Dr. iur. Pedro Bejarano Alomia, LL.B., LL.M. - Menschenrecht Auf Nahrung

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Das Menschenrecht auf Nahrung Pedro Bejarano, LL.M. Berlin, 2005

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MagisterarbeitFU Berlin, 2005

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Das Menschenrecht auf Nahrung

Pedro Bejarano, LL.M.

Berlin, 2005

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis 2

Einleitung 5

1. Konzeption der Menschenrechte als Rahmenbegriff des Rechts auf Nahrung - Grundlage und Gegenstand 6

1.1. Entwicklung der Menschenrechtskonzeption 6

1.2. Begründungsstrategien der Menschenrechte 23

1.2.1. Diskurstheorie 24

1.2.2. Vertragstheorien bzw. Kontraktualismusansätze 28

1.3. Der Menschenrechtsbegriff 33

2. Der Grundgedanke eines Rechts auf Nahrung 35

2.1. Die Welternährungslage 37

2.2. Erklärungen zu den Ursachen des Hungers 41

2.2.1. Der Armutsansatz 41

2.2.2. Die Dependenz-Theorie 43

2.2.3. Neokolonialismus 44

2.2.4. Der progressive Ansatz 44

2.2.5. Unzureichende internationale Rahmenbedingungen 45

2.2.6. Die Verschuldung der Entwicklungsländer 46

2.2.7. Hunger als Entitlement Failure: Der Verlust von Verwirklichungschancen 46

2.2.8. Überbevölkerungsreduzierung 51

2.2.9. Eine Fiktion: Die Verschwörungstheorie 54

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2.3. Negative Konsequenzen der Mangelernährung 55

2.4. Begriffsbestimmungen 57

3. Der völkerrechtliche Stellenwert des Rechts auf Nahrung 60

3.1. Die Charta der Vereinten Nationen 61

3.1.1. Entstehungsgeschichte 61

3.1.2. Die Präambel der UN-Charta 64

3.1.3. Ziele und Grundsätze der UN-Charta 65

3.1.4. Art. 1 (3) UN-Charta 65

3.1.5. Art. 55 UN-Charta 66

3.2. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) 69

3.3. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) 71

3.3.1. Der normative Inhalt des IPwskR 74

3.3.2. Die generelle Verpflichtungsklausel des IPwskR 76

3.3.3. Der Status der Menschenrechte im IPwskR 80

3.3.3.1. Das Generationsmodell 80

3.3.3.2. Die Statuslehre 83

3.3.3.3. Das 3-Ebenen-Modell d. Respect, Protect und Fulfil 90

3.4. Die rechtliche Verankerung des Rechts auf Nahrung im IPwskR 94

3.4.1. Art. 11 IPwskR 97

3.4.2. Entstehungsgeschichte des Art. 11 IPwskR 98

3.4.3. Die juristische Natur des Rechts auf Nahrung 99

3.4.4. Die Konnotation einer angemessenen Ernährung 101

3.4.5. Verpflichtungsebenen 102

3.4.6. Recht auf Nahrung und Recht auf Leben 104

3.4.7. ECOSOC und CESCR und der Entwurf eines Fakultativen Protokolls zum Sozialpakt 105

3.4.8. Entwurf eines Fakultativprotokolls zum Sozialpakt 106

3.5. Institutioneller Rahmen zum Schutz des Rechts auf Nahrung 106

4. Begründung des Rechts auf Nahrung 119

4.1. Hunger als Verteilungsgerechtigkeitsmangel 119

4.1.1. Der liberale Ansatz von Friedrich August von Hayek 123

4.1.2. Der sozialliberale Ansatz von John Rawls 124

4.1.3. Die kommunitaristische Position von Michael Walzer 124

4.1.4. Die aktivierende Position von Amartya Sen 125

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4.2. Die Begründung des Rechts auf Nahrung aus der Grundbedürfnisthese 126

4.2.1. Genese der Grundbedürfnisstrategien 126

4.2.2. Begriffsbestimmung 129

4.3. Die Human Security Conception 130

5. Lösungsansätze zur Bekämpfung der Unterernährung 133

5.1. Die Stellungnahme der Weltbank 133

5.2. Empowerment of Capabilities 137

5.3. Der Welt-Marshall-Plan 138

5.4. Steuer auf Waffenhandel 140

5.5. Kerosinsteuer 140

5.6. Der UN-Bericht “Investing in Development: A Practical Plan to Achieve the Millennium Development Goals” (2005) 141

Schlussfolgerungen 143

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Einleitung

Trotz der völkerrechtlichen Anerkennung des Rechts auf Nahrung stirbt jede

Sekunde ein Mensch an den Folgen des Hungers. Das sind mehr als 30 Mil-

lionen Menschen, die jedes Jahr bei dieser tagtäglichen Tragödie ums Leben

kommen. Besonders betroffen sind Kleinkinder, weil Hunger der Verursacher

der jährlich 11 Millionen Todesfälle von Kindern unter 5 Jahren ist: A l l e

f ün f Sekunden s t i rb t e in K ind an den Fo lgen des Hunge rs .

Einer solchen Realität gegenüber stellt sich die Frage, ob das Recht in der

Lage ist, Hunger und Unterernährung auszurotten, nämlich ob die Verwirkli-

chung des Rechts auf Nahrung überhaupt erreicht werden kann. Ist etwa der

Hunger ein juristisches oder ein politisches Problem? Gibt es Lösungen zur

Frage des Hungers? Könnten wir als Juristen zur Lösung der Frage des

Hungers beitragen? Um die einleitende Fragestellung beantworten zu kön-

nen, vereint diese Magisterarbeit neben den juristischen Aspekten auch dis-

ziplinübergreifende Auffassungen. Auf diese Art und Weise werden im ersten

Teil philosophische, historische und ideengeschichtliche Themen angeschnit-

ten, um so die Frage nach dem Recht auf Nahrung als Menschenrecht be-

antworten zu können. Im zweiten Teil werden die Grundgedanken eines

Rechts auf Nahrung dargestellt, während im drittel Teil auf völkerrechtliche

Fragen eingegangen wird, um die Auslegung des Rechts auf Nahrung im

Kontext des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle

Rechte vornehmen zu können. Im vierten Teil werden politologische Aspekte

angesprochen und im anschließend letzten Teil Lösungsansätze zur Be-

kämpfung des Hungers dargestellt.

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1. Konzeption der Menschenrechte als Rahmenbegriff des

Rechts auf Nahrung - Grundlage und Gegenstand

Mit der Verabschiedung des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, so-

ziale und kulturelle Rechte1 von 1966 wurde das Recht auf Nahrung als un-

antastbares Menschenrecht anerkannt und seit damals vielfältig bekräftigt.

Wie das Recht auf Nahrung als soziales Menschenrecht mit dem Inbegriff

der Menschenrechte harmoniert und welche Voraussetzungen gegeben sein

müssen, um ein Recht auf Nahrung verlangen zu können, ist in diesem Teil

festzustellen. Dafür wird die Fortentwicklung des Menschenrechtskonzepts

aus dem historischen Entstehungskontext erschlossen und kurz aufgewie-

sen.

1.1. Entwicklung der Menschenrechtskonzeption

Obwohl die Geltungsforderung der Menschenrechte heutzutage als ahisto-

risch betrachtet wird, haben Menschenrechte eine geschichtliche Entfaltung,

die verschiedene Prozesse sozialer Wandlung darstellt2.

Darum ist es wichtig, die Entwicklung der Menschenrechtsidee in knapper

Schilderung darzustellen. Dabei beschränke ich mich auf die Grundbegriffe,

die in ihrer Zusammensetzung im Laufe der Geschichte zur Entstehung der

Idee der Menschenrechte beigetragen haben.

Der Konzept der Menschenrechte als solche war zwar in der Antike unbe-

kannt, aber dessen Fundamente wurden in der philosophischen Entwicklung

Griechenlands aufgestellt3. Darum rühren naturrechtliche Ansätze bereits

von den vorsokratischen Sophisten im fünften Jahrhundert vor Christi Geburt

her4. Die Sophisten konzentrierten sich im Gegensatz zu ihren Vorgängern,

den „Naturphilosophen“, eher auf die menschliche sophía, die „nicht nur die

1 IPwskR 2 Vgl. Oestreich 1968, 9 ff. 3 ebd., 15 4 ebd.

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philosophische Weisheit, sondern in einem ursprünglichen umfassenden

Sinn alle handwerklichen und geistigen Fähigkeiten der Menschen“ repräsen-

tiert5.

Hinsichtlich des Werdegangs der Menschenrechte liegt der Wert der Sophis-

tik darin, dass zum ersten Mal in der griechischen Philosophie der Blick weg

von der Natur und vollständig auf den Menschen gerichtet wurde6.

In diesem Sinne werden die Reflexionen der Sophisten als bahnbrechend

betrachtet, weil es die menschliche Natur als Maß aller Dinge in den Blick-

punkt der philosophischen Debatte rückte7.

Der Mensch wurde auch zum Mittelpunkt der Rechtsvorstellungen8. Die So-

phisten lehrten nicht nur, dass alle Menschen frei geschaffen und keiner zum

Sklaven bestimmt wurde – ein subversiver Satz in der griechischen Gesell-

schaft, die sich ja auf das Institut der Sklaverei stützte - sondern auch, dass

das natürliche Recht die positiven Gesetze weitaus überwindet9.

Bei der Philosophenschule der Stoa poikile, gegründet um 300 vor Christi

von Zenon aus Kition, finden sich auch vorangehende Vorstellungen eines

allen Menschen als Menschen zukommenden Rechts10. Oberste Maxime der

Ethik, die im Zentrum des Denkens der Stoa steht, ist die Forderung, mit sich

selbst und mit der Natur in Harmonie zu leben11. Daraus ergibt sich der

Glaube an ein völlig gültiges Weltgesetz, nämlich das sittliche Gleichheits-

prinzip der Menschen, wodurch alle Menschen von Geburt an gleichsetzt und

ihnen gewisse Naturrechte zuerkannt werden12.

Die Stoiker erheben zwei grundlegende soziale Forderungen: Gerechtigkeit

und Menschenliebe in einem Ausmaß, wie es die Antike bis dahin nicht ge-

kannt hatte. Sie erstrecken sie auf alle Menschen, denn sie schließen auch

5 Fenske 2003, 55 ff. 6 Vgl. Fenske 2003, 162 7 ebd. 8 Oestreich 1968, 15 9 ebd. 10 Vgl. Störig 2002, 218 ff. 11 ebd. 12 ebd.

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die Sklaven und die Barbaren ein13. Diese neue humane Gesinnungsethik

bewirkte eine Milderung der Sklaverei und die Fürsorge für Bedürftige und

Kranke und legte Fundamente für die Idee einer Menschenwürde14.

Im Georgias wies Sokrates (470 – 399 v. Chr.) die Gerechtigkeit als höchstes

menschliches Gut und als Ziel aller Staatsführung aus. Er bemerkte, dass

ohne Gerechtigkeit keine Gemeinschaft existieren kann15.

In der Politeia paraphrasiert Kephalos den Dichter Simonides, um den Begriff

der Gerechtigkeit zu definieren: „Jedem das Seine zu geben“16. Im Reich der

Ideen besetzt die Idee des höchsten Guten die oberste Stelle17. Sie ist sozu-

sagen die Idee der Ideen. „Das höchste Gute ist allem übergeordnet als sein

oberster Zweck. Es ist der Endzweck der Welt“18.

Alles, was Platon (427 v. Chr. – 347 v. Chr.) am Einzelmenschen darlegt,

beispielsweise Tugend, Sittlichkeit, rechtes Handeln oder Gerechtigkeit, kehrt

im Staat in vergrößerter Skala wieder19.

„Die denkbar höchste Form des sittlichen Lebens ist das sittliche Leben der

Gemeinschaft in einem guten Staat“20, wobei die Gerechtigkeit zum Funda-

ment dieses guten Staates wird21.

Bezüglich seiner Staatslehre gibt es genauso viele Sorten von Verfassungen

(politeia), wie es Arten von Menschen gibt, denn die Staatsformen entstehen

aus der Natur der Menschen, also entspricht jeder Verfassungstyp einem

feststehenden Seelenzustand seiner Bürger22. In der Timokratie verlangen

sie nach Wertschätzung, in der Oligarchie nach Wohlhabenheit, in der De-

mokratie nach Freiheit23. Aber der Ehrgeiz der Timokratie führt zu einer Oli-

garchie, weil das Regime sich ausschließlich auf das Wohl des Staates rich-

13 ebd. 14 ebd. 15 Vgl. Oestreich 1968,15 16 Fenske 2003, 74 17 ebd. 18 ebd. 19 ebd. 20 ebd., 183 21 ebd. 22 Vgl. Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie, Stuttgart 2002, 183 ff. 23 ebd.

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tet24. Die Oligarchie spaltet den Staat in Arme und Reiche. Werden die Ar-

men immer ärmer, dann vertreiben sie die Machthaber und errichten eine

Demokratie25. Der Drang nach Freiheit wird in der Demokratie immer größer,

so dass diese Freiheit bald zur Zügellosigkeit wird. Gegen diese Ausschwei-

fung muss das Volk die Macht dem Tyrannen übertragen26.

Im idealen Staat bestehen von Natur aus drei unterschiedliche Aufgaben:

Ernährung und Erwerb als Grundlage, Verteidigung nach außen, Leitung und

Vernunft. Die Gerechtigkeit einer solchen egalitären Sozialordnung, genauso

wie beim Einzelmenschen, besteht darin, dass diese drei Aufgaben unter der

Vernunft in das richtige Verhältnis kommen27.

Im Dialog Politikós (Der Staatsmann), verteidigt Platon den „Kommunismus“

der politeia“ mit einem mächtigen „tugendhaften Herrscher“ als „praktischem

Gesetzgeber“ und „nicht länger in völlig unterschiedliche Klassen“ getrennten

Bürgern als das ideale System, um das richtige Verhältnis der sozialen Ge-

rechtigkeit zu erreichen28.

Für Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) ist die Glückseligkeit das höchste Gut des

Menschen. Der Mensch ist vor allem Vernunftwesen und die Tugend besteht

darin, dass der Mensch die Vollkommenheit seiner Vernunft anstrebt29.

Aristoteles unterscheidet zwei Arten von Tugend. Während die ethische Tu-

gend die Herrschaft der Vernunft über die wollüstigen Triebe bedeutet, rep-

räsentiert die dianoethische Tugend - im Vergleich mit der ethischen Tugend

die höhere - die Vervollkommnung der Vernunft selbst. In dieser Hinsicht lag

die Grundlage allen Rechtes in der gottgegebenen Vernunft des Menschen30.

Wie für Platon ist die moralische Gemeinsamkeit der Bürger in einem auf

Gesetz und Tugend aufgebauten guten Staat auch für Aristoteles die höchste

24 ebd. 25 ebd. 26 ebd. 27 Vgl. Störig 2002, 187 28 Fenske 2003, 80 29 Vgl. Störig 2002, 206 ff. 30 ebd.

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Form der Sittlichkeit31. Politik ist in dieser Hinsicht nichts anderes als ange-

wandte Ethik32.

Der Staat ist für Aristoteles im Gegensatz zur platonischen Staatslehre kein

einheitliches Wesen, sondern aus Einzelmenschen gebildet33. Der Staat ist

hingegen Bestandteil, eine Untergemeinschaft eines gegliederten Ganzen34.

Der Mensch ist nach der aristotelischen Betrachtung ein politisches bzw. ge-

sellschaftliches Lebewesen, das zur seiner Vervollkommnung die Gemein-

schaft mit anderen benötigt35. Diese Verbundenheit der Menschen miteinan-

der ist nur durch das Recht – die lex naturae - möglich36.

Das natürliche Recht als das wahre Gesetz existiert von jeher, bevor eine

staatliche Gemeinschaft errichtet wurde37. Durch dieses Gesetz, das für

Menschen und Gottheit verpflichtende Norm ist, wird die Ungleichheit der

Völker und Menschen erklärt und die Sklaverei gerechtfertigt38.

Die Stoiker haben die Gleichheit der Menschen durch den Hauptgedanken

begründet, dass neben der realen Gemeinschaft das Reich der Vernunft vor-

handen ist, und in diesem ist jeder Mensch Teilhaber an der Weltvernunft, so

dass also alle Menschen mit Vernunft ausgestattet sind. Ebenfalls sind alle

Menschen von der sittlichen Zielsetzung aus gleichberechtigt39.

Im römischen Kaiserreich fanden die Grundtheorien der Stoiker eine Fort-

entwicklung und Anwendung auf soziale und politische Fragen durch den

Politiker und Juristen Cicero und den römischen Stoiker Seneca40.

Auch für Cicero (106 – 43 v. Chr.) ist der Mensch von Natur aus ein Wesen,

das gesellschaftlich veranlagt ist, und er sieht darin den Hauptgrund für eine

31 ebd. 32 ebd. 33 ebd. 34 ebd. 35 Vgl. Quinton 1994, 302 ff. 36 ebd. 37 ebd. 38 ebd. 39 ebd. 40 Vgl.Oestreich 1968, 17

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Staatenbildung41. Ein Staat ist demzufolge ein Kreis von Menschen, die ge-

meinsame Rechte für legitim erklären und daraus einen kollektiven Nutzen

ziehen42.

Der Staat ist laut Cicero wie bei Aristoteles eine apriorische Rechtsgemein-

schaft, die über die menschliche Vernunft erfahrbar ist43. Die Ziele dieses

Staates sind grundsätzlich, für Recht und Gerechtigkeit unter den Bürgern zu

sorgen, für Wohlstand und äußere Sicherheit.44

Die Ungleichheiten unter den Menschen, besonders die Sklaverei, sind tödli-

che Krankheiten des Staates45. Darum müssen die positiven Gesetze am

allgemeinen Naturrecht und an Tugenden orientiert werden, denn wenn die

Gesetze nur der reinen Nützlichkeit folgen, gibt es gar keine Gerechtigkeit46.

Durch Cicero wurde die lex naturae aus einem Gegenstand der Philosophie

zu einem Gegenstand des Rechtsdenkens und der Rechtskonzeption. Das

Naturrecht, das im Letzten göttlich begründet wird, bewirkt im Römischen

Imperium eine progressive Abschaffung von Ungleichheiten unter den Men-

schen - beispielsweise für Barbaren, Sklaven und Frauen - wie sie Aristoteles

noch als sittlich akzeptiert hatte47.

„Mit der Teilhabe eines jeden Menschen an der kosmischen Weltvernunft war auch die religiös gestimmte unbedingte Achtung gegen jeden Menschen verbunden: Homo res sacra hominis“48. Der Philosoph Seneca (4 v. Chr. – 65 n. Chr.) wandte sich in seiner Schrift

Über die Milde (De clementia) an den Cäsar, um zu beteuern, dass wahre

Größe und Majestät in der Sorge für das Gemeinwohl liege. Die Herrschaft

bedeute nicht anderes als Dienst am Volke49.

41 ebd. 42 Vgl. Quinton 1995, 306 ff. 43 ebd. 44 ebd. 45 ebd. 46 ebd. 47 Vgl. Brieskorn 1997, 31 ff. 48 Oestreich 1968, 18 49 ebd.

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Den Ansätzen Senecas lag die feste Überzeugung von der Zusammengehö-

rigkeit aller Menschen und von ihrem gemeinsamen Schicksal zugrunde: „Wir

sind Glieder eines Körpers. Die Natur schuf uns alle als Verwandte“50.

Hinsichtlich der Antike kann man zusammenfassend sagen, dass frühe Fas-

sungen des Naturrechts – vor allem bei den Sophisten und Stoikern - in der

griechischen und in der römischen Antike nachgewiesen wurden, welche das

christliche Denken des Mittelalters, das aufklärerische Naturrecht und die

zeitgenössische Begründung der Menschenrechte geprägt hat.

Zur den Hauptbegriffen des Naturrechts der Antike gehört die Vorstellung,

dass dem Menschen vor aller staatlichen Rechtsetzung feststehende Rechte

zustehen, die sich aus seiner Natur bzw. aus seiner Vernunft ergeben. Diese

von der Natur abgeleiteten Rechte des Menschen, also seine Menschenrech-

te, gelten unabhängig von Zeit und Raum, weil die Natur auch unveränderlich

ist. Auch nach dem Ansatz der Vernunft sind alle Menschen gleichwertig.

Eine andere Weltanschauung, die dem Menschen von Natur aus eine gewis-

se ontologische Ausstattung zuspricht, ist das christliche Menschenbild51.

Das einstige Christentum konnte an den Überlegungen der Bibel und des

Stoizismus anknüpfen52.

Zwei zentrale Vorstellungen können von der Bibel abgeleitet werden: Die

Idee der Menschenwürde und die der Gleichheit der Menschen53. Die Kon-

zeption der Gleichheit gründet sich auf die Behauptung, dass Menschen Kin-

der Gottes und demzufolge Brüder und Schwestern in Christus seien54. Die

Gleichheit zwischen den Menschen findet in der Gleichberechtigung von Ge-

schwistern in einer Familie ihre Allegorie55. Dieses Ideal kommt der stoischen

Forderung der allgemeinen Menschenliebe nahe56.

50 ebd. 51 Vgl. Höffe 2001, 85 52 Vgl. www.bpb.de/publikationen/!SFJ2B, 0 , 0, Idee_der_Menschenrechte.html 53 Vgl. Störig 2002, 240 ff. 54 ebd. 55 ebd. 56 ebd.

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Der Mensch ist darüber hinaus das Ebenbild Gottes und als solches die Kro-

ne der Schöpfung57.Aus dieser Aussage folgt einerseits, dass dem Men-

schen eine Würde und ein Wert zukommen, wie sie in der Schöpfung sonst

nirgends erreicht sind, und andererseits, dass diese göttlichen Herkunft die

prinzipielle Gleichstellung und Freiheit aller Menschen bedingt58.

„Dem Christentum war von vornherein ein übernationaler Zug eigen. Hatte doch Christus seine Jünger ausgesandt, alle Völker zu lehren. Es kannte auch von vornherein keine Standesschranken. Christus hatte sich gerade an die ‚Mühseligen und Beladenen’ gewandt. Die ersten Bekenner des Christen-tums entstammen in der Masse den unteren Bevölkerungsschichten. Das Christentum war eine geistige Revolution ‚von unten’ die aber alsbald die Spitzen des gesellschaftlichen Aufbaus mit ergriff“59. Die christlich-stoischen Gedanken wurden im Mittelalter von Thomas von

Aquin (1225 - 1274) fortentwickelt60. Weil Thomas von Aquin den Staat für

eine moralische Größe hält, definiert er es als Mission des Staates, die Bür-

ger zu einem fairen und tugendhaften Leben zu führen61. Die zentralen Vor-

aussetzungen dafür sind die Aufrechterhaltung des Friedens und die Schaf-

fung äußeren Wohlstandes62.

Wie die Griechen der Antike begreift Thomas von Aquin den Menschen voll-

ständig im Kontext der Gesellschaft und des Staates63. Mit der Definition des

Aristoteles argumentiert Thomas immer wieder, dass „homo naturaliter ani-

mal politicum est“. Darum solle das Handeln des Einzelnen auf das Gemein-

wohl der Gesellschaft gerichtet werden64.

Es sei unmöglich – behauptet Thomas – dass ein Mensch gut sein kann,

wenn er nicht im rechten Bezug zum gemeinen Wohl stehe65.

Die Philosophie der Innerlichkeit von Augustinus (354 - 430), stützt sich auf

den christlichen Glauben. Durch Christus, die Heiligen Schriften und die Kir- 57 ebd. 58 ebd. 59 Störig 2002, 242 60 Vgl. Auprich 2000, 29 61 Vgl. Störig 2002, 285 ff. 62 ebd. 63 Vgl.Fenske 2003, 212 ff. 64 ebd. 65 Störig, 295 ff.

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che wird den Menschen die göttliche Autorität vermittelt. Die Wahrheit der

Heiligen Schriften ist unfehlbar, weil Gott selbst durch sie spricht. Die Kirche

stellt den Menschen unter die Autorität Christi. Hinsichtlich dieser Autoritäten

- Christus, Heilige Schriften, Kirche - ist jede ungläubige Überlegung unzu-

lässig. Der Glaube wird vorausgesetzt, und die Vernunft folgt.66

Ein wichtiger Denker der Spätscholastik war Giovanni Pico della Mirandola

(1463 - 1494). Pico hebt die Sonderstellung des Menschen in der Gestaltung

des Alls hervor. Gott schafft den Menschen als Schöpfer seiner selbst und

deswegen hat der Mensch die Freiheit, durch eigenes Tätigwerden in freier

Selbstbestimmung sein Wesen selbst zu machen. Der Mensch kann alles

sein, was er will, weil er von Geburt an zu jedweder Lebensform ausgestattet

ist67.

In Bezug auf das christliche Gedankengut kann man zusammenfassend sa-

gen, dass die Gottähnlichkeit des Menschen der Grundsatz der christlichen

Begründung der Menschenrechte ist, wie in der Bibel formuliert wird (1,26

Genesis). Als einer Schöpfung Gottes kommt dem Menschen eine unantast-

bare Würde zu. Die von dieser Würde abgeleiteten Rechte gelten immer und

überall, also unabhängig von Kulturen, Staatsformen oder politischen Syste-

men. Die Konzeption des Menschen als Ebenbild Gottes impliziert die

Gleichheit aller Menschen. Aus diesem Prinzip lässt sich folgern, dass allen

Menschen die gleichen Rechte zukommen. In diesem Bezugspunkt stimmt

das christliche Menschenbild sowohl mit den klassischen als auch mit den

zeitgenössischen Menschenrechtserklärungen überein.

Nach dem Mittelalter wurde die Würde der Menschen jedoch nicht mehr an

dessen Gottebenbildlichkeit fixiert68. Die Epoche des Humanismus und der

Aufklärung wurde durch die Leitbegriffe bestimmt, dass die Vernunft als We-

sensmerkmal des Menschen allgemeingültige Maßstäbe für Gesellschaft und

Politik repräsentiert und dass die Freiheit den Grundsatz des sozialen und

politischen Handels darstellt69.

66 Vgl. Fenske 2003, 138 ff. 67 Vgl. Auprich 2000, 29 ff. 68 Quinton 1995, 327 69 Vgl. Störig 2002, 317 ff.

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Durch den Humanismus im 16. Jahrhundert wurde der antike Stoizismus mit

seiner Emphase der rationalen Natur des Menschen wiederbelebt70.

Thomas Hobbes und John Locke trugen mit ihren Lehren zur Konzeption der

Idee der Menschenrechte bei71.

Für Thomas Hobbes (1588 - 1679) ist der Mensch grundsätzlich egoistisch,

der nur nach dem eigenen Vorteil strebt. Im Naturzustand, in dem alle Indivi-

duen bloß aus diesem Ziel handeln, herrscht der ununterbrochene Krieg. Aus

diesen Umständen ergibt sich der Wunsch nach Sicherheit, und aus dem

menschlichen Wunsch nach Sicherheit und Rechtsschutz kommt die überge-

ordnete Gewalt des Staates zustande72.

„Hobbes betont, dass der Mensch nur die Wahl zwischen zwei Übeln hat: dem Urzustand, das heißt völliger Anarchie; oder der restlosen Unterwerfung unter eine staatliche Ordnung.“73 Mit der „Zweiten Abhandlung über die Regierung“ (Second Treatise on Go-

vernment, 1690) macht sich John Locke (1632 - 1704) Hoffnungen auf ein

Gemeinwesen - den Staat als Verkörperung der politischen Gewalt - das

nicht nur den Frieden gewährleistet, sondern auch auf den Interessen seiner

Bürger und sozialem Wohlergehen beruht74. Locke legt Wert auf

Gewaltenteilung und grundsätzlich auf „life, liberty und property“, welche als

Grundsätze des zeitgenössischen Grund- und Menschenrechtskatalogs

eingeordnet sind75.

Zur Erklärung der Entstehung des Staates rekurriert auch Locke auf den Na-

turzustand (state of nature) völliger Gleichheit (equality) und Freiheit (free-

dom)76. Diese Freiheit entstammt dem Naturgesetz (law of nature), das den

einzelnen zur eigenen Selbsterhaltung und zur Selbsterhaltung des Mitmen-

schen verpflichtet77. Im Unterschied zu Hobbes wird der Mensch bereits im

70 ebd. 71 Vgl. Quinton 1995, 332 ff. 72 ebd. 73 Störig 2002, 334 74 Vgl. Quinton 1995, 341 ff. 75 ebd. 76 Vgl. Fenske 2003, 324 ff. 77 ebd.

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Naturzustand Eigentümer und Agent einer Geldwirtschaft: Eigentum, Freiheit

und Leben sind ewige und universelle Werte, die zum Naturrecht gehören78.

Im Prinzip ist der Naturzustand friedliches Zusammenleben. Erst durch den

Versuch, Gewalt über andere Menschen zu bekommen, entsteht der

Kriegszustand. Dieser kann nur durch ein Staatswesen beendet werden, was

lt. Hobbes zum Verlassen des Naturzustandes führt79.

Zusammen mit David Hume (1711 - 1776) und Adam Ferguson (1723 -

1816) gehört Adam Smith (1723 - 1790) zu den wichtigsten Vertretern der

„schottischen Moralphilosophie“80. Die Moralphilosophie der „schottischen

Schule“ hat ihre Basis in einer Theorie von den Gefühlen, und sie lehnt alle

Ansätze ab, die auf die Vernunft basieren81. Darüber hinaus versucht diese

philosophische Strömung zu erklären, inwiefern egoistisch agierende Men-

schen entgegen der überwiegenden humanistisch-altruistischen Ansicht zum

Gemeinwohl beitragen können82.

In seinem Werk „Theory of Moral Sentiments“ behauptet Smith, dass die Rol-

le der Moralphilosophie darin besteht, sich den Voraussetzungen des

menschlichen Glücks zu widmen83. Darin liegt eine Abgrenzung von der vor-

herrschenden christlichen Ethik, die Moral mit Wahrheit und Begründbarkeit

in Zusammenhang bringt84.

Smith zufolge ist das Streben des Individuums nach Verbesserung seiner

ökonomischen und sozialen Lage die ausschlaggebende Triebkraft der Sozi-

alisation und der Entstehung von Wohlstand85.

Um produktiv zu sein, muss jedoch der angeborene Egoismus - durch das

ursprüngliche Sentiment der Sympathie für den Mitmenschen - bezwungen

werden86. Die Sympathie stützt sich auf die Einbildungskraft, die es uns er-

laubt, sich in die Lage anderer zu versetzen. Sympathie basiert auf die psy-

78 ebd. 79 ebd. 80 Vgl. Fenske, Geschichte der politischen Ideen, Frankfurt/Main 2003, S. 364 ff. 81 ebd. 82 ebd. 83 Vgl. Trapp, Adam Smith – politische Philosophie und politische Ökonomie, Göttingen 1987, 53 ff. 84 ebd. 85 ebd. 86 ebd., 65 ff.

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chischen und sozialen Affekte unserer Mitmenschen87. Wir müssen Affekte

und Interessen mit den Augen eines dritten Menschen betrachten: Aus der

Basis von Sympathie und von unparteiischen Urteilen kann Pflichtgefühl ent-

stehen, und zwar die Orientierung an Normen, die uns veranlasst, unsere

egoistische Sentiments zu beherrschen88.

Smith wurde zum Begründer der Theorie der Marktwirtschaft durch sein

Meisterwerk „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“

(1776)89. In diesem Buch versucht Smith, die Grundlage des Fortschrittes der

Nationen zu erklären, wobei er drei ausschlaggebende Elemente herausge-

funden hat: Freiheit, Eigennutz und Wettbewerb. Fundament seiner Lehre

sind nicht altruistische, sondern egoistisch agierende Individuen, die in ihrem

natürlichen Verlangen nach Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse unab-

sichtlich das Gemeinwohl fördern90.

Smith gilt als Verfechter des Freihandels und Gegner von direkten Staatsein-

griffen in Marktmechanismen. Dabei macht er jedoch einige Einschränkun-

gen: Er behauptet, dass die entwickelte Marktwirtschaft erst in der Lage ist

zu funktionieren, wenn die folgenden Staatsaufgaben richtig wahrgenommen

werden: Verteidigung, innere Sicherheit, Justiz, Verkehrswesen, Bildung,

Gesundheitswesen und die Verhinderung von Monopolen91.

Die Theorie der Marktwirtschaft ist eng mit der Gesellschaftslehre des Libera-

lismus verbunden:

„Definitorisch ist unter Liberalismus jener politische Ideenkomplex zu verste-hen, der durch die Postulate der Selbstbestimmungsfähigkeit der Individuen durch Vernunft, der Individualfreiheit gegenüber dem Staat (Menschen- und Bürgerrechte), der Bändigung politischer Herrschaft durch Verfassung und der Selbstregulierung der Ökonomie durch Gesetzmäßigkeiten von Markt und Wettbewerb abgesteckt ist, in eine Evolutionsvorstellung geschichtlichen Fortschritts mündet und zumindest in der Entstehungs- und Blütezeit vom Bürgertum mit seinen Eigentums- und Erwerbsinteressen und seinen daraus erwachsenden Machtsansprüchen getragen wurde“92. 87 ebd. 88 ebd. 89 ebd., 181 ff. 90ebd. 91ebd. 92 Schiller, Liberalismus. In: Nohlen, (Hrsg.), Digitale Bibliothek Band 79: Lexikon der Politik, Berlin 2003, 727

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Im „Diskurs über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter

den Menschen“ rekonstruiert Jean-Jacques Rousseau eine theoretische Ur-

geschichte der Menschengattung93.

Am Anfang bestehe ein harmonischer Naturzustand, in dem der Natur-

mensch glücklich sei und in dem es gar keine Ungleichheit gebe außer be-

züglich Alter, Kraft, und Gesundheit. Durch eine Art „Schuld“ des Menschen

entstehen aber das Eigentum, die bürgerliche Gesellschaft und der all das

schützende Staat. Sowohl im Eigentum als auch im Staat liege das Grund-

übel94.

„Statt dem Menschen zu einem Beisichsein zu verhelfen, bringen Eigentum und Staat eine dreifache Ungleichheit und Entfremdung hervor: Sofern das Eigentum sich mit Gesetz und Recht umgibt, schafft es Reiche und Arme, sofern mit einer Obrigkeit, Herrschende und Beherrschte, und im Fall einer Willkür- und Gewaltherrschaft zusätzlich Herren und Sklaven“.95 In „Vom Gesellschaftsvertrag“ schlägt Rousseau einen politisch-

gesellschaftlichen und einen individuellen Ausweg vor, und zwar die Grün-

dung einer Gesellschaft mit einem „Staatswesen, das seine Macht von vorn-

herein an die Freiheit der Bürger bindet“96 und die Heilung des Individuums

durch Erziehung und die Wiedergewinnung der Naturnähe.

Eine ausschlaggebende Zäsur in der Entfaltung der Menschenrechtskonzep-

tion repräsentieren die amerikanischen Menschenrechtserklärungen des

achtzehnten Jahrhunderts, die erstmals eine logisch verfasste Kodifizierung

von Menschenrechten und Grundfreiheiten umfassen und wonach die Erhe-

bung des Naturrechts zum Gesetzesrecht erreicht wurde97.

Die wirtschaftliche und politische Freiheitsbewegung in Amerika wendete

sich hauptsächlich gegen die Übergriffe der englischen Herrschaft98. Die

93 Vgl. Höffe 2001, 178 ff. 94ebd. 95ebd., 180 96 ebd., 182 97 Vgl. Fenske 2003, 366 ff. 98 ebd.

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amerikanischen Menschenrechtserklärungen haben den Menschenrechts-

schutz als Staatszweck proklamiert99.

Die französische Menschenrechtserklärung von 1789 richtete sich an den

Staat und hob hervor, dass „die Unkenntnis, das Vergessen oder die Miss-

achtung der Rechte des Menschen die alleinigen Ursachen des öffentlichen

Unglücks und der Verderbtheit der Regierungen sind“.100

Das Gedankengut der französischen und amerikanischen Erklärungen präg-

ten die deutsche Naturrechtslehre und vor allem die Vernunftrechtslehre von

Immanuel Kant101. Immanuel Kant (1724 – 1804) gründete den Wert und die

Würde des Menschen auf dessen Selbstbewusstsein, Freiheit, Moralität und

Vernunft102. Beim Kategorischen Imperativ geht es um die Frage, was der

Mensch tun soll103.

Alle Dinge sind käuflich. Nur der Mensch hat Würde, nämlich einen Wert jen-

seits aller Nützlichkeit. Der Mensch verdient als Mensch und nicht aufgrund

von Leistungen Wertschätzung104. Alle Menschen sollen darum so miteinan-

der umgehen, dass sie ihrer aller Würde nicht verletzen. Sie sollen sich nicht

als Mittel gebrauchen und auch nicht gebrauchen lassen. Kein Mensch darf

einen anderen Menschen instrumentalisieren. Die Anerkennung der Persön-

lichkeit eines jeden Menschen ist allen Zwecken übergeordnet105. Eine Fas-

sung von Kants Sittengesetz lautet:

„Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Per-son eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ 106 Dieses Sittengesetz bezeichnet Kant als den „kategorischen Imperativ“, weil

es die Form eines Befehls hat und weil dieser Befehl ohne Ausnahme gilt.

99 ebd. 100 Oestreich 1968, 69 101 Vgl. Höffe 2001, 189 ff. 102 Oestreich, Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriss, Berlin 1968, 76 103 Vgl. Höffe 2001, 189 ff. 104 ebd. 105 ebd. 106 Höffe 2001, 198

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Das Sittengesetz ist kein religiöses Gebot, sondern vielmehr das Gesetz der

Vernunft selbst107.

Bei Kant bilden die Freiheit, die Gleichheit und die Selbständigkeit des Men-

schen Grundsätze jeder Gesetzgebung108. Auf der Grundlage eines Ethos

der Menschenwürde verlangt Kant, dass das Recht der Menschen „heilig

gehalten werden müsse, mag es der herrschenden Gewalt auch noch so

große Aufopferung kosten“109.

Bisher kann man zusammenfassend behaupten, dass die Menschenrechte

im modernen Sinn durch die Aufklärung und deren Ansätze vom Gesell-

schaftsvertrag begründet wurden. Ein Grundsatz der aufklärerischen Staats-

lehre postuliert, dass der Mensch durch einen Vertrag aus einem gesetzlo-

sen Urzustand in eine Rechtsordnung übergeht. Eine Besonderheit dieser

Rechtsordnung besteht darin, dass sie nicht als Selbstzweck betrachtet wird,

sondern ausschließlich dazu da ist, die Rechte der Menschen zu garantieren.

Die klassische aufklärerische Staatslehre (auch Vertragstheorie bzw. Kon-

traktualismus genannt) hat gemeinsame Grundelemente. Der Vertrag des

Kontraktualismus ist kein historischer Vorfall, sondern ein legitimationstheo-

retisches Gedankengebäude, das verschiedene Werte wie etwa politische

Gewalt, Eigentum, Freiheit und Geldwirtschaft rechtfertigen will110. Darum ist

der Kontraktualismus der Aufklärung keine deskriptive Theorie, sondern eine

normative Theorie, die eine Begründung politischer und sozialer Herrschaft

entwickelt111. Der Höhepunkt der Aufklärungsphilosophie wird vom kanti-

schen Vernunftrecht dargestellt, wobei die Vernunft die Grundlage der Men-

schenrechte ist112. Ansatzpunkt ihrer Begründung ist bei Kant das vorstaatli-

che Recht der Freiheit, das sich aus dem Wesen des Menschen ergibt. Die

Freiheit ist der ursprüngliche Anspruch, der als Kern des Rechtswesens gilt.

107 ebd. 108 Vgl. Oestreich 1968, 77 109 ebd. 110 Kersting, Vertragstheorien, 2003, 1653 ff. 111 ebd. 112 ebd., 1658

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Weil sie allen Menschen in gleichem Maß zusteht, umfasst sie genauso der

Grundsatz der Gleichheit113.

Der naturrechtliche Gedanke des vernünftigen Menschen hat inzwischen das

Menschenbild verändert und die aufklärerische Grundvorstellung der subjek-

tiven Rechte wurde allmählich in den liberalen Ordnungen durchgesetzt114.

Durch die industrielle Revolution in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts

verschlimmern sich die Lebensbedingungen des Proletariats dadurch, dass

die entstandenen Arbeiterbewegungen – durch den Kampf gegen die bürger-

lich-liberalen und individualistischen Rechte – zum Aufstieg der sozialen

Menschenrechte führen115.

Aufgrund des Totalitarismus im 20. Jahrhundert musste die Konzeption der

Menschenrechte noch einmal gewandelt werden116.

In der internationalen Gemeinschaft fand eine angespannte Auseinanderset-

zung bezüglich der Menschenrechte statt, die u. a. wegen Roosevelts These

der vier Grundfreiheiten – freedom of speech and expression, freedom of

every person to worship God in his own way, freedom from want und free-

dom from fear - zur Errichtung der Vereinten Nationen und zur Verabschie-

dung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte führten117.

„In the future days, which we seek to make secure, we look forward to a world founded upon four essential human freedoms. The first is freedom of speech and expression - everywhere in the world. The second is freedom of every person to worship God in his own way – eve-rywhere in the world. The third is freedom from want – wich, translated into world terms, means economic understandings wich will secure to every nation a healthy peace-time life for its inhabitants – everywhere in the world. The fourth is freedom from fear – wich, translated into world term, means a worldwide reduction of armaments to such a point and in such a thorough fashion that no nation will be in a position to commit an act of physical ag-gression against any neighbor – anywhere in the world.

113 ebd., 1659 114 Vgl. Oestreich 1968, 100 ff. 115 ebd., 105 116 Vgl. Fenske 2003, 499 ff. 117 ebd.

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That is no vision of a distant millennium. It is a definite basis for a kind of world attainable in our time and generation.(…) To that injust order we op-pose the greater conception - the moral order.”118 Das wichtige an diesen vier Freiheiten ist, dass sie über die Grenzen des

Nationalstaats hinweg gedacht werden119. Jeder Mensch, egal welcher Reli-

gion, Nationalität, Abstammung oder Hautfarbe, soll in den Genuss dieser

Rechte kommen120.

Die dritte Freiheit – die Freiheit von Mangel und Not, überall auf der Welt ist

bedeutsam, weil Roosevelt damit ausspricht, dass es zentrale Aufgabe so-

wohl staatlicher als auch supranationaler Instanzen sein muss, entschlossen

die Grundbedürfnisse der Menschen zu befriedigen und deren Lebensbedin-

gungen zu verbessern121. Roosevelt ist damit weit von der libertären Position

entfernt, die solche Maßnahmen als moralisch illegitim betrachtet, weil sie

aus ihrer Sicht Eingriffe in die Freiheit bedeuten122.

Aufgrund der Verschlechterung der Weltprobleme wuchs die Forderung nach

effizienterer internationaler Zusammenarbeit123.

Auf diese Art und Weise entstanden der Internationale Pakt über bürgerlich-

politische Rechte (IPbpR) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche,

soziale und kulturelle Rechte (IPwskR), beide 1966 verabschiedet, sowie

eine umfangreiche Vielfalt weiterer Konventionen und Abkommen124.

Schließlich nahmen die meisten Länder der Welt die Grund- und Menschen-

rechte in ihre Verfassungen auf, und andere Menschenrechtserklärungen

wurden im weiteren Verlauf auf regionaler Ebene verabschiedet: 1950 für

Europa, 1969 für Amerika, 1981 für Afrika und 1990 für die islamische

Welt125.

118 www.wwnorton.com/college/history/ralph/workbook/ralprs36b.htm 119 www.phil.euv.frankfurt-o.de/download/2004WS/PolitischePhilosophie/Kapitel09.pdf 120 ebd. 121 ebd. 122 ebd. 123 Vgl. Delbrück, Menschenrechte/Menschenrechtspolitik, 2003, 7080 ff. 124 ebd. 125 ebd.

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Es ist immer noch umstritten, ob die Geschichte der Grund- und Menschen-

rechte in der Antike beginnt, aber es gibt Gründe, über Antike und Men-

schenrechte nachzudenken, weil das wesentliche Element der Idee der Men-

schenrechte, nämlich die Vorstellung von Gleichberechtigung und Gemein-

wohl, bis in die Antike zurückverfolgt werden kann126.

Von diesem Ausgangspunkt her präsentiert Wolfgang Schmale eine kurz ge-

fasste Geschichte der Menschenrechte:

„Ein ideeller Entwicklungsstrang beginnt zweifellos in der Antike, spätestens mit der Naturrechtslehre der Stoa und der späteren Rezeption durch die Christen. Es folgten: ein neuer Sprung mit der Durchsetzung der Idee von der Glaubensfreiheit im 16. Jahrhundert; die politischen bürgerlichen Revolu-tionen in den Niederlanden, England, Amerika und Frankreich vom 16. bis 18. Jahrhundert; damit eng verbunden die umfassende Naturrechts- und Menschenrechtslehre der Aufklärung; Kodifizierung der Menschenrechte als Menschenrechte als Menschenrechte oder auch Grundrechte in Verfassun-gen und Rechtserklärungen seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert; ‚Export’ von Europa in die Welt; Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Ver-einten Nationen vom 10. Dezember 1948, usw. Weitere Entwicklungsstränge sind mit bestimmten geographischen Räumen, z. T. mit einzelnen Staaten, einhergehend mit der Manifestierung einer nationalen Identität, direkt ver-bunden. Andere Entwicklungsstränge sind nur regionalgeschichtlich be-stimmbar. Und immer wieder entfalteten einzelne Persönlichkeiten makrohis-torische Wirkungen“.127

1.2. Begründungsstrategien der Menschenrechte

Mit der Verabschiedung des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, sozia-

le und kulturelle Rechte 1966 wird das Recht auf angemessene Ernährung

als universelles Menschenrecht anerkannt. Aber wie lässt sich das Recht auf

angemessene Ernährung im Rahmen der Menschenrechte begründen?

Hierbei spielen die Begründungsstrategien eine zentrale Rolle, weil sie einen

strukturierten Komplex wissenschaftlicher Grundsätze bilden, womit die theo-

retische Rechtfertigung von Menschenrechten möglich ist128.

126 Vgl. Stourzh 2000,5 127 www.univie.ac.at/igl.geschichte/ws2001-2002/ringvo_ws2002_schmale.htm 128 Vgl. Nohlen, Begründungszusammenhang, 2003, 8066

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Ob sich die Menschenrechte in überzeugender Weise begründen lassen, ist

ausschlaggebend dafür, dass das Recht auf Nahrung als Menschenrecht

plausibel gemacht wird. Ihre Begründbarkeit ist deshalb eine unerlässliche

Vorbedingung seiner Darstellung.

Für eine Begründung der Menschenrechte sind grundsätzlich schlaglichtartig

zwei Theorien zu benennen: die Diskurstheorie und die Vertragstheorie.

1.2.1. Die Diskurstheorie

Kernthese der Diskurstheorie ist, dass ethische Fragen und damit auch die

Frage der Gerechtigkeit durch praktische Vernunft beantwortet werden kön-

nen. Unter praktischer Vernunft versteht man die menschliche Fähigkeit der

Anleitung und Bestimmung des Willens. Kant bestimmt die praktische Ver-

nunft als das Vermögen, allgemeine ethischen Prinzipien aufzustellen, nach

denen der Wille die Handlungen ausrichten soll129. Darum stützt sich diese

These auf die Tradition der kantischen Ethik und wird grundsätzlich von Jür-

gen Habermas und Robert Alexy vertreten130.

Unter Diskursethik wird derjenige Teil der Diskurstheorie verstanden, der sich

mit praktischen – und folglich ethischen und juristischen in Abweichung von

theoretischen – Fragen beschäftigt131.

Die Diskursethiker interpretieren die Vernunft auf der Grundlage der Sprach-

und Verständigungskompetenzen: die Vernunft ist nur im Rahmen der Spra-

che begrifflich, wobei die Verständigung ein essentielles Element jeder Rede

ist132. Unter dieser Bedingung entwickelt die Diskursethik ein Modell, dessen

explizite normative Bestimmungen aus impliziten normativen Kommunikati-

onsvoraussetzungen abgeleitet werden133.

Die Diskursethik besagt, dass die Menschenrechte als Normen mit universel-

ler normativer Wirksamkeit durch ein bestimmtes Verfahren begründet wer-

129 Vgl. Brieskorn 1997, 154 ff. 130 ebd. 131 Vgl. Kersting, Diskurstheorie, 2003, 143 ff. 132 ebd., 145 133 ebd.

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den können134. Als eine Theorie des Verfahrens der vernünftigen Begrün-

dung von Wert- und Verpflichtungsurteilen ist sie darauf gerichtet, ein System

von Diskursregeln zu erarbeiten. Damit wird sie als prozedurale Gerechtig-

keitstheorie gekennzeichnet135.

Diesem Ansatz nach besteht zwischen Legitimität und Wahrheit ein innerer

Nexus136. Der feste Glaube der Menschen an die Geltung ihrer Normen weist

einen innewohnenden Wahrheitsbezug auf137. Die Legitimationsüberzeugun-

gen implizieren den Anspruch universaler und rationaler Wirksamkeit, und

darum sind sie zu überprüfen138. Ausgangspunkt der prozeduralen Legitima-

tions- und Normenbegründung ist der ideale Diskurs als Legitimationsin-

stanz.

Habermas definiert Diskurs als „die argumentative, dialogisch konzipierte und

methodisch reflektierte Form des über die vernünftige Rede vermittelten be-

grifflichen Denkens“139, wonach die üblichen Legitimationskriterien wie bei-

spielsweise Gott, Natur oder Tradition durch die formalen Prozeduren des

Konsens (als vernünftige Einigung gleichberechtigter Menschen verstanden)

ersetzt werden. Und zwar muss der Konsens, der keine faktische Einigung

darstellt, den Regeln des idealen Diskurses entsprechen140. Diskursregeln

sind jedoch Rederegeln, während Menschenrechte Normen im Rahmen des

Handelns darstellen.141

„Ein direkter Schluss von den Diskursregeln auf die Menschenrechte ist nicht möglich. Die Diskursregeln sind nur Rederegeln. Sie einzuhalten, bedeutet lediglich, den anderen im Diskurs als gleichberechtigten Partner zu behan-deln. Daraus folgt noch nicht, dass der andere schlechthin, also auch im Be-reich des Handelns, als Person anerkannt werden muss. Aus einer sprach-pragmatischen Anerkennung folgt noch keine moralische oder rechtliche An-erkennung“142.

134 Vgl. Hinkmann 2002, 81 135 ebd. 136 Vgl. Rötgers 1995, 146 137 ebd. 138 Kersting, Diskurstheorie, 2003, 143 139 Kraemer 1995, 145 140 Vgl. Kersting, Diskurstheorie, 2003, 143 141 Hinkmann 2002, 84 142 Alexy, zit. aus Hinkmann 2002, 85

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Deshalb unterscheidet Alexy zwischen einer diskurstheoretischen Rechtferti-

gung der Diskursregeln und einer Rechtfertigung der Menschenrechte143.

Die Regeln des idealen Diskurses, die auch bei der Begründung der Men-

schenrechte eine zentrale Rolle spielen, lauten:

(1) Jeder darf bei Reden mitmachen;

(2) Jeder darf an jeder Äußerung zweifeln,

(3) Kein Mitsprecher darf daran gehindert werden, die vorhergehenden

Rechte wahrzunehmen144.

Alexy versucht diese Diskursregeln als objektiv geltende Regeln zu begrün-

den145. Seine Beweisführung setzt sich aus drei Elementen zusammen: ei-

nem transzendentalen bzw. transzendentalpragmatischen Element, einer

anthropologischen These, wonach das Menschenbild des Nutzenmaximie-

rers vorausgesetzt ist, und der empirischen Prämisse, wonach der Mensch

mit einem Interesse an Richtigkeit ausgestattet ist146.

Das transzendentale Argument besagt, dass Freiheit und Gleichheit der Mit-

sprecher Voraussetzungen des Sprechaktes der Behauptung sind147. Be-

hauptungen sind unerlässliche Bestandteile der allgemeinsten Lebensform

der Menschen148. Um einen Sprachakt als Behauptung betrachten zu kön-

nen, muss er mit einem Anspruch auf Richtigkeit verbunden sein. D. h., wer

etwas behauptet, erhebt einen Anspruch auf Richtigkeit und deswegen auf

Begründbarkeit149. Aus dem Anspruch auf Begründbarkeit folgt die Pflicht

des Behauptenden, das Behauptete auf Verlangen zu begründen150. Wer

etwas begründet, gibt vor, den anderen als gleichberechtigten Begründungs-

partner zu akzeptieren151. Wer sein ganzes Leben lang keine Behauptung

143 ebd. 144 Vgl. Edinger 2000, 20 145 Vgl. Hinkmann 2002, 86 146 ebd. 147 ebd., 87 148 ebd. 149 ebd. 150 ebd., 88 151 ebd.

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aufstellt und keine Begründung gibt, nimmt nicht an der allgemeinsten

Lebensform des Menschen teil152.

Mit der Konzeption der allgemeinsten Lebensform meint Alexy, dass die not-

wendigen Bedingungen des Sprechaktes der Behauptung allen menschli-

chen Lebensformen gemeinsam sind. D. h., jede menschliche Lebensform

hat das Potential und eine gewisse Praxis, verschiedene Interessenkonflikte

argumentativ zu lösen, auch wenn das nicht in jedem Fall geschieht153.

Mit der empirische Prämisse des Interesses an Richtigkeit meint Alexy, dass

der Mensch mit einem sozial wirksamen Interesse an Richtigkeit bzw. Wahr-

heit ausgestattet ist, und damit aus moralischer Überzeugung in jeder Kon-

fliktsituation argumentiert, um zu einer richtigen Lösung zu gelangen154.

Mit der individuellen Nutzenmaximierung meint Alexy, dass ein Konfliktver-

halten, das auf ökonomischer Vernunft basiert, Grundlage der Entfaltung je-

ner praktischen Vernunft ist, die mit Unterstützung der Diskursregeln reali-

siert werden soll155.

Die Begründung der Menschenrechte bzw. die Transposition der Argumenta-

tions- und Kommunikationsvoraussetzungen (Bereich des Diskurses) für den

Bereich der Menschenrechte (Bereich des Handelns) erfolgt durch drei

interdependente Thesen: der Autonomie, des Konsens und der

Demokratie156. Die Autonomiethese besagt, dass jeder Diskursteilnehmer,

die Autonomie seiner Gesprächpartner als gegeben annimmt, was die

Leugnung einiger Menschenrechte ausschließt157.

Die Konsensthese verbindet die Rechtmäßigkeit der Normen mit der hypo-

thetischen globalen Zustimmung des idealen Diskurses und rechtfertigt

grundsätzlich die Gleichheit der Diskursteilnehmer158. Die Demokratiethese

besagt, dass nur durch demokratische Prozesse die Diskursregeln und damit 152 ebd. 153 ebd., 90 154 Vgl. Brieskorn 1997, 158 155 ebd. 156 Vgl. Hinkmann 2002, 87 157 ebd. 158 ebd.

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auch die Menschenrechte in der Praxis sinnvoll umgesetzt werden kön-

nen159.

Habermas behauptet jedoch, dass Menschenrechte nur innerhalb des positi-

ven Rechts innerhalb eines Nationalstaates durchsetzt und sanktioniert wer-

den können160.

Alexy bekräftigt schließlich diese Sichtweise und weist darauf hin, dass Men-

schenrechte nur dann ordentlich verwirklicht werden können, wenn sie in po-

sitives Recht transformiert und in Bürgerrechte umgewandelt werden161.

1.2.2. Vertragstheorien bzw . Kontraktualismusansätze

Die Vertragstheorien umfassen Ansätze, die die Sozialordnung, die Verfas-

sung und den Staat begründen, in Analogie zu mehrseitigen Rechtsgeschäf-

ten mit wechselseitigem Vorteil162. Staatsformen und Normen werden als

begründet betrachtet, wenn sie durch die Normerzeugung die Billigung aller

Betroffenen erwerben163.

Die Vertragsüberlegung ist seit dem Altertum - durch das sophistische Ge-

sellschaftsverständnis –, dem Mittelalter – durch den Herrschaftsvertrag –

und der Neuzeit – durch das Vertragskonzept – nachweisbar164.

Vertragstheorien finden sich bei Thomas Hobbes, John Locke, Jean Jacques

Rousseau und Immanuel Kant165. Die Vertragstheorien gehen davon aus,

dass in einem fiktiv vorstaatlichen Naturzustand alle Menschen zugleich

gleich und frei sind, aber angesichts der allgemeinen Unsicherheitssituation

entstehen die Vertragsverhandlungen166. Die zweckmäßige Rationalität der

Vertragspartner bestimmt die Verfahrensweise und das Ergebnis der Ver-

tragsverhandlungen167.

159 ebd. 160 ebd., 93 161 ebd. 162 Vgl. Kersting, Vertragstheorien, 2003, 1660 163 ebd. 164 Vgl. Rieger, Vertragstheorien, 2003, 9986 165 ebd. 166 ebd., 1987 167 ebd.

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„Erst im Zuge der Ablösung der mittelalterlichen Naturrechtsteleologie und Ordo-Spekulation durch einen methodologischen und normativen Individua-lismus ist ein konstruktiver Kontraktualismus entstanden, der mit seinem Ar-gumentationsdreischritt: anarchischer Naturzustand – Vertrag – Gesell-schaft/Staat das Denken der politischen Philosophen und Naturrechtsjuristen des 17. und 18. Jh.s durchgängig bestimmt hat, der aber auch in der politi-schen Philosophie der Gegenart als Rechtfertigungstheorie des philosophi-schen Liberalismus große und systematische Bedeutung erlangt und mit sei-nen begründungstheoretischen Vorstellungen selbst in der zeitgenössischen Moralphilosophie Fuß gefasst hat.“168 Der Vertrag des Kontraktualismus ist bei den Philosophen der Neuzeit kein

historisches Geschehnis, sondern eher ein Gedankengebäude169. Der Kon-

traktualismus ist deswegen keine deskriptive Lehre, durch die historische

Verfahren erklärt werden, sondern ein normativer Ansatz, der eine Begrün-

dung politischer Gewalt formuliert170. Bei den Denkern der Neuzeit ist die

politische Gewalt grundsätzlich begründungsbedürftig171. Die Legitimations-

instanz ist dieser Theorie nach weder Gott noch die Natur, noch die Traditi-

on, sondern eher der freie und rationale Mensch: nur auf seinen rationalen

Willen kann die politische Gewalt begründet werden172.

„Aus vertragstheoretischer Perspektive ist der Mensch kein politisches Le-bewesen aristotelischen Zuschnitts mehr, dem die politisch-gemeinschaftliche Existenzform in die natürliche Wesensverfassung einge-schrieben wäre, sondern ein atomar-vereinzeltes, eigeninteressiertes Indivi-duum“173. Um die Herrschaftslegitimation zu erklären, entwickelt die Vertragstheorie

den Naturzustandsgrundsatz, indem alle staatlichen Leistungen fehlen und

jedermann nur seine Vorteile anstrebt, was zu Situationen bis hin zu einem

Bürgerkrieg führt174. Die einzige Möglichkeit, dieser chaotischen Situation zu

entkommen, besteht darin, dass man auf die absolute Freiheit verzichten und

eine gemeinschaftliche Koexistenz errichten muss175.

168 Kersting, Vertragstheorien, 2003, 1653 169 Vgl. Kersting, Vertragstheorien, 2003, 1654 170 ebd. 171 ebd. 172 ebd. 173 ebd. 174 ebd., 1655 175 ebd.

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Die individuelle Freiheitseinschränkung, die zur Etablierung der staatlichen

Ordnung erforderlich ist, wird nur unter der Rationalitätskondition der Re-

ziprozität begründet176. Der Staat ist also nur auf der Grundlage eines Ver-

trages durchführbar, wonach die Menschen sich gegenseitig zum Verzicht

der individuellen Freiheit und zur politischen Unterordnung verpflichten177.

Eine Wiederbelebung der Vertragstheorie in der Gegenwart startet mit der

Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls, deren Gegenstand die soziale

Gerechtigkeit ist.178 Rawls erschafft den Naturzustand mittels des „Schleiers

des Nichtwissens“ als ein fiktives Gedankentheorem, wodurch das Indivi-

duum in einer fairen Situation als gleichzeitig gleich und frei betrachtet

wird179.

In diesem Kontext gilt die Kooperation der rationalen Vertragspartner als vor-

teilhaft, jedoch will jeder sich zugleich eine möglichst großen Beteiligung an

Ressourcen sichern180. Unter diesen Umständen entstehen zwei Vertei-

lungsprinzipien, die darin bestehen, dass einerseits allen Bürgern die glei-

chen politischen und zivilen Freiheitsrechte zustehen und andererseits, dass

die sozio-ökonomischen Ungleichheiten nur zumutbar sind, insoweit sie in

einer Ordnung fairer Chancengleichheit auch den am wenigsten Begünstig-

ten zugute kommen181.

Elemente des ersten Prinzips sind:

• politisch-rechtliche Gleichheit und

• Maximierung der individuellen Freiheit182.

Durch den ersten Grundsatz lassen sich grundlegende bürgerlich-politische

Menschenrechte begründen183. Rawls nennt unter anderem das Wahlrecht,

das Recht auf Eigentum, die Rede- und Versammlungsfreiheit, die Gewis-

176 Vgl. Rieger, Vertragstheorien, 2003, 9988 177 ebd. 178 Vgl. Kersting, Vertragstheorien 2003, 1659 179 ebd. 180 Vgl. Kühn 1984, 18 181 Kersting, Vertragstheorien, 2003, 1662 182 ebd. 183 Edinger 2000, 18

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sens- und Gedankenfreiheit, die Freiheit der Person und das Recht auf

Schutz vor willkürlicher Inhaftierung184.

Dem gegenüber stehen die Elemente des zweiten Prinzips:

• Chancengleichheit nicht nur als formale Chancengleichheit (in Form

gleicher gesetzlichen Rechte auf vorteilhafte soziale Positionen), sondern

auch als faire Chancen (Menschen mit ähnlichen Fähigkeiten sollten ähnliche

Lebenschancen haben) betrachtet185.

• Das Differenzprinzip heißt, dass Ungleichheiten nur dann gerechtfer-

tigt sind, wenn sie auch den am schlechtesten gestellten Mensch zum Vorteil

gereichen. Durch dieses Prinzip wird die Pareto-Optimalität bzw. das Nut-

zenprinzip des Utilitarismus ersetzt186. Ein Zustand ist pareto-optimal, „bei

dem (...) das Wohlergehen eines (...) Gesellschaftsmitglieds nicht erhöht

werden kann, ohne daß dadurch mindestens ein anderes Individuum eine

Einbuße erleidet.“187

Aus diesem zweiten Grundsatz heraus werden einige soziale Menschenrech-

te begründet188. Zwischen den Grundsätzen besteht, so Rawls, eine klare

Rangfolge, nach der das Verteilungsprinzip des zweiten Grundsatzes der

gleichen Freiheit aller nachgeordnet ist189. Folglich muss sich daraus ein

Primat der bürgerlich-politischen vor den sozialen Menschenrechten erge-

ben190.

Menschen im Urzustand entscheiden sich aus folgenden Gründen für die

beiden Gerechtigkeitsprinzipien191:

• Durch das erste Prinzip wird das Grundgut der Freiheit für alle

184 ebd. 185 Vgl. Kühn 1984, 24 186 ebd. 187 Fuchs-Heinritz/Lautmann 1995, 487 188 Edinger 2000, 19 189 ebd. 190 ebd. 191 Kühn 1984, 22 ff.

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32

gesichert

• Sicherstellung der Annehmbarkeit der schlechtest möglichen Position

• Allgemeine Anerkennung, weil jeder Vorteile daraus zieht, damit auch

Stabilität des Systems

• Förderung der Selbstachtung, weil jeder Mensch als Selbstzweck, und

nicht (wie beim Utilitarismus) als Mittel gesehen wird.

Weil Rawls Theorie der Gerechtigkeit nur auf das innergesellschaftliche Insti-

tutionssystem bezogen ist, hat Rawls seine Theorie auf die zwischenstaatli-

che Ebene gedehnt und damit nicht nur die Menschenrechte als verfas-

sungsrechtliche Grundrechte, sondern auch als Komponente des Völker-

rechts zu begründen versucht192.

Dieses Ziel verfolgt Rawls in „The Law of Peoples“, der überarbeiteten Fas-

sung einer Amnesty-International-Vorlesung aus dem Jahr 1993193. In die-

sem Werk erweitert Rawls sein Urzustandsmodell nicht im Sinne eines Indi-

vidualismus auf die globale Ebene mit der Folge, einen universalen

Umverteilungsgrundsatz zugunsten der schlechtest gestellten Menschen zu

verlangen; er formuliert vielmehr einen Prozess in zwei Ebenen, wobei jedes

Volk für sich faire Regeln entsprechend den Grundsätzen der Theorie der

Gerechtigkeit einrichtet194. Anschließend etablieren die Völker gemeinsame

Prinzipien, um miteinander umzugehen:

„(1) Peoples are free and independent, and their freedom and independence are to be respected by other peoples; (2) Peoples are to observe treaties and undertakings; (3) Peoples are equal and are parties to the agreements that bind them; (4) Peoples are to observe a duty of non-intervention; (5) Peoples have the right of self-defense but no right to instigate war for reasons other than self-defense; (6) Peoples are to honor human rights; (7) Peoples are to observ certain specific restrictions in the conduct of war; (8) Peoples have a duty to assist other peoples living under unfavorable conditions that prevent their having a just or decent political and social regime“.195

192 Vgl. Hinkmann 2002, 185 193 ebd. 194 ebd., 186 195 Rawls 1999, 37, zit. nach: Hinkmann 2002, 191

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33

Die acht Grundsätze der gerechten Gemeinschaftlichkeit werden zunächst in

liberalen Demokratien konstitutionell entwickelt, aber sie müssen – als Prin-

zipien für deren Außenpolitik - für „anständige“ Völker gebilligt werden, damit

sie rechtsverbindlich sind196. Diese acht gewissen Grund- und Menschen-

rechte, behandeln ihre Bürger als kompetente und kooperationsfähige Mit-

glieder der sozialen Ordnung, ihr Rechtssystem wird von einer gemeinsamen

Vorstellung der Gerechtigkeit inspiriert, und sie sind nicht aggressiv gegen

andere Staaten197.

Rawls Grundsätze der internationalen Gemeinschaftlichkeit wird auch kriti-

siert, weil trotz des Verweises auf die Achtung der Menschenrechte der

sechste Grundsatz nur rudimentär formuliert ist198.

Trotzdem betont Rawls, dass die Einhaltung der bürgerlich-politischen Rech-

te die Erfüllung bestimmter Verwirklichungsbedingungen verlangt, denn wenn

den Mitgliedern einer politischen Gesellschaft nicht die nötigen Grundgüter

zur Verfügung gestellt werden, um ihnen einen effektiven Genuss ihrer

Grundfreiheiten zu ermöglichen, sind diese wert- und nutzlos199.

Tatsächlich ist für einen verhungernden Menschen ein Anspruch auf Aner-

kennung als Rechtsperson nicht viel wert: Ohne faire Nahrungsversorgung,

Ausbildungsmöglichkeiten, eine gerechte Einkommensverteilung, eine fun-

damentale öffentliche Gesundheitsvorsorge und sogar eine angemessene

Arbeitsmarktpolitik, sind die liberalen bürgerlich-politische Rechte für viele

Mitglieder einer politischen Gemeinschaft unwirksam200.

1.3. Der Menschenrechtsbegriff

Dass das Recht auf angemessene Ernährung als Menschenrecht anerkannt

wird, ist unbestritten, aber wie kann man ein Menschenrecht definieren? In

196 ebd., 192 197 ebd. 198 ebd. 199 ebd., 193 200 ebd.

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ihrem naturrechtlichen Signifikat werden Menschenrechte als unantastbare,

unveräußerliche und überstaatliche Rechte des Menschen bezeichnet, die

ihm allein aufgrund seiner Menschenwürde zustehen201.

„Menschenrechte im strengen Sinn des Wortes können nur Rechte sein, die dem Menschen als solchem kraft seines Wesens als Träger höchster geisti-ger und sittlicher Werte zukommen. Sie müssen also als vorstaatlich gege-bene Rechte bestehen und können durch Positivierung in der staatlichen o-der zwischenstaatlichen Rechtsordnung nur anerkannt und umschrieben, nicht verliehen werden“202. Aus dieser Begriffsbestimmung werden drei Elemente abgeleitet: Vorstaat-

lichkeit, naturrechtliche Grundlegung und Individualbezug der Menschen-

rechte203. Es wird hervorgehoben, dass Menschenrechte unabhängig von

staatlicher Anerkennung vorhanden sind: obwohl durch den Fakt der Positi-

vierung Menschenrechte anerkannt und umschrieben werden, ist die Positi-

vierung dieser Rechte nicht unbedingt erforderlich für ihre Existenz204. Damit

werden sie einerseits aus der gelegentlichen Willkür des Gesetzgebers he-

rausgezogen, und andererseits können sie operationalisiert werden205.

Ein Kardinalproblem, das bei der Auseinandersetzung der Menschenrechte

eine große Rolle spielt, ist die tatsächliche Verwirrung der Grund-, Bürger-

und Menschenrechtsdefinition206. Ausgangspunkt der Erläuterung ist die Be-

trachtung der Menschenrechte als Oberbegriff, wobei Grundrechte Men-

schenrechte in eine Verfassung übergesetzt sind, denn sie werden in einer

Rechtsform verankert und konkretisiert207. Bürgerrechte sind andererseits

eine besondere Ausprägung der Grundrechte, die nur den Bürgern eines be-

stimmten Staates zustehen208.

201 Vgl. Brieskorn 1997, 17 202 Friesenhan 1961, 504 203 ebd. 204 ebd., 505 205 ebd. 206 Vgl. Fritzsche, Menschenrechte, Paderborn 2004, 22 207 ebd. 208 ebd.

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2. Der Grundgedanke eines Rechts auf Nahrung

Das Recht auf angemessene Nahrung ist ein grundlegendes Menschenrecht,

das allen Menschen auf der Welt zusteht209. Dieses Recht basiert auf der

Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Men-

schenrechte und ist in zahlreichen internationalen Instrumenten bestätigt

worden. Das Recht auf Nahrung ist durch den Internationalen Pakt über wirt-

schaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 – den sog. Sozialpakt der

Vereinten Nationen - völkerrechtlich verbindlich210.

Das Recht auf Nahrung wird als Recht aller Menschen auf Zugang zu pro-

duktiven Ressourcen definiert. Beim Recht auf Nahrung handelt es sich nicht

hauptsächlich darum, mit Nahrungsmitteln versorgt zu werden, sondern viel-

mehr darum, Menschen die Chance zu ermöglichen, sich selbst zu versor-

gen. Der Staat soll dafür geeignete Rahmenbedingungen gestalten, die es

den Menschen erlaubt, sich selbst zu ernähren211.

Die Erklärung über Fortschritt und Soziale Entwicklung von 1969 betont,

dass es eine Verpflichtung der Staaten ist, „Hunger und Unternährung zu

beseitigen und das Recht auf angemessene Ernährung zu gewährleisten“212.

Die Allgemeine Erklärung zur endgültigen Beseitigung von Hunger und Man-

gelernährung von 1974 weist darauf hin, dass jeder Mensch „das unveräu-

ßerliche Recht darauf hat, von Hunger und Mangelernährung befreit zu wer-

den, um sich frei entfalten und seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten

erhalten zu können“213, und sie betrachtet zugleich, dass die internationale

Gemeinschaft bereits über die erforderlichen Ressourcen verfügt und demzu-

folge in der Lage ist, die angestrebte Zielsetzung zu erreichen214.

209 Alston, 1984, 22 210 Vgl. Eide, Asbjørn 1995, 89 211 http://gpool.lfrz.at/gpool/main.cgi?rq=ed&etid=29&eid=67003&oid=699&th=1 212 UNO, Erklärung über Fortschritt und soziale Entwicklung, verkündet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in ihrer Resolution 2542 (XXIV) vom 11. Dezember 1969, II Art.10b: http:// www. fao. Org/Legal/RTF/intl/intl_e.htm 213 http://www2.gtz.de/right-to-food/deutsch/akteure.htm 214 ebd.

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Darüber hinaus wurde das Recht auf angemessene Ernährung in der Erklä-

rung über die Rechte der behinderten Menschen von 1975, die Vorschriften

des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der

Frau von 1979 und der Erklärung zum Recht auf Entwicklung von 1986 be-

kräftigt215.

Überdies bekräftigen die Erklärung über die Rechte des Kindes von 1959

und das Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 1989 das Recht

jedes Kindes auf eine Lebensqualität, die die seelische, körperliche und so-

ziale Entfaltung des Kindes gewährleistet216.

Zusätzlich unterstreicht das Zusatzprotokoll zum Amerikanischen Überein-

kommen über Menschenrechte im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und

kulturellen Rechte von 1988 in seinem Art. 12, dass jeder das Recht auf

angemessene Ernährung hat, „durch welche die Möglichkeit gewährleistet

wird, ein Höchstmaß an körperlicher, emotionaler und geistiger Entwicklung

zu genießen“217.

Ein weiteres Dokument zum regionalen Menschenrechtsschutz, die Allge-

meine Erklärung der Menschenrechte im Islam von 1981, bestätigt das Recht

eines jeden, Nahrung und Trinken zu erhalten. Darüber hinaus erkennt die

ILO-Konvention 169 über die Indigene Völker das Recht auf angebrachte

Ernährung an218.

Daneben wurde das Recht auf angemessene Nahrung in Abschlussdoku-

menten zahlreicher internationaler Gipfeltreffen und Zusammenkünfte aner-

kannt und bekräftigt: inter alia, die Welternährungskonferenz von 1974, die

Erklärung von Cocoyoc von 1974, die Declarations of Principles and Pro-

gramme of Action of the World Conference on Agrarian Reform and Rural

Development von 1979, der Weltkindergipfel von 1990, die International Con-

ference on Nutrition von 1992, die Erklärung von Wien und das Aktionspro-

215 http://www.gtz.de/right-to-food/download/WF_stand_depatte.pdf 216 ebd. 217 ebd. 218 ebd.

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37

gramm der Weltmenschenrechtskonferenz von 1993, die Kopenhagener Er-

klärung und das Aktionsprogramm des Weltsozialgipfels von 1995, die Welt-

frauenkonferenz in Beijing von 1995, der Welternährungsgipfel in Rom von

1996 und sein verabschiedeter Aktionsplan zur Verbesserung der Ernäh-

rungssituation und außerdem der Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen

von 2000, dessen erste Ziel ist, den Anteil der Hungernden durch soziale und

finanzielle Maßnahmen auf die Hälfte zu reduzieren219.

In der verabschiedeten Erklärung des World Food Gipfels im Juni 2002, wur-

de „the right of everyone to have access to safe und nutritious food“ aner-

kannt, und die UN-Welternährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO

hat zuletzt durch einen Leitlinienkatalog im Jahr 2004 das Recht auf Nahrung

festgeschrieben220.

Obwohl das Recht auf Nahrung, wie schon kurz dargestellt, in zahlreichen

internationalen und regionalen Rechtstexten kodifiziert ist, blieb es lange Zeit

ignoriert, ein Charakteristikum, das es allgemein mit den anderen wirtschaft-

lichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte teilte. D. h., das Recht auf

Nahrung wird nur als programmatisches Leitprinzip betrachtet, ohne in der

Praxis eine bedeutende Rolle zu spielen. Das Problem der Umsetzung des

Rechts auf Nahrung ist vergleichbar mit der Realisierung anderer sozialer

Menschenrechte, gegen deren Rechtscharakter Vorbehalte formuliert wer-

den. Weil diese Rechte nicht unmittelbar realisierbar erscheinen, könne es

sich um keine Menschenrechte handeln, sondern vielmehr um politische

Zielvorgaben, die lediglich eines Tages und unter bestimmten finanziellen

Voraussetzungen verwirklicht werden könnten. 221

2.1. Die Welternährungslage

Inzwischen leiden Millionen Menschen auf der Welt an Hunger, Mangeler-

nährung oder unter den Folgen ihrer unsicheren Ernährungslage. Auf keinen

219 ebd. 220 http.//www.vistaverde.de/news/Politik/0409/27_nahrung.php 221 Vgl. van Hoof 1984, 97 ff.

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Fall ist diese prekäre Lage in einem Mangel an Nahrungsmittel begründet,

weil die Ressourcen der Erde alle Bewohner ernähren können222.

„Trotz Fortschritten sind immer noch über 850 Millionen Menschen unterer-nährt, und jährlich sterben 10 Millionen, vor allem Kinder unter 5 Jahren, an den Folgen von Unter- und Mangelernährung. Alle 6 Sekunden stirbt ein Kind daran. So komplex die Ursachen von Armut und Hunger sind, so vielfältig präsentieren sich auch die geeigneten Lösungsansätze. Patentrezepte gibt es leider nicht. Nur eines ist sicher: Hunger ist nicht in erster Linie ein Ange-bots- oder Produktionsproblem, denn weltweit wird genügend Nahrung her-gestellt.“223

Nachfolgend soll aufgezeigt werden, dass gute politische und wirtschaftliche

Rahmenbedingungen in den Entwicklungsländern sowie eine gerechtere in-

ternationale Ordnung die Schlüsselfaktoren zur Bekämpfung der Armut und

des Hungers darstellen224. Zunächst werden jedoch der aktuelle Stand der

Welternährungslage skizziert und die wichtigsten Ursachen der Unterernäh-

rung aufgeführt.

Schätzungsweise 1,2 Milliarden Menschen müssen pro Tag mit weniger als

einem US-Dollar auskommen. Etwa 1,3 Milliarden Menschen besitzen kein

sauberes Trinkwasser, 2 Milliarden leben unter schlechten sanitären Bedin-

gungen, und die Haushalte von 2 Milliarden – einem Drittel der Menschheit –

haben keinen elektrischen Strom. 852 Millionen Menschen sind unterernährt.

„More than one billion people are chronically hungry. Every year 13 to 18 mil-lion people die as a result of hunger and starvation. Every 24 hours, 35 000 human beings die as a direct or indirect result of hunger and starvation - 24 every minute, 18 of whom are children under five years of age. No other disaster compares to the devastation of hunger. More people have died from hunger in the last two years than were killed in World War I and World War II together”.225

Als Hauptgrund für Hunger und Unterentwicklung wird die Armut

gekennzeichnet226.

222 www.verbraucherministerium.de/index-00022AF443241154A9F26521C0A8D8.htm 223 FAO, Landwirtschaft: Horizont 2010, Doc. C 9324, Rom 1993, 1: http:// www. Fao.org/Legal/RTF/intl_e.htm 224 Vgl. Allgemeine Bemerkung Nr. 12 E/c.12/1999/ 5: www.fao.or/Legal/RTF/intl.intl-e.htm 225 United Nations, Right to adequate food as a human right, New York 1995. In: www.un.org/rights/HRToday/hrbiblio.htm 226 von Blanckenburg 1986, 50

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„Hinsichtlich der Hintergründe und der Hauptzusammenhänge des Welter-nährungsproblems werden in der öffentlichen Diskussion ziemlich verschie-dene Auffassungen vertreten. Hier ist der Zusammenhang zwischen Armut und Mangelernährung bedeutsam“227. Vormals wurde geglaubt, dass Hunger grundsätzlich ein Produktionsproblem

sei, das mit angebotsseitigen Strategien beseitigt werden kann228. In diesem

Sinne ist zwar eine Steigerung der Agrarproduktion erforderlich, aber ebenso

wichtig ist der Zugang zu Nahrung durch nachfrageseitige Maßnahmen, da-

durch, dass der Teufelskreis der Armut durchbrochen werden kann229.

„Unterernährung führt zu einer geringen Arbeitsproduktivität, Unterbeschäfti-gung und Armut und damit zu einer geringen Kaufkraft, die den Erwerb von Nahrungsmitteln erschwert“

230.

Im 4. World Food Survey wurde darauf hingewiesen, dass Mangelernährung

besonders in Ländern mit geringen Einkommen und mangelhafter

Wirtschaftsentwicklung erscheint. Ungenügend ernährte Menschen finden

sich grundsätzlich unter denen, die arm sind, und zwar unter den landlosen

Landarbeitern, städtischen Arbeitslosen und den Gelegenheitsarbeitern.

„Das Ernährungsproblem ist demnach zu einem erheblichen Teil bedingt durch die Höhe der Einkommen und durch die Einkommensverteilung in ei-ner Bevölkerung. Menschen, die sich nicht aus Eigenbau mit Nahrung selbst versorgen können, müssen diese kaufen, und viele haben nicht genügend Einkommen oder Kaufkraft, um für sich und ihre Familien hinreichende Nah-rung zu erwerben. Wie schon erwähnt, erschwert die Armut unter den Kon-sumenten auch ein Anheben der Nahrungspreise, wie es zur Erhöhung des Nahrungsangebotes der Landwirtschaft erwünscht wäre“231. Da Hunger kein Agrarproduktionsproblem, sondern vielmehr das Ergebnis

eines Verteilungspolitikdefizits ist, hat Jean Ziegler, UN-

Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, erläutert, dass der Acker-

bau heutzutage Nahrungsmittel für zwölf Millionen Menschen erzeugt. Dies

geschieht bei einer Weltbevölkerung von 6 Milliarden. Ziegler behauptet,

227 ebd. 228 ebd., 58 ff. 229 ebd. 230 Horber 2000. In: http: // www.humanrights.ch/cms/pdf/001012_horber.pdf 231 FAO 1977. Zit. nach: von Blanckenburg 1986, 61

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dass die katastrophale Ernährungslage auf die mörderische und absurde

Weltordnung zurückzuführen ist232.

Das weltweite Nahrungsaufkommen ist nicht von Knappheit, sondern Über-

fluss geprägt: Die Produktion von Weizen, Reis und anderem Getreide reicht

allein für eine Versorgung jedes Menschen mit 3.500 Kalorien täglich aus,

dazu kommt das allgemein gegessene Gemüse, Bohnen, Nüsse, Wurzelge-

müse usw., Obst, Milch und Milchprodukte, Eier, Fleisch aus bäuerlicher Hal-

tung, Fisch. Genügend Nahrung ist vorhanden, mindestens 4,3 Pfund Nah-

rung stehen täglich weltweit pro Person zur Verfügung: 2,5 Pfund Getreide,

Bohnen und Nüsse, ca. 1 Pfund Obst und Gemüse und fast 1 Pfund Fleisch,

Milch und Ei. Jedoch sind viele Menschen zu arm, um genügend Nahrungs-

mittel zu kaufen. Die meisten „Hungerländer“ verfügen derzeit sogar über

genügend Nahrung für ihre Bevölkerung. Viele sind Nettoexporteure von

Nahrung und anderen Agrarerzeugnissen233.

Einer Studie des Worldwatch-Instituts von Washington zufolge würden die

Nahrungsmittel ausreichen, um alle Menschen zu ernähren – allein wenn

man berücksichtigt, dass immer noch bis zur Hälfte der Weltgetreideernte an

Tiere verfüttert wird, die dann geschlachtet werden234. Würden die Menschen

dieses Getreide direkt verzehren, anstatt es an Tiere zu verfüttern, könnte

die siebenfache Anzahl Menschen davon satt werden235.

Die Welt ist voller Überflussbeispiele. Worldwatch hat errechnet, dass jährlich

75 Milliarden Dollar für Luxusgüter wie Make Up, Parfüms, kulinarische Vor-

lieben, Kreuzfahrten oder Eiscreme ausgegeben werden, während für die

Gesundheitsvorsorge von Frauen, die Beseitigung von Hunger und Unterer-

nährung, sauberes Trinkwasser, die Impfung von Kindern und den Kampf

gegen den Analphabetismus 47,3 Milliarden nötig wären. Allein die Gelder,

die dem Mineralwasser und Hundefutter in den Industrieländern zugewiesen

232 www.vistaverde.de/news/Politik/0301/15 hunger.htm 233 Vgl. www.awitness.org/journal/mythen_hunger.html 234 www.worldwatch.or/pubs.drew/2004 235 ebd.

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werden, könnten das Problem des Hungers und des Trinkwassers von zwei

Drittel der Menschheit lösen236.

2.2. Erklärungen zu den Ursachen des Hungers

2.2.1. Der Armutsansatz

Armut kann sich als eine defizitäre Grundbedürfnisbefriedigung definieren237.

In diesem Sinne sind dann diejenigen Menschen arm, deren Konsum bzw.

Grundbedarfsgüter einen absoluten oder relativen Standard nicht erreicht,

weil den bedürftigen Menschen Mindestbedingungen für eine wirksame Teil-

nahme am Prozess der gesellschaftlichen Güterstellung und Güterverteilung

fehlen238. Eine erforderliche Kondition für eine unternehmende Beteiligung an

diesem Vorgang ist der Zugang zu Produktionsmitteln239. Ebenso wichtig in

dieser Hinsicht sind die körperlichen und geistigen Fähigkeiten, um diese

Produktionsmittel wirkungsvoll nutzen zu können. Hinreichende Ernährung,

Bildung und Gesundheit werden als integrale Bestandteile der Grundbedürf-

nisbefriedigung berücksichtigt240.

Die individuelle Wahrnehmung von Armut wird ausschlaggebend mitbe-

stimmt von dem sozialen Wertesystem, an dem sich das Individuum orien-

tiert241. Die Kriterien zur Unterscheidung der Armen von den Nichtarmen

spiegeln auch kollektive Prioritäten und Vorstellungen von Wohlfahrt und An-

sprüchen wider242.

Definiert man Armut als defizitäre Grundbedürfnisbefriedigung, dann können

solche Defizite mittels sozialer Indikatoren gemessen werden243. Als soziale

Indikatoren werden theoretische Begriffe wie Ernährung, Gesundheit oder

Bildung verwendet244. Für das Bildungswesen z. B. kann die Einschulungs-

quote als Input-Indikator und die Alphabetisierungsquote als Output-Indikator

236 www.worldwatch.or/pubs/sow/2004 237 Sangmeister, Armut, 2003, 4328 238 ebd. 239 ebd., 4329 240 ebd. 241 ebd. 242 ebd., 4330 243 ebd. 244 ebd., 4331

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verwendet werden, während beim Nahrungswesen das tägliche Kalorienan-

gebot pro Kopf als Input-Indikator und die Lebenserwartung bei der Geburt

als Output-Indikator dient245.

„Anspruchsvollere Indizes der Armut lassen sich durch Zusammenfassung relevanter statistischer Maßzahlen bilden; dadurch werden die in den sozia-len Indikatoren enthaltenen Informationen fokussiert. Eine Möglichkeit der Aggregation sozialer Indikatoren stellt der Human Development Index (HDI) dar, der vom UNDP seit 1990 berechnet wird. Der HDI setzt sich aus den als soziale Leitindikatoren verstandenen variablen Lebenserwartung bei der Ge-burt, Alphabetisierungsquote, durchschnittliche Dauer des Schulbesuchs so-wie dem realen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zusammen.“246 Die Entwicklungspolitik hat sich in den letzten Jahrzehnten an wechselnden

theoretischen Modellen orientiert und daraus verschiedene Vorhaben der

Armutsbekämpfung abgeleitet247.

Zur Zeit sind die Entwicklungspolitikexperten sich einig, dass zur Bewältigung

des Armutsproblems in Entwicklungsländern wenigstens zwei Strategien mit-

einander verknüpft werden müssen: (1) eine Wirtschafts- und Finanzpolitik,

die auf Wachstum gerichtet ist; (2) spezielle Programme, um die Verdienst-

möglichkeiten der Armen zu steigern 248.

Die Armut in Entwicklungsländern wird jedoch durch die ungleiche Verteilung

von Boden, Finanzkapital, Sachkapital sowie durch die defizitäre Ausstattung

mit Humankapital fortgesetzt249.

Ein Kampf gegen die Massenarmut muss als ethischer Imperativ verstanden

werden; aber auch unter funktionalen Kriterien erlangt die Armutsbekämp-

fung ein zentrales Signifikat, weil Ernährung, Gesundheit, Bildung sowie die

Erfüllung anderer Grundbedürfnisse Bedingungsfaktoren von Produktivität

und wirtschaftlicher Dynamik sind250.

245 ebd., 4332 246 United Nations Development Programme, Human Development Report 1991, 90. Zit. nach: Sangmeister 2003, 4334 247 Thibaut 2003, 7997 248 Sangmeister, Armut, 2003, 4335 249 ebd. 250 ebd., 4336

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43

2.2.2. Die Dependenz-Theorie

Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist, dass es lediglich eine kapitalistische

Welt gibt, und dass das Schicksal der einzelnen Länder von ihrem Standort

abhängt251. Die Kernländer bzw. Industrieländer stehen den Peripherielän-

dern bzw. den Entwicklungsländern gegenüber. Diese sind unterentwickelt,

weil die Industrieländer durch eine systematische Ausbeutung das Kapital

aus den Entwicklungsländern herausgenommen haben. Sie sind zurück-

geblieben, weil die Industrieländer sie durch verschiedenen Vorrichtungen in

Dependenz halten und ihnen immer noch die Kosten für den Fortschritt der

Industrieländer aufbürden252.

Die Landwirtschaft spielt hier eine große Rolle, weil das Ziel der Industrielän-

der darin besteht, eine globale Arbeitsteilung zu verwirklichen253. Unter die-

sen Umständen müssen die Peripherieländer besonders landwirtschaftliche

und mineralische Primärprodukte zum Export produzieren, während die Zent-

ralländer Industriegüter erzeugen. Die Orientierung der Nahrungsproduktion

auf den Export hindert die Peripherieländer daran, die Mangelernährung ihrer

Bevölkerung zu beseitigen254.

„Auf dieser Grundthese, auf der die wirtschaftlich übermächtigen Industrie-länder die Entwicklungsländer in Abhängigkeit und auf Agrarexporte ausge-richtet halten, baut sich die Behauptung von der Schuld der reichen Länder am Hunger in der Welt auf. Es wird unterstellt, dass der hohe Nahrungskon-sum in den Industrieländern zu Lasten der Entwicklungsländer gehe, dass die Industrieländer die Entwicklungsländer hinderten, sich vorrangig auf Selbstversorgung ihrer Bevölkerung mit Nahrung auszurichten, dass der große Fleischkonsum in den Industrieländern weitgehend auf Getreide- und Maniok-Exporten der Entwicklungsländer, die hier zur Tierfütterung verwen-det werden, beruhe, dass der hohe Energieaufwand in der landwirtschaftli-chen Erzeugung der Industrieländer die Energiekosten für die Entwicklungs-länder verteure.“255

251 von Blanckenburg 1986, 63 252 ebd. 253 ebd. 254 ebd., 64 255 von Blanckenburg 1986, 64

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44

2.2.3. Der Neokolonialismus

Der Neokolonialismus ist die Fortsetzung der Kolonialherrschaft mit politi-

schen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, militärischen oder technischen

Mitteln256.

Vor allem multinationale Konzerne gelten als Mechanismen für die Erhaltung

der agrarexportierenden Strukturen in den Entwicklungsländern257. Die Oli-

garchie bzw. die Elite der Entwicklungsländer ist den wirtschaftlichen Interes-

sen der reichen Länder untergeordnet und damit an der Bewährung der

strukturellen Dependenz beteiligt258.

2.2.4. Der progressive Ansatz

Frances Moore Lappé und Joseph Collins behaupten in ihrem Buch „Food

First“ (1978), dass jedes Land in der Lage sein sollte, sich selbst zu ernäh-

ren259. Die Nahrungsversorgung der einheimischen Bevölkerung gelingt den

Entwicklungsländern nicht, weil zwischen der Oligarchie der Entwicklungs-

länder, den multinationalen Konzernen und den Interessenvertretungen der

Industrieländer ein Bündnis besteht260. Eliten und multinationale Konzerne

verfügen über den Einsatz von Land, Arbeitskräften, Kapital, Kredit, Techno-

logie und Forschung ausschließlich, um ihr eigenes Bestreben nach Profit zu

befriedigen261.

„Besonders liegt Collins und Lappé daran, zu zeigen, wie die reichen Natio-nen ihre internationale wirtschaftliche Machtstellung und auch ihre Entwick-lungshilfeprogramme nutzen, um eine Kontrolle über die Agrarmärkte der Dritten Welt zugunsten ihrer eigenen Wirtschaft zu gewinnen. Diese Überle-gungen führen sie zu dem Schluss, das primär nicht die Entwicklungsländer, sondern die reichen Länder für den Hunger in der Dritten Welt verantwortlich sind. Sie folgern daraus, dass zur Lösung des Problems eine stärkere Ab-koppelung der Entwicklungsländer vom internationalen Austausch erforder-lich ist und dass dort der Nahrungsproduktion erste Priorität mit dem Ziel der Selbstversorgung – ‚Food First’ - zuerkannt werden muss“.262

256 ebd., 66 257 ebd. 258 ebd., 67 259 ebd., 68 260 ebd. 261 ebd., 69 262 ebd.

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45

Susan George behauptet in ihrem Buch „How the Other Half Dies“ (1976),

dass die Menschen in der Dritten Welt verhungern, weil sie arm sind. Die

Ungleichheiten im Landbesitz werden als Hauptgrund der Armut ausgewie-

sen. Die Lebensmittel sind teuer, weil die Preise vom Landbesitzer und letzt-

lich vom Weltwirtschaftssystem bestimmt werden263.

„Schlechte Rahmenbedingungen im Süden: Ein Blick auf die Staaten mit dem höchsten Anteil von Unterernährten an der Gesamtbevölkerung oder auf die Liste negativer Länderbeispiele zeigt eine der wichtigsten, wenn nicht die Hauptursache von Armut und Hunger auf: schlechte politische und wirtschaft-liche Rahmenbedingungen. Ineffiziente Regierungssysteme, wachsende An-zahl von bewaffneten Konflikten und Naturkatastrophen, Korruption, hohe Militärausgaben, gravierende Demokratiedefizite, fehlende Strategie zur Ein-dämmung des Bevölkerungswachstums, wachstumsfeindliche Wirtschaftspo-litik – dies sind einige Stichworte dazu“.264

2.2.5. Unzureichende internationale Rahmenbedingung en

Die Gründe für Armut und Hunger liegen nicht nur in den betroffenen Län-

dern, sondern auch in den fehlerhaften Normen des internationalen Handels.

Der Protektionismus der Industrieländer hindert die Entwicklungsländer dar-

an, ihre Produkte zu exportieren und damit den Handel als Motor der Ent-

wicklung einzusetzen265.

„So hat die UNO-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in einer vielbeachteten Studie im letzten Jahr aufgezeigt, dass der Dritten Welt allein bei den arbeitsintensiven Industrien aufgrund anhaltender Handelsschranken jährlich 700 Milliarden Dollar an Exporterlösen verloren gehen – von der Landwirtschaft ganz zu schweigen. Diese Summe entspricht mehr als dem Doppelten der jährlichen öffentlichen und privaten Mittelflüsse der reichen Länder und der multilateralen Organisationen in die Empfängerländer“.266

263 ebd., 70 264 ebd. 265 Horber 2000, 2. In: http:// www.humanrights.ch/cms/pdf/00101012_horber.pdf 266 ebd.

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46

2.2.6. Die Verschuldung der Entwicklungsländer

Verschuldung ist die Bezeichnung für die staatliche Kreditaufnahme auf dem

globalen Kapitalmarkt, deren Gesamtbetrag als problematisch betrachtet

wird, wenn der Schuldendienst eine große Portion an den Exporteinnahmen

ausmacht und die Chancen eines Landes einschränkt, die Devisen für inlän-

dische Investitionen einzusetzen. Zur Verschuldungskrise kommt es, wenn

ein Land zahlungsunfähig wird267.

Seit Anfang der achtziger Jahre hat der explosionsartige Anstieg der Zinssät-

ze dazu geführt, dass die Länder der Dritten Welt nicht mehr in der Lage wa-

ren, ihre Schulden zu tilgen. In dieser Zeit begann der Lebensstandard in den

verschuldeten Ländern drastisch zu sinken, und die Nahrungslage ver-

schlimmerte sich vielfach. 268

2.2.7. Hunger als Entitlement Failure : Der Verlust von Verwirklichungs-

chancen

Dem Buch „Ökonomie für den Menschen“ von Amartya Sen zufolge ist der

Hunger weniger das Ergebnis von Nahrungsmittelknappheit als vielmehr das

Ergebnis eines Verteilungsproblems im Sinne eines unzureichendes Zu-

gangs zu den Nahrungsmitteln269.

„Menschen leiden Hunger, wenn sie ihr Zugangsrecht auf eine angemessene Nahrungsmenge nicht wirksam machen können.“270 Sens Ansatz lautet : Hunger und Fehlernährung sind niemals lediglich ein

Problem der Menge an Nahrungsmitteln271. In seiner Analyse und für seinen

Lösungsansatz erscheint der Begriff „entitlement“, der als Verwirklichungs-

chance bzw. Verfügungsmacht über Güter, Dienstleistungen oder Rechte

267 Vgl. Boeck 2003, 9973 268 Vgl. Sangmeister 2003, 5673 269 Vgl. Sen 2003, 9 ff. 270 Sen 2003, 253 271 Wagner, Entwicklung als Freiheit. In: www.inwent.org/ E+Z/1997-2002/ez400-7.htm

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47

verstanden wird272. Wenn Menschen verhungern, dann ist der Fakt, dass

Lebensmittel auf dem Markt vorhanden sind, unerheblich. Menschen leiden

an Hunger, obwohl Lebensmittel zu ihrer Versorgung beschaffbar wären273.

„Erfolgreiche Lösungsansätze des Hungers müssen neben der Steigerung der Nahrungsmittelproduktion immer auch gegen die immateriellen Defizite angehen, die mit Armut und Ausgrenzung verbunden sind, sei es die Unmög-lichkeit einer selbstverantwortlichen Lebensgestaltung, die fehlende Beteili-gung an Entscheidungsprozessen aller Art oder der Verlust von Selbstver-trauen bis zur Hoffnungslosigkeit. Armut ist untrennbar verbunden mit Unfrei-heit, Entwurzelung und Unsicherheit.“274 Ein zentrales Element zur Verbesserung der Ernährungssicherheit ist die

Förderung der sozialen Entwicklung im Sinne der Herstellung politischer, so-

zialer und wirtschaftlicher Bedingungen, mittels derer man Menschen in die

Lage versetzt, ihre Probleme selbst anzupacken275.

Hungersnöte und Mangelernährung können nur überwunden werden, wenn

eine entsprechende Nahrungsmittelmenge produziert wird, aber vor allem,

wenn ein sozial gerechtes Umfeld geschaffen wird, das den Menschen er-

möglicht, sich zu entfalten, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und somit erfolg-

reich für sich selbst zu sorgen276.

Die Amartya-Sen-Konzeption zur Überwindung des Hungers und der Unter-

ernährung ist Bestandteil seiner Entwicklungstheorie, die die Wege zu Ge-

rechtigkeit und Solidarität in der globalen Ordnung für alle öffnen soll277. Ent-

wicklung ist in dieser Hinsicht, der Abbau von Unfreiheiten und die Erweite-

rung der substanziellen Freiheiten, die den Menschen zukommen. Unterent-

wicklung, Armut und Hunger sind demgemäss Formen von Unfreiheit278.

„Der Entwicklungsprozess ist im wesentlichen identisch mit der Geschichte der Überwindung von Unfreiheiten. Zwar ist diese Geschichte keineswegs vom Prozess des Wirtschaftswachstums und der Akkumulation natürlichen

272 ebd. 273 ebd. 274 Sen, Zit. nach: www.iz3w.org/i23w/ausgaben/244/LP_s19.html 275 ebd. 276 ebd. 277 ebd. 278 ebd.

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48

und menschlichen Kapitals loszulösen, doch schließt sie sehr viel mehr ein und geht weit über diese Variablen hinaus“279. Sens Ansatz der menschlichen Verwirklichungschancen darf nicht mit der

Theorie des Humankapitals verwechselt werden. 280Die Humankapital-

Theorie interessiert sich grundsätzlich für die Produktivitätssteigerung, sie

stellt also die menschlichen Fähigkeiten in den Vordergrund, die als Kapital

für die Produktion eingesetzt werden können281. Die These der Verwirkli-

chungschance betont hingegen die grundlegende Freiheit des Menschen,

seine realen Entscheidungschancen auszuweiten und sein erstrebenswertes

Leben zu führen. Der Wert des Menschen darf nicht auf seinen produktiven

Nutzen reduziert werden282.

Bei der Interdependenz von Freiheit und Entwicklung manifestiert sich die

Freiheit sowohl in

• Prozessen, die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit ermöglichen,

als auch in

• realen Chancen, die die Menschen hinsichtlich ihrer sozialen Umstän-

de haben283

Unfreiheit kann mangelhafte Prozesse verursachen, beispielsweise die Ver-

letzung politischer bzw. bürgerlichen Freiheiten – oder mangelhafte Chan-

cen, die nicht ausreichen, um minimale Ziele zu realisieren284. Dazu gehört

das Fehlen grundlegender Chancen wie beispielsweise die Vermeidung von

Hunger und Krankheiten285.

Individuelle Freiheit hat eine eminente Bedeutung für die Entwicklung. Sie

verstärkt sowohl die Fähigkeit des Menschen, sich selbst zu helfen als auch

auf die Welt einzuwirken, und beides ist für den Entwicklungsprozess uner-

lässlich286.

279 Sen 2003, 350 280 Vgl. Sen 2003, 347 281 ebd. 282 ebd. 283 www.iz3w.org./i23w/ausgaben/244/LP_s19.html 284 ebd. 285 ebd. 286 Vgl. Sen 2003, 50

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49

Hier zeigt sich simultan der funktionelle Charakter der Freiheiten, weil ihre

Erweiterung den Aufschwung fördert und die Entwicklung voranbringt287.

Freiheit ist somit Mittel und Zweck der Entwicklung, wobei fünf relevante

Grundfreiheiten unterschieden werden:

„(1) politische Freiheiten, (2) ökonomische Einrichtungen, (3) soziale Chan-cen, (4) gesellschaftliche Transparenz und (5) soziale Sicherheit. Diese in-strumentellen Freiheiten erweitern die Verwirklichungschancen eines Indivi-duums, in größerer Freiheit zu leben, aber sie dienen auch dazu, sich wech-selseitig zu ergänzen“288. Der erste Entwicklungsschritt ist nicht die Bekämpfung von Armut und Elend,

sondern der Vorrang grundlegender Freiheitsrechte289. Obwohl eine Demo-

kratie kein automatisch wirkendes Heilmittel darstellt, erhöht sie die unmittel-

baren Verwirklichungschancen der Menschen, wobei politische und soziale

Partizipation eingeschlossen werden290.

Der freie Zugang zum Markt repräsentiert einen bedeutenden Beitrag zur

Entwicklung291. Besonders wichtig ist der freie Zugang zum Arbeitsmarkt. Die

Verweigerung dieser Freiheit ist ein Mittel, um Menschen in Abhängigkeit zu

halten. Ähnliches gilt für den freien Zugang zu den Warenmärkten: Beson-

ders in der Dritten Welt leiden viele Kleinbauern und Kleinproduzenten

darunter, dass strukturelle Beschränkungen ihnen diese Freiheit blockieren.

Staatliche Eingriffe und Regulierungen sind deswegen nicht nur legitim, son-

dern auch erforderlich292.

Der Marktmechanismus ist nur dann erfolgreich, wenn die gebotenen Chan-

cen einigermaßen gleich verteilt sind293. Um das zu ermöglichen, sind der

Zugang zu angemessener Nahrung, elementarem Schulunterricht, medizini-

scher Grundversorgung ausschlaggebend. Deshalb muss der Marktmecha-

nismus durch eine gerechte Verteilung der sozialen Chancen ergänzt wer-

287 ebd., 51 288 Sen 2003, 52 289 Sen 2003, 181 290 ebd. 291 Vgl. Sen 2003, 139 ff. 292 ebd. 293 Vgl. Sen 2003, 177ff.

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50

den. Erst soziale Einrichtungen machen es den Menschen möglich, aktiv am

wirtschaftlichen Fortschritt teilzunehmen294.

Gesellschaften benötigen, auf der Grundlage des Vertrauens, eine soziale

Transparenz, nämlich die Freiheit der Menschen, miteinander umzugehen

und dabei die Garantie zu haben, dass in der sozialen Ordnung Offenheit

herrscht. Zugleich ist sie auch ein bedeutendes Mittel gegen die Korruption

auf alle Ebenen295.

Transparenzgarantien stehen in Zusammenhang mit politischen und ökono-

mischen Freiheiten. Diese sind in demokratischen Ordnungen stärker defi-

niert als in autoritären Systemen296. Der geschichtliche Verdienst des Kapita-

lismus besteht nicht primär darin, dass er zu einer gewaltigen Erhöhung des

Warenangebots und Produktionssteigerungen geführt hat, sondern vielmehr

in der Erschaffung einer Art Geschäftsmoral297.

Soziale Sicherheit, die gleichzeitig Ziel und Mittel der Entwicklung darstellt,

wird durch Sozialversicherungen garantiert298. Diese Mechanismen verhin-

dern, dass die betroffenen Menschen in extreme Armut oder Hungersnot ge-

raten299. Zu dem Bereich der sozialen Sicherheit zählen Arbeitslosenunter-

stützung, ein Mindesteinkommen für Mittellose, Soforthilfen bei Hungersnö-

ten oder befristete Beschäftigungsprogramme, um den Bedürftigen ein Ein-

kommen zu verschaffen300.

Sen versuchte zu beweisen, dass Hunger weniger mit der Menge der produ-

zierten Nahrungsmittel zu tun hat, als mit den ökonomischen Prozessen, die

Angebot, Preis und Einkommen und damit ihre Verteilung bestimmen301.

“The starving person who does not have the means to command food is suf-fering from an entitelment failure, and the causal antecedents of this may lie in factors far away from food production as such. In each social and eco-

294 ebd. 295 Vgl. Sen 2003, 196 ff. 296 ebd., 224 297 ebd.314 298 Sen 2003, 120 ff. 299 ebd. 300 ebd. 301 Vgl. Sen 2003, 248 ff.

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nomic system there are rules governing the rights that people respectively have to exercise command over food and other necessities.”302 2.2.8. Überbevölkerungsreduzierung

Henry Shue, häufig zitiert als Autor der Verpflichtungstrias des Staates den

Menschenrechten gegenüber, stellt sich in seinem Hauptwerk „Basic Rights“

die Frage, ob das Verhungern (starvation) als Mittel zur Bevölkerungskontrol-

le angewendet wird.

„Starvation is a prolonged agony, usually shortened, if at all, only by diseases that bring their own discomforts. The full horror of what is in effect a proposal to include the preventable starvation of children as a major component of a method of population control ought to be kept in focus. Those who, on the basis of populations effects, object to assigning high priority to protecting subsistence right do not say, and perhaps do not understand, that this is the policy that follows from their words.”303 Nach Werner Maihofer ist das Erlebnis der totalen Wehrlosigkeit und der

Hilflosigkeit das, worin die Antastung der Menschenwürde besteht. Nach

dieser Anfassung könnte niemand zwischen der Verletzung der

Menschenwürde eines Folteropfers und der Verletzung der Menschenwürde

eines vom Hungertod Bedrohten unterscheiden304.

Laut Shue besteht eine Geburtenkontrollstrategie aber auf keinen Fall in

massenhaftem Hungertod: „The most human methods of controlling popula-

tion growth involve decreasing the birth rate, not increasing the death rate of

children already born.”305

Die Methoden zur Überbevölkerungsreduzierung werden von der Bevölke-

rungstheorie vertreten306. Anhänger dieser Theorie halten den Zustand der

Überbevölkerung für bereits eingetreten307.

302 Sen/Dreze 1989, 274 303 Shue 1980, 98 304 Vgl. Barthel 1991, 17 305 Shue 1980, 101 306 file://F:/Überbevölkerung.htm 307 ebd.

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Um der Gefahr der Überbevölkerung entgegenzuwirken, werden unterschied-

liche Projekte der Bevölkerungspolitik mit dem Endzweck angewendet, das

Bevölkerungswachstum zu stoppen308. Auf globaler Ebene findet seit 1974

alle 10 Jahre eine Weltbevölkerungskonferenz der UNO statt, wobei die fun-

damentalen Probleme besprochen werden309. Auf regionaler Ebene wurden

verschiedene Pläne zur Steuerung des reproduktiven Verhaltens formuliert

und umgesetzt310.

Der Begriff der Überbevölkerung ist gegen Ende des 18. Jahrhunderts von

Thomas Robert Malthus geprägt worden311. Die Bevölkerungstheorie von

Malthus erschien 1798 in seinem Buch Essay on the Principles of Population.

Zentrale Überlegung von Malthus war die Überbevölkerung als Problem der

Ökonomie und der Gesellschaft. Durch wirtschaftliches Wachstum kann die

Bevölkerung wachsen, bis sie an die Grenzen der Tragfähigkeit der Erde

stößt312.

Malthus hat vorhergesagt, dass das exponentielle Bevölkerungswachstum

nicht gestoppt würde. Er glaubte, die Nahrungsproduktion kann sich nur a-

rithmetisch vermehren, während die Bevölkerung geometrisch wächst. Des-

halb plädierte er damals für Geburtenkontrolle, damit nicht das Verhungern

das Wachstum beschränkt313.

Die Malthussche Katastrophe ist jedoch nicht eingetreten314. Durch den Ein-

satz von Maschinen, Hochertragssorten und Pestiziden wurde ein gewaltiger

Produktivitätsaufschwung möglich, der die Annahme von Malthus widerlegt.

Zwischen 1950 und 1990 hat sich die Weltbevölkerung zwar verdoppelt, aber

die Nahrungsmittelproduktion hat sich vervierfacht. Also existiert Hunger

nicht deshalb, weil es nicht genügend Lebensmittel gibt. Die Produktion

reicht sogar aus, mehr als das doppelte der aktuellen Weltbevölkerung zu

308 ebd. 309 ebd. 310 ebd. 311 Vgl. Schmidt In: Oesterdiekhoff 2001, 438ff. 312 ebd. 313 ebd. 314 www.epo.de/specials/foodmarkets.htm

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ernähren. Das eigentliche Problem beim Hunger ist nicht die Menge der Nah-

rungsmittel, sondern die Verteilung315.

Bei den großen Hungerkatastrophen des 19. und 20. Jahrhunderts gab es

weltweit und im betroffenen Land genügend Nahrungsmittel316. 1845 starben

in Irland ungefähr eine Million Menschen den Hungertod, aber nicht deshalb,

weil es zu wenig zu essen gegeben hat. Die irischen Landbauern hatten

Fleisch und Mehl als Steuer an die englischen Landherren und die Kirche

abzugeben. Nur die Kartoffel blieb ihnen als Grundnahrungsmittel. Es kam

zur Katastrophe, als eine Braunfäuleepidemie um sich griff, die fast die ge-

samte Kartoffelernte vernichtete317.

Bei der 1974er Hungersnot in Bangladesch gab es im Land ausreichend

Reis, um die Bevölkerung zu ernähren. Ein Hochwasser hat landwirtschaftli-

che Anbauflächen zerstört und Tausende Tagelöhner verloren ihre Arbeit.

Trotz ausreichender Reisvorräte aus dem Vorjahr starben viele Menschen

den Hungertod, denn sie konnten den Preis nicht bezahlen318.

In ihrem Bericht für das Jahr 2003 schätzte die FAO, die Food and Agricultu-

ral Organization (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten

Nationen), dass 2001 mehr als 30 Millionen Menschen verhungert sind319.

Vor allem Kinder: Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind an Hunger in der Welt320.

Die Zahl der Menschen, die im gleichen Zeitraum an chronisch schwerer Un-

terernährung litten, beziffert die UN-Organisation mit mehr als 852 Millio-

nen321. Eine Folge von Unterernährung ist die Blindheit. Seit 1980 erblinden

jedes Jahr im Durchschnitt sieben Millionen Menschen322.

Die Theorie der Überbevölkerung besagt implizit, es gebe überflüssige Men-

schen. Deshalb wird die Theorie der Überbevölkerungsreduzierung als men-

schenverachtend bewertet. Es wird schließlich bezweifelt, dass die Tragfä-

315 ebd. 316 ebd. 317 ebd. 318 ebd. 319 www.hungerseite.com/welternaehrungstag.htm 320 ebd. 321 ebd. 322 ebd.

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higkeit der Erde bereits erschöpft sei, vielmehr ist der Hunger in der Welt

durch politische Fehlleistungen verschuldet323.

2.2.9. Eine Fiktion: Die Verschwörungstheorie

In einem Roman fasst eine Expertenkommission zum Nutzen globaler Wirt-

schaftslenker und Politiker ein heimliches Dossier über die Zukunft der globa-

len Wirtschaft ab. Dieser sog. „Lugano-Report“ beantwortet die Frage, ob die

Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert weiter existieren kann.

„Längst werden die Vorteile der Marktwirtschaft durch dessen Nachteile auf-gewogen. Die Finanzmärkte stehen vor dem Zusammenbruch, die Umwelt droht zu kollabieren. Und weil nicht genug Platz für alle Menschen ist, formu-liert eine Kommission einen ungeheuerlichen Vorschlag: Die globale Markt-wirtschaft sei nur zu retten, wenn die Weltbevölkerung auf vier Milliarden Menschen reduziert wird. Da die Genozidsysteme der Vergangenheit zu pri-mitiv, kostspielig und ineffizient waren, muss eine andere Lösung her. Die moderne Opferselektion soll nach Kriterien wie Inkompetenz, Armut und Faulheit, kurz: Verlierertum erfolgen. Kriege, Seuchen und Hungersnöte sol-len den Vernichtungsprozess beschleunigen. Die Kommission befürwortet beispielsweise, das Hungerproblem der Dritten Welt nicht zu lösen, sondern es zu fördern. Weitere Vorschläge umfassen eine präventive Senkung der Geburtenrate in Verbindung mit einer drastischen Erhöhung der Sterberate, um einer Verschwendung der raren Öko-Ressourcen entgegenzuwirken. Als geeignete Instrumente empfehlen sich Weltbank und Weltwährungsfonds, die diese Entwicklung mit Marktliberalisierungen ohnehin gefördert hät-ten...“324

Der „Lugano Report“ von Susan George ist zwar erdacht, aber die im Roman

dargestellte Problemstellung wird längst von der Realität überholt: Menschen

verhungern, verdursten oder erfrieren aus Mangel an Nahrung, Wasser und

anderen Ressourcen. Logisch betrachtet, ist die dramatische Reduzierung

westlicher Entwicklungshilfe ein gezielt eingesetztes Mittel.

„Westliche Pharmakonzerne stecken viel Geld in die Entwicklung von Appe-titzüglern und Lustpillen, in Medikamente gegen typische Armutskrankheiten wie Malaria investieren sie kaum. Ein in Schweden entwickelter Impfstoff ge-gen Wurmkrankheiten beim Menschen wird bei irischen Schafen angewen-det, nicht bei den Millionen Kranken in Afrika und Lateinamerika. Den Impf-

323 Vgl. Shue 1980. 99 ff. 324 Zitiert nach: http://www.tadema.de/aktuell/lugano.html

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stoff herzustellen, um ihn gegen das dortige Massensterben einzusetzen, lehnen die Pharmakonzerne ab. Es wird mehr Geld ausgegeben, um nach einer Behandlung für Haarausfall zu forschen, als für alle tropischen Krank-heiten zusammen. Als Mittel zur Durchsetzung dieser ‚Biopolitik’ wird – so Susan George – die schon heute praktizierte Realpolitik der schleichenden Ausblutung ganzer Kontinente raffiniert ausgeweitet.“325

2.3 Negative Konsequenzen der Mangelernährung

Nach einer Studie des World Food Programme (Welternährungsprogramm)

fordert der Hunger zahlreiche Opfer und schädigt das Leben der Überleben-

den, besonders der Kleinkinder326.

• Mangelernährung bewirkt 60 Prozent der 11 Millionen Todesfälle von

unter 5- jährigen Kindern jährlich in der Welt327.

• Fakt ist, dass die Hälfte aller Kleinkinder in Entwicklungsländern unter

Anämie leidet. Die Mangelernährung vermindert ihre Lernfähigkeit.

Während Verkrüppelung 181 Millionen Vorschulkinder betrifft, tritt

Schwindsucht bei 50 Millionen Vorschulkindern auf328.

• Vererbte Unterernährung: unterernährte Mütter gebären unterernährte

Kinder. Unterernährung von Müttern gefährdet Mütter und Kinder glei-

chermaßen. Weltweit sterben täglich über 180 Mütter bei der Geburt

aufgrund von Eisenmangel während der Schwangerschaft329.

• Bis zu 17 Millionen Säuglinge werden jährlich untergewichtig geboren,

weil ihre Mütter unzureichende Ernährung bekommen. Untergewichti-

ge Kinder haben ein größeres Risiko, in der ersten Woche an Infektio-

nen wie Diarrhöe zu sterben. Kinder, die mit 500 Gramm Untergewicht

geboren werden, haben ein 10-fach höheres Sterberisiko während des

ersten Lebensmonates330.

• Untergewichtige Kleinkinder, die überleben, kämpfen mit kognitiven

Schwierigkeiten331.

325 www.tadema.de/aktuell/lugano.html 326 www.wfp.org 327 www.vistaverde.de/news/Politik/0306/27_kinder.htm 328 ebd. 329 ebd. 330 ebd. 331 ebd.

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„More than 20 Million low birth-weight babies are born in the develop-ing world every year. These babies faced icreased risk of dying in in-fancy, while those who survive often suffer lifelong physical and cogni-tive disabilities.”332

• Vitamin- und Mineralstoffmangel sind Hauptverursacher von Tod und

Behinderung in Entwicklungsländern, besonders bei Kindern333.

• Vitamin-A-Mangel betrifft weltweit ca. 254 Millionen Kinder im Vor-

schulalter. Er wird mit Folgen wie Blindheit, Krankheitsanfälligkeit und

höheren Todesraten in Verbindung gebracht334.

Unter Federführung der FAO wurde der Bericht über Ernährungsunsicherheit

„The State of Food Insecurity in the World 2004“ zusammengestellt (im fol-

genden SOFI 2004 genannt). Diesem zufolge töten Hunger und Unterernäh-

rung mehr als fünf Millionen Kinder jedes Jahr und senken die Produktivität

und das resultierende Volkseinkommen der Entwicklungsländer, die wieder-

um nicht in der Lage sind, genug Nahrungsmittel zu importieren, um ihre Be-

völkerung zu erhalten. Die internationale Entwicklungshilfe wird immer klei-

ner, aber auch viele Regierungen der Hungerländer sind nicht so zielbe-

wusst, wie es zur Bekämpfung der Mangelernährung erforderlich wäre335.

Bezogen auf den Welternährungsgipfel von Rom im Jahre 1996 und seinen

Beschluss, die Zahl der Hungernden bis 2015 um die Hälfte zu verringern, ist

SOFI 2004 ein Bericht zum Stand der Erfüllung dieser Zielstellung336.

Laut SOFI 2004 initiierten mehrere Entwicklungsländer seit 1996 umfassen-

de Nahrungsprogramme. Andere hingegen trafen keine Maßnahmen in die-

ser Hinsicht, und deshalb hat sich die Ernährungssituation in einigen Ländern

sogar verschlimmert337.

Die Bekämpfung des Hungers ist nicht nur ein ethischer Imperativ, sondern

auch eine ökonomische Notwendigkeit338.

332 www.fao.org/newsroom/en/news/2004/5189.html 333 ebd. 334 ebd. 335 www2.gtz.de/right-to-food/ 336 ebd. 337 ebd. 338 www.vistaverde.de/news/Politik/0401/67_hunger.htm

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Mangelernährung beraubt die Betroffenen ihrer körperlichen Fähigkeiten,

fördert die Verbreitung von Krankheiten und führt zu großen Produktivitäts-

verlusten339.

Entwicklungsländer weisen gleichzeitig ein geringes Pro-Kopf-Einkommen

und Nahrungsdefizite auf340. Damit sind sie weder in der Lage, die Bevölke-

rung durch eigene Agrarproduktion zu ernähren, noch verfügen sie über die

Ressourcen, um die Knappheit durch Importe auszugleichen341.

Zentrale Bedingung für eine Strategie gegen die Nahrungsdefizite ist ein

wirksames Wassermanagement, weil die Bewässerungslandwirtschaft drei-

mal so hohe Erträge wie die Regenlandwirtschaft erbringt342. Eine weitere

Maßname liegt in der Erweiterung der ländlichen Infrastruktur: von Straßen,

See- und Flughäfen, Lagerhallen, Märkten und Anlagen zur Lebensmittelver-

arbeitung343. Auf diese Art und Weise können die Landwirte Zugang zu mo-

dernen Rohstoffen erlangen und ihre Produktion zu wettbewerbsfähigen

Preisen vermarkten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es den Marshallplan, wodurch die europäi-

sche Infrastruktur wiederaufgebaut werden konnte. Und auch die EU hat offi-

ziell das Ziel, den Rückstand der neuen Mitgliedsstaaten in diesem Bereich

zu entlasten. In dieser Hinsicht sollte die Dritte Welt mehr Entwicklungshilfe

für geeignete Infrastruktur dadurch erlangen, dass sie vorankommen kann344.

2.4. Begriffsbestimmungen

Wie wird „Ernährung“ überhaupt definiert?

339 ebd. 340 ebd. 341 ebd. 342 ebd. 343 ebd. 344 ebd.

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58

Unter menschlicher Ernährung versteht man die Versorgung mit Nahrung in

Form von Lebensmitteln345. Die Aufnahme der Nahrungsmittel erfolgt durch

die orale Zufuhr von Speisen und Getränken. Eine angemessene Ernährung

ist eine essentielle Bedingung für die Gesundheit der Menschen346.

Ernährung ist das Fundament für die Lebenserhaltung des Menschen. Sie

steuert ausschlaggebend sein körperliches, geistiges und soziales Wohlbe-

finden347. Der bewusste Umgang mit Nahrung ist eine Dimension der

menschlichen Kultur348.

Eine ungenügende oder falsch zusammen gestellte Ernährung wird als Man-

gelernährung bezeichnet349. Fehlerernährung durch zu reichhaltige Nah-

rungszufuhr wird Überernährung genannt350. Die Fehlernährung bzw. der

Mikronährstoffmangel (qualitative Mangelernährung) ist eine häufige Form

unzureichender Ernährung, die in einer Unterversorgung mit Vitaminen und

Mineralien besteht. Überernährung (qualitative Mangelernährung) ist ein Ü-

bermaß an Energie, häufig in Form von Fett, das meist zugleich mit einer

geringen Aufnahme von Vitaminen, Mineralien oder Ballaststoffen auftritt351.

Die Überernährung mit großen Essensportionen und erhöhtem Fettkonsum

tritt grundsätzlich in den Industrienationen auf. Zusammen mit zu wenig Be-

wegung und einer sitzenden Tätigkeit führt die Überernährung zu so genann-

ten Wohlstandskrankheiten wie Diabetes, Gelenkabnutzung, Bluthochdruck

oder Herzkrankheiten352.

Die Unterernährung (quantitative Mangelernährung) hingegen ist vor allem in

den Entwicklungsländern weit verbreitet353. Als Unterernährung wird meist

eine kränkliche Verfassung verstanden, die sich aus unzulänglicher Aufnah-

345 Vgl. von Blanckenburg 1986, 73 346 ebd. 347 ebd. 348 ebd., 74 349 ebd., 83 350 ebd. 351 ebd. 352 ebd. 353 ebd., 84

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59

me von Nährstoffen ergibt und zu schweren Krankheiten, im Extremfall zum

Tode führt354.

Öfter erscheint in der Ernährungsdiskussion die Begriffe Hunger (hunger)

und Verhungern (starvation)355.

Hunger ist eine Empfindung, die bei Nahrungsentzug auftritt, wenn ein be-

stimmtes Glykogenniveau in der Leber unterschritten wird. Das Gefühl ent-

steht im Hypothalamus und wird durch Rezeptoren in Leber und Magen aus-

gelöst. Das Hungergefühl wird durch den Nahrungszufuhr gemildert oder be-

seitigt356.

Das Hungern im Sinne von Verhungern geschieht bei vollkommenem Nah-

rungsentzug357. Es verursacht gravierende Funktionsstörungen und letztlich

Organveränderungen und Tod. Ein durchschnittlich ernährter Mensch kann

ungefähr 50 Tage ohne Nahrungszufuhr überleben, aber lediglich etwa 10

Tage ohne Flüssigkeit358.

Eine Hungersnot bezeichnet einen Zustand in einer Region oder einem gan-

zen Land, in dem große Teile der Bevölkerung keine ausreichende Ernäh-

rung erhalten359. Gegenbegriff der Hungersnot ist die Ernährungssicherheit,

d. h. der Zugang aller Menschen zu jeder Zeit zu Nahrung, um ein aktives

und gesundes Leben führen zu können360.

Besonders wichtig in den Entwicklungsländern ist der Begriff von Ernäh-

rungssouveränität, d. h. die souveräne Selbstbestimmung von Gesellschaft

und Staat für die Erzeugung von Nahrungsmitteln mit dem Ziel, das Recht

auf angemessene Nahrung der Bevölkerung zu achten, zu schützen und zu

erfüllen und den strukturell bedingten Ursachen von Hunger wirksam entge-

genzutreten361.

354 ebd. 355 ebd., 85 356 ebd. 357 ebd., 86 358 ebd. 359 ebd., 95 360 http://earthsave.de/printable/zernaehrung/welthunger.html 361 ebd.

Page 60: Dr. iur. Pedro Bejarano Alomia, LL.B., LL.M.  - Menschenrecht Auf Nahrung

60

3. Der völkerrechtliche Stellenwert des Rechts auf Nah-

rung

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR), der Internationale

Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) und der Internationale

Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IpwskR) bilden die

Internationale Menschenrechtscharta („International Bill of Rights“), die mit

der UN-Charta verbunden ist und in deren Spektrum das Recht auf Nahrung

als grundlegendes Recht anerkannt wird362.

Tatsächlich erscheint logisch, das Recht auf eine angemessene Nahrung zu

den basalen Menschenrechten zu zählen. Wer verhungert, kann die anderen

Menschenrechte nicht genießen. Trotz diesem Verständnis verhungern jähr-

lich über 850 Millionen Menschen in der Welt. Besonders betroffen sind Kin-

der.

„Mehr als 10 Millionen Kinder sterben jährlich, bevor sie 5 Jahre alt werden.

99 Prozent von ihnen lebten in Armut, die Hauptursache von Unterernährung

und Krankheit. Etwa zwei Drittel der Kinder - rund 7 Millionen – könnten mit

Nahrungsmitteln und vorhandenen Medikamenten gegen Durchfall, Malaria

oder Lungenentzündung für vergleichsweise wenig Geld gerettet werden“.363

Hier stellt sich die Frage, ob das massive Verhungern auf eine mangelnde

Verankerung dieses Menschenrechts zurückzuführen ist. Deshalb ist Ziel des

folgenden Kapitels, die Stellung des Rechts auf Nahrung im Kontext der völ-

kerrechtlichen Menschenrechtscharta zu analysieren.

362 Partsch 1991, 547 363 www.thelancet.com

Page 61: Dr. iur. Pedro Bejarano Alomia, LL.B., LL.M.  - Menschenrecht Auf Nahrung

61

3.1. Die Charta der Vereinten Nationen

Die alte Vorstellung, die das Handeln des Staates gegenüber seinen Bürgern

in dessen ausschließliches Kriterium stellte, hat sich nach dem zweiten Welt-

krieg verändert, weil die Menschenrechte internationalisiert wurden. In der

Charta der Vereinten Nationen von 1945 wurde die Achtung der Menschen-

rechte zu einer der Säulen der internationalen Gemeinschaft erhoben, wo-

durch die Nationen der Welt verpflichtet wurden, die Menschenrechte zu res-

pektieren, zu schützen und zu fördern. Die UN-Charta umfasst zwar keine

explizite Menschenrechtsliste, aber die Achtung der Menschenrechte wurde

nicht nur als eines der Grundziele der Vereinten Nationen, sondern auch als

unbedingte Voraussetzung des Weltfriedens proklamiert364.

3.1.1. Entstehungsgeschichte

Im Kontext des Zweitens Weltkrieges und wegen des Kollapses des Genfer

Völkerbundes als Institution der Friedensstrategie dachten führende Politiker

des Anti-Hitler-Bündnisses darüber nach, wie ein dauerhafter Frieden er-

reicht werden könnte. Im Ergebnis dieser Überlegungen entstand die Idee

der Vereinten Nationen (VN) als neue und effizientere Weltfriedensorganisa-

tion365.

Die Atlantik-Charta

Einer der ersten Schritte zur Gründung der VN fand am 14. August 1941 auf

dem Schiff HMS „Prince of Wales“ mit der Unterzeichnung der Atlantik-

Charta durch den amerikanischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt

und den britischen Premierminister Winston Churchill statt. Mit diesem Do-

kument wurden eine Serie von Richtlinien zur Aufrechterhaltung des Frie-

dens und der Sicherheit aufgestellt366.

364 Vgl. Blumenwitz 1991, 175 ff. 365 www.unis.unvienna.org./unis/de/library_20040430.html 366 www.derblaueplanetistrund.de/hauptseite/fakten/texte/vereinte_nationen.htm

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„Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und der Premierminister Churchill, der die Regierung Seiner Majestät im Vereinigten Königreich ver-tritt, sind zusammengetroffen und halten es für richtig, gewisse Grundsätze der nationalen Politik ihrer Länder bekannt zu geben, auf die sie die Hoffnung für eine bessere Zukunft der Welt gründen. (...) 5. Sie erstreben die größtmögliche wirtschaftliche Zusammenarbeit aller Völ-ker mit dem Ziel, allen Menschen bessere Arbeitbedingungen, wirtschaftli-chen Aufstieg und soziale Sicherheit zu bieten. 6. Nach der endgültigen Zerstörung der Nazi-Herrschaft erhoffen sie die Ges-taltung eines Friedens, der es allen Völkern ermöglicht, innerhalb ihrer Gren-zen in Frieden zu leben und der allen Menschen in allen Ländern frei von Not gewährleistet.“ 367

Die „Dumbarton Oaks Proposals“

Die Dumbarton-Oaks-Richtlinien umfassen die Erforderlichkeit einer interna-

tionalen Zusammenarbeit hinsichtlich der Lösung wirtschaftlicher und sozia-

ler Probleme368. Sie gehen davon aus, dass Ziele und Grundsätze die Effi-

zienz der VN und zugleich ihres Friedenssicherungssystems steigern

kann369. Diese stammen aus der Erwägung, dass die Erhaltung von Frieden

und Sicherheit wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg voraussetzt370. In der

Zeitspanne vom 21. September bis zum 7. Oktober 1944 einigten sich die

Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich, die UdSSR und China über

Ziele und Struktur der neuen Weltfriedensorganisation:

„The Dumbarton Oaks Proposals Proposals for the Establishment of a General International Organization There should be established an international organization under the title of The United Nations, the Charter of wich should contain provisions necessary to give effect to the proposals wich follow: Chapter I Purposes The Purposes of the Organization should be: 1. To maintain international peace and security; and to that end to take effec-tive collective measures for the prevention and removal of threats to the peace and the suppression of acts of agression or other breaches of the peace, and to bring about by peaceful means adjustment or settlement of international disputes wich may lead to a breach of the peace; 2. To develop friendly relations among nations and to take other appropriate measures to strengthen universal peace:

367 www.mitteleuropa.de/atlantikcharta01.htm 368 Vgl. Weber 1991, 113 369 ebd. 370 ebd.

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3. To achieve international co-operation in the solution of international eco-nomic, social and other humanitarian problems.“371 Jalta

Am 11. Februar 1945 deklarierten Roosevelt, Churchill und Stalin nach der

Konferenz von Jalta ihren Entschloss, ein internationales Friedensbündnis

zur Erhaltung von Frieden und Sicherheit zu gestalten372.

„Wir sind entschlossen, so schnell wie möglich, gemeinsam mit unseren Alli-ierten, eine allgemeine internationale Organisation zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit zu schaffen. Wir sind der Ansicht, dass dies wesent-lich ist, um so durch dauernde enge Zusammenarbeit aller friedliebender Völker Angriffskriege zu verhindern sowie die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kriegsursachen zu beseitigen. (...) Durch diese Erklärung be-kräftigen wir von neuem unseren Glauben an die Grundsätze der Atlantik-Charta, unser Gelöbnis in der Erklärung der Vereinten Nationen und unsere Entschlossenheit, im Zusammenwirken mit anderen friedliebenden Nationen eine Weltordnung des Rechts zu schaffen, gewidmet dem Frieden, der Si-cherheit, der Freiheit und der allgemeinen Wohlfahrt der Menschheit.“373

Die Charta der Vereinten Nationen

Am 25. April 1945 trafen fast 300 offizielle Delegierte von 50 Staaten im O-

pernhaus von San Francisco zusammen374. In zwei Monaten wurde die 111

Artikel zählende Charta verfasst und am 26. Juni 1945 wurde sie im Theater-

saal des „Veteran War Memorial Building“ von San Francisco unterzeich-

net375. Am 24. Oktober wurden die Vereinten Nationen gegründet, nachdem

ihre Charta von der Mehrheit der Unterzeichner ratifiziert worden war376.

Vorrangiges Ziel der Charta der Vereinten Nationen ist die Erhaltung des

Weltfriedens und der internationalen Sicherheit377. Um die Entstehung von

Konflikten zu verhüten, die den Weltfrieden in Gefahr bringen, erklären sich

die Mitgliedsstaaten geneigt, bei der Förderung des wirtschaftlichen, sozialen

und kulturellen Aufstiegs und der Realisierung der Menschenrechte und

Grundfreiheiten zusammenzuarbeiten378.

371 www.udhr.org/history/dumbarto.htm 372 www.kssursee.ch/schuelerweb/kalter-krieg/entstehung/jalta-ergebnisse.htm 373 ebd. 374 www.stern.de/politik/ausland/index.html 375 ebd. 376 ebd. 377 Vgl. Randelzhofer 1991, 1151 ff. 378 ebd.

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64

3.1.2. Die Präambel der UN-Charta

Obgleich die Präambel ein unentbehrliches Segment der UN-Charta ist,

errichtet sie keine rechtsverbindlichen Pflichten der Mitgliederstaaten.

Funktion der Präambel ist vielmehr, die Beweggründe der Erschaffung der

VN hervorzuheben, indem sie eine Auslegungsleitlinie der Charta darstellt379.

Obwohl es den Verfassern der UN-Charta nicht gelang, gleichzeitig einen

vollständigen Menschenrechtskatalog anzufertigen, gelang es jedoch, in der

Präambel sowie in den Artikel 13 (1), 55 (c), 56, 62 (2), 68, 73 und 76 (c),

ausschlaggebende Vorschriften zum Schutz der Menschenrechte festzule-

gen380.

„WIR, DIE VÖLKER DER VEREINTEN NATIONEN – FEST ENTSCHLOS-SEN, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat, unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen, Bedin-gungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts ge-wahrt werden können, den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu wahren, Grundsätze anzunehmen und Verfahren einzuführen, die gewährleisten, dass Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird, und Internationale Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern – HABEN BESCHLOSSEN, IN UNSEREM BEMÜHEN UM DIE ERREICHUNG DIESER ZIELE ZUSAMMENZUWIRKEN.“381

Die in der Präambel erklärten Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen

sind in Art. 1 und Art. 2 der UN-Charta niedergelegt.

379 Vgl. Riedel 2004, 13 380 ebd. 381 Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Menschenrechte Dokumente und Deklarationen, Bonn 2004, 42

Page 65: Dr. iur. Pedro Bejarano Alomia, LL.B., LL.M.  - Menschenrecht Auf Nahrung

65

3.1.3. Ziele und Grundsätze der UN-Charta

Hinsichtlich der UN-Charta stellt sich erneut die Frage, ob diese Ziele nur ein

politisches Programm repräsentieren bzw. ob es bei den Zielen um unmittel-

bar anwendbares Recht geht382. Die Ziele der UN-Charta sind kein unmittel-

bar anwendbares Recht383. Sie sind als Ziele definiert, weil auf ihre Verwirkli-

chung erst hinzuwirken ist384. Ein weiteres Argument dafür ist die systemati-

sche Unterscheidung der Ziele des Art. 1 von den Grundsätzen des Art. 2,

die als verbindliche Rechtsgrundlagen der UN ausgestaltet sind385. Außer-

dem können die Ziele Bedeutung erlangen, falls sie im Zusammenhang mit

verbindlichem Recht der Charta hingewiesen werden, nämlich, sie wirken

sich bei der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen einzelner Vorschriften

aus, die dafür zugänglich sind386.

Während die Ziele der Vereinten Nationen grundsätzlich in Art. 1 anberaumt

sind, werden die Grundsätze in Artikel 2 der Charta niedergelegt.

Die in Artikel 1 bestimmten Ziele der UN sind: (1.1) die Aufrechterhaltung des

Weltfriedens und der internationalen Sicherheit; (1.2) die freundschaftlichen

Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln; (1.3) die Herbeiführung

einer internationalen Zusammenarbeit bei der Lösung wirtschaftlicher, sozia-

ler, kultureller und humanitärer Probleme, (1.4) ein Mittelpunkt zu sein, in

dem die Bestrebungen der Nationen zur Realisierung der gemeinsamen

Endziele vereinheitlicht werden können387.

3.1.4. Art.1 (3) UN-Charta

Art. 1 (3) der UN Charta vom 26. Juni 1945 legt als Ziel die Notwendigkeit

fest, dass die Staatsmitglieder zur Überwindung wirtschaftlicher, sozialer und

kultureller Fragen zusammenarbeiten388.

382 Vgl. Randelzhofer 1991, 1151 - 1158 383 ebd. 384 ebd. 385 ebd. 386 ebd. 387 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, Menschenrechte Dokumente und Deklarationen, Bonn 2004, 42 ff. 388 Vgl. Köhler 1991, 792 ff.

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66

Zur Erreichung dieses Zieles sind die entsprechenden Grundsätze des Art. 2

der UN Charta statuiert389. Auch wenn Ziele und Grundsätze der Vereinten

Nationen keine rechtsbindende Verpflichtung sind, stellen sie die

verfassungsrechtliche Grundlage der Aktivitäten der VN dar390.

Das Ziel des Art. 1 (3) erreicht jedoch durch Art. 55 (b) und 56 UN-Charta

den Rang eines rechtlichen Gebots dadurch, dass alle Mitgliedsstaaten sich

verpflichten, die Lösung internationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer

und kultureller Natur zu fördern391.

Diese in Zusammenhang stehenden Vorschriften entstammen der Überle-

gung, dass wirtschaftliche und soziale Stabilität eine Voraussetzung für die

Aufrechterhaltung des Weltfriedens ist, ohne zu vergessen, dass Frieden – in

einer dialektischen Beziehung - eine wesentliche Bedingung für die wirt-

schaftliche Entwicklung ist392

3.1.5. Art. 55 UN-Charta

Unter denjenigen Normen der VN-Charta, die sich auf wirtschaftliche und

soziale Probleme beziehen, steht Art. 55 (a) und (b) im Mittelpunkt393. Der

Grund dafür besteht darin, dass Art.55 in Verbindung mit Art. 1 die Aufträge

der VN sehr viel konkreter erwähnt und – im Vergleich mit Art.56 – die

rechtsbindenden Pflichten der Mitgliedsstaaten sowie der VN intensiver ak-

zentuiert394.

Art. 55 beruht auf dem Gedanken, dass die Aufrechterhaltung des Weltfrie-

dens neben der Ächtung des Krieges auch Stabilität und Wohlfahrt voraus-

setzt395. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die VN-Charta wesentlich von

der Satzung des Völkerbundes396. Letztere ignoriert den angeführten Zu-

389 ebd. 390 ebd. 391 ebd. 392 ebd. 393 Vgl. Partsch 1991, 544 ff. 394 ebd. 395 ebd. 396 ebd.

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sammenhang zwischen der Förderung wirtschaftlicher Stabilität und sozialer

Wohlfahrt und der Erhaltung des Weltfriedens397.

Die Entstehungsgeschichte des Art. 55 UN-Charta

Die Grundgedanken für eine Konzeption der Sozialen Frage wurden schon in

der Atlantik-Charta niedergelegt398. Sie deklarierte u. a., dass es eines der

Ziele Großbritanniens und der USA ist, eine intensive Zusammenarbeit aller

Nationen zu erreichen und für jedermann wirtschaftlichen Aufstieg und sozia-

le Sicherheit herbeizuführen399. In den Dumbarton Oaks Proposals ist bereits

eindeutig zu erkennen, dass ein innerer Zusammenhang zwischen der Be-

wahrung des Weltfriedens und dem Zustandebringen von Vorbedingungen

für wirtschaftliche Stabilität und soziale Wohlfahrt beachtet wurde400. Auf der

Konferenz von San Francisco wurde gleichfalls ausdrücklich erklärt, dass die

ökonomische Ausgeglichenheit eine Voraussetzung für die Erhaltung des

Weltfriedens ist401. Zugleich wurde den Dumbarton Oaks Proposals jedoch

vorgehalten, dass die auf die wirtschaftliche und soziale Sphäre bezogenen

Ziele nicht ausreichend ausgearbeitet wurden402. Diesbezüglich wurden

grundsätzlich zwei Korrekturen vorgeschlagen: Zunächst forderte man eine

deutlichere Bezeichnung der sozialen und ökonomischen Ziele. Darüber soll-

ten die rechtsbindenden Pflichten der Mitgliedsstaaten genauer dargestellt

werden403. Funktion des Art. 55 (a) und (b) ist, die Formulierung von Art. 1 (3)

zu bekräftigen und auszubauen. Fakt ist jedoch, dass die Abfassung beider

Normen nicht vollkommen gleich ist404. Bezüglich Art. 55 umfasst die Präam-

bel Abschnitte äquivalenten Gedankengehalts, obwohl auch hier der Wortlaut

nicht ganz übereinstimmt405. Die angeführten Divergenzen im Text der ein-

zelnen Bestimmungen zu wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten ha-

ben jedoch in der Tätigkeit der VN keinen Stellenwert406.

397 ebd. 398 Vgl. Wolfrum 1991, 702 ff. 399 ebd. 400 ebd. 401 ebd., 705 402 ebd. 403 ebd. 404 ebd., 706 405 ebd. 406 ebd.

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Obwohl sich Art. 55 und 56 der UN-Charta nicht explizit auf das Recht auf

Nahrung beziehen, nehmen sie wegen ihrer Bedeutung in der Praxis der

Vereinten Nationen eine zentrale Stellung ein407. Sie schufen die Basis für

den Kampf um die Durchsetzung dieses Rechts und die Formierung entspre-

chender Organisationen. Kraft Art. 55 der UN-Charta fördern die Vereinten

Nationen die Verbesserung des Lebensstandards, die Vollbeschäftigung und

die Implementierung von Voraussetzungen zum wirtschaftlichem und sozia-

lem Fortschritt408. Art 56 umfasst die Verständigung aller Mitgliedsstaaten

„gemeinsam und jeder für sich mit der Organisation zusammenzuarbeiten,

um die im Artikel 55 dargelegten Ziele zu erreichen“409.

In diesem Sinne wurde öfter betont,

„dass gemäß den Artikeln 55 und 56 der UN-Charta, den bewährten Grundsätzen des internationalen Rechts und den Bestimmungen des Vertra-ges selbst internationale Zusammenarbeit für Entwicklung und damit für die Realisierung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte eine Verpflich-tung für alle Staaten ist. Diese obliegt insbesondere jenen Staaten, die in einer Position sind, um andere Staaten hier zu unterstützen“410.

Die Erforderlichkeit, die Art. 55 UN-Charta verkündet, um den Lebensstan-

dard zu verbessern, ist von den VN häufig in wirtschaftlichen und sozialen

Fragen bezogenen Resolutionen hervorgehoben worden411. Sie haben

zugleich auf den inneren Zusammenhang zwischen dem Anstieg des Le-

bensstandards und der Lösung sozialer Probleme hingewiesen412.

Eine der ersten Handlungen der VN im wirtschaftlichen und sozialen Gebiet

war die Ermahnung an alle Mitgliedsstaaten, sofortige und radikale Aktionen

zur Überwindung des kriegsbedingten Lebensmitteldefizits zu unterneh-

men413. Dieser Entschluss ist bisher weitergeführt worden. 1961 sanktionier-

ten die VN die Gründung des Welternährungsprogramms (WFP)414. Er wurde

von den VN, der FAO und anderen Sonderorganisationen zusammen über-

407 ebd. 408 ebd. 409 ebd. 410 Windfuhr 2001, 9 411 Wolfrum 1991, 716 412 ebd. 413 ebd. 414 Vgl. Köhler 1991, 796

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nommen. Angesichts der sich verschlimmernden Welternährungssituation

beschlossen die VN 1974, eine Welternährungskonferenz einzuberufen415.

Die Tagung verkündete eine Allgemeine Erklärung zur Ausrottung von Hun-

ger und Fehlerernährung416. Die Deklaration betont inter alia das

unveräußerliche Recht, frei von Hunger und Fehlernährung zu leben, und die

Haftung der Staaten, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um eine

höhere Nahrungsmittelproduktion und eine wirksamere und gerechtere

Verteilung von Nahrungsgütern zwischen bzw. in den Ländern

durchzusetzen417.

3.2. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR)

Mit der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR)

durch die General Versammlung der Vereinten Nationen ist das gegenwärti-

ge internationale System der Menschenrechte 1948 entstanden418.

In diesem Sinne repräsentiert die AEMR „das von allen Völkern und Nationen

zu erreichende gemeinsame Ideal, damit jeder einzelne und alle Organe der

Gesellschaft sich diese Erklärung stets gegenwärtig halten und sich bemü-

hen, durch Unterricht und Erziehung die Achtung vor diesen Rechten und

Freiheiten zu fördern und durch fortschreitende nationale und internationale

Maßnahmen ihre allgemeine und tatsächliche Anerkennung und Einhaltung

durch die Bevölkerung der Mitgliedsstaaten selbst wie auch durch die Bevöl-

kerung der ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Gebiete zu gewährleisten“.419

Die AEMR repräsentiert gegenwärtig nicht nur eine moralische Plattform zur

Achtung der Freiheit und Würde von jedermann, sondern auch ein ständiges

Projekt, das die universelle Verwirklichung der Menschenrechte verlangt420.

In der Präambel der AEMR findet man die „Vier Freiheiten“ festgeschrieben,

wie sie nach einer Ansprache des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt

1941 formuliert wurde:

415 ebd. 416 ebd., 795 417 ebd. 418 Vgl. Hailbronner 2004, 214 419 Präambel der AEMR. In: bpb 2004, 54 - 55 420 Vgl. Eide 1992, 5

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„da verkündet worden ist, dass einer Welt, in der die Menschen Rede- und Glaubensfreiheit und Freiheit von Furcht und Not genießen, das höchste Streben des Menschen gilt“421. Während die Redefreiheit die politischen Freiheitsrechte betrifft, repräsentiert

die Glaubensfreiheit die geistigen Freiheitsrechte. Freiheit von Furcht bezieht

sich auf die Justizgrundrechte und die Freiheit von Not verweist auf die wirt-

schaftlichen und sozialen Rechte422.

Präsident Roosevelt hat erklärt:

„We have come to clear realization of the fact that true individual freedom cannot exist without economic security and independence. Necessitous men are not free men. People who are hungry and out of jobs are the stuff of which dictatorships are made.”423 Die von Franklin D. Roosevelt dargelegte „freedom from want“ stellt eine re-

volutionäre Innovation in der neuen humanitären Ordnung dar. Traditionelles

Denken wie beispielsweise „Naturrechte“ oder „Bürgerliche Rechte“ wurden

dokumentiert ohne Anspielung auf die Befriedigung grundlegender Bedürf-

nisse424.

Der große Beitrag der AEMR besteht also darin, dass sie die Basis der Men-

schenrechte dadurch erweitert hat, dass sie sowohl die bürgerlich-politischen

als auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte miteinander

interagieren und erstarken lässt425.

“Der einheitliche Menschenrechtskatalog der AEMR wird heute stets als ein Indiz für die Gleichwertigkeit, die Ungeteiltheit und die Unteilbarkeit der Men-schenrechte herangezogen.“426 Die Ziele und Grundsätze der UN-Charta zur Lösung wirtschaftlicher und so-

zialer Probleme erfahren ihre Vergegenständlichung im Art 25 (1) der AEMR:

421 bpb 2004, 54 422 Vgl. www.phil.euv-frankfurt-o.de/download/ 2004WS_Politische_Philosophie/Kapitel_09.pdf 423 Eide 1998,2 424 Vgl. Eide 1992, 385 425 ebd., 3 426 Klee 2000, 61

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„Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Woh-nung, ärztlicher Versorgung und notwendiger soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwirrung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.“427 Ein Lebensstandard, der Gesundheit und Wohl gewährleistet, bedeutet, dass

man in einer bestimmten Gesellschaft über der Armutsgrenze leben kann428.

Armut wird in diesem Sinne definiert als schwerwiegendes Defizit in Bezug

auf die Möglichkeit, ein Leben zu führen, das einem bestimmten Existenzmi-

nimum entspricht429.

Art 25 (1) AEMR geht über die Garantie eines bloßen Existenzminimums

hinaus, denn er schreibt nicht nur das Recht fest, frei von Hunger zu sein,

sondern auch den Anspruch auf ausreichende Nahrung für Gesundheit und

Wohlbefinden. Die ausreichende Ernährung wird als grundlegend für die

Würde und die freie Entfaltung des Menschen anerkannt430.

Trotz des zentralen Stellenwerts der AEMR konnte nicht erreicht werden,

dass sie als rechtsverbindliches Instrument verabschiedet wurde. Abschlie-

ßend wurde erklärt, die programmatische Substanz der AEMR in verbindli-

ches Vertragsrecht umzusetzen. So wurden 1966 sowohl der Internationale

Pakt über bürgerliche und politische Rechte als auch der Internationaler Pakt

über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte beschlossen431.

3.3. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale u nd

kulturelle Rechte (IPwskR)

Der rechtsverbindlichen Umsetzung der AEMR würde die Verabschiedung

der beiden Menschenrechtspakte dienen432. Die Verabschiedung der beiden

internationalen Pakte verzögerte sich bis 1966, und es dauerte weitere zehn

427 Menschenrechte, bpb 2004, 58 428 Vgl. Thibaut 2002, 16 ff. 429 ebd. 430 Vgl. Breining-Kaufmann 1990, 57 ff. 431 Vgl. Riedel 2003, 337 432 Vgl. Krennerich/Stamminger 2004, 5

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Jahre, bis 1976 ihre erforderliche Ratifikation erfolgte433. Zur Zeit erlangen

beide Pakte einen globalen Rückhalt und Geltung.

Der Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte,

auch Pakt I oder Sozialpakt genannt, beinhaltet unter anderem folgende als

wsk-Rechte bzw. soziale Rechte bezeichnete Menschenrechte:

• Recht auf geeigneten Lebensstandard sowie auf eine stetige Verbes-serung der Lebensbedingungen;

• Recht auf angemessene Ernährung; • Recht auf soziale Sicherheit; • Recht auf Bildung; • Recht auf Arbeit und auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen; • Recht auf Zusammenschluss in Gewerkschaften; • Recht auf besonderen Schutz von Familien, Mutterschaft und Kindern; • Recht auf Gesundheit; • Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben, am wissenschaftlichen

Fortschritt und seiner Anwendung sowie auf Schutz geistigen Eigen-tums und das Diskriminierungsverbot.434

Andererseits beinhaltet der Internationaler Pakt über bürgerliche und politi-

sche Rechte, der sog. Pakt II oder Zivilpakt, z. B. folgende bp-Rechte bzw.

zivile Rechte:

• Recht auf Schutz der persönlichen Unversehrtheit (Recht auf Leben, Verbot von Zwangsarbeit und Sklaverei);

• Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit; • Recht auf Schutz des Privatlebens; • Recht auf Rechtsfähigkeit; • Verbot der Schuldverhaftung; • Folterverbot; • Recht auf menschenwürdige Behandlung im Freiheitsentzug); • Freiheitsrechte (Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit, Recht auf

friedliche Versammlung, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfrei-heit, freie Meinungsäußerung und Information, Vertragsfreiheit und Gleichberechtigung der Ehegatten;

• Recht im Gerichtsverfahren (Recht auf Gleichbehandlung vor dem Gericht, Anspruch auf faire und öffentliche Beurteilung);

• Partizipationsrechte (Recht auf Teilnahme an der Gestaltung öffentli-cher Angelegenheiten und an Wahlen, Anspruch auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern);

• Diskriminierungsverbot und Minderheitenrechte.435

433 ebd. 434 Vgl. Menschenrechte, bpb 2004, 59 ff. 435 ebd., 69 ff.

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73

Die Durchsetzungsmaßnahmen stellen die zentrale Unterscheidung zwi-

schen beiden Pakten dar: 436

Im IPbpR sind das Individualbeschwerdeverfahren, der Grundsatz der Staa-

tenbeschwerde und das Berichtssystem als Überwachungsmechanismen

vorgesehen437. Das Verfahren der Individualbeschwerde ermöglicht es Ein-

zelpersonen oder Gruppen, der Menschenrechtskommission Beschwerden

über Verletzungen von bp-Rechten vorzulegen438. Der Grundsatz der Staa-

tenbeschwerde sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten einander wegen Men-

schenrechtsverletzungen bezichtigen können439. Staatenbeschwerden benö-

tigen nach Art. 41 IPbpR einer besonderen Unterwerfung440, während Indivi-

dualbeschwerden die Bereitschaft der Vertragsstaaten voraussetzen, sich

diesem Verfahren zu unterwerfen.

Die angeführten Verfahren wurden im IpwskR nicht vorgesehen.

Das Berichtsverfahren wurde jedoch in beiden Pakten anerkannt. Wegen

seines unverbindlichen Charakters gilt das Berichtsverfahren als das

schwächste Durchsetzungsinstrument internationaler Verpflichtungen441. In

den Art. 16 bis 22 wird die genaue Vorgehensweise der Berichterstattung

angegeben.442 So sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, zunächst zwei Jahre

nach Inkrafttreten des Paktes eine vollständige Darstellung zum Stand der

Umsetzung einzureichen; nachher sind die Berichte alle fünf Jahre zu unter-

breiten443. Die Staatsberichte sind Darstellungen, deren Erörterung in öffent-

lichen Sessionen stattfinden und bei denen Vertreter der betroffenen Staaten

ihren Bericht vorstellen444.

Der CESCR (Committee on Economic, Social and Cultural Rights), der für

die internationale Überwachung der wsk-Rechte zuständig ist, bemüht sich,

im konstruktiven Gespräch zu determinieren, ob die wsk-Rechte angemes-

sen angewendet werden und in welchem Ausmaß der Mitgliedsstaat die Um- 436 Vgl. Papenfuß 1993, 30 ff. 437 ebd 438 Vgl. Menschenrechte, bpb 2004, 86 439 ebd, 81 ff. 440 ebd. 441 Vgl. Pohl 2000, 76 442 Menschenrechte, bpb 2004, 65 ff. 443 ebd. 444 Vgl. Tomuschat 1991, 559 ff.

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74

setzung des Sozialpaktes verbessern kann445. Am letzten Sitzungstag formu-

liert der CESCR eine abschließende Stellungnahme, in der die wichtigsten

Einwände, Vorschläge und Empfehlungen zusammengefasst werden446.

Seit Inkrafttreten des Sozialpakts haben die meisten Vertragsstaaten bisher

noch keine Berichte vorgelegt447.

3.3.1. Der normative Inhalt des IPwskR

Völkerrechtliche Grundlage des IPwskR sind:

a) die Präambel sowie die Artikel 1, 13, 55, 56, 62 und 68 der UN-Charta und

b) Art. 22 bis 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte448.

Der IPwskR ist in fünf Teile gegliedert449. Teil I enthält nur einen Artikel, der

das Selbstbestimmungsrecht der Völker anerkennt450. Teil II bezieht sich mit

Artikel 2 bis 5 auf die allgemeinen Bestimmungen des Sozialpaktes451. Teil III

umfasst die Artikel 6 bis15, die die speziellen Bestimmungen der einzelnen

wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte bezeichnen452. Teil IV be-

stimmt in den Artikeln 16 bis 25 die Durchsetzungsmechanismen des

IPwskR, die Funktion der UN-Sonderorganisationen und die erforderliche

internationale Kooperation, um die Ziele des Paktes zu erreichen453. Die Prä-

ambel, die ähnlich der des Zivilpaktes formuliert ist, besteht allgemein aus

fünf Absätzen, in denen die Beweggründe zur Entstehung des Sozialpaktes

erwähnt werden454. Im Mittelpunkt der Präambel stehen die Menschenwürde,

der Gleichheitsgrundsatz sowie die Unveräußerlichkeit der sozialen Rechte,

die als Grundlage von Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden in der Welt be-

trachtet werden455.

445 ebd. 446 ebd. 447 Vgl. Windfuhr, Parallelbericht Menschenrechte 2001, 26 448 Vgl. Partsch 1991, 583 ff. 449 Menschenrechte, bpb 2004, 59 ff. 450 ebd. 451 ebd. 452 ebd. 453 ebd. 454 ebd. 455 ebd.

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Teil I definiert in Art.1 das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Vorausset-

zung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung456.

Teil II457 definiert in den Art. 2 bis 5 die allgemeinen Bestimmungen des So-

zialpaktes. Artikel 2 enthält die Staatsverpflichtungen, die sich aus dem Sozi-

alpakt ergeben. In Art. 3 wird die Gleichberechtigung von Mann und Frau

betont und durch entsprechende staatliche Maßnahmen gewährleistet. Art. 4

bestimmt einen allgemeinen Gesetzvorbehalt, nämlich, die Umstände, unter

denen Einschränkungen bezüglich der garantierten Rechte erlaubt sind. Die-

se Einschränkungsklausel lässt den Mitgliedsstaaten einen gewissen Ermes-

sensspielraum zur Durchsetzung der wsk-Rechte458. Art. 5 umfasst das

Missbrauchsverbot sowie die Günstigkeitsklausel459. Das Missverbrauchs-

verbot verbietet jede Tätigkeit, die darauf abzielt, die wsk-Rechte weitgehend

zu beschränken bzw. abzuschaffen460.

Teil III461 beinhaltet im Einzelnen die wsk-Rechte:

a) wirtschaftliche Rechte: Recht auf Arbeit (Art.6), Recht auf gerechte und

günstige Arbeitsbedingungen (Art.7), Recht auf gewerkschaftliche Betätigung

und Streikrecht (Art.8);

b) soziale Rechte: Recht auf soziale Sicherheit (Art.9), Recht auf Schutz von

Familien, Mutterschaft und Kindern (Art.10), Art. 11 anerkennt das Recht auf

angemessenen Lebensstandard, einschließlich angemessene Ernährung,

Bekleidung und Unterbringung. Wegen seiner herausragenden Bedeutung

wird später auf ihn ausführlicher eingegangen. Art. 12 anerkennt das Recht

auf mentale und körperliche Gesundheit;

c) kulturelle Rechte: Recht auf Bildung (Art. 13 und 14), Recht auf Teilnahme

am kulturellen und wissenschaftlichen Leben (Art. 15).

Teil IV462 beinhaltet in den Art. 16 bis 25 die Durchführungsmaßnahmen zur

Umsetzung und Überwachung bei der Implementierung von wsk-Rechten.

456 Menschenrechte, bpb 2004, 60 457 ebd., 60 ff. 458 Vgl. Pohl 2000, 44 459 Menschenrechte, bpb 2004, 61 460 ebd. 461 ebd., 61 ff. 462 ebd., 65 ff.

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76

Diese Durchführungsmaßnahmen beschränken sich auf ein Berichtssystem,

weil es dem Sozialpakt an einem Beschwerdeverfahren mangelt.

Schließlich umfasst Teil V463 die Vorschriften, die sich auf Ratifikation und

Inkrafttreten des Sozialpaktes beziehen.

3.3.2. Die generelle Verpflichtungsklausel des IPws kR

Die zentrale Vorschrift über staatliche Verpflichtungen im IPwskR ist Art 2

(1). Er determiniert die Verpflichtungen, die den Vertragsstaaten bei der Ver-

wirklichung der wsk-Rechte obliegen, und sein Inhalt ist für ein vollständiges

Verständnis der Natur und die Umsetzung des Sozialpaktes von ausschlag-

gebendem Stellenwert464.

„Each State Party to the present Covenant undertakes to take steps, indi-vidually and through international assistance and co-operation, especially economic and technical, to the maximum of its available resources, with a view to achieving progressively the full realization of the rights recognized in the present Covenant by all appropriate means, including particulary the adoption of legislative measures“465.

a) “undertakes to take steps”

Dieser Teilsatz ist nicht so aussagekräftig wie der korrespondierende Satz

des Zivilpaktes, in dem es stattdessen lautet: „to respect and to ensure“466.

Die Formulierung „undertakes to take steps“ würde von vornherein suggerie-

ren, dass die gesamte Vorschrift keine sofort anwendbare Verpflichtung be-

schreibt467. Deshalb könnte der Satz nicht als Staatenverpflichtung zur auto-

matischen Umsetzung (self-executing) in innerstaatliches Recht herangezo-

gen werden468. In diese Richtung behaupten manche Autoren, dass die meis-

ten Staatenvertreter während der Abfassung des Sozialpaktes in der Men-

463 ebd., 67 ff. 464 Vgl. Craven 1995, 106 465 Art. 2 (1) IpwskR, zit. nach: Craven 1995, 106 466 Vgl. Craven 1995, 114 467 Vgl. Pohl 2000, 165 468 ebd.

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77

schenrechtskommission vermeiden wollten, dass die wsk-Rechte als ein-

klagbar gewährleistet werden469.

Manche Autoren behaupten hingegen, dass „undertakes to take steps“ ein-

fach eine generelle Regelung im Völkerrecht darstellt, wodurch die Mitglieds-

staaten aufgefordert werden, die Verpflichtungen des Sozialpaktes zu erfül-

len470.

b) „achieve progressively the full realization of the rights“

Obwohl das Grundziel des Sozialpaktes die umfassende Verwirklichung der

wsk-Rechte ist, repräsentiert die Formulierung dieses Teilsatzes „achieve

progressively“ eine Beschränkung bezüglich der Realisierung der wsk-

Rechte471. Damit wurde die Ansicht mancher Vertragsstaaten, dass die Ver-

wirklichung der wsk-Rechte ressourcenabhängig ist und daher nicht sofort

geschehen kann, beachtet472. Tatsache ist jedoch, dass die bürgerlich-

politischen Menschenrechte dieselben Anforderungen an Staaten stellen und

genauso wenig kostenlos zu realisieren sind473.

Der Sozialpakt verpflichtet Staaten zu einer Unterlassung von Verletzungen

und zu einer effizienten Politik zur Gewährleistung der wsk-Rechte474. Bei der

Umsetzung der wsk-Rechte handelt es sich grundsätzlich um die Schaffung

und Sicherung sozialer und wirtschaftlicher Chancen für alle Menschen475.

Deswegen ist den Mitgliedsstaaten nicht erlaubt, eine ausbleibende Verwirk-

lichung der wsk-Rechte mit dem Argument der allmählichen Realisierung zu

entschuldigen476.

c) “by all appropriate means, including particulary the adoption of

legislative measures“

469 ebd. 470 Craven 1995, 115ff. 471 Craven 1995, 131 472 ebd., 130 473 ebd. 474 ebd., 132 475 ebd. 476 ebd., 133 ff.

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Gemäß dieser Formulierung können die Vertragsstaaten selbst auswählen,

welche entsprechende Maßnahme sie anwenden werden, um die wsk-

Rechte zu realisieren, d. h., wenn ein Vertrag einem Staat eine völkerrechtli-

che Pflicht auferlegt, bestimmt jeder Staat die Umsetzungsform dieser Ver-

pflichtung, beispielsweise durch Gesetzgebung, administrative Maßnahmen,

Gewohnheitsrecht oder auf andere Art und Weise. Hauptsache ist, dass der

Staat seine völkerrechtliche Pflicht erfüllt477.

Bezüglich dieses Textabschnittes führt der CESCR 1987 in seiner Allgemei-

nen Bemerkung Nr. 3 an:

„The phrase ‘by all appropriate means’ must be given its full and natural meaning (...) each State party must decide for itself which means are the most appropriate under the circumstances with the respect to each of the rights…”.478 Mit diesem Abschnitt soll also ebenso wie in den vorhergehenden Satzteilen

den Staaten größtmöglicher Ermessensspielraum bezüglich der Realisierung

der wsk-Rechte gegeben werden479.

d) „to the maximum of its available resources“

Hier stellt sich die Frage, was unter “to the maximum of its available resour-

ces“ und insbesondere unter „resources“ zu verstehen ist, in Anbetracht der

Tatsache, dass der Ressourcenbegriff hinsichtlich des Rechtscharakters des

Art. 2 (1) bei der Realisierung der wsk-Rechte eine zentrale Rolle spielt480.

Nach der subjektiven Ressourcendefinition sind die verfügbaren Ressourcen

diejenigen, die der Staat für die Erfüllung des IPwskR zur Verfügung stellt481.

Diese Interpretation jedoch muss abgelehnt werden, weil ansonsten die Er-

füllung des Sozialpaktes ganz vom Willen des Staates abhängen würde und

somit von einer juristischen Pflicht keine Rede sein könnte. Nach der objekti-

477 Craven 1995, 115 ff. 478 Zit. nach: Craven 1995, 115 ff. 479 ebd. 480 Vgl. Klee 2000, 114 ff. 481 ebd., 124

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ven Ressourcendefinition ist die Verfügbarkeit der Ressourcen kein Begren-

zungskriterium, folglich meint die Formulierung „to the maximum of its avai-

lable resources“ nicht die verfügbaren Ressourcen, sondern vielmehr die

vorhandenen Ressourcen eines Staates482. Nach dem Ansatz des Bruttoso-

zialproduktes als Prüfstein zur Ressourcenbestimmung sind verfügbare Res-

sourcen die Gesamtheit der in einem Land produzierten Güter und Dienst-

leistungen483. Weil das Bruttosozialprodukt grundsätzlich die ökonomische

Leistungsfähigkeit eines Staates und nicht die tatsächlich vorhandenen Res-

sourcen betrifft, muss dieser Ansatz auch abgelehnt werden484.

Der Ansatz von Robertson besagt, dass ein Staat fünf unterschiedliche Res-

sourcen hat: menschliche, natürliche, technische, informationelle und finan-

zielle Ressourcen485. Alle diese Mittel stehen dem Staat zur Verfügung, um

die Pflichten des Sozialpaktes umzusetzen486. Nach dem Ressourcenkriteri-

um von UNICEF sind drei Ressourcenkonstellationen zu erkennen: mensch-

liche, organisatorische und finanzielle Ressourcen. Festzuhalten ist an dieser

Stelle, dass praktisch alle Mittel einem Staat zur Verwirklichung des Sozial-

paktes potentiell zur Verfügung stehen487.

e) „individually and through international assistance and co-operation,

especially economic and technical“

Die soll denjenigen Staaten helfen, die auf Grund von Notumständen ihre

Pflichten nicht erfüllen können488. Außerdem bezieht sich dieser Satzteil nicht

nur auf die nationalen, sondern auch auf die internationalen Ressourcen489.

Der Grundsatz der internationalen Hilfe und Kooperation findet sich bereits in

Art. 3 (1), 55 und 56 der UN-Charta und in Art. 28 der AEMR, in Anbetracht

482 ebd. 483 ebd., 125 484 ebd. 485 ebd. 486 ebd. 487 ebd., 126 488 Vgl. Craven 1995, 144 ff. 489 ebd., 148

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der Tatsache, dass die Verwirklichung der sozialen Rechte eine unbedingte

Kondition für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt darstellt490.

3.3.3. Der Status der Menschenrechte im IPwskR

In der Auseinandersetzung über die politische Natur der wsk-Rechte geht es

um die Frage, ob soziale Forderungen als subjektive Rechte verstanden

werden sollen. Sowohl in der verfassungsrechtlichen als auch in der völker-

rechtlichen Debatte wird die Argumentation formuliert, dass es sich bei sozia-

len Rechten nicht um primär juristische Probleme, sondern vielmehr um poli-

tische Probleme handele, die nicht justiziabel, d. h. nicht juristisch erfassbar

seien. Hauptgrund einer solchen Ansicht sei die Ressourcenabhängigkeit der

wsk-Rechte, im Gegensatz zum angeblich kostenlosen Charakter der bp-

Rechte.491 Nach diesem Ansatz repräsentieren die wsk-Rechte reine Leis-

tungsansprüche gegenüber dem Staat, deren Beschränkung in der Verfüg-

barkeit der Ressourcen zu ihrer Realisierung liegt. Hinsichtlich dieser Argu-

mentation stellt sich die Frage, inwiefern es sich bei den wsk-Rechten tat-

sächlich um reine Leistungsansprüche ohne Rechtsqualität handelt. Zu die-

ser Analyse bieten sich mehrere Theorien an: die Generationstheorie von

Karel Vasak, die Statuslehre von Georg Jellinek, und das 3-Ebenen-Modell

von Henry Shue und Asbjørn Eide.

3.3.3.1. Das Generationsmodell

Dieses theoretische Modell wurde ursprünglich von Karel Vasak in den 70er

Jahren formuliert492, und es wird auch von den Vereinten Nationen vertreten.

Die Erste Generation: die „bp-Rechte“

Durch die Ausdehnung der vom Eigentum und Bildungsbürgertum getrage-

nen bürgerlichen Freiheitsgrundsätze verallgemeinern sich die Freiheits- und

490 Vgl. Craven 1995, 22 491 Craven 1995, 136 ff. 492 Vgl. Fritzsche 2003, 24 ff.

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Bürgerrechte bis zur Mitte der 19. Jahrhunderts durch den europäischen

Kontinent und bildeten die erste Grund- und Menschenrechtsgeneration493.

Dazu gehören die bürgerlichen und politischen Abwehrrechte (beispielsweise

persönliche Freiheit und Integrität, Privatsphäre, Gewissens-, Religions- und

Meinungsfreiheit), deren Aufgabe es ist, die Bürger vor staatlichen Eingriffen

zu schützen, und die Gestaltungsrechte (oder Freiheitsrechte, wie z. B.

Wahl- und Stimmrecht, Petitionsrecht, gleiche Ämterzugänglichkeit, Vereins-,

Versammlungs- und Parteienfreiheit), die die Aufgabe haben, die Teilnahme

des Individuums an der politischen Willensbildung der Gesellschaft zu ge-

währleisten494. Zur ersten Generation zählen grundsätzlich die im Internatio-

nalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 enthaltenen

Grundrechte, die sog. bp-Rechte.

Die Zweite Generation: die „wsk-Rechte“

Im Laufe der zweiten Industriellen Revolution zeigte sich, dass das Bürger-

tum seine Freiheitsrechte auf Kosten der Besitzlosen durchsetzte. Trotz des

Gleichheitsprinzips wurden Eigentum und Bildung ungleich verteilt. Armut

machte den Genuss bürgerlicher Rechte unmöglich. Allmählich wurde klar,

dass Freiheit sich nur realisieren lässt, wenn Grundbedürfnisse für ein men-

schenwürdiges Leben erfüllt werden.495 So wurde begonnen, soziale Grund-

rechte zu fordern, so dass der Staat verpflichtet ist, soziale Maßnahmen zu

treffen, um einen menschenwürdigen Lebensstandard der Bürger zu garan-

tieren496.

Die Entfaltung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte bilden die

zweite Generation der Menschenrechte. Zu diesen Ansprüchen gehören vor

allem die im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle

Rechte von 1966 zusammengefassten „wsk-Rechte“, nämlich: das Recht auf

adäquaten Lebensstandard, angemessene Ernährung, Wohnung, Gesund-

heit, soziale Sicherheit, Arbeit und Bildung497.

493 ebd. 494 ebd., 25 495 Bielefeldt 1998, 97 496 ebd. 497 ebd., 98

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Die sozialen Rechte richten sich auf die Realisierung der sozialen Freiheit

durch den Staat, sie stellen Teilhaberechte dar, die zu Leistungsverpflichtun-

gen des Staates führen498.

Die Dritte Generation: die Solidaritätsrechte

Als Reaktion auf Bedrohungs- und Unterdrückungsformen großen Ausmaßes

entstand in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts die dritte Generation

der Menschenrechte, die sog. Solidaritätsrechte, deren Verwirklichung die

Kooperation der internationalen Gemeinschaft erfordert. Diese betreffen die

Überlebensbedingungen und das Selbstbestimmungsrecht von Völkern und

Gemeinschaften im kollektiven Zusammenhang, also z. B. das Recht der

Völker auf freie Verfügung über ihre Ressourcen, das Recht auf Entwicklung,

das Recht auf Frieden und Sicherheit und das Recht auf eine gesunde Um-

welt.499

Diskussion

Das Generationsmodell von Karel Vasak von 1975 bemüht sich um eine

chronologische Begründung der Menschenrechte. Nach diesem Modell be-

ginnt die Geschichte der Menschenrechte mit den bürgerlich-politischen Re-

volutionen des 18.Jahrhunderts und folglich mit besonderer Beachtung der

bürgerlich-politischen Rechte.

Aber die Menschenrechtsidee entstand nicht im 18. Jahrhundert, wir finden

sie schon in der Antike. Im Laufe der Geschichte basiert die

Menschenrechtsidee auf der Vorstellung der Gleichberechtigung aller

Menschen und dem Gemeinwohl im Sinne der Befriedigung der

Grundbedürfnisse aller.

„The equality of men is the central idea of human rights.“500

Das Generationsmodell von Karel Vasak suggeriert hingegen sowohl eine

irreführende Hierarchisierung durch getrennte Abteilungen der Menschen- 498 ebd. 499 www.humanrights.ch/einsteigerinnen/geschichte.html 500 Szabo 1982, 12

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rechte – wobei die sozialen Grundrechte in einer „zweitrangigen Position“

dargestellt werden - als auch einen anachronistischen Vorrang der bürgerli-

chen und politischen Ansprüche, die heutzutage aus der Sicht der Unteilbar-

keit der Menschenrechte nicht mehr zu begründen ist. Das aktuelle Ver-

ständnis der Menschenrechte besteht darin, dass alle Menschenrechte

gleichrangig sind, dass sie auf Gleichberechtigung, Menschenwürde und

Gemeinwohl basieren und dass sie sich ohne fiktive Klassifizierungen wech-

selseitig bedingen. Schon 1977 hat die UNO durch die Resolution 32/130

beschlossen:

„All human rights and fundamental freedoms are indivisible and interdepend-ent; equal attention and urgent consideration should be given to the imple-mentation, promotion and protection of both civil and political, and economic, social and cultural rights. The full realization of civil and political rights without the enjoyment of economic, social and cultural rights is impossible”501.

3.3.3.2. Die Statuslehre

Zur Systematisierung der Grund- und Menschenrechtsfunktionen wird die

Statuslehre von Georg Jellinek verwendet. Durch diese Lehre sind die Ver-

hältnisse des Individuums zur politischen Gewalt in vier Status zusammenge-

fasst worden. Jellinek unterscheidet den status passivus und den status ne-

gativus, den status positivus und den status activus.502

status passivus

Der status passivus (Zustand der Grundpflichten) ist der Grundstatus. In ihm

ist der Mensch der Staatsgewalt unterworfen. Auf dieser Ebene hat der

Mensch keine Rechte, sondern ist nur Adressat von Verpflichtungen503.

status negativus

501 Zit. in: van Boven 1982, 51 502 www.humboldt-forum-recht.de/3-200/glossar.html 503 www.jwilhelm.de/staats.pdf

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Der status negativus (auch negative Freiheitsrechte, bürgerlich-politische

Rechte oder Abwehrrechte genannt) ist der Zustand der Freiheit vom Staat.

Die status-negativus-Rechte betonen die Autonomie des Individuums und

berechtigen den Einzelnen, vom Staat die Unterlassung des Eingreifens in

seinen Lebensbereich zu verlangen504.

Die Konzeption der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat geht von

der historischen Erfahrung aus, dass die Macht des Staates eingeschränkt

werden muss. Der Staat verfügt über ein Gewaltmonopol, und für den Bürger

besteht die Gefahr, von der Staatsgewalt unterdrückt zu werden505.

Die Abwehrrechte garantieren den Menschen einen Freiheitsraum, in dem

sie vor staatlichen Eingriffen geschützt werden. Klassische status-negativus-

Rechte sind die bürgerlich-politischen Rechte (bp-Rechte) im schon erwähn-

ten Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 wie

u. a. das Recht auf Leben, auf persönliche Freiheit und Sicherheit, auf

Gleichheit vor dem Gesetz, auf Meinungs- und Glaubensfreiheit, auf Ver-

sammlungs- und Vereinigungsfreiheit, auf die Unversehrtheit der Wohnung

und das Recht auf Eigentum. Ihr Wesen ist in den vergangenen Jahrhunder-

ten gewachsen, konkretisiert und gefestigt worden und ist eng verknüpft mit

der Entwicklung rechtsstaatlicher Grundvorstellungen und der Einrichtung

nationaler und supranationaler Grundrechtsgerichten506.

Freiheitsrechte gelten, im Gegensatz zu den Teilhaberechten, als justitiabel

und können vor Gerichten eingeklagt werden. Ihre Umsetzung kann sofort

geschehen und kostet den Staat nichts, sie sind also „cost-free rights“, im

Gegensatz zu den sozialen Menschenrechten, die von den Staaten aktives

Handeln fordern und daher bei ihrer Umsetzung Kosten verursachen.

status activus

504 ebd. 505 ebd. 506 Machacek 1991, 24 ff.

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Der status activus ist der Zustand, in dem das Individuum seine Freiheit vom

und durch den Staat betätigt. Die status-activus-Rechte sind die Rechte des

Einzelnen auf aktive Teilnahme an der politischen Willensbildung. Daher

werden sie auch als Mitgestaltungsrechte bezeichnet507.

status positivus

Der status positivus ist der Zustand der Sozialen Grundrechte, in dem der

Staat die Gewährung von gleichen und angemessenen Lebensbedingungen

für alle sichern soll: Recht auf angemessene Nahrung, Wohnung, Arbeit, Bil-

dung usw. Ihre Wurzeln liegen im Zeitalter der zweiten industriellen Revoluti-

on des 19. Jahrhunderts und stellen eine Antwort auf die Auswüchse des

Kapitalismus und seiner Marktgesetze dar. Sie werden auch als Leistungs-

oder positive Rechte bezeichnet, da für ihre Verwirklichung positive Maß-

nahmen und die Bereitstellung von erheblichen Mitteln seitens des Staates

nötig sind508.

Obwohl die status-positivus-Rechte als subjektive Rechte formuliert sind,

werden sie eher als Programmsätze oder unverbindliche Zielsetzungen ver-

standen, die in ihrer Umsetzung für den Staat nicht kostenlos sind, sondern

Ressourcen benötigen. Klassische status-positivus-Rechte sind die sozialen

Rechte (wsk-Rechte) aus dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, so-

ziale und kulturelle Rechte von 1966509.

Ihre Umsetzung unterliegt daher einer faktischen Schranke, nämlich der

natürlichen Knappheit der Anspruchsobjekte. Da soziale Rechte vielfach als

politische Absichtserklärungen verstanden werden, werden diese Rechte

auch nicht als justitiable, einklagbare Grundrechte, anerkannt. Dieses Prob-

lem wird durch ihre mangelnde Konkretisierbarkeit noch verstärkt. Bruno

Simma begründet dieses Fehlen von präzisen Vorstellung und Definitionen

von sozialen Menschenrechten mit ihrer Neuheit und dem Mangel an Erfah-

rungen bei ihrer Erfüllung auf der innerstaatlichen Ebene510.

507 ebd. 508 www.jwilhelm.de/staats.pdf 509 ebd. 510 Simma 1995, 194

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86

„Die Verletzungen von sozialen Rechten sind in der Tat juristisch schwer

greifbar, weil der rechtliche Gehalt der meisten wirtschaftlichen, sozialen und

kulturellen Menschenrechte – im Vergleich zu den bürgerlichen und politi-

schen – so unklar, so schwierig festzumachen ist. Dies liegt am Umfang und

an den scharfen Konturen dieser Rechte“511.

Diskussion

Betrachtet man nun die oben geschilderten Freiheits- und Teilhaberechte, so

erscheint es auf den ersten Blick, dass beide Menschenrechtsgruppen unter-

schiedliche Rechtskategorien darstellen. Dennoch kann diese klare Zuord-

nung bei näherer Betrachtung nicht aufrechterhalten werden, da alle Men-

schenrechte eine „Doppelnatur“ aufweisen512.

So gibt es einige soziale Grundrechte, die ihrer formalen Struktur nach keine

Leistungsansprüche sind. Betrachten wir in diesem Zusammenhang das

Recht, Gewerkschaften zu bilden, und das Streikrecht: beide sind nicht Leis-

tungsrechte im klassischen Sinne, sondern Freiheitsrechte. Auch in den bei-

den UN-Menschenrechtspakten findet man das Recht, Gewerkschaften zu

bilden und beizutreten513. In der Literatur werden noch weitere Beispiele für

stark verpflichtende Sozialrechte mit „freiheitsrechtlichen“ Bestandteilen an-

geführt. So werden für den IPwskR der Kinder- und Jugendschutz, das Recht

auf (unentgeltlichen) Grundschulunterricht; Elternrechte und Privatschulfrei-

heit in Verbindung mit dem Recht auf Bildung sowie die Freiheit der For-

schung genannt514.

Darüber hinaus fordern manche bürgerlich-politischen Rechte - entgegen

ihrer Eigenschaft als Freiheitsrechte - soziale Leistungen vom Staat ab, z. B.

Art 24, Abs. 1 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische

Rechte, in dem es heißt: „Jedes Kind hat (...) das Recht auf diejenigen

Schutzmaßnahmen durch seine Familie, die Gesellschaft und den Staat, die

511 ebd., 195 512 ebd. 513 Artikel 8 im IPwskR und Artikel 22 im IPbpR 514 Papenfuß 1993, 21

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seine Rechtsstellung als Minderjähriger erfordert“, und verweist daher zu

Recht darauf, dass die Umsetzung dieses Rechts nicht sofort erfolgen kann.

Der Staat ist dabei nicht nur zur Schaffung von Gesetzen zum Schutze des

Kindes gefordert, sondern muss diesen Schutz notfalls mit Unterhaltungszah-

lungen gewährleisten515.

In den unterschiedlichen Menschenrechten korrespondieren, auch bei der

Klasse der Freiheitsrechte, nicht nur Unterlassungspflichten, sondern auch

Schutz- und Erfüllungspflichten516.

Paul Sieghart behauptet in seinem Buch „Die geltenden Menschenrechte“:

„Tatsächlich ist die Unterscheidung zwischen diesen Verträgen völlig willkür-lich: es gibt Rechte, die von Verträgen in beiden Kategorien geschützt wer-den – wie zum Beispiel Gewerkschaftsrechte und Familienschutz. Nichtsdestoweniger wird manchmal argumentiert, dass diese Trennung einen echten Unterschied zwischen Rechten auf positive Eingriffe und Rechten auf Nichteinmischung widerspiegelt oder zwischen Rechten, deren Schutz für den Staat kostenaufwändig ist, und solchen, die den Staat nichts kosten. Aber auch das hält einer gründlicheren Untersuchung nicht Stand. Manche der herkömmlichen ‚bürgerlichen und politischen’ Rechte ziehen wesentliche Staatseingriffe nach sich und können viel Geld und andere Ressourcen kos-ten. Zum Beispiel muss der Staat, um das Recht des Einzelnen auf Freiheit von willkürlicher Verhaftung und Anhaltung, und sein Recht auf ein faires Verfahren vor einem unabhängigen, zuständigen und unparteiischen Gericht zu schützen, Polizisten, Staatsanwälte und Richter anstellen und auf hohem Niveau ausbilden und bezahlen. Andererseits kostet es den Staat weder Maßnahmen noch Geld, wenn er zulässt, dass nationale Gewerkschaften entstehen oder dass sich jedermann am kulturellen Leben beteiligen kann – obwohl diese beiden Rechte als ‚wirtschaftlich, sozial und kulturell’ bezeich-net werden. Falls eine auf Kosten basierende Unterscheidung überhaupt besteht, liegt sie eher in den verschiedenen Arten der Verpflichtungen, die die beiden Pakte dem Staat auferlegen“.517

Christian Courtis bestätigt was Paul Sieghart argumentiert:

„Evidently, the fulfillment of civil and political rights demand positive obliga-tions, characterized by the expenditure of resources, and not the mere ab-sention of the state. It is worthwhile to review the great quantity of resources 515 ebd., 23 516 ebd. 517 Sieghart 1988, 94 f.

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necessary to effectuate, for example, the right to property. Trough the or-ganization of distinct public services, the state acts to ensure this ‘negative obligation’; there is much activity in the civil and criminal justice systems, and property rights are often part of political platforms. In addition, the state is involved in inspections of buildings and automobiles, other special registra-tions, cadastre services, and the setting and control of zoning and the use of land. (…) In synthesis, the structure of civil and political rights can be characterized as a complex of negative and positive obligations on the part of the state (…) From this perspective, the differences between civil and political rights and economic, social, and cultural rights are differences in degree, more than they are substantive differences.”518

Auch Henry Shue untersuchte 1980 in seinem berühmten Buch „Basic

Rights“, ob diese Einteilung in Abwehr- und Leistungsrechte noch aufrecht

erhalten werden kann, und erstellte dabei ein theoretisches Modell von

Staatsverpflichtungen, die sich aus den Menschenrechten ergeben:

„Yes, there are distinctions, but they are not distinctions between rights. The useful distinctions are among duties (…) So I want to suggest that with every basic right, three types of duties correlate: I. Duties to avoid depriving. II. Duties to protect from deprivation III. Duties to aid the deprived.”519

Zusammenfassend kann man sagen, dass es keine Hierarchisierung der

Menschenrechte gibt, dass sozio-ökonomische und bürgerlich-politische

Rechte rechtlich gleichgestellt sind und keine von ihnen eine formelle oder

inhaltliche Vorrangstellung gegenüber den anderen genießen. Außerdem

machen weder die ältesten der Dokumente (die Allgemeine und die Ameri-

kanische Erklärung) noch das neuste (die Afrikanische Charta) irgendeine

Unterscheidung zwischen Kategorien der Menschenrechte – nicht einmal in

Bezug auf die Art der entsprechenden staatlichen Verpflichtung.

„(...) Die sozialistischen Länder bestanden auf der Vorrangigkeit der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (‚Menschenrechte beginnen nach dem Frühstück’), während der Westen weiter auf der Vorrangigkeit der bürgerlichen und politischen Rechte bestand (‚Menschenrechte beginnen auf dem Polizeikommissariat’). (...) Nur indem man alle Menschenrechte zu-sammennimmt, kann man solche interessanten theoretischen Fragen ver-

518 Courtis 2005, 6 519 Shue 1980, 52

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meiden, wie etwa ‚was nützt es einem Hungernden, frei zu sein?’ oder ‚ist ein Sklave mit vollem Bauch nicht zufrieden?’; oder ‚ist es schlechter, von einem habgierigen Gutsbesitzer in den Hungertod getrieben oder wegen der Belei-digung des Staatsoberhauptes erschlagen zu werden?’ Gleichrangigkeit ist genauso wichtig für die Menschenrechte wie für die Menschen, denn wenn man erst beginnt, Menschenrechten irgendeine Rangordnung zuzuschreiben, steht der Weg zum Missbrauch weit offen. (...) Eine derartige Rangfolge muss daher mit allen Mitteln verhindert werden – und ebenso jede Einteilung, die dazu führen könnte.“520

In einer Vorlesung zum Öffentlichen Recht wird nur die Statuslehre Jellineks dargestellt: „Während ein Unterlassen keine Ressourcen des Staates bindet und keine Kosten verursacht, ist dies bei einer Rechtspflicht zu einem positiven Tun anders. Wenn der Staat das Recht auf Arbeit einlösen will, muss er eine Be-schäftigungspolitik betreiben, die Kosten verursacht. Wenn der Staat das Recht auf Bildung einlösen will, muss er für eine angemessene Ausstattung des Bildungswesens sorgen, die Kosten verursacht. Wenn der Staat das Recht auf Wohnung einlösen will, muss er Wohnungspolitik betreiben. Auch dies verursacht Kosten.(...) Das Problem besteht darin, dass die Mittel des Staates begrenzt sind und in einer freiheitlichen Demokratie begrenzt sein müssen und dass die Forderung nach einem Tun, anders als die Forderung nach einem Unterlassen, solche Mittel in einem erheblichen Umfang in An-spruch nimmt“.521

Obwohl die bürgerlich-politischen Rechte erhebliche Kosten vom Staat ver-

langen, verstehen sich diese Rechte traditionellerweise als vorstaatlich,

selbstverständlich, natürlich und ewig. Die wsk-Rechte dagegen, die sich

auch aus der Menschenwürde und aus dem Gleichberechtigungsgrundsatz

ableiten, werden abgesondert und nicht ernst genommen, weil sie „Kosten

bewirken“. Könnte irgendein Staat z. B. den Schutz der bürgerlich-politischen

Rechte auf Grund der Ressourcenknappheit verweigern?

„(The civil and political) on the part of society assumed the form of natural law as they were presented as eternal needs522 (…) Some authors deny that economic, social and cultural rights belong to the category of ‘human rights’, arguing that they cannot be regarded as ‘rights’ in the proper sense. It is just this view which is defended by those who interpret human rights strictly in terms of natural law.”523

520 Sieghart 1988, 97 521 zit. nach Vorlesg. Öffentl. Recht I, FU Berlin, 2005, In: www.fu-berlin.de/jura/veranstaltungen/lehrveranstaltungen/07/ws0405/v_gk_or 1/050103_vorlesung.pdf. 522 Szabo 1982, 15 523 ebd., 19

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90

Also geht es weniger um die Unterschiede zwischen Menschenrechten we-

gen ihrer Kosten oder ihrer Subjektivität, sondern vielmehr um die verschie-

denen Staatsverpflichtungen den Menschen gegenüber. D. h., alle Men-

schenrechte betreffen nicht nur negative Unterlassungspflichten, sondern

auch positive Schutz- und Erfüllungspflichten.

3.3.3.3. Das 3-Ebenen-Modell des Respect, Protect und Fulfil

Wie schon angeführt, differenzierte Henry Shue zwischen

a) der Staatspflicht, niemanden in Not zu bringen („duty to avoid depriving“

bzw. „not to eliminate a person’s means of subsistence“),

b) der Staatspflicht, vor anderen zu schützen (“duty to protect from deprivati-

on (by other people)”) und

c) der Staatspflicht, denen, die in Not sind, zu helfen (“duty to aid the depri-

ved”)524.

Auf der Grundlage dieses Modells entwickelt Asbøjrn Eide525 in einer Unter-

suchung, die er im Auftrag der Sub-Comission on Prevention of Discriminati-

on and Protection of Minorities für das Recht auf Nahrung formulierte, das

Triade-Modell des „respect, protect und fulfil“. Anhand dieser Triade be-

schreibt Eide die Pflichten, die sich für den Staat auf Grund der Menschen-

rechte ergeben526.

Eide beschreibt diese einzelnen Rechtskategorien folgendermaßen:

„The obligation to respect requires the State, and thereby all its organs and agents, to abstain from doing anything that violates the integrity of the individuals or infringes on her or his freedom, including the freedom to use the material resources available to that individual in the way she or he finds best to satisfy the basic needs”527.

So wird auf dieser Ebene zunächst der Staat dazu verpflichtet, ein entspre-

chendes Menschenrecht anzuerkennen und nicht durch eine aktive Handlung 524 www.info-servo.de/menschenpfl.htm 525 Vgl. Klee 2000, 101 526 ebd. 527 zit. nach Klee 2000, 101

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zu verletzen. Dem Staat ist demnach verboten, in die Freiheit des Indivi-

duums einzugreifen. Dabei reduziert sich der Freiheitsbegriff nicht nur auf die

bürgerlichen Freiheiten: von einer Verletzung eines Menschenrechts kann

dann gesprochen werden, wenn der Staat durch ein Tun (beispielsweise ein

Gesetz) die Freiheit des Individuums in seinem wirtschaftlichen, sozialen o-

der kulturellen Rechten beschneidet. Die Ebene des respect beinhaltet des-

halb überwiegend Unterlassungspflichten des Staates.528

Die respect obligation setzt demnach beim Gedanken der Subsidiarität an:

Jeder Einzelne ist zunächst für das eigene Wohlergehen verantwortlich, be-

vor der Staat unterstützend eingreifen muss. Der Staat soll dadurch Frei-

heitsraum und Eigeninitiative ihrer Mitglieder fördern und ihnen bei der

Wahrnehmung der Aufgaben helfen, die sie selbst übernehmen können.529

Matthew Craven kommentiert hierzu:

„Not only is the individual posited as the primary subject of development, but common emphasis is placed upon ‘empowerment’ or ‘self-reliance’ as an ob-jective. Thus the development process is conceived of as being an ‘enabling’ process whereby structural impediments (both social and economic, on a micro and macro scale) are lifted to allow the individual to define and fulfil his or her material and non-material needs.”530 Zusammenfassend kann man feststellen, dass auf der respect-Ebene für

beide Gruppen von Menschenrechten, nämlich für Freiheits- und Teilha-

berechte, die gleichen Anforderungen an den Staat gestellt werden. Beide

Male ist der Staat, wie bereits angeführt, verpflichtet, ein entsprechendes

Menschenrecht anzuerkennen und dieses nicht durch eine aktive Handlung

seinerseits zu verletzen.

Während die respect–Ebene nur eine Nichthandlung fordert, ist schon beim

Protect eine staatliche Handlung notwendig. Eide schreibt dazu:

„The obligation to protect requires from the State and its agents the meas-ures necessary to prevent other individuals or groups from violating the integ-rity, freedom of action, or other human rights of the individual – including the prevention of infringement of the enjoyment of his material resources.”531 528 Vgl. Engels 2000, 56 529 ebd., 57 530 Craven 1995, 120 531 zit. nach Klee 2000, 101

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Diese Zweite Ebene fordert nun eine Handlung vom Staat. Die protect-

Verpflichtung verlangt vom Staat, dass dieser dafür Sorge trägt, dass alle

Personen ihre verbrieften Menschenrechte tatsächlich genießen können,

auch wenn entweder private Akteure diese gefährden würden – die sog.

Drittwirkung der Menschenrechte – oder der Staat selbst bestimmte Leistun-

gen nicht erbringen will532.

In Bezug auf die Drittwirkung der Menschenrechte schreibt Craven:

„Such an obligation implies the ‘horizontal effectiveness’ of rights, often known as Drittwirkung der Grundrechte. (…) It must be assumed that where the State is not in position to ensure the rights itself, it must regulate private interactions to ensure that individuals are not arbitrarily deprived of the en-joyment of their rights by others individuals.”533 Um dieser Verpflichtung gerecht zu werden, steht dem Staat die Möglichkeit

des Erlassens von Gesetzen sowie der Überwachung ihrer Durchführung zur

Verfügung, wobei seine Verpflichtung nicht mit dem Erlassen von Gesetzen

endet, sondern erst bei der faktischen Durchsetzung derselben534.

Der Staat ist demnach nicht nur verpflichtet, durch Gesetze die Rechte zu

garantieren, sondern er muss durch seine Organe, die für seine innerstaatli-

che Rechtsetzung primär zuständig sind (Verwaltung, Polizei und Justiz) die-

se Rechte auch schützen535.

Auch bei der protect-Ebene kann man zusammenfassend feststellen, dass

die daraus resultierenden Staatsverpflichtungen für soziale und bürgerlich-

politische Rechte gilt. Der Staat ist nicht nur verpflichtet, ein Recht zu respek-

tieren (respect-Ebene), sondern auch dieses durch die Gesetzgebung zu

schützen und seine Durchführung zu sichern und zu kontrollieren536.

Die letzte Staatenverpflichtung ist laut Eide die fulfil-Ebene. Er erläutert:

532 Vgl. Pohl 2000, 29 533 Craven 1995, 111 534 Klee 2001, 101 ff. 535 ebd. 536 ebd., 103

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„The obligation to fulfil requires the State to take measures necessary to en-sure for each person within ist jurisdiction opportunities to obtain satisfaction of those needs, recognized in the human rights instruments, wich cannot be secured by personal effort.“537 Auf dieser Ebene setzen die staatlichen Leistungspflichten ein, die „through

assistance or direct provision“ geleistet werden können. Bei der „assistence“

geht es darum, dass denjenigen, die selbst keine Möglichkeit zur Umsetzung

ihrer Rechte haben, Hilfe gewährt wird, damit sie einen solchen Zugang er-

halten. Die „direct provision“ ist demgegenüber eine direkte Geld- oder Sach-

leistung, die vom Staat an diejenigen transferiert wird, die ansonsten keinen

Zugang zu einem bestimmten Gut hätten.538 Die Leistungspflichten be-

schränken sich allerdings nicht auf sogenannte „Bedürftige“: So enthält Art.

13 Abs. 2 (a) IPwskR z. B. die Pflicht, für jeden einen unentgeltlichen Grund-

schulunterricht zu garantieren539. Leistungspflichten sind auch bei den bür-

gerlichen Menschenrechten bekannt: die Erfordernisse der Demokratie (in

Deutschland: Bereitstellen von Wahllokalen, Finanzierung der Parteien – u.

a. der NPD - und Institutionen wie z. B. die Bundeszentrale für Politische Bil-

dung) und diejenigen des Staates wie z. B. die Einrichtung von Gerichten,

sind fulfil-Pflichten.

Auch Kitty Arambulo verweist in diesem Zusammenhang auf die Kosten hin,

die bei der Umsetzung von bürgerlich-politischen Menschenrechten im Be-

reich der Gerichtsbarkeit entstehen können:

„(...) would like to submit that the implementation of certain civil and political rights by a court with powers of enforcement in many cases entails specific efforts on the part of the State, such as the financing of an effectively func-tioning judicial machinery and the upholding of the judiciary’s competence, independence and impartiality”.540 Zusammenfassend lässt sich auch für die letzte Ebene feststellen, dass sich

die Leistungsverpflichtungen auf beide Menschenrechtsgruppen beziehen

und dass es auch hier keinen Unterschied zwischen sozialen und bürgerlich-

politischen Rechten gibt, da bei beiden Menschenrechtsgruppen für ihre Um- 537 zit. nach Klee 2000, 103 538 Engels 2000, 63 539 ebd. 540 Arambulo 1999, 73

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setzung und ihren Schutz vom Staat positive Leistungen erbracht werden

müssen.

Manfred Nowak folgert daraus zu Recht, dass „der angebliche Wesensunter-

schied zwischen sogenannten Abwehrrechten und nicht-justitiabeln Leis-

tungsrechten (...) in dieser Allgemeinheit folglich nicht aufrecht erhalten wer-

den kann“.541

Um an dieser Stelle nur ein Beispiel zu geben: Art 11 IPwskR, der unter an-

derem das Recht auf angemessene Ernährung normiert, wurde vom ECO-

SOC (Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen) und von der Litera-

tur dahingehend interpretiert, dass er sämtliche drei Verpflichtungsebenen

enthält: Bezüglich der „obligation to respect“ ist jeder Staat verpflichtet, sei-

nen Bürgern bereits vorhandene Nahrungsquellen nicht zu entziehen (wie

etwa durch Landenteignung). Die „obligation to protect“ gebietet dem Staat,

Dritte an eben solchem Tun zu hindern, und im Rahmen der „obligation to

fulfil“ muss der Staat denjenigen, denen nicht genügend Nahrungsmittel zur

Verfügung stehen, Zugang zu Möglichkeiten ihrer Beschaffung oder zu den

Nahrungsmitteln selbst verschaffen. Diese dritte Möglichkeit wird positive

Handlungen des Staates, in der Regel auch in Form der entsprechenden

Ressourcenverteilung, beinhalten.542

3.4. Die rechtliche Verankerung des Rechts auf Nahr ung im IPwskR

Das Recht auf angemessene Ernährung gehört zum Kernbereich der Men-

schenrechte, weil es das einzige Menschenrecht der beiden UN-

Menschenrechtspakte ist, das als grundlegendes Recht bezeichnet wird.

Trotz ihrer privilegierten Verankerung im völkerrechtlichen Vertragsrecht rep-

räsentieren die wsk-Rechte im Allgemeinen und das Recht auf Nahrung im

Speziellen, zurückgestellte Rechte. Die Rechtsqualität der wsk-Rechte wurde

durch folgende Argumente lange bestritten:

541 Nowak 1989, 389 542 Klee 2000, 104

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1. Diesen Rechten mangele es an der für internationale Menschenrechte

erforderlichen essenziellen Bedeutung und an der nötigen Universali-

tät, d. h., der globalen Anerkennung der Geltung dieser Rechte für je-

den Menschen543.

2. Sie seien illusorische Wunschvorstellungen oder höchstens Pro-

grammsätze ohne oder mit schwächerem Rechtscharakter und keine

individuellen Rechtsansprüche, wie dies bei den zivilen Menschen-

rechten der Fall ist544.

3. Sie sind insgesamt juristisch unbestimmt und nicht justiziabel545.

4. Wsk-Rechte sind „positive“ Rechte, weil ihre Umsetzung Kosten be-

wirkt. Im Gegensatz dazu, sind die bürgerlich-politischen Rechte „ne-

gative“ Rechte, nämlich, sie sind cost-free-Rechte, weil ihre

Implementierung vermutlich keine Kosten verursacht546.

Auf der Grundlage solcher Argumentation und der folgenden Geringschät-

zung der wsk-Rechte sowie des Rechts auf Nahrung werden folgende Fakto-

ren erwähnt:

b) Ideologische Beweggründe. Das Recht auf Nahrung wird häufig als un-

vereinbare Gewährleistung mit einer freien Marktwirtschaft qualifiziert und

auf ein bloßes Leistungsrecht reduziert.547

c) Komplexe Verpflichtungsgefüge der wsk-Rechte. Die allgemeine Ver-

pflichtungsklausel des Art. 2 des Sozialpaktes, erfordert von den Mit-

gliedsstaaten Achtungs-, Schutz- und Erfüllungspflichten.548

d) Das Recht auf Nahrung ist in Art. 11 des Sozialpaktes deutlich politik-

orientiert, nämlich, spricht Abs.1 von geeigneten Schritten, welche die

Mitgliedstaaten zu unternehmen haben, um die Realisierung des Rechts

auf Nahrung zu garantieren, und Abs. 2 verweist ausführlich auf beson-

dere Programme im Bereich der Ernährungspolitik, welche in Anerken-

543 Vgl. Eide, Asbøjrn, Right to adequate food as a human right, New York 1989, 10 ff. 544 ebd. 545 ebd. 546 ebd. 547 Künnemann 1999, 63 548 ebd.

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nung des Rechts auf angemessene Ernährung durchgeführt werden sol-

len549.

e) Fehlende Tradition einer verfassungsmäßigen Verankerung dieser

Rechtskategorie550. Das Recht auf Nahrung sowie anderen zentralen

Subsistenzrechte sind verfassungsrechtlich nicht ausdrücklich aner-

kannt551. Die Tradition der Beschränkung der Geltungsbereiche von

Grundrechten auf Positionen, welche vermutlich nur ein staatliches Un-

terlassen erfordern, führt dazu, dass wsk-Rechte, die als reine Leistungs-

rechte gelten, kaum als subjektive Rechte akzeptiert wurden552.

f) Fehlende Möglichkeit einer gerichtlichen Durchsetzung auf internationaler

Ebene553. Der Sozialpakt kennt bisher kein Durchsetzungs-verfahren, das

es Individuen oder Vertragsstaaten ermöglicht, Verletzungen der wsk-

Rechte vor einem internationalen gerichtlichen Organ zu rügen554.

In letzter Zeit kann man ein deutliches Umdenken auf internationaler Ebene

bemerken:

• Innerhalb des ECOSOC (Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Natio-

nen) entstand der Entwurf eines Fakultativprotokolls zum Sozialpakt, mit

welchem die Chance geschaffen werden soll, dass Individuen Verletzun-

gen dieses Paktes vor diesem Organ rügen können. Es fehlt nur am poli-

tischen Willen der Staaten, um diesen Entwurf umzusetzen555.

• Anschließend formulierte der UN-Ausschuss für wsk-Rechte CESCR

1999 die Allgemeine Bemerkung Nr.12 über das Recht auf Nahrung556.

• Durch dieses internationale Instrument ist das Menschenrecht auf Nah-

rung definiert, als das Recht eines jeden Menschen, jederzeit physischen

und ökonomischen Zugang zu Nahrung, oder Mittel zur Nahrungsbe-

schaffung zu haben, die der Menschenwürde entsprechen. Die Verfüg-

barkeit von Nahrung muss gewährleistet werden. Die Nahrung muss frei

549 ebd., 64 550 ebd. 551 ebd. 552 ebd. 553 ebd., 65 554 ebd. 555 Schneider 2004, 13 556 Vgl. CESCER General Comment 12

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von schädlichen Substanzen sein, in bedingt gesellschaftlicher akzeptab-

ler Quantität und Qualität verfügbar sein und die ernährungsphysiologi-

schen Bedürfnisse der Menschen zufrieden stellen. Die Verfügbarkeit

basiert auf der Möglichkeit - durch Produkte der eigenen Agrarproduktion

bzw. durch effiziente Verteilungssysteme – alle Menschen adäquat zu

ernähren. Der Zugang zur Nahrung darf andere Menschenrechte nicht

beschränken. Die Leistbarkeit und der physische Zugang muss für alle

Menschen gegeben sein, unabhängig von der Erwerbsform oder dem

Anspruch von Individuen oder Gruppen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Wesensgehalt des Rechts auf

angemessene Ernährung sowohl die Angemessenheit und Nachhaltigkeit der

Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln als auch den Zugang zu der Nahrungs-

versorgung beinhaltet.

3.4.1. Art. 11 IPwskR

Das im IPwskR festgesetzte Recht auf Nahrung vom Art. 11 steht im Mittel-

punkt des Sozialpaktes:

“The Right to an Adequate Standard of Living Article 11 1. The States Parties to the present Covenant recognize the right of every-

one to an adequate standard of living for himself and his family, including adequate food, clothing and housing, and to the continous improvement of living conditions. The States Parties will take appropriate steps to en-sure the realization of this right, recognizing to this effect the essential importance of international co-operation based on free consent.

2. The States Parties to the present Covenant, recognizing the fundamental right to be free from hunger, shall take, individually and through interna-tional co-operation, the measures, including specific programmes, which are needed: a) To improve methods of production, conservation and distribution of

food by making full use of technical and scientific knowledge, by disseminating knowledge of the principles of nutrition and by developing or reforming agrarian systems in such a way as to achieve the the most effiicient development and utilization of natural re-sources;

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b) Taking into account the problems of both food-importing and food-exporting countries, to ensure an equitable distribution of world food supplies in relation to need.”557

Die besondere Bedeutung des Art. 11 IpwskR ergibt sich aus seiner bündi-

gen Formulierung558.

In der Formel des ersten Absatzes “right of everyone to an adequate stan-

dard of living for himself and his family, including adequate food”, erscheint

bereits der Begriff “adequate food”, und im zweiten Absatz kommt die grund-

legende Bezeichnung „the fundamental right to be free from hunger“ zum

Ausdruck559.

Das Recht auf Nahrung wird als „fundamental“ bezeichnet, weil seine Erfül-

lung eine Voraussetzung zur Nutznießung anderer Rechte darstellt560.

„The human right to adequate food is of crucial importance for the enjoyment

of all rights.“561

3.4.2. Entstehungsgeschichte des Art. 11 IpwskR

Art. 32 Vienna Convention on the Law of Treaties besagt, dass bei der Aus-

legung völkerrechtlicher Verträge unter bestimmten Prämissen auf die Mate-

rialien zurückgegriffen werden kann562.

„Supplementary means of interpretation Recourse may be had to supplementary means of interpretation, including the preparatory work of the treaty and the circumstances of its conclusion, in order to confirm the meaning resulting from the application of article 31, or to determine the meaning when the interpretation according to article 31: (a) leaves the meaning ambiguous or obscure; or (b) leads to a result wich is manifestly absurd or unreasonable”.563

557 zit. nach Craven 1995, 287 558 Vgl. Alston 1984, 31 ff. 559 ebd. 560 ebd. 561 CESCR, General Comment 12 562 www.univie.ac.at/RI/KONTERM/intlaw/konterm/vrkon_en/html/doku/treaties.htm 563 ebd.

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Die Unterlagen des IpwskR haben jedoch eine asymmetrische Relevanz.564

Im Gegensatz zu der spärlichen Literatur, die nach der Verabschiedung des

Paktes vorhanden ist, haben die Vorbereitungsarbeiten, die sich über eine

Zeitspanne von 18 Jahren hinziehen, einen besonderen Stellenwert, weil sie

von den Erörterungen der Experten – über Tragweite, Sinn und Zwecke des

Paktes – charakterisiert worden waren565.

Wichtige Inhalte des späteren IPwskR wurden zwischen 1947 und 1954 von

der UN-Menschenrechtskommission verfasst. Abgesehen von der FAO ha-

ben ILO, UNESCO und WHO an den Kodifikationsarbeiten teilgenommen566.

1963 wandte sich der Generalsekretär der FAO an den Dritten Ausschuss

der UN-Generalversammlung, um eine präzisere Definition des Rechts auf

Nahrung und konkretere Maßnahmen zu dessen Durchsetzung zu fordern.

Dank dieser in Gestalt eines Entwurfes angemeldeten Forderung war Absatz

2 zum Art. 11 IPwskR hinzugefügt worden567.

3.4.3. Die juristische Natur des Rechts auf Nahrung

Wie schon angeführt, geht das Recht auf angemessene Nahrung aus der

allgemeinen Wendung im „Right to an Adequate Standard of Living“ hervor,

und der allgemeine Gedanke des Rechts auf Nahrung findet mit dem „right to

be free from hunger“ eine explizite Anerkennung im Art. 11 (2) IpwskR.568 Bei

der Ausarbeitung der Richtlinien war die UN-Menschenrechtkommission der

Ansicht, dass die Bestandteile des Art. 11 (2) IpwskR auf die Vollziehung des

Rechts auf Nahrung verweisen. Einige Mitglieder der UN-

Menschenrechtskommission weisen jedoch auf einen Unterschied zwischen

„right to food“ und „right to freedom from hunger“ hin569.

Erwiesenermaßen bezieht sich Art. 11 einerseits auf das „Recht auf ausrei-

chende Ernährung“ und andererseits auf das Recht, vor Hunger gesichert zu

sein. Während das „Recht auf angemessene Ernährung“ im ersten Absatz

564 Vgl.Alston 1984, 29 ff. 565 ebd. 566 Vgl. Craven 1995, 297 567 ebd. 568 Vgl. Craven 1995, 306 ff. 569 ebd.

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das umfangreichste Schutzgebiet darstellt, zeigt der zweite Absatz bezüglich

der „Freiheit von Hunger“ das kleinste Schutzgebiet auf. Die Differenz be-

steht darin, dass das „Recht auf angemessene Ernährung“ eine hinreichende

Ernährung betrifft, um ein normales Leben zu führen570. Die „Freiheit von

Hunger“ repräsentiert demgegenüber nur eine minimale Kalorienzufuhr, um

nicht zu verhungern, bedeutet also Freiheit vom Verhungern bzw. die Erfül-

lung von substanziellen Bedürfnissen, die zum Überleben nötig sind571.

Ein Grund, diese Abgrenzung zwischen „freedom from hunger“ und „right to

food“ zu behalten, war die Bezeichnung „fundamental“ in Bezug auf den ers-

ten Absatz.572 Kein anderes Recht der beiden Pakte ist auf diese Weise ge-

kennzeichnet. Es wurde festgelegt, dass die Formulierung „fundamental“ be-

sagt, dass das Recht auf Nahrung und damit auf Leben das Basisrecht jedes

Menschen und Grundbedingung für den Genuss aller weiteren Menschen-

rechte ist. Die Charakterisierung dieser Freiheit als „fundamental“ bedeutet

nämlich, dass das Recht auf Nahrung Vorrang vor den anderen Rechten

hat573. Der angeführte Begriff bedeutet nicht, dass die anderen Rechte nicht

wichtig wären, sondern, dass das Recht auf Nahrung ein grundlegendes

Recht darstellt, weil von seinem Nießbrauch die Nutznießung anderer Rechte

abhängt574.

„Any form of malnutrition, or fever due to exposure, that causes severe and irreversible brain damage, for example, can effectively prevent the exercise of any right requiring clear thought and may, like brain injuries caused by as-sault, profoundly disturb personality. And, obviously, any fatal deficiencies end all possibility of the enjoyment of rights as firmly as an arbitrary execu-tion.”575 Es ist klar, dass die essenzielle Natur des „right to freedom from hunger“ im

engen Zusammenhang mit der Subsistenz des Menschen steht.576 Das

Recht auf angemessene Ernährung geht dagegen über die substanziellen

Rechte hinaus. Der Terminus „fundamental“ weist darauf hin, dass die Aus-

führung des Rechts auf angemessene Ernährung nur möglich ist, wenn die

570 ebd. 571 Vgl. Alston 1984, 31 ff. 572 Craven 1995, 307 573 ebd. 574 ebd., 308 575 Shue, 1980, 24 - 25 576 Vgl. Craven 1995, 298 ff.

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Subsistenz gesichert ist, d. h. die staatlichen Maßnahmen sollten sich auf die

Schaffung eines Kerngebietes konzentrieren, in dem die elementaren Nah-

rungsbedürfnisse vollständig gesichert sind577.

3.4.4. Die Konnotation einer angemessenen Ernährung

In Addition des quantitativen Ausreichens von Nahrung fügt die Idee der „An-

gemessenheit“ ein qualitatives Element hinzu, nämlich, dass die Nahrung

gesellschaftlich akzeptabel und gesund sein sollte. Das Recht auf angemes-

sene Ernährung darf deshalb nicht eng oder restriktiv im Sinne einer Min-

destration an spezifischen Nährstoffen interpretiert werden.578

„The right to adequate food is realized when every man, woman and child, alone or in community with others, has physical and economic acces at all times to adequate foods or means for its procurement. The right to adequate food shall therefore not be interpreted in a narrow or restrictive sense wich equates it with a minimum package of calories, proteins and other specific nutrients. The right to adequate food will have to be realized progressively. However, States have a core obligation to take the necessary action to miti-gate and alleviate hunger as provided for in paragraph 2 of article 11, even in times of natural or other disasters”579. Obwohl die Konzeption der Angemessenheit für das Recht auf Nahrung von

zentraler Wichtigkeit ist, hängt diese Konzeption in starkem Maße von den

überwiegenden ökonomischen, sozialen, kulturellen, klimatischen und ökolo-

gischen Bedingungen eines Landes ab. Die Vorstellung der ausreichenden

Ernährung oder Ernährungssicherheit ist hingegen mit dem Konzept der

Nachhaltigkeit untrennbar verbunden: heutige und zukünftige Generationen

sollen Zugang zu Nahrungsmittel haben580.

„The concept of adequacy is particularly significant in relation to the right to food since it serves to underline a number of factors which must be taken into account in determining whether particular foods or diets that are accessible can be considered the most appropriate under given circumstances for the purposes of article 11 of the Covenant. The notion of sustainability is intrinsi-cally linked to the notion of adequate food or food security, implying food be-ing accessible for both present and future generations. The precise meaning 577 ebd. 578 Craven 1995, 308 579 CESCR, General Comment 12, Par. 6 580 ebd.

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of “adequacy” is to a large extent determined by prevailing social, economic, cultural, climatic, ecological and others conditions, while “sustainability” in-corporates the notion of long-term availability and accessibility.”581 Schließlich machte die UN-Menschenrechtskommission bei der Ausarbeitung

der Richtlinien deutlich, dass die angemessene Nahrung viel mehr als die

„freedom from starvation“ ist.582

3.4.5. Verpflichtungsebenen

Die traditionelle These, wonach alleinig die wsk-Rechte wie z. B. das Recht

auf Nahrung staatliche Leistungen erfordern, wird seit langem als überholt

betrachtet.583 Gemäß der 3-Ebenen-Theorie von Henry Shue und Asbjørn

Eide, erfordern alle Menschenrechte drei Verpflichtungen von dem Staat:584

Unterlassungspflichten: Auf einer ersten Ebene ist der Staat verpflichtet,

keine Maßnahmen zu treffen, welche die selbständige Genugtuung der Nah-

rungsmittelversorgung verhindern585.

Durch die Unterlassungspflichten wird:

1. der Staat verpflichtet, den Zugang zur Nahrungsversorgung sowie zu

Nahrungsmittelhilfe zu respektieren, und

2. dem Staat verboten, insbesondere bei bewaffneten Konflikten, die Nah-

rungsmittel und die Infrastruktur der Nahrungsproduktion zu zerstören586.

Weil die Verpflichtung zur Achtung des Rechts auf Nahrung gar keine Res-

sourcen verlangt, ist diese Verpflichtung unmittelbar anwendbar und einklag-

bar 587. Damit können allgemein die Unterlassungsansprüche aus dem Sozi-

alpakt als justiziabel charakterisiert werden.588

Schutzpflichten: Auf einer zweiten Ebene ist der Staat verpflichtet, die Aus-

übung des Rechts gegenüber Dritten zu sichern und zu schützen. Der

581 CESCR, General Comment 12, Par. 7 582 Vgl. Craven 1995, 309 583 Vgl. Künnemann 1999, 79 584 vgl. CESCR, General Comment 12, Par. 14-39 585 ebd. 586 ebd. 587 ebd. 588 Vgl. Windfuhr 2001, 11

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CESCR hat im General Comment 12 festgehalten, die Verletzung des

Rechts auf Nahrung könne schon dadurch geschehen, dass ein Staat es un-

terlässt, durch bestimmten Maßnahmen Menschen gegen Übergriffe Dritter

zu schützen589. Deshalb müssen die Vertragsstaaten die erforderlichen Maß-

nahmen ergreifen, um das Handeln der Marktwirtschaft und der Gesellschaft

in Einklang mit dem fundamentalen Recht auf Nahrung zu bringen. Schutz-

pflichten im Bereich des Rechts auf Nahrung können häufig ohne signifikan-

ten Gebrauch von Ressourcen erfüllt werden, deshalb können sie auch als

unmittelbar anwendbar und justiziabel qualifiziert werden590.

Leistungspflichten : Erst auf einer dritten Ebene erfordern Menschenrechte

vom Staat, Maßnahmen zur Realisierung des Rechts auf Nahrung zu treffen,

hier werden die Vertragsstaaten verpflichtet, bestimmte Leistungen zu

erbringen, um die Nahrungsmittellage generell zu verbessern. Auf dieser E-

bene sind bestimmte Leistungsansprüche auch unmittelbar zu erfüllen591.

Außerdem fordert die generelle Verpflichtungsklausel des IPswkR die Ver-

tragsstaaten auf, allmählich mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch ge-

setzgeberische Maßnahmen, die vollständige Realisierung der wsk-Rechte

anzustreben592. Die Zielsetzung dieser Maßnahmen muss auf die vollständi-

ge Realisierung gerichtet sein und sie sind unmittelbar zu beginnen. Schließ-

lich müssen Staaten alle möglichen Mittel einsetzen, um die Ziele des Sozi-

alpaktes zu erreichen593.

Der CESCR hat in seinem General Comment (Paragraph 32) determiniert,

dass jeder Mensch seine Ansprüche aus dem Recht auf Nahrung vor einem

Gericht geltend machen kann. Diese sofortige Durchsetzung des Rechts auf

Nahrung ermöglicht, dass bestimmte Staatsaktionen als Menschenrechtsver-

letzungen charakterisiert werden können594.

589 ebd. 590 ebd. 591 ebd., 13 592 ebd. 593 Vgl. CESCR, General Comment 3 594 CESCR, General Comment 12

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„Any person or group who is a victim of a violation of the right to adequate food should have access to effective judicial or other appropriate remedies at both national and international levels. All victims of such violations are enti-tled to adequate reparation, which may take the form of restitution, compen-sation, satisfaction or guarantees of non-repetition. National Ombudsmen and human rights commissions should address violations of the right to food”595.

3.4.6. Recht auf Nahrung (Art. 11 IPwskR) und Recht auf Leben (Art.6

IPbpR)

Das Recht auf Nahrung ist auch im Zusammenhang mit zivilen Rechten

thematisiert worden596. Einige Autoren behaupten, dass das Recht auf

Leben, das in Art. 6 IPbpR verankert ist, grundsätzlich den Schutz vor

willkürlicher Tötung umfasst597. Andere behaupten dagegen, dass das Recht

auf Leben auch das Recht auf angemessenen Lebensstandard bzw. auf

angemessene Ernährung einschließt:

„However, while philosophically and physiologically the right to food must be considered to be an important component of the right to life, there are argu-ments against applying a broad conceptualization to its legal interpretation. To date the weight of academic opinion has favoured the conclusion that the right to life is a civil right and that it amounts essentially to a right to be safe-guarded against (arbitrary) killing. Thus has been argued that it cannot rea-sonably be interpreted as freedom to live as one wishes or as a right to an appropriate standard of living and nor can it be invoked to guarantee any person against death from famine or cold or lack of medical attention. This interpretation is reinforced by the fact that the Commission on Human Rights, when drafting the Universal Declaration, rejected a proposal according to wich the right to life would have encompassed the right to subsistence and to support for those not able to satisfy their own needs”.598 Im General Comment 6599 hat der mit der Durchsetzung des Zivilpaktes

betraute Menschenrechtsausschuss festgestellt, dass zum Schutz des

Rechts auf Leben auch positive Maßnahmen erforderlich sind, die ein Mit-

gliedsstaat etwa zur Bekämpfung von Hunger und Epidemien ergreifen sollte,

um die Geburtensterblichkeit zu senken und die allgemeine Lebenserwartung

zu erhöhen:

595 ebd. 596 Vgl. Alston 1984, 24 597 ebd. 598 ebd., 25 599 General Comment 6. In: Kälin/Malinverni/Nowak 1982, 362

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„Moreover, the Committee has noted that the right to life has been too often narrowly interpreted. The expression ‘inherent right to life’ cannot properly be understood in a restrictive manner, and the protection of this right requires that States adopt positive measures. In this connection, the Committee con-siders that it would be desirable for States parties to take all possible meas-ures to reduce infant mortality and to increase life expectancy, especially in adopting measures to eliminate malnutrition and epidemics”600. Die Konvergenz beider Pakte in einzelnen Garantien ermöglichen Beschwer-

den über die Verletzung der wsk-Rechte.601 So ist es beispielsweise möglich,

über Art.6 IPbpR das Recht auf Nahrung innerhalb des Individualbeschwer-

deverfahrens vor dem Menschenrechtsausschuss geltend zu machen, sofern

es sich um eine lebensgefährliche Menschenrechtsverletzung handelt602.

3.4.7. ECOSOC (Economic and Social Council ) und CESCR ( Committee

on Economic, Social and Cultural Rights )

Der ECOSOC ist kraft Art. 7 Abs.1 der UN-Charta eines der sechs Hauptor-

gane der Vereinten Nationen.603 Er ist gemeinsam mit der Generalversamm-

lung dafür zuständig, internationaler Kooperation zur Lösung internationaler

Probleme wirtschaftlicher, sozialer kultureller und humanitärer Natur herbei-

führen. Der Schwerpunkt dieser Funktionen liegt im Bereich des wirtschaftli-

chen und sozialen Aufschwungs der Entwicklungsländer604. Kapitel X der

UN-Charta regelt durch die Art. 61 bis 72 die zentralen Aufgaben und Befug-

nisse des ECOSOC.

Die Befugnisse des ECOSOC zur Durchführung seiner Funktionen sind be-

grenzt. Kraft Art. 62 Abs. 1 UN-Charta kann ECOSOC u. a. der Generalver-

sammlung, den Mitgliedsstaaten und den Sonderorganisationen Empfehlun-

gen unterbreiten. Gemäß Art. 62 Abs. 3 UN-Charta kann er der Generalver-

sammlung Entwürfe für internationale Abkommen im sozialen und wirtschaft-

lichen Bereich vorlegen605.

600 www1.umn.edu/humanarts/peace/docs/hrcom6.htm 601 Schneider 2004, 30 602 ebd. 603 Vgl. Lagoni 1991, 90 ff. 604 ebd. 605 ebd.

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Andererseits ist der CESCR606 damit beauftragt, die Umsetzung des Interna-

tionalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte durch die

Mitgliedsstaaten zu überwachen, der 1976 in Kraft trat. Er setzt sich aus 18

Mitgliedern zusammen, die vom ECOSOC aus einer Liste von Personen

ausgewählt werden, die von den Mitgliedsstaaten des IPwskR nominiert wer-

den. Der CESCR untersucht Berichte der Mitgliedsstaaten, in denen diese

ihre Maßnahmen zur Umsetzung der wsk-Rechte dokumentieren.607

3.4.8. Entwurf eines Fakultativprotokolls zum Sozialpakt

Die Abfassung eines Fakultativprotokolls zum Sozialpakt, das es Einzelper-

sonen oder Gruppen ermöglicht, Beschwerden gegen einen Mitgliedsstaat

über die Verletzung der wsk-Rechte einzureichen, wurde 1993 von der Welt-

konferenz über die Menschenrechte verlangt. Vorausgesetzt, dass der

Grundsatz der Unteilbarkeit und Wechselwirkung von bp- und wsk-Rechte im

Menschenrechtssystem umgesetzt werden soll, ist es ausschlaggebend,

dass ein solches Beschwerdeverfahren auch für den Sozialpakt geschaffen

wird, um die vorhandene Ungleichheit abzubauen. 608

3.5. Institutioneller Rahmen zum Schutz des Rechts auf

Nahrung

1. Die FAO (Food and Agricultural Organization of the United Nations)

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation wurde als Sonder-

organisation der UNO errichtet und hat seit 1951 ihren Hauptsitz in Rom609.

Hauptaufgabe der FAO ist die Beseitigung des Hungers durch Steigerung

des Ernährungs- und Lebensstandards vor allem durch Maßnahmen wie die

Vermehrung der landwirtschaftlichen Produktivität und Produktion und die

Verteilung von Agrarprodukten610. Die Technische Hilfe bildet den Haupt-

606 der sog. Wirtschafts- und Sozialrat bzw. UN-Ausschuss für wsk-Rechte 607 Vgl. Partsch 1991, 589 ff. 608 Vgl. Schneider 2004, 13 ff. 609 Vgl. Schütz 1991, 130 ff. 610 ebd.

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schwerpunkt611. Außerdem agiert die FAO als Beratungszentrum und wird

als eine der wichtigsten Entwicklungsinstitutionen betrachtet612.

Die Organe der FAO sind:

(1) die Konferenz der Mitgliedsstaaten, die alle zwei Jahre stattfindet und auf

der organisatorische Grundsätze und Haushalte beschlossen werden;

(2) der Exekutivrat, der die Arbeit der FAO überwacht;

(3) das Sekretariat, dem ein Generaldirektor vorsteht613.

Die Finanzierung erfolgt über einen ordentlichen Haushalt und einen Son-

derhaushalt. Hauptbeitragszahler sind Deutschland, Japan und die USA. Das

Beitragsaufkommen der Entwicklungsländer ist gering. Die FAO verabschie-

dete am 23. September 2004 die „Freiwilligen Leitlinien zur Unterstützung

der allmählichen Verwirklichung des Rechtes auf angemessene Nahrung im

Rahmen der Nationalen Ernährungssicherheit“.614 Die Leitlinien legen aus-

führlich dar, was die Staaten unternehmen müssen, um die Menschen in die

Lage zu versetzen, sich selbst zu ernähren. Sie sehen darüber hinaus die

Errichtung von Sicherungsnetzen für Menschen vor, die sich selbst nicht hel-

fen können oder die am Markt kein genügendes Einkommen erlangen615.

Das 28 Seiten fassende Dokument enthält Empfehlungen zu verschiedenen

Themen wie z. B. Schulspeisungsprogrammen, Dürre-Frühwarnsystemen,

Lebensmittelsicherheit, Land- und Wasserbau, strukturellen Reformen, Frau-

en- und Kinderrechten, Landreformen und Good Governance im Rahmen der

Ernährung und der Landwirtschaft616. Die Leitlinien betonen schließlich den

Stellenwert des erforderlichen politischen Willens der Industrienationen, um

das Problem des Hungers und chronischer Unterernährung zu lösen617.

2. Das WFP (World Food Programme)

Das Welternährungsprogramm wurde 1961 als gemeinsames Sonderpro- 611 ebd. 612 ebd. 613 ebd. 614 www.vistaverde.de/news/Politik/0409/27_nahrung.php 615 ebd. 616 ebd. 617 ebd.

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gramm der FAO und der UN gegründet.618 Das WFP mit Hauptsitz in Rom

war als Instrument der multilateralen Nahrungsmittelhilfe gedacht619. Die

Aufgaben des WFP umfassen neben Hilfsprojekten wie Food-for-Work (Ver-

sorgungsprogramme für besonders anfällige Gruppen) die Verwaltung der

International Emergency Food Reserve (IEFR) sowie die Koordinierung der

Nahrungsmittelhilfen. Einziges Organ des WFP ist ein Sekretariat unter dem

Management eines Exekutivdirektors, der vom UN-Generalsekretär in Ab-

stimmung mit dem FAO-Generalsekretär ernannt wird620.

3. Der WFC (World Food Council)

Der Welternährungsrat wurde 1975 als Hilfsorgan der Generalversammlung

konstituiert.621 Hauptsitz ist ebenfalls Rom. Hauptaufgabe des WFC ist die

Koordinierung der Tätigkeiten sämtlicher UN-Institutionen auf dem Bereich

Ernährung und Landwirtschaft mit dem Ziel, eine stärkere Ausrichtung der

Entwicklungshilfe auf die Beseitigung von Hunger und Armut in den betroffe-

nen Ländern zu fördern. Das Sekretariat wird vom UN-Generalsekretär er-

nannt622.

4. IFAD (International Fund for Agricultural Development)

Der Internationale Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung wurde 1977 als

UN-Sonderorganisation konstituiert.623 Sein Hauptsitz ist Rom624. Hauptauf-

gabe des IFAD ist die Mobilisierung von Zusatzressourcen zu günstigen

Bedingungen für landlose Landarbeiter, Kleinbauer, ländliche Armutsgruppen

zur Steigerung ihrer Nahrungsmittelproduktion, die Verbesserung ihrer Er-

nährungslage und dadurch die Ausdehnung der Beschäftigungsmöglichkei-

ten und Besserung der Einkommenssituation. Organe sind der Gouverneurs-

rat, der Verwaltungsrat und das Sekretariat625.

618 Vgl. Wolf 1991 a, 1094 ff. 619 ebd. 620 ebd. 621 Vgl. Wolf 1991 b, 1089 ff. 622 ebd. 623 Vgl. Frankenfeld 1991, 311 ff. 624 ebd. 625 ebd.

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5. Die Vereinten Nationen und die Rolle der Bretton-Woods Institutionen Joseph Stiglitz, Professor in Yale, Princeton, Oxford, Stanford und Columbia,

Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften 2001, ehemaliger Wirt-

schaftsberater von US-Präsident Clinton, Chefökonom und Vizepräsident der

Weltbank, schildert in seinem Buch „Die Schatten der Globalisierung“, inwie-

fern der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank instrumenta-

lisiert werden, um ausschließlich die Interessen der Finanzbranche und der

multinationalen Unternehmen zu bedienen, inwieweit die herrschende Fi-

nanzklasse sich an der Armut bereichert, und schließlich, wie wenig die Poli-

tik es vermag, diese maßlose Macht zu steuern626.

„Entscheidend im Buch von Stiglitz ist jedoch die Herausarbeitung der verän-derten Funktion des IWF. Dieser war ursprünglich konzipiert worden, um Staaten in Krisensituationen mit Liquidität zu unterstützen und um die Stabili-tät der Weltwirtschaft zu fördern. In den letzten zwanzig Jahren ereignete sich freilich eine markante und spezifische Verschiebung innerhalb des öko-nomischen Mainstream-Denkens. Die keynesianischen Überlegungen hin-sichtlich Marktversagen wurden trotz theoretischer Vertiefung und vielfältiger empirischer Bestätigung im Zuge eines neoliberalen Denkens weggewischt. Dieses schaffte auch im IWF, in der Weltbank und in der Welthandelsorgani-sation (WTO) den Durchbruch, etablierte einen rigiden Marktfundamentalis-mus und wurde zudem von einem simplen Monetarismus flankiert. Vor die-sem Hintergrund hat sich der IWF zusammen mit dem US-Finanzministerium gemäß Stiglitz in Tat und Wahrheit in einen direkten Sachwalter der Interes-sen des Finanzkapitals verwandelt. Stiglitz konstatiert und kritisiert konse-quenterweise eine eigentliche Abänderung des IWF-Mandats, die mit einer grob vereinfachenden Marktideologie bemäntelt wird. Die Forderungen der Gläubiger aus den Industriestaaten werden auf diese Weise in ungebührli-cher Weise nahezu vollständig garantiert.“ 627

Am Beispiel der Asienkrise, der Hungersnöte in Afrika und des Zerfalles

Russlands werden im Buch die fatalen Konsequenzen der IWF-Politik be-

schrieben. Stiglitz klärt darüber auf, wer die Gewinner beim freien Spiel des

Marktes sind: das US-Schatzamt, die westlichen Banken und die korrupten

Eliten der Dritten Welt. Verlierer sind jedoch Millionen Kinder, Frauen und

Männer der armen Länder, die unter elenden Lebensverhältnissen leiden.

Für Stiglitz ist also die Profitgier der größten Banken für die Armut und den

Hunger der Welt verantwortlich628.

626 Vgl. Stiglitz 2004 627 Herzog, Nützliches Insiderwissen. In: www.woz.ch/artikel/print_10865.html) 628 Vgl. Stiglitz 2004, 123 ff.

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„Anhand einer differenzierten Analyse der verschiedenen wirtschaftspoliti-schen Maßnahmen in Entwicklungs- und Schwellenländern weist Stiglitz zu-nächst nach, wie diejenigen Staaten, die das Rezept des IWF befolgen, massive wirtschaftliche Rückschlage erlitten. Als Konsequenz dieser verhee-renden Kur erhöhte sich die Instabilität ganz allgemein, und die Verelendung dehnte sich aus. Dagegen profitieren die internationalen Banken, die Wäh-rungsspekulanten und auch die nationalen Eliten“629.

Stiglitz behauptet, dass die Auflagen - sog. Strukturanpassungsprogramme -

die der IWF den Entwicklungs- und Schwellenländern auferlegt, ausnahms-

los zu Hunger, Ausschreitungen und Verelendung ihrer Bevölkerung führt 630.

„Der ehemalige Chefökonom der Weltbank beschreibt den IWF und die WTO als arrogante Institutionen, die mancherorts und viel zu oft aus „purer Über-heblichkeit“ agieren. So zwinge etwa der IWF den armen, verschuldeten Ländern eine Politik auf, die selbst wohlstandsverwöhnte Staaten nie an sich selbst ausprobieren würden. Am Beispiel Äthiopiens erläutert Stiglitz, dass der IWF mit unverständlich rigiden Vorgaben bei der Wirtschaftshilfe irrte und dass sich die Volkswirte des IWF an theoretischen Konzepten liberaler Marktwirtschaft regelrecht festklammern, während sie die realpolitischen Probleme, die ihre Vorschläge verursachten, nicht annähernd zu lösen ver-mochten“631.

Stiglitz steht außer Verdacht, ein Kommunist zu sein, er fordert vielmehr eine

Abkehr vom sogenannten „Washington Konsensus“, der auf makroökonomi-

sche Stabilität, Minimierung der Rolle des Staates und Liberalisierung der

Märkte setzt. Diesen Ansatz erachtet Joseph Stiglitz als unbegründet, weil

sogar in den USA die Regulierung der Märkte für das ökonomische Wachs-

tum essentiell erforderlich ist.

Der Internationale Währungsfonds (IWF)

Der Internationale Währungsfonds ist eine Sonderorganisation der Vereinten

Nationen. Sonderorganisationen sind internationale Strukturen, die der Rea-

lisierung der Ziele der UN-Charta dienen und mit den Vereinten Nationen

durch ein Abkommen gemäß Art. 63 UN-Charta verbunden sind632.

629 Herzog, Nützliches Insiderwissen. In: www.woz.ch/artikel/print_10865.html 630 Vgl. Stiglitz 2004, 13 f. 631 Böhmer, Christian, Gezügelte Wut eines Wissenden. In: www.politik-buch.de/rezens/rez_stiglitz.htm 632 Seidl-Hohenveldern, Ignaz, Sonderorganisationen. In: Wolfrum, Rüdiger (Hrsg.), Handbuch Vereinten Nationen, München 1991, 782

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Der IWF und die Weltbank wurden 1944 in Bretton Woods bei New Hampshi-

re gegründet und deshalb werden sie als Bretton-Woods-Institutionen be-

zeichnet. Der Internationale Währungsfonds wurde errichtet, um wirtschaftli-

che Krisen zu vermeiden bzw. zu überwinden. Erscheint eine akute Krise,

dann stellt der IWF dem betroffenen Land Geld zur Verfügung633 .

Die Gelder des IWF stammen aus den Staatshaushalten der Mitgliedsländer.

Der IWF wurde folglich als eine Solidargemeinschaft der Staaten entworfen,

die von finanziellen Krisen bedroht werden634.

„Die ursprüngliche IWF – Idee bestand darin, die Reserven der Mitgliedsstaa-ten in einem Pool zusammenzulegen, aus dem jeder einzelne Staat im Falle einer kurzfristigen Zahlungsschwierigkeit Kredit aufnehmen konnte, um seine Währung zu stabilisieren“635.

Seinen Statuten nach wurde der IWF gegründet, um:

• die internationale Kooperation auf dem Bereich der Währungspolitik

zu fördern;

• die Ausdehnung und ein ausgeglichenes Wachstum des Welthandels

zu ermöglichen;

• die Ausgewogenheit der Wechselkurse zu fördern;

• zur Festlegung eines mehrseitigen Zahlungssystems beizusteuern;

• den Mitgliedsstaaten in Zahlungsbilanzschwierigkeiten die gemein-

schaftlichen Fondsmittel vorläufig und unter adäquaten Sicherungen

zur Verfügung zu stellen sowie

• Dauer und Umfang der Unausgeglichenheiten der internationalen Zah-

lungsbilanzen der Mitgliedsstaaten zu vermindern636.

„Ziel des IWF war die Förderung der Stabilität der Währungen durch ge-ordnete Währungsbeziehungen und damit die Förderung eines ausgewo-genen Wirtschaftswachstums sowie eines hohen Beschäftigungsgrades. Diese ursprüngliche Aufgabenzuweisung basierte auf der Einsicht, dass die Selbstregulierungskräfte des Marktes oftmals nicht störungsfrei funkti-

633 Vgl. www.weed-online.org/themen/iwf/52682.html 634 ebd. 635 Engdahl, William, Wie der IWF das Dollarsystem stützt, Zürich 2003. In: www.swg-hamburg.de/Im_Blickpunkt/Wie_der_IWF das_Dollarsystem_s/bod 636 www.imf.org/external/np/exr/facts/deu/glanced.htm

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onieren - dass sie zu Massenarbeitslosigkeit führen können und unter Umständen Ländern nicht die nötigen Mittel verschaffen, um ihre konjunk-turelle Talsohle zu überwinden. Der IWF wurde in dem Bewusstsein ge-gründet, dass es zur Wahrung wirtschaftlicher Stabilität kollektiven Han-delns auf globaler Ebene bedürfe, so wie die Vereinten Nationen in dem Bewusstsein gegründet worden waren, dass zur Gewährleistung politi-scher Stabilität gemeinsame Maßnahmen auf globaler Ebene erforderlich seien.“637

Der IWF hat derzeit 184 Mitgliedsländer, deren Stimmrecht sich nach ihrer

Kapitaleinlage richtet: USA 18,00%, Japan 6,26%, Deutschland 6,11%,

Frankreich 5,05%, Großbritannien 5,05%. Das Gefüge des IWF teilt sich in

den Gouverneursrat, den Internationalen Währungs- und Finanzausschuss

sowie das Exekutivdirektorium. Das Exekutivdirektorium beschäftigt sich mit

den laufenden Geschäften des IWF638.

„Die wirklichen Machtverhältnisse werden sorgfältig hinter dieser Fassade verdeckt. Die Statuten des IWF legen fest, dass keine wichtige Entscheidung ohne die Zustimmung von 85% des Exekutivdirektoriums getroffen werden kann. Die Vereinigten Staaten, welche 1944 die ursprüngliche IWF - Charta in Bretton Woods in New Hampshire entwarfen, sorgten dafür, dass sie mit einem Stimmanteil von 18% über die entscheidende Sperrminorität verfü-gen.“639 Transformationen in den 80er Jahren Seit 1977 brauchte keines der europäischen Industrieländer mehr Geld vom

IWF zu leihen. Ende der 70er Jahre vertraten einige die Ansicht, dass der

IWF seine Funktion erfüllt habe, ähnlich wie manche sich nach Ende des kal-

ten Krieges hinsichtlich der NATO erklärten. Washington hatte jedoch andere

Pläne mit dem IWF640.

„In den frühen 80er Jahren änderte sich die Rolle des IWF unter dem Druck der USA dramatisch. Statt als Stabilisierungsfonds für die Industrieländer in Europa oder Japan zu dienen, wurde der IWF nun das entscheidende In-strument zur Kontrolle der Wirtschaftspolitik der unterentwickelten Länder. Im Zuge der ersten lateinamerikanischen Schuldenkrise zu Beginn der 80er Jah-re übernahm der IWF eine völlig neue Rolle als Polizist, der Dollaranleihen für private New Yorker und internationale Banken sammelte. Der IWF wurde

637 Wullweber, Helga, Neoliberalismus mit Verfassungsrang? - Eine Geschichte (unter anderem) zum Siegeszug des Neoliberalismus, Berlin 2005. In: www.rav.de/290405_verfassung_3.htm 638 www.lexikon.izynews.de/de/lexw.aspx?doc=InternationalerW%3%a4hrungsfond 639 Engdahl, William, Wie der IWF das Dollarsystem stützt. In: www.swg-hamburg.de/Im_Blickpunkt/Wie_der_IWF_das_Dollarsystem_s/bod 640ebd.

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die treibende Kraft dessen, was später als „Globalisierung“ bezeichnet wur-de.“641

1998 kritisierte Joseph Stiglitz als Chefökonom und Vizepräsident der Welt-

bank diese neoliberale Wirtschaftspolitik des IWF, weil Wirtschaftswachstum

nur durch makroökonomische Stabilisierung, Handelsliberalisierung und Pri-

vatisierung nicht zu erreichen ist und weil es um mehr geht als Wirtschafts-

wachstum und die Steigerung des Bruttosozialprodukts, nämlich um ange-

messene Ernährung, um verbesserte Gesundheit und Bildung, um die Auf-

rechterhaltung der natürlichen Ressourcen und einer gesunden Umwelt, um

eine gerechte und demokratische Entwicklung, was einschließt, dass alle

Menschen die Gewinne der Entwicklung genießen, nicht nur die Eliten642.

Der Washington Consensus Was unternimmt der IWF, wenn ein Land sich an ihn wendet, um eine Ver-

schuldung oder eine Finanzkrise zu überwinden? Der IWF handelt stets nach

der gleichen Schablone, sei es Peru, Kongo oder Russland, und trotz unter-

schiedlicher Wirtschaftssysteme, Kulturen und sozialer Standards. Die Erfor-

dernisse des IWF werden öfter auch als der „Washington Consensus“ be-

zeichnet 643.

„Der Begriff „Washington Consensus“ wurde von dem Ökonomen John Williamson im Jahr 1989 geprägt. Unter diesem Titel fasste er zusammen, was er als einen aktuellen Konsens zwischen Politik und Technokraten (dem Kongress der Vereinigten Staaten und den Fachleuten in IWF und Weltbank) empfand. Zehn Politikempfehlungen bildeten seiner Meinung nach das kon-sensfähige Erfolgsrezept für die Reform von angeschlagenen Volkswirtschaf-ten: * fiskalische Disziplin * Umleitung öffentlicher Ausgaben in Felder, die sowohl wirtschaftliches Wachstum als auch eine gleichmäßigere Einkommensverteilung versprechen * Steuerreform (niedrige marginale Steuersätze, breitere Steuerbasis) * Liberalisierung des Finanzmarktes * Schaffung eines stabilen, wettbewerbsfähigen Wechselkurses * Handelsliberalisierung * Beseitigung von Marktzutrittsschranken / Liberalisierung ausländischer Di-rektinvestitionen (Gleichbehandlung ausländischer und inländischer Firmen) 641 ebd. 642 Vgl.Stiglitz, Joseph, Die Schatten der Globalisierung, München 2004, 21 f. 643 ebd., 78 f.

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* Privatisierung * Deregulierung des Arbeitsmarktes * Gesicherte Eigentumsrechte“644.

Das sog. Strukturanpassungsprogramm des IWF umfasst stets die gleichen

Erfordernisse nach Privatisierung der staatlichen Industrien. Der IWF ver-

langt darüber hinaus, dass die sozialen Ausgaben drastisch gekürzt werden,

dass die nationale Währung gegenüber dem Dollar abgewertet wird und dass

das Land für den freien Verkehr des ausländischen Kapitals geöffnet wird645.

Die Vier Schritte des IWF-Strukturanpassungsprogramms

Die Voraussetzung: „Memorandum of Understanding“ Will ein Land einen Kredit oder einen Schuldennachlass vom IWF erhalten,

so verlangt der IWF von der jeweiligen Regierung zuerst, ein geheimes „Me-

morandum of Understanding“ mit dem IWF zu unterzeichnen, in welchem sie

sich mit einer Liste von Auflagen bzw. Konditionalitäten - sog. Strukturanpas-

sungsprogramm - einverstanden erklärt. Dieses Memorandum ist die Vor-

aussetzung für jede finanzielle Beihilfe durch den IWF646.

„Bei den globalisierten freien Kapitalmärkten von heute investieren die Ban-ken in keinem Land, das nicht die offizielle Zustimmung des IWF hat. Daher besteht die Rolle des IWF in weit mehr als nur dem Gewähren eines Notkre-dits. Er legt fest, ob ein Land überhaupt Geld erhält, sei es von der Weltbank, von Privatbanken oder aus einer anderen Quelle.“647

Die Konditionalitäten des IWF-Strukturanpassungsprogramms umfassen

Richtlinien im Rahmen des Handels, des Staatshaushaltes, der Finanz- und

vor allem des Arbeitsmarktes. Das IWF-Strukturanpassungsprogramm ist

neoliberal geprägt und setzt auf einen verkleinerten Staat sowie auf die Vor-

richtungen der freien Marktwirtschaft. Die Verstärkung der Privatwirtschaft,

644 Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Der Internationaler Währungsfonds und die Entwicklung der internationalen Finanzbeziehungen von 1945 - 2000. In: www.weltpolitik.net/print/1567.html 645 Vgl. Stiglitz 2004, 104 646www.koo.at/arbeitsschwerpunkte/weltbank.htm 647 Engdahl, William, Wie der IWF das Dollarsystem stützt, Zürich 2003. In: www.swg-hamburg.de/Im_Blickpunkt/Wie_der_IWF_das_Dollarsystem_s/bod

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Investitionen und die Integrierung in den Weltmarkt sollen Wohlstand und

Wirtschaftswachstum schaffen. Dies hat sich jedoch nie bewahrheitet648.

„Für jede ärmere Nation gibt es eine ‚Country Assistance Strategy’, die nach Darstellung der Weltbank aufgrund einer sorgfältigen Untersuchung im Land entworfen worden ist. Stiglitz zufolge besteht eine solche ‚Untersuchung’ durch die Mitarbeiter der Bank aus einer intensiven Überprüfung der 5-Sterne-Hotels des Landes. Sie wird abgeschlossen, indem die Bank-Mitarbeiter mit einem bettelnden, kaputten Finanzminister zusammentreffen und ihm ein ‚Umstrukturierungsabkommen’ zur ‚freiwilligen’ Unterschrift über-reichen.“649

Die Privatisierung Die Konditionalitäten eines IWF-Abkommens sind immer dieselben. Zuerst

kommt die Privatisierung der staatlichen Betriebe. Die Privatisierung bei einer

instabilen Währung führt dazu, dass ausländische Investoren die Hauptver-

mögenswerte eines Landes spottbillig aufkaufen können. Öfter werden die

zuständigen Politiker des Landes dazu korrumpiert, das inländisches Vermö-

gen zu privatisieren650.

„Die erste Stufe ist die Privatisierung - die Stiglitz zufolge ‚Korruptisierung’ genannt werden kann. Anstatt dem Ausverkauf staatlicher Betriebe zu wider-sprechen, sagt er, veräußern nationale Führungspersönlichkeiten fröhlich ihre Elektrizitäts- und Wasserwerke. Dabei nutzen sie die Forderungen der Weltbank aus, dass lokale Kritiker ruhig gehalten werden sollen. Und tat-sächlich, die lokalen Kritiker werden ruhiger bei der Ansicht auf die zehnpro-zentigen Provisionen, die nur dafür auf Schweizer Bankkonten gezahlt wur-den, dass einfach der Verkaufspreis des Staatsbesitzes um ein paar Milliar-den gekürzt wurde. (...) Die US-gestützten russischen Oligarchen beraubten die industriellen Besitztümer ihres Landes. Der Effekt dieses Korruptions-plans war die Verminderung des Nationalprodukts um annähernd die Hälfte, was Wirtschaftsflaute und Hungertod verursachte.“651

Anfang der 90er Jahre stieg die Zahl der Arbeitslosen in Russland von 2 Mil-

lionen auf 60 Millionen652.

648 Stiglitz 2004, 280 f. 649Palast, Gregor, Die Vier Stufen des IWF zur Verdammnis. In: www.attac-netzwerk.de/rundbriefe/sandimgetriebe09_01.php 650 Engdahl, William, Wie der IWF das Dollarsystem stützt. In: www.swg-hamburg.de/Im_Blickpunkt/Wie_der_IWF_das_Dollarsystem_s/bod 651 Gregor Palast, Die Vier Stufen des IWF zur Verdammnis, London 2001. In: www.attac-netzwerk.de/rundbriefe/sandimgetriebe09_01.php 652Vgl. Engdahl, William, Wie der IWF das Dollarsystem stützt. In: www.swg-hamburg.de/Im_Blickpunkt/Wie_der_IWF_das_Dollarsystem_s/bod

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„Die schnelle Privatisierung ohne angemessene gesetzliche und institutionel-le Absicherungen, wie eine Arbeitslosen- oder Krankenversicherung, führte zu einer sozialen Katastrophe - derjenigen in Kriegszeiten vergleichbar. Die Forderungen des IWF nach freiem Kapitalverkehr erlaubten es den neuen russischen Dollar-Oligarchen, Milliarden von Dollars zu plündern und auf ge-heime Bankkonten in Zypern oder Liechtenstein zu verschieben und Luxus-villen in Monte Carlo zu kaufen.“653 Die Liberalisierung der Finanzmärkte Als zweite Konditionalität verlangt der IWF, dass das betroffene Land seine

Finanzmärkte liberalisiert, und zwar für ausländische Investoren öffnet. Dies

ermöglicht, dass Spekulanten Vermögenswerte in einer Transaktion spei-

chern, Profit machen, um schnell das Land zu verlassen, während die Wirt-

schaft des Landes hinter ihnen zusammenbricht654.

„Nach der Korruptisierung ist die zweite Stufe des IWF-Plans zur Rettung der Volkswirtschaften die ‚Liberalisierung der Kapitalmärkte’. In der Theorie er-möglicht die Deregulierung des Kapitalmarktes dem Investmentkapital frei zu- und abzufließen. Leider fließt aber das Geld wie in Lateinamerika und Asien immer nur ab. Stiglitz nennt dies den Kreislauf des ‚heißen Geldes’. Das Geld kommt zum Zweck der Boden- und Währungsspekulation ins Land und flieht dann beim ersten Anschein von Problemen. Die Reserven eines Staates können in Tagen oder Stunden zu Ende gehen. Und wenn dies pas-siert, verlangt der IWF von diesen Staaten, ihre Zinssätze auf 30, 50 oder 80 Prozent zu erhöhen und damit den Spekulanten einen Anreiz zu geben, dass sie dem Land seine Kapitalgrundlage zurückbringen. ‚Das Ergebnis war vor-herzusagen’, sagt Stiglitz über die Flutwellen des heißen Geldes in Asien und Lateinamerika. Die erhöhten Zinsen verminderten den Wert des Eigentums, beeinträchtigten die industrielle Produktion und leerten die Staatsschätze.“655

Die „Marktpreis-Forderung“ An dieser Stelle führt der IWF das betroffene Land zur dritten Stufe, und zwar

zur „marktbasierten Preisbildung“, ein Euphemismus für die drastische Preis-

steigerung von lebensnotwendigen Gütern656

„Die dritte Stufe der IWF-Auflagen besteht darin, dass ein Land seine inländi-schen Preise ‚dem Markt entsprechend’ festlegt - so die verschlüsselte For-

653 ebd. 654 ebd. 655 Palast, Gregor, Die vier Stufen des IWF zur Verdammnis. In: www.attac-netzwerk.de/rundbriefe/sandimgetriebe09_01.php 656 ebd.

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mulierung, die im Klartext die Abschaffung staatlicher Subventionen und Preiskontrollen bedeutet. In Entwicklungsländern werden häufig Benzin, Le-bensmittel oder andere lebensnotwendige Güter vom Staat subventioniert. Das Ziel des IWF ist es, die Staatsbudgets drastisch zusammenzustreichen, um den Einfluss des Staates auf die Wirtschaft zu minimieren und das jewei-lige Land wehrlos zu machen gegen die ausländische Übernahme seiner wichtigsten Vermögenswerte. Auch die Regierungsanteile an der schwachen Wirtschaft werden gekürzt, um damit den ausländischen Banken ihren Anteil an der Beute zu sichern.“657 Die sogenannte IWF-Strategie zur Reduzierung der Armut Im diesem Punkt kommt das betroffene Land zur vierten Stufe, die der IWF

als „Strategie zur Reduzierung der Armut“ bezeichnet: der Freihandel nach

den Regeln der Welthandelsorganisation und der Weltbank.

Stiglitz vergleicht den IWF-Freihandel mit dem Opiumkrieg. Der IWF verlangt

von den ärmeren Ländern, sie sollten ihre Märkte öffnen. Aber die reichen

Länder halten sich nicht an diese Regeln658.

„Heute werden die Schwellenländer nicht durch Drohung mit militärischer Gewalt, sondern durch Androhung von Sanktionen oder der Zurückhaltung dringend benötigter Hilfsgelder in Krisenzeiten zur Öffnung ihrer Märkte ge-zwungen. Während die Welthandelsorganisation das Forum für die Aushand-lung internationaler Handelsabkommen ist, bestehen US-Handelsbeauftragte und der IWF oftmals darauf, weiterzugehen und das Tempo der Handelslibe-ralisierung zu beschleunigen. Der IWF verlangt diese beschleunigte Markt-öffnung als Voraussetzung für seine Hilfe - und Länder in einer Krisensituati-on sehen oftmals keine andere Möglichkeit, als sich den Forderungen des IWF zu beugen“659. Die Ergebnisse der IWF-Strukturanpassungsprogramme sind in der Dritten

Welt noch zu sehen. Die Wirtschaft dort ist einfach ruiniert worden:

„Die sog. SAPRI-Initiative (Structural Adjustment Participatory Review Iniatiti-ve), die 1997 von der Weltbank initiiert wurde, hat die Auswirkungen der Strukturanpassungsprogramme bzw. der Konditionalitäten der IWF unter-sucht. Der erste große Bericht wurde Ende 2004 vorgestellt. Das Ergebnis zeigt ein Desaster: * Die handelspolitischen Maßnahmen bewirkten Arbeitslosigkeit und die Zer-störung einheimischer Industrien

657 Engdahl, William, Wie der IWF das Dollarsystem stützt. In: www.swg-hamburg.de/Im_Blickpunkt/Wie_der_IWF_das_Dollarsystem_s/bod 658 Stiglitz, Joseph, Die Schatten der Globalisierung, München 2004, 87 ff. 659 Stiglitz, Joseph, Die Schatten der Globalisierung, München 2004, 89

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* Die Liberalisierung des Finanzsektors führt zu steigender Instabilität, zu Konzentrationserscheinungen in diesem Sektor sowie zu abnehmender Effi-zienz * Die Arbeitsmarkt - Reformen und die dadurch verursachte Flexibilisierung führen zu realen Lohnsenkungen, Entlassungen und wachsender Unsicher-heit * Die vorangetriebene Privatisierung hatte stark negative ökonomische und soziale Konsequenzen: die Effizienz der Betriebe wurde kaum gesteigert, dafür führen sie (durch die de facto Monopolstellung vieler privatisierter An-bieter sowie durch Subventionskürzungen) zu Preissteigerungen. Strategisch wichtige Versorgungsbetriebe kamen in ausländische Hand. Die Privatisie-rungen hatten keine positive Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Viele Privatisierungen wurden von den Eliten auch deshalb vorangetrieben, weil sich dadurch reichhaltige Möglichkeiten der Bereicherung boten. * Die Reformen im Agrarsektor führen zu großer Ernährungsunsicherheit, zu exportorientierten Großbetrieben und zu Umweltproblemen. Das Einkom-men, insbesondere der Kleinbauern, verschlimmert sich. Die Ungleichheiten auf dem Land verschärften sich. * Im Bergbau-Sektor verstärkt sich der Einfluss der Multinationalen Unter-nehmen. Der Raubbau an der Umwelt verschärft sich und viele indigene Gruppen wurden verdrängt. * Die Haushaltsreformen, also die Kontrolle öffentlicher Ausgaben, führen zu Kürzungen, insbesondere im Sozialbereich. Der Rückzug des Staates ver-schlechtert das quantitative und qualitative Angebot des Sozialbereichs.“660

Der IWF und das Recht auf Nahrung Jean Ziegler, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, behauptet, dass

die Ausrottung des Hungers in der Welt nicht zu erreichen ist, solange Institu-

tionen wie der IWF und die Weltbank vorhanden sind661.

„Dem Recht auf Nahrung stellen aber der IWF, die USA, die WTO, die Welt-bank und die wichtigsten multinationalen privaten Firmen den ‚Konsens von Washington’ entgegen. Dieser enthält vier unabänderliche Vorschriften, die in der ganzen Welt, egal welche Wirtschaft, welcher Kontinent, welche ge-schichtliche Situation, umzusetzen sind: Privatisierung und Deregulierung, makroökonomische Stabilität und Haushaltskürzungen. (...) Die Folgen die-ses Streits zwischen Recht auf Nahrung einerseits und Konsens von Wa-shington andererseits sind für die Völker der Dritten Welt katastrophal. Die Institutionen von Bretton Woods, die WTO und das amerikanische Finanzmi-nisterium verfügen über Zwangsmittel und über finanzielle Mittel, die erheb-lich stärker sind als die, über die die FAO, das Welternährungsprogramm, die UNICEF, die Weltgesundheitsorganisation oder auch die Menschenrechts-kommission verfügen.

660 www.koo.at/arbeitsschwerpunkte/weltbank.htm 661Ziegler, Jean, Die Schizophrenie der Vereinten Nationen. Ihr Kampf gegen den Hunger hat keine wirksamen Mittel. Aus der französischen Ausgabe der Le Monde Diplomatique November 2001. Übersetzung: Marie Dominique Vernhes. In: www.attac.de/rundbriefe/sandimgetriebe09_01.php?print=yes&id=

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Was die Entwicklung betrifft, befindet sich die UNO in voller Schizophrenie: der IWF und die Weltbank, die der UNO angehören, kämpfen ihrerseits um das effizienteste Funktionieren des Finanzmarktes, der so frei wie möglich sein soll, und lehnen de facto das Recht auf Nahrung ab. Sie vernichten ständig die schwachen Fortschritte bei der menschlichen Entwicklung, die vom UNICEF, von der FAO, vom Welternährungsprogramm, von der Weltge-sundheitsorganisation und von anderen Organisationen im Süden erzielt worden sind.“ 662

Schließlich ist der Verfasser der Ansicht, dass „Die Schatten der Globalisie-

rung“ von Joseph Stiglitz zu einem Standardwerk der Rechtswissenschaft

werden sollte, weil es uns dadurch erklärt, warum die Internationalen Organi-

sationen in ihrer Rolle scheitern und wieso sie der Macht der Finanzklasse

erliegen.

3. Begründung des Rechts auf Nahrung

In der Gegenwart konvergieren drei Begründungsansätze der im IPwskR

enthaltenen wsk-Rechte im Allgemeinen und des Rechts auf Nahrung im

Speziellen. Einmal wird es als Konsequenz sozialer Gerechtigkeit definiert,

die grundlegend moralische Erwägungen verlangt, so dass alle lebensnot-

wendigen Ressourcen gleichmäßig an alle Menschen verteilt werden sollen.

Zweitens wird es als erforderliche Protektion von basalen Bedürfnissen be-

zeichnet, deren Befriedigung nicht nur den Genuss anderer Grundfreiheiten,

sondern auch die Gewährleistung des körperlichen und mentalen Wohlbefin-

dens ermöglicht. Drittens schließlich wird die physische und materielle Siche-

rung des Zugangs zu ausreichender Versorgung mit Nahrungsmitteln als

fundamentale Prämisse der Human Security Konzeption verstanden.

4.1. Hunger als Verteilungsgerechtigkeitsmangel

Ausgehend von der Feststellung, dass Hunger und Unterernährung grund-

sätzlich ein Gerechtigkeitsproblem sind, soll das Thema der Verteilungsge-

rechtigkeit im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen. Dafür wird

zunächst eine Erläuterung des Gerechtigkeitsbegriffs skizziert und anschlie-

662 ebd.

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120

ßend untersucht, ob sich ein Recht auf Nahrung mit den jüngsten Gerechtig-

keitstheorien begründen lässt.

Es ist umstritten, dass der Wohlstand auf der Welt sehr ungleichmäßig ver-

teilt ist: Während die 225 Reichsten so viel wie die 2,5 Milliarden Ärmsten

(ca. 45 % der Weltbevölkerung) besitzen, wären ca. 40 Milliarden US $ jähr-

lich erforderlich, um für alle Menschen ausreichend Nahrung, Trinkwasser

und Gesundheitsversorgung bereitzustellen. Das entspricht nur 4 % des

Vermögens der 225 Reichsten. Das Vermögen der 3 reichsten Personen ü-

berschritt das BIP der 48 ärmsten Länder.663 Also ist ein Mangel an Vertei-

lungsgerechtigkeit, nicht Ressourcenknappheit das Zeichen unserer Zeit.664

Mehr als ein Drittel aller Menschen lebt heute unter der Armutsgrenze, d. h.,

der Zugang zu Nahrung, gesundheitlicher Versorgung, Bildung und anderen

lebensnotwendigen Gütern ist ihnen nicht möglich. Die Einkünfte der Men-

schen in Entwicklungsländern sind nicht vergleichbar mit denen der Industrie-

länder. Trotz Kinderarbeit können die armen Familien ihr Einkommen nicht

sichern. Neben Kinderarbeit folgen Prostitution, Krankheiten, mangelnde Bil-

dung und letztlich Analphabetismus und soziale Abhängigkeit. Die hohe Kin-

dersterblichkeit ist eine unvermeidbare Folge mangelhafter Nahrungsversor-

gung und Hygiene665.

Aber die Menschen kämpfen nicht nur mit Lebensunterhaltsproblemen. Sie

haben gar keine Chance, ihre Grundrechte zu sichern, in Ländern, in denen

Menschenrechte für die meisten bedeutungslose Worte bleiben666.

Trotz dieser Situation werden die Entwicklungshilfeprojekte dramatisch ge-

kürzt. Obwohl der Zielwert seit 30 Jahren 0,7 Prozent beträgt, liegt die öffent-

liche Entwicklungshilfe der Industriestaaten bei 0,25 Prozent des Bruttonatio-

naleinkommens667. Die Vergabe der Entwicklungshilfe hängt außerdem von

663 www.vistaverde.de/news/Politik/03007/21_entwicklung.htm 664 www.ivg.de/dokument_05_op.htm 665 ebd. 666 ebd. 667 Junge Welt, Donnerstag, 31.03.05, 10 ff.

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politischen bzw. wirtschaftlichen Interessen der Geberländer ab. So entste-

hen politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten668.

Hier stellt sich die Frage: Gibt es überhaupt Regeln, die allen Menschen die

Verpflichtung auferlegen, sich für das Wohlergehen aller Mitmenschen zu

sorgen? Worin kann eine solchen Verpflichtung bestehen und wie ist sie be-

gründet? Diese Fragen können erwiesenermaßen durch den Schlüsselbegriff

der Gerechtigkeit beantwortet werden. Wenn dem so ist, wie könnte Gerech-

tigkeit definiert werden? Ein Versuch, „Gerechtigkeit“ zu erklären, kann lau-

ten, dass Gerechtigkeit ein Maßstab zur Einschätzung von Menschen und

Institutionen ist, dass sie als Haupttugend gesellschaftlichen Zusammenle-

bens gilt und dass sie eine erforderliche Legitimationsfunktion in Bezug auf

Herrschaft und Güterverteilung erfüllt. Sie erfordert daher bei konkurrieren-

den Ansprüchen die angemessene Berücksichtigung aller Interessen, mit

dem Ziel, einen Ausgleich zu schaffen669.

Die traditionelle Klassifizierung von Gerechtigkeitskonzeptionen, die ur-

sprünglich von Aristoteles eingeführt wurde670, lautet folgendermaßen:

a) Der formale Gerechtigkeitsbegriff besagt, dass gerecht ist, was dem Ge-

setz entspricht671.

b) Der ausgleichende, korrektive, kommutative bzw. wiederherstellende Ge-

rechtigkeitsbegriff sieht vor, dass eine ethische, ausgezeichnete Beschaf-

fenheit aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen ist, wenn sie entstellt

wurde672.

Letztendlich kann Gerechtigkeit als Verteilungsgerechtigkeit (distributive Ge-

rechtigkeit) definiert werden. Das Kriterium der Verteilungsgerechtigkeit be-

steht darin, dass „Gleichen Gleiches und Ungleichen Ungleiches“ zu-

kommt673. Was zu verteilen ist, muss in einer vernünftigen Beziehung zum

Empfänger stehen; das angemessene Proportionalitätsverhältnis wird als

668 ebd. 669 Vgl. Rieger 2003, 8512 670 Vgl. Mazouz 2002, 23 ff. 671 ebd. 672 ebd. 673 ebd.

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„geometrisch“ bezeichnet674. Handelt es sich beispielsweise darum, Bücher

zu verteilen, sollte die Fähigkeit entscheidend sein, Bücher zu lesen675. Das

gute Leben aller Menschen ist nach Aristoteles oberster Staatsweck. Er bin-

det die adäquate Auslegung des Verteilungsbegriffs an eine konkrete Vor-

stellung des guten Lebens676.

Die ausgleichende Gerechtigkeit hingegen behandelt alle Menschen formal

analog: denn es hängt nicht von den Charakteristiken der Person ab, was ihr

zukommt. Deshalb wird die Gleichheit als „arithmetisch“ bezeichnet677.

Weil die angeführten Gerechtigkeitsprinzipien ihre eigene Anwendung nicht

regeln können, stellt sich die Frage, unter welchen Kriterien die Anwendung

dieser Prinzipien erfolgen sollte: Aristoteles schlägt dafür die Billigkeit vor,

nämlich dass durch vernünftige Überlegung die Regeln angemessen inter-

pretiert werden müssen, um nicht erneut Ungerechtigkeiten zu verursa-

chen678.

In der Neuzeit ändern sich die Vorstellungen von Gerechtigkeit wesentlich.

Das gute Leben wurde nun als etwas Subjektives begriffen. Im Naturrecht

beschränkt sich Gerechtigkeit auf die Protektion privater Rechtssubjekte und

ihres Eigentums. Das Gleichheitsprinzip wird durch Grundrechte gesichert.

Bei Hobbes z. B. erfolgt die Gerechtigkeit des Gesetzes geradewegs durch

den Entschluss des Souveräns. Im Gegensatz dazu wird die Gerechtigkeit

der Gesetze bei Kant durch die Konditionen des legislativen Verfahrens defi-

niert, wobei die Bürger über die Entscheidung der Hinsichten treffen679.

Im Utilitarismus wird Gerechtigkeit als Addition oder Mittelwert des Nutzens

einzelner Individuen erklärt680.

In Bezug auf die jüngsten Gerechtigkeitstheorien beschränkt sich der Verfas-

ser auf die Durchsicht von vier Ansätzen der Autoren Friedrich August von

Hayek (Die Verfassung der Freiheit, Tübingen 1971); John Rawls (Eine The- 674 ebd. 675 ebd. 676 ebd. 677 ebd. 678 ebd. 679 ebd. 680 ebd.

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123

orie der Gerechtigkeit, Frankfurt 1975); Michael Walzer (Spheres of Justice,

New York, 1983) und Amartya Sen (Ökonomie für den Menschen, München

2003).

4.1.1. Der liberale Ansatz von Friedrich August von Hayek

Für von Hayek ist die individuelle Autonomie der öffentlichen Ebene politi-

schen Willens normativ getrennt.681 Darum seien sozialstaatliche Eingriffe,

die diese Autonomie beschränken, unrechtmäßig682.

Von Hayek formuliert drei Gründe für die Ablehnung einer sozialstaatlichen

Umverteilungspolitik zur Verbesserung von Marktergebnissen:

Das Argument der Logik besagt, dass die Tauschergebnisse des Mark-

tes unerwünschte Ergebnisse individuellen Handelns sind. Weil Intentio-

nalität und Folgenverantwortlichkeit des individuellen Handelns nicht ge-

geben sind, kommt eine gerechtigkeitstheoretische Bewertung nicht in

Betracht683.

Das Argument der Kognition besagt, dass der Marktmechanismus zu

einer spontanen Gesellschaftsordnung führt. Aus dieser natürlich entste-

henden Gemeinschaft werden Traditionen und Institutionen hervorgeru-

fen, die ihre eigene Moral ausbilden684. Weil sie die Fähigkeiten der Ver-

nunft überschreiten, sollten sie durch politische Entscheidungen nicht

modifiziert werden685.

Das Argument der Ökonomie besagt, dass der Markt der Bereich un-

überwindlicher Effizienz ist. Er ist anhäufend und spontan, und nicht

durch ein theoretisches Modell entstanden. Dank des Marktes sind große

Erfolge der Geschichte zustande gekommen, obwohl der Mensch nicht in

der Lage war, die Gesellschaftsordnung bezweckt zu lenken686.

681 Vgl. Merkel/Krück 2003 682 ebd., 5 683 ebd. 684 ebd. 685 ebd., 6 686 ebd.

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Anhand der logischen, kognitiven und ökonomischen Argumentation lehnt

von Hayek jede sozialstaatliche Verbesserung von Marktergebnissen ab687.

4.1.2. Der sozialliberale Ansatz von John Rawls

Bei Rawls gilt der Markt als die Sphäre der unübertroffenen Effizienz, aber

nicht als Instanz sozialer Gerechtigkeit688. Die Abwesenheit sozialer Gerech-

tigkeit ist auf die ungleichen und ungerechten Zugangsbedingungen zum

Markt zurückzuführen. Es kommt Rawls deshalb darauf an, die Individuen mit

einem gleichen Paket an Grundgütern auszustatten. Alle Bürger einer Ge-

sellschaft müssten gleichmäßig mit Grundgütern ausgestattet werden, wes-

halb die Ungleichheit der sozialen Startbedingungen durch sozialstaatliche

Maßnahmen zu korrigieren sei689. In die politische Verfassung einer Gesell-

schaft müssten deshalb Einrichtungen eingeschrieben werden, die jene

Grundgüter fair verteilen, die für gerechte Startmöglichkeiten entscheidend

sind. Zu den grundlegenden Gütern zählen Rechte, Freiheiten und Chancen,

aber auch Einkommen und Vermögen sowie die sozialen Prämissen des

Selbstwertgefühls690.

4.1.3. Die kommunitaristische Position von Michael Walzer

Michael Walzer behauptet, dass es kein einzelnes Gerechtigkeitsprinzip,

sondern vielmehr zahlreiche Verteilungsebenen und Verteilungskriterien ge-

be691. Gleiches gelte für die Fülle der zu verteilenden Güter und Ressourcen.

Es kann keine übergreifende Verteilungslogik für so verschiedene Sphären

der Gesellschaftsordnung und für so unterschiedliche Güter und Ressourcen

geben. Walzer versucht festzustellen, dass jede Güter- und Lebenssphäre

ihre eigenen Verteilungsgrundsätze hat692. Der Imperativsatz dieser These

lautet: kein Verteilungsgrundsatz darf in eine andere Sphäre eindringen. Dies

gilt insbesondere für die Sphäre des Geldes. Aus Gründen der Gerechtigkeit

sind bestimmten Güter vorhanden, deren Verteilung nicht vom Geld abhän- 687 ebd. 688 ebd., 6 689 ebd., 7 690 ebd. 691 ebd., 7 692 ebd.

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gen darf, wie beispielsweise Nahrung, Gesundheit und Bildung. Deren Ver-

teilung muss sich auf das Gleichheitsprinzip sowie auf die Bedürftigkeit kon-

zentrieren.693

4.1.4. Die aktivierende Position von Amartya Sen

Das individuelle Handeln ist bei Amartya Sen, das wichtigste Instrument zur

Bekämpfung der Armut und für die Errichtung sozialer Gerechtigkeit694. Erst

durch die Abschaffung sozialer, politischer und ökonomischer Handlungsbe-

schränkungen und Unfreiheiten entsteht die fundamentale Befähigung („ca-

pability“), die ermöglicht, dass der Mensch seine Lebenschancen realisieren

kann695.

„Capability is a set of vectors of functionings (beings and doings), reflecting

the person’s freedom to lead one type of life or another.“696

Die Befähigung bzw. capability ist die Essenz von Sens Gerechtigkeitstheo-

rem697. Unter diesem Verständnis definiert Sen soziale Gerechtigkeit als

„...equality of capabilities.or the elimination of unambiguous inequalities in

capabilities, since capability comparisons are tipically incomplete”698.

Sen differenziert in Bezug auf die Befähigungen bzw. capabilities hauptsäch-

lich zwei Freiheiten: die „konstitutiven“ und die „instrumentellen“.699

Die konstitutiven Freiheiten umfassen substantielle Freiheiten, die intrinsi-

schen Wert besitzen und deren Ausdehnung die Möglichkeit des Menschen

vergrößert, Lebensoptionen vielseitig zu gestalten und Lebenspläne zu ent-

falten700. Zu den konstitutiven Freiheiten zählen beispielsweise die Möglich-

keit, Hunger, Unterernährung, heilbare Krankheiten und vorzeitigen Tod zu

693 Walzer 1988, 161 694 ebd., 8 695 ebd. 696 zit. nach Merkel/Krück 2003, 8 697 ebd. 698 ebd. 699 Sen, Ökonomie für den Menschen, 2003, 50 700 ebd., 30

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vermeiden, sowie die Freiheiten, die darin bestehen, lesen und schreiben zu

können701.

Die Erlangung der konstitutiven Freiheiten ist jedoch weitgehend von den

instrumentellen Freiheiten abhängig702. Soziale Sicherheit, politische Freihei-

ten, ökonomische Einrichtungen, soziale Chancen und Garantien für Trans-

parenz sind der Mittelpunkt zur Entfaltung der capabilities. Diese öffnen dem

Mensch eigenständige Lebenschancen703.

4.2. Die Begründung des Rechts auf Nahrung aus der

Grundbedürfnisthese

Diese These zur Beantwortung der Frage nach der Begründung des Rechts

auf Nahrung betrifft die Konzeption der Grundbedürfnisse, wodurch die ob-

jektiven Lebensbedingungen analysiert werden. Die zentrale Aussage dieser

These besagt, dass Grundbedürfnisse – darunter die angemessene Versor-

gung mit Nahrungsmitteln - einen Mindestbereich fundamentaler Menschen-

rechte bestimmt und dass ihre Befriedigung als unbedingte Voraussetzung

der menschliche Existenz zu betrachten ist.704

4.2.1. Genese der Grundbedürfnisstrategien

Seit den 1950er Jahren wurden verschiedene Entwicklungsstrategien formu-

liert, mit dem Ziel, sozio-ökonomische Probleme der Entwicklungsländer zu

überwinden. Ausgangspunkte dieser Theorien waren:

Der Industrialisierungsansatz 705: Er geht davon aus, dass die Kapitalak-

kumulation anhand der Industrialisierung – durch Importsubstitution und Ex-

portorientierung – die unbedingte Voraussetzung einer beschleunigten Ent-

wicklung der armen Länder repräsentiert706. Dieser Ansatz ist in der Realität

701 ebd., 50 702 ebd. 703 ebd., 30 704 Riedel 1986,182 ff. 705 ebd., 183 706 ebd.

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gescheitert, weil die erforderlichen Kapitalien, Infrastrukturen, Fachkräfte und

Binnenmärkte für diese Strategie einfach fehlten707.

Angesichts des Misserfolges des Industrialisierungsansatzes wurden umfas-

sende Agrarreformen vorgebracht. Dieses Projekt ist ebenfalls gescheitert,

einerseits, weil es abhängig von hohem Kapitalbedarf war, und andererseits,

weil die Eliten der betroffenen Länder ihre privilegierte Stellung durch solche

Pläne bedroht sahen708.

Ein weiterer Denkansatz schlug drastische Geburtenkontrollen vor, weil

vorausgesetzt wurde, dass die hohe Geburtenrate der Entwicklungsländer

eine Behinderung des ökonomischen Aufschwungs darstellte709. Bald stellte

man fest, dass eine niedrigere Geburtenrate keineswegs den sozio-

ökonomischen Rückstand der betroffenen Länder modifiziert.

Anschließend wurde eine Beschäftigungsstrategie befürwortet, deren Ziel

die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung war. Die Realität

zeigte jedoch, dass die Arbeitskraft nur unter bestimmten Umständen den

Kapitaleinsatz tatsächlich ersetzen kann, und zwar nur bei einem hohen Ni-

veau technologischer Entwicklung sowie bei großer Leistungsfähigkeit der

Fachkräfte und des Managements710.

Zuletzt kam es zur Armutsbekämpfungsorientierung , deren Ziel die Ver-

besserung der Lebensverhältnisse der Ärmsten der Bevölkerung war. Diese

Strategie war jedoch abhängig von gestiegenen Konsumausgaben und

Wachstumsraten, welche durch die rückständige Entwicklung unausführbar

waren711.

In den 1970er Jahren, wurde die weltverbreitete Massenarmut als eine ge-

samtsoziale Erscheinung betrachtet, deren Überwindung nicht nur in der Si-

cherstellung des absoluten Existenzminimums bestehe, sondern vor allem in

707 ebd. 708 ebd., 184 709 ebd., 185 710 ebd. 711 ebd., 186

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der Erhöhung der Nachfrage, Grundgüter und elementaren Dienstleistun-

gen712.

In der Erklärung von Cocoyoc 1974 wurde befürwortet, dass sämtliche Ent-

wicklungsverfahren basale Grundbedürfnisse, wie angemessene Ernährung,

Gesundheitsvorsorge, Wohnung, Bekleidung und Bildung, unbedingt einbe-

zogen werden müssen. Um diese klare Zielsetzung zu verwirklichen, sind

grundlegende sozio-ökonomische Korrekturen der Sozialstrukturen notwen-

dig713.

„Menschen haben bestimmte Grundbedürfnisse: Nahrung, Unterkunft, Klei-dung, Gesundheit und Bildung. Jeder Wachstumsvorgang, der nicht zur Be-friedigung dieser Bedürfnisse führt – oder sogar störend eingreift – ist eine Verkehrung des Entwicklungsgedankens“714. Eine analoge Studie wurde 1975 von der Dag-Hammarskjöld-Stiftung vorge-

legt. Der Bericht namens „What now ? – Another Development“ forderte

gleichartige Zielsetzungen wie die Erklärung von Cocoyoc, basierte auf der

Grundlage der Armutsbekämpfung.715

„Eine andersartige Entwicklung muss auf die Befriedigung der Bedürfnisse ausgerichtet sein und mit der Beseitigung von Armut beginnen.“716

Im Bericht „Catastrophe or New Society“ (1976) der Bariloche Stiftung aus

Argentinien wurde befürwortet, dass die Massenarmut nicht aus einem Res-

sourcendefizit, sondern aus strukturellen Hindernissen sozio-politischer Natur

herrührt717. Die Experten der Bariloche-Studie plädierten für eine

Grundbedürfnisstrategie, wonach jedem Menschen mindestens eine

Tagesration von 3000 Kalorien und 100 Gramm Protein, 12 Jahre

Grundschulerziehung wie auch 7 m² Wohnraum zustehen sollte718.

Zuletzt wurde 1976 der Report „Wir haben nur eine Zukunft“ von Jan Tinber-

ger verfasst, wonach ein Katalog von Entwicklungsprioritäten formuliert wur-

712 ebd. 713 ebd., 187 714 www.jungewelt.de/public_phpnum13&djahr=2002dm 715 Riede 1986, 187 716 www.fes.de/internetl/humanr/pub_UN95/nusch_1.html 717 ebd., 188 718 ebd., 189

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de. Grundziel aller Bedürfnisstrategien sollte sein, für alle Menschen ein Le-

ben in Würde und Wohlergehen zu schaffen719.

„Die Postulate der Verteilungsgerechtigkeit, der Freiheit, wie sie in der allge-meinen Menschenrechtserklärung zum Ausdruck kommt, der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Demokratie und Mitbestimmung, der Solidarität als Voraussetzung für soziale Rechte, der kulturellen Vielfalt und der Unver-sehrtheit der Umwelt werden zu Leitvorstellungen dieser Strategie erho-ben“.720

4.2.2. Begriffsbestimmung

Das Grundbedürfnis schließt als ein Begriff der Entwicklungstheorie zwei

grundlegende Bestandteile ein:

1. die Sicherstellung der Mindestausstattung einer Familie mit bestimmten

Grundgütern wie angemessene Ernährung, Wohnung und Kleidung;

2. die Verfügung über elementare öffentliche Dienstleistungen wie Trink-

wasser, sanitäre Anlagen, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen und

Transportmittel.721

Zielgruppe der Entwicklungsstrategien, die sich an Grundbedürfnissen orien-

tieren, sind diejenigen Menschen, deren Konsum von Grundbedarfsgütern

einen absoluten oder relativen Standard nicht erreicht722.

Eine solche Definition von Grundbedürfnissen bestimmt die Elemente des

Konzepts selbst:

a) Das Gefüge der ökonomischen Entwicklung soll sich auf die Befriedigung

der Grundbedürfnissen der ärmsten Menschen konzentrieren;

b) Beim Produktionsprozess haben diejenige Güter und Dienstleistungen

Vorrang, die der armen Bevölkerung zugänglich gemacht werden kön-

nen;

719 ebd. 720 ebd., 190 721 Vgl. Riedel 1986, 191 ff. 722 Nohlen 2003, 8584 ff.

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c) Der armen Bevölkerung muss der Zugang zu den Produktionsmitteln er-

möglicht werden, weil produktive Beschäftigung ihnen Einkommen und

Lebensunterhalt ermöglicht;

d) Eine produktive Beschäftigung verschafft den Menschen das Gefühl der

Selbstachtung und die Möglichkeit der Selbstrealisierung;

e) Grundbedürfnisse, deren Befriedigung ein sachliches Existenzminimum

ermöglicht, werden first floor needs genannt. Umfassendere Bedürfnisse

zur Gewährleistung sozialen und mentalen Wohlbefindens sind anderer-

seits die sog. second floor needs, wie z. B. Bildung, soziale Sicherheit

oder kulturelle Identität723.

4.3. Die Human Security Conception

Im Human Development Report 1994 des United Nations Development Pro-

gram (UNDP) wurde das Konzept der Human Security ursprünglich formuliert

und bekannt gemacht724.

Die Konzeption ist eine Reaktion der Vereinten Nationen auf die Verschär-

fung der Unsicherheit im Rahmen der zunehmenden Privatisierung von Gü-

tern und Dienstleistungen und zielt darauf, die Ursachen der Unsicherheit bei

Bildung, Nahrungsversorgung, intakter Umwelt, Gesundheit, Beschäftigung

und Einkommen zu entfernen725.

Die Human Security Conception geht davon aus, dass Sicherheit bisher le-

diglich als militärischer Schutz von externen Eingriffen verstanden wird, wäh-

rend die legitimen Erwartungen normaler Leute von Sicherheit in ihrer tagtäg-

lichen Existenz vergessen wurden. Durch den Begriff der Menschlichen Si-

cherheit sucht der Human Security Report diesen Mangel abzustellen.726

„Acts of terror and the reactions they provoke are often the result of profound socioeconomic, environmental, and political pressures – forces that together create a less stable world. Among them are endemic poverty, convulsive economic transitions that cause growing inequality and high unemployement,

723 ebd. 724 www.bundestag.de/gremien/welt/globend/623.html 725 ebd. 726 www.worldwatch.org/pubs/sow/2005/toc/1

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131

the spread of deadly armaments, large-scale population movements, recur-ring natural disasters, ecosystem breakdown, new and resurgent communi-cable diseases, and rising competition over land and other natural resources. Weapons do not necessarily provide security, and real security in a globaliz-ing world cannot be provided on a purely national basis. With world military expenditures rising to close to $ 1 trillion a year, the war on terror is draining resources that could be used to combat the root causes of insecurity. Fur-thermore, policies that seek security primarily by military means but fail to address underlying factors of instability will likely trigger a downward spiral of violence and chaos, and quite possibly a collapse of international rules and norms. The need for international cooperation has grown stronger, even as new rifts and divides have opened up”727. Menschen und nicht mehr Staaten stehen im Mittelpunkt dieser Vorstellung,

die ausdrücklich auf eine vollkommendere Sicherheitseinsicht aspiriert728.

Dem Report zufolge besitzt die Human Security Conception zwei Grundele-

mente:

„It means, first, safety from such chronic threats as hunger, disease and re-pression. And second, it means protection from sudden and hurtful disrup-tions in the patterns of daily life – whether in homes, in jobs or in communi-ties”729. Anschließend wurden sieben möglichen Gefahrensphären formuliert, in wel-

chen Sicherheit erreicht werden sollte:

1) Nahrungssicherheit, welche die Sicherstellung des Zugangs zu ausrei-

chender Nahrungsmittelversorgung erfordert;

2) ökonomische Sicherheit, die durch Armut, Arbeitslosigkeit und Obdachlo-

sigkeit bedroht wird;

3) gesundheitliche Sicherheit, die ein adäquates Gesundheitswesen ver-

langt ;

4) Umweltsicherheit, die durch die Verseuchung von Wasser, Luft, Land und

durch das ökologische Ungleichgewicht gefährdet wird;

5) persönliche Sicherheit, die durch Leid und Gewalt bedroht wird;

6) gemeinschaftliche Sicherheit, welche Schutz vor Diskriminierung,

Unterdrückung und Auflösung traditioneller Gemeinschaften erfordert;

7) politische Sicherheit, in der die Achtung, Schutz und Erfüllung der Men-

schenrechte zentral sind730.

727 ebd. 728 www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/theorie/altvater.html 729 ebd. 730 ebd.

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132

In „Human Security and Mutual Vulnerability“ werden nur fünf Dimensionen

der Human Security Conception vorgebracht:

1) ökologische, persönliche und physische Sicherheit,

2) wirtschaftliche Sicherheit,

3) soziale Sicherheit,

4) politische Sicherheit und

5) kulturelle Sicherheit731.

Die Sphären menschlicher Sicherheit beziehen sich grundsätzlich auf die

soziale und ökonomische Ebene732. Die Besonderheit der Konzeption basiert

darauf, dass sie lediglich über staatliche Einrichtungen umgesetzt werden

kann, die sich immer wieder demokratisch legitimieren sollen und deren Ord-

nungs- und Sicherheitsrolle von den Betroffenen zugestimmt wird733.

Soziale und ökonomische Sicherheit ist also nur durch die garantierende

Funktion der öffentlichen Institutionen möglich, die sich auf die Bedürfnisse

und Interessen der Menschen bezieht734.

„The fundamental problems of security are in the insecurity experienced by individual persons, their search for more secure life situations, their personal initiatives, their rights to expect States and other public institutions to care for their “quotidian” security needs to become an integral part of the definition of human security”735. Die Konzeption der Menschlichen Sicherheit hat sich auf internationaler Ebe-

ne durchgesetzt. Nach Überzeugung des Washingtoner Worldwatch-Instituts

ist die Armut die Wurzel allen Übels in der Welt und bedroht die internationa-

le Sicherheit736.

Die internationale Gemeinschaft hat bisher versagt, die Armut zu bekämpfen,

sagt Michael Renner, in der Studie „Vital Signs“ des Worldwatch-Institut. Dies

731 www.unac.org/en/linklearn/canada/security/perception.asp 732 ebd. 733 ebd. 734 ebd. 735 www.hsph.harvard.edu/hpcr/events/hsworkshop/comparison_definition.pdf 736 www.vistaverde.de/news/Politik/030523_armut.htm

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133

trägt heute in Form von Kriegen, Massenarmut, Nahrungsunsicherheit, Terro-

rismus, und ansteckenden Krankheiten zur globalen Instabilität bei.

„Eine instabile Welt verlängert nicht nur die Armut, sie wird schließlich auch den Wohlstand bedrohen, an den sich eine reiche Minderheit gewöhnt hat.“737 Eine sichere Welt setze eine gerechtere Entwicklung voraus. Dem Bericht

zufolge ist mehr Geld für Armutsbekämpfung, Nahrungssicherheit, Befriedi-

gung der Grundbedürfnisse und Aufrechterhaltung der natürlichen Ressour-

cen erforderlich738.

Würden die Regierungen hierfür 100 Milliarden Dollar im Jahr zur Verfügung

stellen, was laut Worldwatch 14,8 Prozent der Militärausgaben entsprechen,

könnte es gelingen, ab sofort Armut, Massenhunger, Krankheiten und Anal-

phabetismus in der Welt auszurotten739.

Vor kurzem kam die Weltbank zu dem gleichen Schluss. Nach Auffassung

von Weltbank-Präsident James D. Wolfensohn sollen die Industriestaaten

trotz schwacher Wachstumsraten die Entwicklungshilfe im eigenen Sicher-

heitsinteresse weiterführen740.

„Fünf von sechs Milliarden Menschen leben in Ländern der Dritten Welt. Dies ist ein Markt für die Industriestaaten. Aber dies ist auch die Grundlage der Stabilität. Wenn man das Armutsproblem nicht löst, gibt es auch keinen Frie-den. Man kann diese Frage nicht vertagen, bis man wieder drei Prozent Wachstum hat. Man muss sich ständig damit befassen. Das hat mit Mildtä-tigkeit nichts zu tun. Das ist Eigeninteresse“741. 5. Lösungsansätze zur Bekämpfung der Unterernährung

5.1. Die Stellungnahme der Weltbank

737 ebd. 738 ebd. 739 www.nachhaltigkeitsrat.de/aktuell/news/2005/26-01_09/content.html 740 ebd. 741 ebd.

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134

Für die Weltbank ist die Überwindung der Unterernährung nur durch die Be-

seitigung der Armut möglich742.

„In der Welt gibt es inmitten des Überflusses auch tiefe Armut. Von den 6 Milliarden Menschen auf der Erde leben 2,8 Milliarden – also fast die Hälfte - von weniger als 2 US-Dollar pro Tag und 1,2 Milliarden – also ein Fünftel - sogar von weniger als 1 US-Dollar pro Tag. Jeden Tag sterben etwa 100.000 Menschen an Hunger und seinen Folgen, d. h., ein Toter pro Sekunde, über 36 Millionen im Jahr“743. Die Armut in der Welt ist noch immer groß, auch wenn sich die Lebensver-

hältnisse durch den Wohlstand industrialisierter Länder, die globale Vernet-

zung und die technischen Ressourcen in den letzten 100 Jahren stärker ver-

bessert haben744.

Dieser Wohlstand ist jedoch maßlos ungleich verteilt745.

„Das Durchschnittseinkommen ist in den 20 reichsten Ländern 37mal höher als in den ärmsten 20, und dieser Abstand hat sich in den letzten 40 Jahren verdoppelt“746. Wegen der weltweiten Armut und Ungleichheit hat die internationale Ge-

meinschaft mit der Millenniumserklärung der Vereinten Nationen, Entwick-

lungsziele festgelegt, deren Hauptteil bis zum Jahr 2015 erreicht sein müs-

sen. Das sind unter anderem:

• Halbierung der Anzahl der Hungernden und der Bedürftigen in der Welt.

• Reduktion des Prozentansatzes der Weltbevölkerung, der in extremer

Einkommensarmut (also von weniger als 1 US-Dollar pro Tag) leben, um

die Hälfte.

• Gewährleistung einer allgemeinen Grundschulausbildung.

• Reduktion der Säuglings- und Kindersterblichkeit um zwei Drittel.

• Verringerung der Müttersterblichkeit um drei Viertel.

742 Vgl. Weltbank, Weltentwicklungsbericht 2001 743 ebd., 3 744 ebd. 745 ebd. 746 ebd., 4

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135

• Umsetzung nationaler Strategien zur nachhaltigen Entwicklung bis

2005747.

Um diese Ziele zu erreichen, ist eine umfassendere Strategie zur Bekämp-

fung der Armut erforderlich umzusetzen748. Der Lösungsansatz zur Bekämp-

fung der Armut hat sich in letzter Zeit verändert, weil man ein umfassenderes

Verständnis für die komplexe Struktur der Entwicklung erlangt hat749.

In den 1950er und 1960er Jahren wurden großen Investitionen in Anlageka-

pital und Infrastruktur als die prinzipielle Aktionen zur Entwicklungsförderung

betrachtet750. In den 1970er Jahren erkannte man, dass Anlagekapital allein

nicht ausreicht und dass der Rückstand im Nahrungs-, Bildungs- und Ge-

sundheitsbereich nur durch die Steigerung des Einkommens armer Men-

schen zu überwinden ist751. In den 1980er Jahren verlagerte sich das Zent-

rum der Aufmerksamkeit - wegen der Schuldenkrise und der weltweiten Re-

zession in Asien, Lateinamerika und Afrika - erneut. Es wurde vorgebracht,

das wirtschaftliche Management zu verbessern und die Marktkräfte zu flexibi-

lisieren752.

Dem Weltentwicklungsbericht 1990 zufolge erfordert die Bekämpfung der

Armut:

• Entwicklung durch eine liberale Wirtschaftspolitik,

• Infrastrukturinvestitionen und

• Grundversorgung der Bedürftigen im Nahrungs-, Gesundheits- und Bil-

dungswesen753.

Der Weltentwicklungsbericht 2001 der Weltbank schlägt hingegen eine ande-

re Strategie zur Bekämpfung der Armut vor, die in

a) der Kreation von Chancen,

747 Menschenrechte, bpb Bonn 2004, 265 ff. 748 Weltbank 2001, 5 749 ebd., 7 750 ebd. 751 ebd. 752 ebd. 753 ebd.

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136

b) der Unterstützung des Empowerments und

c) der Verbesserung der Sicherheit besteht.

Zu a) Kreation von Chancen : Von zentraler Bedeutung für bedürftigen Men-

schen sind Nahrungsversorgung, Arbeitsplätze, Kredite, Straßen, Strom, Ab-

satzmärkte für Agrarprodukte, Schulen, Wasserversorgung, Zugang zu Sani-

täreinrichtungen und Leistungen der Gesundheitsfürsorge754.

Eine allgemeine Wirtschaftsentwicklung ist ausschlaggebend für die Kreation

von Möglichkeiten. In einer sozialen Ordnung mit einem hohen Maß an Un-

gleichheit ist eine größere Gleichheit besonders wichtig, um Fortschritte bei

der Bekämpfung der Armut zu erzielen. Verschiedene staatliche Maßnahmen

sind Voraussetzung zu Verbesserungen beim Humankapital755.

Zu b) Unterstützung des Empowerment : Die Implementierung staatlicher

Eingriffe, die sich auf die Grundbedürfnisse der Armen konzentrieren, hän-

gen vom Zusammenwirken politischer, gesellschaftlicher und anderer institu-

tioneller Vorgänge ab. Der Zugang zu Marktchancen und Leistungen des

öffentlichen Sektors wird öfter stark von staatlichen und sozialen Institutionen

beeinflusst, die auf bedürftigen Menschen eingehen und ihnen gegenüber

Verantwortung und Rechenschaftspflicht zeigen müssen. Aufgabe der Politik

ist es, für Verantwortung und Rechenschaftspflicht der sozialen Institutionen

zu sorgen. Das setzt eine Kooperation zwischen Armen, Eliten und anderen

Gruppierungen voraus756.

Zu c) Verbesserung der Sicherheit : Eine verbesserte Protektion vor Natur-

katastrophen, Hunger, ökonomischen Erschütterungen, Krankheit, Behinde-

rung und Gewalt ist ein ausschlaggebendes Element für ein besseres Wohl-

ergehen und fördert Investitionen in Humankapital. Dies verlangt eine wirk-

same innerstaatliche Aktion, um das Risiko von Erschütterungen zu be-

schränken, und effiziente Mechanismen zur Reduktion gesundheitlicher und

wetterbedingter Risiken für Bedürftige. Außerdem müssen die Chancen der

754 ebd. 755 ebd. 756 ebd., 8

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137

Armen vermehrt und Absicherungsmechanismen geschaffen werden, wie

beispielsweise Arbeitsangebote im öffentlichen Sektor, Programme zur Ver-

längerung des Schulbesuchs und Krankenversicherungen, um die Konse-

quenzen von Erschütterungen zu reduzieren757.

5.2. Empowerment of Capabilities

In seinem Buch „Poverty and Famines. An Essay on Entitlement and Depri-

vation” von 1981 verlagert Amartya Sen die Argumentation über Hungersnö-

te von der Angebots- auf die Nachfrageseite und stellt fest, dass Hungersnö-

te weniger das Resultat von Nahrungsmitteldefizit, sondern vielmehr das Er-

gebnis eines Verteilungsproblems sind758.

Ein wesentlicher Lösungsansatz, um Hungersnöte zu vermeiden und Unter-

ernährung zu beseitigen, besteht darin, die Zugangsrechte (entitlements) zu

den Nahrungsmitteln durch Stärkung der individuellen Kaufkraft zu si-

chern759.

„Hungersnöte können z. B. dadurch verhindert werden, dass die Einkom-mensverluste der potentiellen Opfer ausgeglichen werden (etwa durch zeit-lich begrenzte Beschäftigung bei öffentlichen Arbeiten) und sie dadurch in die Lage versetzt werden, Nahrungsmittel auf dem Markt zu kaufen“760. Sen unterscheidet verschiedene Kategorien von entitlements. Demnach kann

Zugang zu Nahrungsmitteln auch durch eigene Produktion gewonnen wer-

den bzw. durch den Tausch von eigenen Gütern oder durch Geschenke. In

seinem Lösungsansatz weist Sen auf mannigfaltige sozio-ökonomische Zu-

sammenhänge hin, die Hunger und Armut beeinflussen, d. h. Inflation oder

Arbeitslosigkeit, aber auch die Rolle der Frau sind Faktoren, die die Kaufkraft

beeinflussen. Ein empowerment der Frauen kann dort, wo die Unterernäh-

rung eine Pandemie darstellt, dazu beitragen, Ungerechtigkeiten bei der

Nahrungsverteilung innerhalb der Familie einzuschränken und auch Famili-

757 ebd. 758 www.inwent.org/E+Z/1997-2002/ez400-7.htm 759 ebd. 760 ebd.

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138

enplanungsmöglichkeiten zu eröffnen, die dem Bevölkerungswachstum ent-

gegenwirken761.

Das Ziel staatlicher Einflussnahme besteht schließlich darin, objektive Kondi-

tionen zu schaffen, die es dem Menschen ermöglichen, seine eigenen Le-

benspläne zu realisieren. Die Bekämpfung von Armut besteht also nicht dar-

in, dass alle Güter gleichmäßig verteilt werden sollten, sondern vielmehr dar-

in, dass eine Gleichheit der Chancen hergestellt wird762.

5.3. Der Welt-Marshall-Plan

Nach dem zweiten Weltkrieg erhöhten die USA ihren Etat für wirtschaftliche

Unterstützungsmaßnahmen anderer Länder auf die Rekordhöhe von 1,5

Prozent ihres Bruttosozialprodukts (zum Vergleich heute: 0,1 Prozent;

Deutschland: 0,2 Prozent)763. Sie finanzierten damit den Marshallplan für den

Wiederaufbau von Europa. Der Marshallplan trug zum europäischen Wirt-

schaftswunder und zugleich zu einer breiten Wohlstandserhöhung bei.

Heute sind Wohlstand, Sicherheit, Frieden und Freiheit jedoch durch extreme

Armut und Not gefährdet. 50 Prozent der Weltbevölkerung müssen mit weni-

ger als 2 Euro pro Tag auskommen (siehe auch 5.1. Stellungnahme der

Weltbank), 100.000 Menschen sterben täglich an Hunger und Mangel an

sauberem Wasser764.

Die Idee für einen Welt-Marshall-Plan gegen die Armut wurde 1990 von Al

Gore in seinem Buch „Wege zum Gleichgewicht – Ein Marshallplan für die

Erde“ entwickelt, die auf eine Veränderung dieser katastrophalen Situation

abzielt765.

761 ebd. 762 ebd. 763 www.faw.uni-ulm.de 764 ebd. 765 Gore 1992.

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139

Wegen der gravierenden Situation von Armut und Unterernährung in der

Welt wurde 2003 in Stuttgart eine Global Marshall Plan Initiative gegrün-

det766. Dieser Initiative strebt an, die aktuelle Weltwirtschaft mit einem besse-

ren Ordnungsrahmen des globalen Markts auszustatten, der auf Gerechtig-

keit, Weltfrieden und Nachhaltigkeit gerichtet ist767.

Langfristiges Ziel ist eine ökosoziale Weltmarktwirtschaft, in der die Märkte

und Konkurrenz mit hohen Standards zum Wohle aller Menschen in Zusam-

menhang stehen. Der Schlussstein für solche Standards und für die Über-

windung der weltweiten Armut sind Finanzierungsmaßnahmen der reichen

Länder zugunsten der Entwicklungsländer. Bessere Standards implizieren

zugleich bessere Regierungsstrukturen in den betroffenen Ländern768.

Die United Nations Millenium Development Goals, die global bis zum Jahr

2015 abgestimmt sind769, stellen das verfolgte Umsetzungsziel der Initiative

dar. Bezüglich des Finanzierungsbedarfs werden Analysen der United Nati-

ons770, die europäische Position des britischen Schatzkanzlers Gordon

Brown771 sowie Analysen von George Soros772 zugrunde gelegt. Demnach

sind, über den heutigen Betrag der Entwicklungshilfe hinaus, 980 Milliarden

US Dollar zusätzlicher Hilfe erforderlich. Diese Gelder sind durch folgende

Maßnahmen zu beschaffen:

1. Eine weltweite Steuer auf Finanztransaktionen (Tobin Tax) in Höhe von

zunächst 0,01%, dann 0,02% des gehandelten Wertes. Hiervon werden pro

Jahr zunächst 30, dann 40 Milliarden US Dollar Finanzbeitrag erwartet. Die

Tobin Tax ist eine Steuer auf internationale Devisengeschäfte, 1978 von Ja-

mes Tobin, Nobelpreisträger für Wirtschaft, vorgeschlagen. Besteuert würden

dabei alle grenzüberschreitenden Geldtransfers mit geringer Steuerlast. Die

dadurch entstehenden Einnahmen werden durch die Weltbank weitergeleitet

und sollen der Allgemeinheit zu Gute kommen. Die Konzeption der Global

Marshall Plan Initiative sieht vor, eine solche Steuer einzuführen und die Ein- 766 ebd. 767 Soros 2001. 768 Radermacher 2002, 17. 769 www..un.org/milleniumgoals/ 770 www.un.org/reports/financing/full report.pdf 771 www.globalpolicy.org/socecon/ffd/2002/1216brown.htm 772 Open Society Initiative. In: www.soros.org

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140

nahmen zur Finanzierung von Entwicklung zu verwenden. Frankreich und

Belgien haben bereits die Einführung der Tobin-Steuer beschlossen, aber an

die Bedingung geknüpft, dass alle EU-Mitglieder diese einführen773.

2. Eine Welthandelsabgabe (Terra Tax) von zunächst 0,35%, dann 0,5%

des grenzüberschreitenden Warenwertes im Rahmen der WTO. Hiervon

werden zunächst 30 Milliarden, dann 40 Milliarden US Dollar erwartet774.

5.4. Steuer auf Waffenhandel

2004 hat Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac vor den Vereinten

Nationen eine weltweite Steuer auf Waffenhandel zur Bekämpfung der Armut

gefordert775.

Große Waffenhändler wie Frankreich, Russland und die USA könnten auf

diese Art und Weise zu Pionieren im Kampf gegen den Hunger werden:

Weltweit werden 900 Milliarden für Rüstung ausgegeben, aber nur 68 Milliar-

den Dollar für Entwicklungshilfe776.

Es könnte genug Geld für Entwicklungshilfe gesammelt werden. Nur allein

von Deutschland würden jährlich 144 Milliarden US Dollar zusammenge-

kommen werden. Leider wird dabei vergessen, dass viele Entwicklungslän-

der mehr für Waffen als für Nahrungsversorgung, Ausbildung und Gesund-

heit ausgeben.

Die Weltbank hat festgestellt, dass hohe Militärausgaben das Wachstum in

den Entwicklungsländern verlangsamten. 66,7 % aller Waffenexporte gingen

nach Asien, in den nahen Osten, nach Lateinamerika und Afrika.

5.5. Kerosinsteuer

773 www.globalmarshallplan.org/e897/e3114/e3118/ 774 ebd. 775 www.blog.handelsblatt.de/adhoc/eintrag.php?id=35 776 ebd.

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141

Im April 2005 haben Bundeskanzler Gerhard Schröder und Präsident Frank-

reichs Jacques Chirac in New York eine Kerosinsteuer bzw. eine Steuer auf

Flugtickets mit dem Ziel vorgeschlagen, zusätzliche Entwicklungshilfe gegen

Armut und Hunger zu ermöglichen, weil sowohl Deutschland als auch Frank-

reich die allmähliche Anhebung des Anteils der Entwicklungshilfe auf 0,7 Pro-

zent des Bruttoinlandsprodukts planen777.

Zuvor hatten die sieben führenden Industrienationen im März 2005 beim G-7-

Gipfel in London beschlossen, die extreme Armut und den Hunger in den

Entwicklungsländern weiter zu bekämpfen. In diese Richtung schlug Staats-

präsident Frankreichs eine weltweite Sondersteuer vor, um mehr Gelder zur

Armutsbekämpfung und Ausrottung des Hungers aufzubringen. Die Briten

schlugen ihrerseits vor, eine internationale Finanzeinrichtung zu kreieren, bei

der die reichen Länder gemäß bestimmter Quoten Anleihen am Kapitalmarkt

in Umlauf bringen, welche den Entwicklungsländer zugute kommen sollten:

die IFF (International Financial Facility). Der britische Schatzkanzler Gordon

Brown beabsichtigt, mittels dieser Einrichtung 50 Milliarden Dollar im Jahr für

die Entwicklungshilfe einzunehmen778.

Darüber hinaus zeigte Bundeskanzler Gerhard Schröder Zustimmung für die

Besteuerung von Finanztransaktionen und Waffenexporten, während die

USA einen eigenen Finanztopf von 15 Milliarden Dollar für die Entwicklungs-

hilfe vorschlugen779.

Beim G-7-Gipfel wurde schließlich bemerkt, dass das Geld allein nicht alles

ist, und dass die Empfängerregierungen Hunger und Armut in ihren Ländern

intensiver bekämpfen müssen780.

5.6. Der UN-Bericht „Investing in Development: A Practical

Plan to Achieve the Millennium Development Goals“ (2005)

777 www.ig-oekoflughafen.de/Politik_55.htm 778 ebd. 779 ebd. 780 ebd.

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142

Diesem Bericht zufolge haben die reichen Nationen der Welt die Möglichkei-

ten und das Geld, allerdings nicht den politischen Willen, um den Hunger und

die extreme Armut auszurotten. Zu dieser Schlussfolgerung kommt der Be-

richt der Vereinten Nationen, an dem in den vergangenen drei Jahren über

260 internationale Experten gearbeitet haben und der im Januar 2005 dem

Bundesentwicklungsministerium in Berlin vorgestellt wurde. Laut Bericht ist

die Ausrottung des Hungers und der extremen Armut nicht nur eine Frage

der globalen Gerechtigkeit und der Menschenrechte, sondern auch der glo-

balen Sicherheit: Armut und Hunger steigern exponentiell die Instabilität von

Gesellschaften, und deshalb ist Hungerbekämpfung auch Friedenspolitik781.

781 ebd.

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143

Schlussfolgerungen

1) Hungerbekämpfung und Armutsabbau sind nicht zu trennen, deshalb

müssen Armutsabbaustrategien den Zugang zur Nahrung als wesentliches

Element umfassen. Das Recht auf Nahrung bedeutet grundsätzlich den Zu-

gang zu quantitativ und qualitativ genügenden Nahrungsmitteln. Es wurde

festgestellt, dass es keine globale Nahrungsmittelknappheit gibt. Deshalb ist

für die Realisierung des Rechts auf Nahrung die Schaffung einer globalen

Ordnung ausschlaggebend, die für alle Menschen ausreichende Erwerbs-

möglichkeiten, Produktionsressourcen und Sicherungssysteme zur Verfü-

gung stellt.

2) Ökonomisches Wachstum führt nicht mechanisch zur Ausrottung von

Hunger und Unterernährung. Nur wenn auch die Armen den Gewinn des

Wachstums durch eine gerechte Verteilungspolitik erleben können und ihnen

der Zugang zu produktiven Ressourcen ermöglicht wird, können Hunger und

Unternährung effizient bekämpft werden. Entscheidend ist deshalb eine ar-

mutsorientierte Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung in den Entwick-

lungsländern, in denen sich Hunger und Armut konzentrieren.

2) Es ist ethisch und menschlich beschämend, dass Millionen Kinder, Frau-

en und Männer an den Folgen des Hungers sterben, während gleichzeitig

lebensnotwendige Ressourcen verschwendet werden.

„Jede Waffe, die gebaut wird, jedes Kriegsschiff, das vom Stapel läuft, jede

Rakete, die abgefeuert wird, bedeutet letztendlich einen Diebstahl an Denje-

nigen, die verhungern und nicht versorgt werden“ erklärte US-Präsident Ei-

senhower 1953782.

Hunger ist die Verweigerung des grundlegendsten aller Menschenrechte, des

Rechts auf Leben. Er muss mit aller Entschlossenheit bekämpft werden. Die

782 www.friedensbewegung-heilbronn.de/BLOEFOMA05.html

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144

Beseitigung von Hunger und Armut ist eine juristische und moralische Ver-

pflichtung der Solidarität. Die internationale Gemeinschaft trägt in diesem

Sinne eine große Verantwortung.

3) Das Recht auf Nahrung hat das gleiche Gewicht wie die anderen Men-

schenrechte, deshalb muss seine Realisierung mit der gleichen

Entschlossenheit betrieben werden. Das Argument der hohen Kosten für

die Umsetzung der wsk-Rechte im Allgemeinen und des Rechts auf

Nahrung im Speziellen ist das zentrale Argument, um die

Menschenrechtsqualität dieser Rechte in Frage zu stellen. Aber auch für

die Verwirklichung vieler bürgerlicher und politischer Rechte sind positive

staatliche Leistungen erforderlich, ohne dass ihre Rechtsqualität

angezweifelt wird. Die wsk-Rechte sind also in ihrer Rechtsnatur nicht

von bürgerlichen und politischen Rechten zu unterscheiden.

Die traditionelle juristische Gegenüberstellung von Abwehr- und

Leistungsrechten ist objektiv unbegründet. Sowohl bp-Rechte als auch wsk-

Rechte enthalten die gleichen Verpflichtungsebenen für die Staaten:

Respektierungspflichten, Schutzpflichten und Gewährleistungspflichten. Bei

der Verwirklichung der wsk-Rechte bzw. einer

Ernährungssicherungsstrategie geht es demzufolge nicht um die Errichtung

eines zentralen Versorgungsstaates, sondern um die Schaffung einer

Mindestsicherung der Menschen.

Hungerbekämpfung bedeutet auch, die obsolete juristische Gegenüberstel-

lung von Abwehr- und Leistungsrechten zu bekämpfen. Deshalb können Do-

zenten, Richter, Beamte oder Rechtsanwälte zu dieser Aufgabe beitragen.

Wir Juristen können die anonymen Menschen unterstützen, die ohne Chance

und Stimme unter elenden Lebensverhältnissen, Hoffnungslosigkeit und der

Geißel des Hungers leiden. Die Ausrottung des Hungers liegt auch bei uns.

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Literaturverzeichnis

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