Drilo K. - Wissen - Nihilismus – Bejahung. Fichtes transzendentalphilosophischer...

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Kazimir Drilo UDK: 165.72:21(Hirsch, E.) Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie Originalan nauèni rad und Religionswissenschaft DOI:10.2298/FID1002167D Ludwig-Maximilians Universität München WISSEN – NIHILISMUS – BEJAHUNG. FICHTES TRANSZENDENTALPHILOSOPHISCHER OFFENBARUNGSBEGRIFF Abstrakt: In dem Zeitraum zwischen 1792 und 1805 entwickelt Johann Gott- lieb Fichte zwei verschiedene Bestimmungen des Offenbarungsbegriffs: 1. Offenba- rung ist eine auf der göttlichen Autorität beruhende Lehre, mit der das sittliche Han- deln gefördert werden soll, 2. Offenbarung ist das Zusammenhalten des Wissens im Sein und so die Rettung vor dem Nihilismus. In dem Beitrag wird gezeigt, dass Fichte in seiner späten Wissenschaftslehre und in ständiger Auseinandersetzung mit Jaco- bis Kritik, Idealismus sei Nihilismus, mit dieser letzten Bestimmung eine tragfähige Alternative zu dem ersten, traditionellen Offenbarungsbegriff gibt. Offenbarung, so wie Fichte sie in seiner Spätphilosophie versteht, dient weder der Förderung der Mo- ral, noch hält sie den Prozess der Selbsterkenntnis des Absoluten im Gang oder ist eine Entäußerung Gottes. Der Begriff der transzendentalphilosophischen Offenba- rung hat vielmehr seine Bedeutung als der Garant der Realität des Wissens. Als Be- leg für diese These dienen die Schriften „Versuch einer Kritik aller Offenbarung“, „Erlanger Wissenschaftslehre“ und „Erlanger Logik“. Darüber hinaus wird auf die Interpretation der Fichte‘schen Religionsphilosophie von Emanuel Hirsch einge- gangen, der Fichtes Offenbarungsbegriff im Rahmen der theologischen Fragestel- lung mit dem Gedanken der „Bejahung“ des Absoluten produktiv weiterführt. Schlüsselwörter: Offenbarung, Sittlichkeit, Wissen, Nihilismus, Wissen- schaftslehre, Transzendentalphilosophie, Bejahung, Hirsch. I. Historische Offenbarung und Moralität In seiner 1792 erschienenen Schrift Versuch einer Kritik aller Offenbarung bezeichnet Fichte die Offenbarung als eine auf der göttlichen Autorität beruhende Lehre, mit deren Hilfe das sittliche Handeln der Menschen befördert werden soll. Das Wesentliche einer Offenbarungsreligion besteht somit darin, in den sich in sittlichem Verfall befindenden Menschen die Achtung vor dem Sittengesetz zu initiieren. Diese traditionelle Bestimmung der Offenbarung, in der sie ein historisches Ereignis ist, mit dem Gott etwas Neues und den 167 FILOZOFIJA I DRUŠTVO 2/2010

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Kazimir Drilo UDK: 165.72:21(Hirsch, E.)Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie Originalan nauèni radund Religionswissenschaft DOI:10.2298/FID1002167DLudwig-Maximilians Universität München

WISSEN – NIHILISMUS – BEJAHUNG.FICHTES TRANSZENDENTALPHILOSOPHISCHER

OFFENBARUNGSBEGRIFF

Abstrakt: In dem Zeitraum zwischen 1792 und 1805 entwickelt Johann Gott-lieb Fichte zwei verschiedene Bestimmungen des Offenbarungsbegriffs: 1. Offenba-rung ist eine auf der göttlichen Autorität beruhende Lehre, mit der das sittliche Han-deln gefördert werden soll, 2. Offenbarung ist das Zusammenhalten des Wissens imSein und so die Rettung vor dem Nihilismus. In dem Beitrag wird gezeigt, dass Fichtein seiner späten Wissenschaftslehre und in ständiger Auseinandersetzung mit Jaco-bis Kritik, Idealismus sei Nihilismus, mit dieser letzten Bestimmung eine tragfähigeAlternative zu dem ersten, traditionellen Offenbarungsbegriff gibt. Offenbarung, sowie Fichte sie in seiner Spätphilosophie versteht, dient weder der Förderung der Mo-ral, noch hält sie den Prozess der Selbsterkenntnis des Absoluten im Gang oder isteine Entäußerung Gottes. Der Begriff der transzendentalphilosophischen Offenba-rung hat vielmehr seine Bedeutung als der Garant der Realität des Wissens. Als Be-leg für diese These dienen die Schriften „Versuch einer Kritik aller Offenbarung“,„Erlanger Wissenschaftslehre“ und „Erlanger Logik“. Darüber hinaus wird auf dieInterpretation der Fichte‘schen Religionsphilosophie von Emanuel Hirsch einge-gangen, der Fichtes Offenbarungsbegriff im Rahmen der theologischen Fragestel-lung mit dem Gedanken der „Bejahung“ des Absoluten produktiv weiterführt.

Schlüsselwörter: Offenbarung, Sittlichkeit, Wissen, Nihilismus, Wissen-schaftslehre, Transzendentalphilosophie, Bejahung, Hirsch.

I. Historische Offenbarung und Moralität

In seiner 1792 erschienenen Schrift Versuch einer Kritik allerOffenbarung bezeichnet Fichte die Offenbarung als eine auf dergöttlichen Autorität beruhende Lehre, mit deren Hilfe das sittlicheHandeln der Menschen befördert werden soll. Das Wesentliche einerOffenbarungsreligion besteht somit darin, in den sich in sittlichemVerfall befindenden Menschen die Achtung vor dem Sittengesetz zuinitiieren. Diese traditionelle Bestimmung der Offenbarung, in dersie ein historisches Ereignis ist, mit dem Gott etwas Neues und den

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Menschen bisher Unbekanntes in der Welt entstehen lässt, ist Fich-tes Ansicht nach zwar plausibel, jedoch zugleich auch problema-tisch. Das Dilemma eines Offenbarungsbegriffs, der sich ausschließ-lich über seinen Nutzen für die Förderung der Moral definiert,formuliert er folgendermaßen: „Entweder fühlten die Menschenschon das sittliche Bedürfnis, das sie treiben konnte, eine Religionzu suchen, und hatten schon alle Moralbegriffe, die sie von denWahrheiten derselben vernünftig überzeugen konnten; so bedurftensie keiner Offenbarung, sondern hatten schon a priori Religion: odersie fühlten weder jenes Bedürfnis, noch hatten sie jene Begriffe; sokonnten sie sich nie aus moralischen Gründen von der Göttlichkeiteiner Religion überzeugen; aus theoretischen konnten sie es auchnicht; sie konnten es also überhaupt nicht, und eine Offenbarung istfolglich unmöglich.“1 (Fichte 1983: 59).

Um aus diesem Dilemma einen Ausweg zu finden nimmtFichte an, dass in den Menschen, an die sich die Offenbarung richtet,ein Grundbedürfnis nach Moralität, das durch die Offenbarung nurnoch gestärkt zu werden braucht, schon vorhanden sein muss. Aller-dings wird in diesem Fall der von ihm eingeführte Unterschied zwi-schen einer Naturreligion, in der das Bedürfnis nach sittlichem Le-ben schon enthalten ist und nur noch entwickelt werden muss und inder Offenbarung, ganz im Sinne Lessings, bloß eine erzieherischeFunktion hat, und einer Offenbarungsreligion, die mit göttlicher Au-torität in der Welt etwas Neues und den Menschen Unbekanntes ent-stehen lässt, verwischt. Die Möglichkeit einer Offenbarungsreligionwird also unbegreiflich, wenn das Konzept der Entstehung von et-was bisher Neuem nicht plausibel machen kann, wie dieses Neuevon den sich im tiefsten sittlichen Verfall befindenden Menschenüberhaupt in seiner Verbindlichkeit erkannt werden kann. Es ent-steht, wie Fichte ausführt, noch eine weitere Schwierigkeit: In demFall eines schon vorhandenen Bedürfnisses nach Moralität reicht esaus, mit Hilfe der göttlichen Autorität in Aussicht zu stellen, dass inZukunft oder im Jenseits die Glückseligkeit der sittlich handelndenMenschen dem Grad ihrer Moralität völlig angemessen wird, um aufdiese Weise zum sittlichen Handeln zu motivieren. Denn jede Reli-gion gründet sich, so Fichte, auf dem Bedürfnis, dass eine Reziprozi-tät bestehe zwischen Moralität und Glückseligkeit. Die Motivation

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1 Fichte, Versuch, S. 59.

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für das sittliche Handeln liegt in diesem Fall jedoch in der Hoffnung,dass die eigene Glückseligkeit befördert wird und nicht in der Ach-tung vor dem Sittengesetz; das widerspricht aber – und hier istFichte ganz Kantianer – der Reinheit der moralischen Gesinnung,die allein den Willen bestimmend sein muss.

Diese Ambivalenz des Offenbarungsbegriffs macht FichtesMeinung nach deutlich, in welche Schwierigkeiten man gerät, wennman, so wie es traditionell der Fall war, die Offenbarung mit der Mo-ralität in Verbindung setzt. Sie zeigt aber auch, wie weit sich Fichtevon Kant, in dessen Geist er den Versuch eigentlich verfassen wollte,entfernt hat. Im Unterschied zu Fichte spricht Kant in seiner reli-gionsphilosophischen Schrift dem Offenbarungsbegriff keine Be-deutung für die Förderung der Moral zu. Eine Offenbarung, sei sieals äußere oder als innere göttliche Mitteilung gedacht, in der dieNaturgesetze oder die Autonomie der sittlichen Handlung aufgeho-ben werden, sei, so Kant, nur eine Art des Wunders und somit keinGegenstand der Philosophie. Zwar wird die Möglichkeit einer Of-fenbarung von ihm nicht bestritten, womit der Theologie ihr Rechteingeräumt wird, sie spielt jedoch weder für die sittliche Lebensfüh-rung noch für die philosophische Erkenntnis eine Rolle. Kant nenntdie Offenbarung sogar eine Art von Wahnglauben, als den Glauben,„etwas durch Erfahrung zu erkennen, was wir doch selbst, als nachobjektiven Erfahrungsgesetzen geschehend, unmöglich annehmenkönnen“ (Kant 2003: 263).

Im Vergleich zu Kants klarer Absage an die Notwendigkeitder Offenbarung für die Beförderung der Moral bleibt ihr Stellen-wert in Fichtes Frühschrift unklar. Der Versuch findet keinen Aus-weg aus dem angezeigten Dilemma: Um wirken zu können, muss dieOffenbarung ein Bedürfnis nach Moralität voraussetzen, dann ist sieaber nur aus pädagogischen Gründen nützlich und letztendlichdurch andere Mittel ersetzbar. Außerdem muss sie die Sinnlichkeitdes Menschen ansprechen, indem sie Aussicht auf Glückseligkeitbeim Befolgen des Sittengesetzes eröffnet; in diesem Fall verunrei-nigt sie aber die Achtung vor der Reinheit des Sittengesetzes, die al-lein willensbestimmend sein soll. Und wenn die Lehren der Offen-barung nur wegen Gottes Autorität oder aus Angst vor Strafe befolgtwerden, dann bekommt man nicht die Moralität, sondern bloß dieLegalität der Handlungen. In dem Versuch findet Fichte keinen Aus-

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weg aus diesem Dilemma; das Aufzeigen der Vernünftigkeit undNotwendigkeit des Offenbarungsbegriffs misslingt.

II. Transzendentalphilosophische Offenbarungund die Wissenschaftslehre

Mit der Neubestimmung des Wissensbegriffs kommt es beiFichte zu einem neuen Verständnis des Offenbarungsbegriffs. In derZeit zwischen der Frühschrift von 1792 bis zur Wissenschaftslehrevon 1801, die man als den Beginn seiner Spätphilosophie ansehenkann, spielt die Offenbarung als philosophisches Problem kaum einewichtige Rolle. Diese Aussparung ist u.a. in der Tatsache begründet,dass Fichte in dieser Zeit eine der wichtigen Fragen seiner Wissen-schaftslehre noch nicht abschließend beantwortet hatte: Brauchtman, um das Absolute zu erkennen, die Vermittlung und den Anstoßvon außen – sei es von anderen Menschen oder von einer göttlichenAutorität – oder ist man vor allem auf sich selbst, auf seine eigeneunmittelbare Einsicht angewiesen? Von der Beantwortung dieserFrage hängt die Bedeutung des Offenbarungsbegriffs ab.

Für Fichte wird jedoch im Laufe der Zeit zunehmend die ge-netisch-transzendentalphilosophische Offenbarung wichtiger. Inseiner Spätphilosophie geht es nicht zuletzt um das tiefere Verstehendieser genetisch-transzendentalphilosophischen, individuellen undmetaphysischen Offenbarung, die an die Stelle der historisch-inter-subjektiven Offenbarung des Versuchs tritt.2

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2 Ausgehend von der Postulatenlehre Kants unterscheidet Ives Radrizzanischon beim frühen Fichte des Versuchs einer Kritik aller Offenbarung die innere vonder äußeren Offenbarung: „Ebenso wie auch die beiden anderen Postulate [DaseinGottes und Unsterblichkeit der Seele] muss die Freiheit sich offenbaren, aber dieseOffenbarung geschieht unmittelbar, ist strikt intern, lässt sich weder darstellen nochvermitteln. Aus diesem Grund werden wir von einer ‚inneren’Offenbarung sprechen.Auf diese innere Offenbarung beschränkt sich der Theismus der Wissenschaftslehre.Die zwei anderen Postulate, sofern sie im ersten Postulat koimpliziert und in der in-neren Offenbarung mitgegeben sind, gehören zu diesem theistischen Programm. So-fern sie aber in einer sinnlichen oder ‚äußeren’ Offenbarung ihre subjektive Bestäti-gung finden sollen, verweisen sie auf Offenbarungsreligionen.“ Vgl. Radrizzani2006, hier S. 171. Es wäre interessant genau zu überprüfen, wie sich aus der innerenOffenbarung der Frühschrift die spätere genetisch-transzendentalphilosophische Of-fenbarung entwickelt hat.

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Um das Jahr 1801 stellt nämlich Fichte die Wissenschaftsleh-re auf neue Grundlagen. Das absolute Ich wird nicht mehr, wie das inder Wissenschaftslehre seit 1794 noch der Fall war, als das höchstePrinzip aller Philosophie gedacht. In zahlreichen Entwürfen gelangtFichte zu einer neuen Definition des Wissens: Das Wissen ist die ab-solute Genesis und das Bild des Absoluten, dessen äußeres Daseinund Existenz. Auch das Absolute wird neu gedacht. Es ist nicht mehrals „das Ich“ zu verstehen, es besitzt keine Selbsterkenntnis, es istvollständig in sich geschlossen und sich selbst verborgen. In einemBrief an Schelling schreibt Fichte: „Aber es scheint mir an sich klar,dass das Absolute nur eine absolute, d.h. in Beziehung auf Mannig-faltigkeit, durchaus nur Eine, einfache, Äußerung haben kann; undeben diese ist das absolute Wissen. Das absolute selbst aber ist keinSeyn, noch ist es ein Wissen, noch ist es Identität, oder Indifferenzbeider: sondern es ist eben – das absolute – und jedes zweite Wort istvom Uebel.“3

Aus dieser Bestimmung des Absoluten geht deutlich hervor,dass auch die Offenbarung nicht mehr in der traditionellen Weise alsseine Manifestation in der Welt verstanden werden kann, denn daswürde das Heraustreten des Absoluten aus sich, seine Entäußerungbedeuten, und das ist laut Fichte unmöglich. Das Absolute kannnicht aus sich heraustreten oder sich irgendwie manifestieren oderäußern, denn „es ist“; Weiteres über es zu sagen wäre „vom Übel“.

Trotzdem spielt der Offenbarungsbegriff auch in FichtesSpätphilosophie eine wichtige Rolle, zwar nicht mehr in der traditio-nellen Weise in Verbindung mit der Förderung der Moralität, jedochim Zusammenhang mit der Analyse des Wissens. Im Folgendenmöchte ich in zwei Punkten zusammengefasst wiedergeben, wieFichte in der s.g. Erlanger Wissenschaftslehre von 1805 und in derErlanger Logik aus demselben Jahr die transzendentalphilosophi-sche Untersuchung des Wissens und die Offenbarung miteinanderverknüpft. Seine Hauptgedanken sind dabei folgende: 1. Reflexionist Nihilismus; 2. Nihilismus wird überwunden durch die Einsicht indie Grunddifferenz des Wissens, und das ist die Differenz von Voll-zugsaktualität und Reflexionsform. Entscheidend ist darüber hinausdie Tatsache, dass jeder Philosophierende diese Einsicht selbst nach-vollziehen muss – sie kann nicht von außen vermittelt oder ande-

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3 Fichte an Schelling, 15. Januar 1802, in Fichte 1982: 112 f.

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monstriert werden. In der Vorlesung von 1805 wird schon in der er-sten Stunde eingeschärft, dass die Wissenschaftslehre nicht an etwasBekanntes erinnert, und dass sie nicht schon vorrätiges Wissen dar-stellt. Vielmehr soll das in ihr Gesagte „hier auf der Stelle“ gedachtund unmittelbar selbst erzeugt werden (Fichte 1984: 6). Dies sei, soFichte, das Besondere des transzendentalen Denkens: Das energi-sche Fassen und Denken, und zwar im „vollen Ernst“ und nicht„etwa bloß zu gutem Glücke“. Die Aufgabe lautet: Das Gedachte„selber werden, und darin aufgehen“ (Fichte 1984: 6). Das Eigen-tümliche der Wissenschaftslehre ist dieser Umschlag von der Unter-suchung des Wissens (wobei von den niederen Wissensgestaltenausgegangen und zu den höheren fortgeschritten wird) zum Gewor-densein das absolute Wissen, um dann, von diesem höchsten Stand-punkt aus, die absolute Sichgenesis des Wissens noch einmal speku-lativ nachzuvollziehen.

1. In seiner Analyse des Wissens nimmt Fichte Jacobis Kritikauf: Idealismus sei, so Jacobi, Wissen des Nichts, Nihilismus, denn:„Gott ist, und ist außer mir, ein lebendiges, für sich bestehendes We-sen, oder Ich bin Gott. Es giebt kein drittes“.4 Idealismus, und insbe-sondere Fichte, tut aber, so Jacobis polemischer Vorwurf, genau das,er identifiziert das „Ich“ mit Gott – die Folge ist der Nihilismus desWissens. Fichte reagiert auf diesen Vorwurf jedoch nicht indem erihn abweist, sondern im Gegenteil, indem er ihn zunächst radikali-siert: er bezeichnet nicht nur das Wissen, sondern sogar die Welt undalle Dinge als das Nichts. Diese Radikalität Fichtes muss man wört-lich nehmen: Alles was es gibt ist „Nichts“; nur das Absolute ist, dasAbsolute kann aber nicht aus sich selber heraus gehen, denn jedesHerausgehen würde es in eine Relation bringen, die es als Absolutesaufhebt, würde es also vernichten.

Gott (in der Sprache der Philosophie: das Absolute) ist fürFichte nicht der Weltschöpfer, die Welt bleibt von ihm auf ewig ge-trennt; in dieser Trennung „liegt die unaustilgbare Spur ihresNichts“ (Fichte 1984: 128). Fichtes Fazit lautet: „Leere Form, ohneallen Gehalt, reines Nichts überall, wohin wir blicken. AbsoluterIdealismus“ (Fichte 1984: 133). Ohne ein Absolutes, das dem Wis-sen Realität verleiht, gibt es nur die Tätigkeit der Reflexion, aus sichselbst Inhalte zu erschaffen, um sie dann wieder aufzulösen. End-

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4 Friedrich Jacobi, “Sendschreiben an Fichte“, in Jacobi 2004: 220.

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lichkeit und Tod sind Grundmomente unseres Wissens sowie allesvon Gott getrennten Seins.

Was aber ist das Mittel, dem Nihilismus des Wissens zu ent-gehen und die Realität des Wissens zu sichern? Das Heilmittel gegenden Nihilismus besteht darin, „bis zu Ende“ zu reflektieren. Fichteerläutert diesen Gedanken am Beispiel des Verhältnisses der Refle-xion, die er als ein Grundmerkmal des Wissens die „absolute Reflek-tierbarkeit“ nennt, zu dem Glauben an die von der Reflexion unab-hängige Realität des Wissens. Diese wird nur von einem Absolutengewährleistet, das nicht zum Gegenstand der Reflexion gemachtwerden kann. Der Glaube an die Realität ist somit der Glaube an dasAbsolute; und dieser Glaube ist, so Fichte, „Unglaube an die „abso-lute Reflektierbarkeit“: er ist daher bedingt dadurch dass man diese,als absolut faktisch, erkenne, und als solche sie gelten lasse“ (Fichte1984: 66). Der Ausdruck „dass man die absolute Reflektierbarkeitals absolut faktisch erkenne und als solche sie gelten lasse“ ist Kritikan Schellings Philosophie, das Fichte das „Kunststück“ nennt, „zueinem vermeintlichen Absoluten zu kommen“, indem man willkür-lich „irgendwo“ zu reflektieren aufhört und dann an dieser Stelle den‚Urgrund’ des Wissens setzt. Diesem, wie Fichte es nennt „blindenNichtreflektieren“, das willkürlich mit der Reflexion aussetzt umRaum für das Absolute zu schaffen, ist das Stehenlassen der absolu-ten Reflektierbarkeit entgegen zu halten, ohne jedoch dem Anscheinder Allmächtigkeit, den sie sich gibt, zu glauben (Fichte 1984: 67).

2. Die absolute Reflektierbarkeit des Wissens ist jedoch nichtdas letzte Wort der transzendentalphilosophischen Untersuchungdes Wissens. Dem Stehenlassen der absoluten Reflektierbarkeit gehtdie Einsicht auf, dass die Realität des Wissens auch im Nihilismusder Reflexion erhalten bleibt. Zu dieser Einsicht gelangt man, wennman sich in den Mittelpunkt des Wissens stellt. Den Mittelpunkt desWissens nennt Fichte auch „das Licht“, das dem Wissen die Realitätverleiht, auch und gerade in der vernichtenden Tätigkeit der Refle-xion. Sich in den Mittelpunkt, in das Licht des Wissens zu stellenheißt, zu der Einsicht in die Grunddifferenz des Wissens zu gelangen– in die Grunddifferenz von Vollzugsaktualität und Reflexionsform.5

Das Absolute, als die Realität des Wissens verstanden, ist die in der

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5 Dazu vgl. Danz 1995, hier S. 33.

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Reflexion immer schon tätige, aber immer auch unthematischeVollzugsaktualität oder Vollzugsrealität des Wissens.

Die Grunddifferenz von Reflexion und Vollzugsrealität siehtFichte schon bei Kant thematisiert, jedoch noch nicht in der ihr ange-messenen Weise. Es ist das „Ich denke, muss alle meine Vorstellun-gen begleiten können“ aus dem § 16 der transzendentalen Deduktionder Kritik der reinen Vernunft, wo diese Grunddifferenz von Kantvorgedacht, jedoch nicht ausgeführt und in ihrer ganzen Tragweiteerkannt worden ist. Diesen Gedanken würdigt Fichte jedoch immerwieder als die wichtigste Entdeckung der kantischen Transzenden-talphilosophie.

In der Wissenschaftslehre denkt Fichte ein Absolutes, vondem das Wissen zwar abhängig ist, das aber nicht außerhalb desWissens ist, sondern „das Licht“ ist, in dem sich das Wissen erst alsreales erfahren kann. Und genau dieses Licht bzw. dieser in der Re-flexion tätige nicht-reflektierte Vollzug ist das, was Fichte die ei-gentliche Offenbarung des Absoluten nennt. Bei seiner neuen Be-stimmung des Offenbarungsbegriffs geht Fichte somit nicht mehrvon einer Theorie des Absoluten aus, sondern von einer Theorie desWissens. Er entwickelt seine Theorie sozusagen nicht von außen, in-dem er über das Absolute redet, sondern von innen, indem er sich inder Perspektive des Wissens hält. Auf den Begriff der Offenbarungübertragen heißt das: die Aufgabe der Philosophie ist es nicht verste-hen zu wollen, wie sich das Absolute offenbart, sondern zu erken-nen, dass das Wissen immer schon offenbartes, im Licht des Absolu-ten stehendes ist. Das Faktum der Offenbarung Gottes in der Welt zueinem bestimmten historischen Zeitpunkt wird von Fichte in dieständige Faktizität der Vollzugsrealität des Wissens umgewandelt.

Das Wissen wird also mit der genetisch-transzendentalphilo-sophischen Methode untersucht und dargestellt. Die transzendental-philosophische Methode, so wie Fichte sie versteht, fordert, dass dieErkenntnisse der Untersuchung nicht nur gesagt und als Ergebnisseeiner Theorie präsentiert werden, sondern dass sie auch energischvollzogen werden. Jeder Hörer oder Leser der Wissenschaftslehremuss im Selbstvollzug des Wissens die Einsicht in die basale Diffe-renz von Vollzugsrealität und Reflexionsform in sich erzeugen undsie dann festhalten. Ob Gott – das absolute Sein – in uns existiertoder nicht können wir nur dann erfahren, wenn wir die denkende

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Bewegung der Wissenschaftslehre selbst vollziehen. Wenn wir sie inder ganzen Strenge, die ihrer Argumentation eigen ist, begreifen unddabei auf uns selbst achten, werden wir, so Fichte, zusammen mit derSelbstvernichtung der Reflexion das Aufscheinen des wahren Le-bens, das Licht des Absoluten „sehen“. Nicht indem wir diese Ein-sicht behaupten und als ein Resultat der Untersuchung objektiv hin-stellen, leuchtet uns in der Reflexionsform das Absolute auf,sondern, wie Fichte betont, nur indem „wir es [das Licht] selbst wer-den“ (Fichte 1984: 134 f.).

So heißt es in der Erlanger Logik, die transzendentale Er-kenntnis des Wissens fange damit an, dass man sich mit dem stehen-den ist des Wissens nicht zufrieden stelle, es überhaupt nicht geltenlasse, sondern nach der Erzeugung desselben, nach dem Wie frage.6

Nach dem „stehenden ist“ fragt der Empirismus, die transzendentaleUntersuchung hebt jedoch an bei der Frage nach dem Wie, und zwarnicht so, wie es „ein Empirist“ tut, der diese Frage innerhalb derRaum-Zeit Kategorie zu beantworten versucht und daher nur ein„stehendes Sein“ bekommt, sondern sie beantwortet diese Frage inder Welt der Gedanken (Fichte 1993: 94). Die Frage „wie und auswelchem Gedanken wird in meinem Denken der Gedanke des Ob-jekts“ wird für die genetisch-transzendentalphilosophische Erkennt-nis nicht mit dem Hinweis auf einen außerhalb des Denkens existie-renden Gegenstand oder ein „Ding an sich“ beantwortet, so dass dasDenken nur unter der Bedingung dieses Gegenstandes Realität hätte,sondern mit dem Hinweis darauf, dass nur durch die Einsicht in dieGenesis des Wissens ein selbständiges, „an sich, von sich durch sichund auf sich selber ruhendes Sein“ aufgeht (Fichte 1993: 94). DieAnsicht sei falsch, das Denken habe seine Bedeutung und Wahrheitnicht in sich selbst, sondern es bedürfe eines „Trägers“, der sich au-ßerhalb seiner befindet (Fichte 1993: 95). Das Denken habe jedochkeinen Träger und kein außerhalb, es ruhe schlechthin in sich selber,es allein ist die wahre Welt nach seinem eigenen Gesetz. Es gibt, soFichte, gar keine Welt als die des Gedankens, die Welt in Zeit undRaum habe „gar nicht die Ehre zu existieren, sondern ist nur einSchatten ... und die äußere Hülle, innerhalb welcher die Existenz insich selber zur Existenz kommen soll“ (Fichte 1993: 95).

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6 Logik und Metaphysik, Erlangen 1805, in Fichte 1993: 57–171, hier 94.

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Das genetisch-transzendentalphilosophische Wie des Den-kens ist gegenüber dem empirischen Wie das „höhere Wie“, dasdurch das Denken und das denkende Vernichten der empirischenDinge entsteht. Das höhere Wie ist jedoch zugleich die innereSchöpfung der Dinge, eine Erzeugung des Denkens aus sich selbst.Fichtes an seine Zuhörer gerichtete Frage lautet: „Ihr zweifelt, obder Gedanke in sich selber, und ohne einen Träger, Realität habe:wenn er nun schlechthin durch sich, ohne euer, oder irgend einesDinges zutun, anfinge zu zeugen, und zu gebären neue Welten, woll-tet ihr ihm wohl dann selbständige Realität zugestehen?“ (Fichte1993: 95).

Als Beispiel für die Realität des Gedankens „in sich selberund ohne einen Träger“ gibt Fichte den Fall an, man höre von einermoralisch schlechten Handlung, und das Urteil, „das sich in dir da-bei schlechthin erzeugt (nicht von dir erzeugt wird, denn es fällt dirwie ein Blitz in die Seele)“ lautet: so soll man nicht handeln (Fichte1993: 95). Diese Kausalität des Gedankens aus sich selber eröffneteine neue, nicht historische Welt des Soll. Der spontan aufkommen-de Gedanke „so soll man nicht handeln“ sei ein Faktum „selbst insich“. Er braucht nicht die Realisierung in der äußeren Welt, dennschon der bloße „blitzartige“ Aufgang dieses Gedankens ist das Er-schaffen einer neuen, von der empirischen Welt verschiedenen Welt,wodurch das selbständige Dasein und Leben des Gedankens in sichselber bewiesen ist (Fichte 1993: 95).

Es ist wiederum ein kantischer Gedanke, den Fichte aufgreiftund für seine Zwecke verwendet: die Realität des sittlichen Urteils„so soll man nicht handeln“ entspringt spontan und lässt eine neueSoll-Welt entstehen. Das sittliche Urteil ist keine bloße Theorie, son-dern eine neue Schöpfung. Diese neu erschaffene Welt ist jedochnicht eine abstrakte, nur in Gedanken bestehende Welt, sondern dieeigentlich reale Welt, die sich in dem aktuellen Denkvollzug spontanimmer wieder selbst erschafft: „Dieses ganze Wie ist absolute Schöp-fung des Gedankens aus ihm selber... Schlechthin durch sich selber,nicht etwa dass der Mensch es denke, sondern es denkt (active genom-men) den Menschen, es gestaltet ihn durch eigene Kraft zu diesemDenken... Du kannst keinen Gedanken machen; möge nur der Gedan-ke dich machen. Du bist kein denkendes, sondern du bist selbst nurein gedachtes von dem selbständigen Gedanken: und Heil dir, wenn

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dir die Weise, wie du in demselben gedacht bist, aufgehet.“ (Fichte1993: 100). Die neue Gedanken-Welt wird nicht „gemacht“, sondernsie erschafft sich selber. Doch nur „der Sehende“ erkennt das, nur ihm„belebt sich das lebendige, scheidet sich aus von dem Todten“ (Fichte1993: 102). Der Nicht-Sehende – für Fichte ist es der „Empirist, in derschlimmen Bedeutung des Wortes“ (Fichte 1993: 103) – macht nurdie Gegenstände der bloßen Wahrnehmung zum Objekt seines Den-kens und vermischt so die durch die einzig wahre Welt des Gedankensgesetzten Gegenstände mit dem „Nichts“. Dieses „Nichts“, die niede-re Welt der Empirie, ist der „Leichnam“, der „Tod“, „caput mortuum“,es gilt nichts (Fichte 1993: 104). Die niedere, empirische Welt musszwar sein, damit es zur Darstellung des inneren Lebens der höherenWelt komme, sie ist insofern „unvergänglich und unaustilgbar“, ge-nauso wie die höhere Welt; sie besitzt aber, im Gegensatz zu dieser,keinen eigenständigen Wert (Fichte 1993: 104).

Die Wissenschaftslehre untersucht das Wesen des Wissens.Sie ist dort, wo sie evident ist im unmittelbaren Verstehensakt „ihreigenes Gesetz, und Gesetz durchaus für allen logischen Verstandes-gebrauch“ (Fichte 1993: 113). Gott existiert im Denkvollzug derWissenschaftslehre; sie ist seine Existenz, seine Manifestation undseine Offenbarung (Fichte 1993: 165 f.). Das in ihr Gedachte sollvon dem Leser und Zuhörer „hier auf der Stelle“ unmittelbar selbsterzeugt werden (Fichte 1984: 6). Dies sei, so Fichte, das Besonderedes transzendentalen Denkens: Das energische Fassen des Gedach-ten, und zwar im „vollen Ernst“ und nicht „etwa bloß zu gutem Glük-ke“ (Fichte 1984: 6). Die Aufgabe, die Fichte an den Zuhörer undLeser der Wissenschaftslehre stellt, lautet: Entscheide dich, das inder Wissenschaftslehre Gedachte nicht nur hinzunehmen, sondernes selber zu erzeugen, festzuhalten und darin aufzugehen, damit dirdas sich im Wissen offenbarende Absolute evident wird.

III. Selbstvernichtung des Wissens und Bejahung des absolutenSeins: Ausblick auf die theologische Fichte-Interpretation vonEmanuel Hirsch

Als Nächstes möchte ich die Fichte-Interpretation von Ema-nuel Hirsch skizzieren, der den Gedanken der Entscheidung, sich indie Perspektive des aktuellen Denkvollzugs zu stellen und das dort

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aufscheinende und sich offenbarende Absolute festzuhalten, imtheologischen Kontext weiterentwickelt hat. Hirsch transformiertdieses Festhalten des Absoluten in die Theorie von der Bejahung desabsoluten Seins. Er liest die Wissenschaftslehre vor dem Hinter-grund der von Jacobi aufgestellten Behauptung, Idealismus sei Nihi-lismus und fragt, wie man von Gott sprechen kann, ohne dass Gottdabei wie bei Kant nur als Postulat, sozusagen am Rande der Ver-nunft, eine Rolle spielt. Dabei bemüht er sich um eine Gesamtan-sicht von Fichtes Philosophie, in der Wissenschaftslehre, Sittlichkeitund Religion eine Einheit bilden.

In dem Aufsatz „Fichtes Gotteslehre 1794–1802“, der 1926veröffentlicht wurde, fragt Hirsch nach dem Verhältnis des Wissenszu dem absoluten Sein. Seine Interpretation der Wissenschaftslehrelässt sich folgendermaßen wiedergeben:

Das Wissen ist für Fichte in seiner Selbstbezüglichkeit undSelbstbestimmung zugleich auch die absolute Freiheit. Es behauptetseine Autonomie, indem es jede außer ihm stehende Faktizität in denReflexionsvollzug einbezieht und sie dort auflöst. Nichts kann die-ser jegliche Objektivierung vernichtenden reflexiven Tätigkeit desWissens entgehen.

Für Hirsch ist Fichtes Wissenschaftslehre transzendentalerIdealismus. „Transzendental“ ist sie im Sinne einer subjektivitäts-theoretischen Wissensbegründung durch kritische Selbstreflexiondes Wissens; „Idealismus“ ist sie, weil sie kein Faktum des Wissensals absolut real anerkennt. Die Wissenschaftslehre, die niemals ausdem Bereich des Wissens herausgeht, denkt in ihrer letzten undhöchsten Betrachtung nicht mehr einzelne, verschiedene Kategorienund Postulate des Wissens, sondern die Faktizität des Wissens, alsodie Totalität aller Bestimmungen. Da sie jedoch eine idealistischeTheorie ist, kann sie auch die Faktizität nicht als etwas Selbständigesgelten lassen, sondern muss sie in den Strudel der Reflexion hinein-ziehen. Selbst die Faktizität des absoluten Wissens wird somit den-kend aufgelöst. Die Selbstaufklärung des Wissens führt daher not-wendig zu der Selbstauflösung und der Selbstvernichtung desWissens. Der höchste Punkt der Wissenschaftslehre führt somit zuihrem Untergang (Hirsch 1926: 285).

In dieser Selbstvernichtung erhält sich das Wissen nur durchdas freie und unbedingte „Ja“ zum absoluten Sein. Dieses „Ja zum

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absoluten Sein“ des die eigene Faktizität vernichtenden Wissens bil-de, so Hirschs Interpretation, das Zentrum von Fichtes Wissen-schaftslehre. Bei seinem transzendentalphilosophischen Vorgehenüberspringe Fichte an keiner Stelle die Grenzen des Wissens, son-dern begründe die Notwendigkeit der Bejahung des absoluten Seinsmit transzendentalphilosophischen Mitteln. Fichte zeige, dass dasAbsolute nicht eine theoretisch-regulative Idee oder ein praktischesPostulat sei, sondern innerhalb der Wissenschaftslehre eine syste-matische Funktion besitze.

Diese Bejahung des absoluten Seins ist für Hirsch jedoch nichtmehr im Rahmen einer bloß theoretischen Wissenschaftslehre zu ver-stehen. Sie ist initiiert durch die sittliche Gewissheit, und diese istnicht mehr die idealistische, sondern die realistische Seite der Wissen-schaftslehre. Das Fazit von Hirschs Fichte-Interpretation lautet: dasWissen ist nicht nur Reflexion, sondern Sittlichkeit, Freiheitslebenund „Gottinnigkeit“, weil es sich notwendig in Gott gebunden fühltund denkt und um die eigene Nichtigkeit weiß (Hirsch 1926: 283 f.).

Hirsch sieht im Innersten des Wissens einen Akt der göttlichenGnade wirken, die das Wissen vor dem Untergang und Nihilismusrettet. In dieser theologischen Transformation von Fichtes Gedankenmuss man ihm nicht folgen. Doch der Grundgedanke seiner Interpre-tation bleibt bedenkenswert: Das Wissen muss, um sich vollständigdurchsichtig zu werden, konsequent auch die Vernichtung der eige-nen Faktizität denken, es darf diese nicht nur in der Art eines „Als ob“simulieren. Diese gewollte und durchgeführte Selbstvernichtung desWissens, in der die Möglichkeit der Erkenntnis von Wahrheit und diewahrhafte Selbsterkenntnis ausgeschlossen sind, und die den Men-schen nur zugesteht, Fiktionen zu erkennen und mehr oder wenigersinnvolle Irrtümer, führt nur deshalb nicht in den Nihilismus, weilsich das Wissen von einer Kraft getragen findet, die es im Sein hält,einer Kraft jedoch, die in einem freien Akt der sittlichen Gewissheitausdrücklich bejaht und als verbindlich angenommen werden muss.Damit ist für Hirsch Fichtes Offenbarungsbegriff ausgedrückt: „DerGedanke, dass in der Selbstvollziehung des absoluten Wissens alsschöpferische Freiheit die Bindung durch das absolute Sein geradeam tiefsten Wahrheit sei, hat sich ihm [Fichte] gesteigert zu der Ein-sicht, dass alle schöpferische Freiheit Offenbarung sei des in Gottbeschlossenen Gehalts. ... Der Begriff der Offenbarung hat lediglich

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den Sinn, das Unbegreifliche der aus nichts sich erschaffenden Frei-heit im Lichte der Einsicht zu deuten, dass diese Freiheit Erscheinungdes Absoluten ist“ (Hirsch 1926: 285 f.).

Indem er die zentrale Bedeutung der freien Bejahung des ab-soluten Seins für die Wissenschaftslehre offenlegt und zum Offen-barungsbegriff in Verbindung setzt, zeigt Hirsch, wie Fichtes Wis-senschaftslehre produktiv aufgenommen und weiterentwickeltwerden kann.7 Dabei macht er, allerdings ganz im Sinne Fichtes, dieim Kern christlichen Wurzeln der Wissenschaftslehre sichtbar: Fich-tes Orientierung an der johanneischen (und die Ablehnung der pauli-nischen) Theologie.

Als Beispiel für den mit der Wissenschaftslehre identischenInhalt des Christentums führt Fichte oftmals den Johannesprolog an.Zur Erinnerung zitiere ich diese nicht nur für Fichte, sondern für diePhilosophie des deutschen Idealismus insgesamt wichtige Stelle:„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wortwar Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort ge-worden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihmwar das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“ In die-sen Sätzen ist für Fichte die Wissenschaftslehre im Kern wiederge-geben. Der entscheidende Punkt ist dabei die Unterscheidung vonGott und Wort, und zwar dergestalt, dass nur „das Wort“ (in der reli-giösen Sprache Christus) der Schöpfer der Welt ist, also nicht Gott,dass es aber deshalb der Schöpfer ist, weil in ihm das göttliche Lebenund das göttliche Licht immer schon wirksam tätig ist. In die Spra-che der Wissenschaftslehre übertragen heißt das: Im „Wort“, d.h. inder Reflexionsform des Wissens ist immer schon die Vollzugsaktua-lität tätig, die durch die Reflexion hindurch, durch „das Wort“ undden Begriff, ihre schöpferische Tätigkeit ausübt.

Während Fichtes früher Offenbarungsbegriff nicht spezifischchristlich ist, bekommt er in der Spätphilosophie eine eigentümlichechristliche Fassung. Die Gedanken der Menschwerdung des Logosund der Einheit des göttlichen und des menschlichen Geistes im„Wort“ werden zu Inbegriffen des neuen Wissens- und Offenba-rungsbegriffs, der Johannesprolog wird zum ständigen Bezugspunkt

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7 Vgl. auch Verweyen 2002, der (so wie Hirsch) Fichtes Philosophie im Rah-men einer theologischen Fragestellung diskutiert und die Hingabe an das Absoluteals das Zentrum von Fichtes Wissenschaftslehre interpretiert.

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nicht nur der Religionsphilosophie, sondern auch der Wissen-schaftslehre. Allerdings muss man auch festhalten, dass die zentralenBegriffe des Christentums – Gott als Person und Schöpfer, Trinität,Schuld, Gnade und Erlösung – in Fichtes Philosophie keine Rollespielen. Sein Christentum ist keines der drei christlichen Konfessio-nen. Friedrich Schlegel hat Fichtes Ansicht des Christentums in dieNähe der Lehre der Arianer gerückt,8 die auch die Göttlichkeit Chri-sti leugnen. Ob es hier tatsächlich Verbindungen gibt, können wir of-fen lassen; festzustellen ist, dass für Fichte zwar „das Wort“ derSchöpfer der Welt ist, jedoch nicht mit dem Absoluten identisch ist.

Festzuhalten ist abschließend, dass für Fichte nur in der stren-gen Methode der Wissenschaftslehre das Absolute sichtbar und er-fahrbar wird, jedoch nicht als Objekt, als Grund oder Ziel des Wis-sens, nicht als Postulat, regulative Idee oder Projektion. Auch dieVersuche, Offenbarung des Absoluten als Erziehung, Aufforderungzur Sittlichkeit oder Prozess der Selbstmanifestation Gottes zu deu-ten, bleiben seiner Meinung nach philosophisch unbefriedigend,denn sie suchen das Absolute in einem Jenseits des Wissens undnicht in der Lebendigkeit des Wissens selbst. In seinem transzenden-talphilosophischen Konzept ist die Offenbarung das immer neu zuleistende Festhalten einer unverfügbaren schöpferischen Kraft, diesich im Vollzug des Wissens offenbart, dieses vor der Selbstvernich-tung bewahrt und so dem Nihilismus entgegenwirkt. Es ist jedocheine Kraft, die in einem Akt der Freiheit bejaht und angenommenwerden muss. Damit verweist die Wissenschaftslehre in jedem ihrereinzelnen Schritte über sich hinaus auf die Notwendigkeit des sittli-chen Gewissens für das richtige Verständnis der in ihr entwickeltenTheorie. Es ist nicht mehr die Offenbarung, die das sittliche Handelnbefördern soll, sondern es ist jetzt das sittliche Gewissen, das für dasErkennen und Annehmen der Offenbarung empfänglich macht. Ge-wissermaßen kehrt Fichte damit zu seiner Frühschrift zurück, jedochauf eine neue und anregende Weise, die aber selbst wiederum neueFragen aufkommen lässt. Diese wären ein interessantes Thema füreine weitere Untersuchung.

Primljeno: 27. april 2010.Prihvaæeno: 18. maj 2010.

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8 Friedrich Schlegel, Fichte-Rezension, in Jaeschke 1999: 146.

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Literatur

Danz, Christian (1995), „Im Anfang war das Wort: Zur Interpretation desJohannesprologes bei Schelling und Fichte“, in: Fichte-Studien, Bd.8 („Religionsphilosophie“), hrsg. v. K. Hammacher, R. Schottkyund W.H. Schrader, Amsterdam-Atlanta, S. 21–39.

Fichte, Johann Gottlieb (1982), Briefe 1801–1805 (Gesamtausgabe, hrsg. v.d. Bayerischen Akademie d. Wissenschaften, Bd. III. 5, hrsg. v.Reinhard Lauth/Hans Gliwitzky), Stuttgart/Bad Canstatt: From-mann-Holzboog.

Fichte, Johann Gottlieb (1983), Versuch einer Kritik aller Offenbarung(hrsg. v. Hans Jürgen Verweyen), Hamburg: Meiner.

Fichte, Johann Gottlieb (1984), Wissenschaftslehre 1805 (hrsg. v. Hans Gli-witzky), Hamburg: Meiner.

Fichte, Johann Gottlieb (1993), Nachgelassene Schriften 1805–1807 (Ge-samtausgabe, hrsg. v. d. Bayerischen Akademie d. Wissenschaften,Bd. II. 9, hrsg. v. Reinhard Lauth/Hans Gliwitzky), Stuttgart/BadCanstatt: Frommann-Holzboog.

Hirsch, Emanuel (1926), „Fichtes Gotteslehre 1794–1802“, in: ders., Dieidealistische Philosophie und das Christentum, Gesammelte Auf-sätze, Gütersloh: Bertelsmann, S. 140–290.

Jacobi, Friedrich (2004), Schriften zum transzendentalen Idealismus (Werke2. 1), hrsg. v. K. Hammacher und W. Jaeschke, Hamburg: Meiner.

Jaeschke, Walter (1999), Der Streit um die göttlichen Dinge (1799–1812),Quellenband, Hamburg: Meiner.

Kant, Immanuel (2003), Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßenVernunft (hrsg. v. B. Stangneth), Hamburg: Meiner.

Radrizzani, Ives (2006), „Offenbarungsbegriff beim frühen Fichte“, in: B.Dörflinger, G. Krieger und M. Scheuer (Hrsg.), Wozu Offenbarung?Zur philosophischen und theologischen Begründung der Religion,Paderborn: Schöningh, S. 165–177.

Verweyen, Hansjürgen (2002), Gottes letztes Wort. Grundriß der Funda-mentaltheologie, Regensburg: Pustet.

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Kazimir Drilo

ZNANJE – NIHILIZAM – POTVRÐIVANJEFIHTEOV TRANSCENDENTALNOFILOZOFSKI

POJAM OTKROVENJARezime

U vremenu izmeðu 1792. i 1805. Johan Gotlib Fihte razvija dva razlièita pojmaotkrovenja: 1. Otkrovenje je na Bo�jem autoritetu osnovana nauka kojom se unapreðujemoralno delovanje, 2. Otkrovenje je dr�anje znanja u biæu i time spas od nihilizma. Sasvojim novim transcendentalnofilozofskim konceptom i u stalnom osvrtu na Jakobijevukritiku da je idealizam u suštini nihilizam, Fihte daje uverljivu alternativu tradicional-nog pojma otkrovenja. U svojim kasnijim filozofskim radovima Fihte razume transcen-dentalno otkrovenje kao garanciju realiteta spoznaje, a ne kao proces samosaznanja ap-solutnog ili kao Bo�je samootuðenje. Tekst se oslanja na Fihteove spise „Versuch einerKritik aller Offenbarung“ te „Erlanger Wissenschaftslehre“ i „Erlanger Logik“. Na pri-meru interpretacije koju je dao teolog Emanuel Hirš pokazuje se kako je moguæe pro-duktivno transformisati Fihteovu teoriju otkrovenja u današnje vreme.

Kljuène rijeèi: otkrovenje, obièajnost, znanje, nihilizam, nauka, transcen-dentalna filozofija, potvrðivanje, Hirš.

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