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Epimenides, der Kreter, behauptete: Alle Kreter lügen. — Was hat man davon zu halten?Wenn Epimenides die Wahrheit spricht, so lügt er tatsächlich; wenn er aber lügt, dannhat er mit seiner Aussage recht. Kurzum, wir bleiben in einer seltsamen Schleife hän-gen. Kurt Gödel (1906-1978), einer der brillantesten Geister unseres Jahrhunderts,entwickelte die mathematische Umsetzung des antiken Lügenparadoxons und erschüt-terte das Selbstverständnis der Mathematik damit genauso wie Einstein dasjenige derPhysik. Maurits Cornelis Escher (1898-1972), der flämische Graphiker, hat zeitlebensParadoxien, diese seltsamen Schleifen, visualisiert, zeichnerisch umgesetzt, und in denKompositionsstrukturen Johann Sebastian Bachs (1685-1750) finden wir sie in raffinier-ten Modulationen wieder. Hofstadter entwickelt aus diesen Bereichen ein gigantischesMosaik, einen virtuos arrangierten Blick auf die Welt unter dem Winkel der mathema-tischen Logik. Dabei besticht er durch seine sachlich klare Darstellung, gepaart mit Amü-sement und Witz. Trotz des schwierigen Themas sind keine Vorkenntnisse gefordert, dieeinzige Voraussetzung ist waches und geduldiges Interesse. Niemand, der Spaß anintelligent-witzigem Nachdenken hat, darf dieses „Kultbuch" seinen kleinen grauenZellen vorenthalten.

Douglas R. Hofstadter, geboren 1945 in New York, studierte Physik. 1975 Promotion,danach verschiedene Gastprofessuren, unter anderem in Regensburg, Indiana, Bloo-mington und am Massachusetts Institut für Technologie. Hofstadter lehrt heute als Pro-fessor für „Cognitive Science" an der Indiana University und gehört zu den führendenKöpfen der Kognitionswissenschaft, die als Wissenschaft der Zukunft gilt. WeitereVeröffentlichungen auf deutsch: ,Einsicht ins Ich` (mit Daniel C. Dennett, 1986) und,Die FARGonauten. Über Analogie und Kreativität' (1996). Für ,Gödel, Escher, Bach'erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Pulitzerpreis für General Non-Ficti-on und den American Bock Award.

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Douglas R. Hofstadter

Gödel, Escher, Bach

ein Endloses Geflochtenes Band

Mit 152 Abbildungen

Klett-CottaDeutscher Taschenbuch Verlag

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Aus dem Englischen vonPhilipp Wolff-Windegg und Hermann Feuersee

unter Mitwirkung vonWerner Alexi, Ronald Jonkers und Günter Jung

FürM. und D.

Ungekürzte AusgabeSeptember 1991

erweiterte 11. Auflage Januar 2007Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

www dtv.deDas Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.© 1979, Basic Books, New York

Titel der amerikanischen Originalausgabe:Gödel, Escher, Bach: an Eternal Golden Braid

© der deutschsprachigen Ausgabe:1985 J. G. Cotta'sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, StuttgartISBN 3-608-93037-X

Umschlagkonzept: Balk & BrumshagenUmschlagabbildung: Douglas R. Hofstadter

Gesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in GermanyISBN-13: 978-3-423-30017-9

ISBN-10: 3-423-30017-5

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InhaltDas erste Exemplar einer ganz neuen Gattung (Gero von Randow) VII

Vorwort von Douglas R. Hofstadter XII

Übersicht XXXIX

Danksagungen XLVII

Teil 1: GEB

Einleitung: Ein musiko-logisches Opfer 3

Dreistimmige Invention 33

Kapitel 1: Das MU-Rätsel 37

Zweistimmige Invention 47

Kapitel II: Bedeutung und Form in der Mathematik 50

Sonate für Achilles solo 66

Kapitel III: Figur und Hintergrund 69

Contrakrostipunktus 81

Kapitel IV: Widerspruchsfreiheit, Vollständigkeit und Geometrie 90

Kleines harmonisches Labyrinth 113

Kapitel V: Rekursive Strukturen und Prozesse 137

Kanon durch intervallische Augmentation 165

Kapitel VI: Wo die Bedeutung sitzt 170

Chromatische Phantasie und Fehde 191

Kapitel VII: Die Aussagenlogik 198

Krebs-Kanon 217

Kapitel VIII: Theoria Numerorum Typographica 222

Ein Mu-Opfer 250

Kapitel IX: Mumon und Gödel 265

Teil II: EGBPräludium und ... 297

Kapitel X: Beschreibungsebenen und Computersysteme 306

... emsige Fuge 333

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Kapitel XI: Gehirn und Denken 361

Englisch-französisch-deutsche Suite 393

Kapitel XII: Geist und Denken 397

Aria mit verschiedenen Veränderungen 420

Kapitel XIII: BlooP und FlooP und GlooP 436

Die „Air" in G 462

Kapitel XIV: Über formal unentscheidbare Sätze von TNT und

verwandten Systemen 470

Geburtstagskantatatata ... 494

Kapitel XV: Aus dem System hinausspringen 498

Erbauliche Gedanken eines Tabakrauchers 514

Kapitel XVI: Selbst-Ref und Selbst-Rep 530

Dd. Magnifikrebs 585

Kapitel XVII: Church, Turing, Tarski und andere 596

SHRDLU bleibet meine Freude 624

Kapitel XVIII: Artifizielle Intelligenz: Rückblicke 632

Contrafaktus 675

Kapitel XIX: Artifizielle Intelligenz: Aussichten 683

Ai-Kanon 725

Kapitel XX: Seltsame Schleifen oder Verwickelte Hierarchien 728

Ricercar zu sechs Stimmen 768

Anmerkungen 793

Verzeichnis der Abbildungen 799

Quellennachweise 804

Bibliographie 805

Nachbemerkung zur deutschen Ausgabe 820

Register 821

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Gero von RandowDas erste Exemplar

einer neuen Gattung

Als Gödel Escher Bach, seither GEB abgekürzt, im Jahr 1985 in deutscher Überset-zung erschien, war die hiesige Leserschaft schon einigermaßen auf dieses einzigartigeBuch vorbereitet. Es existierte inzwischen eine Art Computerkultur, die nicht mehrnur in Rechenzentren anzutreffen war. Mit den ersten „Heimcomputern" griff sie viel-mehr aus in die Privatsphären, und das Programmieren war bereits Hobby gewor-den.

Von Hofstadters GEB hatte man hierzulande durchaus gehört, die amerikanischeAusgabe (1979) wurde schon länger herumgereicht und weiter verliehen, vor allemnachdem Douglas R. Hofstadter den Pulitzer-Preis 1980 erhalten hatte. Darüber hin-aus war das intellektuelle Publikum in der Bundesrepublik für etliche der Hofstadter-schen Motive sensibilisiert: Der „Positivismusstreit" der sechziger Jahren wirkte nochnach und ließ sich auch als Diskussion um Reduktionismus und Holismus verstehen.Debatten über Künstliche Intelligenz kamen auf, das New Age waberte durch dieBuchhandlungen, begleitet von furchterregend ernsten Interpretationen des Zen-Buddhismus und der Musik von John Cage, obwohl doch beide ausgesprochen humo-ristische Hervorbringungen sind.

Dann platzte Gödel Escher Bach hinein, stürmte den ersten Platz der Bestseller-listen und behielt ihn über Monate hinweg. Und man mag es gar nicht glauben, dennalles, was in diesem Buch steht, widersprach nachdrücklich und überzeugend dem da-maligen Konsens unter deutschen Intellektuellen. Ferner war GEB ja nicht einmal einordentliches Sachbuch, sondern ein Ichweißnichtwas.

Sprach man in jener Zeit mit Interessierten, so stellte sich bald heraus, daß die mei-sten das Buch nicht gelesen hatten. Daher drängt sich der ungerechte Vergleich mitStephen Hawkings „Eine kurze Geschichte der Zeit" auf, einem Buch, dem Jahre spä-ter das gleiche Schicksal widerfahren sollte. Ungerecht ist der Vergleich, weil GEB mit-nichten unverständlich ist. Wer das Buch begreifen will, muß sich allerdings Zeit neh-men und bereit sein, sich zu konzentrieren. Gelegentlich ist es besser, einen Stift zurHand zu nehmen, denn GEB enthält formale Beispiele aus sehr unterschiedlichen Dis-ziplinen. Dennoch setzt GEB keinerlei spezielle Kenntnisse voraus, weder der Mathe-matik noch der Philosophie noch der Musik noch der Computerei.

Denjenigen aber, die Mitte der Achtziger im Computer eine Herausforderung desGeistes und der Kultur sahen, kam das Buch wie Manna vom Himmel. Vielleicht auchgerade deshalb, weil es den Freunden des formenstrengen Denkens endlich das bot,was bis dahin der anderen Fraktion vorbehalten geblieben war, den Irrationalisten und

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Wissenschaftsabholden: das Schwärmerische, Spielerische, Künstlerische, verrätseltVielsagende.

Im Jahr 1982 und danach machten Benoit Mandelbrots Buch The Fractal Geometryof Nature (Die fraktale Geometrie der Natur, 1977) sowie die Computervisualisierun-gen des Chaos die Runde, mit denen der Bremer Mathematiker Heinz-Otto Peitgenspäter ein breites Publikum erreichen sollte, etwa mit dem Titel Bausteine des Chaos:Fraktale (1992). In diesen Büchern wird augenfällig gezeigt, daß aus Rückwirkungenvon Regeln auf sich selber komplexe Strukturen entstehen können, und diese Struktu-ren erinnern auffällig an Bioformen. Da konstruierte sich vor unseren Augen am Bild-schirm ein vielfältiges Ganzes, das unbestreitbar mehr war als die Summe seiner Teile,etwas, das vom Auge ganzheitlich erfaßt wurde — etwas offenkundig Holistisches,das gleichwohl Pixel um Pixel von einer Formel aufgebaut worden war, als entstammees dem Paradies der Reduktionisten. Schlimmer noch: Mit Programmen dieser Artließ sich etwas darstellen, das der Anschauung nur als „Chaos" gelten konnte, je-doch durch und durch deterministisch war und sich als eins zu eins wiederholbarzeigte.

Dies waren die geistigen Voraussetzungen, auf die GEB traf. Schnell wurde es einKultbuch unter denen, die es gelesen hatten, und damit ist gemeint: GEB wurde stil-prägend. Plötzlich holten wir wieder die Bach-Platten aus dem Schrank und hörten,wovon wir in GEB gelesen hatten. Mit einem Mal klang die Musik Bachs beziehungs-reicher, als wir sie je zuvor wahrgenommen hatten. Wir schauten die Escher-Bilder-bücher an, die in früheren Zeiten mit Joints und Pink-Floyd-Musik eine Art Trinitätbildeten und mit ihnen verinnerlicht worden waren. Und siehe da, der zuvor nichtwirklich verstandene formale Zauber wirkte beseelend. Rekursive Wortspiele, augen-zwinkernde Koans und hin und wieder Cage, sozusagen als Hintergrund der Bach-Figur: GEB wurde — kaum merklich — zu einer Lebensweise.

Und was hatte das alles mit Kurt Gödel zu tun? Die Erkenntnisse dieses Mathema-tikers mußten zu jener Zeit mehr als einmal dafür herhalten, Zweifel an den Wissen-schaften zu begründen. Gödel hatte für immer und alle Zeiten das Bemühen der Ma-thematiker, seiner Fachkollegen, zum Einsturz gebracht, ihre Wissenschaft vollständigaus ein paar Axiomen aufzubauen. Er bewies ihnen nämlich, daß sich in der Sprachejedes nichttrivialen formalen Systems Sätze bilden lassen, die zwar unbestreitbar wahrsind, aber aus den Axiomen eben dieses Systems nicht hergeleitet werden können,wie zum Beispiel Sätze des Inhalts: „Dieser Satz ist aus den Axiomen des Systemsnicht herzuleiten." Das klingt nicht irgendwie bedrohlich, aber die andere auf Gödelbasierende Aussage schon: Die Mathematiker werden nie wissen, ob ihre Disziplin wi-derspruchsfrei ist.

Das hat noch keinen Mathematiker dazu veranlaßt, seine Tätigkeit einzustellen, undes sollte daran erinnert werden, daß Gödel seine Ergebnisse selbstverständlich mit ma-thematischen Mitteln erreichte. Es gilt auch, daß zu jedem System S, in dem ein sol-cher wahrer, aber nicht herleitbarer Gödelsatz G gebildet werden kann, ein System S'vorhanden ist, das ihn ebenfalls enthält und diesmal auch herzuleiten imstande ist.Nur eben, daß S' dann wieder einen Gödelsatz G' enthält und ad infinitum.

Mathematikfremde Philosophen und Essayisten jener Jahre wiesen gleichwohl süf-

VIII

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fisant auf Gödel hin, der angeblich dem formalen Denken seine Grenzen gewiesenhabe. Hofstadter nun drehte, unter dem Beifall von uns Freunden des Formalen, denSpieß um: Mit sicherem Griff nahm er sich das Gödel'sche Beweisverfahren und be-gründete mit ihm eine Theorie der Künstlichen Intelligenz (KI). Das war nun wirklicheine Provokation, denn in den Achtziger Jahren trieb die Vorstellung, daß Maschinenintelligent sein könnten, das deutsche Feuilleton auf die Barrikaden.

Damit ist auch gesagt, daß eigentlich nicht das von Gödel Bewiesene das Thema die-ses Buches ist, sondern dessen Methode der Beweisführung. Sie ist auf wundersame(und durch sorgfältige Lektüre von GEB für jeden Nichtmathematiker nachvollzieh-bare) Weise eine Anwendung von Regeln auf sich selbst, was ja auch Kompositionenvon Bach und Bilder von Escher charakterisiert. Mit dieser Methode begründet Hof-stadter seine Theorie, die zur „harten KI" zählt: Mit symbolmanipulierenden Program-men will — sagen wir lieber: wollte — diese Denkrichtung den Maschinen Intelligenzverleihen. Die harte KI ist eine Untergruppe des sogenannten Funktionalismus. Ihmist Intelligenz eine Leistung, wenn man so will ein Verhalten, und zwar „plattformun-abhängig", wie man heute wohl sagen würde: Egal, ob Gehirn oder Computer, Haupt-sache es denkt. Auf welcher Hardware die Symbole verarbeitet würden, ist gleichgül-tig. Die Gegenposition nennt Hofstadter treffend den „Biochauvinismus". Ihr zufolgeist Intelligenz eine Lebensfunktion, ohne Leben also keine Intelligenz, und Leben istnach bisherigem Wissen proteingebunden.

In GEB versucht Hofstadter seine Theorie zu begründen, derzufolge Intelligenz undBewußtsein gewissermaßen dadurch entstehen, daß Sätze auf sich selbst angewendetwerden, was ich an dieser Stelle aufs äußerste verkürzt dargestellt habe. Das ist inso-fern old school KI, als daß nach Hofstadter die Symbolmanipulation das Geheimnis desGeistes enthält. Eine solche Position wird heute in der Wissenschaft kaum noch ver-treten. Eine ihrer Schwächen besteht darin, nicht angeben zu können, was denn In-telligenz und Bewußtsein sind. Präzise ist sie, so lange sie selbstbezügliche Programmeschreibt und anwendet, unpräzise wird sie stets an dem Punkt, an dem diese Symbol-schieberei angeblich zum Geist wird. Das ist natürlich nur rückblickend geäußert,denn gerade solche Bücher wie GEB haben Veranlassung dazu gegeben, die Philoso-phie des Geistes zu modernisieren.

Sie geht heute beispielsweise der Frage nach, was denn das „phänomenale Selbst"ist, also das, was sich im „Ich-Gefühl" offenbart. Die Tatsache, daß wir die Welt auseiner Ich-Perspektive erfahren, ist uns zwar kognitiv verfügbar, aber auch wenn wir sieuns nicht bewußt machen, ist sie stets vorhanden (außer in pathologischen Fällen).Viele einschlägige Begriffe und deren Anwendungen sind philosophisch noch nichtaufgeklärt, und noch weniger sind es die neurologischen Vorgänge, auf denen Intelli-genz und Bewußtsein beruhen — von Ausnahmen abgesehen. Aber damit haben wirbereits den Horizont von GEB verlassen.

Man kann Hofstadters Buch aus historisierender Sicht als das vorerst letzte großeFeuerwerk der klassischen Künstlichen Intelligenz verstehen. Ein Jahr nach seinemErscheinen in Deutschland wurde Understanding Computers and Cognition (1986)von Terry Winograd und Fernando Flores gedruckt, und es kursierten bereits die er-sten rebellischen Papiere des Robotikers Rodney Brooks. So unterschiedlich die Her-

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kunft der beiden Angriffe auf die klassische KI (Winograd und Flores ging es eigentlichum Bürocomputer, Brooks um bessere Ingenieurkunst), so verwandt waren doch dieGrundlinien ihrer Kritik: Nicht die Symbolmanipulation macht das Wesen des Com-puters aus und damit einer eventuell möglichen Künstlichen Intelligenz, sondern dieauf Ziele gerichtete Einbettung der Maschine in die Welt.

Der Umstand, daß Intelligenz und Bewußtsein historisch als Eigenschaften von In-dividuen entstanden sind, die sich mit ihren Körperfunktionen in eine Welt einpassenmußten — eine Welt, zu der auch andere Individuen zählen —, ist von der klassischen KIin den achtziger Jahren, in denen ja auch GEB erschien, seltsamerweise ignoriert wor-den. Und wenn sie von der Intelligenz eines Individuums und nicht bloß eines Pro-gramms sprach, dann hatte sie zumeist einen allgemeinen Akteur im Auge, also einSubjekt mit sogenannter allgemeiner, nicht auf bestimmte Situationen spezialisierterIntelligenz.

Nun zeichnet den Menschen vor anderen Lebewesen gewiß die Fähigkeit aus, sichauf besonders effiziente Art und Weise neuen Gegebenheiten anzupassen — und dieseAnpassungsfähigkeit kann als allgemeine Intelligenz gedeutet werden. Deren Verfeine-rung geht so weit, daß unsereins abstrakte Symbole verarbeiten und beispielsweiseMathematik betreiben kann, aber der Kern unseres Geistes ist dies nicht. Die mensch-lichen Anpassungsleistungen werden überwiegend kollektiv erbracht, von bewußtenund unbewußten Hirnvorgängen gemeinsam, vom inneren Signalssystem (Schmerz,Hungergefühl, Lust und so weiter), von unserer Körpermechanik, die uns das Laufenund Greifen und Sehen so vereinfacht und vielen anderen Elementen mehr. Auch dieSprache ist mitnichten auf ein System aus Symbolen und Regeln zu reduzieren. UnsereSprechakte können Signalcharakter haben, eine emotionale Tönung setzen, sie mögenSachverhalte beschreiben, im Befehlston Handlungen in Gang setzen oder die ganzeUnendlichkeit menschlicher Äußerungen aufrufen...

Mit anderen Worten: Das Pendel der rationalen Geistesphilosophie ist seit GEB wie-der zurückgeschwungen. Nicht nur, daß Künstliche Neuronale Netze, in den achtzigerJahren unterschätzt, längst wieder rehabilitiert sind, nein, mittlerweile hat sich derGedanke durchgesetzt, daß Künstliche Intelligenz (oder gar artifizielles Bewußtsein)ohne künstliche Körper und Sozialsysteme (seien sie auch nur im Rechner simuliert)nicht zu haben sein wird.

Es ist allerdings wohlfeil, nur auf das hinzuweisen, was sich seit Erscheinen diesesBuches alles getan hat — etwa in der Genetik, die unterdessen erfahren mußte, daß „ge-netischer Code" eine unterkomplexe Metapher ist. Als Hoftstadter darüber schrieb,war dies nun einmal die zeitgenössische Denkweise.

Interessanter ist vielmehr die Frage, was von GEB bleiben wird.Die Computerkultur, wie sie von dem Buch geprägt wurde, erwies sich als kurz-

lebig; statt dessen entspann sich das Internet, und von „Computerkultur" zu sprechenklingt mittlerweile altmodisch. Die harte, klassische KI ist bis auf weiteres gescheitert;gerade in Deutschland war es ihr gelungen, nach zähem Kampf gegen die Informatik-begründer, viel Geld für ihre Forschungen bewilligt zu bekommen, die beinahe alle imSande verlaufen sind.

Gewiß, das Pendel wird irgendwann erneut zurückschwingen, vermutlich als Be-

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gleiterscheinung sprunghaft steigender Rechenkapazitäten, und die Informatik wirdGEB mit Staunen wiederlesen.

Aber die weiterreichende Wirkung des einen großen Meisterwerks von DouglasR. Hofstadter wird womöglich eine andere sein: Hier wurde erstmals seit Alexandervon Humboldt der heroische Versuch unternommen, Naturwissenschaften und Gei-steswissenschaften (zu denen die Mathematik zu zählen ist, aber auch die Musiktheo-rie und selbstredend die Philosophie) gemeinsam auf Forschungsreise zu schicken.Und mehr noch, indem GEB die Musik und die Bildende Kunst anruft, literarisch istund in seinen formalen Teilen leicht unter Zuhilfenahme von Bleistift und Papier nach-zuvollziehen ist, gewinnt es eine Anschaulichkeit, für die es in der Darstellung wissen-schaftlicher Themen wohl kaum ein anderes Beispiel in der Geschichte gibt.

Abgesehen von dem hohen Bildungs- und Unterhaltungswert von GEB verhält essich daher möglicherweise so, daß dieses Buch eines Tages nicht mehr — wie heute —als Singularität anzusehen ist, sondern als das erste Exemplar einer neuen Gattungöffentlichen Philosophierens.

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Vorwortder GEB-Ausgabe zum

zwanzigjährigen Jubiläum

Worum geht es eigentlich in dem Buch Gödel, Escher, Bach = ein Endloses Gefloch-tenes Band, meist nur kurz mit GEB bezeichnet?

Diese Frage verfolgt mich, seit ich 1973 erste Entwürfe handschriftlich zu Papierbrachte. Freunde fragten natürlich, wovon ich so in Anspruch genommen sei, aber ichwar selten gezwungen, es prägnant zu erklären. Einige Jahre später, 1980, als sich GEBeine Zeitlang auf der Bestsellerliste der New York Times befand, hieß es mehrere Wo-chen lang in der obligaten Ein-Satz-Zusammenfassung unter dem Titel: „Ein Wissen-schaftler vertritt die Auffassung, die Wirklichkeit sei ein System aus geflochtenen Bän-dern, die miteinander verknüpft sind." Nachdem ich mich heftig über diesen Blödsinnbeschwert hatte, wurde der Satz durch eine etwas bessere Beschreibung ersetzt, diegerade treffend genug war, um mich an weiteren Protesten zu hindern.

Viele Leute sind der Meinung, der Titel bringe es auf den Punkt: ein Buch übereinen Mathematiker, einen Maler und einen Musiker. Doch schon ein flüchtiger Blickzeigt, daß die drei Personen an sich, so bedeutend sie fraglos sind, im Buch kaum eineRolle spielen. Es geht also ganz bestimmt nicht um diese drei Menschen.

Wie wäre es dann mit folgender Beschreibung: „GEB zeigt, daß Mathematik, Male-rei und Musik im Kern ein und dasselbe sind"? Wieder völlig daneben — und dochhabe ich es wieder und wieder gehört, nicht nur von Nichtlesern, sondern auch vonLesern, sogar begeisterten Lesern, des Buchs.

In Buchhandlungen habe ich gesehen, daß GEB den verschiedensten Wissensgebie-ten zugeordnet wurde, nicht nur der Mathematik, Naturwissenschaft, Philosophie undKognitionswissenschaft (wogegen nichts einzuwenden ist), sondern auch der Religion,New Age und ich weiß nicht was noch. Warum läßt sich so schwer erklären, worum esin diesem Buch geht? Sicherlich liegt es nicht nur an seiner Länge. Nein, zum Tèil hates wohl damit zu tun, daß GEB sich mit so vielen Gebieten befaßt, und das nicht nuroberflächlich — mit Fugen und Kanons, Logik und Wahrheit, Geometrie, Rekursion,syntaktischen Strukturen, der Natur von Bedeutung, Zenbuddhismus, Paradoxa, Ge-hirn und Geist, Reduktionismus und Holismus, Ameisenkolonien, Konzepten und Vor-stellungen, Übersetzung, Computern und ihren Sprachen, DNS, Proteinen, dem gene-tischen Code, Künstlicher Intelligenz, Kreativität, Bewußtsein und Willensfreiheit —und manchmal sogar mit Malerei und Musik! Kein Wunder, daß viele MenschenSchwierigkeiten haben, das eigentliche Anliegen des Buches auf den Punkt zu bringen.

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Die Bilder und Ideen, die den Kern von GEB bilden

Überflüssig zu sagen, daß mich diese allgemeine Verwirrung im Laufe der Jahre sehrfrustriert hat, war ich doch der Meinung, ich hätte meine Zielsetzungen im Text selbstwieder und wieder zum Ausdruck gebracht. Offenbar ist es nicht oft genug oder klargenug geschehen. Doch da ich nun die Möglichkeit habe, es noch einmal zu tun — nochdazu an so hervorgehobener Stelle —, möchte ich ein letztes Mal den Versuch unter-nehmen zu sagen, warum ich dieses Buch geschrieben habe, wovon es handelt undworin seine Hauptthese besteht.

Auf einen kurzen Nenner gebracht: GEB ist der sehr persönliche Versuch zu erklä-ren, wie beseelte Wesen aus unbeseelter Materie entstehen können. Was ist einSelbst, und wie kann sich ein Selbst aus einem Stoff ohne Selbst wie einem Stein odereiner Pfütze entwickeln? Was ist ein „Ich" und warum sind solche Gebilde (zumindestbislang) nur anzutreffen in Verbindung mit, wie es der Dichter Russell Edson so wun-derbar gesagt hat, „schwankenden Knollen aus Traum und Trauer" — das heißt, nur inVerbindung mit feuchten Gewebeklumpen, die sich, in harten Schutzhüllen unterge-bracht und auf bewegliche Untergestelle montiert, mit Hilfe zweier etwas unsicherer,gelenkig verbundener Stelzen durch die Welt bewegen?

GEB geht diese Fragen an, indem es langsam eine Analogie entwickelt, die un-belebte Moleküle mit bedeutungslosen Symbolen vergleicht und im weiteren einenVergleich zieht zwischen Selbsten („Ichs” oder „Seelen", wenn Sie es vorziehen — wasimmer belebte von unbelebter Materie unterscheidet) und bestimmten verwirbelten,verschlungenen, strudelartigen und bedeutungsvollen Mustern, die nur in ganz be-sonderen Systemen aus bedeutungslosen Symbolen entstehen. Mit diesen seltsamen,verschlungenen Mustern befaßt sich das Buch so ausführlich, weil sie kaum bekannt,kaum gewürdigt, erwartungswidrig und voller Geheimnisse sind. Aus Gründen, dienicht allzu schwer zu erraten sein dürften, bezeichne ich diese eigenartigen, verfloch-tenen Muster überall im Buch als „Seltsame Schleifen", obschon ich in späteren Kapi-teln auch den Ausdruck „Verwickelte Hierarchien" verwende, der im wesentlichendie gleiche Idee zum Ausdruck bringt.

Das ist einer der Gründe, warum M. C. Escher — oder genauer, sein graphischesWerk — in dem „Endlosen Geflochtenen Band" einen so hervorragenden Platz ein-nimmt. Escher war nämlich auf seine eigene, besondere Weise von Seltsamen Schleifenebenso fasziniert wie ich und hat sie in den verschiedensten Zusammenhängengezeichnet, alle wunderbar verwirrend und faszinierend. Doch als ich mit den Vorar-beiten zu dem Buch begann, hatte ich Escher noch gar nicht im Visier (in der Schleife,wie sich an dieser Stelle sagen ließe). Mein Arbeitstitel war ziemlich nüchtern — Gödel'sTheorem and the Human Brain, „Der Gödelsche Satz und das menschliche Gehirn" —,und ich hatte noch keineswegs vor, paradoxe Bilder oder gar spielerische Dialoge ein-zuflechten. Doch immer wieder, während ich meine Ansichten über Seltsame Schleifenzu Papier brachte, tauchten flüchtige Bilder von dieser oder jener Escher-Graphik fastunterschwellig vor meinem geistigen Auge auf, bis mir eines Tages klar wurde, daß dieseBilder in meiner Vorstellung so eng mit den Ideen verknüpft waren, über die ich schrieb,daß es geradezu widersinnig gewesen wäre, den Lesern die von mir so stark empfun-

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dene Verknüpfung vorzuenthalten. Und so hieß ich Eschers Kunst an Bord willkommen.Was Bach angeht, so werde ich auf seinen Eintritt in meine „metaphorische Fuge überGeist und Maschinen" ein wenig später zu sprechen kommen.

Doch erst einmal zurück zu den Seltsamen Schleifen. Der Auslöser für GEB warmeine lang gehegte Überzeugung, daß der Begriff der „Seltsamen Schleife" den Schlüs-sel zu jenem Geheimnis enthalte, das wir bewußten Wesen „Sein" oder „Bewußtsein"nennen. Zum erstenmal kam mir diese Idee, als ich als Halbwüchsiger hingerissenüber der Seltsamen Schleife brütete, mit der Kurt Gödel seinen berühmten Unvollstän-digkeitssatz aus der mathematischen Logik bewiesen hat — ein ziemlich seltsamer Ort,so ließe sich meinen, um auf das Geheimnis des Selbst und des „Ich" zu stoßen, unddoch sprang sie mir auf den Seiten des Buches von Nagel und Newman förmlich ent-gegen — die Erkenntnis, daß dies des Pudels Kern sei.

Dieses Vorwort ist nicht der Ort und die Zeit, um auf Einzelheiten einzugehen —schließlich sind sie der Grund, warum der dicke Band geschrieben wurde, den Sie inHänden halten, daher wäre es ein bißchen anmaßend von mir, zu meinen, ich könntees dem Autor auf diesen wenigen Seiten gleichtun! Doch eines sei mit aller Klarheitgesagt: Gödels Seltsame Schleife, die in formalen Systemen der Mathematik auftritt(das heißt, in Regelsammlungen zur Produktion einer endlosen Reihe von mathemati-schen Wahrheiten allein durch mechanische Symbolmanipulation ohne Rücksicht aufdie Bedeutungen oder Ideen, die in den manipulierten Formen verborgen sind), ist eineSchleife, die einem solchen System ermöglicht, „sich selbst wahrzunehmen", über sichselbst zu sprechen, „selbst-bewußt" zu werden. In gewissem Sinne läßt sich sogar sa-gen, daß ein formales System, weil es eine solche Schleife besitzt, ein Selbst annimmt.

Bedeutungslose Symbole nehmen gegen alle AbsichtBedeutung an

Seltsam daran ist, daß die formalen Systeme, in denen sich diese rudimentären „Selb-ste" herausbilden, aus nichts als bedeutungslosen Symbolen bestehen. Das Selbst ent-steht nur, weil sich zwischen den bedeutungslosen Symbolen eine besondere Art vonverwirbeltem, verwickeltem Muster herausbildet. Zwischendurch ein Bekenntnis: Ichbin ein bißchen übervorsichtig, wenn ich immer wieder von „bedeutungslosen Sym-bolen" rede (wie in den beiden vorstehenden Sätzen), weil ein entscheidendes Argu-ment der im vorliegenden Buch vertretenen Auffassung lautet, daß sich Bedeutungnicht aus formalen Systemen ausklammern läßt, wenn hinreichend komplexe Isomor-phien vorliegen. Bedeutung entsteht trotz aller Anstrengungen, die Symbole bedeu-tungslos zu halten!

Lassen Sie mich die letzten beiden Sätze noch einmal formulieren, ohne den etwaswissenschaftlich anmutenden Begriff „Isomorphie" zu verwenden. Wenn ein Systemvon „bedeutungslosen" Symbolen Muster aufweist, die verschiedene Phänomene inder Welt exakt nachzeichnen oder widerspiegeln, dann lädt dieses Nachzeichnen oderSpiegeln die Symbole mit einem gewissen Maß an Bedeutung auf — mehr noch, dasNachzeichnen oder Spiegeln ist nicht mehr und nicht weniger als Bedeutung. Je nach-

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dem, wie komplex, geschickt und zuverlässig das Nachzeichnen ist, ergeben sich ver-schiedene Stufen von Bedeutsamkeit. Weiter möchte ich das Thema hier nicht vertie-fen, weil es um eine These geht, die in dem Text immer wieder aufgenommen wird,vor allem in den Kapiteln zwei, vier, sechs, neun und elf.

Verglichen mit einem typischen formalen System ist die menschliche Sprache un-glaublich flexibel und raffiniert in ihren Mustern zum Nachzeichnen der Wirklichkeit.Deshalb erscheinen die Symbole in formalen Systemen manchmal sehr trocken undsteril, ja, ohne große Mühe lassen sie sich als völlig bedeutungslos ansehen. Indes, ha-ben wir eine Zeitung vor Augen, die in einem fremden Schriftsystem verfaßt ist, undschauen wir uns die seltsamen Formen an, so erscheinen sie uns auch nur als wunder-sam komplizierte, aber bedeutungslose Muster. So kann sogar die menschliche Spra-che, trotz allen Reichtums, ihrer anscheinenden Bedeutung entkleidet werden.

Tatsächlich sind immer noch eine ganze Reihe von Philosophen, Wissenschaftlernund Denkern anderer Wissensgebiete der Meinung, Symbolmuster an sich (Bücher,Filme, Bibliotheken, CD-ROMs, Computerprogramme, egal, wie komplex oder dyna-misch) hätten niemals von sich aus Bedeutung, die Bedeutung springe statt dessen aufhöchst geheimnisvolle Weise aus der organischen Chemie über — oder aus der Quan-tenmechanik oder den Prozessen biologischer, auf Kohlenstoffbasis arbeitender Ge-hirne. Obwohl ich keinerlei Verständnis für diese engstirnige, biochauvinistische An-schauung habe, ist mir schon klar, warum sie auf viele Menschen eine ganz unmittel-bare Anziehungskraft ausübt. Dieser entschlossene Glaube an den Primat, ja, die Ein-zigartigkeit des Gehirns läßt erkennen, aus welcher Ecke diese Leute kommen.

Sie glauben, daß eine besondere Art von „semantischem Zauber" nur in unseren„schwankenden Knollen" stattfindet, irgendwo hinter zwei Augäpfeln, obwohl keinervon ihnen genau angeben kann, wie es oder warum es geschieht. Ferner sind sie über-zeugt, dieser semantische Zauber sei verantwortlich für die Existenz von Selbst, Seele,Bewußtsein, Ich des Menschen. In einem Punkt kann ich ihnen aus vollem Herzen zu-stimmen: Auch ich bin der Überzeugung, daß Selbst und Semantik — Bewußtsein undBedeutung — tatsächlich eines Ursprungs sind. Keineswegs mit ihnen einverstandenbin ich jedoch, wenn sie behaupten, derartige Phänomene seien ganz und gar auf be-sondere, wenn auch noch unentdeckte Eigenschaften der mikroskopischen Hardwaredes Gehirns zurückzuführen.

Ich denke, diese magische Auffassung von „Ich" und Bewußtsein läßt sich nur über-winden, indem wir uns — so schmerzlich es auch sein mag — immer wieder vor Augenführen, daß die „schwankende Knolle aus Traum und Trauer", die sicher in unsererSchädelhöhle ruht, ein rein materielles Objekt ist, aus sterilen und unbelebten Ele-menten besteht und damit genau den gleichen Gesetzen gehorcht wie der Rest desUniversums — etwa Textpassagen, CD-ROMs oder Computer. Nur wer sich dieser er-nüchternden Tatsache stellt, dem wird dämmern, wie sich das Geheimnis des Bewußt-seins lüften läßt: Der Schlüssel ist nicht der Stoff, aus dem das Gehirn gemacht ist, son-dern es sind die Muster, die sich in dem Stoff eines Gehirns bilden.

Dieser Perspektivenwechsel bringt Befreiung, denn er erlaubt uns, Gehirne aufeiner anderen Ebene zu betrachten: als Medien komplexer Muster, die, wenn auch al-les andere als vollkommen, die Welt spiegeln, von der sie natürlich selbst ein Teil sind.

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In der unvermeidlichen Selbstspiegelung, die so entsteht, mag sie auch noch so rudi-mentär und unvollkommen sein, beginnen die Seltsamen Schleifen des Bewußtseinszu wirbeln.

Kurt Gödel bricht durch Bertrand Russells Maginotlinie

Oben habe ich behauptet, der Wechsel von den materiellen Komponenten zu den ab-strakten Mustern ermögliche den Sprung vom Unbelebten zum Belebten, vom Nicht-semantischen zum Semantischen, von der Bedeutungslosigkeit zur Bedeutsamkeit.Aber wie geschieht das? Schließlich erwächst nicht aus jedem Sprung von Materie zuMuster Bewußtsein, Seele oder Selbst. Mit einem Wort, nicht alle Muster sind bewußt.Was für ein Muster ist also das verräterische Anzeichen eines Selbst? GEBs Antwortlautet: eine Seltsame Schleife.

Ironischerweise fand sich die erste Schleife überhaupt — und mein Modell für dasKonzept im allgemeinen — in einem System, das ausdrücklich zum Ausschluß vonSchleifen entwickelt worden war. Die Rede ist von Bertrand Russells und Alfred NorthWhiteheads berühmter Abhandlung Principia Mathematica, einem gewaltigen, ein-schüchternden Werk aus dicht gesponnenen, schwierigen Symbolen, die viele Bändefüllen. Die eindrucksvolle Abhandlung entstand in den Jahren 1910-1913 und dientein erster Linie dem verzweifelten Bestreben der Autoren, die Paradoxa der Selbstrefe-renz in der Mathematik zu umgehen.

Das Kernstück der Principia Mathematica bildet Russells sogenannte „Typentheo-rie", die wie die etwa zur gleichen Zeit entstandene Maginotlinie die Aufgabe hatte,„den Feind" möglichst wirksam und gründlich abzuwehren. Für die Franzosen hieß derFeind Deutschland, für Russell Selbstreferenz. Russell war der Überzeugung, für jedesmathematische System bedeute die Fähigkeit, über sich selbst zu sprechen — egal, inwelcher Weise —, den Todesstoß, denn Selbstreferenz führe unvermeidlich zum Selbst-widerspruch und bedeute daher den Ruin aller Mathematik. Um dieses Unheil zu ver-meiden, erfand er eine komplexe (und unendliche) Hierarchie von Ebenen, die alle der-art voneinander abgeschottet waren, daß sie, wie er glaubte, das schreckliche Virus derSelbstreferenz ein für allemal daran hinderten, das anfällige System zu infizieren.

Zwanzig Jahre später erkannte der junge österreichische Logiker Kurt Gödel, daßRussells und Whiteheads mathematische Maginotlinie gegen Selbstreferenz geschicktumgangen werden konnte (so wie die Deutschen im Zweiten Weltkrieg Frankreichüberrannten, indem sie die wirkliche Maginotlinie geschickt umgingen) und daß dieSelbstreferenz die Principia Mathematica nicht nur vom ersten Tag an bedroht hatte,sondern eine geradezu zwangsläufige Heimsuchung darstellte. Mit brutaler Klarheitmachte Gödel deutlich, daß die Kontamination des Systems durch Selbstreferenz nichtan einer besonderen Schwäche der Principia Mathematica lag, sondern ganz im Ge-genteil auf seine Stärke zurückzuführen war. Jedes ähnliche System mußte an genaudem gleichen „Mangel" kranken. Es dauerte so lange, diesen erstaunlichen Umstandzu entdecken, weil dazu ein ähnlicher Sprung erforderlich war wie derjenige, der vonunbelebten Elementen zu belebten Mustern führt.

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Gödel gelang der Durchbruch um das Jahr 1930 dank einer einfachen, aber wunder-bar ergiebigen Entdeckung, die wir als „Gödel-Numerierung" bezeichnen — eine Ab-bildung, bei der lange lineare Symbolketten eines beliebigen formalen Systems exaktdurch mathematische Beziehungen zwischen bestimmten (gewöhnlich astronomischgroßen) ganzen Zahlen wiedergegeben werden. Mit seiner Abbildung von komplizier-ten Mustern aus bedeutungslosen Symbolen (um den Ausdruck noch einmal zu ver-wenden) auf riesige Zahlen zeigte Gödel, wie sich eine Aussage über ein formales ma-thematisches System (etwa die Behauptung, die Principia Mathematica seien wider-spruchsfrei) in eine mathematische Aussage innerhalb der Zahlentheorie (die Lehrevon den ganzen Zahlen) übersetzen läßt. Mit anderen Worten, jede metamathemati-sche Aussage läßt sich in die Mathematik einführen. In ihrer neuen Form behauptetdie Aussage einfach (wie alle Aussagen der Zahlentheorie), daß bestimmte ganze Zah-len bestimmte Eigenschaften oder Beziehungen untereinander besitzen. Doch aufeiner anderen Ebene bekommt die Aussage eine völlig neue Bedeutung, die, oberfläch-lich betrachtet, mit einer Aussage der Zahlentheorie sowenig zu tun zu haben scheintwie ein Satz in einem Roman von Dostojewskij.

Jedes formale System, das ursprünglich entwickelt worden ist, um Wahrheiten über„reine" Zahlen hervorzubringen, produziert durch Gödels Abbildung am Ende — unab-sichtlich, aber unausweichlich — Wahrheiten über seine eigenen Eigenschaften undwird auf diese Weise gewissermaßen „selbst-bewußt". Unter all diesen verstecktenFällen von Selbstreferenz, die die Principia Mathematica heimsuchten und von Gödelans Licht gebracht wurden, waren die eklatantesten Beispiele jene Sätze, die Aussagenüber ihre eigenen Gödel-Zahlen machten, vor allem wenn sie so merkwürdige Dingevon sich gaben wie „Ich lasse mich in den Principia Mathematica nicht beweisen". Essei noch einmal gesagt: Derartige Rückgriffe, Schleifenbildungen, Faltenwürfe sindkeine behebbaren Mängel, sondern eine unvermeidliche Nebenwirkung, die geradeaus der Leistungsfähigkeit des Systems erwächst.

Wie nicht anders zu erwarten ergaben sich umwälzende mathematische und philo-sophische Konsequenzen aus Gödels unerwarteter Entdeckung, daß sich die Selbstre-ferenz ausgerechnet im Schoße jener Bastion tummelte, die von Russell zur Abwehrdieses Feindes erbaut worden war. Die bekannteste dieser Konsequenzen war die so-genannte „grundsätzliche Unvollständigkeit" der formalisierten Mathematik. Der Be-griff wird in den folgenden Kapiteln ausführlich behandelt werden, und doch steht er,so faszinierend er auch ist, nicht im Mittelpunkt von GEB. Für GEB ist der entschei-dende Aspekt der Gödelschen Arbeit der Beweis, daß die Bedeutung einer Aussageweitreichende Folgen haben kann, sogar in einem vermeintlich bedeutungslosen Uni-versum. So verbürgt die Bedeutung von Gödels Satz G (demjenigen, der behauptet: „Gläßt sich in den Principia Mathematica nicht beweisen"), daß G innerhalb der Princi-pia Mathematica nicht beweisbar ist (was genau das ist, was G selbst behauptet). Es ist,als hätte die versteckte Gödelsche Bedeutung des Satzes irgendeine Macht über die be-deutungsleeren, der formalen Symbolmanipulation dienenden Regeln des Systems,eine Macht, die diese Regeln daran hindert, einen Beweis von G auf die Beine zu stel-len, egal, was sie unternehmen.

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Auf den Kopf gestellte Kausalitätund die Emergenz eines „Ich"

Dieser Effekt vermittelt dem Betrachter den Eindruck einer völlig verdrehten, auf denKopf gestellten Kausalität. Müßten nicht Bedeutungen, die willentlich in Ketten be-deutungsloser Symbole hineingelesen werden, ohne jede Konsequenz bleiben? Nochseltsamer mutet an, daß der einzige Grund, warum sich Satz G in den PrincipiaMathematica nicht beweisen läßt, seine selbstreferentielle Bedeutung ist. Tatsächlichließe sich annehmen, daß G, da er eine wahre Aussage über ganze Zahlen ist, beweis-bar sein müßte, aber das ist er nicht — aufgrund seiner zusätzlichen Bedeutungsebeneals Aussage über sich selbst, die die eigene Nichtbeweisbarkeit behauptet.

Damit ergibt sich etwas sehr Seltsames aus der Gödelschen Schleife: die kausaleKraft der Bedeutung in einem regelgeleiteten, aber bedeutungsfreien Universum. Andiesem Punkt kommt meine Analogie mit Gehirnen und Selbsten wieder ins Spiel undlegt den Schluß nahe, daß die verwickelte Selbstheitsschleife, die in einer unbelebtenKnolle namens „Gehirn" gefangen ist, ebenfalls über kausale Kraft verfügt — oder an-ders gesagt: daß das bloße Muster namens „Ich" unbelebte Teilchen im Gehirn mani-pulieren kann, genauso wie unbelebte Teilchen im Gehirn Muster manipulieren kön-nen. Kurzum, ein „Ich" entsteht — zumindest nach meiner Ansicht — durch eine ArtWirbel: Muster in einem Gehirn spiegeln die Spiegelung der Welt durch das Gehirnund spiegeln am Ende sich selbst, woraufhin der Wirbel „Ich" eine reale, kausale En-tität wird. Ein unvollständiges, aber anschauliches Bild von diesem merkwürdigen, ab-strakten Phänomen können Sie sich machen, indem Sie sich vorstellen, was geschieht,wenn eine Fernsehkamera auf einen Fernsehschirm gerichtet wird, so daß sie denSchirm auf sich selbst abbildet (diesen Schirm wieder auf sich selbst und so fort). InGEB bezeichne ich das als „sich selbst verschlingenden TV-Schirm", während ich inmeinen späteren Schriften von einer „ebenenübergreifenden Feedbackschleife" spre-che. Wenn und nur wenn eine solche Schleife in einem Gehirn oder einem anderenSubstrat entsteht, kommt es zur Emergenz einer Person — eines unverwechselbarenneuen „Ich". Mehr noch, je umfangreicher die Selbstreferenz eines Systems ist, destobewußter ist das Selbst, das sie hervorbringt. Ja, so bestürzend es auch klingen mag,Bewußtsein ist kein An-Aus-Phänomen, sondern läßt Grade, Abstufungen, Schattie-rungen zu. Oder um es ganz unverblümt zu sagen, es gibt größere und kleinere Seelen.

Ich muß hier an eine gräßlich elitäre, aber sehr komische Bemerkung eines meinerLieblingsautoren denken, des amerikanischen „Kritikers der Sieben Freien Künste"James Huneker, der in seiner geistreichen Biographie von Frédéric Chopin anläßlichder Etüde Op. 25, Nr. 1 1 in A-Moll — für mich, und für Huneker, eines der ergreifend-sten und erhabensten Musikstücke, die je geschrieben wurden — schreibt: „Kleinbe-seelte Männer sollten ihre Finger — und mögen sie noch so flink sein — von diesemStück lassen."

„Kleinbeseelte Männer?!" Alle Wetter! Kann irgendein Satz die Idee der amerika-nischen Demokratie stärker gegen den Strich bürsten? Und doch, den verletzenden,archaischen Sexismus einmal beiseite gelassen (ein Verbrechen, dessen ich mich zumeinem großen Bedauern in GEB ebenfalls schuldig gemacht habe), würde ich mei-

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nen, nur weil wir alle insgeheim an so etwas wie Hunekers schockierende Unterschei-dung glauben, sind wir bereit, Tiere der einen oder anderen Art zu essen, Fliegen zuzerquetschen, Mücken zu erschlagen, Bakterien mit Antibiotika zu vernichten und sofort. Wir dürften uns grundsätzlich darin einig sein, daß Kühe, Truthähne, Frösche undFische irgendeinen Funken von Bewußtsein besitzen, irgendeine rudimentäre„Seele", daß sie aber bei Gott kleiner als die unsere ist — und daß wir deshalb das Rechthaben, das schwache Licht in den Köpfen dieser minimal beseelten Tiere auszulö-schen, ihr einst warmes und wachsendes, jetzt totes und taubes Protoplasma mit un-ersättlichem Appetit zu verschlingen und dabei nicht die Spur eines Schuldgefühls zuempfinden.

Genug gepredigt! Entscheidend ist, daß nicht alle Seltsamen Schleifen so große undherrliche Seelen hervorbringen wie Ihre und meine, liebe Leser. Beispielsweisemöchte ich nicht, daß Sie oder andere nach der ganzen oder teilweisen Lektüre vonGEB das Buch kopfschüttelnd beiseite legen und mitleidig sagen: „Ein verrückter Kerl,dieser Hofstadter. Der ist wirklich davon überzeugt, daß das Buch Principia Mathema-tica von Russell und Whitehead ein bewußter Mensch mit einer Seele ist!" Mist!Quatsch! Blödsinn! Gödels Seltsame Schleife ist zwar mein Modell für das Konzept,trotzdem ist sie nur ein Skelett und befindet sich in einem System, dessen Komplexitätgeradezu armselig ist im Vergleich zu der eines organischen Gehirns. Außerdem ist einformales System statisch, weder verändert es sich noch wächst es mit der Zeit. Ein for-males System lebt nicht in einer Gesellschaft von anderen formalen Systemen, es spie-gelt sie nicht in seinem Inneren und wird nicht im Inneren seiner „Freunde" gespie-gelt. Die letzte Bemerkung nehme ich zurück, zumindest teilweise: Jedes formale Sy-stem, das so leistungsfähig wie die Principia Mathematica ist, enthält nicht nur Mo-delle seiner selbst, sondern auch einer unendlichen Zahl von anderen formalen Syste-men, einigen, die ihm gleichen, anderen, die überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihmhaben. Das war im wesentlichen die Erkenntnis von Gödel. Trotzdem gibt es keineEntsprechung für Zeit und Entwicklung, von Geburt und Tod ganz zu schweigen.

Diese Abstriche müssen Sie immer machen, wenn ich auf den kommenden Seitenvon „Selbsten" spreche, die in formalen mathematischen Systemen entstehen. Selt-same Schleifen sind abstrakte Strukturen, die sich mit unterschiedlichen Abstufungenvon Komplexität in verschiedenen Medien bilden. Im Grunde genommen ist GEB dersehr ausführliche Vorschlag, Seltsame Schleifen als Metapher für die Entstehung vonSelbstheit zu begreifen, eine Metapher, die wenigstens ansatzweise vermitteln soll,warum ein „Ich" dem eigenen Besitzer so schrecklich real und greifbar erscheint undgleichzeitig so unbestimmt, so undurchdringlich und so unzugänglich wirkt.

Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, daß sich Bewußtsein ohne Rekurs auf Selt-same Gödelsche Schleifen oder auf ebenenübergreifende Feedbackschleifen vollstän-dig verstehen läßt. Aus diesem Grund bin ich einigermaßen überrascht und verwirrt,daß in den letzten Jahren eine Flut von Büchern erschienen ist, die versucht haben,das Geheimnis des Bewußtseins zu lüften, ohne an diese Überlegungen anzuknüpfen.Viele ihrer Autoren haben GEB gelesen und gelobt, doch nirgends greifen sie seineKernthese auf. Manchmal habe ich das Empfinden, ich hätte in der Wüste eine Bot-schaft von eminenter Bedeutung verkündet und niemand hätte mich gehört.

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Die frühesten Anfänge von GEB

Es stellt sich die Frage: Wenn der Autor lediglich beabsichtigt hat, eine Theorie vorzu-schlagen, nach der Seltsame Schleifen den Kern unseres Bewußtseins und unseres un-bezähmbaren „Ich-Gefühls" bilden, warum hat er dann ein derart umfangreiches Buchgeschrieben, das offenbar mit Abschweifungen gespickt ist? Was sollen die Fugen undKanons? Was die Rekursion? Zen? Die Molekularbiologie? Und so fort.

Die Wahrheit ist: Als ich begann, hatte ich nicht die leiseste Ahnung, wohin mich dieBeschäftigung mit diesen Dingen führen würde. Noch hätte ich mir träumen lassen,daß mein zukünftiges Buch Dialoge enthalten würde, gar Dialoge, denen musikalischeFormen zugrunde liegen. Der komplexe und ehrgeizige Charakter meines Projekts hatsich ganz allmählich herausgeschält. Grob skizziert, kam er wie folgt zustande.

Wie oben erwähnt, habe ich als Halbwüchsiger das Büchlein Gödel's Proof von Er-nest Nagel und James R. Newman gelesen. Der Gegenstand erschien mir so faszinie-rend und tiefgründig, daß er mich pfeilgerade in das Studium der symbolischen Logikkatapultierte. Als Studienanfänger mit Mathematik als Hauptfach in Stanford undeinige Jahre später in meiner kurzen Karriere als Mathematikstudent in Berkeley be-legte ich mehrere Kurse für Fortgeschrittene in symbolischer Logik, empfand sie aberzu meiner großen Enttäuschung alle als schwierig, höchst abstrakt und bar jenes Zau-bers, der mich bei der Lektüre von Nagel und Newman ergriffen hatte. Die Teilnahmean diesen hochgestochenen Kursen hatte zur Folge, daß mein lebhaftes Interesse anGödels wunderbarem Beweis und seiner „seltsamen Schleifigkeit" beinahe ersticktwurde. Tatsächlich hinterließen diese Erfahrungen ein derartiges Gefühl der Sterilität,daß ich Ende 1967 fast verzweifelt mein Mathematikstudium in Berkeley aufgab undeine neue Identität als Physikstudent an der University of Oregon in Eugene suchte,wo mein einst so glühendes Interesse für Logik und Metamathematik in einen tiefenWinterschlaf verfiel.

Einige Jahre vergingen, bis ich eines Tages im Mai 1972, als ich die Mathematikre-gale einer Universitätsbuchhandlung in Oregon durchstöberte, auf das vorzüglicheBuch A Profile of Mathematical Logic des Philosophen Howard DeLong stieß und esauf gut Glück kaufte. Nach wenigen Wochen war meine alte Liebe für die GödelschenMysterien und alles, was sie berühren, wieder erwacht. Wild kreisten die Gedanken inmeiner schwankenden Knolle aus Traum und Trauer.

Trotz dieser Freuden war ich sehr enttäuscht vom Verlauf meines Physikstudiumsund meines Lebens im allgemeinen, daher packte ich im Juli all meine Habe in ein Dut-zend Kartons und lenkte Quicksilver, meinen treuen Mercury 1957, gen Osten zueiner Fahrt quer durch den weiten amerikanischen Kontinent. Wohin mich dieseReise führen würde, wußte ich nicht. Ich wußte lediglich, daß ich nach einem neuenLeben suchte.

Nachdem ich die schönen Cascades und die östliche Oregonwüste durchquert hatte,landete ich in Moscow, Idaho. Da Quicksilver einen kleinen Motorschaden hatte undeine Reparatur brauchte, nutzte ich die Zeit, die mir zur Verfügung stand, um einenAbstecher in die Bibliothek der University of Idaho zu machen und nach einigen Arti-keln über den Gödelschen Beweis zu suchen, die in DeLongs kommentierter Biblio-

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