DreI StreIFen: tanZ

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Choreographien von Benjamin Millepied, Demis Volpi und Jir ˇí Bubeníc ˇ ek Premiere am 14. Februar 2015 im Opernhaus Dortmund DREI STREIFEN: TANZ Unterstützt von

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Choreographien von Benjamin Millepied, Demis Volpi und Jirí Bubeníc ek

Premiere am 14. Februar 2015 im Opernhaus Dortmund

DreI StreIFen: tanZ

Unterstützt von

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Choreographien von Benjamin Millepied, Demis Volpi und Jirí Bubeníc ek

Konzeption: Xin Peng Wang

PrIVate lIGHt _______________________

Dortmunder Erstaufführung

Musik: Carlo Domeniconi (Koyunbaba), Heitor

Villa-Lobos – (Prelude No. 4, arr. Christian Kiss)

Choreographie: Demis Volpi

Kostüme: Katharina Schlipf

Lichtdesign: Bonnie Beecher

Clara Carolina Sorzano Hernandez / Jelena-Ana

Stupar / Nae Nishimura

Andrei Morariu / Arsen Azatyan / Tigran Sargsyan

eBonY ConCerto ________________ _

Uraufführung

Musik: Igor Strawinsky

Choreographie: Demis Volpi

Kostüme: Katharina Schlipf

Lichtdesign: Bonnie Beecher

Denise Chiarioni / Barbara Melo Freire

Amanda Vitória Cerqueira Vieira

Giuseppe Ragona / Alysson da Rocha Alves /

Davide D’Elia

tHe PIano ____________________________

Uraufführung

Musik: Anton Arensky, Johannes Brahms, Otto

Bubeníček, Claude Debussy, Charles Ives, Michael

Nyman, Te Rauparaha, Alfred Schnittke, Dimitri

Schostakowitsch, Igor Strawinsky, Peteris Vasks,

Clive Williamson, Musik der Maoris

Choreographie: Jiří Bubeníček

Bühne, Videodesign: Otto Bubeníček

Kostüme: Elsa Pavanel

Lichtdesign: Carlo Cerri

Soundmix, Arrangement: Otto Bubeníček

Ada McGrath: Emilie Nguyen / Jaqueline Bâby

Flora McGrath: Casey Hoskins / Anna Kohlen

Alisdair Stewart: Dmitry Semionov / Andrei Morariu

George Baines: Arsen Mehrabyan /

Harold Quintero López

Aunt Morag: Jelena-Ana Stupar

Nessie: Sayo Yoshida

Reverend Septimus Campbell: Arsen Azatyan

Maoris / Nihes Stamm: Sae Tamura, Clara Carolina

Sorzano Hernandez, Alysson da Rocha Alves,

Andrei Morariu, Giuseppe Ragona, Gal Mazor

Mahzari

Landbevölkerung: Denise Chiarioni, Stephanine

Ricciardi, Sae Tamura, Harold Quintero López /

Hiroaki Ishida, Francesco Nigro,

Stephen C. King / Dayne Florence

Matrosen: Harold Quintero López / Hiroaki Ishida,

Francesco Nigro, Stephen C. King / Dayne

Florence, Yuri Polkovodstev

Kinder: Mika Dannert, Gabriel Brechler, Casey

Hoskins, Anna Kohlen, Cosma Caesar, Lilly

Kreuzburg, Mirella Sist, Sarah Falk

BeSetZunG

CloSer ____________________________________

Musik: Philip Glass (Mad Rush)

Choreographie: Benjamin Millepied

Lichtdesign: Roderick Murray

Monica Fotescu-Uta / Jelena-Ana Stupar / Mark Ra-

djapov / Andrei Morariu / Alysson da Rocha / Alves

Dayne Florence

Tatiana Prushinskaya / Jay Xu (Piano)

lIttle monSterS ________________________

Dortmunder Erstaufführung

Musik: Elvis Presley

(Are You Lonesome Tonight; Love Me Tender;

I Want You, I Need You, I Love You)

Choreographie: Demis Volpi

Kostüme: Katharina Schlipf

Lichtdesign: Bonnie Beecher

Stephanine Ricciardi / Denise Chiarioni /

Moonsun Yoon

Francesco Nigro / Giuseppe Ragona /

Hiroaki Ishida

Choreographien von Benjamin Millepied, í Bubení

Konzeption: Xin Peng Wang

Choreographien von Benjamin Millepied, í Bubenícek

Konzeption: Xin Peng Wang

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Emilie Nguyen, Dmitry Semionov

SeHr GeeHrte Damen unD

Herren, lIeBeS

PuBlIKum!

Jahr wurde er mit dem „Deutschen Tanzpreis

Zukunft“ ausgezeichnet. Als Hauschoreograph des

Stuttgarter Ballett prägt er dieses vielbeachtete

Ensemble künstlerisch mit. Drei Duette zwischen

Poesie und Aberwitz verschränken sich zum

virtuosen Spiel mit Genres und Traditionen. Tanz­

und Lebensform, Körper­ und Geisteshaltung

verschmelzen miteinander.

Als Uraufführung erleben Sie an diesem Abend die

neue Kreation von Jiří Bubeníček. Zusammen mit

seinem Zwillingsbruder Otto durften wir ihn schon

einige Male in Dortmund begrüßen. Nun hat er sich

mit unserer Compagnie eines Filmstoffes angenom­

men. 1993 sorgte die neuseeländische Regisseurin

Jane Campion mit ihrem Streifen The Piano für

großes internationales Aufsehen. Die Geschichte der

stummen Ada, die es Mitte des 19. Jahrhunderts

nach Neuseeland verschlägt, und der zwischen

bornierten Kolonialherren und entrechteten

Eingeborenen nur ihr Klavier als Kommunika­

tio nsmöglichkeit bleibt, ist eine Parabel auf die

Lebens­, ja Überlebensnotwendigkeit der Kunst.

Gemeinsam mit der Künstlerin haben Jiří und Otto

Bubeníček die Originalschauplätze des Filmes

bereist. So weht uns die Atmosphäre dieses Landes

an, und wir erblicken an unserem inneren Horizont

einen schmalen Küstenstreifen. Sehen wir genau hin,

können wir eine Frau an einem Klavier erkennen…

Ihr

Xin Peng Wang

Ballettdirektor Dortmund

Streifen – das Wort kann vielerlei bedeuten. Flüchtig

berühren, zum Beispiel, aber auch ohne Ziel und

Richtung umhergehen. Ein Streifen ist ein dünner,

länglicher Teil eines Ganzen. Ein Küstenstreifen. Ein

Lichtstreifen am Horizont, der den neuen Tag

ankündigt. Auch als Synonym für einen Film kennen

wir den Begriff.

Drei Tanzstreifen habe ich für Sie zu einem Abend

zusammengefasst, die Ihnen einen Eindruck

vermitteln von der Vielfalt des zeitgenössischen

Tanzes. Drei Kreationen unterschiedlichster

künstlerischer Handschriften, die dennoch eines

gemeinsam haben: Sie beziehen ästhetische und

ethische Positionen. Sie haben den Mut zum

Bekenntnis und nehmen Standortbestimmungen vor.

Ich freue mich, Ihnen die grandiose Arbeit von

Benjamin Millepied präsentieren zu dürfen, der dem

Ballett Dortmund seit vielen Jahren verbunden ist.

Closer zählt zu den aufregendsten Duetten der

letzten Jahre, ein poetischer Akt der körperlichen

und seelischen Annäherung.

Mit Dortmunder Erstaufführungen stellt sich Ihnen

Demis Volpi vor. Seit vielen Jahren beobachte ich

schon seine künstlerische Arbeit. Im vergangenen

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SCHmetterlInGe unD

naCHtFalter

Benjamin Millepied kostet die Reibungsflächen der

illusorischen Gemengelage aus. Die Möglichkeit ist

ihm die reinste Form der Wirklichkeit. Und dabei

erweist er sich als ein Romantiker. Allerdings kein

realitätsferner Schwärmer, sondern als einer, dem

die Diskrepanz von Wunsch und Wirklichkeit vorm

künstlerischen Auge steht. Verwirklichung und

Verwünschung – wenn es um die Sehnsucht geht,

liegen sie schmerzhaft nah beisammen.

1977 im französischen Bordeaux geboren, am

Konservatorium von Lyon und am American Ballet

Theatre ausgebildet, durch seine Hochzeit mit

Natalie Portman in den Schlagzeilen der Regenbo­

genpresse, mittlerweile Ballettdirektor der Pariser

Oper, immer wieder inszeniert Millepied in seinen

Kreationen Nähe, treibt einen Tänzer in die verheis­

sungsvoll geöffneten Arme des anderen. Und dann…

Im Moment größtmöglicher Nähe, Haut an Haut,

Oberfläche an Oberfläche – dieses kurze Innehalten,

dieses Er­, dieses Zurückschrecken. – Der Point of

No Return ist erreicht. Ihn zu überschreiten,

bedeutet, sich selbst zu verlieren.

Wie für viele zeitgenössische Choreographen ist die

Musik auch für Millepieds Arbeiten die größte

Inspirationsquelle. „Ich tauche in sie ein, suche nach

Bildern, die sie in mir erzeugt”. Selten jedoch hat er

choreographisch gegen die Musik so konsequent, so

Benjamin Millepieds „Closer“

Zwei Körper. Mehr braucht es meist nicht, um jene

Geschichten zu erzählen, die es wert sind, erzählt zu

werden. Wieder und immer wieder. Vom Anbeginn

der Welt…

Ursprünglich für Gillian Murphy und Ethan Stiefel,

die Stars des American Ballet Theatre entworfen,

hat sich Benjamin Millepieds Duett Closer (2006) in

kürzester Zeit weltweit zu einer der beliebtesten

Galanummern entwickelt.

Zwei Menschen. Sie suchen Nähe. Zueinander. Und

mit jeder Annäherung wächst das Bedürfnis nach

noch größerer Nähe. Nach Vereinigung. Verschmel­

zung. Bis zum Ende. Und darüber hinaus. Wissend

um die Unmöglichkeit des Unterfangens.

Modernes Gefühlsleben, ausgedrückt mit klas­

sischer Tanzsprache. Kann das gelingen? Die Illusion

vom Gleichklang der Körper, der Herzen, der Seelen.

Darauf basiert das Ballett des 19. Jahrhunderts. Von

Giselle bis Schwanensee beschwört es kunstvoll,

innig, virtuos­akrobatisch und brillant­gymnastisch

den Traum von der absoluten Harmonie.

„Alle Lust will Ewigkeit“, sinniert Nietzsche, „will

abgrundtiefe Ewigkeit…“ Doch er weiß, und wir

wissen es auch, tief in uns, wissen es nur zu genau

und wollen es im Überschwang der Gefühle nicht

wahrhaben: „Wer lange genug in einen Abgrund

blickt, in den blickt der Abgrund hinein.“

Monica Fotescu-Uta, Mark Radjapov

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PoetISCHe leBenSZeICHen

verbissen und in manchen Momenten geradezu

verzweifelt angearbeitet wie in Closer.

Mad Rush nennt der amerikanische Komponist Philip

Glass das 1979 entstandene Schlüsselwerk seiner

streng minimalistischen Schaffensperiode. Ein

verrückter Rausch auf weißen und schwarzen

Tasten, eine schweißtreibende Tour de force,

rhythmische Präzision und permanent sich stei­

gerndes Tempo, unbarmherzige Virtuosität, die

keinen Spiel­, keinen Freiraum lässt. Der gewünsch­

ten, gewollten, ersehnten Nähe bleibt keine Zeit, zu

keimen, sich zu entwickeln.

Die Schmetterlinge im Bauch. In Wahrheit sind sie

Nachtfalter…

Monica Fotescu-Uta, Mark Radjapov

Drei Jahre ist es her, dass Demis Volpi seinen

Einstand am Dortmunder Ballett mit dem Solo Allure

gab. Nun kehrt er mit drei Pas de Deux in die

Ruhrmetropole zurück. In diesen drei Jahren hat sich

der aus Argentinien stammende, in seiner Heimat

und an der Akademie der John­Cranko­Schule in

Stuttgart ausgebildete Choreograph international

einen Namen gemacht. Von Beginn seiner Karriere

an fiel seine überbordende Fantasie auf, wenn er

– nur eines von vielen Beispielen – den Spitzen­

schuh als Instrument betrachtet und ihm Geräusche

entlockt. Bereits 2007 kürte ihn die Zeitschrift

„Balletttanz“ zum „Bemerkenswerten Nachwuch­

schoreographen“. Nach dem durchschlagenden

Erfolg seines abendfüllenden Handlungsballetts

Krabat 2013 wurde er Hauschoreograph des

Stuttgarter Ballett, ein Jahr später bereits debütierte

er bei den Schwetzinger Festspielen als Opernregis­

seur. Die Auswahl der drei Pas de Deux gewährt

Einblick in das facettenreiche Schaffen und die

choreographische Entwicklung des Künstlers

zwischen 2011 und 2015. Bei aller Unterschiedlich­

keit der drei Werke gibt es doch mehrere verbin­

dende Elemente: Neben der choreographischen

Handschrift Volpis ist das auch die Beteiligung der

Lichtdesignerin Bonnie Beecher und der Kostümbild­

nerin Katharina Schlipf, die für alle Kostüme

dieselben Schnitte, wenn auch unterschiedliche

Farben und Materialien ver wendet hat.

„Love Me Tender“, “I Want You, I Need You, I Love

You“ und „Are You Lonesome Tonight“ – drei Songs

von Elvis Presley erzählen in Little Monsters (2011)

eine Liebesgeschichte von der ersten Begegnung

über ekstatische Leidenschaft bis zu Trennung und

Verzweiflung.

Der zweite Pas de Deux ist Teil der halbstündigen

Choreographie Private Light, die Volpi 2011 mit

Tänzern des American Ballet Theatre in New York

erarbeitet hat. Gitarrenklänge von Carlo Domeniconi

und Heitor Villa­Lobos grundieren eine Choreogra­

phie, deren hoher technischer Anspruch mit der

Virtuosität der Musik korrespondiert. Volpis

Probenanweisung an die Tänzerin spricht für sich:

„Wichtig ist, dass niemals beide Füße gleichzeitig

den Boden berühren.“

Ebony Concerto wurde speziell für diesen Abend in

Dortmund geschaffen. 1945 schrieb Igor Strawin­

sky, freundschaftlich mit den legendären Bandlea­

dern Benny Goodman und Woody Herman verbun­

den, eine Hommage an den Sound der Swing­Ära.

Es ist nicht seine erste Auseinandersetzung mit

dem amerikanischen Jazz. In der Geschichte vom

Soldaten (1917) finden sich jazzige Standardtänze,

aus den frühen Zwanziger Jahren datiert sein

ruppiger Ragtime für Klavier. Ebony Concert, für

Woody Hermans Band entstanden, in der Interpreta­

tion von Benny Goodman berühmt und für jeden

Klarinettisten zum Prüfstein geworden, verwischt

PoetISCHe leBenSZeICHen

PoetISCHe leBenSZeICHen

Der Choreograph Demis Volpi

1110

auf aberwitzige Weise die Demarkationslinie

zwischen Kunst und Kommerz.

Demis Volpis Kreation ist einzig und allein von der

Musik inspiriert. Mit der musikalischen Wahl

konfrontiert er sich mit einer choreographischen

Tradition, die mit den Namen John Taras und John

Cranko verbunden ist. Beide haben sich mit

Strawinskys Werk kreativ auseinandergesetzt.

Volpi liefert sich der rhythmisch komplexen Kom­

position aus. Die Probenarbeit ist davon bestimmt:

Immer wieder unterbricht er und ermuntert die

Tänzer, sich die Musik anzuhören, ohne sich dabei

zu bewegen. Einfach nur zuhören, die Stimmungs­

und Tempiwechsel erfühlen, die Atmosphäre in sich

aufnehmen, einwirken lassen, die Poesie freisetzen,

die jeder Bewegung als Lebenszeichen innewohnt…

Andrei Morariu, Clara Carolina Sorzano Hernandez

Denise Chiarioni, Giuseppe Ragona

1312

„Wo KeIn laut SeIn DarF…“

„Wo KeIn laut SeIn DarF…“

„Wo KeIn laut SeIn DarF…“

Jirí und Otto Bubeníc ek kreieren Jane Campions „The Piano“

Anfang der Neunziger Jahre breitet sich der „Kiwi“­

Film auf den Kinoleinwänden Europas und Amerikas

aus. An Angel at my Table (1990), die tiefenscharfe

Verfilmung des Spießrutenlaufs der neuseelän­

dischen Autorin Janet Frame durch das Labyrinth

psychiatrischer Anstalten, machte auf die Regis­

seurin des Streifens aufmerksam. Bislang hatte

Jane Campion ihre engagierten Kurzfilme beinah

unter Ausschluss der Öffentlichkeit gedreht. Vier

Jahre später gewinnt sie mit dem Streifen The Piano

den Oscar. Für Hauptdarstellerin Holly Hunter ist es

der künstlerische Durchbruch, für Harvey Keitel an

ihrer Seite ein neues Image nach seiner Zusammen­

arbeit mit Martin Scorsese und Quentin Tarantino.

Der Soundtrack des britischen Komponisten Michael

Nyman hat über Nacht Kultstatus.

Der deutsche „Filmdienst“ urteilt: „In grandiosen

(Sinn­)Bildern erzählte Parabel über die Selbst­

befreiung und ­findung einer Frau durch eine

verbotene Liebesbeziehung. Vor allem die hervor­

ragenden Schauspieler verleihen der Beschreibung

des Pro zesses Intensität, Dichte und Intimität.“

Es ist die Geschichte der jungen Schottin Ada, die

Mitte des 19. Jahrhunderts zusammen mit ihrer

kleinen Tochter nach Neuseeland kommt, um dort

Emilie Nguyen, Arsen Mehrabyan

die arrangierte Ehe mit einem ihr völlig unbekannten

Mann einzugehen. Ada ist seit ihrer Geburt stumm.

Lediglich mittels Zeichensprache kann sie kommuni­

zieren, doch diese versteht niemand in der Halbwild­

nis Neuseelands. Ihr Klavier ist für sie die einzige

Möglichkeit, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.

Ihr zukünftiger Gatte, der Plantagenbesitzer Alisdair

Stewart, ist enttäuscht von seiner Braut. Ihrem

eigenwilligen Charakter steht er verständnislos

gegenüber, ihren körperlichen Widerwillen gegen

seine Person spürt er nur zu deutlich. Er verkauft

gegen einen Landstreifen das Instrument an einen

Bekannten, George Baines. Dieser gibt vor, Klavier

lernen zu wollen. Ada soll ihn unterrichten. In

Wahrheit sucht er ihre Nähe. Und macht ihr ein

Angebot: Gegen körperliche Zuwendung kann sie

das Klavier Stück für Stück zurückerwerben…

Anfangs widerwillig lässt sich Ada darauf ein. Doch

bald werden die Zusammenkünfte mit Baines für sie

mehr als ein Geschäft. Als Stewart hinter die Affäre

kommt, zerstört er nicht nur das Klavier, sondern

hackt Ada einen Finger ab. In einem Anfall von Wahn

vernimmt er in seinem Kopf die Stimme der

Stummen, die ihn bittet, sie, ihre Tochter und Baines

gehen zu lassen. Stewart willigt ein…

1514

Mit einem Boot stoßen die drei vom Strand ab. Mit

an Bord: das Klavier. Ada verlangt, es solle ins Meer

geworfen werden, da es befleckt sei und seine

Unschuld verloren habe. Dabei richtet sie es so ein,

dass sie sich in das Seil, das um das Instrument

gebunden ist, verheddert und mit in die Tiefe

gerissen wird.

Der Streifen endet versöhnlich mit ihrer Rettung

durch Baines und ihrem weiteren

gemeinsamen Leben. Das Buch zum Film dagegen,

das ein Jahr später erschien, lässt offen, ob Adas

Selbstmord ein Versuch bleibt…

Verse des englischen Romantikers Thomas Hood

schweben über der Handlung: „There is a silence

where hath been no sound. There is a silence where

no sound may be in the cold grave under the deep

deep sea…“ (Dort herrscht Schweigen, wo nie ein

Laut war. Es herrscht Schweigen, wo kein Laut sein

darf, im kalten Grab, im tiefen, tiefen Meer).

„Das 19. Jahrhundert ist mir nah, auch wenn ich hier

und jetzt lebe“, bekennt Choreograph Jiří Bubeníček.

„Es ist eine Zeit, in der Gefühle offen zutage treten,

und zugleich oder vielleicht gerade deswegen eine

Epoche der Transparenz und Klarheit. Die Menschen

nahmen sich Zeit, sich einander mitzuteilen, zu

offenbaren.“

Nach seiner Geschichte vom Soldaten (Musiktheater

im Revier Gelsenkirchen, 2013) wendet sich Jiří

Bubeníček erneut dem Handlungsballett zu, diesem

schwierigen künstlerischen Balanceakt zwischen

Andeutung und Ausformulierung, Darstellung und

Assoziation.

„Natürlich kann das Ballett wie Schauspiel und Oper

Geschichten erzählen. Schritte und Bewegungen

werden dabei zur Sprache. Aber es ist keine

Landessprache, sondern eine universelle Sprache.

Unser Körper ist international. Er erzählt immer von

Menschheitsgefühlen. Handlung ist der Hintergrund,

vor dem Emotionen sichtbar werden.“

Der im polnischen Lubin geborene, in Tschechien

aufgewachsene Künstler weiß, wovon er spricht:

Studium am Prager Konservatorium, 1992 mit dem

begehrten „Prix de Lausanne“ ausgezeichnet und

2002 mit dem „Prix Benois de la Danse“ quasi

geadelt, seit 1993 am Hamburg Ballett engagiert,

1995 Solist, 1997 Principal Dancer und zur Zeit in

gleicher Funktion am Ballett der Dresdner Sempero­

per. Seine Kreationen werden in New York, Zürich,

Wien und China gezeigt.

Zusammen mit seinem Zwillingsbruder Otto zählt er

zu den wenigen Künstlern des Gegenwartstanzes,

der das Attribut „Ausnahme“ verdient. Mit der

betonten Körperlichkeit seiner choreographischen

Arbeiten abseits von Bravour und Akrobatik, der

minimalistischen Reduktion der Bewegungssprache

sowie der seismographischen Auszirkelung emotio­

naler Bewegungsfelder haben sie beigetragen, den

Tanz der Gegenwart von seinem ornamentalen

Blendwerk und ihrer dekorativen Geschwätzigkeit zu

befreien.

„Mit der Arbeit an unserem neuen Ballett haben wir

uns auf eine lange Reise begeben“, meint Otto

Bubeníček, für das Bühnenbild, Video­ und Soundde­

sign verantwortlich. „Es ist weit mehr als ein

Wochenendtrip nach Neuseeland, weit mehr als ein

intellektueller Ausflug in ein vergangenes Jahrhun­

dert. Es ist eine Reise zu uns selbst…“

Das fremde Land, die ferne Zeit, beides wird für die

Künstler zum Spiegel, darein sie nicht nostalgisch

schauen, sondern eine sehr persönliche Standortbe­

stimmung für ihre Gegenwart vornehmen. Auch Elsa

Pavanel, mit der die Bubeníčeks bereits für

Unerreichbare Orte und Geschichte vom Soldaten

zusammengearbeitet haben, imitiert beim Design

der Kostüme nicht die Zeitmode, sondern destilliert

daraus eine Symbolkraft, die die Zeitumstände

spürbar werden lässt.

„Wir haben uns intensiv mit der Story beschäftigt

und zusammen mit der Regisseurin Jane Campion

die Originalschauplätze des Films bereist“, ergänzt

Jiří. „Wir haben uns inspirieren lassen von der

Landschaft Neuseelands…“

„Das Licht dort“, unterbricht Otto. „Es ist ganz

anders ist als in Europa. Es gibt Sandstrände, die

sind blütenweiß, und solche, die sind durch Vulkan­

gestein tiefschwarz. Man kommt sich vor, als wäre

man am Mond. Auf diesen Stränden haben die

Eingeborenen einst ihre Stammeskriege ausgefoch­

ten. Es sind magische Orte. Wir haben mit den

Menschen gesprochen, ihre Musik gehört, ihr

Denken und Empfinden kennengelernt.“

„The Piano handelt von Menschen. Von ihren

unmittelbaren Empfindungen…“

„Keiner von ihnen ist eindeutig gut oder böse, keiner

nur Opfer oder ausschließlich Täter. Es sind einfach

Menschen, die dort leben, wo kein Laut sein darf…“

14

Emilie Nguyen, Arsen Mehrabyan

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Nachweise

Die Essays von Christian Baier (Benjamin Millepied, Jiří und Otto Bubeníček) und Nadja Kadel (Demis Volpi) sind Original­beiträge für diese Publikation.

Bilder

Szenenphotos von Bettina Stöß, Stage Picture

Ballettdirektor und Chefchoreograph

Xin Peng Wang

Manager Tobias Ehinger

Chefdramaturg Dr. Christian Baier

Assistentin der Ballettdirektion Juliane Goll

Erster Ballettmeister Zoltán Ravasz

Ballettmeister Ilja Louwen, Raimondo Rebeck,

Nicolas Robillard

Ballettrepetitor Jay Xu

Betriebsmanagement Ballettzentrum

Julia van Donzel

Sonderprojekte und Organisation Juniorballett

Rudolf Kubicko

Kulturpartner des THEATER DORTMUND

Unterstützt von

Besonderen Dank an die Sparkasse Dortmund, die Ballettfreunde Dortmund e.V., die BlumenCompany Kersting

Ballett DortmunD

ImpressumTheater Dortmund – Spielzeit 2014/2015 Geschäftsführende Direktorin: Bettina Pesch Ballettdirektor: Xin Peng Wang Redaktion: Dr. Christian Baier Gestaltung: Grafikdesign Holger Drees, Dortmund Gesamtherstellung und Druck: RRD Rhein­Ruhr­Druck, Dortmund

Tänzerinnen und Tänzer

Madeline Andrews, Arsen Azatyan,

Jacqueline Bâby, Tiffany Byrd, Denise Chiarioni,

Monica Fotescu-Uta, Barbara Melo Freire, Stephen

C. King, Howard Quintero López,

Harold Quintero López, Gal Mazor Mahzari,

Andrei Morariu, Emilie Nguyen, Francesco Nigro,

Yuri Polkovodtsev, Jie Qu, Mark Radjapov,

Giuseppe Ragona, Stephanine Ricciardi,

Alysson da Rocha Alves, Sakura Sakamoto, Dmitry

Semionov, Clara Carolina Sorzano Hernandez,

Jelena-Ana Stupar, Sae Tamura,

Sayo Yoshida

NRW Juniorballett

Lucia das Graças Lopes Barbosa,

Amanda Vitória Cerqueira Vieira, Nae Nishimura,

Risa Terasawa, Moonsun Yoon, Giacomo Altovino,

Davide D’Elia, Dann Wilkinson, Dayne Andrew

Florence, Hiroaki Ishida, Tigran Sargsyan