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DISKUSSION ELKE DONALIES IDIOM, PHRASEOLOGISMUS ODER PHRASEM? Zum Oberbegriff eines Bereichs der Linguistik Im deutschsprachigen Raum hat man sich besonders in den siebziger Jahren einer sprachlichen Erscheinung zugewandt, für die, je nach Forschungs- schwerpunkt, sehr unterschiedliche Bezeichnungen aufgebracht wurden. Jeder Wissenschaftler, der sich mit dieser Erscheinung auseinandersetzen will, muß sich zunächst durch eine inzwischen fast unüberschaubare Vielfalt solcher Bezeichnungen wie durch den sprichwörtlichen Reisberg fressen. So listet z. B. Rothkegel (1973, 5), die das hier thematisierte Phänomen festes Syntagma nennen möchte, als mit ihrem Terminus synonym auf: Rede- wendung, stehende Redewendung, Wendung, feste Wendung, feste Verbindung, Wortverbindung, mehr oder weniger feststehende Redensart, gänzlich erstarrte Wortfügung, syntaktische Gruppe, Syntagma, Wortgruppenlexem, idiomatische Phrase, idiomatische Redewendung und Idiom. Pilz (1978) nennt ebendieses Phänomen Phraseolexem und leitet seine Untersuchung mit einer ausführli- chen, alphabetisch angeordneten Liste der seinem Terminus entsprechenden Termini ein (ebd., VIII—XII). Er zählt u. v. a. auf: komplexe Einheit, Fertig- bauteil, Formel, erstarrte Fügung, Gebrauchsmetapher, Idiotismus, phraseolo- gische Einheit, Phraseologismus, Redeweise, vorgeformte Sprachwendung, auto- nomes Syntagma, geformter Wortblock und Wortzusammenstellung. Zu ergän- zen sind einige (nach dem von Pilz berücksichtigten Zeitraum bis 1974 auf- gekommene) Termini wie Frasmus (Häusermann 1977), idiomatische Lexem- kette (Koller 1977) und fixiertes Wortgefuge (Thun 1978). Partiell auch schon bei Pilz behandelt sind verschiedene im weiteren Sinne synonyme bzw. Sub- termini wie Sprichwort, Merkspruch', sprachlicher Schematismus (Daniels 1979), automatisierter Redeteil (Burger et al. 1982), Sprachklischee (Wilpert 1969), Gemeinplatz*, Leerformel (Topitsch I960) 2 , Topos 3 , Stereotyp (Lippmann 1922 4 bzw. Quasthoff 1973), Schlagwort; 5 wesenhafte Bedeutungsbeziehung (Porzig 1934), Sinnkopplung (Grebe 1966), lexikalische Solidarität (Coseriu 1967), 1 Vgl. Häusermann 1987, 79. 2 Zit. bei Pilz 1981, 106. 3 Vgl. Pilz 1978, 726-729 und ders. 1981, 99. 4 Zit. bei Wenzel 1978, 16, Schröder 1987, 669 und Lüger 1993, 257. 5 Vgl. Pörksen 1986, 132. Bereitgestellt von | Institut für Deutsche Sprache (IDS) Bibliothe Angemeldet | 193.196.8.102 Heruntergeladen am | 15.04.13 14:51

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DISKUSSION

ELKE DONALIES

IDIOM, PHRASEOLOGISMUS ODER PHRASEM?Zum Oberbegriff eines Bereichs der Linguistik

Im deutschsprachigen Raum hat man sich besonders in den siebzigerJahren einer sprachlichen Erscheinung zugewandt, für die, je nach Forschungs-schwerpunkt, sehr unterschiedliche Bezeichnungen aufgebracht wurden. JederWissenschaftler, der sich mit dieser Erscheinung auseinandersetzen will, mußsich zunächst durch eine inzwischen fast unüberschaubare Vielfalt solcherBezeichnungen wie durch den sprichwörtlichen Reisberg fressen.

So listet z. B. Rothkegel (1973, 5), die das hier thematisierte Phänomenfestes Syntagma nennen möchte, als mit ihrem Terminus synonym auf: Rede-wendung, stehende Redewendung, Wendung, feste Wendung, feste Verbindung,Wortverbindung, mehr oder weniger feststehende Redensart, gänzlich erstarrteWortfügung, syntaktische Gruppe, Syntagma, Wortgruppenlexem, idiomatischePhrase, idiomatische Redewendung und Idiom. Pilz (1978) nennt ebendiesesPhänomen Phraseolexem und leitet seine Untersuchung mit einer ausführli-chen, alphabetisch angeordneten Liste der seinem Terminus entsprechendenTermini ein (ebd., VIII—XII). Er zählt u. v. a. auf: komplexe Einheit, Fertig-bauteil, Formel, erstarrte Fügung, Gebrauchsmetapher, Idiotismus, phraseolo-gische Einheit, Phraseologismus, Redeweise, vorgeformte Sprachwendung, auto-nomes Syntagma, geformter Wortblock und Wortzusammenstellung. Zu ergän-zen sind einige (nach dem von Pilz berücksichtigten Zeitraum bis 1974 auf-gekommene) Termini wie Frasmus (Häusermann 1977), idiomatische Lexem-kette (Koller 1977) und fixiertes Wortgefuge (Thun 1978). Partiell auch schonbei Pilz behandelt sind verschiedene im weiteren Sinne synonyme bzw. Sub-termini wie Sprichwort, Merkspruch', sprachlicher Schematismus (Daniels 1979),automatisierter Redeteil (Burger et al. 1982), Sprachklischee (Wilpert 1969),Gemeinplatz*, Leerformel (Topitsch I960)2, Topos3, Stereotyp (Lippmann 19224

bzw. Quasthoff 1973), Schlagwort;5 wesenhafte Bedeutungsbeziehung (Porzig1934), Sinnkopplung (Grebe 1966), lexikalische Solidarität (Coseriu 1967),

1 Vgl. Häusermann 1987, 79.2 Zit. bei Pilz 1981, 106.3 Vgl. Pilz 1978, 726-729 und ders. 1981, 99.4 Zit. bei Wenzel 1978, 16, Schröder 1987, 669 und Lüger 1993, 257.5 Vgl. Pörksen 1986, 132.

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semantische Kongruenz (Leisi 1967)6, Kookkurrenz und Kollokation (englischzuerst bei Firth 1951)7, Verknüpfungsrelation (Viehweger 1982), Wortverknüp-fung (Wolf 1988), charakteristische Wortkombination (Schmidt 1991); Cluster*

Kurzum: Hier zeigt sich der terminologische Wildwuchs eines Feldes, aufdem schon viele Wissenschaftler kreuz und quer ihre Furchen gezogen undbuntgemischt ausgesät haben. Und immer noch gilt, was Pilz schon vor über10 Jahren konstatiert hat: „Bisher ist über die Terminologie der Phraseologiesehr wenig reflektiert worden. Deshalb konnte sie (vor allem die deutschspra-chige) so katastrophal ausufern. Überspitzt gesagt: Jeder, der sich mit phras.Phänomenen befaßte, schuf sich eine eigene Terminologie."9

An dieser Stelle nun soll versucht werden, das bisher Versäumte nachzu-holen. Es soll zum einen10 ein kurzer, kompakter Überblick gegeben werdenüber Terminologie und Begrifflichkeit vornehmlich der deutschsprachigenPhraseologie — denn „gerechterweise muß gesagt werden, daß ein termino-logisches Chaos vor allem durch die deutschsprachigen Veröffentlichungenentstanden ist" (Pilz 1981, 26) — und zum anderen soll diese „chaotische"Terminologie auf einem aktualisierten Forschungsstand11 ordnend reflektiert,verglichen und überprüft werden. Dazu werden die zahlreichen inzwischen inder Sprachwissenschaft, aber auch in der Soziologie, Psychologie, Pädagogik

6 Zit. bei Burger et al. 1973, 3.7 Zit. bei Roos 1975, 8.8 Vgl. Hörmann 1977, 83 und Leisi 1988, 52.9 Pilz 1981, 27. Deshalb fordert er ebd.: „Ein spezielles terminologisches Lexikon wäre

dringend erforderlich." Ein solches Lexikon liegt uns inzwischen mit Günther 1990vor. Zu berücksichtigen ist bei diesem terminologischen Glossar, daß es in der Reiheder Arbeitsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR erschienen und damiteher nur als ein erster Ansatz zu betrachten ist. Auf einige Einschränkungen in derBrauchbarkeit für unsere Zwecke sei an dieser Stelle hingewiesen: Es finden sich hierkaum Hinweise auf Autoren oder Forschungsrichtungen und deren Verflechtunguntereinander. Es sind jeweils nur die russischen Entsprechungen der Termini ange-geben, ganz gleich, ob der Begriff aus der russischen oder z. B. aus der englisch-amerikanischen Sprachwissenschaft kommt. Günther hat, wie er im Vorwort betont,die von ihm als „überholt" empfundenen Termini nicht aufgenommen, weil er seinLexikon offenbar als normativ versteht; damit weist er es eher als ein Lexikon zurVerwendung bei fachwissenschaftlicher Kommunikation aus; erforderlich ist aberaugenblicklich vor allem ein Rezeptionswörterbuch zur Phraseologie, das die vor-handenen Termini erläutert und in Beziehung setzt. Sein Lexikon hat kein Register,nur eine Stichwortliste der ohnehin alphabetisch angeordneten Stichwörter. EinigeStichwörter gehören nur in sehr weitem Sinne der Phraseologie an (z. B. Euphemis-mus, Fremdwort, hybrid, partiell, Stilmittel). Die Verweispraxis ist zum Teil, wie invielen Wörterbüchern, irreführend und umständlich (z. B. die Umwegkette von „ste-hender Vergleich" —»· „fester Vergleich" —> „Vergleich 4"; der Verweis von „geflügeltesWort" zu „Wort, geflügeltes" geht ins Leere; „fest" verweist auf „stabil", das wiederummit „fest" erklärt wird).

10 Anders als z. B. bei Pilz 1978 mit seinen beiden dickleibigen Dissertationsbänden,die Fleischer 1982, 27, „zuweilen etwas breit und unübersichtlich" nennt.

11 Gegenüber den vielzitierten Arbeiten von Pilz 1978, Thun 1978, Burger et al. 1982und 1987, Mieder 1985.

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u. ä. vorgeschlagenen Termini, die bislang — soweit nicht überhaupt murselektiv wahrgenommen — chronologisch nach dem Datum ihres Aufkommensbzw. nach Autoren und Forschungsrichtungen12 dargestellt worden sind, an-hand der für ihre Benennung ausschlaggebenden Kriterien abgehandelt. An-ders als z. B. Klappenbach (1961, 446 f.) oder Pilz (1981, 20) wird aber vorerstkein Minimalkatalog solcher Kriterien aufgestellt, die allen Begriffen gemein-sam sind. Vielmehr geht es zunächst darum, das Nichtgemeinsame herauszu-filtern, um so die Termini und Begriffe voneinander abgrenzen zu können.Erst in einem zweiten Schritt werden die wichtigsten Definitionskriterien an-gegeben und daraus der Oberbegriff abgeleitet, der auf der Basis der hiervorgenommenen Klärungen als der zweckmäßigste und plausibelste erscheint.

Die für die Bestimmung und Abgrenzung der verschiedenen Terminirelevanten Kriterien sind:1. Mehrwortcharakter2. Stabilität3. Idiomatizität4. Einheitsstatus5. Sprachüblichkeit.

1. Mehrwortcharakter

Allgemein geht man in der Literatur davon aus, daß es sich bei den hierzu untersuchenden Erscheinungen um Gebilde aus zwei oder mehr13 Wörternhandelt. Termini wie feste Wortgruppe (Weisgerber 1966)14, syntaktische Gruppe(Brekle 1966)15 und Wortgruppenlexem (Wissemann 196l)16 tragen diesemMehrwortcharakter Rechnung.

12 Vgl. z. B. Thun 1978, 71-174, und Pilz 1978, 57-467.13 Z.B. Burger et al. 1982, l, Korhonen 1992, l, Lehr 1993, 3. Die Definition der

Kollokation bei Hausmann 1985, 118, als „Zweierkombination" (die der Definitionbei Lehr 1993, l, derselben Erscheinung als „Miteinandervorkommen zweier odermehrerer beliebiger Wörter" widersprechen müßte) ist wohl auf dem Hintergrundder bei Hausmann vorgenommenen Zweiteilung in Basis und Kollokator zu sehen,wobei Basis und Kollokator vermutlich wiederum aus mehreren Elementen zusam-mengesetzt sein können. Hausmann äußert sich dazu hier nicht. Vgl. dazu auchViehweger 1988, 108, mit der Frage „[...] ob unter Kollokationen prinzipiell binäre,d. h. zweigliedrige Entitäten zu verstehen sind oder ob mit der Binarität trivialerweiselediglich eine Untergrenze festgelegt wird".

14 Zit. bei Pilz 1978, XII.15 Zit. bei Rothkegel 1973, 6.16 Wissemann entwickelt seinen Begriff aus der Abgrenzung gegenüber dem Einwort-

lexem. Er stellt zur Illustration dieser Opposition Wortgruppen- und Einwortlexemegegenüber, die nicht derselben Sprache angehören. Dies halte ich für wenig überzeu-gend: Die Opposition beruht hier allein auf einzelsprachlichen Eigenheiten der Wort-bildung (ital. cervo volante vs. dt. Hirschkäfer, frz. banc de säble). Zudem gibt eswohl zu fast allen Wortgruppenlexemen synonyme Wortgruppenlexeme in anderenSprachen (z. B. dt. seinen Löffel abgeben und frz. casser sä pipe).

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Ebenso wie gegenüber Wörtern müßte der Begriff auch eindeutig gegen-über Sätzen und Satzteilen abgegrenzt werden.17 Es zeigt sich dabei, daß diehier thematisierten sprachlichen Phänomene verschieden umfangreich sind,nämlich mal aus zwei Elementen bestehen, mal Satzcharakter haben. DieseUnterschiede werden gelegentlich in der Subterminologie berücksichtigt, so inBezeichnungen wie Satzlexem (Pilz 1978) für Wendungen der Art Jemandemist eine Laus über die Leber gelaufen oder in Syntagma (Wahrig 1969)18 undfestes Syntagma (Rothkegel 1973).19

Was die Art der einzelnen Elemente betrifft, aus denen die hier behandeltensprachlichen Erscheinungen zusammengesetzt sind, wird in den meisten Defi-nitionen äußerst vage von Wörtern gesprochen.20 Damit bleibt also „dieProblematik des Wortbegriffs ausgeklammert" (Pilz 1978, 31). Entsprechendsind auch Termini, die den Wortbegriff enthalten, wie Wortfügung (Agricola1962)21, Wortzusammenstellung (Mackensen 1968)22, fixiertes Wortgefüge(Thun 1978) oder Wortverbindung bzw. Wortverknüpfung (Wolf 1988), nur imKontext einer expliziten Bestimmung des Wortbegriffs anzuwenden.

2. Stabilität

Stabilität ist eine in den Definitionen häufig genannte Eigenschaft underscheint daher auch häufig in den Benennungen, z. B. in feste Wendung undfeste Verbindung (Klappenbach et al. 1964)23, stehende Redewendung (Duden-grammatik 1966)24, festgeprägter Satz (Reichstein 1973)25 und festes Syntagma(Rothkegel 1973), wobei der letztgenannte Terminus nach Pilz (1978, 338)irreführend ist, „weil damit nicht das Definitionskriterium der Stabilität her-ausgestellt werden soll".26

Pilz (1978, 46) findet im übrigen allgemein das „Kriterium der Stabilität[...] sehr irreführend, denn fest im Sinne von ,unveränderbar4 in jeder Bezie-

17 Vgl. Eckert 1976, zit. bei Pilz 1981, 19: „... sie gehen in einer Reihe von Fällen überdie Grenze der Wortfügung hinaus, sie können unter Umständen Satzcharaktertragen."

18 Zit. bei Rothkegel 1973, 6.19 Zur Problematik dieses Begriffs vgl. unten die Ausführungen zum Kriterium der

Stabilität.20 Z. B. bei Burger et al. 1973, 2, Hausmann 1985, 118, Wolf 1988, 31. In der Definition

von Lehr 1993, 2, sind wohl wirklich „beliebige Wörter", also auch Präpositionen,Numeralia u. ä., gemeint.

21 Zit. bei Rothkegel 1973, 5.22 Zit. bei Pilz 1978, XII.23 Zit. bei Rothkegel 1973, 6.24 Zit. ebd.25 Zit. bei Pilz 1978, 46.26 In der Tat betont Rothkegel 1973, 6: „Die hier gewählte Bezeichnung soll den

kompositioneilen Charakter auf der syntaktischen Ebene sowie die Opposition zuden übrigen Syntagmen signalisieren." Insofern ist Rothkegels Terminus unglücklichgewählt.

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hung sind nur wenige phraseologische Einheiten." Er rechnet gang und gäbeund dumm wie Bohnenstroh dazu. Aber schon sein zweites Beispiel kann ichnicht in seinem Sinne als fest „in jeder Beziehung" anerkennen, denn akzeptabelist z. B. auch ein Sprachspiel der Art Er ist so dumm wie Bohnerwachs.21 Burgeret al. (1982, 67) fassen Stabilität in einem entschieden weiteren Sinne auf,indem sie zumindest die „meist möglichen paradigmatischen Veränderungender Morphosyntax" (also z. B. Er ist dümmer als Bohnenstroh) ausschließen.Als fest bezeichnen sie daher (ebd.) nicht nur das auch der Definition von Pilzentsprechende klipp und klar, sondern darüber hinaus auch „hochgradig idio-matische Phraseologismen" wie an jemandem einen Narren gefressen haben undins Gras beißen.2* Hier aber spielt eben ein ganz anderes, aus den o. aufge-führten Benennungen nicht ersichtliches Kriterium die entscheidende Rolle:die Idiomatizität.29

Auch Burger et al. (1982, 2) halten den Terminusbestandteil „fest" fürverfehlt, „da der Begriff ,fesf zwar alltagssprachlich und intuitiv einleuchtend,aber bei einer theoretischen Charakterisierung auf sehr verschiedene Weisegedeutet werden kann." Tatsächlich werden mit dem Terminuszusatz „fest"Vorstellungen von morphosyntaktischer Unveränderbarkeit, Idiomatizität undEinheit ebenso wie von Sprachüblichkeit und Frequenz verbunden. So for-muliert Roos (1975, 2): „Unter Festigkeit der Kollokationsbindung verstehtman im allgemeinen die Wahrscheinlichkeit, daß ein lexical item mit einembestimmten anderen kollokiert, was wiederum mit der Häufigkeit [!] der be-treffenden Kollokation zusammenhängt. Eine grobe Unterscheidung würdezunächst die rein zufällig zustandegekommenen Kollokationen von solchentrennen, die, statistisch gesehen, einen größeren Grad von Wahrscheinlichkeithaben."30 Ich stimme Pilz und Burger et al. zu, daß der Stabilitätsbegriff nichteindeutig genug ist, um ihn terminologisch oder defmitorisch effizient einsetzen

27 Kabarettsendung in Südwest 3 am 1. 5. 1993.28 Dieses Beispiel ist übrigens seit Bodmer 1768 (zit. bei Burger 1982, 366) immer wieder

herangezogen (z. B. Häusermann 1977, 12, Burger 1982, 67, Matesic 1983, 113) undargumentativ ausgeschlachtet worden und somit selbst eine Art Topos.

29 Auf die gelegentlich anzutreffende, unzulässige Vermischung der Kriterien Festigkeitund Idiomatizität komme ich weiter unten zurück.

30 Es sei hier nur angemerkt, daß Häufigkeit und Festigkeit nicht zwangsläufig Handin Hand gehen: Grzybek 1991 hat 275 von ihm verkürzte Sprichwörter Versuchsper-sonen (Vpn) aus verschiedenen Altersstufen zur Vervollständigung vorgelegt, um denBekanntheitsgrad dieser Sprichwörter festzustellen. Ich habe die Frequenz der ebd.,256, genannten 18 zu 100% den Vpn bekannten Sprichwörter im Mannheimer Korpusdes Instituts für deutsche Sprache (mit insgesamt 2,5 Millionen laufenden Wortformenaus Zeitungen, Magazinen, belletristischen Texten u. ä.) überprüft: Drei kamen ein-mal, nur eins zweimal vor, die übrigen 14 gar nicht. Möglicherweise ließen sich beieiner Recherche in Korpora gesprochener Sprache einige mehr finden; wie aber jederaus dem eigenen Gebrauch ihm geläufiger Sprichwörter weiß, kommen sie auch inder alltäglichen Kommunikation nicht auffällig oft vor. Hausmann 1985, 124, fordertdeshalb zu recht, Frequenz und Verfügbarkeit konsequent auseinanderzuhalten.

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zu können. Gegebenenfalls könnte aber, wie Häusermann31 und Fleischer32

vorschlagen, eine verbindliche Skala entwickelt werden, die jeweils die Gradeund Arten der Stabilität verzeichnete, mit Hilfe derer dann die verschiedenenUnterbegriffe je nach ihrer Variabilität bzw. Stabilität klassifiziert und vonein-ander abgegrenzt werden könnten. Termini wie mehr oder weniger feststehendeRedensart (Agricola 1962)33 berücksichtigen diesen Aspekt. Einen weiterenAspekt von Stabilität spricht Thun mit seinem Terminus fixiertes Wortgefugean. Er begründet seinen Vorschlag (1978, 27) wie folgt: „Solchen Epitheta wiefest, erstarrt [...] ziehe ich fixiert vor, weil die Partizipialform des transitivenVerbs eine Reminiszenz der wiederholten Rede als Tätigkeit ist." Rede alsTätigkeit ist seit den 70er Jahren (Wittgenstein-Renaissance) eine immer mit-gedachte Selbstverständlichkeit und in unserem Zusammenhang nicht weiter-führend, muß also terminologisch auch nicht expliziert werden. Interessantund möglicherweise innovativ ist der bei Thun akzentuierte Aspekt der wie-derholten Rede, der den Prozeß des allmählichen Erstarrens in der Kommu-nikation thematisiert und schon in Termini wie gänzlich erstarrte Wortfügung(Agricola 1962)34 angelegt ist. Obwohl terminologisch bisweilen erfaßt, wurdedieser diachrone Aspekt der zunehmenden Stabilisierung jedoch bislang wenigbeachtet.35

3. Idiomatizität

„Allen phraseologischen Theorien in den USA und Europa ist gemeinsam,dass sie ihr Forschungsobjekt als Einheiten umschreiben, deren volle Bedeu-tung keine kompositioneile Funktion der Bedeutungen der elementaren gram-matischen Teile ist".36 Die Idiomatizität — nach Günther (1990, 62) „dasVorhandensein einer ganzheitlichen, aus den Einzelbedeutungen der Kompo-nenten der Formativkette nicht erschließbaren Bedeutung" — ist vermutlichdas meistgenannte Kriterium zur Definition der hier diskutierten sprachlichenErscheinungen und hat entsprechend häufig Eingang in die Terminologiegefunden. Seiner Polysemie wegen wird aber der aus der anglo-amerikanischen

31 Häusermann 1977, 5: „Interessant ist Fräsers Klassifizierung der Idiome nach ihrer,frozeness': Je nachdem, wieviele der bekannten syntaktischen Transformationenmöglich sind, ist eine Einheit mehr oder weniger idiomatisch."

32 Fleischer 1982,13, referiert Kunin 1970 mit der Einteilung in: Festigkeit im Gebrauch,struktursemantische, morphologische und syntaktische Festigkeit sowie Festigkeitder Bedeutung und des lexikalischen Bestandes.

33 Zit. bei Rothkegel 1973, 6.34 Zit. ebd.35 Im Ansatz bei Burger et al. 1982, 315-382; vgl. auch Schultze 1991. Dazu die

Forderung nach einer historischen Wortkombinationsforschung bei Schmidt 1991.Ein Projekt mit diesem Forschungsschwerpunkt ist 1992 im Zusammenhang mit demAufbau einer historischen Datenbank am Institut für deutsche Sprache in Mannheimbegonnen worden.

36 Häusermann 1977, 4, unter Verwendung eines Zitats von Katz/Postal 1963.

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Sprachforschung kommende Terminus Idiom, der auch für ,Dialektc und ,in-dividuelle bzw. einzelsprachliche Spracheigenheit' verwendet und assoziativmit Begriffen wie Idiolekt, Idiotikon u. ä. verbunden wird, häufig abgelehnt.37

Pilz (1981, 53) weist außerdem darauf hin, daß der Terminus Idiom eigentlichauch „alle idiomatischen Einzelwörter und Komposita, z. B. Engel (= ,lieberMensch' [...]) oder Schnapsdrossel (= Jrinker')" miteinbeziehen müßte, alsonicht geeignet ist, die hier thematisierten Phänomene mit Mehrwortcharakterzu repräsentieren. Deutlicher sind daher m. E. Termini, in denen das nicht-polyseme Adjektiv den eigentlichen Terminus begleitet, wie idiomatische Phrase(Baumgärtner 1967) oder idiomatische Redewendung (Friedrich 1965).38

Über die Differenzierung einzelner sprachlicher Einheiten nach dem Gradund der Art ihrer Motivierbarkeit bzw. Nichtmotivierbarkeit, Durchsichtigkeitbzw. Undurchsichtigkeit ist vielfach diskutiert, aber offenbar nie Einigkeiterzielt worden.39 Die bei Burger et al. zur Klassifizierung und Terminusfindungentwickelte Dreiteilung in „unmotiviert", „teilmotiviert" und „motiviert"40 istein erster gut handhabbarer Ansatz. Die drei Bezeichnungen könnten denTermini zur weiteren Untergliederung als Attribut hinzugesetzt werden.41

37 Ausführlich referiert bei Pilz 1981, 51 -54; vgl. auch Fleischer 1982, 9 und Günther1990, 51. Ungünstig ist deshalb auch ein Terminus wie Idiomatismus.

38 Beide zit. bei Rothkegel 1973, 6.39 Ausführlich referiert bei Burger et al. 1982, 23-30.40 Nach Burger et al., ebd., noch einmal zu unterteilen in „direkt motiviert" und

„metaphorisch motiviert".41 Als ein weiteres Beispiel für die in der Literatur häufig zu findenden Vermischungen

der hier angeführten Kriterien sei eine Äußerung Häusermanns 1977, 15, zitiert:„Idiomatizität, die Tatsache, dass die Gesamtbedeutung des Frasmus nicht auf dieBedeutungen seiner Komponenten zurückgeführt werden kann, setzt voraus, dass inder entsprechenden Verbindung gewisse Veränderungen nicht möglich sind." Ebd.,17, stellt er daher „eine Tabelle von Festigkeits- und damit auch von Idiomatizitäts-Typen" auf. Die ebd., 16, aufgeführten Beispielsätze zeigen aber, daß beide Eigen-schaften nicht unbedingt zusammenhängen: die „eigentlich festgeprägten Sätze" Daliegt der Hund begraben und Neue Besen kehren gut sind sowohl fest (im weiterenSinne, s. z. B. Peter Bamm, Ex ovo. 1963, 92: „Hier liegt sozusagen der pathologisch-anatomische Hund begraben", Beleg aus IdS-Korpus) als auch idiomatisch. Aber derin dieselbe Kategorie eingeordnete Satz Wer die Wahl hat, hat die Qual ist nur fest,nicht idiomatisch. Auch der Duden 1992, 7, vermischt beide Kriterien: „Feste Wen-dungen sind in der Regel nicht ,wörtlich' zu verstehen". Weil aber Festigkeit undIdiomatizität eben gerade nicht zwangsläufig miteinander auftreten, hat der Duden,obgleich ausdrücklich als idiomatisches Wörterbuch ausgewiesen, auch zahlreichenicht-idiomatische Wendungen aufgenommen, z. B. jmdn. zum Gespött machen, Tri-umphe feiern, mehr Glück als Verstand haben, nichts zu lachen haben, Schadenfreudeist die reinste Freude und sogar Funktionsverbgefüge wie in Erfahrung bringen. Übereine Differenzierung der Termini idiomatisch und übertragen sollte in diesem Zusam-menhang übrigens auch noch einmal nachgedacht werden.

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4. Einheitsstatus

Auch der Einheitsstatus ist ein oft in Definitionen42 und Termini vorkom-mendes Kriterium. Die Vorstellung, die sich in Benennungen wie komplexeEinheit (Daniels 1978)43, lexikalische Einheit, syntaktische Einheit und phra-seologische Einheit (Pilz 1978) zeigt, ist eine Vorstellung von sprachlichenGebilden, die „zwar aus mehreren Wörtern bestehen, die sich aber wie einWort verhalten".44 Pilz (1981, 25) nennt dies „Wortäquivalenz". Impliziert wirddamit, daß solche Einheiten „nicht im jeweiligen Sprechakt aus den einzelnenWörtern mit Hilfe der Kombinationsregeln hergestellt, sondern als ganzereproduziert werden".45 Während das Kriterium der Idiomatizität unter demAspekt der Rezeption von sprachlichen Ausdrücken erscheint, geht es hieralso vor allem um Textproduktion. Termini wie Fertigbauteil (Faulseit 1965)46,fertig vorhandene geprägte Wortverbindung (Schmidt 1963)47 oder vorgefertigteEinheiten (Burger et al. 1982) rekurrieren auf diesen Sachverhalt.

Konsens herrscht in der Sprachwissenschaft weitgehend darüber, daß dieDichotomic Reproduktion/Produktion das entscheidende Kriterium ist,sprachliche Erscheinungen als phraseologisch4 einzustufen.48 Über die Zuord-nung einzelner sprachlicher Erscheinungen zur Phraseologie49 allerdingsherrscht allenthalben Dissens. Besonders der erst in neuerer Zeit aus demenglischen Kontextualismus50 übernommene Begriff der Kollokation ist indieser Hinsicht noch nicht verbindlich zugeordnet. Definiert wird Kollokationmeist als „das Miteinanderverwenden [...] lexikalischer Einheiten".51 Dies isteine eher minimalistische und daher ungenaue Definition, die spezifiziert wer-den sollte, zumal sie auch auf den allgemeineren Terminus Kookkurrenz zutrifft.Hausmann (1985, 118) unterscheidet die Kollokation als „typische, spezifischeund charakteristische" Wortkombination von allen anderen, nämlich „bana-len" Wortkombinationen. Schmidt (1991, 177) unterscheidet in Anlehnungdaran zwischen Kookkurrenz als „Vorkommen der untersuchten Wörter imgleichen Satz und zwar ohne enge syntaktische Bindung"52 und Kollokationals „enge, vorzugsweise subordinierte syntaktische Bindung". Das Vorkommen

42 Vgl. u. v. a. Wissemann 1961, 235, Häusermann 1977, 118, Pilz 1978, 33 und Haus-mann 1985, 118.

43 Zit. bei Pilz 1978, VII.44 Rothkegel 1973, 3. Burger et al. 1982, l, formulieren deutlicher: „ähnlich wie ein

Lexem".45 Burger et al. 1973, 2.46 Zit. bei Pilz 1978, IX.47 Zit. ebd., XII.48 Vgl. Burger et al. 1973, 2.49 Referiert z. B. bei Püschel 1975, 28-32 und Pilz 1981, 22f.50 Vgl. dazu Roos 1975, 8 und Lehr 1993, 2.51 Roos 1975, 8; vgl. auch Lehr 1993, 2: „das faktische Miteinandervorkommen zweier

oder mehrerer beliebiger Wörter und/oder lexikalischer Einheiten".52 Vgl. Pilz 1978, 42: „übliche Kollokationen (co-occurrence)".

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im gleichen Satz53 ist für Roos (1975, 21) keine Bedingung. Er meint: „Kol-lokationspartner brauchen auch nicht nebeneinander zu stehen. Sie könnensogar durch Satzgrenzen getrennt sein" — und gerät damit in unmittelbareNähe der sprachlichen Erscheinung, die Leisi Cluster nennt.54

Geregelt ist das Miteinandervorkommen lexikalischer Einheiten u. a.durch das, was in der Sprachwissenschaft als wesenhafte Bedeutungsbeziehung(Porzig 1934), Sinnkopplung (Grebe 1966), lexikalische Solidarität (Coseriu1967), semantische Kongruenz (Leisi 1967)55 oder Selektionsrestriktion (Hunds-nurscher 1971) bezeichnet worden ist.

Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Im eigentlichen Sinne sindKollokation, Cluster und Kookkurrenz nicht zu den hier angesprochenen Phä-nomenen zu zählen. Die drei Begriffe erfüllen zwar das Kriterium des Mehr-wortcharakters, sind aber, was Stabilität und Idiomatizität betrifft, eher Vor-stufen zu den hier angesprochenen sprachlichen Erscheinungen. Im Hinblickauf das Kriterium des Einheitsstatus gehört m. E. die Kollokation nicht in denBereich der vorgestellten Termini: Kollokationen sind nämlich nicht als fertigesGanzes reproduzierbar, sondern werden, wie Hausmann (1985, 119) erläutert,durch Assoziation — im Sinne einer Verknüpfung mehrerer im Gedächtnisgespeicherter Vorstellungsaspekte — produziert.56

5. Sprachüblichkeit

Pilz (1978, 33) bezeichnet die phraseologischen auch als „usuelle Einheitendes Sprachschatzes" und akzentuiert so das Kriterium der Sprachüblichkeit.Unter Sprachüblichkeit verstehe ich hier nicht die statistische Frequenz, son-dern die Verfügbarkeit einer sprachlichen Einheit, ihre Präsenz im Wortschatz,die sich aus dem in einer Sprachgemeinschaft wiederholten Gebrauch ergibt.57

Dieser Aspekt eines von Sprechergeneration zu Sprechergeneration wieder-holten Gebrauchs sprachlicher Einheiten, der Aspekt der Tradierung, ist auf-gegriffen in Termini wie Topos, Stereotyp, Klischee, Phrase, Gemeinplatz, For-mel, Floskel, Redensart und Redeweise, die häufig synonym oder teilsynonymverwendet oder zur gegenseitigen Definition herangezogen werden. So para-

53 Vgl. Schultze 1991, 90: „Dieses Umfeld [der Kollokation] besteht in der Regel ... auseinem ganzen Satz oder zumindest einem Teilsatz." Vgl. auch Vieh weger 1988, 108:„[...] wohingegen das oberste Deliminationskriterium die Satzgrenze darstellt".

54 1988, 52: „Unter clusters, wörtlich ,Ballungen4, versteht man in der Forschung dasregelmäßige Zusammen-Auftreten von bestimmten Wörtern [...] in enger textlicherNachbarschaft"; vgl. auch Hörmann 1977, 83.

55 Zit. bei Burger et al. 1973, 3.56 Vgl. in der Psychologie: Stimulus-Response-Modell. Bei dieser Art der Wortkombi-

nation wird charakteristischerweise, wie z. B. Abraham 1988, 361, betont, „eineKomponente durch die andere semantisch spezifiziert".

57 Darüber, wo solche Wendungen ihren Platz haben, die sich z. B. familieninternherausgebildet haben (und für Externe hochidiomatisch sein können), ist in derLiteratur ebenfalls bislang kaum reflektiert worden.

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phrasiert Popitz (1972)58 z. B. Topos mit „eine sprachlich festliegende Formel,die stereotyp wiederholt wird, eine Sprachhülse, ein sprachliches Klischee".Günther (1990, 138) erklärt Topos mit „feste Redensart, Wendung. Cliche,Denkformel".

Begriffe wie Klischee, Floskel, Gemeinplatz, Phrase, Redensart und sprich-wörtlich sind kaum brauchbar, weil sie bereits umgangssprachlich (pejorativ)besetzt sind. Die Termini Stereotyp, das nicht mit dem umgangssprachlichverwendeten adjektivischen Ausdruck gleichzusetzen ist, und Topos sind bis-lang ausschließlich fachintern verwendet worden und eignen sich daher eherfür die sprachwissenschaftliche Kommunikation. Stereotype sind nach Schrö-der (1987, 670) „Inhaltsfiguren, die durch charakteristische ausdrucksseitigeRealisierungen markiert werden können, aber nicht müssen".59 Wie Schröder(ebd.) ausführt, beziehen sich diese „Inhaltsfiguren" auf „bestimmte Personenoder Personengruppen, aber auch auf Zustände oder Verhältnisse".60 BeideBegriffe, Stereotyp und Topos, gehören insofern in den hier skizzierten Bereich,als sie sich der bislang beschriebenen sprachlichen Phänomene bedienen kön-nen. Viele Stereotype werden z. B. in Sprichwörtern ausgedrückt. Zentral istbei beiden aber — bedingt durch ihre Definition als Denkschemata — dieInhaltsseite. Insofern gehören diese Phänomene eher in die Philosophie, Lite-raturwissenschaft, Soziologie, Volkskunde, Psychologie usw.61

Ein zweiter Aspekt der Sprachüblichkeit ist der der Argumentationsfunk-tion.62 Die Verwendung der hier angesprochenen sprachlichen Einheiten liegtbesonders nahe, „wenn es um die prägnante Typisierung eines Sachverhaltsgeht, ohne sich mit allzu langer argumentativer Herleitung aufhalten zu wollen.Die spezielle Eignung vorgeprägter Satzmuster für diesen Zweck dürfte vorallem auf der Allgemeinheit ihrer Aussage sowie ihrer weitgehenden Akzep-tiertheit beruhen" (Lüger 1993, 269).63 „Mit Sentenzen werden zudem desöfteren durch Suggerieren von Selbstverständlichkeit und Allgemeingültigkeit

58 Zit. bei Wenzel 1978, 34 f.59 So auch Lüger 1993, 257: „Es handelt sich um vorwiegend inhaltlich bestimmte

Aussagemuster, deren sprachliche Form allerdings nicht in jedem Fäll festgelegt seinmuß." Beide sehen sich explizit in Abgrenzung zu Quasthoff 1973, 8 f.: „Stereotypegelten als kollektive Bewußtseinsinhalte, die sprachlich in bestimmten Formulierungs-schemata realisiert werden" und Wenzel 1978, 24: „Linguistisch ist es [das Stereotyp]als Satz beschreibbar".

60 Die Unterscheidung von Stereotypen als auf soziale Gruppen bezogene Inhaltsfigureneinerseits und von Topoi andererseits als solche, die einen „viel weiteren Bereich"erfassen — so vertreten u. a. von Wenzel 1978, 35, in Anlehnung an Quasthoff —scheint mir zu beliebig. Als Stereotype würde ich auch Sätze der Art In Italien scheintimmer die Sonne verstehen.

61 Ich halte daher den häufig anzutreffenden Vorschlag, den Terminus Stereotyp „alsOberbegriff vorgeformter Ausdrücke" zu verwenden, mit Pilz 1981, 106, für „be-fremdlich".

62 Umfassend dazu Koller 1977, Häusermann 1987 und Lüger 1993.63 Vgl. auch v. Polenz 1992, 261: „Textbausteine für juristisch und politisch wichtige

Argumentationstypen".

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Aussagen verstärkt. Phraseologismen eignen sich daher in argumentativenZusammenhängen besonders für kommentierende Zwecke" (Lüger 1993, 279).Hier sind auch Termini wie Slogan —als typisches Element des persuasivenWerbetextes — und Schlagwort64 — als typisches Element des politisch per-suasiven Textes — einzuordnen, die sich beide, wie Stereotyp und Topos, derForm eines Mehrwortausdrucks bedienen können, aber nicht müssen.

Betrachten wir die besprochenen, in der Literatur immer wieder zurBenennung und Definition einzelner sprachlicher Erscheinungen angeführtenKriterien noch einmal zusammenfassend mit dem Ziel, jene zu ermitteln, diezu einem sinnvollen und zweckmäßigen Oberbegriff führen:

Als besonders problematisch wurde bereits das Kriterium der Stabilitätbeschrieben. Wirklich stabil, d. h. unveränderbar in jeder Hinsicht, sind extremwenige Mehrwortphänomene. Vor allem morphosyntaktisch und sprachspie-lerisch ist eine Fülle von Veränderungen möglich und akzeptabel. Die Phra-seologie auf die wenigen wirklich festen Erscheinungen zu reduzieren, würdesie als Forschungsbereich extrem einschränken. Grad und Art der Stabilitätkönnen allenfalls zur Bildung von Unterbegriffen herangezogen werden.

Ebenfalls problematisch ist das Kriterium der Idiomatizität, d. h. nachDuden (1992, 5) einer „Gesamtbedeutung [...], die sich nicht oder nur teilweiseaus den Bedeutungen der Einzel Wörter erschließen läßt". Zum einen wird manüber die Einschätzung einzelner sprachlicher Phänomene als idiomatisch odernichtidiomatisch keine Einigkeit erzielen können; zum anderen grenzt eineEinschränkung der Phraseologie auf idiomatische Wendungen ebenso wie dieEinschränkung auf stabile Einheiten eine zu große Zahl von Mehrwortphä-nomenen aus. Im übrigen werden in der Wörterbuchpraxis (z. B. im Redewen-dungs-Duden 1992) trotz ausgrenzender Definition stillschweigend auch zahl-reiche nichtidiomatische Wendungen aufgenommen (vgl. Anm. 41).

Die zentrale Rolle bei der Benennung und Definition spielen m. E: Mehr-wortcharakter und Einheitsstatus. Der Mehrwortcharakter ist eine unabding-bare Prämisse, die verdeutlicht, daß in der Phraseologie Sprachphänomeneerfaßt werden sollen, die aus mindestens zwei Wörtern bestehen. Das Kriteriumdes Einheitsstatus betont die Wahrnehmung und Memorierbarkeit sprachlicherPhänomene als ein Ganzes, ohne sich in bezug auf die innere Stabilität dieserEinheiten bereits festzulegen und ohne in jedem Falle von einer Gesamtbedeu-tung, die nicht aus ihren Einzelbedeutungen erschließbar ist, auszugehen. Dabeiwerden dezidiert solche Erscheinungen ausgeschlossen, die nicht als Einheit

64 Vgl. Pörksen 1986, 132: „Der Begriff [Ringen ums Dasein] hebt also an einemkomplexen und umfangreichen Vorstellungsbezirk ein gemeinsames Merkmal hervor,etikettiert diesen Vorstellungsbezirk in zuspitzender Weise und umfaßt ihn so in einemGesamtüberblick. Verbindet sich diese pointierende Abstraktion mit einem unscharfenBild und einem starken Gefühlsgehalt, so gerät er in die Nähe dessen, was man alsDefinition des Schlagwortes bezeichnen kann."

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gespeichert und reproduziert, sondern, wie die Kollokationen, erst im Sprech-akt aus einzelnen Teilen zusammengesetzt werden.

Die hier thematisierten sprachlichen Erscheinungen lassen sich demnachso definieren: Sie sind Einheiten aus mindestens zwei Wörtern65, die als Ganzeswahrgenommen und reproduziert werden.

Es ist sinnvoll, diese Definition auch im Terminus aufzugreifen. Weil, wieoben geklärt, die Idiomatizität eben nicht als entscheidendes Kriterium be-trachtet werden kann, ist ein Terminus wie Idiom als Oberbegriff ungeeignet.Es wurde bereits erläutert, daß er außerdem den Nachteil der Polysemie hatund daher mißverständlich ist. Aus diesen Gründen ist auch eine Bezeichnungwie Idiomatik für den Forschungsbereich, der sich mit den o. definiertenPhänomenen befaßt, fragwürdig und vor allem kein Synonym für Phraseologie,mit dem ihn u. v. a. Bussmann (1990) und Duden (1992) ersetzen. Idiomatikist allenfalls ein Teilgebiet der Phraseologie. Die Bezeichnung Phraseologie fürden Forschungsbereich hat sich zudem weitgehend etabliert, so daß sich auchvon daher keine Umbenennung aufdrängt. Zusammen mit der BezeichnungPhraseologie hat sich Phraseologismus als wertneutral verwendeter Terminusallgemein durchgesetzt66, womit Pilz' Argument gegen ihn entfällt: Pilz (1978,43) hielt ihn deshalb „für weniger geeignet, weil Neuprägungen mit dem Suffix-ismus (Kritizismus, Psychologismus) zumindest ein abwertendes, sprachkri-tisches Merkmal anhaftet, oder sie sind sogar bewußt so gemeint." Im übrigenhandelt es sich hier um eine Wortbildung mit -/ogismus (ähnlich Neologismusund Paläologismus), die den Begriff als eine sprachliche Erscheinung ausweist.Insofern ist dieser Terminus vorteilhaft, zumal er die oben genannten wesent-lichen Kriterien in seinem Bestandteil Phrase- ausdrückt. Der nicht zu unter-schätzende Nachteil aber liegt in seiner Unhandlichkeit, z. B. in bezug auf dieFlexion und, wie Günther (1990, 104) beklagt, in bezug auf seine „Unfähigkeitder Komposition". Genau dies trifft auch auf den von Pilz (1978) vorgeschla-genen Terminus Phraseolexem zu, den er (ebd., 27) vor allem „aus Gründen

In der Regel handelt es sich bei Einheiten mit nur zwei Wörtern (zur „Problematikdes Wortbegriffs" s. o.) um Autosemantika (vgl. eiserne Ration, Alarm schlagen},wobei, wie ein Blick in den Duden 1992 zeigt, Zweiworteinheiten offenbar eher seltenvorkommen gegenüber den Einheiten aus drei bis vier Wörtern (vor allem mitPräposition und Konjunktion). Eine sprachwissenschaftliche Untersuchung, die diegesamte Menge der hier definierten sprachlichen Erscheinungen analysierte, sortierte,klassifizierte und dadurch wegführte von der bisherigen Diskussion, die sich nur aufdie von Forscher- zu Forschergeneration tradierten Beispiele (vgl. Anm. 28) stützenkann, eine Untersuchung also, die eine Diskussion auf breiter empirischer Material-,bestenfalls auch Belegbasis ermöglichte, wäre wünschenswert.Vgl. u. v. a. Burger et al. 1973 und 1982, Wolf 1988 und Korhonen 1992. Häusermannschlägt übrigens den hier nur als Kuriosum angeführten Begriff Frasmus vor; s. dazuPilz 1981, 26: „In der Sowjet. Literatur scheint sich Phraseologismus immer mehrdurchzusetzen. Deshalb ist es völlig unverständlich, warum z. B. J. Häusermann ...,der fast ausschließlich Sowjet. Literatur berücksichtigt, den Terminus Frasmus (mit,f!) benutzt."

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internationaler Verständlichkeit" allen sonstigen Termini vorzieht. Die „inter-nationale Verständlichkeit" gilt hingegen auch für zahlreiche andere Benen-nungen und kann deshalb als Argument den Einwand der Unhandlichkeit undeinen weiteren nicht entkräften: Pilz' Terminus suggeriert in seiner Zusam-mensetzung mit -lexem als Determinatum, daß es sich hier um eine Unterartdes Lexems handelt, das allgemein als Einheit mit Einwortcharakter (!) be-trachtet wird. Recht handlich ist dagegen der gelegentlich auch als Oberbegrifffür die hier charakterisierten Erscheinungen vorgeschlagene Terminus Phrase.Darüber hinaus ist er aber weniger geeignet, weil er zum einen umgangssprach-lich im Sinne der ,leeren Phrase' verstanden wird und durch den Gebrauch inder Umgangssprache nicht eindeutig als Fachterminus identifizierbar ist. Zumanderen wird er in der Sprachwissenschaft in der Regel im Sinne von engl.phrase ,Satz(teil)' verwendet67 und ist deshalb als Oberbegriff für sprachlichePhänomene, die zu großen Teilen eben keinen Satzcharakter haben, unbrauch-bar.

Als der in jeder Hinsicht geeignete Oberbegriff erscheint mir Phrasem.Das einzige in der Literatur gelegentlich anzutreffende Argument, das gegenseine Verwendung sprechen könnte, führt Pilz (1978, 43) an: „Phrasem wirdungeschickterweise von Amosova68 nur für eine Gruppe und nicht als Ober-begriff verwendet, und zwar für den Typ ,ägyptische Finsternis4". Damit seiPhrasem „bereits vergeben".69 Da sich aber m. W. der Terminus in dieserBedeutung in der deutschsprachigen Forschung nicht hat durchsetzen können,spricht nichts gegen eine andere Verwendung.70 Außerdem hat der BegriffPhrasem Vorteile, die die bisher diskutierten Begriffe nur teilweise oder garnicht aufweisen: Phrasem ist als Fachterminus erkennbar und gehört eindeutigder Sprachwissenschaft an. Er paßt gut in die Reihe der Bezeichnungen fürdie einzelnen sprachwissenschaftlichen Gebiete und der dort jeweils untersuch-ten Erscheinungen: Morphologie —Morphem, (bedingt auch) Lexikologie —Lexem, Phraseologie — Phrasem. Er steht in einer Reihe mit ähnlich gebildeten,

67 Vgl. z. B. Lewandowski 1990, II, 596.68 Ich habe diese spezielle Verwendung bei Amosova nicht überprüft, sondern verlasse

mich hier auf Pilz und Thun.69 Pilz 1981, 26, in Anlehnung an Thun 1978, 27.70 Es ist aufschlußreich, daß Pilz schließlich selber, nämlich in einem Sammelband einer

offenbar wenig beachteten (vgl. dazu Kunkel 1986, 3 f.), überwiegend von Slawistenbesuchten Tagung zur Phraseologie, die Verwendung des Terminus explizit empfiehlt;vgl. Pilz 1983, 200: „Obwohl Wortgruppenlexem und Phraseolexem die Definitionder PE [Phraseologische Einheit] weitgehend in sich tragen [...], ist Phrasem ausGründen der von mir propagierten internationalen Akzeptabilität sicherlich derVorzug zu geben, wozu ich hiermit aufrufe." Auch die anderen Teilnehmer der Tagungsprechen sich nachdrücklich für den Terminus Phrasem aus, definieren ihn allerdingsentgegen meiner Begriffsbestimmung vor allem über die Idiomatizität; vgl. Matesic1983, 113: „Für die Wesensbestimmung des Phrasems kann die Idiomatizität als einesder wichtigsten Merkmale angesehen werden." Nach dieser Definition wäre dannPhrasem allerdings kein Oberbegriff mehr.

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sprachwissenschaftlich fest etablierten Termini: Phonem, Graphem, Morphem,Lexem, Phrasem, Textern.71 Er akzentuiert die zentralen Kriterien des Einheits-und Mehrwortcharakters und er ist handlich, auch im Hinblick auf seineFlektierbarkeit und Kompositionsfähigkeit.72

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71 Vgl. auch ähnliche Bildungen wie Plerem, Kenem, Monem und Semem.72 Vgl. z. B. bei Günther 1990 die zahlreichen Komposita wie Satzphrasem, Kinem-

phrasem, Partizipialphrasem, Phrasemwort.

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E. Donalies, Idiom, Phraseologismus oder Phrasem? 349

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Adresse der Verfasserin: Dr. Elke Donalies, Institut für deutsche Sprache, R 5,6 —13,Mannheim.

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