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In Bollerup, einem Dorf an der Ostsee,heißen nur wenige Leute anders als Fed-dersen. Um sich gelegentlich voneinanderzu unterscheiden, haben sich die Ein-wohner Zusatznamen gegeben: die Kneif-zange zum Beispiel, der Schinken-Peter,der Dorsch oder die Schildkröte. Mansieht, Bollerup hat seine Eigenheiten. Zuihnen gehört zweifellos auch der selbst-gebraute Mirabellengeist. Er produziertseltsame, krummwüchsige Gedanken, aberauch erstaunliche Einfälle, er prägt sogarCharaktere. Und von ihnen erzählt Sieg-fried Lenz in diesen zwölf Geschichtenund knüpft damit an seine berühmten Er-zählungen aus Suleyken an.

Siegfried Lenz, am 17. März 1926 in Lyck(Ostpreußen) geboren, lebt heute als freierSchriftsteller in Hamburg.

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Siegfried Lenz

Der Geist der Mirabelle

Geschichten aus Bollerup

Deutscher Taschenbuch Verlag

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Ungekürzte AusgabeMai 1 979

22. Auflage Dezember 2006Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,

Münchenwww.dtv.de

© 1 975 Hoffmann und Campe Verlag, HamburgUmschlagkonzept: Balk & Brumshagen

Umschlagbild: Ausschnitt des Gemäldes >Frühlingstag< ( 18 97/9 8 )von Hans am Ende

Gesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in GermanyISBN-13: 978-3-423-01445-8

ISBN-IO: 3-423-01445-8

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Inhalt

Vorwort 9Ein Bein für alle Tage I IDas unterbrochene Schweigen 19Ein teurer Spaß 26Ursachen eines Streitfalls 34Hausschlachtung 39Frische Fische 51Der Denkzettel S 6Ein sehr empfindlicher Hund 65Hintergründe einer Hochzeit 74Die Bauerndichterin 8oDie älteste Einwohnerin im Orte . . 95Der heimliche Wahlsieger 106

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In memoriamHans Petersen

Und in Dankbarkeit gewidmet den alten,immer verläßlichen, erzählbereiten Freunden,

den Bauern und Fischern auf Alsen:Wilhelm L. Petersen d. Ä.

Peter L. PetersenTinne Petersen

Wilhelm L. Petersen d. J.Anne Petersen

Chresten KryhlmandWilhelmine Kryhlmand geb. Petersen

Jörgen JensenFia Jensen

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Vorwort

Bollerup ist kein vergessenes Dorf. Esliegt weder im Rücken der Geschichtenoch in der geographischen Abgeschie-denheit, die der Idylle bekömmlich ist. Esist ein Dorf von heute: offen, erreichbar,von reisenden Vertretern erobert, vonVersandhäusern generalstabsmäßig mitdem letzten Wunschkatalog bedient. DieFilme, die hier gezeigt werden, laufenauch gerade in der Stadt. Die Informatio-nen aus Brüssel sind so neu, daß sie nurdie alte Weißglut bestätigen können. Wasdie Mädchen tragen, wird zur gleichenZeit in München, in Köln, in Kopenhagenspazierengeführt. An Sonntagen, da zei-gen allenfalls Hände und Gesichtsfarbeder Einwohner, daß hier Land ist, undvielleicht noch die Autos, die pfleglicherbehandelt oder seltener benutzt werdenals in der Stadt. Die eingeführten, die der-ben Indizien für Land und Landleben sindjedenfalls sehr gering geworden. Und diefünfzehn Sommer, die ich in der Nachbar-schaft von Bollerup gelebt habe, beweisen

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mir, entschieden die äußerlichen 7 -Tn11111 , wie entschiedenla a^. äußerlichenaa v aaterschiede zwischen Land und Stadt auf-gehoben bzw. verwischt wurden.

Dennoch: von einer vollkommenen An-gleichung kann man nicht sprechen. Esgibt etwas in Bollerup, das nur ihm und —in der Verlängerung — dem Land gehört:eine eigentümliche Erlebnisfähigkeit undeine spezifische Art, auf Erlebtes zu rea-gieren. Einen Beweis dafür liefern die Ge-schichten, die hier umgehen oder die nur-hier möglich wären. In seinen Geschich-ten bewahrt sich Bollerup seine Eigenart,seinen verbogenen Charakter, meinetwe-gen: sein zweites Gesicht. Mir scheint, siehaben so viel eingrenzenden und bezeich-nenden Wert, daß man sie auch Geschich-ten vom Lande nennen könnte. Doch daswird den Bollerupern gleichgültig sein: ichmeine allerdings nicht die Einwohner desbekannten Bollerup, sondern die aus ei-nem anderen Dorf gleichen Namens,nördlich von Kiel gelegen bzw. südlichvon Aabenraa.

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Ein Bein für alle Tage

In Bollerup, Nachbarn, läßt sich der Windnicht aufhalten: kommt frisch von derOstsee heran, der er seine torkelndenSchaumlichter aufsetzt, staut sich an derausgewaschenen Steilküste, wird abge-lenkt, drückt sich flach durch die Rinneund hat freien Zugang zum Dorf. Da hältihn kein Knick auf und kein beliebterMischwald, forsch fällt er ein und ver-wechselt, möcht' ich mal sagen, das abfal-lende Roggenfeld mit der Ostsee: bringtdie Halme in Aufruhr, will sie zur Fluchtveranlassen, möchte sie vielleicht vor sichherwerfen wie Wellen und aus den Ährenein bißchen planlosen Schaum schlagen,und wenn ihm dies auch nicht gelingt —dem Roggenfeld selbst verschafft er uner-wartete Bewegung: duckt und schleudertes, walkt es durch, läßt es den Hang hin-auflaufen und all so'n Zeug.

Immer, wenn ich in Bollerup zu Besuchbin, nehme ich mir Zeit, den Wind im Ge-treide zu beobachten, was er so anstelltund sich einfallen läßt, um, beispielsweise,

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Schatten zu machen oder das Auge derartzu täuschen, daß man mitunter glaubt,man könnte mit einem Kahn übers Feldfahren.

Als ich das letzte Mal auf dem Hünen-grab saß und den Wind beobachtete, warJens Otto Dorsch gerade beim Mähen; erist ein Großneffe meines Schwagers undheißt, wie dieser, Feddersen, aber da inBollerup nur wenige Leute anders heißenals Feddersen, ist man übereingekommen,sich einen Zusatznamen zu geben, damitman sich, was ich verstehen kann, gele-gentlich voneinander unterscheidet. Die-ser Jens Otto Dorsch also saß auf demWippsitz seiner Mähmaschine — er lehntees ab, einen Mähdrescher anzuschaffen —,saß mürrisch und gedankenlos, nahm daswogende Feld von außen an, umrundetees Mal für Mal, wobei er, sagen wir mal,den Wind immer ärmer machte, ihm nurkurze Stoppeln überließ. Mähend fuhr erzur Küste hinunter, dann ein Stück paral-lel zum Strand — eine Strecke, auf der erwie ein Reiter erschien, der durch einlehmhelles, mäßig bewegtes Gewässerschwamm —, wendete kurz und kam zumMischwald herauf, nie pfeifend oder sin-gend, obwohl es auf Feierabend zuging.

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Alles, was er zeigte, war ein lustloses In-teresse, dem Wind das Feld wegzumähen— womit er ungefragt den Leuten von Bol-lerup recht gab, die ihm den ZusatznamenDorsch gegeben hatten.

Ich kann mich nicht erinnern, wie oft erum das Feld fuhr und da tätig war; jeden-falls hatte er das schwankende Rechteckerheblich verkleinert, ohne ein einzigesMal anzuhalten, hatte weder den Pferdenein Wort gegönnt noch sich selbst — dasetzte, zu meiner Überraschung, das Klap-pern aus und das ratternde Geräusch derscharf zahnigen Schneidemesser, die ausbestem Metall gearbeitet sind. Ich sprangauf, kletterte auf die zeitgraue Steinbank,womit sie dem Hünen, meinetwegen, dieBrust beschwert hatten, denn ich wolltegenau erfahren, warum Jens Otto Dorschseine Arbeit unterbrach, jetzt sogarabstieg und um die Mähmaschine herum-ging, die wie ein — na, sagen wir: beschä-digtes Rieseninsekt aussah mit ihrenGreifstangen, dem schrägen Flügelarmund all ihrem schwenkbaren und auszieh-baren Gestänge.

Der Dorsch ging um die Maschine her-um, trat hier mal gegen und da mal,blickte mürrisch, vorwurfsvoll, horchte

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mit schräggelegtem Kopf, klopfte, undschließlich beugte er sich tief über die Ma-schine, wobei er, allem Anschein nach,entdeckte, wo der Schaden lag. Da waretwas in die Messer geraten, in die scharf-zahnigen Messerketten, die gegeneinanderarbeiteten; etwas hatte sich festgeklemmt,ein Stein, ein Stück Holz, ein ganzer Astwomöglich, und um seine Maschine wie-der in Gang zu bekommen, schwang sichder Dorsch auf ein Trittbrett und ließ sichvon dort in die offene, luftig gebaute Ma-schine hinab. Er fand Boden unter denFüßen, griff, wie ich beobachten konnte,mit beiden Händen nach dem sperrendenGegenstand, zerrte, ruckte heftig und zogaus den Messerketten, die, ich möchtewiederholen, aus allerbestem Metall gear-beitet sind, eine armdicke Astgabel, diedie Messer nur deshalb nicht hattendurchsäbeln können, weil die Gabel zuelastisch war, keinen Widerstand bot.

Gut, erst einmal bis hierher, und amliebsten nur bis hierher: denn wenn's nachmir gegangen wäre, hätte ich den JensOtto Dorsch aufsitzen, anfahren und füralle Zeit weitermähen lassen; aber die Ge-schichte besteht darauf, daß er noch einWeilchen in der offenen Mähmaschine

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stehenbleibt, an der Astgabel zerrt undsich, von mir aus, verlegen den Kopfkratzt — was man ja mitunter von Land-leuten lesen kann.

Ich jedenfalls sehe ihn dort noch tätigsein, sehe ihn zumindest mit einem Augeso, während ich mit dem andern Augelängst Lothar Emmendinger erkannt habe,einen Feinkosthändler aus Kiel, der es sichzur Aufgabe gemacht hatte, Bollerup vonder Herrschaft der Kaninchen zu befreien.Der ordentliche Jagdpächter trat mitschußbereiter Flinte aus dem Mischwald,warf den Kopf nervös hin und her, hobdas Gewehr, ließ es sinken, schien überallKaninchen zu sehen, wo ich keine sah, er-freute sich weder am Abendrot noch amSpiel des Winds im Roggen, und auf ein-mal stürzte er auf das Feld hinaus, riß dasGewehr hoch und schoß. Schoß, ja, undlief, von üblicher Erregung getragen, biszur Küste hinab, gerade so, als verfolge erdas fliehende Kaninchen, das sein Heil, sa-gen wir mal, am Strand, vielleicht sogarauf dem Wasser suchte.

Auch jetzt konnte ich kein Kaninchenerkennen, wenngleich ich zugeben muß,daß der Schuß nicht wirkungslos geblie-ben war: wie man sich erinnert, stand Jens

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Otto Dorsch in der offenen Mähma-schine; die Pferde, zwei braune Holsteinervon schlichter Gemütsart, standen ange-schirrt davor, und als der Schuß fiel, tatensie, was sie für ihr Recht hielten: sie gin-gen durch. Die Pferde sprangen panischins Geschirr, tief erschreckt, vor allem er-schreckt, zogen mit der Kraft, die derSchrecken angeblich verleihen soll, an undsausten in unnatürlich gehemmtem Ga-lopp übers Feld. Die Räder der Maschinebegannen sich zu drehen, das Greifge-stänge zu greifen, die Flügelarme zu schla-gen, und die scharfzahnigen Messerkettenbegannen zu arbeiten.

Daran konnte sie auch Jens OttoDorsch nicht hindern, der, als die Ma-schine in gewaltsame Bewegung geriet,einfach herausgeschleudert wurde wie,ich möchte sagen, wie eine besondersschwere, lose gebundene Roggengarbe, aufdas Feld fiel und dort liegenblieb. Dochnoch während des Falls bemerkte ich — derich von meinen Verwandten für scharfäu-gig gehalten werde —, daß der Jens Ottoeigentümlich verkürzt war, besonders ei-nes seiner Beine schien mir nicht die or-dentliche Länge zu haben — was ich, ingeschwinder Erkenntnis, der Qualität der

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Messerketten zuschrieb. Jedenfalls bliebder mürrische Mensch auf den Stoppelnliegen, rührte sich nicht, und das machtemich sozusagen kopflos: in dem heftigenVerlangen, dem verkürzten Dorsch Hilfezu bringen, und zwar verständige Hilfe,stürzte ich den ausgefahrenen Weg nachBollerup, und fand keinen, fand ein ausge-storbenes Dorf; und so klopfte ich beiWilhelm Feddersen, der Axt. Sie nanntenihn in Bollerup die Axt, weil er unweiger-lich alles spaltete, womit er in Berührungkam. Hastig teilte ich ihm mit, was ichbeobachtet hatte, und merkte erst zumSchluß, daß die Axt schweißglänzend un-ter schwerem Zudeck lag, teilnahmslos,mit hohem Fieber.

So lief ich, ärgerlich über mich selbst,weiter zu Fedder Feddersen, dem Leucht-turm, erzählte ihm von dem Unglück, ließes jedoch nicht genug sein, sondern weihteaußerdem noch Jörn, Gudrun und LarsFeddersen ein, die, ihrer Eigentümlichkeitentsprechend, der Knurrhahn, die Kräheund der Rammler hießen. In der erwähn-ten Reihenfolge strebten die Genanntendem Roggenfeld zu, um dem verkürztenJens Otto Dorsch Hilfe zu bringen. Ichkam als letzter an.

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Kam an, trat aus dem Mischwald, undsah den Dorsch auf dem Wippsitz seinerMähmaschine, mürrisch und gedankenlos,wie es ihm entsprach. Das verblüffte michso sehr, daß ich mir ein Herz faßte, näherheranging und meinen Blick, möcht' ichmal sagen, gleichmütig zu dem verkürztenBein hob. Ich erkannte sofort, daß daslinke Bein etwa um die Hälfte kürzer war,erkannte aber auch, an einem Haken ne-ben dem Wippsitz, das passende Stück,das dort sachgemäß mit Hilfe von Schnür-senkeln angebunden war.

Es war ein Holzbein. Es baumelte insanftem Rhythmus hin und her. Fragend,vielleicht auch verstört blickte ich zu JensOtto Dorsch auf, und er sagte: »War mannur mein Alltagsbein, das die Messer ka-puttgehauen haben. Wär' mir das passiertmit der Ausführung für sonntags, hätt' ichmich mehr geärgert! Denn das Sonntags-bein, das zu Hause steht, ist aus Eiche.Dies aber ist man nur aus Fichtenholz.Hüh.«

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Das unterbrochene Schweigen

Zwei Familien, Nachbarn, gab es in Bolle-rup, die hatten seit zweihundert Jahrenkein Wort miteinander gewechselt — ob-wohl ihre Felder aneinandergrenzten, ob-wohl ihre Kinder in der gleichen Schuleerzogen, ihre Toten auf dem gleichenFriedhof begraben wurden. Beide Fami-lien hießen, wie man vorauseilend sich ge-dacht haben wird, Feddersen, doch wollenwir aus Gründen der Unterscheidung dieeine Feddersen-Ost, die andere Fedder-sen-West nennen, was auch die Leute inBollerup taten.

Diese beiden Familien hatten nie einWort gewechselt, weil sie sich gegenseitig— wie soll ich sagen: für Abschaum hiel-ten, für Gezücht, für Teufelsdreck mitun-ter; man haßte und verachtete sich so dau-erhaft, so tief, so vollkommen, daß manauf beiden Seiten erwogen hatte, den Na-men zu ändern — was nur unterbliebenwar, weil die einen es von den andernglaubten erwarten zu können. So hießman weiter gemeinsam Feddersen, und

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wenn man die Verhaßten bezeichnenwollte, behalf man sich mit Zoologie,sprach von Wölfen, Kröten und Raub-aalen, Kreuzottern und gelegentlich auchvon gefleckten Iltissen. Was den Anlaß zuzweihundertjährigem Haß und ebensolangem Schweigen gegeben hatte, warnicht mehr mit Sicherheit festzustellen;einige Greise meinten, ein verschwunde-nes Wagenrad sei die Ursache gewesen,andere sprachen von ausgenommenenHühnernestern; auch von Beschädigungeines Staketenzauns war die Rede.

Doch der Anlaß, meine ich, ist unwich-tig genug, er braucht uns nicht zu interes-sieren, wohingegen von Interesse seinkönnte, zu erfahren, daß in beiden Fami-lien alles getan wurde, um dem Haß dau-erhaften Ausdruck zu verleihen. Um nurein Beispiel zu geben: Wenn in einer Fa-milie die Rede auf den Gegner kam, mach-ten eventuell anwesende kleine Kinder un-gefragt die Geste des Halsabschneidens,und wie mein Schwager wissen will, ver-färbten sich sogar anwesende Säuglinge —was ich jedoch für eine Mißdeutung halte.Fest steht jedoch, daß die Angehörigenbeider Familien bei zwangsläufigen Be-gegnungen mit geballten Fäusten wegsa-

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