Druckvorlage Taschenbuch FM1 NEU · 2019. 12. 6. · Druckvorlage_Taschenbuch_FM1_NEU Author:...

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  • ISBN 978-3-0005630-6-5

    Neuauflage 2019

    Copyright © 2017 Stephanie Ermke

    Einbandgestaltung S. Ermke Verlag

    Foto: © Kzenon / fotolia.com

    Druck: WIRmachenDRUCK GmbH, printed in Germany

    www.ermke-verlag.de

  • Von Herzen ...

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    Kapitel 1

    »Verdammtes Mistwetter, so was nennt sich Gut-Wetter-Pro-gnose.«Meine Wischblätter können den sintflutartigen Regen auf

    der Scheibe meines Autos kaum noch bewältigen. Langsamfahre ich aus der Einfahrt heraus und mache mich auf denWeg zur Arbeit. Ich muss um 09.00 Uhr anfangen – beimBlick auf die Uhr stelle ich fest, dass ich noch exakt fünf-zehn Minuten Zeit habe.Erleichtert schaue ich noch einmal hoch in den Rückspie-

    gel, um sicherzugehen, dass ich mein dezentes Make-up inder morgendlichen Hektik nicht verwischt habe. Schließ-lich beginnt mein Tag um 06.00 Uhr in der Früh – aufste-hen, anziehen, fertigmachen, Kinder wecken, Pausenbroteschmieren und was sonst noch alles zu den Aufgaben eineralleinerziehenden, berufstätigen Mutter gehört.

    Nach der Trennung von meinem Mann Manuel vor zwölfMonaten musste ich mein Leben komplett umstellen. Wirhaben eigentlich ein sehr glückliches Familienleben geführt.Als wir vor sieben Jahren in der kleinen Dorfkirche im

    Vorort unserer 20.000 Einwohner-Stadt geheiratet haben,dachte ich tatsächlich, den Rest meines Lebens mit diesemMann zu verbringen. Ich kenne Manuel schon eine gefühlteEwigkeit – ganze dreizehn Jahre lang waren wir ein Paar.Kurz vor unserer Hochzeit wurde unsere erste Tochter

    Hannah geboren. Sofort war uns klar, dass wir mindestenszwei weitere Kinder haben wollten. Nach zwei Jahren kamdann unser Sohn Anton und nur achtzehn Monate späterunsere Tochter Merle zur Welt. Wir waren sehr glücklich.Manuel hat sich als Handwerker selbstständig gemacht

    und sein kleiner Betrieb lief gut an. Schon nach sechs Mo-

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    naten konnte er sogar zwei weitere Mitarbeiter einstellen.

    Nach meinem Jahr Elternzeit fing auch ich wieder an, stun-denweise in der Veranstaltungsagentur meiner Eltern zu ar-beiten.Mein Bürojob und das Einkommen von ihm haben uns

    zwar keine Reichtümer beschert, jedoch hatten wir schoneinen gewissen Lebensstandard. Unsere pferdebegeistertenKinder bekamen ihre eigenen Ponys und sogar ich habe mirden Traum von einem BMW Z3 erfüllen können. Hatte ichmir diesen kleinen Zweisitzer doch bereits seit Bestehenmeiner Führerscheinprüfung mit achtzehn Jahren ge-wünscht.Alles schien perfekt bis zu dem Tag, als herauskam, dass

    Manuel eine Affäre mit einer Kundin hatte. Diese Nach-richt zog mir den Boden unter den Füßen weg. Ich hattedas Gefühl, das Blut in meinen Adern würde gefrieren.Was war mit uns geschehen? Wie konnte er mir das an-

    tun? Er entschuldigte sich tausendfach für seinen Fehlerund versprach mir, dass so etwas nie wieder vorkommenwürde.Schon einmal hatte er mich vor vielen Jahren betrogen.

    Es dauerte fast zwei lange Jahre, bis ich ihm diesen Seiten-sprung verzeihen und mich wieder voll und ganz auf ihneinlassen konnte. So etwas wollte ich kein weiteres Mal erle-ben. Wer würde mir garantieren, dass nach Affäre Nummerzwei nicht noch Affäre Nummer drei folgen wird?»Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne

    Ende«, gab mir meine Mutter als guten Ratschlag mit aufden Weg.Ich muss gestehen, dass mir das nicht gerade geholfen

    hat – im Gegenteil. Viele Wochen habe ich heimlich ge-weint, damit die Kinder nicht mitbekamen, wie weh ihr Va-

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    ter mir damit getan hat.

    Für Hannah, Anton und Merle haben wir uns nach etwafünf Monaten zusammengerauft. Mittlerweile können wirsehr freundschaftlich miteinander umgehen.Wir arrangieren uns in sofern, dass er für die Kinder we-

    niger Unterhalt zahlt, mir dafür aber, so oft es geht, bei derBetreuung hilft. Zum einen kann ich so mehr Zeit in meineArbeit investieren, zum anderen habe auch ich mal einenzusätzlichen Abend kinderfrei und kann durchatmen.Finanziell komme ich einigermaßen gut über die Run-

    den. Nach der Trennung brauchte ich auch eine beruflicheVeränderung.Mit meiner neuen Halbtagsstelle in der Rechtsanwalts-

    kanzlei Schnitzler und Partner hat sich für mich ein weite-rer Traum erfüllt. Jahrelang habe ich auf so einen Job ge-hofft.Um die Ponys meiner Kinder weiter finanzieren zu kön-

    nen, hat mir mein neuer Arbeitgeber erlaubt, meinem altenJob im elterlichen Betrieb stundenweise weiter nachzukom-men. Sofern ich mich abends noch dazu in der Lage fühle,sitze ich an meinem Schreibtisch, trage Veranstaltungen inOnline-Foren und auf Terminseiten ein, schalte Anzeigenbei Facebook und Co. oder entwerfe Flyer und Plakate.Der tägliche Spagat zwischen den Kindern, meinem

    Haushalt und meiner Arbeit ist sehr mühselig und oft falleich abends einfach nur todmüde ins Bett. Jedoch glaubeich, diesen Druck zu brauchen. Ich bin zwar gerne Mutterund Hausfrau, aber das alleine würde mein Leben nicht er-füllen.

    Wieso sind bei diesem Wetter eigentlich so viele Menschenmit dem Fahrrad unterwegs? Es regnet wirklich in Strömen.

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    Gedanklich immer noch mit meiner Frage befasst, rolle ichauf den Kreisverkehr zu.Im Radio läuft gerade das Lied »Sacrifice« von Anouk, …

    oh wie ich diesen Song liebe.Ich drehe die Musik voll auf und fange an, laut mitzusin-

    gen.»Who`s the one that makes you happy?«Mir kommt Manuel in den Sinn. Ob er mit einer neuen

    Frau jemals so glücklich sein wird, wie wir es früher waren?Oder sollte ich mich vielleicht doch lieber fragen, ob erwirklich so glücklich mit mir war, wie er es immer behaup-tet hat? Warum betrügt man dann seine Partnerin, wennman sie doch so liebt?Abrupt trete ich auf die Bremse.»Was ist das denn für ein Idiot?«Ich hatte mich schon im Kreisverkehr eingeordnet, als

    sich von rechts ein schwarzer Geländewagen zügig nähertund mir im letzten Moment doch noch die Vorfahrtnimmt.Stinksauer hebe ich beide Hände übers Lenkrad. Keine

    Ahnung, ob der Fahrer oder die Fahrerin meine Wut wahr-nimmt, der schwarze Wagen hat im hinteren Teil verdun-kelte Scheiben.»But suddenly you needed freedom …«, ertönt aus dem

    Radio.Der Song hat mittlerweile schon seinen Höhepunkt er-

    reicht, bei dem Anouk sehr laut wird.Ich greife zum Regler, um die Musik leiser zu drehen,

    und werfe einen kurzen Blick auf die Uhr … 08.53 Uhr.Ruckartig werde ich in meinen Anschnallgurt gedrückt.

    Mein Wagen kommt zum Stehen, ohne dass ich vorher auchnur das Bremspedal berührt habe.Völlig erschrocken reiße ich den Kopf hoch und schaue

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    nach vorne. Was zum Teufel ist passiert? Ich habe dochnur ein oder zwei Sekunden auf die Uhr gesehen.Na toll, dieser schwarze Geländewagen schon wieder.

    Ich bin ihm tatsächlich aufgefahren. Aber warum? MeinAbstand war doch eigentlich ausreichend.

    Wütend und total besorgt steige ich aus. Ich habe das Ge-fühl, dass meine Halsschlagadern gerade mindestens einenZentimeter hervorstehen.Es regnet nach wie vor in Strömen. Natürlich habe ich

    meine Jacke zu Hause vergessen, war ja irgendwie klar.Die Fahrertür vor mir öffnet sich.Völlig entsetzt gehe ich vor meinem Wagen in die Hocke

    und sehe zu meiner Motorhaube. Mir schießen direkt Trä-nen in die Augen beim Anblick des verbeulten Blechs.Mein geliebtes Auto! Eine Reparatur-Rechnung über ein

    paar hundert Euro kann ich mir im Augenblick alles andereals leisten. Dieses Fahrzeug ist mein ganzer Stolz und einzi-ger Luxus zugleich.

    Der Geländewagen hat definitiv weniger abbekommen. Ausdem Augenwinkel erkenne ich, dass jemand neben michtritt. Mittlerweile völlig durchnässt richte ich mich auf.Ein großer Mann in schwarzem Anzug blickt ausdrucks-

    los auf mich herab. In seiner linken Hand hält er einen Re-genschirm.Er beugt sich zur Seite und wirft einen Blick ins Innere

    meines Wagens.»Ihr Auto ist defekt«, bringt er vorwurfsvoll über die

    Lippen.Wie bitte? Ich schüttle ungläubig den Kopf.»Die Sensorik für ihren Airbag scheint kaputt zu sein«,

    fährt er nüchtern fort. »Er hat sich nicht geöffnet.«

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    Ich ringe um Fassung. Mein Airbag ist mir im Augen-blick völlig egal.Er fängt an, mich zu mustern.»Geht es Ihnen gut?«Seine Stimme klingt nicht gerade besorgt, eher kühl und

    abweisend.»Es ging mir vor einer Minute noch besser«, antworte ich

    zynisch.»Das tut mir leid«, plustert er sich auf. »Aber das ist ja

    nun mal ganz offensichtlich Ihre eigene Schuld.«Ich bin empört.»Wie bitte?«, ringe ich abermals um Fassung.Unsere Blicke treffen sich, er ergreift das Wort: »Nun,

    ich gehe davon aus, dass man Ihnen im Laufe Ihrer Fahr-schulzeit beigebracht hat, Abstand zu halten und dass imFalle eines solchen Unfalls derjenige die Schuld trägt, deraufgefahren ist.«Sein Ton klingt wie der eines mahnenden und belehren-

    den Lehrers.Ich spüre, wie sich meine Augenbrauen zusammenzie-

    hen und ich meine Lippen vor Wut aufeinanderpresse. Werhat den denn bitte freigelassen?»Allerdings«, bringe ich mit gleicher Arroganz heraus.

    Am liebsten würde ich meine Ärmel hochziehen und beideHände in der Taille abstützen. »Ganz offensichtlich hatman es aber auch in Ihren Fahrstunden versäumt, IhnenAnstand und Benehmen im Straßenverkehr beizubringen.«Wütend zeige ich mit der Hand auf die gegenüberliegendeSeite des Kreisverkehrs. »Sie haben mir schon da vorne dieVorfahrt genommen.«Der Mann vor mir schweigt und betrachtet mich auf eine

    Art und Weise, als würde er versuchen, mein Innerstes zustudieren.

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    Nachdem ich keine direkte Antwort zu erwarten habe,greife ich in meine Rocktasche und ziehe mein Handy he-raus. Beim Berühren des Displays erscheint groß die Uhr-zeit – 08.57 Uhr.»Mist!« Ich schaue zu ihm auf und seufze nachdenklich.

    »Möchten Sie die Polizei anrufen? Das könnte allerdingsdauern, bis die hier sind. Alternativ schlage ich Ihnen vor,wir klären die Angelegenheit 500 Meter weiter im Trocke-nen. Ich arbeite dort in einer Rechtsanwaltskanzlei undwenn ich ehrlich bin, muss ich in exakt drei Minuten anmeinem Arbeitsplatz sein.«Tatsächlich erhalte ich ein zustimmendes Nicken von

    ihm. Ob er die Verwunderung meinem Gesicht gerade ent-nehmen kann?»Okay«, antworte ich erleichtert und gleichzeitig perplex

    über sein Einverständnis.Er dreht sich seinem Auto zu und läuft in Richtung Fah-

    rertür. »Fahren Sie vor!«, höre ich ihn rufen.Auch ich steige vor mich hinmaulend in meinen Wagen.»Spinner! Was für ein arroganter Vollidiot!«Ich lehne mich im Sitz zurück, drehe den Zündschlüssel

    und ziehe an ihm vorbei.

    Nur kurz darauf biege ich auf den kleinen Kanzlei-Park-platz ab. Die dazugehörigen Räumlichkeiten liegen im ers-ten Stockwerk eines sehr schönen und für mich persönlichbeeindruckenden villenartigen Gebäudes.Ich steige aus und gehe zum Kofferraum meines Wagens

    in der Hoffnung, doch noch ein trockenes Kleidungsstückdarin zu finden. Bingo! Mir fällt ein braunes Wolljackett indie Hände. Mir dieses hier unten auf dem Parkplatz überzu-ziehen, wäre völlig unsinnig. Ich kann besser oben im klei-

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    nen Bad das nasse Oberteil gegen das trockene Jackett tau-schen.

    Während ich die Kofferraumhaube schließe, beobachte ich,dass der Mann ebenfalls an seinem Geländewagen stehtund einen schwarzen Aktenkoffer vom Rücksitz holt.»Na, der hat es ja vor«, sage ich zu mir selbst und warte,

    bis er einige Sekunden später neben mir steht.Beim Blick auf meine weiße Bluse stelle ich verschämt

    fest, dass mein BH mittlerweile durchscheint. Auch dasnoch!Ich laufe zügig in Richtung Eingangstür, gefolgt von

    dem fremden Herrn im schwarzen Anzug.

    Beim Betreten der Kanzlei rufe ich ein kurzes mürrisches,»Guten Morgen«, in den Flur.Ich drehe mich zu dem Herrn hinter mir um: »Bin sofort

    wieder da.«Im Spiegel überprüfe ich, ob der zugeknöpfte Blazer

    nicht doch zu viel Dekolleté zum Vorschein kommen lässt.Na ja, geht gerade nicht anders.

    Zurück im Flur sehe ich, wie mein Chef, Dr. MarkusSchnitzler, dem Unbekannten die Hand entgegenstrecktund ihn mit einem freundlichen, »Guten Tag, Herr Dr.Schwarz«, begrüßt.»Jetzt verstehe ich gerade gar nichts mehr«, kann ich

    mich laut reden hören.Beide Männer schauen in meine Richtung.»Herr Dr. Schwarz hat heute Morgen einen Termin bei

    unserem Notar«, klärt Markus mich auf.»Sag was!«, ruft mir meine innere Stimme zu, doch ich

    bin tatsächlich für einen kurzen Augenblick sprachlos.

  • 9

    Deshalb ist er auch sofort freiwillig mitgekommen undwollte die Angelegenheit nicht gleich am Kreisverkehr re-geln. Das war also keine Rücksicht, sondern pure Berech-nung von ihm.Mein mitgebrachter Gast hebt die Hand in meine Rich-

    tung.»Herr Dr. Schnitzler, bevor wir mit dem Termin begin-

    nen können, habe ich mit Ihrer Angestellten noch eine An-gelegenheit zu klären.«Jetzt sieht auch Markus verwundert zu mir herüber, be-

    vor er stockend, aber dennoch nickend antwortet: »Ja,selbstverständlich.«Er zeigt in Richtung Besprechungszimmer, um uns zu

    signalisieren, dass wir unsere Unterhaltung dort führen sol-len.»Ja dann«, puste ich, als würde ich die Startlinie eines

    1.000 Meter-Laufes betreten.

    Herr Dr. Schwarz folgt mir in den großen Raum gleich ne-benan. Ich bitte ihn, am Tisch Platz zu nehmen. Ob ich be-wusst drei Stuhlplätze zwischen uns frei lasse, kann ichnicht beurteilen, aber dieser Kerl ist mir einfach suspekt.»Würden Sie mir denn nun auch Ihren Namen verraten?«Sein bestimmender Blick wandert zu meinem Ausschnitt.

    Oh Gott, ob man doch zu viel sieht?Schnell greife ich zum Kragen meines Blazers. Meine

    Hände in den Wollstoff verkrallt, kneife ich meine Augenzusammen und versuche, verbal so selbstsicher wie nurmöglich herüberzukommen.»Rebekka, Rebekka Mönninghoff.«Er nimmt einen schwarzen Taschenkalender aus seinem

    Aktenkoffer und macht sich eine Notiz.Etwas perplex schaue ich auf seine Hand, die gerade

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    meinen Namen aufschreibt, und stammle unsicher vormich hin: »Ich, ich kann Ihnen meine Daten aber auch auf-schreiben.«Unsere Blicke treffen sich erneut, als wir beide vom Ka-

    lender aufsehen.»Und Sie haben Ihr Fahrzeug wo versichert, Frau Mön-

    ninghoff?«Will der mich jetzt gerade auf den Arm nehmen? Seine

    arrogante Tonart bringt mich in Rage.Abrupt stehe ich auf, schiebe meinen Stuhl zurück an

    den Tisch und werfe ihm einen ernsten Blick zu.»Ich denke, unsere Konversation ist hiermit schon been-

    det. Ich lasse mir von meiner Versicherung alles Notwendi-ge zufaxen.«Seine Reaktion warte ich gar nicht erst ab. Ich stehe auf

    und laufe zur Tür.»Sicherlich können Sie dann jetzt auch Ihren Termin mit

    unserem Notar wahrnehmen. Das Schreiben gebe ich Ih-nen gleich im Anschluss mit. Herr Bertels wird sofort beiIhnen sein.«

    Hinter geschlossener Tür baut sich Markus vor mir auf.»Was war das denn bitte?«, flüstert er leise.Er muss unsere Unterhaltung belauscht haben, anders

    kann ich mir seine offensichtliche Empörung nicht erklä-ren. Und er muss wohl auch meine derbe Tonart bemerkthaben.»Rebekka«, fängt er an, mich zu ermahnen. »Das war

    aber gerade nicht die Umgangsform, die wir mit unserenMandanten pflegen und wünschen, und das weißt du auch.So kenne ich dich gar nicht. Ich glaube, du hast mir gleichetwas zu erklären. Und jetzt tu mir einen Gefallen. Geh danoch mal rein und sag etwas Nettes!« Er schüttelt fassungs-

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    los den Kopf. »Dieser Mann da drin wird unter Umständenein neuer und für uns sehr wichtiger Mandant. Wir könnenuns so etwas nicht erlauben.«Mit einem Handzeichen fordert er mich auf, den Raum

    auf ein Neues zu betreten. Na toll! Das ist wohl echt nichtmein Tag heute.

    Erneut öffne ich die Tür. Als Herr Dr. Schwarz mich ausdem Augenwinkel bemerkt, richtet er seinen Blick promptwieder auf irgendwelchen vor ihm liegenden Papierkram.»Haben Sie noch etwas vergessen?«, höre ich ihn nüch-

    tern fragen.Ich versuche, so leise wie möglich zu sprechen, damit

    mein Chef bloß nichts von unserer Unterhaltung mitbe-kommt: »Hören Sie, das ist heute definitiv nicht mein Tag.Mein Auto, das ich über alles liebe, ist kaputt und ich binklitschnass bis auf die Haut. Ich weiß ehrlich gesagt nicht,welche Laus Ihnen heute Morgen über die Leber gelaufenist und das geht mich auch nichts an. Aber Sie könnennicht von mir erwarten, dass ich höflich zu Ihnen bin, wennSie sich mir gegenüber auch nicht im Geringsten ähnlichverhalten.« Ich blicke besorgt zur Tür und versuche, nochleiser zu reden. »Mein Chef sagte mir gerade, dass Sie even-tuell unser Mandant werden. Das freut mich. Aber es spieltfür mich keine Rolle, wer oder was Sie sind. RespektvollemUmgang setze ich Anstand und Benehmen voraus.«Ich bin schockiert. Habe ich das gerade wirklich alles zu

    ihm gesagt? Ob man mich vielleicht doch draußen gehörthat? Selbst wenn nicht wird er sich bestimmt gleich bei un-serem Notar über mich beschweren und ich verliere hiermeinen Traumjob. Wie konnte ich nur?Ein Anflug von Panik überkommt mich. Aber dieser

    Typ bringt mich einfach total aus der Fassung. Sollte ich

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    besser direkt mit Markus reden, bevor dieser Dr. Schwarzsich über mich beschwert? Vielleicht könnte ich mir beimeinem Chef eine Ausrede einfallen lassen. Aber welche?Dass ich Ärger mit Manuel hatte?»Bitte entschuldigen Sie meine Direktheit, aber so bin ich

    nun mal«, gestehe ich kleinlaut, um an der Situation viel-leicht doch noch etwas zu retten.Der Mann am Tisch regt sich. Er schlägt ein Bein über,

    ohne den Blick von seinen Unterlagen abzuwenden.»Sind Sie dann jetzt fertig?«, fragt er gelangweilt.»Ja, … nein«, stottere ich und setze mir kurzerhand ein

    unschuldiges Lächeln auf. »Darf ich Ihnen vielleicht einenKaffee anbieten?«»Gerne.«Die Tatsache, dass er mir nun doch einen Blick zuwirft,

    lässt mich für einen kurzen Moment aufatmen. Ich weißnicht, ob er mir die Erleichterung anmerken kann.»Ich trinke meinen Kaffee schwarz, Frau Mönninghoff.«Mit dem Versuch, die von mir aufgebaute Spannung im

    Raum etwas zu dämpfen, entgegne ich in ironischem Ton:»Das hätte ich jetzt auch nicht anders erwartet. Kaffeekommt gleich.«

    Ich stürze zum Empfangstisch der Kanzlei, hinter demmeine Kollegin Carina bereits mit ihrer Arbeit begonnenhat.»Oh Mann, ich glaube, ich bin urlaubsreif!«Sie sieht mitleidig zu mir auf.»Willst du dir nicht mal etwas Trockenes anziehen?«Ich schaue auf meine Strumpfhose und meinen Rock.

    Das nicht gerade wohlige Gefühl meiner nassen Kleidungauf der Haut wurde von meiner emotionalen Stimmungbisher komplett ausgeblendet.

  • 13

    »Nein, trocknet bestimmt gleich. Ich rutsche einfach nä-her an die Heizung. Aber sag mal, geht das mit dem zuge-knöpften Jackett überhaupt so oder findest du den Aus-schnitt zu gewagt?«»Nun ja«, sie wirft einen Blick auf den Terminkalender.

    »In Anbetracht der Tatsache, dass wir heute Morgen keineweiteren Mandanten persönlich erwarten und es sich ja beidir um eine Ausnahmesituation handelt, denke ich, dukannst so bleiben.«Ihr breites Grinsen verrät mir, dass jetzt noch mehr Sät-

    ze von ihr folgen werden.»Markus gefällt dein Outfit heute bestimmt besonders

    gut.«»Mag schon sein«, erwidere ich, »aber der ist gerade

    stinksauer auf mich.« Ich sehe zum Fenster hinaus und fah-re besorgt fort: »Immerhin war ich eben zu unserem neuenMandanten ziemlich unfreundlich und jetzt fürchtet er, dassHerr Dr. Schwarz sich vielleicht doch lieber eine andereKanzlei sucht.«»Ach, Rebekka, du wirst sehen, alles wird gut. Sag mal,

    hast du eigentlich neulich die Einladung zum Essen vonMarkus angenommen?«Carina steht ihre Neugierde ins Gesicht geschrieben.»Nein, habe ich nicht und das werde ich auch bestimmt

    nicht tun«, antworte ich, den Blick auf einen Stapel braunerMappen vor mir gerichtet.»Aber warum denn nicht? Markus ist doch wirklich sehr

    nett und zuvorkommend. Außerdem mag er dich sehr undauch deine Kinder. Du und Manuel, ihr seid doch nunschon ein Jahr getrennt und hat er nicht mittlerweile aucheine neue Freundin?«Dass ich langsam über Manuel hinweg bin, ist schon

    ganz richtig, aber ich würde mich niemals auf unseren Chef

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    einlassen. Natürlich schmeichelt es mir, dass er mich offen-sichtlich sehr gut leiden kann und auch schon des Öfterenzum Essen einladen wollte. Gott sei Dank hatte ich bislangimmer Ausreden. Mal waren es die Kinder, mal die Arbeitfür meine Eltern.Markus ist Mitte vierzig. Die Ehe mit seiner Frau ging

    schon vor drei Jahren in die Brüche. Seitdem lebt er nurnoch für die Kanzlei. Ob er seiner Frau wohl auch fremd-gegangen ist? Oder sie ihm?Ist mir letzten Endes auch egal. Er ist wirklich ein lieber

    Kerl, aber eine Beziehung oder irgendetwas dergleichen mitihm kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.»Carina, hör bitte auf! Ich finde unseren Chef ganz nett,

    aber mehr auch nicht!«Entgegen meiner Bitte lässt sie nicht locker.»Rebekka, überleg doch mal, würdest du mit Markus …

    na ja, du weißt schon. Du bräuchtest dir über deine finanzi-elle Situation absolut keinen Kopf mehr zu machen. Unddu könntest deinen Nebenjob auch sein lassen. Du bistdoch wirklich rund um die Uhr am Arbeiten oder kommstirgendwelchen Verpflichtungen nach.«»Jetzt hör aber auf! Nur damit ich es einfacher habe im

    Leben, soll ich etwas mit einem Mann anfangen, den ichnur nett finde?«Meine Empörung kann ich nicht verbergen. »Klar ist

    mein Alltag sehr stressig. Und ich gebe zu, manche Rech-nung, die ins Haus flattert, bereitet mir durchaus schlafloseNächte. Aber ich bin mit meinem Leben, so wie es ist, sehrzufrieden. Geld spielt für mich garantiert nicht die Haupt-rolle und einen Mann suche ich mir schon gar nicht nachseinem Kontostand aus. Entweder es funkt oder es funkthalt nicht! Nun ja, zumindest sollte er in der Lage sein, fürsich selbst zu sorgen.«

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    Carinas Augen werden groß, wahrscheinlich überlegt siesich gerade, ob ich nun sauer auf sie bin.»Okay, ich hab es verstanden«, erwidert sie kleinlaut.

    »Wir sollten nun endlich anfangen.«Ihre Aussage kommt mir sehr gelegen. Ich bin auch

    nicht wirklich an weiteren Gesprächen über Markus, Manu-el oder sonst wen interessiert.»Aber eine ganz andere Frage habe ich doch noch«, hakt

    sie weiter nach. »Was ziehst du eigentlich übermorgenAbend zur Firmeneinweihung an?«»Darüber habe ich mir ehrlich gesagt noch gar keine Ge-

    danken gemacht. Irgendetwas Schickes werde ich in mei-nem Schrank wohl noch finden.«

    Nach einer halben Stunde öffnet sich die Tür des Bespre-chungszimmers. Sven und Herr Dr. Schwarz treten herausund bleiben vor unserem Empfangstresen stehen.Ich hole das Blatt Papier aus dem Faxgerät und überrei-

    che es mit ausdrucksloser Miene.»Bitteschön, ich wünsche Ihnen noch einen schönen

    Tag.«Ohne eine Antwort abzuwarten, drehe ich mich um und

    nehme wieder an meinem Schreibtisch Platz.Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich Sven mit einem

    Händedruck von seinem Mandanten verabschiedet, dieserjedoch immer wieder in meine Richtung schaut.Ich atme erleichtert durch, als er endlich die Kanzlei ver-

    lässt und die Tür hinter ihm ins Schloss fällt.