Displaced Persons und Kriegsgefangene in...

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Der Einmarsch der britischen Armee in Hamburg am 3. Mai 1945 brachte Zehntausenden von ausländischen Zwangs- und Zivilarbeiterinnen und -arbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen die Freiheit. Mit ihrer Befreiung wurden sie zu „Displaced Persons“ (DPs). Mit diesem Begriff aus der englischen Verwaltungssprache wurden Personen bezeichnet, die sich aus kriegsbedingten Gründen außer- halb der nationalen Grenzen ihres Landes befanden, für ihre Rückkehr nach Hause auf Hilfe angewiesen waren und versorgt werden mussten. Noch am selben Tag begann die Suche nach geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten für DPs im zerstörten Ham- burg. Dabei stieß die zuständige britische Militäreinheit auf das geräumte KZ Neuengamme. Bereits am 5. Mai began- nen dort Bauarbeiten, um Teile des Lagers als Unterkunft für befreite sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangs- arbeiter weiterzuverwenden. In einem anderen Teil des Lagers wurden deutsche Kriegsgefangene untergebracht. Nur vier Tage später, am 9. Mai 1945, begann die Repatri- ierung sowjetischer Staatsbürger von Hamburg aus. Die ersten Transporte liefen über das frühere KZ Neuengamme. Displaced Persons und Kriegsgefangene in Neuengamme Displaced Persons im geräumten KZ Neuengamme KZ-Gedenkstätte Neuengamme | Reproduktion nicht gestattet

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Der Einmarsch der britischen Armee in Hamburg am 3. Mai1945 brachte Zehntausenden von ausländischen Zwangs-und Zivilarbeiterinnen und -arbeitern, Kriegsgefangenenund KZ-Häftlingen die Freiheit. Mit ihrer Befreiung wurdensie zu „Displaced Persons“ (DPs). Mit diesem Begriff ausder englischen Verwaltungssprache wurden Personenbezeichnet, die sich aus kriegsbedingten Gründen außer-halb der nationalen Grenzen ihres Landes befanden, für ihre Rückkehr nach Hause auf Hilfe angewiesen waren undversorgt werden mussten.

Noch am selben Tag begann die Suche nach geeignetenUnterbringungsmöglichkeiten für DPs im zerstörten Ham-burg. Dabei stieß die zuständige britische Militäreinheit aufdas geräumte KZ Neuengamme. Bereits am 5. Mai began-nen dort Bauarbeiten, um Teile des Lagers als Unterkunftfür befreite sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangs-arbeiter weiterzuverwenden. In einem anderen Teil desLagers wurden deutsche Kriegsgefangene untergebracht.Nur vier Tage später, am 9. Mai 1945, begann die Repatri -ierung sowjetischer Staatsbürger von Hamburg aus. Dieersten Transporte liefen über das frühere KZ Neuengamme.

Displaced Persons und Kriegsgefangene in NeuengammeDisplaced Persons im geräumten KZ Neuengamme

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Eines der wenigen erhaltenenFotos vom Mai 1945 aus dem DP-Lager in Neuengamme. Es zeigt Wladimir Iljitsch Petrow(links), der 1942 im Alter von 15 Jahren zur Zwangsarbeit nachDeutschland verschleppt wordenwar. Über den anderen Mann aufdem Foto ist nichts bekannt.Wladimir Petrow wurde in derLandwirtschaft in Bad Oldesloe,beim Bau von Schützengräben inRendsburg und bei der Trümmer-beseitigung in Hamburg einge-setzt. Als der Freundeskreis KZ-Gedenkstätte Neuengammeihn 2001 zu einem Besuch nachHamburg einladen wollte, war erbereits verstorben. Seine Tochterschickte dem Freundeskreis dieseAufnahme aus seinem Fotoalbum.

Foto: unbekannt. (AFNg)

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Unter den Displaced Persons in der britischen und US-amerikanischen Zone nahmen die DPs aus der Sowjetunioneine Sonderstellung ein. Vor dem Hintergrund der hohenZahl der Kriegstoten in der Sowjetunion hatte die sowjeti-sche Führung bereits 1944 beschlossen, die Bürgerinnenund Bürger ihres Landes bei Kriegsende ausnahmslos, alsounabhängig von individuellen Wünschen und notfallszwangsweise, zu repatriieren.

Das alliierte Hauptquartier SHAEF (Supreme HeadquartersAlllied Expeditionary Force) hatte daher bereits im April1945 verfügt, dass sowjetische DPs gesondert unterzubrin-gen seien und allein die sowjetischen Repatriierungsstellenfür sie zuständig seien.

Über die Unterbringung der sowjetischen DPs in Neuen-gamme ist wenig bekannt. Zumindest die Frauen waren inden vormaligen Unterkünften der SS-Wachmannschaftenuntergebracht. Im Kriegstagebuch der 53. (Welsh) InfantryDivision werden die gesundheitsgefährdenden, unhygieni-schen Zustände im Lager Neuengamme kritisiert. Es könntendort keine weiteren DPs aufgenommen werden. Dort istaußerdem die Anweisung festgehalten, am 22., 23. und 24. Mai 1945 jeweils 5000 sowjetische DPs aus dem Lagerzu evakuieren.

Ende Mai wurde das DP-Lager in Neuengamme aufgelöst.Seitdem diente das DP Assembly Centre „Zoo“ im Ham -burger Park „Planten un Blomen“ als Transitlager für die Repatriierung in die Sowjetunion. Von dem Gelände, aufdem heute die Hamburger Messehallen stehen, kehrten inden folgenden zwei Monaten ca. 35000 DPs in die Sowjet -union zurück.

Displaced Persons aus der Sowjetunion

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Ljubow Aleksejewna Karaul-schtschuk im Oktober 2002 beieinem Besuch in Hamburg, aufge-nommen vor dem Tor der Firma Böhling, für die sie Zwangsarbeitleisten musste (Ausschnitt).

Foto: Nina Ritter. (AFNg)

Ljubow Aleksejewna Karaul-schtschuk wurde im Mai 1943nach Hamburg verschleppt, wosie für die Firma Böhling alsKöchin und Fräserin arbeitenmusste. Nach ihrer Befreiungwurde sie im geräumten KZ Neuengamme untergebracht. DieFotos zeigen sie 1943 als Zwangs-arbeiterin sowie 1945 nach ihrerBefreiung.

Fotos: unbekannt. (AFNg)

Englische Soldaten haben uns der Reihe nach mit Autos in ein ehemaliges KZ-Lager transportiert. […] Wir wurden in Baracken untergebracht, wo die Lagerwachmannschaftgewohnt hatte, in schönen sauberen Zimmern. In denBaracken hinter Stacheldraht befanden sich gefangeneSoldaten der Wehrmacht. Es standen noch Schornsteineder Öfen, in denen Leichen verbrannt worden waren. [...]

Man hat uns sehr gut verpflegt. Wir mussten nicht arbeiten.Wir ruhten uns aus. Einige von unseren Leuten sind sogarzu Fuß nach Hamburg gegangen, um ihre Bekannten zubesuchen, die in anderen Lagern blieben.

Ljubow Aleksejewna Karaulschtschuk. Brief, 5.5.2002. (AFNg)

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Andrej Stepanowitsch Pustilnikwurde im Juli 1942 nach Ham-burg verschleppt, wo er beiErntear beiten und zum Ausbag-gern der Elbe eingesetzt wurde.Nach seiner Befreiung kam er in dasehemalige KZ Neuengamme. Die Aufnahme zeigt ihn im März2003 bei einem Besuch im Ham-burger Hafen.

Foto: Katharina Hertz-Eichenrode. (AFNg)

Meine Freunde und ich haben uns entschieden, ins LagerNeuengamme zu gehen, da es der Sammelpunkt war.Mitten im Lager ist mir ein Häuschen aufgefallen, [wo] manLeichen [...] zum Verbrennen in einen Ofen [brachte].

Im Lager […] wurden wir von keinem bewacht. Wir konntenüberall im Lager herumlaufen. [...] Wir hatten alle etwas zuessen. Keiner hat uns zum Arbeiten geschickt.

Andrej Stepanowitsch Pustilnik. Brief, 1.3.2003. (AFNg)

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Nikolaj Wiktorowitsch Dewejkiswurde im April 1942 nach Hamburg verschleppt, wo er alsSchlosser für die Firma KlöcknerZwangsarbeit leisten musste.Nach seiner Befreiung wurde erim ehemaligen KZ Neuengammeuntergebracht.Die Aufnahme zeigt ihn bei einemBesuch im Januar 2005 vor demehemaligen Gelände der FirmaKlöckner in der Andreas-Meyer-Straße in Hamburg.

Foto: Katharina Hertz-Eichenrode. (AFNg)

Nach der Ankunft im ehemaligen Konzentrationslager binich von der finsteren Umgebung […] sehr unangenehmbeeindruckt worden. Ich denke, nicht nur mir ging es so.Das Konzentrationslager hatte ein sehr großes Gelände, aufdem sehr viele einfache Holzbaracken standen. Ein großerPlatz, wahrscheinlich für den Appell der Häftlinge, undweder ein Bäumchen noch grünes Gras waren zu sehen.Nur vor dem Eingang des Geländes und vor dem Gebäude,in dem die Wache und die Leitung des Konzentrationslagersuntergebracht worden waren, waren [...] Fliedersträucherund alle möglichen Blumen, die den Duft nach freiemLeben verbreitet haben.

Wir sind in den Baracken untergebracht worden, Frauengetrennt von den Männern. […] Wir haben nicht gearbeitet,sondern die Freiheit und Erholung nach den drei JahrenZwangsarbeit genossen.

Nikolaj Wiktorowitsch Dewejkis. Brief, 14.9.2003. (AFNg)

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Das geräumte KZ Neuengammewurde offenbar zur selben Zeitvon verschiedenen britischenMilitäreinheiten zur Unter-bringung von Displaced Personsund von deutschen Kriegsgefan-genen ausgewählt. Der genaueZeitraum ist schwer zu bestim-men. In diesem Telegramm vom9. Mai 1945 an die 2. britischeArmee heißt es, das Lager werdezurzeit für „russische“ DPsgenutzt und könne in der angren-zenden Fabrik (gemeint ist dasKlinkerwerk) auch deutscheKriegsgefangene aufnehmen. Ver-mutlich wurden aber bereits seitdem 5. Mai Kriegsgefangene imvormaligen Häftlingslager des KZuntergebracht.

(TNA (PRO))

Kriegsgefangene im geräumten KZ Neuengamme

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Dieses Standbild aus einer briti-schen Filmaufnahme vom 5. Mai1945 zeigt den Einmarsch vonKriegsgefangenen auf denAppellplatz des ehemaligen KZ Neuengamme.In einer Ausstellung der KZ-Gedenkstätte Neuengammeerkannte sich Rolf Weiß auf

diesem Bild wieder [siehe Mar-kierung]. Weiß, der bei Kriegsen-de einer Kampf gruppe angehörthatte, war von britischen Solda-ten an den Elb brücken gefangengenommen worden und kam zueiner Sammelstelle in der Ham-burger Kunsthalle. Nach einer aufeinem Feldbett in der Kunsthalle

verbrachten Nacht wurde er aufeinem Lkw nach Neuengammegebracht. Er erinnert sich, dassder Brotbeutel, den er auf demFoto trägt, voller Käse war, dener in der Kunsthalle entdeckthatte.

Aufnahme: Sergeant Whitaker. (IWM)

Wir waren die ersten, die da reingekommen sind. [...] Das ehemalige KZ-Lager war den Engländern genausounbekannt wie uns. Wir inspizierten die Baracken, soweituns das möglich war, in allen Ecken und fanden Abteile mitBrillengestellen, Zahnprothesen und allerlei Krimskrams,unter anderem auch einen Raum, in dem Kartoffeln undaufgequollene Schweinefleischdosen lagen. Dies war eingefundenes Fressen für den deutschen Landser. [...] DieTage vergingen mit Langeweile und Hunger und denwildesten [Gerüchten].

Rolf Weiß. Bericht und Interview, 28.1.2004. (ANg)

In den ersten sechs Wochen gab es nicht ein warmes Essen.[...] Selbst die englischen Soldaten [hatten] sehr wenig [...].Die Stimmung im Lager war trotz allem gut. Jedermann warfroh, den Krieg überlebt zu haben. Man konnte sich wiederfrei über alles unterhalten [...]. Es wurde sogar schonwieder politisiert und natürlich wurden Zukunftsplänegeschmiedet.

Richard Sobotta. Bericht, 20.11.1997. (ANg)

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Bei Kriegsende wurden gefange-ne deutsche Soldaten vom briti-schen Militär noch als Kriegs -gefangene, als „Prisoners of War“(POW), bezeichnet. Die Abkür-zung POW findet sich auch aufdem Wegweiser zum Kriegsgefan-genenlager in Neuengamme, auf-genommen im Mai 1945 an derheutigen Bundesstraße 5.Kurz darauf erhielten Soldaten,die nach der Kapitulation gefan-gen genommen worden waren, inder britischen Zone den Status„Surrendered Enemy Personnel“(„feindliches Personal, das sichergeben hat“).

Foto: Salomon Berreklouw. (ANg)

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Ende Mai 1945 wurden diekriegsgefangenen Wehrmachts-soldaten aus Neuengamme nachSchleswig-Holstein in großräumi-ge Internierungsgebiete verlegt,in denen sich Einheiten derbesiegten Wehrmacht weitge-hend selbst verwalteten. DasLager in Neuengamme, nun unterder Bezeichnung „NeuengammeCamp“, sollte künftig als Transit-lager für Angehörige der SS undder Waffen-SS dienen.

Foto: unbekannt. (RiAK)