language Bühler, Sprachtheorie Zipf, The Psycho-Biolo!!J ofLanguage Hjelmslev, La categorie des cas Trubetzkoy, Grundzüge der Phonologie Hjelmslev, Prolegomena to a Theory ofLanguage Voegelin/Harris, Index to the Franz Boas Collection of Materials Jor American Unguistics Harris, S tnlctural Unguistics Jakobson/Fant/Halle, Preliminaries to Speech Analysis Harris, Discourse Analysis Harris, Co-occurrence and Transformation in Unguistic Structure Jakobson/Halle, Fundamentals ofLanguage Chomsky, Syntactic S/mett/res Uldall, Outline of Glossematics Skinner, Verbal Behavior Halle, The Sound Pattern ofRussian Tesniere, Elements de s)'ntaxe structurale

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Fachsprachenforsch u n g

Petra Drewer Die kogn itive Metapher als Werkzeug des Denkens Zur Rol le der Analogie be i der Gewi nnung und Vermittl ung wissenschaftl icher E rken ntn isse Forum tü r Fachsprachen-Forschu n g 62, 2003, X I I , 422 Seiten , € 68 ,-/S Fr 1 1 5 ,-I S B N 3-8233-600 1 -9

Welche F u n ktion haben Metaphern im E rkenntn isprozess? Lassen sich

neue E rke n ntn isse überhaupt ohne Rückg riff auf M etaphern gewi n ­

n e n ? U n d inwiefern tragen M etaphern d a z u b e i , wissenschaft l iche

E rke n ntn isse sach- u n d zugle ich ad ressatengerecht zu ve rm itte l n ?

E i n e kog n it iv- l i n g u ist ische M etap h e r n a n a lyse vo n Fachtexten d e r

Astrophys i k weist nac h , dass metaphorisches D e n ke n u n d S p rechen

auch i n "harten" Natu rwissenschafte n al le Phasen des wissenschaft­

l i c h e n E rken n t n i s p rozesses d u rchzieht : von d e r G ewi n n u n g n e u e r

E rke nntn isse über d e r e n kogn it ive Verarbeitu ng b is h i n zu i h re r sprach­

l ichen Darste l l u n g und i h re r Verm ittl u n g . Kog n it ive M e taphern model le

s i n d konzept u e l l u n d sprach l ich u nve rz ichtbar.

D ie Arbeit verfo lgt e i n e n betont interd i szi p l i n ären Ansatz u n d ist f ü r

L ingu isten e b e n s o v o n I nteresse wie für Astrophysi ke r u n d andere

N atu rwissenschaft ler, dere n metaphorische D e n k- u n d Sprechm uster

analys i e rt werd e n , f ü r E rken ntn istheoret ike r, wei l s ie Wege d e r analo­

gischen E rke n ntn isgewi n n u n g u n d Theori e b i l d u n g nachvol lz ieht , und

n icht z u l etzt für Wissenschaftsjournal isten u n d Fachdidakt ike r, d ie in

d i esem Buch prakti kable H i nweise zur Anwe n d u n g i n der Wissensver­

mitt l u n g f inde n .

Narr Francke Attempto Verlag Postfach 2567 . D-720 1 5 Tübingen . Fax (0707 1 ) 75288 I nternet: http://www. narr.de · E·Mai l : info @ narr. de

Page 386: Die Wiederkehr Der Bilder

Sprachwissenschaft

Andtas Keri:esz

Studien zur naturaliSierten \'Vi�'ien.�aftslheoric

Andras Kertesz

Phi losoph ie der Li ngu isti k Stud ien zur natu ral is ierten Wissenschaftstheorie 2004, 439 Seiten, € 68,-/S Fr 1 1 5 ,­ISBN 3-8233-6047-7

Bekan nt l ich sp ie lten wissenschaftstheoretische Ü ber leg u n g e n bei d e r

E ntstehung der modernen theoretischen L ingu istik e i n e fruchtbare und

konstruktive Rol le . H e ute dagegen s i n d d ie beiden Den krichtu ngen

d u rch e i n e tiefe Kl uft voneinander getrennt Während i n der Wissen­

schaftstheorie rad i kale und p rogress ive Ve ränderungen vor s ich ge­

hen , n i m mt d ie theoretische Li n g u isti k d i ese kau m z u r Ken ntn is und

hält an Vor u rte i len fest, d ie im Lichte heut igen wissenschaftstheoreti­

schen Denkens n icht mehr zeitgemäß sind. Das vor l iegende Buch setzt

s ich zum Zie l , d iese Kl uft d u rch e i n e H e u rist ik zu überbrücke n , welche

d ie Anwe n d u n g untersch iedl icher Ansätze zur Wissenschaftstheorie

der L ingu ist i k ermögl icht. Dabei wird d ie Leist u ngsfähigkeit u .a. wis­

senssoziologischer, kognit ionswissenschaftl icher, pragmatischer, arg u ­

mentationstheoretischer sowie logischer Ansätze an h a n d zah l re icher

Fal lstud ien veranschaul icht. I n der Summe e rg i bt s ich so e i n e grund­

sätzl iche Neubewe rtun g vieldiskutie rter Probleme i n be iden Bereichen :

i n d e r gegenwärtigen Wissenschaftstheorie ebenso wie i n der l i n g u isti­

schen Theorieb i l d u n g .

Narr Francke Attem pto Verlag Postfach 2567 . D-720 1 5 Tübingen . F a x (0707 1 ) 75288 I nternet: http://www. narr .de · E-Ma i l : info @ narr.de