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Albert Hofmann

LSD – mein Sorgenkind

Die Entdeckung einer»Wunderdroge«

Klett-Cotta

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© 1979 by J. G. Cotta’sche BuchhandlungNachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehaltenPrinted in Germany

Unter Verwendung der Fotografie »Strings of Life«, 1999 von Wolfgang Tillmans,

mit freundlicher Genehmigung vonGalerie Buchholz, Köln

Gesetzt aus der Melior von Elstersatz, WildfleckenAuf säure- und holzfreiem Werkdruckpapier gedruckt

und gebunden von Kösel, KrugzellISBN 978-3-608-94618-5

Dritte Auflage, 2010

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in

der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Der Autor:

Albert Hofmann (1906–2008) studierte Chemie an der UniversitätZürich. Von 1929 bis 1971 war er Forschungschemiker in denpharmazeutischen Laboratorien der Sandoz AG Basel, zuletzt alsLeiter der Abteilung Naturstoffe. Im Mittelpunkt seiner Arbeitstanden Untersuchungen über Wirkstoffe von Arzneipflanzen wieMutterkorn, Meerzwiebel, Rauwolfia und mexikanische Zauber-drogen, aus denen bewährte Arzneimittel und psychoaktive Sub-stanzen hervorgegangen sind.

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Vorwort zur Ausgabe von 1993, 50 Jahre nach der

Entdeckung von LSD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

1 Wie LSD entstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 LSD im Tierversuch und in der biologischen

Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Die chemischen Abwandlungen von LSD . . . . . 434 Anwendung von LSD in der Psychiatrie . . . . . . 475 Vom Heilmittel zur Rauschdroge . . . . . . . . . 636 Gefahren bei nicht-medizinischen LSD-Versuchen 747 Der Fall Dr. Leary . . . . . . . . . . . . . . . . . . 828 Fahrten in den Weltraum der Seele . . . . . . . . 909 Die mexikanischen Verwandten von LSD . . . . . 113

10 Auf der Suche nach der ZauberpflanzeSka Maria Pastora . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

11 Einstrahlung von Ernst Jünger . . . . . . . . . . . 16112 Begegnung mit Aldous Huxley . . . . . . . . . . . 18413 Korrespondenz mit dem Dichter-Arzt Walter Vogt 19114 Besucher aus aller Welt . . . . . . . . . . . . . . . 20015 LSD-Erfahrung und Wirklichkeit . . . . . . . . . 206

Formelschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

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Vorwort

Es gibt Erlebnisse, über die zu sprechen die meisten Men-schen sich scheuen, weil sie nicht in die Alltagswirklich-keit passen und sich einer verstandesmäßigen Erklärungentziehen. Damit sind nicht besondere Ereignisse in derAußenwelt gemeint, sondern Vorgänge in unserem Inneren,die meistens als bloße Einbildung abgewertet und aus derErinnerung verdrängt werden. Das vertraute Bild der Um -gebung erfährt plötzlich eine merkwürdige, beglückendeoder erschreckende Verwandlung, erscheint in einem ande-ren Licht, bekommt eine besondere Bedeutung. Ein solchesErlebnis kann uns nur wie ein Hauch berühren oder abersich tief einprägen.

Aus meiner Knabenzeit ist mir eine derartige Verzaube-rung ganz besonders lebendig in der Erinnerung geblie-ben. Es war an einem Maimorgen. Das Jahr weiß ich nichtmehr, aber ich kann noch auf den Schritt genau angeben,an welcher Stelle des Waldweges auf dem Martinsbergoberhalb von Baden (Schweiz) sie eintrat. Während ichdurch den frisch ergrünten, von der Morgensonne durch-strahlten, von Vogelgesang erfüllten Wald dahinschlen -derte, erschien auf einmal alles in einem ungewöhnlichklaren Licht. Hatte ich vorher nie recht geschaut, und sahich jetzt plötzlich den Frühlingswald, wie er wirklich war?Er erstrahlte im Glanz einer eigenartig zu Herzen gehen-den, sprechenden Schönheit, als ob er mich einbeziehenwollte in seine Herrlichkeit. Ein unbeschreibliches Glücks -gefühl der Zugehörigkeit und seligen Geborgenheit durch-strömte mich.

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Wie lange ich gebannt stehenblieb, weiß ich nicht, aberich erinnere mich der Gedanken, die mich beschäftigten, alsder verklärte Zustand langsam dahinschwand und ich wei-terwanderte. Warum dauerte die beseligende Schau nichtweiter an, da sie doch eine durch unmittelbares, tiefes Er -leben überzeugende Wirklichkeit offenbart hatte? Und wiekonnte ich, wozu mich meine überquellende Freude dräng-te, jemandem von meinem Erlebnis berichten, da ich dochsogleich spürte, daß ich keine Worte für das Geschautefand? Es schien mir seltsam, daß ich als Kind etwas so Wun-derbares gesehen hatte, das die Erwachsenen offensichtlichnicht bemerkten, denn ich hatte sie nie davon reden hö -ren.

In meiner späteren Knabenzeit hatte ich auf meinenStreifzügen durch Wald und Wiesen noch einige solchebeglückende Erlebnisse. Sie waren es, die mein Weltbild inseinen Grundzügen bestimmten, indem sie mir die Ge -wißheit vom Dasein einer dem Alltagsblick verborgenen,unergründlichen, lebensvollen Wirklichkeit gaben.

Oft beschäftigte mich damals die Frage, ob ich vielleichtspäter als Erwachsener fähig sein würde, anderen dieseErfahrungen mitzuteilen, ob ich als Dichter oder Maler dasGeschaute darzustellen vermöchte. Aber ich fühlte michweder zu dem einen noch zu dem anderen berufen, und sowürde ich wohl diese Erlebnisse, die mir so viel bedeuteten,für mich behalten müssen.

Auf unerwartete Weise, aber kaum zufällig, ergab sich erstin der Mitte meines Lebens ein Zusammenhang zwischenmeiner beruflichen Tätigkeit und der visionären Schau mei-ner Knabenzeit.

Ich bin Chemiker geworden, weil ich Einblick in den Bauund das Wesen der Materie gewinnen wollte. Mit der Pflan-zenwelt seit früher Kindheit eng verbunden, wählte ich alsArbeitsgebiet die Erforschung der Inhaltsstoffe von Arznei-pflanzen, wozu sich in den pharmazeutisch-chemischen

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Laboratorien der Sandoz AG in Basel Gelegenheit bot. Dabeistieß ich auf psychoaktive, Halluzinationen erzeugendeSubstanzen, die unter bestimmten Bedingungen den ge -schilderten spontanen Erlebnissen ähnliche visionäre Zu -stände hervorzurufen vermögen. Die wichtigste dieser hal-luzinogenen Substanzen ist unter der Bezeichnung »LSD«bekannt geworden. Halluzinogene fanden als wissenschaft-lich interessante Wirkstoffe Eingang in die me di zinischeForschung, in die Biologie und Psychiatrie und erlangtenspäter auch in der Drogenszene weite Verbreitung, vor allemLSD.

Beim Studium der mit diesen Arbeiten in Zusammen-hang stehenden Literatur lernte ich die große, allgemeineBedeutung der visionären Schau kennen. Sie nimmt einenwichtigen Platz ein, nicht nur in der Geschichte der Religio-nen und in der Mystik, sondern auch im schöpferischenProzeß, in Kunst, Literatur und Wissenschaft. Neuere Unter-suchungen haben ergeben, daß viele Menschen auch im täg-lichen Leben visionäre Erlebnisse haben, aber ihren Sinnund Wert meistens nicht erkennen. Mystische Erfahrungen,wie ich sie in meiner Kindheit hatte, scheinen gar nicht soselten zu sein.

Visionäres Erkennen einer tieferen, umfassenderen Wirk-lichkeit als der, welche unserem rationalen Alltagsbewußt-sein entspricht, wird heute auf ver schiedenen Wegen ange-strebt, und zwar nicht nur von Anhängern östlicher religiöserStrömungen, sondern auch von Vertretern der Schulpsychia-trie, die ein solches Ganzheitserlebnis als heilendes Grund-element in ihre Therapie einbauen.

Ich teile den Glauben vieler Zeitgenossen, daß die geisti-ge Krise in allen Lebensbereichen unserer westlichen Indu-striegesellschaft nur überwunden werden kann, wenn wirdas materialistische Weltbild, in dem Mensch und Umweltgetrennt sind, durch das Bewußtsein einer alles bergendenWirklichkeit ersetzen, die auch das sie erfahrende Ich ein-

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schließt und in der sich der Mensch eins weiß mit der leben-digen Natur und der ganzen Schöpfung.

Alle Mittel und Wege, die zu einer solchen grundlegen-den Veränderung des Wirklichkeitserlebens beitragen kön-nen, verdienen daher ernsthafte Be achtung. Dazu gehörenin erster Linie die verschiedenen Methoden der Meditationin religiösem oder weltlichem Rahmen, deren Ziel es ist, einmystisches Ganzheitserlebnis herbeizuführen und dadurchein solches vertieftes Wirklichkeitsbewußtsein zu erzeugen.Ein anderer wichtiger, aber noch umstrittener Weg zum glei-chen Ziel ist die Nutzbarmachung der bewußtseinsverän-dernden halluzinogenen Psychopharmaka. So kann LSD inder Psychoanalyse und Psychotherapie als Hilfsmittel die-nen, um dem Patienten seine Probleme in ihrer wirklichenBedeutung bewußtzumachen.

Die geplante Hervorrufung mystischer Ganzheitserlebnis-se, besonders durch LSD und verwandte Halluzinogene, istim Unterschied zu spontanem visionären Erleben mit nichtzu unterschätzenden Gefahren verbunden: eben dann,wenn dem spezifischen Wirkungscharakter dieser Substan-zen, ihrem Vermögen, den innersten Wesenskern des Men-schen, das Bewußtsein, zu beeinflussen, nicht Rechnunggetragen wird. Die bisherige Geschichte von LSD zeigt zurGenüge, was für katastrophale Folgen es haben kann, wennseine Tiefenwirkung verkannt wird und wenn man diesenWirkstoff mit einem Genußmittel verwechselt. Besondereinnere und äußere Vorbereitungen sind notwendig, damitein LSD-Versuch ein sinnvolles Erlebnis werden kann.Falsche und mißbräuchliche Anwendung haben LSD fürmich zu einem rechten Sorgenkind werden lassen.

In diesem Buch möchte ich ein umfassendes Bild vonLSD, von seiner Entstehung, seinen Wirkungen und Anwen-dungsmöglichkeiten geben und vor den Gefahren warnen,die mit einem Gebrauch verbunden sind, der dem außerge-wöhnlichen Wirkungscharakter dieser Substanz nicht Rech-

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nung trägt. Wenn man lernen würde, die Fähigkeit von LSD,unter geeigneten Bedingungen visionäres Erleben hervorzu-rufen, in der medizinischen Praxis und in Verbindung mitMeditation besser zu nutzen, dann könnte dieses neuartigePsychopharmakon, glaube ich, von einem Sorgenkind zumWunderkind werden.

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Vorwort zur Ausgabe von 1993, 50 Jahre nach der Entdeckung von LSD

Am Schluß des vor achtzehn Jahren verfaßten Vorwortswurde der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß aus dem Sor-genkind LSD ein Wunderkind werden könnte, wenn manlernen würde, seine außergewöhnlichen psychischen Wir-kungen besser zu nutzen.

Doch LSD ist ein Sorgenkind geblieben.Nachdem LSD fast ausschließlich in der Medizin und in

der biologischen Forschung angewandt worden war, gerietes in den sechziger Jahren in die Drogenszene und war eineZeitlang, vor allem in den USA, die Droge Nummer l, wasMassenkonsum und die damit zusammenhängenden Pro-bleme betrifft. Die Gesundheitsbehörden erließen darauf-hin ein drakonisches Verbot, das die Verwendung von LSDund verwandten Substanzen auch in der medizinischenPraxis, in der Psychiatrie und Psychologie untersagte –dieses Verbot gilt heute noch. So kam die medizinischeAnwendung zum Stillstand, aber der Gebrauch in privatenKreisen geht weiter, mit allen Gefahren und negativenBegleitumständen eines in die Illegalität verdrängten Kon-sums.

Bemühungen von seiten der Psychiatrie bei den Gesund-heitsbehörden, LSD für die medizinische Anwendung wie-der freizugeben, sind bis jetzt er folglos geblieben. Das istschwer verständlich, denn die vorliegenden Erfahrungenzeigen, daß der Gebrauch im medizinischen Rahmen gefahr-los ist und daß LSD in der Psychiatrie als medikamentösesHilfsmittel nutzbringend eingesetzt werden kann.

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Das Verbot erscheint auch in einem anderen Licht frag-würdig, nachdem in gewissen mexikanischen Zauberdro-gen, die seit Jahrtausenden medizinisch angewendet wer-den, LSD-ähnliche Wirkstoffe aufgefunden wurden. Hierliegt ein Erfahrungsschatz mit diesen Substanzen vor, den eszu berücksichtigen gilt.

Es ist kein Zufall, daß es LSD war, das diese Drogen fürdie chemische Untersuchung in mein Laboratorium geleitethat. Es war die Ähnlichkeit in der psychischen Wirkungdieser Zauberpflanzen und von LSD, was die Ethnologenund Botaniker, die ihren Gebrauch bei den Indianern in dengebirgigen Regionen Südmexikos erforscht hatten, veranlaß-te, die chemische Analyse dem Laboratorium, in dem LSDentdeckt worden war, zu übertragen. Die Analyse ergab dasüberraschende Resultat, daß die chemische Struktur der ausdiesen Pflanzen isolierten Wirkstoffe der Struktur des LSDnah verwandt ist.

Daraus ergab sich der bedeutsame Befund, daß LSD che-misch und nach der Art seiner psychischen Wirkungen zurGruppe der mexikanischen Zauberdrogen gehört.

So fand das Abenteuer der Entdeckung von LSD fünfzehnJahre später eine überraschende Fortsetzung in der span-nenden Erforschung alter Zauberdrogen, deren Schilderungeinen großen Teil des vorliegenden Buches ausmacht.

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Wie LSD entstand

Dans les champs de l’observation

le hasard ne favorise que les esprits préparés.Louis Pasteur

Immer wieder wird gesagt und geschrieben, LSD sei eineZufallsentdeckung. Das ist nur teilweise richtig, denn eswurde im Rahmen einer planmäßigen Forschung herge-stellt, und erst später kam der Zufall ins Spiel: Als LSDschon fünf Jahre alt war, erfuhr ich seine unerwarteten Wir-kungen am eigenen Leib – richtiger gesagt, am eigenenGeist.

Wenn ich in Gedanken Rückschau auf meine beruflicheLaufbahn halte, um all die richtunggebenden Entscheidun-gen und Ereignisse zu ermitteln, die schließlich meineTätigkeit in jenes Forschungsgebiet leiteten, in dem ich LSD synthetisierte, dann führt das zurück bis zur Wahl des Ar -beits platzes nach dem Abschluß meines Chemiestudiums:Hätte ich mich an irgendeiner Stelle anders entschieden,dann wäre jene Wirksubstanz, die unter der Bezeichnung»LSD« weltbekannt geworden ist, sehr wahrscheinlich imUn erschaffenen geblieben. Ich muß daher, wenn ich dieEntstehungsgeschichte von LSD erzählen will, auch meineLaufbahn als Chemiker, mit der sie unlösbar verknüpft ist,kurz schildern.

Ich trat im Frühjahr 1929 nach Abschluß des Chemiestu-diums an der Universität Zürich in das pharmazeutisch-chemische Forschungslaboratorium der Firma Sandoz inBasel ein als Mitarbeiter von Professor Dr. Arthur Stoll, dem

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Gründer und Leiter der pharmazeutischen Abteilung. Ichwählte diesen Arbeitsplatz, weil sich mir hier die Gelegen-heit bot, über Naturstoffe zu arbeiten. Stellenangebote vonzwei anderen Unternehmen der Basler chemischen Indu-strie lehnte ich ab, weil ich dort auf dem Gebiet der synthe-tischen Chemie hätte tätig sein müssen.

Erste chemische Arbeiten

Meine Vorliebe für die Chemie der Tier- und Pflanzenwelthatte schon das Thema meiner Doktorarbeit bei ProfessorPaul Karrer bestimmt. Mit Hilfe des Magendarmsaftes derWeinbergschnecke war mir erstmals der enzymatische Ab -bau des Chitins gelungen, der Gerüstsubstanz, aus der diePanzer, Flügel und Scheren der Insekten, der Krebse undanderer niederer Tiere aufgebaut sind. Aus dem beim Abbauerhaltenen Spaltprodukt, einem stickstoffhaltigen Zucker,konnte die chemische Struktur von Chitin abgeleitet wer-den, die derjenigen der pflanzlichen Gerüstsubstanz Cellulo -se analog ist. Dieses wichtige Ergebnis der nur drei Monatedauernden Untersuchung führte zu einer »mit Auszeich-nung« bewerteten Doktorarbeit.

Bei meinem Eintritt in die Firma Sandoz war der Perso-nalbestand der pharmazeutisch-chemischen Abteilung nochrecht bescheiden. In der Forschung arbeiteten vier, in derProduktion drei Chemiker mit Akademikergrad.

Im Stollschen Laboratorium fand ich eine Tätigkeit, diemir als Forschungschemiker sehr zusagte. Professor Stollsetzte sich zum Ziel, mit schonenden Methoden die unver-sehrten wirksamen Prinzipien aus bewährten Arzneipflan-zen zu isolieren und in reiner Form darzustellen. Das istbesonders sinnvoll bei Arzneipflanzen, deren Wirkstoffeleicht zersetzlich sind und deren Wirkstoffgehalt großenSchwankungen unterworfen ist, was einer exakten Dosie-rung entgegensteht. Liegt aber der Wirkstoff in reiner Form

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vor, dann ist die Voraussetzung für die Herstellung einesstabilen, mit der Waage genau dosierbaren pharmazeuti-schen Präparates gegeben. Aus solchen Überlegungen hatteStoll altbekannte, wertvolle pflanzliche Drogen wie denFingerhut (Digitalis), die Meerzwiebel (Scilla maritima) unddas Mutterkorn (Secale cornutum), die aber wegen ihrerZersetzlichkeit und unsicheren Dosierung bis dahin nurbeschränkte medizinische Anwendung gefunden hatten, inBearbeitung genommen.

Die ersten Jahre meiner Tätigkeit im Sandoz-Laboratori-um waren fast ausschließlich Untersuchungen über dieWirkstoffe der Meerzwiebel gewidmet. Dr. Walter Kreis,einer der ersten Mitarbeiter von Professor Stoll, führte michin das Arbeitsgebiet ein. Die wichtigsten aktiven Bestand-teile der Meerzwiebel lagen bereits in reiner Form vor. IhreIsolierung ebenso wie die Reindarstellung der Inhaltsstoffedes wolligen Fingerhutes (Digitalis lanata) hatte hauptsäch-lich Dr. Kreis mit außerordentlichem experimentellen Ge -schick durchgeführt.

Die Wirkstoffe der Meerzwiebel gehören zur Gruppe derherzaktiven Glykoside (zuckerhaltige Substanzen) und die-nen wie die des Fingerhutes zur Behandlung von Herz -muskelschwäche. Die Herzglykoside sind hochaktive Sub-stanzen. Ihre therapeutische (heilsame) und ihre toxische(giftige, zu Herzstillstand führende) Dosis liegen nahe bei-einander, so daß hier eine genaue Dosierung mit Hilfe derReinsubstanzen besonders wichtig ist.

Zu Beginn meiner Untersuchungen hatte Sandoz bereitsein pharmazeutisches Präparat mit Scilla-Glykosiden in dieTherapie eingeführt, doch war die chemische Struktur die-ser Wirksubstanzen mit Ausnahme des Zuckerteiles nochvöllig unbekannt.

Mein Hauptbeitrag an der Scilla-Forschung bestand inder Aufklärung des chemischen Aufbaus des Grundkörpersder Scilla-Glykoside, aus dem einerseits der Unterschied

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gegenüber den Digitalis-Glykosiden, andererseits die nahestrukturelle Verwandtschaft mit den Giftstoffen der Haut-drüsen von Kröten hervorging. Diese Arbeiten fanden 1935einen vorläufigen Abschluß.

Auf der Suche nach einem neuen Arbeitsgebiet bat ichProfessor Stoll um die Erlaubnis, Untersuchungen über dieAlkaloide des Mutterkorns wiederaufzunehmen, die er 1917begonnen hatte und die bereits 1918 zur Isolierung von Ergo-tamin führten. Das von Stoll entdeckte Ergotamin war daserste in chemisch reiner Form aus dem Mutterkorn gewon-nene Alkaloid. Obwohl Ergotamin schon bald als blutstil -lendes Mittel in der Geburtshilfe und als Medikament zurBehandlung von Migräne einen bedeutenden Platz im Arz-neimittelschatz einnahm, war die chemische Mutterkornfor-schung in den Sandoz-Laboratorien nach der Reindarstel-lung von Ergotamin und der Ermittlung seiner chemischenSummenformel stehengeblieben. Inzwischen hatte man aberAnfang der dreißiger Jahre in englischen und amerikanischenLaboratorien mit der Ermittlung der chemischen Strukturvon Mutterkornalkaloiden begonnen. Nun war dort zudemein neues, wasserlösliches Mutterkorn alkaloid entdeckt wor-den, das auch aus den Mutterlaugen der Ergotamin-Fabrika -tion isoliert werden konnte. Es schien mir daher an der Zeit,die chemische Bearbeitung der Mutterkornalkaloide wieder-aufzunehmen, wenn Sandoz nicht Gefahr laufen wollte, denführenden Platz auf dem damals schon wichtigen Arzneimit-telsektor zu verlieren.

Professor Stoll war mit meinem Anliegen einverstanden,bemerkte aber: »Ich warne Sie vor den Schwierigkeiten,denen Sie beim Arbeiten mit Mutterkornalkaloiden begeg-nen werden. Es sind äußerst empfindliche, leicht zersetzli-che Substanzen, bezüglich Stabilität ganz verschieden vonden Verbindungen, mit denen Sie auf dem Herzglykosid-Gebiet gearbeitet haben. Aber wenn Sie wollen, versuchenSie es halt einmal.«

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Damit waren die Weichen gestellt, das Hauptthema mei-ner beruflichen Laufbahn festgelegt. Ich erinnere mich nochdeutlich des Gefühls der Erwartung von Schöpferglück, dasich im Hinblick auf die geplanten Untersuchungen auf demdamals noch wenig erschlossenen Gebiet der Mutterkorn -alkaloide empfand.

Mutterkorn

Hier sind rückblendend einige Angaben über das Mutter-korn am Platz.1 Mutterkorn wird durch einen niederen Pilz(Claviceps purpurea) erzeugt, der vor allem auf Roggen, aberauch auf anderen Getreidearten und auch auf Wildgräsernwuchert. Die von diesem Pilz befallenen Körner entwickelnsich zu hellbraunen bis violettbraunen gebogenen Zapfen(Sklerotien), die sich anstelle eines normalen Kornes ausden Spelzen hervordrängen. Botanisch stellt Mutterkorn einDauermycel, die Überwinterungsform des Mutterkornpil-zes, dar. Offiziell, das heißt für Heilzwecke, wird das Mut-terkorn des Roggens (Secale cornutum) verwendet.

Kaum eine andere Droge hat eine so faszinierende Ge -schichte wie das Mutterkorn. In ihrem Verlauf hat sich seineRolle und Bedeutung umgekehrt: Zuerst als Giftträger ge -fürchtet, wandelte es sich im Laufe der Zeit in eine reicheFundgrube von wertvollen Heilmitteln.

Erstmals tritt das Mutterkorn im frühen Mittelalter alsUrsache epidemieartig auftretender Massenvergiftungen insBlickfeld der Geschichte, denen jeweils Tausende von Men-schen zum Opfer fielen. Die Krankheit, deren Zusammen-hang mit dem Mutterkorn lange nicht erkannt wurde, trat in

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1 Der am Mutterkorn näher Interessierte sei auf die Monographien vonG. Barger: Ergot and Ergotism (London: Gurney and Jackson 1931) undvon A. Hofmann: Die Mutterkornalkaloide (Stuttgart 1964) hingewie-sen. Im erstgenannten Buch findet die Geschichte dieser Droge ihreklassische Darstellung, im zweiten steht die Chemie im Vordergrund.

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