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Dokumentation Integration

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Dokumentation

Integration

I m p re ss u m

Herausgeberin Hessische Landeszentrale für politische Bildung Referat IV Taunusstr. 4-6 65183 Wiesbaden

Redaktion Mechtild M. Jansen Tilmann Gempp-Friedrich

Gestaltung Tilmann Gempp-Friedrich www.text-und-strich.de

Februar 2010

I-Kurseundnun?

Dokumentation der Fachtagung vom 05.05.2009 in Gießen

Inhalt

Vorwort S.7Mechtild M. JansenHessische Landeszentrale für politische BildungMaria-Theresia SchalkDer PARITÄTISCHE Hessen e.V.Hiltrud Stöcker-ZafariVerband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V.

Integrations-undOrientierungskurseKonzepte-Kontroversen-Erfahrungen S.10Prof. Dr. Gudrun HentgesFachhochschule Fulda

WirksamkeitundNachhaltigkeitderIntegrationskurse S.58Dr. Nina RotherBundesamt für Migration und Flüchtlinge

EffekteundNachhaltigkeitderIntegrationskursefürdieKursteilnehmer S.78Aziz El BerrKulturzentrum Schlachthof e.V. Kassel

Praxisbeispiel:FrauenprojektGallus S.90Dorle Fette-ArmaganFrauenprojekt Gallus – Lehrerkooperative, Bildung und Kommunikation e. V.

Vorwort

Sie fand am 5. Mai 2009 in Gie-ßen unter großer Beteiligung der Fachöffentlichkeit statt und wurde gemeinsam von der Hessischen Landeszentrale für politische Bil-dung, dem Paritätischen Hessen sowie dem Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V. durchgeführt.

Mit dem bewährten Konzept der Veranstalterinnen nicht nur akademisch über Fragestellun-gen zu diskutieren, sondern sehr konkret anhand von Beispielen aus der Praxis zu überprüfen, wie sich die Integrationskurse bewäh-ren, welche Stolpersteine dabei sichtbar werden und an welchen Stellen konsequenterweise nach-gebessert werden muss, fand eine lebhafte und kontroverse Diskussion statt. Hierin möchten wir Ihnen, liebe Leserinnen und

Integrationskurse–undnun?

Seit 2005 lernen eingewanderte Frauen und Männer die deutsche Sprache in Integrationskursen und erfahren in den sich anschlie-ßenden Orientierungskursen mehr über die Geschichte und die Gesellschaft Deutschlands. Beide Kurse sind als Bestandteil des bundespolitischen Integrati-onskonzepts anzusehen, mit dem erstmals der Integrationsprozess von Zugewandeten aktiv beför-dert werden soll.

Doch welche Effektivität und Nachhaltigkeit haben die Integra-tionskurse seither entfaltet? Wie fördert die Kursteilnahme den Integrationsverlauf der Zugewan-derten? Welche Chancen eröff-nen sich nach der Beendigung der Kurse für Migranten und Mig-rantinnen? Diese Fragen bildeten den Schwerpunkt der Fachtagung „Integrationskurse – und nun?“

Mechtild M. Jansen, Maria-Theresia Schalk, Hiltrud Stöcker-Zafari

Vorwort

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Mechtild M. Jansen, Maria-Theresia Schalk, Hiltrud Stöcker-Zafari

wird in diesen Familien auch öfter Deutsch gesprochen zu Lasten der Herkunftssprache, was sich wiederum förderlich für den Spra-cherwerb bei neu eingereisten Angehörigen auswirkt.

Die Erfahrungen des Kultur-zentrums Schlachthof e.V. in Kas-sel und des Frauenprojekts Gallus der Lehrerkooperative e.V. in Frankfurt verdeutlichen die Lern-situation in den Kursen, die stark vom familiären Alltag beeinflusst wird. Insbesondere bei Frauen wird durch Kindererziehung, Betreuung von Familienangehö-rigen, durch Schwangerschaft und Geburt der kontinuierliche Besuch am Deutschkurs immer wieder unterbrochen.

Der Vortrag von Marion Müller-Kirchof (Sigmund-Freud-Institut Frankfurt) konnte aus rechtlichen Gründen leider nicht in die Dokumentation mit auf-genommen werden. Die Studie „Erste Schritte“ - ein Frühintegrati-onsprojket für Sprachkursteilneh-merinnen un deren Kinder wird in diesem Jahr als Publikation des SFIs erscheinen.

Einig sind sich beide Integ-rationskursträger darin, dass die bestehenden Kurse ein erster Schritt, ein wichtiger und richtiger Anfang sind, dem weitere Maß-

Leser, mit vorliegender Doku-mentation einen kleinen Einblick geben.

Der gekürzte Beitrag von Prof. Dr. Gudrun Hentges bietet eine europaweite Bestandsaufnahme über die Integrationskurse. Die Erfahrungen und der Umgang mit Integrationkursen wird hier näher beleuchtet und einem eingehen-den Vergleich unterzogen. Auch die bundesdeutsche (Weiter-)Ent-wicklung von Deutschkursen hin zu Integrationskursen wird einer näheren Untersuchung unterzo-gen. Unser besonderer Dank gilt dem VS Verlag für Sozialwissenschaf-ten für die Abdruckgenehmi-gung.

Frau Dr. Nina Rother vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg präsentierte den bisherigen For-schungsstand über die Wirk-samkeit und Nachhaltigkeit von Integrationskursen. Sie stellte u. a. heraus, dass die Sprachfähigkeit im Deutschen sehr eng mit der familiären Situation zusammen-hängt. Je länger Familienangehö-rige in Deutschland sind, so enger fühlen sie sich mit dem Land und der Sprache verbunden. Somit

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Vorwort

nahmen folgen müssen. Dies soll-ten u. a. flankierende Angebote für gering qualifizierte Lerner/innen oder für Mütter sein, die zur Kursteilnahme eine Kinderbe-treuung benötigen. Am stärksten wurde das Fehlen von Anschluss-maßnahmen beklagt, die drin-gend geboten sind, um bei der beruflichen Integration begleiten und unterstützen zu können.

Wir wünschen eine anregende Lektüre und weiterhin viele Dis-kussionen zu dem Thema.

Mechtild M. Jansen,Hessische Landeszentrale für politische Bildung, HLZ

Maria-Theresia Schalk,Der PARITÄTISCHE Hessen e.V.

Hiltrud Stöcker-Zafari,Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V.

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Prof. Dr. Gudrun Hentges

„Integrationshandbuch für poli-tische Entscheidungsträger und Praktiker“. Während die erste Ausgabe die Einführungskurse für neu Zugewanderte und aner-kannte Flüchtlinge fokussiert (European Commission 2004), behandelt die zweite Ausgabe die Bereiche Wohnen, urbane Aspekte, Gesundheits- und Sozi-aldienste (Europäische Kommis-sion 2007).

Das Haager Programm, wel-ches am 4/5. November 2004 vom Europäischen Rat gebil-ligt wurde, schreibt fest, dass die Integrationsmaßnahmen der EU-Mitgliedsstaaten und der EU einer umfassenden Koordinie-rung bedürfen. Des Weiteren soll ein Rahmen mit gemeinsamen Grundprinzipien — klaren Ziel- setzungen und Bewertungsme-thoden — erarbeitet werden, der künftig als Basis weiterer Initiati-ven in der EU fungieren soll. Der Rat Justiz und Inneres nahm am

1IntegrationskurseimeuropäischenKontext

Die Integrationspolitik der Euro-päischen Union gewann im Laufe der letzten Jahre zunehmend an Bedeutung. So forderte der Rat Justiz und Inneres die EU- Kom-mission 2002 dazu auf, natio-nale Kontaktstellen einzurichten, die sich mit dem Themengebiet Integration befassen sollten. Der Europäische Rat bestätigte 2003 diesen Auftrag und bat die Kom-mission darum, jährlich einen Bericht zum Thema „Migration und Integration“ zu präsentieren. Die Kommission legte schließlich „Eine gemeinsame Integrations-agenda“ vor, mit der sie einen Rahmen für die Integration von Angehörigen aus Drittstaaten absteckte (KOM 2005). Des Wei-teren publizierte sie 2004 das

Prof. Dr. Gudrun Hentges

Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

Der Beitrag ist die gekürzte Fassung von: Hentges, Gudrun; Hinnenkamp, Volker; Zwengel, Almut (Hrsg.) (2008): Migrations- und Integrationsforschung in der Diskussion, Wiesbaden.

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

die Möglichkeit erhalten, diese Grundkenntnisse zu erwerben.“ (KOM 2005, S. 7).

• „Stärkung der Integrationskom-ponente bei den Aufnahmever-fahren, z.B. durch vorbereitende Maßnahmen vor der Ausreise, wie Informationspakete, Sprachkurse und Kurse in Staatsbürgerkunde im Heimatland.• Einführungsprogramme und -maßnahmen für Neuzuwanderer zur Vermittlung von Grundkennt-nissen der Sprache, Geschichte, Institutionen, sozio-ökonomi-schen Bedingungen, des Kultur-lebens und der Grundwerte.• Mehrstufiges Kursangebot, bei dem Unterschiede im Bildungs-hintergrund und bereits vorhan-dene Kenntnisse über das Land berücksichtigt werden.“ (KOM 2005, 5. 8)

Insofern steckte die Kommis-sion einen Rahmen ab, um im Sinne der „Offenen Methode der Koordinierung“ (vgl. Höchstät-ter 2007) eine freiwillige Koope-ration und einen Austausch der EU-Mitgliedsstaaten im Feld der Integrationspolitik zu befördern. Nationale Verfahren und Prakti-ken in Bezug auf die Integration von Drittstaatenangehörigen soll-

19. November 2004 gemeinsame Grundprinzipien für einen schlüs-sigen Rahmen zur Integration der Angehörigen von Drittstaaten an. Als erste Antwort auf die For-derung des Europäischen Rates nach einem kohärenten europäi-schen Rahmen für die Integration der Angehörigen von Drittstaaten legte die Kommission eine Mittei-lung vor, in der sie — in Bezug auf Integrationskurse — Folgendes festhält:

„1. Die Eingliederung ist ein dynamischer, in beide Richtungen gehender Prozess des gegensei-tigen Entgegenkommens aller Einwanderer und aller in den Mit-gliedstaaten ansässigen Perso-nen.“ (KOM 2005, S. 5).

• „Betonung der staatsbürgerli-chen Dimension in Einführungs-programmen und sonstigen Aktivitäten für neu ankommende Bürger von Drittstaaten, um sicherzustellen, dass Einwanderer die gemeinsamen europäischen und nationalen Werte verstehen, respektieren und Nutzen aus ihnen ziehen.“ (KOM 2005, S. 6)

„4. Grundkenntnisse der Spra-che, Geschichte und Institutionen der Aufnahmegesellschaft sind eine notwendige Voraussetzung für die Eingliederung; Einwan-derer können nur dann erfolg-reich integriert werden, wenn sie

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tive incentives — wird von Land zu Land unterschiedlich gehand-habt. Entgegen der hier skiz-zierten Palette unterschiedlicher gesetzlicher Regelungen und Praxen lässt sich jedoch auch ein allgemeiner Trend feststellen: Während Integrationskurse in einigen Ländern zunächst speziell als freiwilliges An- gebot für Neu-zuwanderer konzipiert und bereit-gestellt wurden, setzte sich im Laufe der letzten Jahre der Trend durch, die Teilnahme an solchen Kursen zur Pflicht zu machen und bei Nichtbefolgung Sanktionen anzukündigen. Man kann beob-achten, dass die Integrationskurse und die damit verbundenen Prü-fungen und Tests (im Herkunfts-land) in einigen Aufnahmeländern (z.B. den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland) zu einem Instrument der Verhinde-rung von Einwanderung (im Zuge der Familienzusammenführung) werden bzw. künftig möglicher-weise auch Ausweisungen und Abschiebungen legitimieren kön-nen (vgl. Joppke 2007; Jacobs/Rea 2007; Schönwälder u.a. 2005; KOM 2005; KOM 2003; European Commission 2004). Im Folgenden sollen am Beispiel von Schweden, Groß-britannien, den Niederlanden, Finnland, Dänemark, Österreich und Frankreich die europäischen

ten künftig untereinander ausge-tauscht werden. Eine detaillierte Ana-lyse der nationalen Politiken in diesem Bereich lässt deutlich werden, dass wir es mit einer Gemengelage zu tun haben: In einigen Länder richten sich Inte-grationskurse in erster Linie an neu Zugewanderte, die sich dau-erhaft niederlassen wollen (nach-ziehende Familienangehörige, anerkannte Flüchtlinge); in ande-ren Ländern auch an Personen mit einem temporären Aufenthalt (geduldete Flüchtlinge, Studie-rende, Arbeitsmigrant(inn)en); in weiteren Ländern an Einwan-derer, die bereits seit mehre-ren Jahren im Aufnahme- land leben; an Personen, die auf staat-liche Unterstützung angewiesen sind; an Einbürgerungswillige und schließlich an Personen, die im Ausland leben und im Zuge der Familienzusammenführung in das Aufnahmeland einreisen wollen. In einigen Ländern die-nen Integrationskurse in erster Linie der Vorbereitung auf die Einbürgerung, in anderen eher dem Spracherwerb und einer ersten gesellschaftlichen und beruflichen Orientierung. Auch die Frage der Sanktionen — nega-tive Sanktionen und/oder posi-

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

Gender Equality 2007; Bundes-ministerium des Innern 2006b, S. 149 f.; Schönwälder u.a. 2005, S. 21 ff.; Unabhängige Kommis-sion Zuwanderung 2001, S. 255 f.). In Großbritannien wer-den Integrationskurse bereits seit Jahren auf freiwilliger Basis angeboten. Wichtige Dokumente und Memoranden sind in diesem Kontext das „Community Cohe-sion“ (2001), das sich kritisch mit dem bisherigen Verständnis des britischen Multikulturalismus aus-einandersetzt; das Weißbuch „Secure Borders, Safe Haven“ (2002), in dem eine Standardisie-rung der Sprach- und Orientie-rungskurse für Neuzuwanderer vorgeschlagen wird; das „Gesetz über die Regelung der Staats-angehörigkeit, der Einwande-rung und des Asyls“ (2002), das von den Einbürgerungswilligen die ausreichende Kenntnis des Englischen, Walisischen oder Gälischen verlangt sowie aus-reichende Kenntnisse über das Leben im Vereinten Königreich; und nicht zuletzt der Bericht „The New and the Old“ (Crick Com-mission 2003), in dem empfohlen wird, dass jedem Inhaber einer (längerfristigen) Aufenthaltser-laubnis die Möglichkeit geboten werden soll, an diesen Kursen teil-

Erfahrungen mit Integrationskur-sen rekapituliert werden: In Schweden werden seit den 1970er Jahren staatlich finan-zierte Sprachkurse für Einwan-derer angeboten. Seit Mitte der Neunzigerjahre haben alle Neu-zuwanderer über 16 Jahren einen Rechtsanspruch auf „Schwedisch als Zweitsprache“. In Schweden, wo ein traditionell gutes Netz-werk von Sprachkursen existiert, ist die Teilnahme an diesen Kur-sen, die ca. 525 Stunden umfas-sen, freiwillig. Lediglich Personen, die von Sozialhilfe leben, wer-den zur Teilnahme verpflichtet. Die Nichtteilnahme zieht jedoch keine negativen Sanktionen nach sich. Spracherwerb wird nicht als Ziel an sich formuliert, son-dern als Mittel zum Zweck, wobei die berufliche Integration von Migrant(inn)en im Zentrum steht. Das „Swedish Integration Board“ (Integrationsverket) koordinierte von 1998 bis 2007 die Bestrebun-gen auf kommunaler Ebene. Für jede einzelne Person wurden so genannte Aufnahme- bzw. Inte-grationspläne entwickelt. Zurzeit befinden sich diese Strukturen im Umbruch: Das „Swedish Inte-gration Board“ wurde am 1. Juli 2007 aufgelöst, und die bislang von diesem Amt übernommenen Aufgaben werden sukzessive an andere Einrichtungen übertragen (vgl. Ministry of Integration and

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stöße gegen die Teilnahmepflicht können mit negativen Sanktio-nen belegt werden. So sieht das Gesetz vor, dass die finanzielle Hilfe zum Lebensunterhalt um 20 bis 40 Prozent gekürzt werden kann; Personen, die keine sozialen Leistungen beziehen, können laut Gesetz zu einer Geldstrafe verur-teilt werden. Teilnehmer/innen, die die Abschlussprüfungen nicht bestehen, haben jedoch keine Sanktionen zu befürchten (vgl. Joppke 2007, S. 5 ff.; Jacobs/Rea 2007; Bundesministerium des Innern 2006b, S. 145 f.; Feik 2003, S. 54; Unabhängige Kommission Zuwanderung 2001, S. 253 ff.; Landeszentrum für Zuwanderung NRW 2000). An dieser Regelung wur-den die zu starre Stundenzahl kritisiert sowie das, relativ gese-hen, zu hohe Sprachniveau (B 1) das von den Teilnehmer(inne)n häufig nicht erreicht wurde. Kriti-siert wurde zudem, dass die Teil-nehmer/innen nur unregelmäßig die Kurse besuchten. Vor die-sem Hintergrund entfaltete sich die Debatte über eine mögliche Novellierung des „Gesetzes über die Eingliederung von Neuan-kömmlingen“. Die Novellierung trat am 1 . Januar 2007 in Kraft und sieht vor, dass Neuzuwan-derer bereits in ihrem Herkunfts-land einen Niederländisch-Test auf dem Niveau A 1 absolvieren

zunehmen, um sich für die Staats-angehörigkeit zu qualifizieren. Ein vom Innenministerium heraus-gegebenes Handbuch mit dem Titel „Life in the United Kingdom. A Joumey to Citizenship“ (Home Office 2007) fasst die „britischen Kernwerte“ und das „Schlüssel-wissen über Großbritannien“ zusammen. Dieses Handbuch dient der Vorbereitung auf den Citizenship Test (vgl. Baringhorst 2006, S. 177). In den Niederlanden sind Neuzuwanderer seit 1998 dazu verpflichtet, an Integrationskur-sen (ca. 600 Std.) teilzunehmen. Diese umfassen Sprachunterricht, Sozial- und Landeskunde sowie Unterricht zur beruflichen Orien-tierung. Grundlage ist das „Gesetz über die Eingliederung von Neu-ankömmlingen“ (,‚Wet Inburge-ring Nieuwkomers“, WIN) — wobei „Inburgering“ verstanden wird als „Aufnahme als gleichberechtigter Teil in die holländische Gesell-schaft“. Zur Teilnahme verpflich-tet sind alle Zuwanderer über 16 Jahre, die sich dauerhaft in den Niederlanden aufhalten, Flücht-linge mit einer langfristigen Auf-enthaltsperspektive, aber auch niederländische Staatsbürger/innen, die aus den ehemaligen Kolonien eingewandert sind. Ver-

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

bewerber/innen. Integrationspro-gramme werden auf kommunaler Ebene in Zusammenarbeit mit Arbeitsämtern und Sozialversi-cherungsverbänden konzipiert und umgesetzt. Migrantenorgani-sationen, NGOs, Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen und andere Akteure auf kommuna-ler Ebene haben die Möglichkeit zur Stellungnahme. Der Zeitraum, innerhalb dessen die Angebote wahrgenommen werden, hängt von den jeweils vereinbarten „individuellen Integrationsplä-nen“ ab, ist demnach flexibel und dauert maximal drei Jahre. Das Programm umfasst Finnisch- und Schwedischkurse, berufliche Fort- und Weiterbildungen, Fragen der Selbstmotivation, praktisches Trai-ning, Vorbereitungskurse, Prak-tika, die Integration von Kindern und Jugendlichen sowie gege-benenfalls weitere erforderliche Maßnahmen. Eine teilweise oder vollständige Nichterfüllung des Integrationsplans hat zur Folge, dass Sozialhilfe oder Arbeits-losengeld reduziert oder ganz gestrichen werden (vgl. Werth 2002; Feik 2003, S. 55). Mit der Einführung des „Integrationsgesetzes“ (1999) wurden in Dänemark erstmals für alle eingewanderten Personen

und landeskundliche Kenntnisse nachweisen müssen. Während Neuzuwanderer dazu verpflichtet sind, 3,5 Jahre nach der Einreise die Abschlussprüfung erfolgreich abzulegen, haben Altzuwanderer fünf Jahre Zeit, um die Prüfung zu absolvieren (vgl. Bundesministe-rium des Innern 2006 b, S. 145 ff.). In Finnland werden auf-grund der demografischen Entwicklung und des Fachkräf-temangels gezielt qualifizierte Zuwanderer — vor allem so genannte ethnische Finnen aus der ehemaligen Sowjetunion — als Arbeitskräfte angeworben. Bereits in ihren Herkunftsländern, vor allem in der Russischen Föde-ration, werden Finnischkurse und Kurse zur sozialen Sensibilisierung für Menschen finnischer Abstam-mung angeboten (vgl. Länder-profil Finnland 2003). Verstärkt seit Beginn der Neunzigerjahre wandern russische und estnische Staatsbürger/innen finnischer Abstammung nach Finnland ein. Im Laufe der Neunzigerjahre gewann das Thema Integration innenpolitisch an Bedeutung — vor allem mit Inkrafttreten des finnischen Integrationsgesetzes „Act on Integration of Immigrants and Reception of Asylum See-kers“ (1999), das sich in erster Linie an Einwanderer richtet, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, sowie an Asyl-

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Die jeweilige Kommune vereinbart mit dem Einwande-rer einen Eingliederungsplan („introduction contract“). Bei vollständiger Kursteilnahme wer-den den Einwanderern 50 bis 95 Prozent des Sozialtransfersatzes ausbezahlt; bei unvollständiger Teilnahme hingegen können die Sozialleistungen gekürzt oder gestrichen werden. Der Besuch der Dänischkurse hat Auswirkun-gen auf die Erteilung von unbe-fristeten Aufenthaltserlaubnissen (vgl. Act No. 375 of May 2003 on Danish courses for adult aliens; Consolidation Act No. 826 of 24 August 2005 of the Danish Minis-try of Refugee, Immigration and Integration Affairs 2006; Arbeits-treffen in Sèvres 2004; Bundes-amt für Migration und Flüchtlinge 2006a; Bundesministerium des Innern 2006b, S. 147—149). In Österreich müssen Neuzuwanderer mit Niederlas-sungs- oder Aufenthaltstitel seit der Novellierung des Fremden-gesetzes (2002) eine Integrati-onsvereinbarung abschließen, mit der sie sich dazu verpflichten, ihre Zweitsprachenkompetenz zu verbessern. Spätestens vier Jahre nach Erteilung der Erstnie-derlassungsbewilligung müssen die Neuzuwanderer nachweisen, dass sie die Integrationsverein-barung erfüllt haben. Erst dann kann ihnen ein Niederlassungs-

und Flüchtlinge über 18 Jahre, die eine Aufenthaltsbewilligung erhalten, kostenlose Dänisch-kurse angeboten. Dieses Einfüh-rungsprogramm dauert — je nach Voraussetzungen — bis zu drei Jahre und umfasst auch berufli-che Fort- und Weiterbildungen. Auch sonstige Zuwanderer, die sich zu Arbeits- oder Studienzwe-cken im Land aufhalten, dürfen an den Kursen teilnehmen (vgl. Ministry of Foreign Affairs of Den-mark 2006). Am 1. Januar 2004 trat das „Act on Danish courses for adult aliens, etc.“ in Kraft. Das erklärte Ziel dieser Kurse besteht laut Gesetz darin, die notwendi-gen Sprachkenntnisse und das erforderliche Wissen über die dänische Kultur und Gesellschaft zu vermitteln, um eine gesell-schaftliche Teilhabe und berufli-che Integration zu ermöglichen. Angeboten werden die Kurse auf unterschiedlichen Niveaus, so dass die Teilnehmer/innen jeweils den Kurs besuchen bzw. Abschluss anstreben können, der ihren sprachlichen Voraussetzun-gen entspricht.1

1 Es werden folgende Niveaus an-geboten: Dänisch 1 (schriftlich A2, münd-lich B1), Dänisch 2 (schriftlich B1, münd-lich B1-B2), Dänisch 3 (B2 bzw. C1).

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

tend eingeführt (vgl. Französische Botschaft in Deutschland 2006). Mit Unterzeichnung des Auf-nahme- und Integrationsvertrags verpflichten sich Einwanderer, die dauerhaft in Frankreich leben wol-len, den Vertrag zu erfüllen, der neben den Sprachkursen in Fran-zösisch die Teilnahme an einem eintägigen Pflichtunterricht in Staatsbürgerkunde vorsieht. Teilnehmer/innen dieser Kurse sollen nach maximal 500 Stun-den Unterricht das Niveau A1.1 (eine in Frankreich eingeführte Zwischenstufe) erreicht haben, wobei die Prüfung mündlich abgelegt wird. Die Ausstellung einer ersten Daueraufenthaltser-laubnis oder auch die Entschei-dung über Einbürgerung hängen davon ab, ob die betreffende Per-son einen Aufnahme- und Integ-rationsvertrag unterzeichnet und die erforderlichen Kenntnisse der französischen Sprache durch eine erfolgreich abgelegte Prü-fung unter Beweis gestellt hat (vgl. International Centre for Mig-ration Policy Development 2005, pp. 136—146; Arbeitstreffen in Sèvres 2004; Arbeitstreffen in Sèvres 2005, S. 21—23; Franzö-sische Botschaft in Deutschland 2006; Focus Migration 2007; Joppke 2007, S. 9 ff.).

nachweis erteilt werden, sofern sie seit fünf Jahren in Österreich leben und über ein eigenständi-ges Einkommen verfügen. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, wird der betreffenden Person nur eine befristete Niederlassungs-bewilligung erteilt (vgl. Feik 2003, S. 55 f.). Zunächst sah die Inte-grationsvereinbarung vor, dass die Teilnehmer/innen innerhalb von 100 Stunden Sprachkurs das Niveau A1 erreichen sollten. Mit der am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen erneuten Novellie-rung des „Fremdengesetzes“ wurden Stundenzahl (von 100 auf 300) und Sprachniveau (von A1 auf A2) erhöht; zudem wurde ein Alphabetisierungskurs optional vorgeschaltet: „ 6. (1) Der Alpha-betisierungskurs umfasst 75 und der Deutsch-Integrationskurs 300 Unterrichtseinheiten zu je 45 Minuten.“ (Integrationsvereinba-rungs-Verordnung — IV-V 2006; vgl. auch: Bundesministerium des Innern 2006b, S. 143 f.; Jacobs/Rea 2007) In Frankreich wurde mit Inkrafttreten des neuen Einwan-derungsgesetzes (loi relative à l‘immigration et à l‘intgération, Nr. 2006-911) vom 24. Juli 2006 der Aufnahme- und Integrationsver-trag, der zuvor im Rahmen eines Pilotprojekts in 26 französischen Départements auf freiwilliger Basis erprobt wurde, verpflich-

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seit einigen Jahren gesammelten Erfahrungen in den verschiede-nen Ländern systematisiert und ausgewertet wurden, begann in der Bundesrepublik Deutschland die Debatte über die Einführung von lntegrationskursen, wobei die „Unabhängige Kommission Zuwanderung“ (2001‚ S. 252 ff.) in ihrem Bericht vor allem auf die Erfahrungen in den Niederlanden und Schweden zurückgriff.

2IntegrationskurseinderBundesrepublikDeutschland

Die bundesdeutsche Diskussion über das Zuwanderungsgesetz und die Integrationskurse stieß bei zahlreichen Flüchtlingsini-tiativen, Migrantenorganisatio-nen, Wohlfahrtsverbänden und sozialen Diensten auf Kritik, die sich u.a. auf folgende Aspekte konzentrierte:2

• Begriffe wie „Sprachförderung“ und „Integrationskurse“ seien dis-kriminierend und entstammten

2 Diese Kritikpunkte beziehen sich auf das Zuwanderungsgesetz, das am 1 . Januar 2005 in Kraft trat, und die Integra-tionskursverordnung (Bundesregierung 2005b), nicht hingegen auf die Erste Ver-ordnung zur Änderung der Integrations-kursverordnung, die am 21. November 2007 im Bundeskabinet verabschiedet wurde (vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2007).

Wie dieser Überblick zeigt, werden mittlerweile in fast allen westeuropäischen Ländern Integ-rationskurse (Sprach- und Orien-tierungskurse) angeboten. Einige Länder (Großbritannien) setzen — noch — auf die freiwillige Teil-nahme an diesen Kursen; in ande-ren Ländern (Dänemark, Finnland, Frankreich, Niederlande, Öster-reich) ist die Teilnahme für alle Neuzuwanderer oder zumin-dest für bestimmte Gruppen von Einwanderern (Schweden) ver-pflichtend. Die Gesetze, Durch-führungsbestimmungen und Verordnungen auf nationaler Ebene sehen eine breite Palette unterschiedlicher Sanktionen vor. Die Teilnahme an den Kursen wird insofern positiv sanktioniert, als die erfolgreiche Teilnahme die Einbürgerung erleichtert (Großbritannien, Frankreich) oder auch als Voraussetzung für die Verfestigung des Aufenthaltssta-tus dient. Die Nichtteilnahme an den Kursen wird negativ sanktio-niert, indem staatliche Leistungen (Arbeitslosengeld, Sozialhilfe) gekürzt werden oder deren Zah-lung (Arbeitslosengeld) ausge-setzt wird — bis hin zur Androhung einer Ausweisung (vgl. auch die Synopse: Arbeitstreffen in Sèvres 2005, S. 29 f.). Noch bevor die

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nahme des Orientierungskurses als ein Bestandteil des Integrati-onskurses unterstelle, dass Aus-länder generell ein Problem mit der Anerkennung demokrati-scher Grundwerte haben. • Problematisiert wird ferner, dass das Zuwanderungsgesetz eine sozialpädagogische Betreu-ung und Kinderbetreuung nur für die Kinder von Spätaussied-lern (§ 9 Abs. 1 Bundesvertrie-benengesetz), nicht jedoch für Kinder von Ausländer(inne)n (§ 43 ff. AufenthG) vorsieht. • Eine weitere Unterscheidung zwischen Ausländer(inne)n und Spätaussiedler(inne)n findet sich auch bei der Frage des Kosten-beitrags. Ausgenommen von der Zahlung der Kursgebühren (1 EUR pro Stunde = 630 EUR) sind Spätaussiedler/innen. Von den Gebühren befreit werden dar-über hinaus Empfänger/innen des Arbeitslosengelds II (vgl. § 9, Abs. 2 Intv.). • Ungeklärt ist weiterhin die Frage der finanziellen Möglichkeiten der Teilnehmer/innen mit gerin-gem Einkommen, da sie neben der Kursgebühr — insbesondere in ländlichen Regionen — die Fahrten zum Deutschkurs finan-zieren müssen.

der Behinderten- und Kleinkind-pädagogik. (Flüchtlingsrat Berlin). • Das Ziel, nach 600 Stunden Deutschunterricht das Sprachni-veau B 1 zu erreichen (entspricht dem Sprachniveau bei Abschluss der Realschule/Mittlere Reife), wird als illusorisch eingeschätzt. • Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) kritisiert, das Erlernen der deutschen Spra-che und die Integration könn-ten nicht durch Zwang erreicht werden. „Wo Zwang ausgeübt wird, regt sich Widerstand, und zwar bei allen Menschen. Des-halb muss die Teilnahme an den Integrationskursen durch Anreize gefördert werden.“ (Türkische Gemeinde in Deutschland 2001)• Pro Asyl warnt vor einer „Ver-staatlichung“ der Integrationspo-litik, was auch dazu führen könne, dass sich die gesamte Palette der integrationspolitischen Instru-mente auf die Kurse reduziert und andere Angebote der Migrations-beratung und -sozialarbeit zuneh-mend unter Legitimationsdruck geraten (vgl. Pro Asyl 2002)• Die zusätzliche Vermittlung von Kenntnissen über das poli-tische und gesellschaftliche Sys-tem Deutschlands und über die demokratischen Grund- werte sollte — so argumentiert beispiels-weise der Flüchtlingsrat Berlin — eigentlich eine Selbstverständ-lichkeit sein. Die explizite Auf-

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bewältigen können. Wie in der Integrations-kursverordnung festgelegt, dient der Integrationskurs neben „dem Erwerb ausreichender Kennt-nisse der deutschen Sprache (...) der Vermittlung von Alltags-wissen sowie von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutsch-land, insbesondere auch der Vermittlung der Werte des demo-kratischen Staatswesens der Bun-desrepublik Deutschland und der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit.“ (Bundesre-gierung 2005b)3 Die im Gesetz festgeschrie-benen Integrationskurse umfas-sen neben einem Sprachkurs (600

3 „Zu § 12 Absatz 1: Der Orientie-rungskurs soll das Sprachkursangebot ergänzen und den Integrationsprozes be-schleunigen. Die Durchführung des Ori-entierungskurses erfolgt im Anschluss an den Sprachkurs und in deutscher Spra-che (vgl. § 10 Abs. 1). Er bietet neben der reinen Wissensvermittlung auch Anwen-dungs- und Weiterentwicklungsmöglich-keiten der erreichten Sprachkenntnisse und führt insoweit zu einem Synergieef-fekt. Der Integrationskurs sollte möglichst in einer Hand bleiben, da die Lehrkraft bereits die Teilnehmer kennt und die in-dividuellen Lernfähigkeiten und Lernvor-aussetzungen einschätzen kann.“ (Bun-desregierung 2005b)

Ungeachtet dieser im Vorfeld geäußerten Kritik am Gesetz-entwurf und an der Integra-tionskursverordnung trat das Zuwanderungsgesetz am 1. Januar 2005 in Kraft. Als zentrales — und auch einziges — Instrument der Integration sieht das Zuwan-derungsgesetz Integrationskurse vor, die für Neuzuwanderer ver-pflichtend sind. Im Kapitel 3 (§ 43, Förderung der Integration) heißt es: „Die Integration von rechtmäßig auf Dauer im Bun-desgebiet lebenden Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland wird gefördert. “ Eingliederungs-bemühungen von Neuzuwande-rern (erstmals werden Ausländer/innen und Spätaussiedler/innen gemeinsam unter die Kategorie der Neuzuwanderer subsumiert) sollen durch Integrationskurse unterstützt werden. Solche Kurse umfassen Angebote, die Migrant(inn)en an die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutsch-land heranführen. Das Ziel dieser Kurse besteht darin, sie mit den Lebensverhältnissen im Bundes-gebiet vertraut zu machen, damit sie ohne Hilfe oder Vermittlung Dritter ihren Alltag selbstständig

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liennachzugs, aus humanitären Gründen) oder Niederlassungs-erlaubnis erhalten. Sofern noch Plätze zur Verfügung stehen, dür-fen auch Altzuwanderer (Perso-nen, die seit über zwei Jahren im Bundesgebiet leben) die Kurse besuchen. Folgende Gruppen sind zu einer Teilnahme verpflichtet: • Neuzuwanderer, die sich nicht auf einfache Weise in deutscher Sprache mündlich verständigen können, • Altzuwanderer, die von der Aus-länderbehörde zur Teilnahme an einem solchen Kurs aufgefordert werden.

Personen, die ihrer Pflicht zur Teil-nahme nicht nachkommen, wer-den von der Ausländerbehörde vor Verlängerung der Aufent-haltserlaubnis auf die Auswirkun-gen der Pflichtverletzung und der Nichtteilnahme am Integrati-onskurs hingewiesen. Sofern sie der Teilnahmepflicht nicht nach-kommen, kann die leistungbe-willigende Stelle für die Zeit der Nichtteilnahme die Leistungen bis zu zehn Prozent kürzen.5 Eine

5 „Gleiches soll rückwirkend für jene gelten, die noch keine sechs Jahre im Land sind und keine ausreichenden Deutschkenntnisse nachweisen können.

Stunden) einen Orientierungskurs (30 Stunden) zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland.4 Der Orientie-rungs- und der Sprachkurs wer-den jeweils mit einer Prüfung abgeschlossen, wobei zunächst der Orientierungskurs erfolg-reich abgeschlossen worden sein muss, bevor der Kursteilnehmer zur abschließenden Sprachprü-fung zugelassen wird. Die Koordi-nation und Durchführung dieser Kurse übernimmt das Bundes-amt für Migration und Flücht-linge (BAMF), welches seit Beginn des Jahres 2005 Bildungsträger als Träger der Integrationskurse anerkennt. Zurzeit besitzen ca. 1.800 Kursträger an 5.600 Orten eine Zulassung zur Durchführung der Integrationskurse (vgl. http://www.integration-in-deutschland.de; 14.8.2007). Teilnehmen sollen jene Neuzuwanderer, die sich dau-erhaft im Bundesgebiet auf-halten, wenn sie erstmals eine Aufenthaltserlaubnis (zu Erwerbs-zwecken, zum Zwecke des Fami-

4 In Auswertung der Erfahrun-gen, die seit dem 1. Januar 2005 mit den Sprach- und Orientierungskurse gesam-melt wurden, sieht die neue lntegrati-onskursverordnung — bei Bedarf — eine Erhöhung des Stundenkontingents von 600 auf 900 Stunden Sprachkurs vor.

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Bilanz der Integrationskurse der Jahre 2005 und 2006 zeigt die Übersicht 1.

Übersicht 1: Bilanz der Integrationskurse der Jahre 2005 und 20066

Integrationskurse imJahr2005 imJahr2006Anzahl der begonnen Kurse 8.680 8.165

Anzahl der am 31.12. laufenden Kurse 6.726 9.800

Anzahl der beendeten Kurse 1.954 5.091

Nach Kursart im Jahr 2005 im Jahr 2006

Integrationskurse allgemein 7.400 6.673

Jugendintegrationskurse 113 64

Eltern- bzw. Frauenintegrationskurse 456 618

Kurse mit Alphabetisierung 227 805

Sonstige spezielle Integrationskurse 0 5

Gesamt 8.196 8.165Anzahl der neuen Kursteilnehmer

Nach Kursart im Jahr 2005 im Jahr 2006

Integrationskurse allgemein 117.906 99.623

Jugendintegrationskurse 2.603 899

Eltern- bzw. Frauenintegrationskurse 7.875 10.063

Kurse mit Alphabetisierung 2.884 7.331

Sonstige spezielle Integrationskurse 0 38

Gesamt 130.728 117.954

Daran knüpfen sich positive wie negative Sanktionen: Wer die Kurse nicht oder nicht er-folgreich absolviert, muss der Ausländerbehörde Rechenschaft ablegen. Dies kann unter Umständen Konsequenzen haben, wenn die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis be-antragt wird. Wer die Kurse hingegen mit Erfolg besucht, soll schon nach sieben Jahren eingebürgert werden können.“ Deutschland: Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf zu Zuwanderung und Integration, in: Migration und Bevölkerung, November 2001, S. 16 Quellen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2006b, Bundesamt für Migra-tion und Flüchtlinge 2007

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

Kursteilnehmer und Kursabsolventen

nach Berechtigungstyp

Teilneh-mer an lfd. Kursen am 31.12.2005

Kursabsol-venten im Jahr 2005

Teilneh-mer an lfd. Kursen am 31.12.2005

Kursabsol-venten im Jahr 2006

Neu zugewanderte Ausländer

23.770 (24%) 5.317 43.579 (31%)

22.427

-davon Neuzuwan-derer, verpflichtet

17.776 3.493 34.284 16.716

-verpflichtete Altzu-wanderer

8.392 (8%)

1.361 16.772 (12%)

7.816

-durch das BAMF zugelassene Altzu-wanderer

52.715 (54%) 16.086 72.000 (51%)

31.716

Spätaussiedler 14.373 (14%) 8.714 8.452 (6%)

14.442

Gesamt 99.250 31.478 140.803 76.401

Kursabsolventen und Prüfungsteilnehmer7

2005 2006

Kursabsolventen davon 31.478 76.401

-Prüfung teilgenommen 17.482 (55,5%)

50.952 (66,7%)

-Prüfung bestanden 12.151 (38,6%)

36.599 (47,9%)

7 Die Zahlen zu 2005 beinhalten Nacherfassungen, die erst im Jahr 2006 einge-gangen sind.

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Prof. Dr. Gudrun Hentges

Bereits wenige Monate, nachdem die ersten Integrati-onskurse in verschiedenen deut-schen Städten begonnen hatten, zeichnete sich ab, dass die-ses Angebot insbesondere bei „berechtigten länger in Deutsch-land lebenden Ausländern“8 auf große Resonanz stieß. Die-ser überraschende Trend bestä-tigt sich auch mit Blick auf die Jahre 2005 und 2006: Mehr als die Hälfte aller Kursteilnehmer/innen (2005: 54 Prozent, 2006: 51 Prozent) zählten zu der Gruppe „durch das BAMF zugelassene Alt-zuwanderer“. Bemerkenswert ist vor allem, dass die Migrant(inn)en mit ihrem Interesse an Sprach- und Orientierungskursen eine These widerlegten, die in den vor-angegangenen Jahren häufig in der politischen Öffentlichkeit und in den Medien kursierte: Auslän-der/innen seien generell integra-tionsunwillig, neigten dazu, sich in Parallelgesellschaften zurück-zuziehen, verweigerten sich den gesellschaftlichen Anforderun-gen und seien nicht dazu bereit, die deutsche Sprache zu erler-

8 Diese Gruppe wurde von Seiten des BMI und des BAMF zunächst als „Be-standsausländer“ tituliert, aufgrund der vehementen Kritik wurde dieser Begriff durch „Altzuwanderer“ ersetzt.

nen. Die Tatsache, dass im Laufe der Jahre 2005 und 2006 ca. 125.000 Einwanderer ohne jeden Zwang diese Kurse besuchten, dokumentiert deren Interesse am Erwerb der deutschen Sprache und an einer Auseinandersetzung mit Gesellschaft und Politik der Bundesrepublik Deutschland. Von ca. 127.000 Anträ-gen auf Teilnahme an einem Kurs (2005) wurden 121.476 Anträge (95,65 Prozent) bewilligt. Dem-nach waren über 5.500 Altzuwan-derer zwar an einer Kursteilnahme interessiert, wurden jedoch als „nicht berechtigt“ abgelehnt. Zu den Gründen der Ablehnung äußerte sich die Bundesregie-rung leider nicht (vgl. Bundes-regierung 2006). Zu vermuten ist jedoch, dass auch geduldete Flüchtlinge, von denen ca. 48.000 seit über zehn Jahren in Deutsch-land leben, unter den Bewerbern zu finden sind. Geduldete Flücht-linge wurden bislang als „nicht berechtigt“ abgelehnt.9

9 Geduldete Flüchtlinge (laut An-gaben des BAMF umfasste diese Gruppe 2004 387.000 Personen) sind nicht dazu berechtigt, an den Integrationskursen teilzunehmen — unabhängig davon, wie lange sie bereits in der Bundesrepublik Deutschland leben. Nach Angaben der Bundesregierung leben ca. 48.000 Per-sonen seit über zehn Jahren mit einer so genannten Duldung in der Bundesre-

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

Bewertung der Integrationskurse Eingang in zahlreiche Berichte, Gutachten und Gesetzentwürfe. Die Debatte über den Reform-bedarf der Integrationskurse gewann an Dynamik (vgl. Wegner 2007, S. 69 ff.) und wurde ange-regt durch

• die Evaluation der Integrati-onskurse (Abschlussbericht und Gutachten über Verbesserungs-potenziale bei der Umsetzung der Integrationskurse, Dezember 2006),• den Nationalen Integrations-plan (März 2007),• die Bundestagsdebatte über die Novellierung des Zuwanderungs-gesetzes (Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union) am 13 . Juni 2007,• den zweiten Integrationsgipfel am 12. Juli 2007 (Bundesministe-rium des Innern 2007) sowie• diverse Stellungnahmen von Kursträgern und Migrantenorga-nisationen.

Ohne die kritische Ausei-nandersetzung mit den gesetz-lichen Bestimmungen und der praktischen Umsetzung detailliert nachzeichnen zu können, sei hier auf einige Aspekte verwiesen, die

Entsprechend den Ziel-vorgaben sollten die Kursteil-nehmer/innen nach 600 Stunden Sprachunterricht das Niveau B1 erreichen — eine Vorgabe, die von Sprachlehrer(inne)n bereits im Vorfeld als illusorisch einge-schätzt wurde. Die Jahresbilanz 2006 zeigt, dass von den 140.803 Kursteilnehmer(inne)n im Jahr 2006 ca. 76.401 den Kurs bis zu Ende besucht haben. Etwa 51.000 Personen nahmen an der Abschlussprüfung teil, ca. 36.600 bestanden die Prüfung, erreich-ten das Niveau B1 und erhielten somit das Zertifikat Deutsch (vgl. Bundesministerium des Innern 2006a). Damit absolvierten im Jahre 2006 nur ca. 26 Prozent aller Kursteilnehmer/innen erfolgreich die Abschlussprüfung. Ange-sichts der Tatsache, dass lediglich die Hälfte den Kurs absolvierten und ca. ein Drittel derjenigen, die sich zur Prüfung anmeldeten, diese nicht bestanden, stellt sich die Frage, ob nicht erheblicher Veränderungsbedarf bei der Kon-zeption dieser Kurse besteht.

Im Laufe der Jahre 2006 und 2007 fand die kritische

publik, weitere 5.426 Personen mit einer so genannte Aufenthaltsgestattung (vgl. Bundesregierung 2005a; Teilstatistik Aus-länder- und Flüchtlingszahlen, dokumen-tiert auf der Internetseite des BAMF).

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denzahl und der relativ geringen Erfolgsquote bei den Abschluss-prüfungen sieht diese Verord-nung eine Flexibilisierung des Stundenkontingents vor. Für spe-zielle Zielgruppen (Jugendliche, Frauen bzw. Eltern, Analphabeten, Personen mit einem sprachpäda-gogischen Förderbedarf) werden Integrationskurse angeboten, die 900 Stunden umfassen (vgl. ebd., § 13).• Für Teilnehmer/innen, die bei dem Einstufungstest besonders gut abgeschnitten haben, kann der Integrationskurs mit einem reduzierten Stundenumfang als Intensivkurs angeboten werden, der 430 Unterrichtsstunden um- fasst (vgl. ebd., § 13).• Durch eine Verringerung der Gruppengröße auf 20 Teilneh-mer/innen soll die Chance auf einen erfolgreichen Abschluss erhöht werden (vgl. ebd., § 14).• Ferner sieht die neue Integrati-onskursverordnung vor, dass in Zukunft alle Teilnehmer/innen an der Abschlussprüfung teilneh-men müssen, da sie nur so eine ordnungsgemäße Kursteilnahme nachweisen können (vgl. ebd., § 17).• Die Kostenerstattung (BAMF an Kursträger) wird von 2,05 EUR auf 2,35 EUR pro Stunde und Teilneh-mer/in erhöht (vgl. S. 4).• Die Verordnung wird auch jenen Personen die Teilnahme an einem

sich in der Debatte als dringend reformbedürftig herauskristalli-sierten: Bereits seit dem 1. Juli 2007 bezuschusst das BAMF die Qualifizierung der Dozent(inn)en, um eine bessere Qualität von Sprach- und Orientierungskursen zu erreichen. Für das Haushalts-jahr 2008 war eine Aufstockung der Bundesmittel für die Integrati-onskurse um 14 Millionen EUR auf 154,8 Millionen EUR geplant. Die kritische Auseinandersetzung mit den seit Januar 2005 angebote-nen Integrationskursen mündete in eine neue Integrationskursver-ordnung (vgl. Bundesregierung 2007), die am 21. November 2007 im Bundeskabinett verabschiedet wurde und folgende Maßnahmen vorsieht:

• Eine verbesserte Fahrtkos-tenerstattungsregel für ver-pflichtete und kostenbefreite Teilnehmer/innen soll deren Teil-nahme gewährleisten (vgl. ebd., S. 3 f., S. 8, S. 16 sowie § 4 und § 14). • Für den Orientierungskurs ste-hen nun nicht mehr 30, sondern 45 Stunden zur Verfügung (vgl. ebd., § 12).• Unter dem Eindruck der Kritik an der zu knapp bemessenen Stun-

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

3. 1 Dimensionen von Orientierung

In der Phase der Einführung von Orientierungskursen wurde der Begriff nicht weiter prob-lematisiert, sondern von den europäischen Nachbarstaaten übernommen, die bereits Erfah-rungen mit so genannten „orien-tation courses“ gesammelt hatten. Da „Orientierung“ zu einem „all-gegenwärtigen Begriff“ (Schild-knecht 2005, S. 138) geworden ist, ging man in der Debatte, ohne den Begriff zu hinterfra-gen, davon aus, dass jeder, der den Begriff hört, eine Vorstellung davon haben wird, was Gegen-stand und Ziel solcher Kurse sein könnte. Doch was verbirgt sich hin-ter dem Begriff „Orientierung“? Die Grundbedeutung entstammt einerseits dem Kirchenbau, ande-rerseits der Kartographie: Kirchen werden so erbaut, dass die Apsis gen Osten — also in Richtung des Orients, des Sonnenaufgangs — weist, Landkarten so entworfen, dass deren Richtungen mit denen der Welt zur Deckung gebracht werden (vgl. Luckner 2005, S. 226; Thomä 2005, S. 289; Stegmaier 2005b, S. 25). „Orientieren“ heißt also ursprünglich, im irreflexi-ven Gebrauch des Wortes: nach

Integrationskurs gestatten, die als geduldete Flüchtlinge unter die Bleiberechtsregelung fallen (vgl. ebd., S. 9).

3OrientierungskursealsTeilderIntegrationskurse

Der Integrationskurs umfasste bislang neben den 600 Stunden Sprachkurs einen 30-stündigen Orientierungskurs, der ebenfalls erfolgreich absolviert werden muss. Während die Bildungsträ-ger im Sprachenbereich über jahrelange Erfahrungen mit Deutsch als Fremdsprache bzw. Deutsch als Zweitsprache ver-fügen, stellt die Einführung des Orientierungskurses die Kursträ-ger und auch die Dozent(inn)en und Sprachlehrer/innen vor neue Herausforderungen.

So sorgte der Vorschlag, Orientierungskurse als Bestand-teil eines Integrationskurses auf-zunehmen, vor dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes für Kontroversen. Bei den Orien-tierungskursen handelt es sich um ein integrationspolitisches Novum. Auch wenn die Orien-tierungskurse mit ca. 5 Prozent Stundenanteil kaum ins Gewicht fallen, wurde (und wird) heftig über deren Ausrichtung disku-tiert.

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unterscheiden:

• die Orientierung auf das Selbst,• die Orientierung auf die gegen-ständliche Umwelt (Raum und Zeit, Objektorientierung) sowie• die Orientierung auf die soziale Umwelt (vgl. Kammhuber/Tho-mas 2004, S. 152).

Die Orientierung auf das Selbst umfasst das Selbstbild, Vorstellungen über den eigenen Körper, die eigenen Fähigkei-ten, Motive und Einstellungen. Die Orientierung auf die gegen-ständliche Umwelt setzt vor-aus, dass Menschen in der ihr zunächst fremden Umgebung eine „mentale Landkarte“ ent-werfen, d.h., sie entwickeln eine Vorstellung davon, wie Raum und Zeit in der Aufnahmegesellschaft strukturiert sind und von welcher Bedeutung Raum und Zeit im sozialen Miteinander sind. Dar-über hinaus umfasst die Orien-tierung auf die gegenständliche Umwelt eine Objektorientierung, d.h. das Wissen um die Funktion bestimmter Gegenstände in einer Gesellschaft. Die Dimension Orien-tierung auf die soziale Umwelt umfasst die weitgehend akzep-tierten, historisch gewachse-nen Werte, Normen und Regeln, deren Einhaltung eingefordert und deren Nichtbeachtung mög-

Osten ausrichten. ‚Sich-orientie-ren‘‚ also der reflexive und meta-phorische Gebrauch des Wortes, bedeutet dementsprechend: sich (seinem Handeln, seinem Leben) eine Richtung geben.“ (Luckner 2005, S. 226) Orientierung kann demnach als eine Leistung ver-standen werden, sich in wechseln-den Situationen zurechtzufinden und in diesen Situationen Hand-lungsmöglichkeiten zu erschlie-ßen (vgl. Stegmaier 2005b, S. 25). Eingang in die Philosophie fand der Begriff im 18. Jahrhun-dert, zunächst durch Moses Men-delssohn (,‚Morgenstunden“), dann durch Immanuel Kant, der mit seiner Schrift „Was heißt: Sich im Denken orientieren?“ (1786) die bedeutendste Grundlage des Denkens der Orientierung geschaffen hat (vgl. Stegmaier 2005a, S. 9 f.). Ausgehend von sei-ner ursprünglich geographischen Bedeutung (i.S. der Ausrichtung am Orient) wurde der Begriff zu einer Metapher und fand Eingang in die unterschiedlichen Fachrich-tungen. An dieser Stelle sei auf Stefan Kammhuber und Alex-ander Thomas verwiesen, die — im Kontext der Debatte um Orientierungskurse — folgende Dimensionen von Orientierung

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

Grob lassen sich hierbei zwei ver-schiedene Typen von Orientie-rungskursen unterscheiden:

• herkunftssprachliche Orientie-rungskurse, die das Ziel verfolgen, Migrant(inn)en in der Aufnahme-gesellschaft Orientierungshilfen zu geben (Pilotprojekte in Frank-furt am Main und München) sowie• deutschsprachige Orientie-rungskurse, die den Neuzuwan-derern in erster Linie Kenntnisse über deutsches Recht, deutsche Kultur und Geschichte vermitteln wollen und implizit oder explizit abzielen auf eine Identifikation mit der bundesdeutschen Gesell-schaft (Pilotprojekt Nürnberg und die im Zuwanderungsgesetz ver-ankerten Kurse).

nahmeland leben und über Grundkennt-nisse der Sprache des Aufnahmelandes verfügen. In solchen Integrationskursen werden in erster Linie sozialkundliche In-halte vermittelt. Da im Zuge der Einbür-gerung möglicherweise Kenntnisse des politischen Systems der Bundesrepub-lik Deutschland nachgewiesen werden müssen, können solche Kurse als Vorbe-reitung für Einbürgerungen dienen (vgl. Wolf/Heckmann 2003).

licherweise negativ sanktioniert wird. In der Konfrontation und Auseinandersetzung mit ihrer sozialen Umwelt entwickeln Men-schen ein „kulturelles Orientie-rungssystem“, überdenken ihr Alltagshandeln und verändern es möglicherweise. Ausgehend von unter-schiedlichen Bedeutungsdimen-sionen des Begriffs „Orientierung“ wurden im Laufe der letzten Jahre verschiedene Pilotprojekte zunächst auf kommunaler oder lokaler Ebene — durchgeführt.10

10 Richard Wolf und Friedrich Heckmann unterscheiden in ihrem Pro-jektbericht folgende Typologien: Integra-tionskurs Typ 1 bezeichnet eine Integra-tionsmaßnahme — bestehend aus einem Sprach- und einem Orientierungskurs-modul —‚ die sich in erster Linie an Neu-zuwanderer richtet. Dessen Schwerpunkt ist in erster Linie auf die sprachliche Förderung durch das Sprachkursmodul ausgerichtet. Die Vermittlung eines be-stimmten Orientierungswissens und die Hilfestellung zur beruflichen Integration im Orientierungskursmodul sind sekun-där. Durchgeführt wurde dieser Typ des Integrationskurses beispielsweise in den Niederlanden und Schweden und seit 2003 in Österreich. Diesen Integrations-kurstyp sieht das Zuwanderungsgesetz vor. Bei dem Integrationskurs Typ II han-delt es sich um eine Integrationsmaßnah-me, deren Zielgruppe jene Migranten sind, die bereits seit längerer Zeit im Auf-

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Neuzuwanderer an diesen Kur-sen teil (ca. 60 % Frauen und 40 % Männer). Die Teilnehmer/innen verpflichteten sich dazu, alle Programmteile zu absol-vieren: sowohl die in der Her-kunftssprache durchgeführten Orientierungskurse als auch die teilnehmerbezogene Sprachför-derung. Charakteristisch für das Frankfurter Pilotprojekt ist das offene Curriculum. Das Ziel des Kurses bestand darin, Neuzuwan-derer in die Lage zu versetzen, weitestgehend selbstständig am gesellschaftlichen Leben teilzu-nehmen. Demnach umfasste der Kurs neben Informationsange-boten auch Beratungsangebote zu alltagspraktischen Themen, ferner Beratung zur beruflichen Orientierung und zum Erwerb von Kenntnissen und/oder Erfah-rungswissen in Bezug auf poli-tische und gesellschaftliche Strukturen und Abläufe. Dieje-nigen, die die Konzeption des Kurses entwickelten, und die Kursleiter/innen — Muttersprach-ler/innen mit Migrationserfah-rungen — waren bzw. sind sich dessen bewusst, dass Integration ein langer Prozess ist und Orien-tierungskurse lediglich den Ein- stieg erleichtern können. Die Kurse basierten auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Ler-nergebnisse wurden nicht in einer

3.2 Herkunftssprachliche Orientie-rungskurse

Die Stadt Frankfurt am Main bie-tet seit September 2001 Orien-tierungskurse für Neuzuwanderer an, die eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben. Grundlage dieser Kurse war ein Magistratsbeschluss zur Einrichtung eines integrierten Sprach- und Orientierungskurs-angebots. Mitarbeiter/innen des Amtes für multikulturelle Angele-genheiten (AmkA) wurden damit betraut, diese Kurse zu konzipie-ren und umzusetzen. Die Hessi-sche Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) über-nahm deren wissenschaftliche Begleitung und Evaluation (vgl. Büttner u.a. 2004). Die ersten Kurse starteten im September 2001. Es handelte sich um ein zunächst kostenloses zielgruppenspezifisches Ange-bot, das drei Bestandteile um- fasste:

• Erstinformation für die poten-zielle Zielgruppe,• Orientierungsangebote für ein erstes Zurechtfinden in Frankfurt,• Vermittlung von Sprachkursen.

Innerhalb des Zeitraums 2002/2003 nahmen fast 2.000

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

Institutionen in der Kommune (z.B. mit der S-Bahn zur Hauptwa-che, Besucherterrasse auf der Zeil oder Maintower, Frankfurter Rat-haus oder Römerberg, Eiserner Steg)• „Frankfurt politisch“: Exkursio-nen zum technischen Rathaus der Stadt Frankfurt

Zweites Modul: Orientierungsan-gebote für ein erstes Zurechtfin-den in Frankfurt• Politische und gesellschaftli-che Strukturen der Aufnahme-kommune (Exkursionen in eine Stadtteilbibliothek, zu Begrü-ßungsangeboten der Stadt oder zu Sprachkursanbietern), Hin-weise auf Freizeit- und Bildungs-angebote• Erfahrungsaustausch der Kurs-teilnehmer/innen untereinander, produktive Nutzung von Erfah-rungsdifferenzen; Nebeneffekt: den informellen Aus- tausch der Teilnehmer/innen anregen

Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation, die sich auf Interviews mit Kursleiter(inne)n und Teilneh-mer-(inne)n stützte, erbrachte das Ergebnis, dass die Kursleiter/innen mit der Einbindung ihrer Aufgabe in die Integrationsbe-

Abschlussprüfung abgefragt. Methodisch stand das didakti-sche Prinzip der Teilnehmerorien-tierung im Zentrum. Angeboten wurden die Kurse in den Spra-chen Arabisch, Bosnisch, Dari, Englisch, Farsi, Italienisch, Kro-atisch, Russisch, Serbisch, Spa-nisch und Türkisch. Die Kursleiter/innen waren „native speaker“ und verfügten selbst über Migrati-onserfahrungen. Die Gruppen-größe variierte zwischen acht und 15 Teilnehmer(inne)n; die Kurse umfassten 40 Unterrichtsstunden. Angeboten wurden die Kurse als Intensivkurs (werktags von 14:00 Uhr bis 17:30 Uhr) oder als Wochenendkurs (samstags von 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr).

Inhaltlich bestanden die Kurse aus zwei Modulen:

Erstes Modul: Erstinformation der potenziellen Zielgruppe• Gegenseitiges Kennenlernen der Teilnehmer/innen und des Kursleiters, Präsentation des Kurs-programms und Ermittlung indivi-dueller Wünsche und Bedürfnisse• Geographische und räumliche Orientierung: Deutschland in Europa, die Bundesländer, das Land Hessen, die Stadt Frankfurt• Exkursion, bei der Elemente der Stadtteilerkundung verbunden werden mit Curriculum-Elemen-ten einer Einheit über politische

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Prof. Dr. Gudrun Hentges

Wie in zahlreichen Inter-views mit den Teilnehmer(inne)n nachgewiesen, beförderte die Teilnahme an den Orientierungs-kursen die Bereitschaft, sich die deutsche Sprache anzueignen. Christian Büttner, wissenschaftli-cher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konflikt-forschung und Honorarprofessor an der Evangelischen Fachhoch-schule Darmstadt, führt einige Argumente an, die dafür spre-chen, Orientierungskurse in den Herkunftssprachen anzubieten: „Das Erlernen der Sprache hängt von deren Gebrauch in relevan-ten Beziehungen ab“ (...) „wie die Motivation für das Erlernen von den alltäglichen Vorteilen, die sich mit dem Gebrauch der Sprache in diesen jeweils spezifi-schen Anforderungen verbinden. Gerade am Anfang ist es deshalb wichtig, die ersten Schritte in ver-trautem sprachlichem Terrain zu machen, damit sich solche förder-lichen Beziehungen herstellen. Dies ist in den Orientierungskur-sen ein wichtiger Faktor.“ (Büttner u.a. 2004, S. 25) Ein vergleichbares Projekt wurde von der Stadt München durchgeführt. Auch hier koope-rierte die Stelle für interkulturelle Zusammenarbeit (geleitet durch Margret Spohn) mit Wohlfahrts-verbänden, Sprachkursträgern, dem Kreisjugendring, Kirchen,

mühungen der Stadt Frankfurt sehr zufrieden sind. In der Evalu-ation wurden daneben zwei Prob-lemlinien herausgearbeitet.

Erstens: Die Anpassung des Curriculums an die Teilneh-mersituation erwies sich aufgrund der Heterogenität der Lern-gruppe hinsichtlich der Herkunft und des Bildungsniveaus mit-unter als schwierig. In den Inter-views mit den Kursleiter(inne)n und Teilnehmer(inne)n zeichnete sich eine Unsicherheit ab, wie die Offenheit des Curriculums in Bezug auf die Lerngruppe zu interpretieren sei und welche Integrationshilfen am ehesten den Lernvoraussetzungen der Teilnehmer/innen entsprechen. Insgesamt wird das offene Curri-culum jedoch als gute Grundlage für die Arbeit betrachtet.

Zweitens: Ein weiteres Pro-blem resultierte aus der Tatsa-che, dass die Kursleiter/innen, die selbst über einen Migrationshin-tergrund bzw. Fluchterfahrungen verfügen, aufgrund ihres Kontakts zu den Teilnehmenden mit ihren Herkunftsgesellschaften konfron-tiert wurden. Dies führte mitunter zu Spannungen und Irritationen.

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

dings nur 29 Personen teil — auch hier mehrheitlich Frauen (26 Frauen und drei Männer). Als Ergebnis des qualitativen Teils der Auswertung ist festzuhalten, dass alle Beteiligten aussagten, der Kurs habe ihnen „sehr“ bzw. „ganz gut“ geholfen, sich in Deutsch-land zurechtzufinden. Alle Befrag-ten betonten die Notwendigkeit, die Kurse in der Muttersprache anzubieten, denn dies sei die Vor-aussetzung dafür, dass die Inhalte überhaupt aufgenommen wer-den könnten. Alle befragten Kurs-teilnehmer/innen brachten ferner zum Ausdruck, dass für sie das Erlernen der deutsche Sprache sehr wichtig sei. „Dieses Ergebnis zeigt“, so das Fazit des Autoren-teams, „dass Orientierungskurse, gleichwohl in der Mutterspra-che angeboten, nicht nur einen entscheidenden Beitrag für die (lokale) Orientierung leisten, son-dern auch die Neugierde und Motivation erheblich steigern, die deutsche Sprache zu erlernen.“ (Landeshauptstadt München/Stelle für interkulturelle Zusam-menarbeit 2003, S. 13) Interessant am Münchener Projekt ist vor allem, dass das Inst-rument der „Kompetenzbilanz“ in den Kursen realisiert wurde. Die-ser Ansatz, der zunächst für das

dem Arbeitsamt und dem Aus-länderamt. Durchgeführt wurden die Kurse im Sommer 2002. Das Deutsche Jugendinstitut wurde mit der Evaluierung beauftragt (vgl. Landeshauptstadt München, Stelle für interkulturelle Zusam-menarbeit 2003).

Ähnlich wie in Frankfurt am Main orientierten sich die Münchener Kurse am alltäglichen Leben. Thematisch deckten die Kurse folgende Bereiche ab:

• Orientierung in der Stadt Mün-chen• soziales System• Arbeit, Beruf, Ausbildung• persönliche Perspektive, För-derplan• lokale Beratungsangebote• finanzielle Angelegenheiten• Geschlechterverhältnis• interkulturelle Sensibilisierung.

Entgegen der ursprünglichen Planung, die Kurse in zahlreichen Sprachen anzubieten (Türkisch, Englisch, Französisch, Arabisch, Serbokroatisch), kamen nur drei Kurse zustande: zwei in türki-scher und ein Kurs in arabischer Sprache. Jeder Kurs umfasste 50 Unterrichtsstunden, von denen fünf für Einzelbetreuung reser-viert werden sollten. An den Münchener Ori-entierungskursen nahmen aller-

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3.3 Staatsbürgerlich ausgerichtete deutschsprachige Orientierungs-kurse

Seit Inkrafttreten des neuen Staatsangehörigkeitsrechts am 1 . Januar 2000 sind erleichterte Einbürgerungen möglich. Da von den Einbürgerungswilligen nicht nur deutsche Sprachkenntnisse, sondern auch Verfassungstreue11 erwartet wird, entstand in Bay-ern die Idee, Einbürgerungskurse zu konzipieren und anzubieten. Dieser Personenkreis sollte die Möglichkeit haben, sich sozial-kundliche Kenntnisse anzueignen. Zielgruppe waren also einbürge-rungswillige Personen mit guten oder sehr guten Deutschkennt-nissen, die seit über acht Jahren in Deutschland leben. Das Bayerische Staatsmi-nisterium für Arbeit und Sozial-ordnung sah sich aufgrund der bevorstehenden erleichterten Einbürgerung von Ausländern dazu veranlasst, ein vom euro-päischen forum für migrations-studien (efms) der Universität Bamberg beantragtes Projekt zu fördern. Das efms konzipierte so

11 Von einem Einbürgerungswil-ligen wird erwartet, dass er „sich zur freiheitlichen demokratischen Grund-ordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt.“ (Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) § 10 Abs. 1)

Personalmanagement entwickelt wurde, geht von der Prämisse aus, dass Migrant(inn)en bereits mit einer ganzen Palette an Fähig-keiten und Kompetenzen in die Bundesrepublik einreisen — auch wenn diese Fähigkeiten häufig nicht über formale Abschlüsse oder Diplome nachgewiesen werden können. Fähigkeiten und Kompetenzen der Neuzuwan-derer wurden in den Kursen — angeleitet durch die Teamer/innen — bei jedem Einzelnen her-ausgearbeitet. Entscheidendes Mittel war neben der Selbstrefle-xion der Teilnehmer/innen auch der Dialog über die individuellen Fähigkeiten und Entwicklungs-möglichkeiten.

Zusammenfassend stellen wir fest, dass die hier vorgestellten Orientierungskurse verschiedene Dimensionen von Orientierung berücksichtigen. Die rechtliche, politische, geschichtliche und kulturelle Dimension der Orien-tierung wird in den Kursen nicht komplett ausgeblendet, steht aber nicht am Beginn des Orien-tierungsprozesses, sondern resul-tiert aus der Orientierung auf das Selbst und aus der Orientierung auf die soziale Umwelt.

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

heterogene Zusammensetzung der Gruppe ist bemerkenswert: Die Teilnehmer/innen kamen aus insgesamt 30 Ländern, wobei die größte in Nürnberg lebende Mig-rantengruppe — die Türk(inn)en — in einem sehr geringen Maße vertreten war. Die Hälfte aller Teilnehmer/innen hatten einen akademischen Abschluss im Her-kunftsland erworben. In jedem der insgesamt acht Kurse gaben lediglich eine oder zwei Personen an, sich ein-bürgern lassen zu wollen. Somit ziehen die Autoren des Evalu-ationsberichts das Fazit: „Die Zielgruppe der Einbürgerungs-willigen und Einbürgerungskan-didaten konnte nicht — wie in den Planungen vorgesehen — erreicht werden.“ (Wolf/Heckmann 2003, S. 47; vgl. auch Reiter/Wolf 2006; Wolf/Reiter 2007) Im Gegensatz zum Frank-furter Modell wurde in Nürnberg nicht mit einem offenen Curri-culum gearbeitet. Der erste Teil des 30 Stunden umfassenden Programms konzentrierte sich auf die Themen Geschichte, Lan-deskunde, Migration und Demo-graphie, während der zweite Teil die Vermittlung demokratischer Werte in den Mittelpunkt stellte (vgl. Wolf/Heckmann 2003, S. 42 f.).

genannte Einbürgerungskurse für Ausländer/innen, führte diese in Zusammenarbeit mit dem Bil-dungszentrum Nürnberg durch und evaluierte sie. Das Pilotpro-jekt begann im Oktober 2001 und endete im Mai 2003. Inner-halb dieses Zeitraums fanden acht Integrationskurse statt. Sie richteten sich an dauerhaft hier lebende und gut Deutsch spre-chende Ausländer/innen. Das Ziel dieser Kurse bestand darin, Ausländer(inne)n „gesellschaft-liche Grundnormen, demokra-tische Grundprinzipien und kulturelle Werte der deutschen Gesellschaft zu vermitteln“. Bei- tragen wollten die Kurse ferner „zur Vermittlung von Gefühlen der Zugehörigkeit und Loyali-tät“ (Hervorhebung im Original), um damit die „identifikatorische Integration“ zu stärken (vgl. Heck-mann u.a. 2000). Von den 61 Personen, die zunächst an einem solchen Kurs teilnahmen, blieben am Kursende noch 47 übrig (Abbre-cherquote von 14,5 %). Was die Zusammensetzung der Gruppe nach Geschlechtern betrifft, so manifestierte sich in Nürnberg ein Trend, der ebenso in Mün-chen und Frankfurt zu beobach-ten war: Mit einem Frauenanteil von 70 Prozent in den Nürnberger Kursen sind die Teilnehmerinnen deutlich stärker repräsentiert. Die

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den, der Grundrechte in der Ver-fassung — diese Kurskonzeption stand unter dem Motto „Loyalität mit unserem Staat zu fördern“ 12 Das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2004) vorgelegte Konzept orientiert sich an der in Nürnberg entwi-ckelten Konzeption und präzisiert die Ziele des Orientierungskurses wie folgt:

• „Verständnis für das deutsche Staatswesen wecken.“ Ein wesent-liches Ziel des Orientierungskur-ses bestehe darin, Zuwanderern

12 Integrationskurs „In Deutsch-land zu Hause — Politik, Geschichte und Alltagswissen für Zuwanderer und Ein-bürgerungswillige“, Förderung: Bayeri-sches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Ge-sundheit, Bildungszentrum Nürnberg, Laufzeit: April 2001 bis Dezember 2003, Bearbeiter: Richard Wolf. Im Rahmen des bayerischen Modellpro-jekts zur Entwicklung und Durchführung so genannter Integrationskurse wurden im Bildungszentrurn Nürnberg Kursrei-hen für dauerhaft hier lebende und gut Deutsch sprechende Ausländer durchge-führt, „um ihnen gesellschaftliche Grund-normen, demokratische Grundprinzipien und kulturelle Werte der deutschen Ge-sellschaft zu vermitteln.“ Gefördert wurde dieses zweijährige Projekt aus Mitteln des bayerischen Sozialfonds. Vgl. Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozial-ordnung, Familie und Frauen 2003, S. 33, S. 270.

Nur der letzte Abend wurde the-matisch frei gelassen, um gege-benenfalls noch ausstehende Fragen oder Themen zu bespre-chen.

Kapitel des Teilnehmerskripts Kapitel 1: Deutschland und die Migration Kapitel 2: Landeskundliche Ein-führung Kapitel 3: Deutsche Geschichte: von 1914 bis 1945 Kapitel 4: Deutsche Geschichte: Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg Kapitel 5: Grund- und Menschen-rechte / Rechte und Pflichten Kapitel 6: Der Rechtsstaat Kapitel 7: Der Sozialstaat Kapitel 8: Staatsbürgerschaft als Mitgliedschaft/Möglichkeiten politischer Mitwirkung Kapitel 9: Das deutsche Wahlsys-tem

Im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung legte das efms im Jahre 2003 ein Kurskonzept vor, das darauf abzielte, bei den Neu-zuwanderern einen deutschen Patriotismus herauszubilden. Vor-gesehen war die Vermittlung der deutschen Nationalhymne, der deutschen Werte und Tugen-

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Pflichten hat.“ Das Wissen um die eigenen Rechte, aber auch die Pflichten, gilt als „wichtige Integ-rationsvoraussetzung.“ (Ebd.)• Viertens greift das BAMF in seinen Zielvorgaben auf den Begriff der „Methodenkompe-tenz“ zurück und definiert ihn als „Fähigkeit (. . .)“ sich weiter zu orientieren“. Da der Orientie-rungskurs nicht in der Lage sei, umfassendes Wissen zu vermit-teln, sei die „Fähigkeit des selbst-ständigen Wissenserwerbs“ von großer Relevanz (ebd., S. 17).• Fünftens: Die Befähigung zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben — übersetzt mit „Hand-lungskompetenz“ — gelinge nur dann, wenn Zuwanderer mit den „in Deutschland üblichen Verhaltensweisen (Sitten und Gebräuche)“ vertraut seien. Erfor-derlich seien ferner Kenntnisse über deren „Hintergründe (grund-legende Werte und Anschauun-gen)“. Zuwanderer müssten dazu befähigt werden, mit den „übli-chen Verhaltensweisen“ umzuge-hen (ebd.).• Sechstens: Der Erwerb interkul-tureller Kompetenz sei zwar auch für die Mehrheitsgesellschaft von Bedeutung, da sich aber Zuwan-derer tagtäglich im „fremden kulturellen Kontext“ bewegten,

die besonderen Merk- male des deutschen Staatswesens (Föde-ralismus, Sozialstaatlichkeit, Parteiensystem) zu vermitteln. Ferner sollen die Kurse zu einem besseren „Verständnis für das institutionelle Umfeld“ (Auslän-derbehörden, Stadtverwaltung) beitragen. Die Teilnehmer/innen sollten dazu befähigt werden, die politischen Prozesse in Deutsch-land besser zu beurteilen („Urteils-kompetenz“) (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2004, S. 16).• Das zweite Ziel der Orientie-rungskurse besteht darin, eine „positive Bewertung des deut-schen Staates“ zu entwickeln. Im Wortlaut heißt es im Konzeptpa-pier: „Die Vermittlung von Kennt-nissen über grundlegende Werte der deutschen Gesellschaft, zum politischen System und der Rechtsordnung der Bundesrepu-blik Deutschland sollen eine posi-tive Bewertung des deutschen Staates durch die Zugewanderten fördern und Identifikationsmög-lichkeiten schaffen.“ (Ebd.)• Drittens sollen die Orientie-rungskurse „Kenntnisse der Rechte und Pflichten“ vermit-teln. Neben dem Wissen um die eigenen Rechte als Zuwanderer akzentuiert das Konzeptpapier die Bedeutung dessen, „dass jeder Einwohner bzw. Staatsbür-ger gegenüber der Allgemeinheit

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Jedes einzelne dieser Ziele wäre eine eigene Diskussion wert, die an dieser Stelle leider nicht intensiver geführt werden kann. Problematisch erscheint generell, dass die jahrzehnte-lang geführten Debatten über die Didaktik des politischen Unter-richts unberücksichtigt bleiben. So schlug z.B. Wolfgang Hilligen (1916— 2003), Nestor der politi-schen Bildung, in seiner Didaktik des politischen Unterrichts vor, dass sich die Fachdidaktik des politischen Unterrichts an vier Dimensionen orientieren solle:

• an der Dimension des Was (Aus-wahl der Inhalte),• an der Dimension des Warum, Wozu (Legitimation, Intentionali-tät)• an der Dimension des Wie (Methoden, Kommunikationsstil) und• an den Bedingungen (Voraus-setzungen bei der Lerngruppe).

Sicherlich wäre es lohnenswert — inspiriert durch Hilligen (1985) —, die Debatte über die Didaktik des politischen Unterrichts mit Zuwanderern, von denen ein Teil noch nicht das Sprachniveau B1 erreichen wird, erneut zu führen. Mit Blick auf die Ziele wird deutlich, dass eine zentrale Kate-gorie der politischen Bildung — die Kontroversität — nicht auf-

sei interkulturelle Kompetenz von besonderer Wichtigkeit. Von Zuwanderern werde jedoch kei-neswegs die „Aufgabe ihrer eige-nen kulturellen Identität“ erwartet, sondern „gelebte Interkulturali-tät“ (ebd.).

Die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge formulierten und im Oktober 2004 vorgelegten sechs Zielvorgaben stellen einen Mix dar:

• Einerseits benennt das Konzept den zu behandelnden Gegen-stand (das deutsche Staatswesen — Föderalismus, Sozialstaatlich-keit, Parteiensystem — sowie Rechte und Pflichten der Men-schen mit und ohne deutschen Pass),• andererseits fixiert das Konzept jedoch auch schon das Ziel der zu lehrenden und lernenden Staats-bürgerkunde: die positive Bewer-tung des deutschen Staates durch die Kursteilnehmer/innen,• und zudem wird die Vermittlung von Kompetenzen (Urteilskom-petenz, Methodenkompetenz, Handlungskompetenz, interkultu-relle Kompetenz) als Zielvorgabe festgeschrieben.

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gen, Kontroversen auszutragen, Debatten zu führen, sich eine Mei-nung zu bilden, sich ein Urteil zu erlauben. Das Ziel „positive Bewer-tung des deutschen Staates“ (BAMF 2004) geht über das Ziel Bekenntnis zur deutschen Ver-fassung hinaus: Staatliches Han-deln umfasst z.B. den Prozess der Gesetzgebung, der im Sinne eines Pluralismus — im Bundestag, in der politischen Öffentlichkeit, in den Medien — zu Recht kontro-vers diskutiert wird.

3.4 Auswertung der Erfahrungen mit Orientierungskursen

Die Beschäftigung mit den ver-schiedenen im Bundesgebiet durchgeführten Pilotprojekten (Frankfurt am Main, München, Nürnberg) führt zu folgender Einschätzung: Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass die im Zuwanderungsgesetz festge-schriebenen Kurse sich in erster Linie an Neuzuwanderer richten — auch wenn in den Jahren 2005 und 2006 mehr als 60 Prozent aller Teilnehmer/innen so genannte Altzuwanderer waren, die ent-weder zu einer Teilnahme ver-

taucht. Das Prinzip Kontroversität findet sich u.a. im Beutelsbacher Konsens, einem Dokument, auf das sich politische Bildner/innen unterschiedlicher Provenienz 1976 in Beutelsbach geeinigt und damit jahrzehntelange Lager-kämpfe und Debatten beigelegt haben: „Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muß auch im Unterricht kontrovers erscheinen. (. . .) (D)enn wenn unterschiedli-che Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, dann ist der Weg zur Indoktrination beschritten.“ (Der Beutelsbacher Konsens 1977, zit. nach Schiele/Schneider 1996, S. 226; Schneider 1999, S. 171 ff.; vgl. Grammes 1997, S. 80; Gram-mes 1998, S. 241 ff.; Kuhn/Mas-sing/Skuhr 1993, S. 219 ff.; vgl. zur Konfliktorientierung in der politi-schen Bildung: Giesecke 2000) Die im Sinne des Beu-telsbacher Konsenses kontro-vers auszutragenden Positionen, Meinungen und Standpunkte stehen — so die Intention der poli-tischen Bildner/innen — durchaus in Einklang mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Politische Bildung — schulische sowie außerschulische — sollte jede Form der Indoktrination vermeiden und stattdessen die Schüler/innen oder erwachsenen Teilnehmer/innen dazu befähi-

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dieser Zunft knüpften damit an die Staatsbürgerkunde an, die in der Weimarer Republik an Schu-len gelehrt wurde. Dieser Ansatz ging auch als „Institutionenlehre“ in die Debatte ein. Im Zuge der aufkommenden Studentenbewe-gung und der außerparlamentari-schen Opposition vollzog sich in der Gruppe der politischen Bild-ner/innen ein Paradigmenwech-sel: Angeregt durch Diskussionen und Erfahrungen innerhalb der außerschulischen politischen Bil-dung (vor allem der Erwachse-nenbildung), wurde der Ansatz der „Institutionenlehre“ zuneh-mend in Frage gestellt und durch die Entwicklung einer breiten Palette verschiedener didakti-scher Prinzipien abgelöst: Neue Methoden wie Konfliktorientie-rung, Handlungsorientierung, exemplarisches Lernen, Teilneh-merorientierung, Projektarbeit, außerschulisches Lernen vor Ort, die Unterscheidung zwischen Orientierungswissen und Hand-lungswissen etc. prägten die Debatte seit der „didaktischen Wende“ Mitte der 1960er-Jahre — und prägen sie auch weiter-hin (vgl. Gagel 1995, S. 223 ff.; Olbrich 2001, S. 352 ff.). Im Folgenden werden zwei ausgewählte Methoden der politischen Bildung kurz skizziert, da sie nicht nur für die Fachdidak-tik Politikwissenschaft, sondern

pflichtet wurden oder freiwillig an einem solchen Kurs teilnahmen.13 Die in Nürnberg durchgeführten Kurse — zunächst als Einbürge-rungskurse konzipiert — richteten sich an Personen, die bereits seit längerer Zeit in Deutschland leben. Dennoch orientierte sich das BAMF bei der Konzeption der 30- stündigen Orientierungskurse weniger an den Frankfurter oder Münchener Erfahrungen, sondern eher an dem in Nürnberg ent-wickelten Konzept. Aus Einbür-gerungskursen wurden faktisch Orientierungskurse — ungeachtet dessen, dass es sich um verschie-dene Zielgruppen handelt. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang ein Rekurs auf die Debatten, die im Bereich der politischen Bildung und Erwachsenenbildung der letzten Jahrzehnte geführt wur-den: In den 1950er- und frühen 1960er-Jahren ging der Main-stream der staatsbürgerlichen Bildung davon aus, dass die Ver-mittlung der politischen Bildung im Kern abzielen solle auf das politische System der Bundes-republik Deutschland und des-sen Funktionsweise. Die Vertreter 13 Im Jahr 2005 betrug der Anteil der Altzuwanderer an den Teilnehmer(inne)n der Integrationskurse ca. 62 %‚ im Jahr 2006 ca. 63 %.

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tage, Hörspiel, Ausstellung, Fotodokumentation etc.).

Problematisch wird es jedoch dann, wenn Handlungsorien-tierung auf einen bloßen politi-schen Aktionismus reduziert wird — abgekoppelt vom Prozess der Entscheidungsfindung, der Refle-xion und des Denkens. Insofern setzt Handlungsorientierung im politischen Lernen immer einen Prozess des Denkens voraus (vgl. Breit/Schiele 1998; Gagel 1998; Reinhard 1997). Einige wenige neue Metho-den und Prinzipien haben in das vom BAMF vorgelegte Konzept Eingang gefunden (Urteilskom-petenz, Methodenkompetenz, Handlungskompetenz, interkul-turelle Kompetenz), viele weitere Methoden und Prinzipien blie-ben jedoch unberücksichtigt. Hinzu kommt, dass die Orien-tierungskurse in der Regel nicht von politischen Bildner(inne)n angeboten werden, sondern von Sprachlehrer(inne)n, bei denen ein sozialwissenschaftliches Stu-dium nicht vorausgesetzt werden kann. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2004, S. 17 f.) geht in seinem Konzeptionspapier davon aus, dass in den Orientie-

auch für die Orientierungskurse von Relevanz sind: Konfliktorien-tierung und Handlungsorientie-rung. Der Begriff des Konflikts avancierte in Hermann Gies-eckes (1965/1972) „Didaktik der politischen Bildung“ zum orga-nisierenden Prinzip. Ausgehend von seinen Erfahrungen in der Jugendarbeit, gelangte er zur Ein-schätzung, dass nicht die Beleh-rung Lernprozesse befördert, sondern erzieherisch-produktive Konfliktsituationen. Demnach handelt es sich beim Prozess poli-tischen Lernens um den Normal-fall politischer Meinungsbildung. Eine wesentliche Voraussetzung politischen Lernens ist laut Gies-ecke ferner eine demokratische Beziehung zwischen dem Lehren-den und dem Lernenden, wobei auch ein Rollenwechsel denkbar ist. Handlungsorientierung in der politischen Bildung umfasst nach Heinz Klippert (1991) fol-gende Methoden:

• reales Handeln (Erkundungen, Praktika, Expertenbefragungen, Straßeninterviews),• simulatives Handeln (Rollen-spiele, Planspiele, Entschei-dungsspiele, Konferenzspiele, Debatten, Zukunftswerkstatt etc.),• produktives Gestalten (Flug-blatt, Plakat, Wandzeitung, Repor-

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Grundwissen Aufbauwissen

Rechtsordnung Rechtsordnung

Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland; Demokratie; politische Einflussnahme; Wahlrecht; Stellung der Länder und Kommunen

Europa

Rechtsstaat

Sozialstaatsprinzip Soziale Marktwirtschaft

Grundrechte

Pflichten der Einwohner

Geschichte Geschichte

Entstehung und Entwicklung der Bundes-republik Deutschland

Europäische Integration

Wiedervereinigung

Geschichte der Migration in Deutschland

Regionalgeschichte

Kultur Kultur

Menschenbild Kulturelle und regionale Vielfalt

Zeitverständnis Trennung von Privat- und Berufssphäre

Regelorientierung Symbole

Religiöse Vielfalt

Tabelle 1: Grund- und Aufbauwissen der politischen Bildung (basierend auf der Handreichung des BAMF (vgl. 2004, S. 17 f.)

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auf die Orientierungskurse (vgl. Bundesministerium des Innern 2006b). Hinsichtlich der Orientie-rungskurse kommt der Bericht zu dem Ergebnis, dass sich eine (nicht nur formal) erfolgreiche Teilnahme an den 30-stündigen Orientierungskursen nur schwer ermitteln lässt, da die Abschluss-tests der Kurse von den jeweili-gen Bildungsträgern bzw. den Lehrenden individuell gestaltet werden und deren Durchfüh-rung den Dozent(inn)en selbst obliegt. Dem Orientierungskurs wird generell eine relativ geringe — eher nachgeordnete — Bedeu-tung beigemessen, obwohl er laut Zuwanderungsgesetz eine wichtige Komponente des Inte-grationskurses darstellt. Nur in Ausnahmefällen sind die Lehren-den speziell qualifiziert bzw. wei-tergebildet (worden), um diese

rungskursen ein Grundwissen aus den Bereichen Rechtsordnung, Geschichte und Kultur vermittelt werden müsse. In diesem Kontext unterstreicht das BAMF vor allem die Kenntnisse der Werte des demokratischen Staatswesens und der Bundesrepublik Deutsch-land. Besondere Bedeutung misst das Konzeptionspapier den Prin-zipien Rechtsstaatlichkeit, Gleich-berechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit bei. Das Grund-wissen könne wahlweise durch Aufbauwissen ergänzt werden.

3. 5 Evaluation der Integrations-kurse nach dem Zuwanderungs-gesetz

Die Integrationskurse wurden ab Januar 2006 von Mitarbei-tern der Beratungsfirma Rambøll Management evaluiert, so dass die Bundesregierung dem Bun-destag zum 1. Juli 2007 einen Erfahrungsbericht zu Durchfüh-rung und Finanzierung der Inte-grationskurse vorlegen konnte (43 Abs. 5). Der vom BMI heraus-gegebene Bericht enthält neben einer Analyse der Umsetzung der Integrationskurse, der Effizienz und Effektivität der Verfahren, der regionalen Umsetzung der Kurse und deren Finanzierung auch interessante Analysen, Einschät-zungen und Vorschläge in Bezug

Kurse zu unterrichten. Auch aus der Perspektive der Teilnehmer/innen wird der Orientierungskurs — vor allem verglichen mit den standardisierten Sprachprüfun-gen — lediglich als zweitrangig betrachtet (vgl. Bundesministe-rium des Innern 2006b, S. ii und S. iv, S. 30, S. 44f., S. 46, S. 49, S. 53f.).

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sollten neben der Bundeszentrale für Politische Bildung auch die Landeszentralen für Politische Bil-dung einbezogen werden.14

Der Evaluationsbericht empfiehlt ferner die Einführung eines stan-dardisierten Abschlusstests zur Durchführung einer Erfolgskont-rolle und Aufwertung der im Kurs vermittelten Inhalte bezüglich der Rechtsordnung, Kultur und Geschichte. Dieser Test sollte — ebenso wie der Sprachtest — von extern Prüfenden abgenommen werden. Darüber hinaus emp-fiehlt das Evaluationsteam, dass auch Teilnehmer/innen des Integ-rationskurses, die die Sprachprü-fung nicht absolvieren müssen (oder wollen), die Möglichkeit haben sollten, den Orientierungs-kurs mit einer Abschlussprüfung

14 Zu erwähnen ist hier das Enga-gement der Landeszentrale für Politische Bildung Baden- Württemberg: Diese ent-wickelte Unterrichtsmaterialien für den Einsatz in Orientierungs- und Sprachkur-sen, führte 160 Orientierungskurse durch, die auch evaluiert wurden, und qualifi-zierte ca. 120 Kursleiter/innen (Basiskom-petenzen für die Vermittlung politischer Bildung). Vgl. Landeszentrale für Politi-sche Bildung Baden-Württemberg/Feil/Hesse 2006. Bislang liegen u.a. folgende Lehrwerke vor, deren Inhalte als „heimli-ches Curriculum“ der Orientierungskurse gelten: Pohl 2005a; Pohl 2OO5b; Pohl 2005c; 30 Stunden Deutschland 2005; Pluspunkt Deutsch 2006; Kaufmann u.a. 2007.

Aufgrund der hier ange-deuteten Diskrepanz zwischen Norm und Wirklichkeit schlägt das Evaluationsteam eine Aufwer-tung der Orientierungskurse vor: „Sollte es nach wie vor politischer Wille sein, am Orientierungskurs festzuhalten, so muss dieser eine deutliche Aufwertung erfahren. Diese Aufwertung sollte auf drei Ebenen erfolgen:

• ein standardisiertes Curriculum für den Orientierungskurs• ein standardisierter Abschluss-test• eine Schulung der Lehrkräfte, die im Orientierungskurs unter-richten.“ (Bundesministerium des Innern 2006b, S. 189)

Ein Rahmencurriculum gebe den Lehrenden die erfor-derlichen Vorgaben für die Aus-gestaltung der 30-stündigen Kurse. Dieses Curriculum müsse einerseits Lernziele definieren, den Lehrenden andererseits aber auch Freiheiten lassen, um auf Bedürfnisse der Teilnehmer/innen einzugehen. In den Prozess der Entwicklung der Curricula

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Ländern zu beobachten ist. Zwar wurde die Einführung der Integ-rationskurse als integrationspo-litisches Instrument (auch) von Seiten europäischer Institutio-nen angeregt (Europäischer Rat, Europäische Kommission, Euro-päisches Parlament), doch da die Migrations- und Integrations-politik bislang nicht auf europäi-scher Ebene harmonisiert wurde, sondern bestenfalls im Rahmen der „Offenen Methode der Koor-dinierung“ zwischen den EU-Mit-gliedsstaaten abgestimmt wird, sind nach wie vor die national unterschiedlichen Prozesse der Entscheidungsfindung und die national unterschiedlichen Aus-prägungen und Akzentuierungen der Migrations- und Integrations-politik von Relevanz. Vor diesem Hintergrund entfaltete sich in der fachwissenschaftlichen Debatte die Kontroverse über Konvergenz (Joppke/Morawska 2003; Joppke 2007) versus Divergenz nationa-ler Modelle der Integrationspoli-tik (Koopmans u.a. 2005; Jacobs/Rea 2007). Die Situation in der Bun-desrepublik Deutschland war bekanntlich — im Gegensatz zu anderen klassischen Einwande-rungsländern, wie z.B. Großbritan-nien oder Frankreich — dadurch

zu absolvieren. Um den Kreis der potentiellen Teilnehmer/innen zu erweitern, empfiehlt das Team die Einführung des sprach-lichen Mindeststandards A2 für den Orientierungskurs und den anschließeden Test (vgl. Bundes-ministerium des Innern 2006b, S. 191). Die für Dozent(inn)en angebotenen Zusatzqualifika-tionen sollten auch die Orien-tierungskurse umfassen. Eine besondere Bedeutung wird der Vermittlung von Methoden und Didaktik beigemessen, vor allem mit Blick auf die Vermittlung von komplexen Themen an Personen, deren Deutschkenntnis unter-halb des Niveaus B1 liegt. Solche Fortbildungen (evtl. auch online) sollten vor allem von den Landes-zentralen für Politische Bildung angeboten werden und sich auch an Lehrer/innen richten, die über einen DaF/DaZ-Abschluss oder eine Zusatzqualifikation verfü-gen (vgl. Bundesministerium des Innern 2006b, S. 192).

4Fazit

Im Rahmen der Beschäftigung mit Integrationskursen wurde deutlich, dass es sich bei der Einführung solcher Kurse um ein Phänomen handelt, das der-zeit in zahlreichen — Jacobs/Rea (2007) sprechen von neun — EU-

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Angebot zur Lehrkräftequalifizie-rung“ sowie eine „Ausweitung des Stundenumfangs für den Ori-entierungskurs“ (Bundesministe-rium des Innern 2007, S. 8). Mit Blick auf die Vielfalt unterschiedlicher Erfahrungen mit herkunftssprachlichen bzw. deutschsprachigen Orientie-rungskursen wird deutlich, dass sich letztlich ein Modell durch-gesetzt hat, das sich sehr stark an den Lernvoraussetzungen von Einbürgerungswilligen orien-tiert. Die mitunter sehr geringen Sprachkenntnisse der Teilneh-mer/innen und sehr rudimentären Kenntnisse über die Geschichte und das politische System der Bundesrepublik Deutschland wurden bei der Entwicklung eines ersten Curriculums für die Orien-tierungskurse nicht in ausreichen-dem Maße berücksichtigt. Mit Blick auf die empi-rische Studie lässt sich Folgen-des feststellen: Eine Auswertung der Interviews zeigt, dass die Dozent(inn)en versuchten bzw. versuchen das vom BAMF entwi-ckelte Curriculum im Rahmen des 30-stündigen Orientierungskur-ses umzusetzen, indem sie ein-zelne Aspekte herausgreifen, die ihnen besonders wichtig erschei-nen. Die Interviewpartner/innen erinnern sich an einzelne Begriffe oder Stichworte; in den Interviews wurde aber deutlich, dass es ihnen

geprägt, dass es kein offizielles Bekenntnis zum Tatbestand der Einwanderung gab. Infolgedes-sen mangelte es auch an einer in sich konsistenten Politik der gesellschaftlichen Integration von Einwanderern. Die im Januar 2005 erfolgte Einführung der Integrationskurse kann insofern als Paradigmenwechsel verstan-den werden, als nun von Sei-ten der offiziellen Politik auf den Tatbestand der Einwanderung reagiert wird und Anstrengun-gen unternommen werden, um sprachliche Defizite bei Neu- und Altzuwanderern auszugleichen. Die Kritik an den Integrationskur-sen führte zu Modifikationen, die in eine neue Integrationskursver-ordnung mündeten. In der kritischen Aus-einandersetzung mit den Integrationskursen gelten die Ori-entierungskurse als besondere Herausforderung: So konstatiert z.B. der Nationale Integrations-plan, dass dem Orientierungskurs „eine hohe Bedeutung für den Integrationserfolg (...) aber auch für die Entscheidung über die Erteilung der Niederlassungser-laubnis“ zukommt. Gefordert wer-den ein „einheitliches Curriculum, ein standardisierter Abschluss-test sowie ein bedarfsgerechtes

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rungen anderer europäischer Staaten, die ja bereits langjährige Erfahrungen mit Orientierungs-kursen gemacht haben.

sehr schwer fällt, diese Begriffe in einen Kontext einzuordnen. Sicherlich muss der Orientie-rungskurs eine Balance herstellen zwischen der Wissensvermittlung und einem Bezug zur Lebenswelt. In den Interviews wurde deutlich, dass sich die Teilnehmer/innen an die behandelten Themen erinner-ten, wenn sie im Kontext standen zu ihrer Lebenswelt, ihrem Alltag und ihren Erfahrungen. Insofern stehen die verantwortlichen Ins-titutionen (BAMF) vor der Her-ausforderung, ein realistisches Curriculum auszuarbeiten, das einerseits an den sprachlichen Vor-aussetzungen der Migrant(inn)en ansetzt, andererseits auf deren Alltagserfahrungen Bezug nimmt, um die Motivation der Teilnehmer/innen zu stärken. Im Rahmen von Fort- und Weiterbil-dungen müssen Dozent(inn)en dazu befähigt werden, komplexe Zusammenhänge (Geschichte, politisches System, politische Kul-tur) in einer einfachen Sprache zu vermitteln, die für die Teilnehmer/innen nachvollziehbar ist. In die-sem Zusammenhang erscheint es lohnenswert, die bisherigen Erfahrungen mit Orientierungs-kursen auszuwerten, und zwar in zweifacher Hinsicht: Relevant sind die Erfahrungen, die bislang im bundesdeutschen Kontext gesammelt wurden; von Bedeu-tung sind aber auch die Erfah-

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culture et de la communication/Délégation générale à la langue franÇaise et aux langues de France), Paris; http://www.cul-ture.gouv.fr/culture/dglf/recher-che/seminaires/seminaire%20migrants/Seminaire_migrants_version_allemande.pdf (29.1 1.2007)• Baringhorst, Sigrid (2006): Nationaler Zusammenhalt versus kulturelle Vielfalt. Die britische Einwanderungs- und Integrati-onspolitik zwischen globalem Wettbewerb und nationaler Identität, in: Christoph Butter-wegge/Gudrun Hentges (Hg.), Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung. Migrations-, Integrations- und Minderhei-ten- politik, 3., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Wiesbaden, S. 163—181• Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen (2003): Ausländerintegration in Bayern (Folgebericht). Interministerielle Arbeitsgruppe „Ausländerinteg-ration“, München• Beutelsbacher Konsens (1977), dokumentiert in: Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hg.), Reicht der Beutelsbacher Kon-sens?, Schwalbach im Taunus, S. 225 f.

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• Bundesministerium des Innern (2007): Nationaler lntegrations-plan. „Integrationskurse ver-bessern“. Abschlussbericht der Arbeitsgruppe 1‚ Berlin• Bundesregierung (2005a): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Ab- geordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen, Kersten Naumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke, Drs. 16/307 v. 2 1.12.• Bundesregierung (2005b): Ver-ordnung der Bundesregierung. Verordnung über die Durchfüh-rung von lntegrationskursen für Ausländer und Spätaussiedler (Integrationskursverordnung - IntV), Berlin• Bundesregierung (2006): Ant-wort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeord-neten Josef Philip Winkler, Volker Beck, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drs. 16/725 v. 20.2.• Bundesregierung (2007): Ver-ordnung der Bundesregierung. Entwurf einer ersten Verordnung zur Änderung der Integrations-kursverordnung, Berlin• Büttner, Christian/Kunz, Thomas/Nagel, Helga (2004): Ankommen in Frankfurt. Orientierungskurse als kommunales Angebot für Neuzuwanderer (HSK-Report 8), Frankfurt am Main

• Breit, Gerhard/Schiele, Sieg-fried (Hg.) (1998): Handlungs-orientierung im Politikunterricht, Bonn• Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2004): Konzept für einen bundesweiten Integrati-onskurs, Nürnberg• Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2006a): Blickpunkt Integration. Aktueller Informati-onsdienst zur Integrationsarbeit in Deutschland, Ausgabe 02• Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2006b): Integration. Voneinander lernen - gemeinsam leben. Integrationskurse — Jah-resbilanz 2005‚ Nürnberg• Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2007): Integration. Voneinander lernen — gemein-sam leben. Integrationskurse -- Jahresbilanz 2006, Nürnberg• Bundesministerium des Innern (2006a): Beantwortung von Fra-gen (Roland Claus, MdB) zum Kapitel 0633 (Integration) v. 24.3. • Bundesministerium des Innern (2006b): Evaluation der Integra-tionskurse nach dem Zuwande-rungsgesetz. Abschlussbericht und Gutachten über Verbesse-rungspotenziale bei der Umset-zung der Tntegrationskurse (Rambøll Management), Berlin

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

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Prof. Dr. Gudrun Hentges

begrenzung, Bamberg• Hentges, Gudrun/Zwengel, Almut u.a. (2008): Orientierungs-kurse in Fulda (Fulda. Region und Migration, Band 2), Fulda (im Erscheinen)• Hilligen, Wolfgang (1985): Zur Didaktik des politischen Unterrichts. Wissenschaftliche Voraussetzungen. Didaktische Konzeptionen. Unterrichtsprak-tische Vorschläge, 4., völlig neu bearbeitete Auflage, Opladen• Höchstätter, Klaus (2007): Die offene Koordinierung in der EU: Bestandsaufnahme, Probleme und Perspektiven, Baden-Baden• Home Office (2007): Life in the United Kingdom: A Joumey to Citizenship (Second Edition). The Stationery Office, London• Integrationsvereinbarungs-Ver-ordnung — IV-V (2006): in: Bun-desgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 2005, v. 27. 12.2005, Teil II• International Centre for Migra-tion Policy Development (2005): Integration Agreements and Voluntary Measures. Compulsion or Voluntary Nature — Compari-son of compulsory integration courses, programmes and agree-ments and voluntary integration programmes and measures in Austria, France, Germany, the Netherlands and Switzerland, Vienna

Politikunterricht, in: Gerhard Breit/Siegfried Schiele (Hg.), Handlungsorientierung im Politik-unterricht, Bonn, S. 128-143• Giesecke, Hermann (1965/1972): Didaktik der poli-tischen Bildung, 7., völlig neu bearb. Aufl., neueAusg., Mün-chen• Giesecke, Hermann (2000): Politische Bildung. Didaktik und Methodik für Schule und Jugend-arbeit, 2., überarbeitete und erweiterte Aufl., Weinheim/Mün-chen• Grammes, Tilman (1997): Kon-troversität, in: Wolfgang Sander (Hg.), Handbuch politisehe Bil-dung, Schwalbach im Taunus, S. 80—94• Grammes, Tilman (1998): Kom-munikative Fachdidaktik. Politik — Geschichte — Recht — Wirtschaft, Opladen• Heckmann, Friedrich (1992): Ethnische Minderheiten, Volk und Nation, Stuttgart• Heckmann, Friedrich/Wun-derlich, Tanja/Worbs, Susanne (2000): Integrationspolitische Aspekte einer gesteuerten Zuwanderung: Gutachten für die interministerielle Arbeitsgruppe der Bayerischen Staatsregierung zu Fragen der Zuwanderungs-steuerung und Zuwanderungs-

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

• KOM (2003): Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Aus-schuss der Regionen über Ein-wanderung, Integration und Beschäftigung, Brüssel, den 3.6.2003, KOM (2003) 336 end-gültig• KOM (2005): Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Aus-schuss der Regionen: Eine gemeinsame Integrationsagenda — Ein Rahmen für die Integration von Drittstaatsangehörigen in die Europäische Union, Brüssel, den 1.9.2005, KOM (2005) 389 end-gültig Koopmans, Ruud/Statham, Paul/Giugni, Marco/Passy, Florence (2005): Contested Citizenship: Immigration and Cultural Diver-sity in Europe, Minneapolis Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter/Skuhr, Werner (Hg.) (1993): Politische Bildung in Deutsch-land. Entwicklung — Stand — Pers-pektiven, Opladen• Länderprofil: Finnland (2003), in: Migration und Bevölkerung, Oktober 2003, S. 1

• Jacobs, Dirk/Rea, Andrea (2007): The end of national models? Integration courses and citizenship trajectories in Europe. Paper prepared for the EUSA-conference, Montréal, l7—l9 May 2007, Brussels• Joppke, Christian/Morawska, Ewa (2003): Towards Assimilation and Citizenship. Immigrants in Liberal Nation-States, Basings-toke• Joppke, Christian (2007): Bey-ond National Models: Civic Inte-gration Policies for Immigrants in Western Europe, in: Western European Politics, 30: 1, pp. 1—22• Kammhuber, Stefan/Thomas, Alexander (2004): Orientierungs-kurse als Teil staatlicher Integra-tionspolitik, in: Migrationsreport 2004. Fakten — Analysen — Pers-pektiven. Für den Rat der Migra-tion herausgegeben von Klaus J. Bade, Michael Bommes und Rainer Münz, Frankfurt am Main/New York, S. 151—173• Kaufmann, Susan/Rohrmann, Lutz/Szablewski-Cavus, Petra (2007): Orientierungskurs Deutschland: Geschichte, Kultur, Institutionen, Berlin u.a.• Klippert, Heinz (1991): Durch Erfahrung lernen. Ein Prinzip (auch) für die politische Bildung, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Erfahrungsorien-tierte Methoden der politischen Bildung, Bonn, S. 75—93

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Prof. Dr. Gudrun Hentges

in: Werner Stegmaier (Hg.), Ori-entierung. Philosophische Pers-pektiven, Frankfurt am Main, S. 225—24• Migration und Bevölkerung, November 2001, S. 1• Ministry of Foreign Affairs of Denmark (2006): Fact-sheet Denmark. Documentation; http://www.udlst.dk/NR/rdonlyres/em75rfrixrhtykteh3hx232x-mob7gw313sjpnosvi2sy6d223az-hc3wjfmijhlkwh436ymiarra-op6szydslmfvr12a/Integration+in+Denmark+Faktablad.pdf (29.11.2007)• Ministry of Integration and Gen-der Equality (2007): Integration and Diversity, 30.3.2007; http://www.sweden.gov.se/sb/d/8366;jsessionid=a7g8oyR8rfV6 (29. 11.2007)• Olbrich, Josef (2001): Geschichte der Erwachsenenbil-dung in Deutschland, Bonn• Pluspunkt Deutsch (2006): Ber-lin• Pohl, Reinhard (2005a): Mein Orientierungskurs, Bd. 1: Rechts-ordnung, Kiel• Pohl, Reinhard (2005b): Mein Orientierungskurs, Bd. 2: Geschichte und Kultur, Kiel• Pohl, Reinhard (2005c): Mein Orientierungskurs, Bd. 3: Auf-bauwissen Rechtsordnung, Geschichte und Kultur, Kiel• Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (2007):

• Landeshauptstadt München/Stelle für interkulturelle Zusam-menarbeit (2003): Orientierung in München. Evaluation des Pilotprojektes „Orientierungs-kurse für Neuzuwanderinnen und Neuzuwanderer“. Sommer 2002 [evaluiert durch Monika Jaeckel, Wolfgang Erler (Deutsches Jugendinstitut) und Dr. Margret Spohn (Stelle für interkulturelle Zusammenarbeit)], München• Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg, Robert Feil und Wolfgang Hesse (Hg.) (2006): Miteinander leben: Unterrichtsmaterial für Orientie-rungs- und Sprachkurse, Mün-chen; http://www.i-punkt-projekt.de (21.11.2007)• Landeszentrum für Zuwan-derung NRW (2000): Mehr als Sprachförderung. Eine Studie zur Integration von Neuzuwanderern in den Niederlanden (erstellt im Auftrag des Landeszentrums für Zuwanderung NRW von Dipl-Pol. Sigrun Scheve, Landelijk Bureau ter bestrijding van Rassendicri-minatie (LBR/NL), unter Mitarbeit von Eddie Nieuwenhuizen und Frits van Eck), Solingen• Luckner, Andreas (2005): Drei Arten, nicht weiterzuwissen. Orientierungsphasen, Orientie-rungskrisen, Neuorientierungen,

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

zur politischen Bildung, Schwal-bach im Taunus, S. 171-178• Schönwälder, Karen/Söhn, Janina/Michalowski, Ines (2005) (unter Mitwirkung von Katarina Löbel): Sprach- und Integra-tionskurse für MigrantInnen: Erkenntnisse über ihre Wirkun-gen aus den Niederlanden, Schweden und Deutschland (AKl-Forschungsbilanz 3), hg. von der Arbeitsstelle Interkulturelle Konflikte und gesellschaftliche Integration (WZB), Berlin• Secure Borders, Safe Haven (2002): Integration with Diversity in Modern Britain (Presented to Parliament by the Secretary of State for the Home Department by Command of Her Majesty), London; http://www.archive2.official-documents.co.uk/docu-ment/cm53/5387/cm5387.pdf (29.11.2007)• Staatsangehörigkeitsge-setz (StAG) (2007) Staatsan-gehörigkeitsgesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Glie-derungsnummer 102-1, veröf-fentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 19. August 2007 (BGB1. I S. 1970). Stand: Zuletzt geändert durch Art. 5 G v. 19.8.2007 I 1970

Staatsministerin Böhmer begrüßt die vom Kabinett verabschiedete Änderung der Integrationskurs-verordnung (Pressemitteilung 450 v. 21.11.2007)• Pro Asyl (2002): Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integ-ration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsge-setz — BT-Drucksache 14/7387), v. 10.1.• Reinhard, Sibylle (1997): Hand-lungsorientierung, in: Wolfgang Sander (Hg.), Handbuch poli-tische Bildung, Schwalbach im Taunus, S. 105—114• Reiter, Stefanie/Wolf, Richard (2006): Maßnahmen zur politi-schen Bildung für Migranten und Migrantinnen. Expertise für die Bundeszentrale für politische Bil-dung, Bamberg• Schiele, Siegfried/Schneider, Herbert (Hg.) (1996): Reicht der Beutelsbacher Konsens?, Schwal-bach im Taunus• Schildknecht, Christiane (2005): Argument und Einsicht. Orientie-rungswissen als Begründungs-wissen?, in: Werner Stegmaier (Hg.), Orientierung. Philosophi-sche Perspektiven, Frankfurt am Main, S. 138—152• Schneider, Herbert (1999): Der Beutelsbacher Konsens, in: Wolf-gang M. Mickel (Hg.), Handbuch

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Prof. Dr. Gudrun Hentges

[ICEUS], Hochschule Fulda, Fach-bereich Sozial- und Kulturwissen-schaften), Fulda• Werth, Manfred (2002): Inte-grationspolitik in Finnland; http://www.isoplan.de/aid/index.htm?http://www.isoplan.de/aid/2002-1/europa.htm (29.11.2007)• Wolf, Richard/Heckmann, Friedrich (2003): „In Deutschland zu Hause — Politik, Geschichte und Alltagswissen für Zuwande-rer und Einbürgerungswillige“. Evaluationsbericht zum Modell-projekt Integrationskurse an das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Fami-lie und Frauen und das Bildungs-zentrum Nürnberg, Bamberg• Wolf, Richard/Reiter, Stefanie (2007): Politische Bildung für Migrantinnen und Migranten, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 32—33, S. 15—20

• Stegmaier, Werner (2005a): Vorwort, in: ders. (Hg.), Orientie-rung. Philosophische Perspekti-ven, Frankfurt am Main, S. 7—13• Stegmaier, Werner (2005b): Einleitung, in: ders. (Hg.), Ori-entierung. Philosophische Pers-pektiven, Frankfurt am Main, S. 14—50• Strauss, Anselm L. (1998): Grundlagen qualitativer Sozial-forschung, 2. Aufl., München• Thomä, Dieter (2005): Selbstbe-stimmung und Desorientierung des Individuums in der Moderne, in: Werner Stegmaier (Hg.), Ori-entierung. Philosophische Pers-pektiven, Frankfurt am Main, S. 289—308• Türkische Gemeinde in Deutschland (2001): Stellung-nahme der Türkischen Gemeinde in Deutschland anlässlich der Anhörung der Kommission „Zuwanderung“ am 26/27. April 2001 in Berlin• Unabhängige Kommission Zuwanderung (2001): Bericht der Unabhängigen Kommission Zuwanderung, Berlin• Wegner, Andrea (2007): Integ-rationskurse — Kernelement der Integrationspolitik. Eine kritische Bilanz (Masterthesis des Studi-engangs „Intercultural Commu-nication and European Studies“

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Integrations- und OrientierungskurseKonzepte - Kontroversen - Erfahrungen

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Migrations-undIntegrationsforschungimBundesamtfürMigrationundFlüchtlinge

Migrations-/Integrationsforschung im BAMF:Gesetzlicher Auftrag zur Forschung (§75 Abs. 4 AufenthaltsG)

Viele Forschungsprojekte im Rahmen der wissenschaftlichen Begleit-forschung www.bamf.de/forschungDarunter:„Integrationsverlauf von Integrationskursteilnehmern (Integrationspanel)“

IntegrationskurseZiele

Seit 2005: §43 AufenthG Abs. 2:„Eingliederungsbemühungen von Ausländern werden durch ein Grundangebot zur Integration (Integrationskurs) unterstützt. Der Inte-grationskurs umfasst Angebote, die Ausländer an die Sprache, die

Dr. Nina Rother

Dr. Nina Rother

Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Integrationskurse

58

Praxisbeispiel: Frauenprojekt GallusWirksamkeit und Nachhaltigkeit der Integrationskurse

Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland heran-führen.“

Ziele:• Vermittlung von ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache

bis zum angestrebten Niveau einer selbstständigen Sprachverwen-dung (B1)

• Vermittlung von Wissen zur Alltagsorientierung• Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der

Geschichte in Deutschland

IntegrationskurseZielgruppe

Zielgruppen:

— Berechtigte Teilnehmer • Spätaussiedler • Neuzuwanderer mit auf Dauer angelegtem Aufenthaltsstatus• Altzuwanderer und EU-Bürger – im Rahmen verfügbarer Kursplätze

— Verpflichtete Teilnehmer• Neuzuwanderer, die sich nicht auf einfache Art in deutscher Spra-chemündlich verständigen können• Ausländer, die von der ABH aufgefordert werden und Leistungen

nach SGBII beziehen und sich nicht auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen können

Kursarten:

• Allgemeine Integrationskurse• Jugendintegrationskurse• Eltern- bzw. Frauenintegrationskurse• Integrationskurse mit Alphabetisierung

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Dr. Nina Rother

Stand: vor Änderung der IntV 2007

AblaufderIntegrationskurse

60

Praxisbeispiel: Frauenprojekt GallusWirksamkeit und Nachhaltigkeit der Integrationskurse

Stand: vor Änderung der IntV 2007

AblaufderIntegrationskurse

61

Dr. Nina Rother

IntegrationskurseStatistik

Teilnehmerzahlen im Jahr 2007

• Seit 2005 über 500.000 Teilnahmeberechtigungen• Seit 2005 haben mehr als 360.000 einen Kurs begonnen• Der Frauenanteil bei den neuen Teilnehmern im Jahr 2007 betrug in

den allg. Integrationskursen 63,9%.• 85% der Kurse waren allg. Integrationskurse, 7,8% Frauen-/Elternkur-

se und 6,5% Alphabetisierungskurse• Die größte Gruppe der Kursteilnehmer stellten türkische Staatsange-

hörige (20,2%), gefolgt von Teilnehmern aus der russischen Föderati-on (9,2%).

• Seit 2005 haben über 25.000 Integrationskurse begonnen.

DasIntegrationspanel:Ziele

• Beurteilung der Kurse aus Sicht der Teilnehmer • Analyse der Entwicklung der Deutschkenntnisse im Kurs und danach • Analyse von Integrationsverläufen im Kurs und danach

WirksamkeitundNachhaltigkeitderKurse ErkenntnissezurVerbesserungderKurse

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Praxisbeispiel: Frauenprojekt GallusWirksamkeit und Nachhaltigkeit der Integrationskurse

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Dr. Nina Rother

DasIntegrationspanel:DerFra-gebogen

— Hintergrundinformationen• Alter, Geschlecht, Familien-stand, Kinder• Herkunftsland, Staatsangehö-rigkeit, Aufenthaltsstatus• Einreisemonat und -jahr• Bildungsniveau, Berufsausbil-dung, Studium, Erwerbstätig-keit• Sprachlicher Hintergrund

— Fragen zum Kurs

— Integrationsindikatoren

• Deutschkenntnisse und Nutzung der deutschen Sprache• Kontakte zu Deutschen• Verbundenheit mit Deutschland• Integration in den Arbeitsmarkt

— Erfassung der Deutschkenntnisse

• Kein objektives Verfahren (Test) möglich• Subjektive Verfahren zu allgemein und unterliegen Verzerrungen

DesignundStanddesProjekts

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Praxisbeispiel: Frauenprojekt GallusWirksamkeit und Nachhaltigkeit der Integrationskurse

Verwendung von ausführlichen Skalen zur Selbsteinschätzung• 1 Skala pro Sprachniveau (A1, A2, B1, B2…)• 5 Sprachfertigkeiten

— Hören — Lesen— An Gesprächen teilnehmen— Zusammenhängendes Sprechen— Schreiben

• Je Sprachfähigkeit 4-6 Fragen

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Dr. Nina Rother

ErgebnisseKurszusammensetzung

Häufigkeit

Alte

r

Alterspyramide der befragten Teilnehmer

Prozent gesamt

Prozent männlich

Prozent weiblich

Mittelwert Alter

Türkei 20,1 21,6 18,8 32,2 Russland 13,3 15,2 12,3 38,2 GUS-Staaten (ohne Russland) 12,7 15,8 10,9 36,9 Ost-/Südostasien 12,0 6,4 15,4 33,8 Vorder-/Zentral-/Südasien 10,7 11,5 10,4 33,5 Ehemal. Jugoslawien + Albanien 6,1 4,3 7,0 30,8 Afrika (ohne Nordafrika) 5,7 5,9 5,5 32,2 Mittel- /Südamerika 5,6 4,1 6,5 30,4 Polen 4,3 3,5 4,9 32,9 Nordafrika 3,7 5,6 2,7 30,8 EU-12 (ohne Polen) 2,3 1,3 2,9 32,3 EU-15 + Schweiz 2,3 3,3 1,6 34,7 Nordamerika 0,6 0,7 0,5 31,9 Gesamt 100,0 100,0 100,0 33,8

Geburtsländer/-regionen der befragten Kurs-teilnehmer nach Geschlecht und Alter

66

Praxisbeispiel: Frauenprojekt GallusWirksamkeit und Nachhaltigkeit der Integrationskurse

Prozent gesamt

Prozent männlich

Prozent weiblich

Mittelwert Alter

Russisch 21,7 26,1 19,5 36,7 Türkisch 17,2 16,9 17,1 31,9 Arabisch 6,5 8,7 5,4 31,1 Polnisch 4,9 4,1 5,5 32,8 Spanisch 4,9 3,7 5,5 31,2 Kurdisch 4,1 6,6 2,5 32,5 Albanisch 3,9 2,7 4,6 30,4 Thailändisch 3,5 0,3 5,4 33,8 Persisch 2,7 2,9 2,5 37,7 Vietnamesisch 2,6 1,7 3,1 34,4 Portugiesisch 2,1 2,0 2,2 30,5 Chinesisch 2,1 1,6 2,4 33,1 Englisch 2,0 2,9 1,6 32,7 Tamil 1,4 1,0 1,7 37,5

15 häufigste Erstsprachen der Teilnehmer nach Geschlecht und Alter

Prozent

Partner ist Deutsche/r in DE geboren 31,2

Partner aus HKL (gleicher Migrationshintergrund) 68,8

In HKL geboren und Staatsangehörigkeit des HKL 34,4

In HKL geboren, aber dt. Staatsbürgerschaft (Eingebürgerter oder Spätaussiedler

31,0

In DE geboren, aber Staatsbürgerschaft des HKL(2. Generation)

3,4

Gesamt 100

Herkunft des Partners

67

Dr. Nina Rother

Schulbildung (Jahre)

68

Praxisbeispiel: Frauenprojekt GallusWirksamkeit und Nachhaltigkeit der Integrationskurse

ErgebnisseStandderIntegrationbeiKursbeginn

Häufigste zu Hause gesprochene Sprache nach Geburtsland

69

Dr. Nina Rother

2,0

2,5

3,0

Männer Frauen

Partner einheimischer Deutscher

Eingebürgerter/Spätaussiedler

Geboren in HKL und Bürger HKL

2. Generation

Nutzung der deutschen Sprache in der Familie

Signifikante Einflussfaktoren (ANOVA)• Partner: häufigere Nutzung, wenn Partner einheimischer Deutscher• Je länger in DE, desto häufigere Nutzung in Familie• Bessere Deutschkenntnisse bei Einreise häufigere Nutzung in Familie

• Geschlecht: Männer nutzen Deutsch häufiger• Kein Einfluss von Bildung und Einreisealter

70

Praxisbeispiel: Frauenprojekt GallusWirksamkeit und Nachhaltigkeit der Integrationskurse

Kontakte nach Geburtsland

2,5

2,7

2,9

3,1

3,3

3,5

3,7

3,9

4,1

4,3

4,5

Partner einheimischer Deutscher

Eingebürgerter/Spätaussiedler

MännerGeboren in HKL und Bürger HKL

2. Generation

Frauen

Soziale Kontakte zu einheimischen Deutschen

Signifikante Einflussfakto-ren (ANOVA)• Partner Einheimischer:

mehr Kontakte zu Ein-heimischen

• Je länger in DE, desto mehr Kontakte

• Bildung: je höher gebildet, desto mehr Kontakte

• Geschlecht: Frauen ha-ben weniger Kontakte

• Je besser Deutsch bei Einreise, desto mehr Kontakte

71

Dr. Nina Rother

Relative Verbundenheit mit Deutschland und dem Herkunftsland nach Geburtsland

72

Praxisbeispiel: Frauenprojekt GallusWirksamkeit und Nachhaltigkeit der Integrationskurse

3,4

3,5

3,6

3,7

3,8

3,9

4,0

4,1

Partner einheimischer Deutscher

Eingebürgerter/Spätaussiedler

MännerGeboren in HKL und Bürger HKL

2. Generation

Frauen

Signifikante Einflussfaktoren(ANOVA)• Partner Einheimischer: verbundener mit DE• Je länger in DE, desto verbundener• Geschlecht: Männer fühlen sich DE verbundener als Frauen

Verbundenheit mit Deutschland

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Dr. Nina Rother

Ergebnisse:SubjektiveBeurteilungdesKurses

Bewertung der Lerngeschwindigkeit

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Praxisbeispiel: Frauenprojekt GallusWirksamkeit und Nachhaltigkeit der Integrationskurse

Spaß am Kurs

Ja, ich traue mich jetzt eher Deutsch zu sprechen 58,3%

Ja, der Kurs hilft mir bei Ämtergängen 23,2%

Ja, ich kann mich im Alltag besser zurechtfinden 53,4%

Ja, der Kurs hilft mir bei meinen Freizeitaktivitäten 21,4%

Ja, der Kurs hilft mir bei der künftigen Schul-/Berufs-/Studienplatzwahl 13,4%

Ja, der Kurs hilft mir bei der künftigen Berufswegplanung/ Stellensuche 29,9%

Wahrgenommener Nutzen des Kurses

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Dr. Nina Rother

ZusammenfassungundAusblick

— Integrationspanel ist momentan das einzige Projekt zur längsschnittlichen Evaluation von Integrationskursen.

— Ergebnisse aus erster Befragung:• Teilnehmerstruktur recht heterogen, Schwerpunkt: Türkei, Russland• Allgemeine Integration zu Beginn noch nicht sehr stark ausgeprägt• Herkunft des Partners spielt wichtige Rolle für Integration, vor allem

Kenntnisse und Nutzung der deutschen Sprache• Integrationskurse werden sehr positiv beurteilt• Deutschkenntnisse entwickeln sich sehr positiv im Kursverlauf

Kontrollgruppe:• Bewertung der Entwicklung der Teilnehmer im Kurs Wirksamkeit

3. Welle: • Weitere Integration der Teilnehmer• “Maßnahmenkarriere” Nachhaltigkeit

Ausblick

Zusammenfassung

76

Praxisbeispiel: Frauenprojekt GallusWirksamkeit und Nachhaltigkeit der Integrationskurse

77

Aziz El Berr

Aziz El Berr

Effekte und Nachhaltigkeit der Integrationskurse für die Kursteilnehmer

Deutschkenntnisse sind seit dem Zuwanderungsgesetz zum Beur-teilungskriterium einer erfolg-reichen Integration bestimmt worden. In den Stellungsnahmen praktisch aller politischen Par-teien und relevanten Verbände des öffentlichen Lebens kommt den Deutschkenntnissen bei der Integration eine Schlüsselfunk-tion zu. Alle Akteure in der Inte-grationspolitik unterstreichen die Wichtigkeit und Notwendig-keit des Spracherwerbs für die Integration1. Die Sprachkompe-tenz wird als wichtiger Baustein für die Integration eingefordert und die schwachen Deutsch-kenntnisse bei den hier leben-den Migranten beklagt. Auch

wenn der Begriff der Integration weiterhin diffus und unterschied-lich gebraucht wird, so sieht das Zuwanderungsgesetz dennoch den Integrationskurs als zentrale Integrationsmaßnahme vor.

Vor dem Hintergrund, dass die Sprachkompetenz in der Sprache des Aufnahmelandes eine Grund-voraussetzung für Integration ist, auch wenn sie nicht die einzige ist, laufen seit 2005 im Kulturzen-trum Schlachthof in der Kasseler Nordstadt Integrationskurse im Auftrag des Bundesamtes für Mig-ranten und Flüchtlinge (BAMF). In den letzen 3 Jahren besuchten im Schnitt ca. 225 Teilnehmer paral-lel ca. 20 Kurse. Insgesamt waren das 85 Kurse. Mangels Kursteil-nehmer sind 26 davon nicht bis zum letzten Modul durchgeführt, sondern zusammengelegt wor-den. 19 Kurse laufen noch zurzeit. Diese Daten offenbaren, dass die Migranten von dem Integrations-angebot des BAMFs Gebrauch

„DasGraswächstnichtschneller,wennmandaranzieht“

Afrikanisches Sprichwort

78

Effekte und Nachhaltigkeit der Integrationskurse für die Kursteilnehmer

aus der Perspektive der Teilneh-mer - vorstellt.

1.VerteilungundZusammensetzungderKurse

Die Kurse in der Bildungseinrich-tung Kulturzentrum verteilen sich wie folgt:

Die Integrationskurse oder Förderkurse machen fast die Hälfte des Kursangebotes aus. Danach kommen die Alphakurse,

machen. Sie illustrieren aber auch, dass es nicht allen Mig-ranten möglich ist, in der für die Integrationskurse festgelegten Stundenzahl so schnell Deutsch zu lernen, dass sie anschließend auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen könnten.

Nach drei Jahren Integ-rationskurse fragt man sich heute zu Recht nach den Effekten und der Nach-haltigkeit für die Kurs-teilnehmer. Die zentrale Frage bei dieser Reflexion scheint die zu sein: Wel-che Anschlussmaßnahmen bzw. welche flankierenden Maßnahmen müssten statt-finden, damit die Integration (geweckte Potenziale, Deutsch-kenntnisse, Förderung der Kinder etc.) fortgesetzt werden kann?

Den vorliegenden Beitrag ver-stehen wir als Erfahrungsbericht, der allgemeine Informationen über die Kurse im Kulturzentrum bietet, auf die Besonderheiten der Lernenden im Kulturzentrum eingeht, mögliche kursbeglei-tende - und Anschlussmaßnah-men vorstellt und zum Schluss eine vorläufige Evaluation der Ergebnisse - einer internen Erhe-bung zu den Integrationskursen

79

Aziz El Berr

von 3,4 geschafft. Sicherlich eine geringe Zahl, aber angesichts der Besonderheiten der Kursteilneh-mer im Kulturzentrum ist die Zahl 27 zufriedenstellend. Das Kultur-zentrum bedient nämlich eine Klientel, die wenig Lernerfahrung hat, zum größten Teil bildungs-fern ist, sehr oft in der eignen eth-nischen Gemeinschaft verfangen ist, im Falle der Frauen mit der Kinderbetreuung belastet ist und einen geringeren Stellenwert von Bildung bei manchen ethnischen Gruppen aufweist. Diese Lernvor-aussetzungen wirken sich nicht unbedingt fördernd auf die Lern-motivation aus. Die heterogene Zusammensetzung der Kurse aus Teilnehmern mit unterschiedli-chen Lernerwartungen und Lern-traditionen dient an sich dem Lernen, aber oft fallen die Lerner-wartungen dermaßen auseinan-der, dass der Lernprozess stockt.

Die Kurse sind gemischt geschlechtliche Kurse. Die Frauen sind jedoch mehrheitlich ver-treten, mit bis zu 75 % sowohl in den Förderkursen als auch in den Alphabetisierungskursen. In den Förderkursen sind jeweils bis zu 13 Teilnehmer aus 10 Nationen und in den Alphakursen sitzen bis zu 11 Teilnehmer aus mindes-tens 7 Nationen. Die religiöse wie die ethnische Zusammensetzung der Kurse stellen kein Problem für

die Orientierungskurse und zum Schluss die außerhalb der Ein-richtung durchgeführten Frauen-kurse, oft in Moscheen oder in Kindergärten.

Von all den Teilnahmeberech-tigten - nach den Bestimmungen in der Verordnung für Integrati-onskurse - haben 161 Teilnehmer in dem Zeitraum 2005-2008 einen Abschlusstest versucht, 61 die B1-Prüfung und 100 die A2-Prü-fung. Insgesamt 44,2 %, also 27 Teilnehmer, haben das B1-Zerti-fikat mit einer Durchschnittsnote

7

11

9

7

2006 2007 2008

80

Effekte und Nachhaltigkeit der Integrationskurse für die Kursteilnehmer

die Bildungseinrichtung schon von Anfang an die Kinderbe-treuung als wesentliche Kompo-nente bei der Kursplanung und Durchführung angesehen hat. Die Kinderbetreuung findet vor- und nachmittags parallel zu den Kursen statt. Im Frühjahrsmodul 09 wurden insgesamt 46 Kinder betreut, 28 am Vormittag und 18 am Nachmittag. Im Schnitt sind allerdings nur bis zu 14 Kinder anwesend. Die Kurse sind in der Regel so angelegt, dass Mütter, die aus familiären oder Beschäfti-gungsgründen zu einer Tageszeit keinen Kurs besuchen können, ein Alternativangebot mit Kinder-betreuung haben.

Die größte Zahl der Kinder in der Kinderbetreuung sind

den Kursverlauf dar. Spätestens nach den ersten Kursmodulen kommen sich die Kursteilnehmer näher und ein reger Austausch ergibt sich von selber.

Heterogenität der Herkunfts-kulturen, der Lerntraditionen, des Bildungsstandes und des fremdsprachlichen Ver-mögens der Teilnehmer ist in allen Integrationskursen anzutreffen, ob Förderkurse oder Alphabetisierungs-kurse.

2.Kinderbetreuung

Der hohe Anteil an Frauen in den Kursen erklärt sich dadurch, dass

7

1110

13

Alphakurs Förderkurse

Nationalität Teilnehmer

1-Jährige

2-3-Jährige

Schulkinder

Kinder im Kindergartenalter

Wickel- und Fütterkinder

2%

28%

6%

19%

45%

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Aziz El Berr

reicht nicht aus zur Anschaffung pädagogisch sinnvoller Materia-lien und zur besseren Ausstattung der Räume (vom Wickeltisch über Hochstühle bis zum Geschirr). Nach wie vor ist die Einrichtung auf alte, abgegriffene Sachspen-den angewiesen.

Hier sollte das BAMF ein-greifen und die Mittel für die Kinderbetreuung erhöhen. Die Kinderbetreuung legt die ers-ten Keime für die Integration. Sie bereitet den Nachwuchs mit Migrationshintergrund auf die Schule vor. Manche Mütter geben an, dass ihre Kinder durch die Kinderbetreuung mehr Deutsch als die Muttersprache sprechen, bestimmte Handfertigkeiten kön-nen und ansonsten bekommen die Kinder in der Kinderbetreu-ung viel mehr geboten als zu Hause. Da gibt es Spielsachen, einen Park mit Spielplatz direkt vor der Kinderbetreuung und vor allem bekommen sie viel sprach-lichen Input. Zusätzlich haben die Kinder Kontakt zu anderen Kin-dern. Sonst sind sie zu viel mit Erwachsenen aus der eigenen Kultur zusammen.

Dieses positive Feedback von den Müttern ist so zu verstehen, dass die Kinderbetreuung unter

Wickel-und Fütterkinder, gefolgt von Zwei- bis Dreijährigen, dann von Kindern im Kindergartenal-ter. Schulkinder ab dem sechsten Lebensjahr werden bei Notwen-digkeit auch betreut, das heißt, falls die Kurse an manchen schul-freien Tagen stattfinden und die Mütter sonst nicht teilnehmen könnten.

Die Altersstruktur der Kinder verdeutlicht, dass die meisten Mütter junge Mütter sind, für die ohne Kinderbetreuung ansons-ten kein Kursbesuch möglich wäre. Die Kinderbetreuung hat sich über die Jahre als Angebot bewährt, um Müttern, die sonst nur zu Hause sitzen, eine Bil-dungschance zu geben. Die Kin-derbetreuung bietet, durch ein Landesprogramm gefördert noch stundenweise gezielte Sprachför-derung für die Kinder und mehr Anregungen als in der zum Teil sprachlosen Familie.

Allerdings ist eine optimale Kinderbetreuung nicht garantiert, nicht zuletzt wegen knapper Mit-tel und zu wenig Betreuerinnen. Zurzeit kommen auf eine Betreue-rin 12 Kinder. Der Etat des Hauses

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Effekte und Nachhaltigkeit der Integrationskurse für die Kursteilnehmer

Frauen, in der Regel mit (vielen) Kindern. Das Durchschnittsal-ter der Kursbesucher beträgt in den allgemeinen bzw. Förder-kursen 38 Jahre, in den Alpha-betisierungskursen 40,5 Jahre. Die Aufenthaltsdauer in Deutsch-land haben wir noch nicht syste-matisch für alle Teilnehmenden erfasst. Für die 72 Kursanfänger im Sommer 2009 beträgt sie: 11 Jahre bei den Förderkursen und mehr als 16 Jahre bei den SL-Kur-sen2.

Die statistischen Zahlen incl. der Zahlen vom Sommer 2009 belegen, dass die Teil-nehmergruppe mit schwieri-gen Lernvoraussetzungen (kein Schulabschluss, steigendes Durchschnittsalter, lange Auf-enthaltsdauer in Deutschland) größer wird. Die Lernmotivation ist bei derselben Gruppe nicht gerade hoch. Außer bei 10 - 20 % der Kursteilnehmer mit langem Aufenthalt in Deutschland, also bei Altzuwanderern, fällt bei den meisten auf, dass sie sich anstren-gen und regelmäßig am Kurs teilnehmen, außer in Ausnahme-fällen. Die Altzuwanderer setzen immer wieder ihre Vermeidungs-strategien ein, wahrscheinlich

anderem indirekt dazu beiträgt, dass die Mütter mit dem Ange-bot des Kulturzentrums zufrieden sind und die Lernmotivation bei ihnen steigt.

3.LernvoraussetzungenundLernmotivation

Die Kursteilnehmer im Kulturzent-rum sind mehrheitlich Menschen, die wenig Bildungshintergrund aus ihrem Heimatland mitbrin-gen: In den allgemeinen bzw. Förderkursen haben 25,8 % die Hochschulreife bzw. eine Uni-versitätslaufbahn, nur 10 % eine andere Berufsausbildung; also 64,2 % ohne Berufsausbildung. 42,5 % haben den Haupt- oder Realschulabschluss ohne weitere Ausbildung und 14,1 % über-haupt keinen Schulabschluss. In den SL-Kursen gibt es 2,8 % mit Abitur oder Uni-Ausbildung, 1 % mit anderer Berufsausbildung. Es haben also 96,2 % der Teil-nehmenden keine Berufsausbil-dung! 18,3 % der TN haben einen Haupt- oder Realschulabschluss und 71,6 % gar keinen Schul-abschluss im Heimatland. 33 % haben weniger als fünf Schul-jahre durchlaufen und davon die meisten (21,1 % des Gesamtkur-ses) niemals eine Schule besucht. Ca. 75 % der Kursteilnehmer sind

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Aziz El Berr

die entweder kursbegleitend oder im Anschluss zum Kurs erfol-gen; Maßnahmen also, bei denen sie nicht nur die Sprache als Regelsystem ohne Lebensbezug lernen, sondern als Kommunika-tionsmittel in Lebenssituationen. Die Lernziele der Maßnahmen sollen praktisches Wissen und Kompetenzen vermitteln, die die Integration in den Arbeitsmarkt maßgeblich beschleunigen.

4.MaßnahmenzurFörderungderArbeitsmarktintegration.

Zwei Arten von Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsmarktin-tegration von lernungewohnten Altzuwanderern bzw. Neuzuwan-derern kommen infrage: Sprach-kursbegleitende Maßnahmen oder Anschlussmaßnahmen. Die ersten sollen die Arbeitsmarkt-integration von sprachlich wie beruflich wenig kompetenten Kursteilnehmern ermöglichen und die letzteren sind auf den Ausbau bereits in den Integrati-onskursen erworbener interkul-tureller Handlungsfähigkeit und auf die Förderung der Eigeninitia-tive ausgerichtet. Beide Maßnah-men haben jedoch zum Ziel, die bereits erworbenen Kompeten-zen der Teilnehmer und Teilneh-merinnen auszubauen und vor

wegen ihrer in der Regel man-gelhaften Sprachkenntnisse des Deutschen trotz langem Aufent-halt, worüber die Neuzuwande-rer ihr Staunen nicht zurückhalten können. Zwischen den beiden Altersgruppen ist jedoch ein kooperatives Zusammenlernen häufig zu beobachten.

Die meisten Altzuwanderer haben denselben Integrations-weg. Nach dem Integrationskurs machen sie wegen mangelnden Spracherwerbs selten Fortschritte in der Integration. Sie haben keine Aussicht auf Ausbildung wegen des hohen Alters, werden von der Arbeitsagentur zu Qualifi-zierungsmaßnahmen verpflichtet und landen wieder in Deutsch-kursen wegen mangelhafter Deutschkenntnisse, wenn sie nicht gerade in Familienbetrieben eine Beschäftigung finden. Dieser Teu-felskreis zermürbt geradezu den Lernwillen bei dieser Lerngruppe. Das Ergebnis ist fehlende Lern-motivation. Von daher ist es sinn-voll, Lernprozesse im Unterricht auszulösen und zu steuern, die dieser Lerngruppe neue Mög-lichkeiten des Handelns und des Erlebens eröffnen. Solche Lern-gruppen bedürfen Maßnahmen,

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Effekte und Nachhaltigkeit der Integrationskurse für die Kursteilnehmer

C.ArbeitinderGastronomieundGebäudereinigung

Diese Maßnahme vermittelt Grundkenntnisse zur Hygiene, Ernährungslehre und Küchen-technik. Sie bereitet auf die Beschäftigung als Küchenhilfe vor, auf eine Fortbildung in einem Betrieb im Falle von schon in der Heimat zum Koch ausgebildeten Kursteilnehmern oder auf eine Beschäftigung in der Gebäuder-einigung.

D.UmgangmitComputerundInternet

In der Computerwerkstatt der Ein-richtung haben die Teilnehmer die Möglichkeit, mit dem Compu-ter umzugehen. Sie machen erste Lernschritte mit der Textverarbei-tung, nutzen das Internet für die Beschaffung von Informationen und für die Arbeitssuche.

Anschlussmaßnahmen

In diesen Anschlussmaßnahmen bekommen die Teilnehmer die Gelegenheit, in interkulturellen Trainings die Chancen und die Risiken der Migration zu reflek-tieren. Sie bekommen auch aus-

allem deren Chancen als gering qualifizierte Arbeitsmarktteilneh-mer zu erhöhen.

SprachkursbegleitendeMaßnahmen

A.OrientierungamWohnsitzIn dieser Maßnahme sollen die Teilnehmer die Grundinforma-tionen zu Behörden, Ämtern, Schulsystem und Gesundheits-wesen vermittelt bekommen. Eine Beratung von Vertretern der Behörden und Ämtern soll wäh-rend der Maßnahme Kommuni-kationsängste bei Zuwanderern abbauen. Auch Besonderheiten und Kulturangebote am Wohnsitz sind Lerninhalte in dieser Maß-nahme. Je vertrauter der Wohn-ort hinsichtlich seiner kulturellen Vielfalt ist, desto heimischer fühlt man sich.

B.GesundheitspflegeundPflegehilfe

Auf einem einfachen Sprachni-veau werden die Teilnehmer in anschaulichen Lehrgängen in das Thema Gesundheit einge-führt, die ihnen Ratschläge zum und Orientierung im Kasseler Gesundheitsnetz bereitstellen.

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Aziz El Berr

tert die Kenntnisse der Teilneh-mer bezüglich der Marktsituation und der Marktentwicklung. In der Maßnahme wird den Teilnehmern Hilfe bei der Erstellung eines Geschäftsplans und beim Ausfül-len von Anträge angeboten.

Die Anschlussmaßnahmen berück sichtigen auch die älteren Mig-ranten und Migrantinnen ohne ausreichende Berufserfahrung. Ihnen werden während der Maß-nahme Handwerksberufe vorge-stellt mit der Option auf Praktika in den handwerksnahen Einrich-tungen.

5.IntegrationskurseausderSichtderTeilnehmerundTeilnehmerinnen

Den Integrationskursen aus der Perspektive der Teilnehmer ist bisweilen wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Aus diesem Grund haben wir in einer inter-nen Erhebung, die Sicht von den 85 Teilnehmern in den laufenden Integrationskursen zu ermitteln versucht. Dies schien uns Voraus-setzung für jegliche Aussage über die Zukunft der Integrationskurse. Bei der Erhebung wollten wir her-ausfinden: a) die wichtigsten Motive für den Kursbesuch,

reichende Informationen zur Existenzgründung.

A.DieMigrationreflektierenIn Gesprächsrunden sprechen die Teilnehmer über die Chancen der Migration. Menschen mit Migrati-onserfahrung und interkultureller Kompetenz helfen in Form von Informationsaustausch den Teil-nehmern mit geringen Erwerbs- und Bildungschancen, sich auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren.

B.ArbeitsbezogenesinterkulturellesTraining

Dieses Training simuliert Arbeits-situationen und vermittelt so arbeitsbezogene Informationen über den Arbeitsplatz, über den sozialen Umgang bei der Arbeit und über die Herangehenswei-sen an die Arbeit.

C.ExistenzgründungDem sprachlichen und beruf-lichen Niveau der Teilnehmer entsprechend bietet diese Maß-nahme eine Vorbereitung auf die Verwirklichung einer nach-haltigen Selbständigkeit in den Bereichen Dienstleistung und Handel. Sie ergänzt und erwei-

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Effekte und Nachhaltigkeit der Integrationskurse für die Kursteilnehmer

sprachenkenntnisse nicht ermit-telt. Die Mehrheit der Teilnehmer (82 %) ist mit einer oder mehre-ren Fremdsprachen in Kontakt gekommen. Sehr oft handelt es sich um die üblichen Fremdspra-chen in der Schule (Französisch und Englisch) oder um Migrati-onssprachen, das heißt, Sprachen, die man während langer Aufent-halte in verschiedenen Ländern zumindest über das Hören lernt.

Etwas weniger als zwei Drit-tel (63 %) der Teilnehmer haben geringe Deutschkenntnisse. Die wenigsten haben Deutsch als Fremdsprache in der Schule sys-tematisch erworben. Viele haben Deutsch bei der Arbeit verwen-det oder zu Hause gesprochen, weil beide Eltern oder ein Teil der Eltern Deutsch gesprochen haben, wie beispielsweise bei Aussiedlerfamilien.

Hinsichtlich der Frage, warum die Teilnehmer Deutsch lernen, gaben die meisten an, dass Arzt-besuche, Mobilität, Arbeit die wichtigsten Bereiche sind, für die die Teilnehmer Deutschkennt-nisse brauchen, gefolgt von All-tagsbewältigung, Betreuung der Kinder bei den Hausaufgaben und Umgang mit den Behörden. Die Reihenfolge der Bereiche, für

b) die Lernerfahrungen der Teil-nehmer mit Fremdsprachen,c) wozu die Teilnehmer Deutsch lernen und d) das Lernverhalten der Teilneh-mer außerhalb der Kurszeiten und den Grad der Zufriedenheit der Teilnehmer mit dem I-Kurs insgesamt.

Die Erhebung hat ergeben, dass Arbeit das zweite Hauptmotiv ist, warum die Teilnehmer den Integ-rationskurs besuchen, gefolgt von der Verpflichtung einer Behörde und interessanterweise von der Anforderung eines Lebenspart-ners oder Lebenspartnerin. Auch hier zeigt sich, dass für Migranten Deutschkenntnisse sowohl für die Arbeitsmarktintegration als auch für die Alltagsbewältigung unver-zichtbar sind. Das Bedürfnis nach Kinderbetreuung und Kommuni-kation in der Nachbarschaft moti-viert genauso zum Deutschlernen wie die Suche nach einer Arbeits-stelle oder der Weg zur Selbst-ständigkeit.

Ein wichtiges Ergebnis der Erhebung ist, dass die Teilneh-mer zwar über fremdsprachliche Kenntnisse verfügen, aber über keinen systematischen Schrift-spracherwerb. Da es hauptsäch-lich um die Erfahrung mit einer Fremdsprache in der Befragung ging, wurde der Grad der Fremd-

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Aziz El Berr

sehen als Lernmöglichkeit. Dieses Lernverhalten bestätigt die Kennt-nis, dass sich viele Kursteilnehmer in den Integrationskursen haupt-sächlich über das Hören Deutsch angeeignet haben. Die Hälfte der Kursteilnehmer gibt an, zu Hause zu lernen. Allerdings versuchen viele, mit den wenigen Deutsch-kenntnissen in ihrer unmittelbaren Umgebung zurechtzukommen. Immerhin sprechen 40 % der Teil-nehmer Deutsch mit ihren Nach-barn. Mit den eigenen Kindern sprechen aber nur 30 % der Teil-nehmer Deutsch. Dies liegt ver-mutlich daran, dass es in der Regel erwachsenen Migranten peinlich ist, fortwährend von den eigenen Kindern korrigiert oder belächelt zu werden.

Insgesamt sind die Kursteil-nehmer mit dem Integ-rationskurs zu f r ieden. Die Kurslei-tung, das K u r s m a -terial, die Lerninhalte sowie die Rahmenbe-dingungen

wurden von den Teilnehmern gut bewertet. Nur die Hälfte der Teilnehmer ist mit dem Transfer

die die Teilnehmer Deutschkennt-nisse brauchen, sagt vieles darü-ber aus, dass es den Teilnehmern bewusst ist, dass das größte Hin-dernis für zahlreiche Migranten während der Suche nach einer Arbeitsstelle die mangelhaften Sprachkenntnisse sind. Aus der Sicht der Teilnehmer erschweren die mangelhaften Sprachkennt-nisse auch den Zugang zu den verschiedenen Dienstleistungen wie z.B. dem Gesundheitsbereich (Arztbesuch, Krankenhausaufent-halt, Medikamente usw.) und die Mobilität. Die Anstrengungen der Niederlassung, Anpassung und Integration wirken umso negati-ver, je geringer die Sprachkennt-nisse sind.

Außerhalb der Kurse nutzen die meisten Teilnehmer das Fern-

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Effekte und Nachhaltigkeit der Integrationskurse für die Kursteilnehmer

markt. Die Menschen sollen in Lohn und Brot gebracht werden.

1 Die „Unabhängige Kommission Zuwan-derung“ empfahl nachdrücklich in ihrem Bericht von 2001 (295ff) die Durchfüh-rung von Integrationskursen. Auch das Gutachten des „Sachverständigen Rates für Zuwanderunf und Integration“ von 2004 (253ff) und das Memorandum der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration von 2005 (18ff) haben die Schlüsselfunk-tion des Spracherwerbs bei der Integrati-on hervorgehoben.

2 Die Daten sind einer von Frau Gudrun Pause, der Leiterin des Sprachreferates im Kulturzentrum Schlachthof, erstellten Statistik entnommen. An dieser Stelle möchte ich Frau Gudrun Pause für ihre Anregungen danken.

zufrieden. Genauso viele Teilneh-mer sind mit den Lernaktivitäten im Kurs nicht immer zufrieden.

Zwischenfazit

Aus der Perspektive der Teilneh-mer ist das Erlernen der deut-schen Sprache lebensnotwendig. Sie sind sich bewusst, dass ohne Sprachkenntnisse die Integra-tion in den Arbeitsmarkt prak-tisch nicht möglich ist. Es ist und bleibt Aufgabe, Menschen mit Migrationshintergrund Hilfen bereitzustellen, die es auf dem Arbeitsmarkt besonders schwer haben. Integrationskurse sind auf jeden Fall der richtige Anfang. Zugleich sind begleitende bzw. anschließende Maßnahmen für gering qualifizierte langzeitar-beitslose Migranten verstärkt zu aktivieren. Diese Maßnahmen sol-len Brücken bauen in den Arbeits-

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Dorle Fette-Armagan

Mit Beginn der ersten Deutsch-kurse wurde auch der Grundstein für die Frauenprojekte gelegt. Es gibt davon drei in der Lehrer-kooperative: in den Frankfurter Stadtteilen Niederrad, Nordwest-stadt und Gallus. Waren es in den Stadtteilen anfänglich Deutsch-kurse für Migrantinnen, unter-gebracht in Kirchengemeinden oder Kindergärten, wurde schnell klar, dass die Bedürfnisse der Teilnehmerinnen über den rei-nen Kursbesuch hinausgehen. So entwickelten wir Stadtteil-projekte, in denen die Frauen in unseren eigenen Räumen an Bil-dungs-, Beratungs- und Freizeit-angeboten teilnehmen können. Sie nehmen, außer an Deutsch- und Alphabetisierungskursen, an Weiterbildungsangeboten und Gesprächskreisen teil – zu Themen, die für sie von großem Interesse sind, beispielsweise Kin-dererziehung, Stressbewältigung, Schule, Ernährung, Gesundheit, Lese-Schreib-Hilfen und Berufs-bilder.

DasFrauenprojektGallus

Die Lehrerkooperative besteht seit 1985 und ist mittlerweile eine der großen Frankfurter Bil-dungseinrichtungen mit mehr als 300 Angestellten. Ursprünglich boten wir Deutsch- und Alphabe-tisierungskurse an, später kamen Fremdsprachen, soziale Projekte in den Stadtteilen und berufsqua-lifizierende Projekte für Jugendli-che und junge Erwachsene hinzu. Mit den verschiedenen Projekten entstanden auch zahlreiche Kin-dertageseinrichtungen. Wir sind in der schulnahen Betreuung und in der Familienhilfe tätig. Es gibt seit 2006 die Freie Schule für Erwachsene und das Erasmuspro-jekt: das ist eine mehrsprachige Ganztagsgrundschule und ein Kindergarten.

Dorle Fette-Armagan

Praxisbeispiel: Frauenprojekt Gallus

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Praxisbeispiel: Frauenprojekt Gallus

aufenthaltsrechtlichen Belan-gen und laden Beratungsstellen zu Gruppenberatungen ein, um bestimmte Themen anzustoßen. Zum Beispiel waren Pro familia, balance, Bewegungsimpulse und Frauen in Bewegung bei uns.

Parallel zu allen Angebo-ten findet in den Projekten eine Kinderbetreuung statt, damit auch Frauen mit kleinen Kin-dern an den Angeboten teilneh-men können. So kommt es, dass wir in unser Angebot auch das Paket vom Bundesamt - Integra-tionskurse Deutsch und Alpha-betisierung, niedrigschwellige Frauenkurse und Migrationserst-beratung sowie Kinderbetreuung aufgenommen haben.

DieIntegrationskurse

In unseren Projekten finden die Frauenintegrationskurse statt, das heißt, die Teilnehmerinnen haben seit 2008 bis zu 900 Unter-richtseinheiten Zeit, Deutsch zu lernen, machen daraufhin den 45 Einheiten betragenden Ori-entierungskurs und können dann an der Zertifikatsprüfung teilneh-

Im Rahmen von LOS-Projek-ten (Lokales Kapital für soziale Zwecke), das sind Mikroprojekte in Zusammenhang mit der sozia-ler Stadt, können wir auch stadt-teilbezogen Projekte anbieten, die die Frauen weiterqualifizie-ren. Ausbildung zur Tagesmutter, berufliche Orientierungen, Aus-bildung zur Altenpflegehelferin oder auch eine Mütterschule. Die Förderung solcher Projekte ist aber nie sicher gewährleistet.

Auch Freizeitangebote wie

Nähen, Gymnastik, Radfahren ler-nen finden statt. Es gibt offene Frauentreffs und die Frauen kön-nen die Räume eigenverant-wortlich nutzen. Darüber hinaus werden Besichtigungen und Aus-flüge, die dem Kennenlernen kultureller Einrichtungen, Bera-tungsstellen und der Freizeit-gestaltung dienen, organisiert. (Bibliotheksbesuch, Palmengar-ten, Römer, Museen). Neben den Weiterbildungsangeboten gibt es Sozialberatung und Migrati-onserstberatung. Die Beratungen finden vor Ort in den Einrichtun-gen und telefonisch statt, zum Beispiel zu den Integrationskur-sen, zum Antragsverfahren, zu Einstufungen, eventuellen Kos-tenbefreiungen und Fahrtkosten-erstattungen. Wir beraten auch bei familiären, beruflichen und

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Dorle Fette-Armagan

Die 230 Integrationskurse verteilen sich auf 166 Deutsch- und 64 Alphabetisierungskurse.

Um Ihnen diese Zahlen zu veranschaulichen, heißt das z.B. für das Frauenprojekt Gallus, dass wir zurzeit parallel 8 Deutsch-kurse und 4 Alphakurse haben. Es nehmen fortlaufend also ca. 190 Frauen an Integrationskursen teil. In das Projekt kommen täglich ca. 100 – 150 Frauen. Die Frauen kommen aus 56 Ländern, davon die meisten aus Marokko und der Türkei, gefolgt von Afghanistan, Eritrea und Äthiopien, Ghana, Ser-bien und Sri Lanka. Der überwie-gende Teil der Teilnehmerinnen in den Integrationskursen kommt über die Familienzusammenfüh-rung nach Deutschland. 35 % der Frauen sind seit 2005 neu nach Deutschland gekommen, 65 % leben schon länger hier.

44 % der Frauen, sind zwi-schen 30 und 39 Jahren alt, 20 % sind zwischen 20 und 29 Jahren, 22 % zwischen 40 und 49 Jahren und 13 % sind über 50 Jahre alt. Die jüngeren Frauen, das sind die 64 % zwischen 20 und 40 Jahren, sind die, die Kinder mit in die Ein-richtung bringen.

men. Parallel zu den Kursen las-sen unsere Teilnehmerinnen ihre kleinen Kinder, im Alter von zehn Monaten bis ungefähr dreiein-halb Jahren, von uns betreuen.

Die Kurse sind von Stufe 1 bis 9 aufgebaut. Auch die Alphabe-tisierungskurse finden auf unter-schiedlichem Niveau statt. Eine Stufe entspricht 100 Unterrichts-einheiten. Die Frauen kommen üblicherweise drei Tage in der Woche zu jeweils 4 Einheiten zu uns. In den Hessischen Schulfe-rien finden keine Kurse statt, um der Alltagssituation der Frauen gerecht zu werden. Sie können in einem Jahr ungefähr an 4 Stufen teilnehmen. Das heißt die Frauen kommen in der Regel zwei bis zweieinhalb Jahre mit ihren Kin-dern in das Projekt.

In den Frauenprojekten

haben von 2005 – 2008 - das ist der Zeitraum auf den ich mich im Weiteren beziehe – 4.173 Teilnehmerinnen an 230 Inte-grationskursen zu jeweils 100 Unterrichtseinheiten Deutsch teil-genommen, das waren insgesamt 22.972 Unterrichtseinheiten.

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Praxisbeispiel: Frauenprojekt Gallus

ist, sondern eher, dass die Männer im Niedriglohnsektor arbeiten und Arbeitslosengeld II unterstüt-zend hinzubekommen.

Alphabetisierungskurse

Die Zahl der Alphabetisierungs-kurse hat sich in den vier Jahren verdoppelt bzw. sogar verdrei-facht. Die Frauen, die Alphabe-tisierungskurse besuchen, sind Frauen um die 50. Sie hatten in ihren Heimatländern nicht oder nur wenige Jahre die Chance, die Schule zu besuchen, sie haben in der Regel erwachsene Kinder und sind oft gezeichnet durch ein hartes Leben. Manche finden erst jetzt, da die Kinder groß sind, Zeit, etwas für sich zu tun. Sie genie-ßen den Zugewinn an Wissen und den Austausch mit anderen. Andere - und dieser Teil ist größer geworden - werden aber auch über das Jobcenter zu den Kur-sen verpflichtet. Da sie über Jahre Hausfrauen waren und zufrieden in ihrer Situation, ist ihnen der Nutzen solcher Kurse nicht immer klar. Es gelingt aber oft, sie zu motivieren, zeigt ihnen doch auch der Verlauf des Lebens, wie wich-tig die Sprache, das Lesen und

60 % haben einen mittleren bis guten Schulabschluss, das heißt, sie sind zwischen 8 und 12 Jahren zur Schule gegangen, haben einen Beruf gelernt, von diesen 60 % haben 28 % Abitur oder auch studiert. 24 % haben nur die Grundschulebesucht, waren also 2 bis 5 Jahre in der Schule und 16 % waren nicht in der Schule.

Viele der Frauen, die neu nach Deutschland kommen, haben gerade ihr Abitur gemacht, hei-raten und sind voller Erwartung auch hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft. Der größte Teil unse-rer Frauen möchte arbeiten und weiß, dass gute Deutschkennt-nisse eine sehr wichtige Voraus-setzung dazu sind.

Die Realität zeigt dann, dass sich der berufliche Einstieg sowie das Beibehalten von Arbeit mit ausreichendem Lohn, als sehr schwierig erweist. In unseren Pro-jekten waren zum Beispiel 2008, unterschiedlich nach Standort zwischen 60 und 70 % der Teil-nehmerinnen, in Arbeitslosen-geld II-Bezug. Im Vergleich dazu waren das 2005 noch 29 bis 33 %, mit damals schon steigender Ten-denz. Das heißt nicht unbedingt, dass die ganze Familie arbeitslos

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Dorle Fette-Armagan

lich keine Chance auch nur die A2 – Prüfung zu bestehen.

41 %, der Frauen, die zu uns

kommen, bringen ein Kind zwi-schen zehn Monaten und dreiein-halb Jahren mit zur Betreuung. 1.716 Kinder waren es von 2005 - 2008. Um das noch einmal zu veranschaulichen: im Frauenpro-jekt Gallus sind das an jedem Vor-mittag und Nachmittag um die 20 Kinder.

Gäbe es die Kinderbetreuung nicht, hätten diese Frauen keine Möglichkeit, an den Angebo-ten teilzunehmen. Für die Kinder bedeutet die Betreuung oft die erste Kindereinrichtung, den ers-ten Kontakt zur deutschen Spra-che, die ersten sozialen Kontakte außerhalb der Familie.

Die Erwartung von Seiten der Mütter, dass Kinderbetreu-ung in erster Linie das Füttern und Sauberhalten von Kindern ist, und unsere Erwartungen, gerne andere pädagogische Inhalte in das Kinderzimmer zu bekommen, sind für alle eine Herausforde-rung. Geringe finanzielle Ressour-cen ermöglichen uns immer nur kleine Schritte. Dies ist wirklich äußerst bedauerlich, da wir den

das Schreiben sind.

Die Alphakurse haben 10 – 12 Teilnehmerinnen. Die Inte-grationskurse Deutsch setzen sich aus 16 – 18 Teilnehmerinnen unterschiedlicher Nationalitä-ten zusammen. Ein Kursabbruch kommt sehr selten vor. Die Frauen unterbrechen oft nur durch einen Umzug oder zur Geburt ihrer Kin-der und steigen dann später wie-der ein.

An der Zertifikatsprüfung haben in unserem Verein von 2006 – 2008 293 Frauen an der Prüfung teilgenommen. 151 haben bestanden, also ungefähr die Hälfte.

Das Bestehen der Prüfung hängt von sehr unterschiedlichen Faktoren ab. Frauen, die schon in den Heimatländern lerngewohnt waren, können die Prüfung gut schaffen. Andere, bei denen das nicht der Fall war, tun sich sehr schwer. Auch die Frauen aus den Alphabetisierungskursen müssen an dem Orientierungskurs und an der Zertifikatsprüfung teilneh-men. Diese Frauen haben eigent-

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Praxisbeispiel: Frauenprojekt Gallus

Kultur in den Vordergrund tritt, verbindet und zur gemeinsamen Ebene der Kommunikation wird. So entstehen die ersten Freund-schaften außerhalb der familiären Zusammenhänge und der eige-nen ethnischen Herkunft.

Nach den Kursen gelingt es manchen, die Sprache als Inst-rument zu nutzen. Plötzlich sind Kontakte im alltäglichen Bereich möglich. Für viele andere war die intensive Zeit in den Projekten die einzige Gelegenheit Deutsch sprechen. Viele berichten aber auch, dass sie keine Kontakte zu Deutschen haben, sprechen also auch kaum Deutsch, fallen zurück in ihre Community und vergessen die neu erlernte Sprache wieder.

Viele Frauen suchen die Berufstätigkeit und ein Arbeits-platz wäre ein geeigneter Ort, die erworbenen Sprachkennt-nisse wirklich anzuwenden, sich dort zu integrieren, an der Gesell-schaft teilzuhaben und auch sozi-alen und wirtschaftlichen Nutzen daraus zu erlangen. Den Meis-ten unserer Kursteilnehmerinnen fehlt es aber an Kompetenzen in den Arbeitsmarkt hineinzukom-

vertrauensvollen Zugang zu Müt-tern und Kinder haben in einem Lebensabschnitt, in dem diese Kinder noch in keiner Regelein-richtung sind und folglich auch kaum Kontakt nach außen haben.

Diese kleinen Schritte zeigen schon gute Ergebnisse, was uns auch immer wieder durch die Rückmeldung von den Müttern und den Kindergärten bestätigt wird, u.a. auch deswegen, weil der Einstieg in den Kindergar-ten problemlos von statten geht. Man kann sich vorstellen, welch großer Zugewinn erst eine richtig intensive Förderung der Kinder und Mütter für die Entwicklung der Kinder wäre. Diese Förde-rung käme dann auch noch den Geschwisterkindern zugute. Auch gesellschaftlich wäre dies von gro-ßem Nutzen. Ein Thema, das heiß diskutiert wird, aber trotz mehrfa-cher Antragstellung an verschie-denen Orten, zwar immer wieder als gut, aber nicht oder noch nicht als förderfähig angesehen wird.

In den Kursen gelingt es

eigentlich immer, kulturelle, reli-giöse und politische Uneinig-keiten zu überwinden und ein gutes vertrauensvolles Klima zu schaffen. Dies gelingt hier in den Kursen, da die Unterschiede in den Hintergrund treten und das Erlernen der neuen Sprache und

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Dorle Fette-Armagan

men oder aber, ihre vorhande-nen Qualifikationen werden nicht anerkannt.

Es wäre eine wichtige Auf-gabe, die Frauen bei der berufli-chen Integration zu begleiten und zu unterstützen.

Integration bedeutet nicht nur Spracherwerb; Projekte die soziale Integration fördern, den Dialog zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen voranbringen, wären wichtig. Hier kann man nur auf ein möglichst schnelles Umdenken der Verantwortlichen hoffen, denn Zeit, die zu verlie-ren wäre, gibt es eigentlich nicht mehr.

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