DU KONNTEST DEN TALIBAN ENT- KOMMEN. DIE SCHÜSSE … · Interview mit Anikó Bakonyi, ungarisches...

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DU KONNTEST DEN TALIBAN ENT- KOMMEN. DIE SCHÜSSE DER GRENZSOLDATEN HABEN EINEN ANDEREN GETROFFEN. ER STARB IN DEINEN ARMEN. DAS LETZTE STÜCK NACH EUROPA BIST DU GESCHWOMMEN. HIER ERKLÄRT MAN DIR: DU BEKOMMST KEINEN SCHUTZ! FLÜCHTLINGSRECHTE SIND MENSCHENRECHTE TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

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DU KONNTEST DEN TALIBAN ENT-KOMMEN. DIE SCHÜSSE DER GRENZSOLDATEN HABEN EINEN ANDEREN GETROFFEN. ER STARB IN DEINEN ARMEN. DAS LETZTE STÜCK NACH EUROPA BIST DU GESCHWOMMEN.HIER ERKLÄRT MAN DIR: DU BEKOMMST KEINEN SCHUTZ!FLÜCHTLINGSRECHTE SIND MENSCHENRECHTE

TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Warum fliehen Menschen?

Welchen Gefahren sind sie ausgesetzt?

Welche Wege müssen sie beschreiten, welche Hindernisse überwinden?

Wo und unter welchen Umständen finden sie Schutz?

Antworten auf diese Fragen gibt die Ausstellung »ASYL IST MENSCHENRECHT« – nun in zweiter, erweiterter Auflage!(September 2016)

Die Plakatausstellung ist bei PRO ASYL erhältlich und eignet sich besonders für Schulen, Gemeinden und lokale Initiativen.

Die Ausstellung besteht aus 37 Einzelplakaten im Format A1 und kostet 64 Euro zzgl. 16 Euro Versandkosten. Die Begleitbroschüre ist für 2 Euro pro Stück oder im 30er-Paket für 24 Euro zzgl. Versandkosten erhältlich.

Weitere Informationen und Bestellung unter: www.proasyl.de/material

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3TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Flüchtlingsrechte sind Menschenrechte: Das klingt selbst-verständlich, tatsächlich aber wird darum gerungen. Wie mit Flüchtlingen umgegangen wird, ist eines der

richtungsweisenden Themen unserer Zeit. Mit der großen Zahlder Menschen, die vor Menschenrechtsverletzungen, Gewalt,Verfolgung und Konflikten fliehen müssen, hat auch eine all gegenwärtige Politisierung des Flüchtlingsthemas stattge-funden. »Wir sind heute an einem wichtigen Scheideweg an -gelangt – mit Blick darauf, wie Flüchtlinge wahrgenommenwerden und wie die Welt auf ihr Leid reagiert«, so UN-Flücht-lingskommissar Filippo Grandi.

In Europa hat fehlende Solidarität zwischen den EU-Mitglieds-staaten eine Situation heraufbeschworen, die von vielen mitÜberforderung gleichgesetzt wurde. Das Problem waren je-doch die fehlende Verantwortungsteilung und die mangelndeBereitschaft zu gemeinsamem Handeln.

Um gemeinsam Verantwortung für Menschen zu übernehmen,die vor Verfolgung und Krieg in Europa Zuflucht suchen, ist esaus Sicht des UNHCR notwendig, das Vertrauen in ein funktio-nierendes gemeinsames System wiederherzustellen. Dabeisollte das Hauptaugenmerk auf effizienten und fairen Asylver-fahren und innereuropäischer Solidarität liegen. Problematischsind aus Sicht von UNHCR Überlegungen, in der EU angekom-mene Schutzsuchende systematisch auf Schutzmöglichkeitenaußerhalb der Mitgliedsstaaten zu verweisen. Angesichts derglobalen Herausforderungen von Flucht und Vertreibung darfes nicht darum gehen, den Zugang zu Schutzmöglichkeiteneinzuschränken.

Eine faire Verantwortungsteilung gerade auch mit Aufnah -meländern außerhalb Europas bedeutet neben gezielter Unterstützung dieser Länder und der aufnehmenden Gemein-schaften auch, eine angemessene Zahl schutzbedürftigerMenschen durch Resettlement und humanitäre Programmeaufzunehmen. 360.000 Menschen haben im vergangenen Jahr den gefährlichen Weg über das Mittelmeer gewagt, umSchutz in Europa zu suchen. Das kleine Uganda hat im glei-chen Zeitraum etwa eine halbe Million Flüchtlinge aus demSüdsudan aufgenommen. Nach wie vor befinden sich fünf Millionen syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens.

Im September 2016 hat die Generalversammlung der Verein-ten Nationen eine Erklärung für Flüchtlinge und Migrantenverabschiedet. Unmissverständlich wird darin klargestellt, dassder Flüchtlingsschutz eine internationale Aufgabe ist. Es kannnicht einzelnen Staaten aufgrund ihrer geographischen Nähezu Konflikten überlassen bleiben, für den FlüchtlingsschutzVerantwortung zu übernehmen. Bis Ende nächsten Jahres soll ein Globaler Pakt für Flüchtlinge erarbeitet werden, der die internationale Verantwortungsteilung für den Flüchtlings-schutz in den Mittelpunkt stellt, vor allem mit Blick auf die Situation in Erstaufnahmeländern von Flüchtlingen.

Deutschland und Europa sind als maßgebliche Akteure der internationalen Gemeinschaft gefordert, sich den globalen Herausforderungen zu stellen. Die in New York ausdrücklichbestätigten Prinzipien des internationalen Flüchtlingsschutzessehen die Teilung, nicht die Verlagerung der Verantwortungvor. Schutzsuchende dürfen deshalb nicht pauschal abgewie-sen werden und die organisierte Aufnahme von Flüchtlingenaus Erstaufnahmestaaten muss stark ausgebaut werden. Diesgilt auch für die Unterstützung dieser Länder und Gemein-schaften. Das Verhalten Europas wird Maßstäbe setzen. Vielsteht auf dem Spiel: Es geht um nichts weniger als die Zukunftdes internationalen Flüchtlingsschutzes. <<

Katharina LumppVertreterin des Hohen Flüchtlingskommissarsder Vereinten Nationen in Deutschland

VERANTWORTUNG TEILEN,NICHT ABGEBEN GRUSSWORT DER UNHCR-VERTRETERIN FÜR DEUTSCHLAND, KATHARINA LUMPP

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4 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

INHALT

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5TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

3 Verantwortung teilen, nicht abgeben

Grußwort der UNHCR-Vertreterin für Deutschland, Katharina Lumpp

Recht auf Asyl wird zur Fata Morgana6 Anhaltende Fluchtbewegungen

Günter Burkhardt, PRO ASYL

Wie der Staat der Willkommenskultur Grenzen setzt10 Staatliche Unkultur

Bernd Mesovic, PRO ASYL

Abschiebungen nach Afghanistan14 Gegen alle Vernunft und Humanität

Max Klöckner, PRO ASYL

De Maizière meint’s Ernst16 Die Mär vom »sicheren« Afghanistan

Anđelka Križanović, PRO ASYL

Familie unerwünscht17 Politisches Herzversagen

Karim Al Wasiti, PRO ASYL/Flüchtlingsrat Niedersachsen

Wie Flüchtlingen aus Eritrea der Schutz verwehrt wird20 Weil Wehrdienst nicht gleich Wehrdienst ist

Bellinda Bartolucci, PRO ASYL

Zur Situation minderjähriger Flüchtlinge22 Von Gleichbehandlung weit entfernt

Adam Naber, Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF e.V.)

Flüchtlingshelferin wurde in Bulgarien verhaftet24 »Ist nur die Würde der deutschen Menschen unantastbar?«

Interview mit Franziska Hagelstein

EU-Türkei-Deal26 Labor Ägäis: eine Blaupause für Europa

Karl Kopp, PRO ASYL

Refugee Support Aegean29 Gezielte Unterstützung für Schutzsuchende

in Griechenland

Orbanisierung Europas30 Flüchtlingspolitik am Nullpunkt

Karl Kopp, PRO ASYL

Grenz- und Alibi-Flüchtlingsschutz außerhalb Europas31 Externalisierung der Verantwortung

Judith Kopp, PRO ASYL

Reportage 34 Ohne Rücksicht auf Verluste

Krsto Lazarević, Journalist bei »Jib Collective«

Illegale Push-Backs, Flüchtlinge in Haft und NGOs unter Druck36 »Die Hasskampagne hat das gesellschaftliche Klima

verändert«

Interview mit Anikó Bakonyi, ungarisches Helsinki-Komitee

Reportage38 In den Baracken auf der Balkanroute

Krsto Lazarević, Journalist bei »Jib Collective«

Nach drei Jahren endlich als Flüchtling anerkannt40 »In Marokko gelten Homosexuelle nicht als Menschen«

Interview mit Zouhair

Rechte Gewalt gegen Asylsuchende42 Es hört nicht auf

Marius Münstermann/Timo Reinfrank, Amadeu Antonio Stiftung

Konzept der »Bleibeperspektive« ist unfair46 Die Mär von guten und schlechten Flüchtlingen

Max Klöckner/Miriam Fehsenfeld, PRO ASYL

Arbeitsmarktpolitik47 Lotterie der Chancen

Dr. Stephan Dünnwald, Bayerischer Flüchtlingsrat

Menschenrechtspreis der Stiftung PRO ASYL 201749 Wolfgang Seibert/Doris Otminghaus

Kerstin Böffgen, PRO ASYL

Rückblick50 Zahlen und Fakten 2016

Max Klöckner/Miriam Fehsenfeld, PRO ASYL

54 PRO ASYL sagt Danke

55 Adressliste

57 Bestell- und Materialliste

59 Impressum

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ANHALTENDEFLUCHTBEWEGUNGEN RECHT AUF ASYL WIRD ZUR FATA MORGANA

Die Bundesregierung und die Regierungschefs der EU-Staaten sind auf der Flucht.Sie fliehen vor der Realität. Vor Europas Grenzen tobt mit unerbittlicher Härte derKrieg in Syrien und in Deutschland wird das Asyl- und Aufenthaltsrecht weiterverschärft. An Europas Grenzen steht die Zukunft des Flüchtlingsschutzes auf demSpiel. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, ob das Recht auf Asyl in Europa noch erreichbar ist. Es besteht die Gefahr, dass es zu einer FataMorgana wird: Ein schönes, aber unerreichbares Trugbild.

Günter Burkhardt, PRO ASYL

Auf der Flucht ist auch die europä -ische Öffentlichkeit. Die Empö-rung konzentriert sich auf Trump,

auf den geplanten Mauerbau an derGrenze zu Mexiko, auf Abschottungs-maßnahmen an Flughäfen. Wo aberbleibt die Empörung über Menschen-rechtsverletzungen an und vor EuropasGrenzen? Das Leid der Flüchtlingeschwindet aus der öffent lichen Wahr-nehmung.

Türkei: Bollwerk Europas

Die Türkei hat die Grenze zu Syrien ab-geriegelt. Immer wieder berichtenFlüchtlinge, dass dort auf sie geschossenwird. Bereits am 7. Januar 2016 hat dieTürkei die Visumpflicht für syrischeFlüchtlinge eingeführt. Damit ist eine legale Einreise aus Syrien beispielsweiseüber den Libanon in die Türkei kaumnoch möglich. Die Zahl der Flüchtlinge,

die es überhaupt in die Türkei schaffen,geht seither zurück.

Infolge des EU-Türkei-Deals wurde derWeg von der Türkei nach Europa ver-sperrt. Nur wenigen gelingt die Fluchtnach Europa. Wer es dennoch schafft,soll zurückgeschickt werden. Statt aufein faires Asylverfahren, in dem dieFluchtgründe geprüft werden, wartendie Betroffenen auf die Abschiebung in

Türkisch-bulgarischerGrenzübergang bei Lesovo, Sep. 2016© Reuters/Stoyan Nenov

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die Türkei. Es wird nicht mehr gefragt,ob jemand vor Krieg, Terror und Verfol-gung geflohen ist und Schutz braucht.Die entscheidende Frage, die manFlüchtlingen stellt, ist: Warum sind Sienicht in der Türkei geblieben? Das ist der Kern des EU-Türkei-Deals.

Ein Jahr lang haben sich die Mitarbeiten-den des PRO ASYL-Projekts in Griechen-land und viele andere Initiativen, aberauch Gerichte und staatliche Behörden,gegen menschenrechtswidrige Abschie-bungen in die Türkei gestemmt. Nun erhöht die EU den Druck, will Griechen-land zwingen, rigoros zurückzuschicken.Dabei hat die Türkei Flüchtlingen nochnie Schutz nach der Genfer Flüchtlings-konvention gewährt. Sie ist kein »siche-rer Drittstaat«, erst recht nicht, seit siesich in rasanter Geschwindigkeit von einem Rechtsstaat entfernt.

10 Jahre Menschenrechtsver -letzungen in Griechenland

Gemeinsam mit griechischen Partnernmachte PRO ASYL 2007 die katastropha-len Zustände in Griechenland öffentlich.Erstmals wurde Europa auf die gravie-renden Menschenrechtsverletzungen in Griechenland aufmerksam. Damalswurden Flüchtlinge rechtswidrig untermenschenunwürdigen Bedingungen in

Fabrikhallen inhaftiert. Der Unterschiedzu heute: Damals wussten sie, dass sienach drei Monaten mit der Aufforde-rung, Griechenland zu verlassen, aus derHaft entlassen werden und die Chancehaben, ein anderes europäisches Landzu erreichen.

Und heute: Immer noch sitzen auf dengriechischen Inseln mehr als zehn -tausend Schutzsuchende fest, denennach Inkrafttreten des EU-Türkei-Dealsam 20. März 2016 die Flucht nach Grie-chenland gelang. Sie werden in not -dürftigen Unterkünften festgehalten, in Zelten, umzäunt von EU-finanziertemStacheldraht. Ein Beispiel ist das Haft -lager Moria auf Lesbos. Tausende warenim Winter in schneebedeckten Som -merzelten klirrender Kälte ausgesetzt. Selbst Tote schrecken nicht mehr auf. Ein 46-jähriger Syrer wurde am 28. Janu-ar 2017 tot in seinem Zelt in Moria ge-funden. Er hatte giftige Dämpfe aus einer provisorischen, selbst gebautenHeizung eingeatmet. Wenige Tage zu-vor war bereits ein 22 Jahre alter ägyp -tischer Flüchtling gestorben. Es ist skandalös, dass Europa hier wegsieht.Menschenrecht und Menschenwürdewerden dem Ziel der Grenzabschottunggeopfert – koste es, was es wolle.

Tödliche Folgen der Abriegelung

Europas Mauer ist sichtbar und unsicht-bar zugleich. Legale Wege werden ver-sperrt, Visa werden nicht erteilt. Die Aufnahmeprogramme der Bundesregie-rung für Angehörige syrischer Flüchtlin-ge wurden sang- und klanglos beendet.Selbst das Recht, als Familie zusammen-zuleben, wird Flüchtlingen verwehrt:Wer als politisch verfolgt anerkannt ist,wartet Monate auf die Erteilung einesentsprechenden Visums. Noch härtertrifft es die ergänzend Geschützten: Fürsie hat die große Koalition den Familien-nachzug für zwei Jahre ausgesetzt. DieFolgen dieser inhumanen Politik: Flücht-linge verzweifeln, Familien zerbrechen,Menschen sterben. Am 23. März 2017kenterte ein Flüchtlingsboot in der Ägäis, an Bord Frau und Kinder eines in Deutschland lebenden Flüchtlings.Zwei Jahre war die Familie getrennt. Der Mann erhielt nur subsidiären Schutzin Deutschland, Frau und Kinder flohenspäter aus Syrien in die Türkei. Als dieHoffnung auf ein Visum schwand, gin-gen auch sie den riskanten Weg. Wennalle legalen Wege verbaut sind, suchendie Menschen illegale Wege, in diesemFall mit tödlichem Ende. Die skandalöseTrennung von Familien, vom DeutschenBundestag, von CDU/CSU und SPD

Erbärmliche Zuständeim EU-»Hotspot« Moria auf Lesbos, Jan. 2017© Salinia Stroux

beschlossen, muss beendet werden. DasGrundgesetz schützt die Familie, nichtnur die deutsche.

Abschottung nach australi-schem Vorbild

Seit Jahren interniert Australien Flücht-linge in Lagern hunderte Kilometer vonder australischen Küste entfernt. Ähn -liches scheint Europa zu planen. Im ersten Schritt wurde die Türkei zum Boll-werk gegen Flüchtlinge ausgebaut, dieÄgäis-Inseln wurden zum Flüchtlings -lager Europas. Die Balkanroute wurdemit Zäunen versperrt. Nun wird im zen-tralen Mittelmeer und in Nordafrika ab-geriegelt: Die Bundesregierung treibtgemeinsam mit den anderen EU-Staatenden Bau einer Art Doppelmauer voran.Deutsche Beamte schulen die libyscheKüstenwache, aus Seenot Gerettete sollen nach Libyen zurückverfrachtetund dort an Land gebracht werden. Umdas Flüchtlingsthema vollends aus demBlick der Öffentlichkeit zu verdrängen,soll zugleich die Südgrenze Libyens ab-geriegelt werden.

Diese Maßnahmen richten sich gegenFlüchtlinge, auch aus Eritrea, einer bru-talen Militärdiktatur. Wer es von dort bis nach Deutschland schafft, hat guteChancen auf Schutz. Eritrea zwingt allejungen Männer und Frauen in einenzeitlich unbefristeten Militärdienst. Allewissen, es wird gefoltert. Wer vor demRegime flieht, kann nicht zurück. Dochwie wirkt sich dies in den Asylverfahrenaus?

Entscheidungspraxis des Bundesamtes

Obwohl sich am Verhalten des brutalenRegimes in Eritrea nichts geändert hat,sinkt die Anerkennungsquote eritre -ischer Flüchtlinge nach der GFK von circa 97 Prozent im Januar 2016 auf nurnoch 59 Prozent im Februar 2017. Dieperfide Logik vieler Bescheide: Werflieht, bevor die Aufforderung zum Mili-tärdienst ergangen ist, hat noch keineVerfolgung erlitten und erhält keinenFlüchtlingsschutz nach der GFK, son-dern nur subsidiären Schutz. Eine absur-de Argumentation, die dazu führt, dass

die hier Ankommenden in der Regelzwar nicht zurückgeschickt werden, dieFamilienangehörigen jedoch nicht ge-rettet werden können.

Das Bundesamt für Migration und Flücht-linge (BAMF) steht unter enormem, poli -tischen Druck: Fabrikmäßig organisiertent schei det es in kürzester Zeit überzehntausende von Schutzsuchenden. ImHau ruck verfahren wurden mangelhaftqualifi zier te und unzureichend geschul-te Mitarbeiter*innen eingestellt, die nun Verantwortung für Menschenlebentragen. Der Druck, schnell zu entschei-den, führt zu Hektik und einem Mangelan Sorgfalt: Fluchtgründe werden nicht aufgeklärt oder schlicht ignoriert.

Ein Beispiel zur Illustration: Eine syrischeFamilie nimmt eine verfolgte Christinauf. Diese wird erschossen, der Familiewird gedroht, sie flieht. Der fluchtaus -lösende Sachverhalt wird in drei Zeilennotiert, durch keinerlei Nachfragen weiter aufgeklärt. Stattdessen folgt ab-rupt die Frage, was die Antragstellerinbei einer Rückkehr erwarte. Die An -hörung dauert insgesamt 25 Minuten,zuerkannt wird nur subsidiärer Schutz – zu Unrecht. Wenn die Anhörung unterZeitdruck stattfindet, unzureichend pro-tokolliert wird und Fluchtgründe nichtermittelt werden, sind Fehlentschei -dungen die Folge. Wenn in Protokollenkaum etwas steht, wird es schwierig, vor Gericht erfolgreich gegen Fehlent-scheidungen vorzugehen. Korrekturenund Ergänzungen werden als unglaub-würdig angesehen.

Die Schutzquote sinkt vor allem bei afghanischen Flüchtlingen. Im Novem-ber 2015 verkündete der Bundesinnen-minister: »Unsere (…) Sorge ist im Moment in Europa die große Zahl derFlüchtlinge aus Afghanistan. Wir wollen,dass in Afghanistan das Signal ankommt:Bleibt dort! Wir führen euch aus Europa(…) direkt nach Afghanistan zurück!«Tatsächlich sinkt die Schutzquote vonfast 80 Prozent in 2015 auf unter 50 Pro-zent im Februar 2017. Seit Beginn derAbschiebungen nach Afghanistan imDezember 2016 häufen sich Ablehnun-gen mit dem Argument, es gäbe eine inländische Fluchtalternative. Daruntersind auch Fälle, in denen eindeutig

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Plakat zum Tag desFlüchtlings am 29. September 2017,kostenfrei zu bestellenbei PRO ASYL (zzgl. Versand)

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Fluchtgründe vorliegen. Ein Beispiel: Der Flüchtling S. informiert die örtlichePolizeikommandantur in Afghanistanüber Spionagetätigkeiten der Taliban. Er wird bedroht und findet im Gästehausder Polizei Schutz. Die Taliban ermordendaraufhin den Polizeichef. Und das Bun-desamt? Es lehnt den Asylantrag desFlüchtlings ab und verweist auf eine an-gebliche inländische Fluchtalternative.Der Flüchtling hätte sich schließlich unter den Schutz einer anderen Polizei-station stellen können.

PRO ASYL hat mit Verbänden, AmnestyInternational, Rechtsanwält*innen undRichter*innenvereinigungen die Praxisdes Bundesamtes analysiert und aufFehlentwicklungen öffentlich und nicht-öffentlich aufmerksam gemacht. Zwarstrebt das BAMF nun an, dass anhören-de und entscheidende Person wiederidentisch sind und erfüllt damit einewichtige Forderung von PRO ASYL. Aber:Unfair verlaufende Asylverfahren unddas Unterstellen einer de facto nichtexis tierenden inländischen Fluchtalter-native sind Ursache vieler Ablehnungen.Die Asylanträge von über 20.000 Flücht-lingen aus Afghanistan wurden im ersten Quartal 2017 abgelehnt.

Aus dem Auge, aus dem Sinn

Oft sind es Ehrenamtliche, die Flücht -linge begleiten, die Rechtsanwälte, Initiativen oder Organisationen wie PROASYL auf skandalöse Fehlentwicklungen

aufmerksam machen. Der direkte Kon-takt mit den Flüchtlingen ist entschei-dend, doch der wird künftig erschwert.Nach dem Willen der Koalition sollen die Bundesländer ermächtigt werden,Flüchtlinge bis zum Ende des Asylver-fahrens in Erstaufnahmelagern fest -zuhalten. Abschiebungen sollen direktvon dort aus erfolgen. Diese Lager derPerspektivlosigkeit gibt es bereits fürFlüchtlinge aus angeblich sicheren Herkunftsstaaten. Nun werden die Bun-desländer ermächtigt, sie für alle Asyl -suchenden, insbesondere für die soge -nannten »Dublin-Flüchtlinge« einzufüh-ren und diese bis zur Abschiebung dortfestzuhalten. Der Entwurf zur Dublin IV-Verordnung sieht vor, dass die bisherigesechsmonatige Überstellungsfrist ent-fällt. Zeitlich unbefristet soll in die Erst -einreisestaaten der EU abgeschobenwerden können.

Flüchtlingsrechte sind Menschenrechte

Deutschland rückt in atemberaubenderGeschwindigkeit nach rechts. Aus Angstvor Wahlverlusten versuchen politischeParteien, rechtspopulistische Stimmun-gen zu integrieren. Doch wer rechts -populistischer Stimmungsmache nach-gibt, hat schon verloren.

Es gilt, Haltung zu zeigen. Menschen-rechte sind die Grundlage des Zusam-menlebens in einer demokratischen Gesellschaft. Sie sind unveräußerlich

und nicht relativierbar. Sie müssen auchdann gelten, wenn es unpopulär zu sein scheint. Zudem ist fraglich, ob dieMehrheit in Deutschland tatsächlich so abwehrend eingestellt ist. Noch niesind so viele Menschen für den Schutzvon Flüchtlingen eingetreten. Doch ihre Erwartungen an eine Politik, die auf Humanität, rationalen Argumenten und Menschenrechten basiert, werdenignoriert.

Wir sind in Sorge angesichts der Stim-mungsmache. Die Rede von einer natio-nalen Kraftanstrengung für mehr Ab-schiebungen vergiftet Denken und Handeln. Auf den Sommer der Humani-tät im Jahr 2015 folgten lange Winter. Es ist Zeit aufzustehen und sich einzu -mischen: gegen einen Wahlkampf aufdem Rücken von Minderheiten, für dieRechte der Schutzsuchenden, für Men-schenrechte.

Es steht viel auf dem Spiel. Der Hass der Wenigen darf nicht die gesamte politische Debatte bestimmen. Es gehtum nichts weniger als um die Grund -lagen unseres Zusammenlebens und die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. <<

Nach wie vor setzen sich viele Menschen in Deutschland für Flüchtlinge ein. Doch die Politik enttäuscht immer häufiger ihre Erwartungen (links: Protestkundgebung, Poing, Jan. 2017; rechts: Demonstration für die Rechte von Flüchtlingen, Hamburg, Nov. 2015).

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Die Willkommenskultur des Jahres2015 – wir erinnern uns: es waretwas Reales, eine in diesem

Maße unerwartete Bereitschaft vielerMenschen, Flüchtlinge zu unterstützen.Kanzlerin Merkel hatte auf eine sich zu -spitzende humanitäre Notlage reagiert,als sie die deutsche Grenze für Asyl -suchende beherzt – und übrigens auchim Rahmen des geltenden Rechts – geöffnet hatte. Mit ihrem »Wir schaffendas« verstärkte sie einen Impuls, derlängst da war.

Doch wer war »Wir«? Während Bürgerin-nen und Bürger dieses Landes mit allerEnergie dafür sorgten, dass Neuankom-mende versorgt wurden und anschlie-ßend viele Monate lang Unterstützungerhielten, blieben die staatlichen Be -mühungen, eine menschenwürdigeFlüchtlingsaufnahme zu schaffen, weithinter den Möglichkeiten zurück.

Und schon früh setzte die Gegenbe -wegung ein: Schon im Herbst 2015meinte der Bundesinnenminister, afgha-nische Flüchtlinge hätten keine Flucht-gründe, weil »Wir« so viel Entwicklungs-hilfe ins Land gepumpt hätten. Roma-Flüchtlinge wurden zu diesem Zeitpunktbereits fast ausnahmslos wieder zurRückkehr gezwungen.

Verschärfter Abschiebungs -diskurs

Vor dem Hintergrund der tödlichen Anschläge des Jahres 2016 spitzte sichdie Debatte gegenüber Flüchtlingenschnell zu. Neben den Sicherheitsaspek-ten flammte ein Dauerbrenner wiederauf: das angebliche Vollzugsdefizit beider Durchsetzung von Abschiebungen.Dass nicht jeder, der im deutschen Asylverfahren scheitert, abgeschobenwerden darf oder kann, wissen alle Fach-leute – die verantwortlichen Politiker*in-nen verzichteten weitgehend darauf,dies zu erklären, sondern schwenktenein auf den verschärften Abschiebungs -diskurs und Kraftmeierei.

Angela Merkel, Deutschlands Madonnader Willkommenskultur, kündigte An-fang Januar 2017 eine »nationale Kraft-anstrengung« für mehr Abschiebungenan. Die ranzige Formulierung war wohlbewusst gewählt. Der CDU-Bundes -tagsabgeordnete Thorsten Frei meintebereits im Juli 2016: »Wir haben eineSpaltung der Gesellschaft und braucheneine neue Abschiebekultur.« Der CDU-Innenexperte im Bundestag, ArminSchuster, formulierte: »Wir braucheneine Abschiedskultur!« Ein garstig Wort,der Willkommenskultur zum letzten Geleit und ein Missbrauch des Kultur -begriffs. Jedenfalls werden sich vieleBürgerinnen und Bürger nicht aufge -rufen fühlen, sich an einer solchen Unkultur des Rauswurfs zu beteiligen.

Das (Des-)Integrationsgesetz

Einige Wegmarken staatlichen Kultur-verlusts seien aufgezählt: Am 31. Juli2016 trat das neue Integrationsgesetz in Kraft. In überschaubarer Dosis ent-

hielt es auch einige Verbesserungen für Flüchtlinge, so die Eröffnung einerAufenthaltsperspektive für junge Men-schen in Ausbildung. Ebenso wurde dieso genannte Vorrangprüfung auf dem Arbeitsmarkt teilweise abgeschafft.Gleichzeitig aber wurden neue Türen geöffnet für Kürzungen des Existenz -minimums im Rahmen des Asylbewer-berleistungsgesetzes. Besonders proble-matisch bleibt die Einführung einer sogenannten Wohnsitzauflage. Selbstanerkannten Flüchtlingen bleibt ver-wehrt, was Inländer*innen für ganzselbstverständlich halten würden: IhreChance auf Integration dort zu suchen,wo sie tatsächlich am größten ist. Ausguten Gründen haben einige Bundes-länder entschieden, dass sie die Wohn-sitzauflage nicht anwenden oder ab -mildern.

Wegsperren bis zur Abschiebung?

Als Reaktion auf den terroristischen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt inBerlin wurden weitere Vorschläge füreine Neustrukturierung der Sicherheits-und Ausländerpolitik ins Gespräch ge-bracht. So plädierte der Bundesinnen -minister dafür, dass künftig Personen inAbschiebehaft genommen werden, dieals Gefahr für die öffentliche Sicherheitgelten. Der Begriff des Gefährders aberist unscharf und die Abschiebehaft isteben nicht Straf- oder präventive Ver-waltungshaft. Sie dient allein der Sicher-stellung der Ausreisepflicht und mussrichterlich angeordnet werden.

Tatsächlich eingerichtet wurde im März2017 eine Art zentralisiertes Bundesaus-reisezentrum, um Abschiebungsprozes-se zu beschleunigen. Es hat schon früher

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STAATLICHE UNKULTURWIE DER STAAT DER WILLKOMMENSKULTUR GRENZEN SETZT

Eine nationale Kraftanstrengung bei der Abschiebung, forderte die Kanzlerin Anfang 2017. Diese Rhetorik der Regierung ist der Spiegel einer Politik, die sich seit Herbst 2015 immer skrupelloser gegen den Flüchtlingsschutz wendet.

Bernd Mesovic, PRO ASYL

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Ausreisezentren gegeben. Die Zahl dervon dort aus durchgeführten Rückfüh-rungen blieb allerdings weit hinter denErwartungen zurück. Eine relevante Zahlder Untergebrachten zog den dortigenLebensbedingungen und Schikanen dasschwierige Leben in der Illegalität vor.Man wird abwarten müssen, mit welcherHärte im neuen Bundesausreisezentrumvorgegangen wird.

Renaissance der Lager

Dass selbst Anfang 2017 viele Flücht -linge in Deutschland noch in Turnhallenund Notunterkünften untergebrachtsind, ist, anders als 2015, keineswegs nurder Effekt einer Notsituation. Immerdeutlicher wird, dass einige Länder undKommunen wieder zur alten Ideologieder Lagerunterbringung übergehen.Demnach ist der Bezug einer Privatwoh-nung eher die Ausnahme, die Lagerun-terbringung der Normalfall. Es dürfte allen Verantwortlichen, gerade denenauf kommunaler Ebene, deutlich sein,dass eine jahrelange Unterbringungohne Privatsphäre, ohne Möglichkeitender Selbstverpflegung, ohne Rückzugs-möglichkeiten ein Zustand ist, derschlimme Auswirkungen für die seeli-

sche Gesundheit und damit auch die Zu -kunftsperspektive der Betroffenen hat.Isolierte Massenunterkünfte erschwerenden Kontakt mit anderen Menschen. Ab-gelegene Unterbringung hat Signalwir-kung: Hier leben die Ausgegrenzten undUnerwünschten. Das macht viele Unter-künfte zu Anschlagszielen.

Wo diese Unterbringungspolitik nichtBestandteil einer geplanten Politik derAbschreckung ist, zeigt sich ein Effektder Unterbringungskrise Ende 2015/Anfang 2016: In vielen Regionen wur-den Flüchtlingsunterkünfte ohne öffent-liche Ausschreibung in Betrieb genom-men. Die Kommunen lieferten sich mit langfristigen und ungünstigen Ver -trägen für Großunterkünfte privatenProfiteuren aus. Da die Verträge oft nichtkurzfristig kündbar sind, werden Asy l -suchende als Füllgut von Unterkünftenbenutzt, wo sie längst in Privatwohnun-gen unterkommen könnten.

Unfaire Asylverfahren

Schon frühzeitig werden inzwischen dieSignale im Inland auf Rot gestellt. Dazugehört auch das offensichtliche, aktuelleZiel der Regierungspolitik, die Zahl der

Ablehnungen im Asylverfahren zu er -höhen. Die Ministerpräsidenten einerMehrheit der Bundesländer haben imBeschlusspapier zum Maßnahmenpaketformuliert: »In den nächsten Monatenwird das BAMF fortlaufend eine hoheZahl von Asylanträgen von Personen ab-lehnen, die keines Schutzes in Deutsch-land bedürfen.« Das klingt nicht mehrwie ein Bekenntnis zu fairen und quali-tätsüberprüften Asylverfahren. Dasklingt, als hätte man sich auf längst be-schlossene Grausamkeiten nur noch einzustellen. Tatsächlich ist seit einigen Monaten zu beobachten, dass das Bun-desamt das politisch Gewünschte liefert:in Form qualitativ schlechter Bescheideund eines Anstiegs ungerechtfertigterAblehnungen.

Rauswurf mit Starthilfe

Neben der Demonstration ihres Ab-schiebungswillens macht die Bundes -regierung Werbung für ihre Programmezur angeblich freiwilligen Rückkehr inden Herkunftsstaat. Das kommt medialan, ist aber nicht wirklich eine nachhalti-ge Unterstützung von Rückkehrer*in-nen.

Polizisten begleiteneine Abschiebung am Flughafen Leipzig-Halle, Nov. 2015© dpa/Sebastian Willnow

12 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Zum 1. Februar 2017 ist das Programm»Starthilfe plus« aufgelegt worden, dasAnreize für die Rückkehr auch in dieHauptverfolgerstaaten liefern soll. Aufder entsprechenden Liste stehen Syrien,Afghanistan, Iran, Irak, Eritrea und Soma-lia, wo Menschen zu Tausenden vorKrieg, Terror und politischer Verfolgungfliehen. Wer seinen Asylantrag zurück-nimmt, bevor sein Asylverfahren abge-schlossen ist, und Deutschland wiederverlässt, erhält 1.200 Euro. Nur noch 800Euro gibt es, wenn Asylsuchende nacherfolgter Ablehnung durch das BAMFauf den in vielen Fällen aussichtsreichenKlageweg verzichten – ein Schnäppchen– nicht für die Betroffenen, aber für dendeutschen Staat. So wird der Verzichtauf die Inanspruchnahme eines Grund-rechtes schmackhaft gemacht. Die Dia-konie im Rheinland hat diese Art derRückkehrförderung als eine »Hau-Ab-Prämie« bezeichnet.

Im Februar 2017 wurde bei einem Spitzentreffen von Bund und Ländernunter anderem bekanntgegeben, was

sich die Beteiligten unter »freiwilligeRückkehr« vorstellten. Nach Auffassungder Regierungskoalition soll es eine flächendeckende obligatorische staatli-che Rückkehrberatung geben. Sie sollfrühzeitig im Verfahren einsetzen, beiAsylsuchenden aus Staaten mit geringerSchutzquote schon unmittelbar nachderen Ankunft.

Rückkehrberatung wird somit zur Me-thode einer Entmutigungspolitik. Langebevor eine Aussage über das Schicksaldes Einzelnen im Asylverfahren getrof-fen ist, stehen sie schon unter Ausreise-druck. Auch das Vertrauen in ein fairesVerfahren ist erschüttert, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlin-ge schon anfangs die Rückkehr zu be -fürworten scheint.

Hier wird die Idee der Rückkehrhilfe übel missbraucht. Eine wirklich freiwilli-ge Rückkehr setzt voraus, dass die Asyl-suchenden zuvor eine ergebnisoffeneBeratung von unabhängigen Stellen in Anspruch nehmen konnten. Dabei

muss es um Aufenthaltsperspektiven in Deutschland ebenso gehen wie umdie Frage, ob und wie eine Rückkehr ins Herkunftsland unter menschenwürdi-gen Umständen und als Lebensperspek-tive überhaupt möglich ist.

Überraschung! Packen Sie Ihre Sachen

Der 16-Punkte-Plan des Bund-Länder-Treffens enthielt noch weitere Schreck-lichkeiten. Künftig will man noch mehrunangekündigte Abschiebungen er-möglichen. Bisher gilt: Wenn Ausreise-pflichtige länger als ein Jahr geduldetsind, muss ihre Duldung förmlich wider-rufen und eine einmonatige Frist gesetztwerden. Diese soll abgeschafft werden,wenn den Betroffenen vorgeworfenwird, bei der Beseitigung ihres Ausreise-hindernisses nicht mitgewirkt und damitihre Abschiebung verhindert oder ver-zögert zu haben. Dies ist in vielen Fällenumstritten. Oft müssen sich die Gerichtedamit beschäftigen, wo die Verantwor-tung für die Verzögerung tatsächlich

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Das Containerdorf P3 ist Teil des Abschiebelagers Ingolstadt/Manching. Die Bewohner*innen werden isoliert und haben kaum Zugang zu Sozial- oder Rechtsberatung. Die Fotos entstammen derAusstellung »Inside Abschiebelager« des Bayerischen Flüchtlingsrats.

liegt. Doch künftig könnte es sein, dassdie Gerichte gar nicht mehr zur Verhand-lung des Falles kommen. Ziel der Pläneist offensichtlich, dass ahnungslose Be-troffene schon im Flugzeug sitzen, bevorsie merken, wie ihnen geschieht.

Obendrein soll auch noch die Begutach-tung der Reisefähigkeit bei Abschiebun-gen »beschleunigt« werden – eine erstkürzlich verschärfte Regelung soll da-mit nochmals verschärft werden. DieLänder sollen zu diesem Zweck mehrAmtsärzte oder vergleichbares ärzt-liches Personal einsetzen. Unter letzte-rem Etikett dürfte auch jenes Personalverstanden werden, das heute bereitsbei der Begleitung von Rückführungeneingesetzt wird: Willfährige Honorar -ärzte, deren medizinisches Selbstver-ständnis auf die Frage begrenzt ist, obdie Ab zuschiebenden den Flug über -leben.

Ungehemmte Gesetzgebung im Schweinsgalopp

Unter dem Etikett eines Gesetzes zurbesseren Durchführung der Ausreise-pflicht sind im Frühjahr 2017 weitereproblematische Änderungen auf denWeg gebracht worden. Der sogenannteAus reisegewahrsam soll bis zu einerHöchstdauer von zehn Tagen verhängtwerden können. Damit wird die üblicherechtsstaatliche Prüfung der Haftgründeim Einzelfall unterlaufen.

Der Prozess, mit dem Deutschland vom Aufnahmeland zum Abschiebelandumgestaltet und der Garten der Will-kommenskultur möglichst kahlgeschla-gen werden soll, zeigt sich am Tempoder Gesetzgebung. Fachverbände undOrganisationen hatten in den vergange-nen zwei Jahren kaum je einen Arbeits-tag Zeit, um zu einem umfangreichenGesetzentwurf Stellung zu nehmen.Mehr als 20 Organisationen, darunterPRO ASYL, haben in einer gemeinsamenStellungnahme dennoch auf die Ge -fahren des aktuell geplanten Gesetzes hingewiesen.

Angriff auf den Rechtsstaat

Solidarität für Flüchtlinge folgt nicht nur einem humanitären Ideal. Vieles,was Asylsuchenden und Flüchtlingenheute und in der Zukunft zugemutetwerden soll, kann Auswirkungen auf Inländer*innen haben. PRO ASYL hatschon vor etwa 20 Jahren darauf hinge-wiesen, dass die damalige Einführungdes Asylbewerberleistungsgesetzes mit einem gesonderten Existenzmini-mum für Asylsuchende der Türöffnersein könnte für sozialpolitische Restrik-tionen gegenüber anderen. Die kamenprompt mit der Agenda 2010.

Jetzt sollte jede*r aufmerken, wenn2017 mit dem »Gesetz zur besserenDurch setzung der Ausreisepflicht« auchdas Auslesen persönlicher Handydaten systematisch erfolgen soll. AngeblicherZweck: Die Feststellung von Identitätund Staatsangehörigkeit, wozu ein sol-ches Vorgehen maximal Indizien liefernkönnte. Wer viel in das Land XY tele -foniert, muss ja nicht dessen Staatsan-gehöriger sein. Wie im Übrigen die Be -grenzung der Datenerhebung auf dengenannten Zweck technisch gesichertsein soll, steht in den Sternen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriumssoll bei 50 bis 60 Prozent der Asyl -suchenden eine Auswertung der Handy -daten angezeigt sein. Dies entsprächeauf der Basis aktueller Zahlen 150.000

betroffenen Menschen. Das muss eineBürokratie erst einmal verdauen.

Das Auslesen der Handydaten dürfteauch kaum vereinbar sein mit der Recht-sprechung des Bundesverfassungsge-richtes. Per Smartphone-Daten würdedas BAMF nicht nur Zugang zu abso-lut privaten Daten haben, für die dasGrundrecht der Gewährleistung der Ver-traulichkeit gelten muss. Es würde auchan Kontaktdaten von Unterstützer*in-nen und an vertrauliche Dokumentekommen, die zwischen Schutzsuchen-den und ihren Anwält*innen ausge-tauscht werden. Nicht einmal ein rich-terlicher Beschluss soll nötig sein.

Abschiebungsunkultur statt Rechts -kultur? Nicht in unserem Namen jeden-falls. <<

13TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

GRUNDRECHTE-REPORT 2017

Verletzungen des Grundrechts auf Asyl,Polizeigewalt, Massenüber wachung, Racial Profiling: Der Grundrechte-Report2017 berichtet über die Einschränkun-gen und Beschneidungen der Men-schen- und Grundrechte in Deutsch-land im ver gangenen Jahr. Klar wird: Es sind vor allem staatliche Institutio-nen, die unseren an die Menschenrechte gebundenen, demokratischen Rechts-staat gefährden.

Der »Grundrechte-Report 2017 – Zur Lage der Bürger- und Menschen-rechte in Deutschland« kostet 10,99 Euro und ist bei PRO ASYL und im Buchhandel erhältlich.

14 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

ABSCHIEBUNGEN NACH AFGHANISTAN

GEGEN ALLE VERNUNFT UND HUMANITÄTNach 12-jährigem Moratorium hat Deutschland Ende 2016 mit Sammelabschiebungen nach Afghanistan begonnen. Die Betroffenen werden offenkundig dem politischen Kalkül im Bundestags wahljahr geopfert.

Max Klöckner, PRO ASYL Nicht die Lage in Afghanistan hat sich geändert, sondern dieinnenpolitische Diskussion«,

sagte die Menschenrechtsbeauftragteder Bundesregierung, Bärbel Kofler, imFebruar 2017 und traf damit den Nagelauf den Kopf. Dass Deutschland ver-mehrt nach Afghanistan abschiebt, fußtnicht auf Fakten, sondern beruht aus-schließlich auf politischem Kalkül derVerantwortungsträger. Wenn sich die Sicher heits situation in Afghanistan ver -än dert, dann zum Schlechten!

Mehr Tote, mehr Vertriebene,mehr Kämpfe

Mit 11.418 zivilen Opfern der Kampf-handlungen wurde im Jahr 2016 eintrau riger Rekord erreicht, seit die UNA-MA1 2009 mit der Dokumentation be-gann. Die seither erfasste Gesamtzahlder zivilen Opfer liegt bei über 70.000 –davon fast 25.000 Todesopfer. Auch Kin-der kommen immer öfter zu Schaden,im vergangenen Jahr machten sie fastein Drittel der Toten und Verletzten aus.Solche Zahlen können auch dem Innen-minister nicht verborgen bleiben, seineReaktion allerdings spricht Bände: AllenErnstes versuchte Thomas de Maizièreseine inhumane Abschiebepolitik da-mit zu rechtfertigen, dass die normale

Bevölkerung »zwar Opfer, aber nichtZiel« der Taliban-Attacken sei. Für ihnmacht das einen »großen Unterschied«.Die betroffenen Menschen dürften dasetwas anders sehen.

Konflikte im ganzen Land

Von den Kampfhandlungen betroffensind alle Regionen des Landes, UNHCRberichtet von Kämpfen und Vertriebe-nen in 31 der 34 afghanischen Provin -zen. Vergleichsweise niedrig sind nur die Opferzahlen in den »Central High-lands«, einem kleinen und dünn be -siedelten Gebiet in der Nähe der Haupt-stadt Kabul. Dazu kommt, dass nebenden Taliban in den letzten Jahren auchder »Islamische Staat in der Provinz Khorasan« zunehmend in Afghanistanoperiert. Die Zahl der Opfer von IS-An-schlägen war 2016 zehnmal so hoch wie noch im Vorjahr.

Millionen auf der Flucht

Neben den Millionen afghanischerFlüchtlinge in den Nachbarländern Iranund Pakistan erhöht sich auch die Zahlder Binnenvertriebenen weiter. Im Jahr2016 wurden über 600.000 Menschenaus ihrer Heimat vertrieben und befin-den sich innerhalb Afghanistans auf der

1 United Nations Assistance Mission in Afghanistan/Unterstützungsmission der Vereinten Nationen inAfghanistan

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15TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Flucht. Die Gesamtzahl der Binnenver-triebenen dürfte deutlich über 1,5 Mil-lionen liegen. Seit Mitte 2016 steigt zu-dem auch der Druck der pakistanischenRegierung auf die im Land befindlichenafghanischen Flüchtlinge, Hundert -tausende kehrten bereits mehr oder weniger unfreiwillig zurück.

Millionen Menschen suchen Zuflucht,ohne dass irgendwelche Hilfsstruk-turen existieren. Viele drängen in dieHauptstadt Kabul – aber auch dort wirdes zunehmend unsicher, die Zahl derAnschläge ist im vergangenen Jahr drastisch gestiegen.

In diese Lage hinein hat Deutschlandnun mit Abschiebungen begonnen. Dabei wird geflissentlich ignoriert, dassauch ein UNHCR-Bericht – im Auftragdes Bundesinnenministeriums – fest-stellt, »ganz Afghanistan« sei »von ei -nem innerstaatlichen bewaffneten Kon-flikt erfasst« und zum Schluss kommt,»aufgrund der sich ständig änderndenSicherheitslage« sei eine Differenzierungin »unsichere« und »sichere« Gebiete gar nicht möglich.

Abschieben will die Bundesregierungtrotzdem weiterhin und verteidigt sichdamit, dass das Bedrohungspotenzialfür Abgeschobene im Einzelfall geprüftwürde. Eine absurde Aussage angesichtsder Tat sache, dass im Dezember 2016zum Beispiel ein Angehöriger der be-sonderem Druck ausgesetzten hinduisti-schen Minderheit abgeschoben wurde,

ebenso wie einige schwer traumatisiertePersonen und auch Ange hörige der Sicherheitskräfte, die von den Taliban erklärtermaßen als Gegner betrachtetwerden. Und keineswegs handelt es sichbei den Abgeschobenen, wie oft be-hauptet wird, pauschal um »Straftäterund Gefährder«.

Alles Straftäter? Mitnichten!

Die deutliche Mehrheit der Menschen,die in den ersten beiden Abschiebe -fliegern saßen, hat sich in Deutschlandrein gar nichts zu Schulden kommen las-sen, die meisten waren bereits Jahre inDeutschland, einige von ihnen hattenArbeit oder waren auf dem Weg in eineAusbildung, manche kämpften mit (vor allem psychisch bedingten) medizi-nischen Problemen. Fraglich ist auch,wer in den Augen des Bundesinnenmi-nisteriums als »Straftäter« eingestuftwird – so wurden auch Menschen abge-schoben, die zwar einer Straftat beschul-digt, nie aber verurteilt wurden, derenVerfahren bei der Abschiebung noch inder Schwebe war oder bereits gegen geringe Auf lagen eingestellt wurde.

Abschieben gegen Rechts?!

Das Etikett »Straftäter« soll, ebenso wiedie Tatsache, dass zunächst nur – vor-geblich – alleinstehende Männer abge-schoben werden, dafür sorgen, dass inder Öffentlichkeit Akzeptanz für diesesVorgehen geschaffen und die Hemm-schwelle für Abschiebungen gesenkt

wird. Gleichzeitig wird damit dem Druckvon Rechts nachgegeben und offenbarversucht, mit »hartem Durchgreifen«Wählerstimmen von den Rechtspopu lis -ten zurückzugewinnen. Die Leid tragen -den der kalkulierten Ignoranz gegenüberden realen Zuständen in Afghanistansind die von Abschiebung Betroffenen.

Dramatische Situation für Rückkehrer

Die Abgeschobenen erhalten indes inAfghanistan kaum Unterstützung. Wernicht auf die Hilfe von Freunden oderVerwandten zurückgreifen kann, bleibtauf sich alleine gestellt – in einem Land, in dem viele der Betroffenen seitetlichen Jahren nicht mehr waren, dasüberhaupt keine Strukturen für die hunderttausenden Menschen auf derFlucht hat und in dem jederzeit eineBombe hochgehen kann. Diese Erfah-rung musste einer der Abgeschobenenim Februar 2017 machen: Als er zum ersten Mal das Haus verließ, geriet er in einen Talibananschlag und erlitt Ver-letzungen im Gesicht.

Abschiebestopp jetzt!

Über 60 Prozent der afghanischenFlüchtlinge, über deren Asylantrag inhaltlich entschieden wird, erhalten inDeutschland vom BAMF einen Schutz-status. Das ausgerufene Abschiebungs-programm spricht dieser Zahl genausoHohn wie den inzwischen zahlreichenMedienberichten und nahe zu allen Erkenntnissen von Experten über die Situation in Afghanistan. In der afghani-schen Community und bei Flüchtlings-unterstützer*innen regt sich derweilheftiger Protest. Auch in der Politik ist de Maizières rücksichtsloser Plan um-stritten. Neben Schleswig-Holstein, dasAnfang des Jahres sogar einen formellenAbschiebestopp erlassen hat, verzich-ten weitere Bundesländer darauf, nach Afghanistan abzuschieben (Stand Feb.2017). Gerade in Zeiten, in denen zuneh-mende Menschenfeindlichkeit das Klimavergiftet, gilt es, Verantwortung zu zei-gen und die Humanität zu verteidigen:Die anderen Bundesländer sollten die-sem Beispiel folgen und sämtliche Ab-schiebungen nach Afghanistan umge-hend einstellen! <<

AFGHANISTAN: KEIN SICHERESLAND FÜR FLÜCHTLINGE

August 2016

Die katastrophale Sicherheits situa tion in Afghanistan sowie die desolate politische undökono mische Lage ge bieten es, afghanischenFlüchtlingen dauerhaft Schutz zu gewähren.

Die DIN A4-Broschüre schildert die Situa -tion in Afghanistan und ist bei PRO ASYLerhältlich (auch als PDF, 40 Seiten).

Weitere Hinweise für afghanische Flücht-linge und ihre Unterstützer*innen:

http://ShortURL.de/LSoyK

Die Sicherheitslage in Afghanistanverschlechtert sich seit 2015 wei-ter. Ende September 2015 steht

Kunduz zwei Jahre nach dem Abzug derBundeswehr unter der Kontrolle der Tali-ban. Dass zunehmend Afghan*innen inDeutschland Schutz suchen, ist für denBundesinnenminister »inakzeptabel«.Viel Entwicklungshilfe sei geflossen, »dakann man erwarten, dass die Afghanenin ihrem Land bleiben«, moniert de Mai-zière am 28. Oktober 2015 und plädiertfür eine »andere Entscheidungspraxis«sowie Abschiebungen von Geduldeten.

Beim EU-Innenministertreffen am 9. No-vember bekräftigt de Maizière: »Unsere(…) Sorge ist im Moment in Europa diegroße Zahl der Flüchtlinge aus Afghanis-tan. Wir wollen, dass in Afghanistan dasSignal ankommt: ›Bleibt dort! Wir führeneuch aus Europa (…) direkt nach Afgha-nistan zurück!‹« Wenig später beschließtdie Bundesregierung eine Verlängerungdes Bundeswehr einsatzes und eine Auf-stockung der deutschen Truppen, auchmit der Begründung, »dass es zu vieleAnschläge der Taliban mit einer hohenZahl von Opfern gegeben habe«.

Bei seinem Besuch in Kabul Anfang Februar 2016 kritisiert de Maizière, dassdie Menschen aus Afghanistan fliehen:»Wir bleiben hier, solange es nötig ist.Aber wir erwarten dann auch, dass dieafghanische Bevölkerung hier bleibt.«Und warnt: »Es gibt kein Begrüßungsgeldin Deutschland, es gibt nicht ohne Wei-teres einen Arbeitsplatz, eine Woh nung.Die Chancen, erfolgreich in Deutschlandzu bleiben, sind ganz gering.« Dabei beträgt die bereinigte Schutzquote für

afghanische Asyl suchende 2015 fast 80Prozent. Die Lage in Afghanistan nenntde Maizière »kompliziert«, es gebe »sichere und weniger sichere Provinzen«.Noch während des Besuchs des Innen-ministers fordert ein Anschlag in Kabulzehn Tote und Dutzende Verletzte.

De Maizière behauptet im August 2016weiter, in Afghanistan gebe es »Regio-nen, die als sicher gelten«. Dass vor allem junge Afghan*innen das Land ver-lassen, »das geht nicht. Deshalb müssenwir in die Regionen zurückführen, die sicher sind. Das sage ich, gerade weil ichdieses Land so mag.« Parallel kommtdie US-Regierung im SIGAR-Report zurEinschätzung, dass die Lage in Afgha -nistan außer Kontrolle gerät und die Taliban und der sogenannte IslamischeStaat (IS) auf dem Vormarsch sind.

Am 14. Dezember 2016 gibt es nachzwölf Jahren erstmals wieder einenSammelabschiebeflug nach Kabul. DerInnenminister behauptet: Die Lage fürdie Abgeschobenen sei »hinreichend sicher«. Anfang Februar 2017 wird ein

aus Deutschland Abgeschobener bei ei-nem Bombenanschlag in Kabul verletzt.

De Maizière rechtfertigt am 20. Februar2017 in den Tagesthemen die Abschie-bepraxis mit der zynischen Begründung,die zivile Bevölkerung sei »zwar Opfer,ist aber nicht Ziel von Anschlägen derTaliban. Und das ist ein großer Unter-schied«. Laut UNAMA gab es 2016 in der afghanischen Zivilbevölkerung11.418 Tote und Verletzte durch Kriegund Gewalt. Für zwei Drittel der Zivil -opfer werden regierungsfeindliche Kräf-te, vor allem die Taliban, verantwortlichgemacht.

Kurz vor dem vierten Sammelabschie -beflug im März 2017 wirbt der Innen-minister im Bundestag für Abschiebun-gen: Sie seien erforderlich, »auch wennes umstritten ist, auch wenn es wehtut«.»Abgeschoben auf ein Schlachtfeld«, titelt die Frankfurter Rundschau dage-gen am 29. März und legt ein internesBAMF- Papier offen, das die drastischeLage im kriegszerrütteten Land auf-zeigt. <<

16 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

DE MAIZIERE MEINT’S ERNST

DIE MÄR VOM »SICHEREN«AFGHANISTANSeit Monaten betreibt der Bundesinnenminister eine beispiellose Kampagne gegen afghanische Schutzsuchende. Doch seine Äußerungen werden regel mäßig von der Realität eingeholt.

Anđelka Križanović, PRO ASYL

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Ungerührt hat die Bundesregie-rung Flüchtlinge, die subsidiärenSchutz genießen, bis mindestens

März 2018 vom Familiennachzugsrechtausgeschlossen. Damit sollen sie sich integrieren, dürfen aber nicht einmal die engsten Angehörigen nach holen.Kaum zufällig hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Schutz-standards für die Hauptherkunftsländer,allen voran Syrien, sukzessive abge -senkt: Immer mehr Flüchtlinge erhaltennur noch subsidiären Schutz. Betroffeneunbe gleitete Minderjährige können ihre Hoffnung auf ein familiäres Wieder-sehen begraben – weil sie alle theoreti-

schen Ansprüche verlieren, sobald sievolljährig werden.

Doch selbst für diejenigen, die aufgrundeiner Anerkennung als GFK-Flüchtlingeinen Anspruch auf Familiennachzugbesitzen, dauern die Verfahren Monateund Jahre – und nicht selten, bis es füreine Rettung der Angehörigen zu spätist. Gründe sind eine mehr als schlep-pende Terminvergabe und bürokrati-sche Nachweisanforderungen bei deut-schen Botschaften sowie inhumaneRechtsauslegungen der Ausländerbe-hörden. Für Minderjährige verschärftedas Auswärtige Amt im März 2017 die

Vorgaben, so dass der Nachzug von Eltern zwar möglich bleibt, aber ausge-hebelt wird, weil die zugehörigen Ge-schwister nicht mit einreisen dürfen. Als letzter Strohhalm bleibt manchenFlüchtlingen hierzulande der Auswegüber ein privat finanziertes Aufnahme-programm – doch diese gibt es nur noch in vier Bundesländern und meistnur für syrische Flüchtlinge.1

Integration ja – Familiennachzug nein?Zahlreiche hier geschützte Flüchtlinge,die endlich auch ihre Lieben in Sicher-heit wissen wollen, sind der Verzweif-lung nahe. <<

17TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

FAMILIE UNERWÜNSCHT

POLITISCHES HERZVERSAGENUm Krieg und Terror zu entkommen, sehen sich viele Familien zur Trennung gezwungen. Nach der Anerkennung in Deutschland hoffen sie auf eine Zusammenführung in Sicherheit. Fälle aus der Praxis zeigen, wie staatliches Handeln das Recht auf Familie mit Füßen tritt.

Karim Al Wasiti, PRO ASYL/Flüchtlingsrat Niedersachsen

Im November 2015 reist Bahgat Hsso,ein staatenloser Kurde aus Syrien,nach Deutschland ein. Seine Frau und

die drei Kinder bleiben in einem Flücht-lingslager im Nordirak. Mit Hilfe einerehrenamt lichen Unterstützerin gelingtes Bahgat, vergleichsweise schnell, nachsechs Monaten einen Anhörungsterminbeim Bundesamt zu erhalten.

Im November 2016 wird ihm subsidiärerSchutz zugesprochen. Damit muss Bah-gat auf den Nachzug seiner Frau undKinder bis mindestens März 2018 war-ten. Dennoch beantragt er im Juni 2016beim deutschen Generalkonsulat in Erbileinen Termin in der Hoffnung, dass seineFrau und Kinder dort zumindest schoneinmal ihren Visumsantrag stellen kön-nen. Bis heute hat die Familie keinen Termin erhalten.

Schon während des Asylverfahrens ge-lingt es Bahgat, einen Arbeitsplatz beieinem Bauunternehmer zu finden. Die-ser hatte keinen Einheimischen für dieTätigkeit finden können. Seit September2016 bezieht der Kurde keinerlei Sozial-leistungen mehr und wäre finanziell inder Lage, seine Familie in Deutschlandzu versorgen. Er ist auf dem besten Weg,sich erfolgreich in Deutschland zu inte-grieren. Inzwischen unterstützt er sogarandere Flüchtlinge bei Behördengängenoder Arztbesuchen.

Aussicht darauf, Frau und Kinder wie -derzusehen, hat Bahgat auf absehbareZeit nicht. Auch die Möglichkeit, seineFamilie über ein Länderprogramm nachDeutschland zu holen, besteht nicht. Lediglich vier Bundesländer ermög -lichen es Syrern mit gültigem Aufent-haltstitel, ihre Angehörigen zu sich zuholen, wenn deren finanzielle Versor-gung sichergestellt ist. Das Bundesland,in dem Bahgat lebt, gehört nicht dazu.

BAHGAT HSSO: KEIN RECHT AUF FAMILIENLEBEN

1 Berlin, Hamburg, Schleswig-Holstein, Thüringen (Stand April 2017); in Berlin auch für Iraker*innen. Aktuelles unter www.proasyl.de/syrien

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Bahgat Hsso (l.) darf seine Familie nicht zu sich nach Deutschland holen.

Der Elektriker Mussa Algouri lebt als palästinensischer Flüchtling mit seiner Familie bei Damaskus.

Als in Syrien der Bürgerkrieg ausbricht,flieht er mit seiner Frau und seinen fünfKindern in Richtung Libanon. Auf der

Flucht wird seine neunjährige Tochterbei einem Bombenangriff getötet, Mus-sa selbst wird schwer verletzt.

Im Libanon angekommen, lebt die Familie in einem überfüllten palästinen -

Im November 2015 wird Fadi Razzoukals syrischer Flüchtling in Deutsch-land anerkannt. Seine Frau Enam und

die vier Kinder im Alter zwischen fünfund elf Jah ren bleiben in Syrien. BeimDeutschen Konsulat in Izmir beantragter einen Termin, die Familie wird für den2. August 2016 einbestellt. Doch an dertürkisch-syrischen Grenze wird Enamund den Kindern die Einreise in die Türkei verwehrt. Ohne Visum darf sie in keinen Anrainerstaat einreisen. Da ihrWohnort im Kampfgebiet liegt, entschei -det Enam schließlich, mit den Kindern –visums-frei – in den Sudan zu fliegen.

Im Sudan bekommt die Familie eine Auf-enthaltserlaubnis für ein Jahr und lässt

sich beim UNHCR registrieren. Enam ver-sucht, einen Termin bei der DeutschenBotschaft in Khartoum zu erhalten, umein Visum für die Ausreise nach Deutsch-land zu beantragen. Die Botschaft er-klärt, die Familie müsse sich zunächstmindestens sechs Monate im Sudan auf-halten. Bis dahin gelte der Sudan nichtals ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort undihr Ansinnen auf Familienzusammenfüh-rung falle somit nicht in den Zuständig-keitsbereich der Botschaft. Sie könnesich daher frühestens im Februar 2017um eine Terminvergabe bemühen.

Die Situation der Familie in Khartoum ist schwierig. Der 9-jährige Sohn istschwer krank und benötigt eine Opera -

tion. Der Vater und Unterstützer wendensich an ein Mitglied des AuswärtigenAusschusses des Deutschen Bundes -tages. Aufgrund der prekären Lage derFamilie ergeht auf diesem Weg die Bittean die Botschaft in Khartoum, das Ver-fahren zu beschleunigen. Die Antwortdes Auswärtigen Amtes: Das sei nichtmöglich, die Familie könne aber einenTermin bei der Deutschen Botschaft inBeirut beantragen. Auch eine Interven -tion der Menschenrechtsbeauftragtender Bundesregierung bleibt erfolglos. Im Januar 2017 verkündet die Botschaftin Khartoum auf ihrer Webseite, dass sieaus Kapazitätsgründen bis Dezemberkeine Terminanträge bearbeiten könne.

18 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

MUSSA ALGOURI: BEHÖRDE ANTWORTET NICHT

FADI RAZZOUK: SACKGASSE SUDAN

Mussa Algouri (l.) bangt um seine Familie.Vor über einem Jahrhat er für seine Frauund die vier Kinder einen Termin bei derdeutschen Botschaft in Beirut beantragt.

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Fadi Razzouks (l.) Familie sitzt im Sudanfest, obwohl er als an -erkannter Flüchtling ein Recht auf Familien-nachzug hat.

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sischen Flüchtlingslager, in dem Aus -einandersetzungen zwischen bewaff -neten Gruppen an der Tagesordnungsind. Im Oktober 2014 wagt der Famili-envater die gefährliche Flucht über dasMittelmeer und beantragt in Deutsch-land Asyl. Ende 2015 wird er als Flücht-ling anerkannt und hat damit einenRechtsanspruch darauf, seine Familienach Deutschland nachzuholen. Im April2016 beantragt er bei der DeutschenBotschaft in Beirut einen Termin für sei-ne Frau und die verbliebenen vier Kin-

der. Die Anfrage stellt er über ein eigenszu diesem Zweck vom Auswärtigen Amteingerichtetes Mailpostfach.

Sorgen macht sich Mussa vor allem um seine dreijährige, schwerbehinder-te Tochter, die an einer Hirnlähmung leidet. Entsprechende ärztliche Atteste leitet er an die Botschaft in Beirut wei-ter mit der Bitte, das Verfahren zu be-schleunigen. Auch um seinen 17-jähri-gen Sohn steht es schlecht: Gelingt esnicht, ihn vor seiner Volljährigkeit nach

Deutschland zu holen, ist er dauerhaftvom Familiennachzugsrecht ausge-schlossen.

Bis heute – ein Jahr später – hat Mussanicht einmal eine Antwort erhalten. Der Familienvater lebt in ständigerAngst um seine Familie. Dabei benötigter selbst dringend eine Operation: Bom-bensplitter stecken in seinem Körper.Mussa möchte sie erst entfernen lassen,wenn seine Frau und die Kinder endlichin Deutschland sind.

Mit seinen vier Geschwisternwächst Ahad, ein heute 12-jäh-riger syrischer Kurde, bei seiner

Großmutter im Nordosten Syriens auf.Im September 2015 flieht der Junge mitseiner Tante und seinem Cousin. Zu Fußgelangen sie zur türkischen Mittelmeer-küste und von dort über Griechenlandund die Balkanroute nach Deutschland.Seine Geschwister, inzwischen sieben,neun, zehn und vierzehn Jahre alt, blei-ben zunächst bei der Oma in Syrien.

Heute lebt Ahad mit seiner Tante undseinem Cousin in Niedersachsen. Er hatschnell Deutsch gelernt und besucht dievierte Klasse der örtlichen Grundschule.Anfang 2017 erhält er den Bescheidüber sein Asylgesuch: Sein Antrag aufZuerkennung der Flüchtlingseigen-schaft nach der Genfer Flüchtlingskon-vention wird abgelehnt, ihm wird sub -sidiärer Schutz zugesprochen. Somit hat Ahad erst einmal keine Möglichkeit,seine Oma und Geschwister nachDeutschland zu holen.

Diese sind unterdessen in die Türkei ge-flohen. Nach dem Aufenthalt in einemFlüchtlingscamp in Urfa leben sie dortmittlerweile auf der Straße. Es ist ihnenaber gelungen, einen täglichen Telefon-kontakt zu Ahad aufzubauen. Ihre Situa-tion ist äußerst schwierig: Die Groß -mutter ist 67 Jahre alt und herzkrank, einer der Brüder hat ungeklärte Schmer-zen in den Beinen. Die Versorgungslagein Urfa ist schlecht und die Großmutterist kaum in der Lage, die Kinder zu er-nähren.

Ahad will gegen die Entscheidung desBundesamtes klagen und doch noch die Zuerkennung der Flüchtlingseigen-schaft erreichen. Zudem stellt er für seine Angehörigen einen Visumsantragim Rahmen der Härtefallregelung. An -gesichts der aktuellen Praxis der Visa -vergabe sind die Erfolgsaussichten abergering.

Ob Ahad überhaupt eine Chance hat, irgendwann mit seiner Oma und seinenGeschwistern in Deutschland zu leben,ist ungewiss. Die Großmutter hat zwardas Sorgerecht für die fünf Kinder, derVerbleib der Eltern ist aber seit Jahrenungeklärt. Da Ahad zudem nicht alleinist, sondern bei seiner Tante lebt, istfraglich, ob die Deutsche Botschaft dieFamilienkonstellation anerkennt.

19TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Ahad (l.) kommt gut zurecht inDeutschland, aber er vermisst seineOma und seine vier Geschwistersehr. Sie leben alsFlüchtlinge in derTürkei und sind obdachlos.

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AHAD KHALAF: OMA UND GESCHWISTER OBDACHLOS IN DER TÜRKEI

20 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Schnelligkeit vor Genauigkeit, Zahlen statt Einzelschicksale, Be-hauptungen statt genaue Auf -

klärung der Fluchtgründe: Hauptsache,die Quote stimmt? Sieht man sich dieEntscheidungspraxis des Bundesamtesfür Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu Eritrea an, drängt sich der Eindruckauf, dass politische Vorgaben die Ver -fahren und Entscheidungspraxis negativbe einflussen. Denn an der Realität imLand kann es nicht liegen, dass immerweniger eritreische Flüchtlinge vomBAMF den ihnen zustehenden Schutz-status erhalten.

Sklaverei in Eritrea?

Keine Verfassung. Keine Wahlen. Keinefreie Presse. Eritreer*innen leben in einerDiktatur, Isaia Afewerki und seine Regie-rung herrschen mit absoluter Macht.Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1993 ist das Land nicht zur Ruhe gekommen.Als eines der kleinsten Länder Afrikassoll Eritrea die größte Armee des Konti-nents haben. Zum Militärdienst sind alleFrauen und Männer von 18 bis 47 bzw.59 Jahren verpflichtet. Selbst Minder -jährige werden in den Blick genommen:Das zwölfte Schuljahr wird in einemAusbildungslager der Armee absolviert.Eigentlich soll der sogenannte »nationalservice« 18 Monate dauern, unterteilt in eine militärische Grundausbildungmit darauffolgendem Militärdienst undNationaldienst zum Wiederaufbau desLandes. Tatsächlich aber folgt der Aus-bildung an der Waffe eine Dienstver-pflichtung, die jahrzehntelang andauern

kann. Begründet wird dies mit einemzeitlich unbeschränkten Ausnahme -zustand. Die Zwangsverpflichteten er-halten nur eine sehr geringe Entloh-nung. Bei Entzug oder Verweigerung folgen schwere, willkürliche Strafen, einrechtsstaatliches Verfahren gibt es nicht.Auch wenn dies vor dem historischenHintergrund der kolonialen Sklaverei in Afrika zunächst irritieren mag: DieUnter suchungskommission für Eritreades UN-Menschenrechtsrats spricht indiesem Zusammenhang zu Recht vonSklaverei (»enslavement«).

Von der Vollanerkennung biszur Totalablehnung

Und was macht das BAMF? Es vergleichtdiese Form der staatlichen Zwangsarbeitmit einer allgemeinen Bürgerpflicht:

»Jeder souveräne Staat hat das Recht,seine Staatsangehörigen zum Wehr-bzw. Militärdienst heranzuziehen.« (BAMF-Bescheid von 2017)

Der menschenverachtende Charakterdes eritreischen »national service« wirdso bagatellisiert. Dabei räumt das Bun-desamt selbst ein, dass es Berichte über»Misshandlungen, Zwangsarbeit, Schlä-ge und Folter in Hafteinrichtungen undin der Armee« in Eritrea gibt (BAMF- Bescheid von 2017).

Mit rund 19.000 Asylsuchenden 2016zählt Eritrea zu den fünf Hauptherkunfts-ländern von Flüchtlingen in Deutsch-land. Während zu Beginn des Jahres2016 fast jede/r Eritreer*in die volle

WEIL WEHRDIENST NICHTGLEICH WEHRDIENST ISTWIE FLÜCHTLINGEN AUS ERITREA DER SCHUTZ VERWEHRT WIRD

Immer häufiger wird Flüchtlingen aus den Hauptherkunftsstaaten der Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) versagt. Stattdessen erhalten sie lediglich subsidiären Schutz oder gleich gar keinen. Objektiv begründen lässt sich die veränderte Entscheidungspraxis nicht. Ein dramatisches Beispiel: Eritrea.

Bellinda Bartolucci, PRO ASYL

Gemeinsam mit Partnerorganisa tionen hat PRO ASYL Ende 2016 in einem »Memorandum für faire und sorgfältige Asylverfahren in Deutsch-land« gravierende Defizite in den Asylentschei -dungen des BAMF offen gelegt: Die Qualität derVer fahren und Bescheide ist schlecht, Flucht -gründe werden nicht ermittelt, Herkunftsland -informationen nicht berücksichtigt.

Die DIN A4-Broschüre ist bei PRO ASYL erhältlich (auch als PDF, 60 Seiten).

21TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Flüchtlingsanerkennung erhielt, rutsch-te die Zahl im vierten Quartal auf nurnoch rund 54 Prozent. Im gleichen Zeit-raum stieg der Anteil des erteilten subsi-diären Schutzes von rund drei Prozentauf über 31 Prozent an. Immer häufigertreten zudem Rechtsanwält*innen undUnterstützer*innen an PRO ASYL mitSchicksalen heran, in denen gar keinSchutz oder lediglich Abschiebungsver-bote zuerkannt wurden. Dabei ist Eritreanach wie vor eine brutale Militärdiktatur,in der Folter und Verfolgung an der Tagesordnung sind.

Flüchtlingsrecht kreativ interpretiert

Nicht nur in tatsächlicher, sondern auchin rechtlicher Hinsicht verkennt dasBAMF grundlegende Prinzipien der GFK.So finden sich in vielen Bescheiden be-merkenswerte Sätze wie dieser:

»Da bislang noch keine (…) konkreteAufforderung ergangen ist, den Militär-dienst antreten zu müssen, kann der Antragsteller demnach auch nicht alsWehrflüchtiger angesehen werden.«(BAMF-Bescheid von 2016)

Betroffene müssten somit erst abwarten,bis sie ihren Einberufungsbefehl erhal-ten und es umso schwieriger ist, unterden Blicken der Militärs zu fliehen. Mit

anderen Worten: Es muss also schon etwas passiert sein, bevor Menschen ausder Militärdiktatur »zu Recht« fliehendürfen. Dabei sind sowohl die GFK alsauch das Grundgesetz in diesem Punktganz klar: Die begründete Furcht vor einer relevanten Verfolgung reicht fürdie Flüchtlingsanerkennung aus. DieVer folgungshandlung muss nicht be-reits eingesetzt haben, der Asylsuchen-de nicht schon Opfer geworden sein. Die Interpretation des Bundesamtes,sich erst in Gefahr bringen zu müssen,ist widersinnig und menschenrechts-widrig.

Eine der höchsten britischen Beschwer-deinstanzen für Flüchtlingsrechte hatzudem im Oktober 2016 bestätigt: Eri-treer*innen, die bei bzw. vor Erreichenihres Einzugsalters das Land illegal ver-lassen haben, um dem Nationaldienst zu entgehen, droht Verfolgung. Die Ge-fährdungslage für Rückkehrer habe sichnicht verändert, so die Immigration andAsylum Chamber des Upper Tribunal(MST and Others (national service – riskcategories) Eritrea CG [2016] UKUT 443(IAC)).

Fehlerhafte Bescheide

Über die problematische Bewertung der Situation in Eritrea hinaus findensich in den Bescheiden des BAMF immer

wieder auch Mängel, die auf hastigdurchgeführte Verfahren und mangeln-de Qualitätssicherung zurückgehen: Da werden die Fluchtgründe nicht aus-reichend aufgeklärt, unpassende Text-bausteine eingesetzt, Herkunftslandin-formationen nicht berücksichtigt, ver -altete Länderinformationen verwendet,offenkundig schlecht geschulte Ent-scheider*innen und Dolmetscher*innenbeschäftigt und andere Verfahrensfehlergemacht. Im Ergebnis sinken die Aner-kennungschancen für die Betroffenen.

Die Rückkehr zu rechtsstaat -lichen Verfahren ist notwendig

Es bleibt festzuhalten: Die Lage in Eritreaist für zahlreiche Menschen Grund ge-nug zu fliehen, und sie begründet viel-fach auch eine GFK-Anerkennung.Gleichwohl steigt die Zahl der mangel-haften und ablehnenden Asylbescheideim Verhältnis zu den Anerkennungenstark an. Eine Korrektur ist dringend not-wendig: Das Bundesamt muss zu seinerfrüheren Entscheidungspraxis zurück-kehren und Eritreer*innen in Deutsch-land ein faires und rechtsstaatliches Verfahren garantieren. <<

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All diesen Kindern und Jugendli-chen steht nach internationaler,europäischer und deutscher

Rechtslage ein Anspruch auf Gleich -behandlung mit anderen Kindern undJugendlichen in Deutschland zu. IhrSchutz ist zudem gemäß des Grundsat-zes der vorrangigen Berücksichtigungdes Kindeswohls zu garantieren.

Ein Zwei-Klassen-System in der Jugendhilfe?

Unbegleitete Minderjährige werden laut Gesetz im Rahmen der Kinder- undJugendhilfe betreut, versorgt und unter-gebracht. Doch der vorgeschriebene gesetzliche Schutz wird zum Teil nur unzureichend umgesetzt. Seit Herbst2016 liegt zudem ein Vorschlag der Länder Hessen, Saarland, Bayern undSachsen auf dem Tisch, der ein abge-schwächtes Leistungs- und Unterstüt-zungssystem nach SGB VIII für unbeglei-tete, minderjährige Flüchtlinge (UMF)und damit die Schaffung eines Zwei-Klassen-Systems in der Jugendhilfe zurFolge hätte. Zudem gibt es Überlegun-gen, dass in Zukunft Ordnungsbehördenwie die Bundespolizei im Rahmen einerAlterseinschätzung darüber entschei-den, wer als unbegleiteter Minderjähri-ger gilt. Bisher erfolgt diese Prüfungdurch die Jugendämter. Hierdurch dro-hen UMF, deren Alter falsch eingeschätztwurde, dauerhaft im Versorgungssystemfür Erwachsene zu verbleiben.

Wenig Aufmerksamkeit für begleitete, minderjährigeFlüchtlinge

Doch auch begleitete, minderjährigeFlüchtlinge haben mit diskriminieren-der Ungleichbehandlung zu kämpfen.Kinder und Jugendliche, die mit ihren Eltern eingereist sind, fallen unter diebenachteiligenden Unterbringungs-und Versorgungsstrukturen des Asyl -bewerberleistungsgesetzes. Sie stoßensomit auf die volle Härte aufenthalts-und asylrechtlicher Bestimmungen. DieUnterbringung erfolgt in Erstaufnahme-einrichtungen sowie Not- und Gemein-schaftsunterkünften, die explizit von der Betriebserlaubnispflicht nach demKinder- und Jugendhilfegesetz ausge-schlossen sind. Dort lebende Kinder und Jugendliche stehen somit nicht imFokus der Kinder- und Jugendhilfe.

Keine kindgerechte Unter -bringung

Im Auftrag von UNICEF hat der BumFAnfang 2017 die Lebenssituation vongeflüchteten Kindern und Jugendlichenin Deutschland untersucht.1 Die Studiezeigt, dass die Unterbringung und Ver-sorgung in Flüchtlingsunterkünften oft-mals ein grundlegendes Problem für viele Familien ist:

»Eine unserer größten Schwierigkeitenist die, dass wir überhaupt keine Ruhehaben. (…) Man kann selbst in der

Nacht nicht richtig schlafen. (…) Nicht nur wir, alle anderen Familienwünschen sich eine Wohnung, wo sieauch kochen können und die Kindersich ohne Probleme frei bewegen können.« Samira, Mutter aus Afghanistan

Obwohl Flüchtlingsunterkünfte keinkindgerechtes Umfeld bieten, sind siefür viele Kinder und Jugendliche der Lebensmittelpunkt für mehrere Monateoder Jahre. Mangelnde Privatsphäre und fehlende Rückzugsorte führen dazu,dass Kinder und Jugendliche keine Ruhezum Lernen oder Spielen finden undZeugen von Gewalt und Bedrohungwerden. Auch die gemeinsame Unter-bringung mit alleinstehenden Männernwird von vielen Familien als problema-tisch angesehen, da sie das Gefühl haben, ihre Kinder ständig beschützenzu müssen. Hinzu kommen zum Teil pro-blematische hygienische Bedingungen:Sanitäranlagen werden oftmals von vie-len Personen benutzt, sind nicht immerabschließbar und stellen ein Risiko fürdie persönliche Sicherheit dar.

Auch wenn nicht jede Unterkunft all die-se Problemfelder aufweist, wirken sichdie Umstände der Unterbringung auchauf das Leben der Kinder außerhalb derUnterkunft aus. So berichten Jugendli-che von Hänseleien aufgrund der Unter-bringung oder von Schlafmangel wegendes Lärms, der zu Schwierigkeiten beimSchulbesuch führt. Statt kindgerechteFreiräume zu haben, müssen sich Flücht-lingskinder den räumlichen Bedingun-gen der Unterkunft und den anderenBewohnern anpassen.

22 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

ZUR SITUATION MINDERJÄHRIGER FLÜCHTLINGE

VON GLEICHBEHANDLUNG WEIT ENTFERNTSeit 2015 sind etwa 350.000 Kinder und Jugendliche in Begleitung ihrer Eltern oder einer sorge berechtigten Person nach Deutschland eingereist, um Asyl zu suchen. Zum Ende des Jahres 2016 zählte die Kinder- und Jugendhilfe zudem 49.786 unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge.

Adam Naber, Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF e.V.)

1 S. Lewek, M. und Naber, A. (2017), Kindheit im Wartezustand – Studie zur Situation von Kindern und Jugend -lichen in Flüchtlingsunterkünften in Deutschland (folgende Zitate auf S. 21 und 46)

Mangelhafte Versorgung

Auch die Versorgungslage vieler Famili-en ist problematisch: In den ersten 15 Monaten gilt im Rahmen des Asyl -bewerberleistungsgesetzes ein einge-schränkter Leistungsanspruch, der zehnProzent unter den Leistungen nach SGB II und SGB XII und damit unter»Hartz IV«-Niveau liegt. Neben fehlen-den finanziellen Mitteln für alltäglicheBe sorgungen wird vor allem die Essens -versorgung nach dem Sachleistungs-prinzip als problematisch beschrieben.Individuelle Vorlieben, kulturelle Ge -wohn heiten oder gesundheitliche Be-

lange werden durch Kantinenessen oderEssenspake te nicht oder nur unzurei-chend be rücksichtigt. Als Folge dessenberichten Familien von Essensverweige-rung, Gewichtsverlust und Verdauungs-problemen bei Kindern und Jugend -lichen.

Kein regulärer Schulbesuch

Kinder und Jugendliche sind von denasylrechtlichen Änderungen seit Herbst2015 direkt betroffen. Besonders schwerwiegt die Verlängerung der maximalenAufenthaltsdauer in Erstaufnahmeein-richtungen auf sechs Monate. Da dieSchulpflicht in sieben Bundesländernerst mit der Verteilung aus der Erstauf-nahmeeinrichtung auf die Kommuneneinsetzt, rückt der Schulbesuch für vieleKinder und Jugendliche in die Ferne. In vielen Erstaufnahmeeinrichtungen erfolgt nur eine unterkunftsinterne Be-schulung von wenigen Stunden pro Tag.

Kinder und Jugendliche aus sogenann-ten »sicheren Herkunftsländern« sind inbesonders gravierender Weise hiervonbetroffen: Sie müssen bis zum Abschlussdes Asylverfahrens bzw. darüber hinausin Erstaufnahme- oder gar »besonderenAufnahmeeinrichtungen« leben. Die Ungleichbehandlung aufgrund der reinstatistisch errechneten Bleibeperspekti-ve geht nicht unbemerkt an den Kindernund Jugendlichen vorbei:

»Und Deutschland hilft den Menschen,aber uns nicht. Aber warum denn nicht? Warum behandeln die uns nichtwie Menschen? Im anderen Heim hattenwir auch keinen Deutschkurs, nur für Syrer und Afghanen. Sind wir keine Menschen?« Jugendliche aus Albanien

Das 2017 geplante »Gesetz zur besse-ren Durchsetzung der Ausreisepflicht«ermöglicht es den Bundesländern, zu-künftig einer noch größeren Zahl vongeflüchteten Kindern und Jugendlichendauerhaft den Weg aus der Erstaufnah-meeinrichtung und damit den Schulbe-such zu verweigern. PRO ASYL, UNICEF,BumF und weitere Organisationen haben im Februar 2017 in einer gemein-samen Stellungnahme auf diese Gefahrund die damit einhergehende Missach-tung des Kindeswohls hingewiesen.

Gleichbehandlung jetzt und für alle!

Eine geeignete Unterbringung, Versor-gung und der Zugang zu Bildung sindfür Kinder, Jugendliche und deren Elterngrundlegende Voraussetzungen, um inDeutschland anzukommen. Solange geflüchteten Kindern und Jugendlichendurch direkte oder indirekte Formen derBenachteiligung nicht dieselben Ent-wicklungsmöglichkeiten wie anderenGleichaltrigen eingeräumt werden, kannvon Gleichbehandlung nicht die Redesein.

PRO ASYL und BumF e.V. fordern dieAuflösung bestehender Not- und Mas-senunterkünfte und die vorrangige Unterbringung in Wohnungen, geradefür geflüchtete Familien. Deutschlandmuss weg von der entmündigendenSach leistungs- und Minderversorgungvon Flüchtlingen, das diskriminierendeAsylbewerberleistungsgesetz gehört abgeschafft! Kinder und Jugendlichemüssen unabhängig von ihrem Auf ent -halts status vom ersten Tag an zur Schule gehen. <<

23TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Provisorischer Wohnbereich einer syrischen Flüchtlingsfamilie in der Notunterkunft im Flug hafen Tempelhof, Berlin, Dez. 2015 © UNHCR/Ivor Prickett

Kleinkinder in der Notunterkunft im Flughafen Tempelhof, Berlin, Nov. 2015 © UNHCR/Ivor Prickett

Franziska Hagelstein wohnt und arbeitet als Grafikdesignerin imWendland. Zur Flüchtlingshelferin

wird sie, als sie 2014 erfährt, dass derkleine Bruder von Omid allein nach Griechenland gelangt ist. Omid ist dereinige Jahre zuvor selbst aus Afghanis-tan geflohene Freund ihrer Tochter. Miteinem Freund macht sie sich 2014 aufden Weg, um den damals 14-jährigenRamesh von Athen nach Deutschland zu bringen.

Tatsächlich gelingt es ihr, Ramesh vonAthen bis an die bulgarisch-rumänischeGrenze zu bringen. Bei der Grenzüber-querung aber werden sie entdeckt undfestgenommen.

Es folgen 32 Tage in einem bulgarischenGefängnis ohne Tageslicht, in Angst undUngewissheit – selbst dort sorgt sie sichvor allem um das Schicksal Rameshs.Über ihre Erfahrungen beginnt Franzis-ka Hagelstein noch in der Haft zu schrei-ben: Der sehr persönliche Bericht »32Tage Bulgarien oder Europas Flüchtlings -politik« zeugt von Ohnmachtsgefühlenund der unbeugsamen Haltung einerFlüchtlingshelferin, die den Glauben andie Menschenrechte auch in einer Zeit

aufrecht erhält, in der die EU Schutz -suchende vor allem abweist, aussperrtund einsperrt.

Wegen Schleusung wird Franziska Hagel -stein in Bulgarien zu neun Monaten Haftauf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt. Sie und ihr Begleiter könnennach Deutschland zurückkehren. Der14-jährige Ramesh hingegen wird nachder Haftentlassung in das Flüchtlings -lager Camp Sofia gebracht. Hagelsteinund weitere Helfer*innen setzen darauf-hin alle Hebel in Bewegung, um Rameshlegal nach Deutschland zu holen, doches dauert zu lange. Ramesh macht sichallein auf den Weg und schafft es, sichvon Bulgarien bis nach Deutschlanddurchzuschlagen. Familie Hagelsteinnimmt ihn auf und begleitet ihn durchdas Asylverfahren. Nach weiteren Mona-ten der Unge wissheit wird Ramesh alsFlüchtling in Deutschland anerkannt.

Letztlich gelingt auch den Eltern undden drei Geschwistern von Ramesh undOmid die Flucht nach Deutschland.Auch sie nehmen in der Hoffnung aufein sicheres Leben die gefährliche Routeüber das Mittelmeer auf sich, die vieleandere mit dem Leben bezahlen.

24 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

»IST NUR DIE WÜRDE DER DEUTSCHEN MENSCHENUNANTASTBAR?«FLÜCHTLINGSHELFERIN WURDE IN BULGARIEN VERHAFTET

Viele Initiativen setzen sich für die Ver wirklichung des Rechts auf Familien - zusammen führung ein und für eine faire Aufnahme von Flüchtlingen aus den Grenzstaaten der EU, vor allem aus Griechen-land und Italien. Franziska Hagelstein, Grafikerin aus dem Wendland, ist noch einen Schritt weiter ge gangen: Sie leisteteFluchthilfe für einen schutzsuchenden afghanischen Jungen und landete dafür in einem bulgarischen Gefängnis.

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Für ihren Einsatz erhielt Franziska Hagel-stein Ende 2016 den »Dr. Matthias Lange– Fluchthilfepreis« des FlüchtlingsratesNiedersachsen. Im Wendland, wo sie mitihrer Familie lebt, baut sie heute ein in-terkulturelles Mehrgenerationen-Dorfauf – gemeinsam mit vielen anderen,darunter auch die Familie von Rameshund Omid. Im Interview mit PRO ASYLberichtet sie von ihren Erfahrungen.

Interview

Haben Sie darüber nachgedacht, dassSie sich selbst gefährden könnten bei dem Versuch, Ramesh von Athennach Deutschland zu bringen?

Die Entscheidung war sehr spontan.Später, als mir in den Sinn kam, dass esgefährlich ist, gab es kein Zurück mehr.Von Omid wusste ich, was die Jungs tunum nach Europa zu gelangen. Ich hättenicht tatenlos zusehen wollen, wie ein14-Jähriger unter einem Lkw hängenddurch Europa reist. Nicht zu wissen, obihn sein Weg nach Deutschland oder inden Tod führt, wäre nicht auszuhaltengewesen. Im Vergleich dazu war unserRisiko gering. Auch in der Haft habe ichmir um Rameshs Schicksal Sorgen ge-macht. Ich hatte ständig Angst, wirkönnten ihn verlieren und dass wir dannkeinen Kontakt mehr zu ihm bekommenwürden. Er konnte die Sprache nicht,hatte kein Telefon mehr und ich wussteauch nicht, ob er die wichtigen Telefon-nummern im Kopf hatte.

Während Ihrer Haftzeit in Bulgarienhaben Sie aus Ihrem persönlichenUmfeld viel Unterstützung erfahren.Haben Sie auch Anfeindungen wegenIhres Engagements erlebt?

Die meisten Menschen sind mir mit sehrviel Erstaunen und Achtung entgegen-gekommen. In den ersten Wochen nachmeiner Rückkehr gab es nur einen Men-

schen, der mit Ablehnung reagiert hat.Interessanterweise hat sich seine Ein-stellung ein Jahr später, als man in jederZeitung lesen konnte, wie gerade die»richtige« Haltung ist, nämlich dass wiruns den Flüchtlingen bedingungslosund unterstützend zuwenden, ins Ge-genteil verwandelt. Es gab eine anony-me Mail, als Reaktion auf den Flucht -hilfepreis, aber der Grundtenor in mei-nem Umfeld reicht von Anerkennungbis hin zu Danksagungen.

Wie nehmen Sie heute die Debattezur Flüchtlingspolitik wahr?

Ich lebe eher medienfern, lese sehr sporadisch die örtliche Tageszeitungund besitze keinen Fernseher. Trotzdemhabe ich 2015 mitbekommen, dass dieWillkommenskultur in Deutschland ge-radezu euphorisch war, dass die Politikeine Chance witterte, die sich drastischreduzierende arbeitende Bevölkerungaufzustocken. Und den Medien bot sichein Dauerthema. Ich glaube, die Men-schen, die damals die Ankommendenbegrüßt haben, stehen auch heute nochunterstützend an deren Seite. Ich erlebesogar Bedauern, dass die eilends ge-schaffenen Strukturen nun kaum nochgenutzt werden, weil die gemutmaßtegroße Anzahl der Flüchtlinge ausbleibt.Die Medien sind sich jetzt einig, dass esan der Zeit ist, dem ausländerfeindli-chen Teil der Bevölkerung eine Stimmezu geben. Die Politik lehnt sich zurückund tut so, als würde sie sich mal wiedernur nach den Menschen richten, die nunangeblich feststellen, dass hier kein Platzfür Geflüchtete ist. Europa ist durchausin der Lage, viele Menschen aufzuneh-men und die Politiker sind in der Verant-wortung, die Wege dafür zu ebnen. Tau-sende sterben vor unseren verschlosse-nen Toren. Das hört nicht auf, nur weilwir so tun, als ginge uns das nichts an.Oder ist nur die Würde der deutschenMenschen unantastbar?

Sie bauen in Hitzacker gemeinsammit vielen anderen ein interkulturel-les Dorf für Menschen aller Genera-tionen. Welche Reaktionen gibt esdarauf?

Das Interesse ist riesig. Die Idee ist ge -rade eineinhalb Jahre alt. In dieser Zeithaben wir eine Genossenschaft undeine Bau GmbH gegründet, ein Grund-stück gekauft, achtzig Bewohner gefun-den und viele Menschen, die das Projektfinanziell oder durch ihre Mitarbeit för-dern. Das Medieninteresse ist teilweisegrößer als unsere Kapazitäten – wennman ein Dorf bauen will, gibt es sehrhandfeste Dinge zu tun. Viele Hitzacke-raner finden die Idee klasse und auchder Stadtrat ist begeistert. Logisch, 300Menschen mehr, in einem kleinen Ortwie Hitzacker: Wer könnte da ernsthaftetwas dagegen haben? <<

25TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Auszüge aus dem Bericht von Franziska Hagelstein über ihre Hafterfahrung in Bulgarien als PDF: http://ShortURL.de/IYwZW

Infos zum interkulturellen Mehrgenerationen-Dorf im Wendland: www.hitzacker-dorf.de

Das Mantra des sicheren Drittstaats

»Die Türkei ist ein sicherer Drittstaat«: So das Mantra aus Brüssel und Berlin,obwohl sich die allgemeine Menschen-rechtslage am Bosporus dramatisch ver-schärft hat. Kern des EU-Türkei-Deals ist, dass Schutzsuchende, die auf dengriechischen Inseln anlanden, in der Regel der Zugang zu einem regulären

Asylverfahren verwehrt wird. Das heißt,ihr Schutzgesuch wird nicht inhaltlichgeprüft. Stattdessen geht es in den so-genannten EU-»Hotspots« lediglich darum, ob die Flüchtlinge in der Türkeibereits sicher waren. In diesem Fall wirdihr Asylgesuch in Europa für unzulässigerklärt. Diese sogenannten Zulässig-keitsverfahren sollen es ermöglichen,Schutz suchende schnell in die Türkei abzuschieben.

Freiluftgefängnisse auf den Inseln

Seit Inkrafttreten des EU-Türkei-Dealsam 20. März 2016 herrscht Ausnahme-zustand auf den Inseln in der Ägäis. Siewurden zu einem Freiluftgefängnis fürTausende Schutzsuchende. Circa 15.000Flüchtlinge vegetieren in den Lagernunter unmenschlichen Bedingungen vorsich hin. In den Wintermonaten 2016/17

26 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Patrouille an der türkisch-syrischenGrenze bei Besarslanim Südosten der Türkei, Nov. 2016

© Reuters/Umit Bektas

EU-TÜRKEI-DEAL

LABOR ÄGÄIS: EINE BLAUPAUSE FÜR EUROPADer autoritäre, türkische Präsident Erdogan droht regelmäßig, den Flüchtlingsdeal mit der EU aufzukündigen. In der EU herrscht deshalb Sorge, dass wieder mehr Schutzsuchende  über Land oder See das EU-Territorium erreichen könnten. Alle Beteiligten eint, dass sie Flüchtlinge nur als Manövriermasse sehen und sie zynisch für wechselseitige Erpressungsversuche missbrauchen. Menschenrechte und –würde spielen keine Rolle. Die Bundesregierung und die EU verfolgen mit dem Türkei-Deal lediglich ein Ziel: Schutzsuchende im wahrsten Sinne des Wortes um jeden Preis abzuwehren.

Karl Kopp, PRO ASYL

sind mindestens fünf Menschen auf-grund der katastrophalen Zustände aufLesbos gestorben. Wie so oft in der euro-päischen Flüchtlingspolitik übernimmtniemand die politische Verantwortung.In den EU-»Hotspots« gehört die organi-sierte Verantwortungslosigkeit zumKonzept.

Sackgasse und Endstation

Dass die Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln ausharren müssen,verdanken sie den Mächtigen in Brüs-sel, Berlin und weiteren europäischenHauptstädten. Ein Vertreter der EU-Kom-mission gab am 5. Dezember 2016 beieiner Anhörung im Europäischen Parla-ment frank und frei zu: Die Weiterreisevieler Flüchtlinge von den Inseln auf dasgriechische Festland wäre das Ende desEU-Türkei-Deals, denn die Türkei nehmenur Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurück. Anders formuliert: Umden schmutzigen Flüchtlingsdeal am Leben zu halten, werden Elend, Ver-zweiflung und massive gesellschaftlicheSpan nungen auf den Inseln bewusst inKauf genommen. Wer von den Inselnweg will, muss teure Schlepperdienstein Anspruch nehmen, um die »Ausrei-se«-Kontrollen von Frontex und griechi -schen Beamten an den See- und Flug -häfen zu umgehen.

Druck aus Brüssel und Berlin

Das griechische Asylrecht wurde mehr-fach auf Druck aus Brüssel und Berlin ver-schärft, um es mit dem Türkei-Deal kom-patibel zu machen: Rechtsstaatlichkeitund Unabhängigkeit der sich erst imAufbau befindenden griechischen Asyl-institutionen werden dabei geopfert. EinBeispiel: Als klar wurde, dass die griechi -schen Asylausschüsse in zweiter Instanzdie Türkei in den meisten Fällen nicht als»sicher« einstuften und damit nicht dievon der EU und Berlin gewünschten Ent-scheidungen lieferten, griff Brüssel ein:Nach wiederholten Bemühungen durchden griechischen Minister für Migrationund die EU-Kommission, die renitentenAsylausschüsse auf Linie zu bringen,wurden die Ausschüsse abgeschafft unddie Prüfung der Zulässigkeit auf die neueingerichteten, willfährigen »Unabhän-gigen Berufungsausschüsse« übertragen.

In den ersten zwölf Monaten konntendie PRO ASYL-Anwält*innen auf Lesbos,Chios und in Athen verhindern, dassauch nur ein einziger syrischer Flücht-ling aufgrund der vermeintlichen Dritt-staatssicherheit in die Türkei ab ge scho -ben wurde. Auch die griechischen Be-hörden leisteten Anfang April 2017 an zentralen Punkten noch Widerstand:Nach griechischem Recht dürfen Schutz-suchende, die Familienangehörige inder EU haben, sowie besonders verletz -liche Flüchtlingsgruppen nicht dem sogenannten Zulässigkeitsverfahren aufden griechischen Inseln unterworfenwerden. Sie sind damit nicht unmittel-bar der Gefahr ausgesetzt, in die Türkeizurückgeschickt zu werden. Die EU-Kommission fordert in einem Aktions -plan vom Dezember 2016 das bestehen-de Gesetz zu verschärfen und auch dieseGruppen auf den Inseln festzuhaltenund im Schnellverfahren in die Türkeiabzuschieben.

Kein europäisches Land steht flücht-lingspolitisch so unter der Kontrolle derEU und einzelner Mitgliedsstaaten wieGriechenland. Alles, was in Hellas pas-siert, ist überwiegend von der EU finan-ziert und das Elend der dort gestrande-ten Flüchtlinge ist von der EU-Kommis -sion und den Regierungen in Berlin, Den Haag und anderswo maßgeblichmit verursacht.

Elend als Konzept

Flüchtlingshaftlager wie Moria auf Les-bos oder Vial auf Chios und andere sindTeil eines knallharten Abschreckungs-konzepts. So wie der Türkei-Deal dieBlaupause für weitere schäbige Ab -kommen ist, sind die EU-»Hotspots« aufden Ägäis-Inseln eine großangelegte,zynische EU-Versuchsreihe: Eine zentra-le Fluchtroute wird verschlossen undtausende, gestrandete Flüchtlinge wer-den zur Abschreckung in Elend und Ver-zweiflung gestürzt.

In der Ägäis lässt sich quasi unter Labor-bedingungen beobachten, wie die Euro-päisierung der Asylpolitik künftig aus -sehen könnte. EU-Akteure wie Frontexund Europol sind vor Ort und stellen sicher, dass alle Schutzsuchenden um-fassend erfasst und registriert werden.Die EU-Behörden bekommen auch immer mehr Zugriff auf die Verfahren, denen Flüchtlinge unterworfen sind.Das Europäische Unterstützungsbürofür Asylfragen (EASO), für das auch Mit-arbeiter*innen des BAMF tätig sind, dominiert beispielsweise die sogenann-ten Zulässigkeitsverfahren bei syrischenFlüchtlingen. Egal, was vorgetragenwird, meist empfiehlt EASO, den Antragals unzulässig abzulehnen.

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Menschenunwürdige Bedingungen im EU-»Hotspot« Moria auf Lesbos, Jan. 2017

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28 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

»Schluss mit den Aus -reden! Bringt sie jetzther!«: Circa 160.000Menschen demonstrie-ren in Barcelona für dieAufnahme von Flücht-lingen, Feb. 2017

© picture alliance/AP Photo/Manu Fernandez

Flüchtlinge protestieren auf Chios gegen den EU-Türkei-Deal, Apr. 2016

© picture alliance/NurPhoto/Valerio Muscella

Blackbox Türkei

Nach Angaben der »Syrische Beobach-tungsstelle für Menschenrechte« habentürkische Soldat*innen im Jahr 2016 an der Grenze zu Syrien 163 Flüchtlinge erschossen, darunter 30 Kinder. Aberauch diejenigen, die es auf türkischesTerritorium schaffen, laufen Gefahr,postwendend abgeschoben zu werden.Zwar waren völkerrechtswidrige Push-Backs auch vor dem EU-Türkei-Deal Alltag, die Brutalität der Vorgehensweisean der Grenze hat sich aber verschärft.Und Europa? Brüssel schweigt zu deneklatanten Menschenrechtsverletzun-gen.

Die EU-Kommission berichtete am 2. März 2017, dass seit dem Inkrafttretendes Deals 1.487 Menschen »freiwillig«oder zwangsweise in die Türkei rückge-führt worden seien. Jedoch: Ein Monito-ring der Situation Zurückgeschobenerfindet nicht statt. UNHCR hat in einemSchreiben vom 23. Dezember 2016 aneine PRO ASYL-Anwältin in Athen einge-standen, dass auch UNHCR in der Türkeinur einen sehr eingeschränkten Zugangzu den aus Griechenland abgeschobe-nen Flüchtlingen hat. Der EU-Kommis -sion ist lediglich bekannt, dass 417 deraus Griechenland abgeschobenen Per-sonen bis zum 8. Dezember 2016 weiterin ihre Herkunftsstaaten, unter anderemnach Afghanistan und in den Irak, ab -geschoben wurden.

Push-Backs an den Landgrenzen

Versuche, dem Martyrium in der Ägäiszu entgehen und über die Landgrenzenach Griechenland oder Bulgarien zufliehen, scheitern an dem hochgerüste-ten Grenzregime und der brutalen Zu-rückweisungspolitik. Irritierende Relatio-nen: 29.000 Bootsflüchtlinge kamen inden ersten drei Monaten des Jahres inEuropa an, davon 4.056 in Griechenland.Die Internationale Organisation für Mi-gration (IOM) gibt aber an, dass nur 693Schutzsuchende über die EU-Landgren-zen eingereist seien. Diese Gegenüber-stellung lässt erahnen, was an den Land-grenzen Bulgariens und Griechenlandstäglich geschieht: Schutzsuchende wer-den abgewiesen, zurückgedrängt, zumTeil zurückgeprügelt.

Legale Weiterreise ermöglichen

PRO ASYL fordert, sich endlich vomschäbigen Deal zu Lasten der Flücht-lingsrechte zu verabschieden. Die Türkeiist kein sicherer Drittstaat. SogenannteZulässigkeitsverfahren, um schnellst-möglich Schutzsuchende in die Türkeizurückzuschicken, müssen eingestelltwerden. Das menschenverachtende Experiment auf den griechischen Inselnmuss unverzüglich beendet werden.Dort Festsitzende müssen auf das Fest-land gebracht werden und die zügige,legale Weiterreise in andere EU-Staatenmuss ermöglicht werden.

Im Frühjahr 2017 lebten in ganz Grie-chenland etwa 57.000 Flüchtlinge unterprekären, elenden bis katastrophalenBedingungen. Tausende von ihnen haben Verwandte in anderen EU-Staa-ten. Doch die Verfahren zur Familien -zusammenführung dauern quälend lan-ge: Auf griechischer Seite fehlt Personal,die Zielländer verschleppen die Verfah-ren. Es fehlt der politische Wille, Schutz-suchenden schnell einen Weg zu ihrenFamilien zu eröffnen.

Auch die Umverteilung (Relocation) von Schutzsuchenden aus Griechenlandverläuft schleppend. Deutschland hatsich verpflichtet, 17.200 Schutzsuchen-de aus Griechenland bis September2017 aufzunehmen. BeschämendeZwischen bilanz: Bis Anfang März wur-den erst 2.862 Flüchtlinge aufgenom-men. In Deutschland und Europa wollenviele Städte, Regionen und Initiativendem Flüchtlingselend in Griechenlandnicht mehr tatenlos zusehen. Unter demMotto »Let’s bring them here« kamen imFebruar 2017 in Barcelona 160.000 Men-schen zusammen, um für die unbüro -kratische Aufnahme Schutzsuchenderunter anderem aus Griechenland zu demonstrieren. Anders als die politischVerantwortlichen reden sie nicht nurvon europäischen Werten wie Solidari-tät, Humanität und Würde, sondern lösen sie ein. <<

29TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Um das langjährige Engagementzu verstetigen und als Reaktionauf die systematische Entrech-

tung und Verelendung von Schutz -suchenden in Griechenland durch denEU-Türkei-Deal hat PRO ASYL im Februar2017 mit den langjährigen Projektpart-ner*innen »Refugee Support Aegean«(RSA) gegründet. Die Mitarbeitenden,darunter Anwält*innen, Rechercheur*in-nen und Sozialarbeiter*innen, sind aufChios, Lesbos und in Athen aktiv. PROASYL hat nun eine Partnerorganisationin Griechenland, die Flüchtlingen zurSeite steht.

»Das Leben und die Menschenwürde zu verteidigen ist kein Luxus, sonderneine menschliche Pflicht und der letzteWiderstand gegen die Barbarei«.Efi Latsoudi, Refugee Support Aegean

Die langjährigen Kooperationspart -ner*innen von PRO ASYL sind über Grie-chenland hinaus anerkannte Expert*in-nen, wie Efi Latsoudi, die 2016 mit demNansen-Preis, der höchsten Auszeich-nung des UN-Flüchtlingskommissariats,ausgezeichnet wurde.

Ein neuer institutioneller Rahmen

Durch den neuen institutionellen Rahmen kann die Arbeit in Griechen-land ausgeweitet und verstärkt strate-gisch gegen die Auswüchse der EU-Abschreckungspolitik vorgegangenwerden. Ei ne Kernaufgabe ist es, Schutz-suchende vor Ort dabei zu unterstützen,ihre Rechte wahrzunehmen. Das Teamübernimmt beispielsweise folgende Aufgaben:

• Anwält*innen organisieren Klagengegen im Rahmen des EU-Türkei-Deals geplante Abschiebungen. Im Jahr 2016 konnten sämtliche Abschiebungen von Menschen, dieein Schutzgesuch gestellt haben, durch Interventionen bei verschiede-nen Gerichten ver hindert werden,auch solche, die unmittelbar bevor-standen.

• Die Mitarbeitenden untersuchen sogenannte Push-Backs. Dies sind Zurückweisungen, bei denen Flücht-linge illegal in die Türkei zurückge-bracht wurden.

• Das Team kümmert sich vorrangigum Schwangere, Kinder, Kranke, Folteropfer, Verletzte und ältere Menschen und versucht, wenigstens diese aus den Lagern herauszube-kommen.

• Das Team hilft Flüchtlingen bei derFamilienzusammenführung: Vor allem Familien, Mütter mit Kindernund unbegleitete minderjährigeFlüchtlinge werden unterstützt.

• RSA recherchiert und dokumentiertdie Situation in den Flüchtlingslagernauf den Ägäischen Inseln.

Helfen Sie uns, Flüchtlingen zu helfen –in Griechenland und anderswo. Unter stützen Sie die Arbeit von PROASYL durch eine Mitgliedschaft im Förderverein PRO ASYL e.V. oder durch eine Spende:

SpendenkontoIBAN: DE62 3702 0500 0008 0473 00BIC: BFSWDE33XXX

REFUGEE SUPPORT AEGEAN

GEZIELTE UNTERSTÜTZUNG FÜR SCHUTZSUCHENDE INGRIECHENLANDPRO ASYL ist seit zehn Jahren in Griechenland aktiv, recherchiert zu Menschenrechts-verletzungen und setzt gemeinsam mit Partner*innen vor Ort Projekte zum Schutz von Flüchtlingen um. Auf See und an den Landgrenzen wurden menschenrechtswidrige Zurückweisungen dokumentiert. Den Opfern steht PRO ASYL mit Rechtshilfe zur Seite.

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30 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Karl Kopp, PRO ASYL

Die wenigen Momente der Selbst-kritik, etwa nach dem 360- fachen Tod vor Lampedusa im

Oktober 2013, sind passé. Es gibt keineoffizielle Schweigeminute mehr für ertrunkene Flüchtlinge. Stattdessen:Flüchtlingsdeal mit Erdogan (März 2016),mit dem zerfallenen Bürgerkriegsland Libyen (Februar 2017), das EU-Abkom-men mit Afghanistan (Oktober 2016),die Endlosdebatte über »Lager in Nord-afrika«, »Migrationspartnerschaften« mit diktatorischen Regimen. Es drohtdie Orbanisierung Europas.

Seit Lampedusa starben über 13.000Menschen im Mittelmeer. Ohne den unermüdlichen Einsatz von zivilen See-notrettungsorganisationen wären esnoch viel mehr. Ihr Anteil an der Seenot-rettung stieg von fünf Prozent im Jahre2015 auf 40 Prozent im Jahr 2016. DieserEinsatz ist den Festungsbauern jedochzunehmend ein Dorn im Auge. Öster-reichs Außenminister Kurz hetzt am 24. März 2017: »Der NGO-Wahnsinnmuss beendet werden«. Die freiwilligenSeenotretter*innen würden sich zu Partnern der Schlepperbanden machen. Der Frontex-Chef Leggeri erhob ähnli-che Vorwürfe. Derartige Äußerungensind alarmierend, da die Hilfsorganisa-tionen zudem die einzigen sind, die aufhoher See das Handeln der EU und ihrer»neuen Partner« zumindest ansatzweiseüberwachen können.

Rolle rückwärts der EU-Kommission

Laut Angaben des UNHCR vom 28. Feb-ruar 2017 sind bislang ZehntausendeSchutzsuchende an europäischen Gren-zen zurückgedrängt worden, so in Bul-garien, Kroatien, Griechenland, Ungarn,Serbien, Spanien und Mazedonien. Invielen Fällen wurde mutmaßlich Gewaltangewendet, um die Menschen fernzu-halten. Irgendeine signifikante Reaktionder Kommission zu diesen Völkerrechts-verstößen? Fehlanzeige.

Im Flüchtlingsrecht erfüllt die EU-Kom -mission ihre Rolle als Hüterin der Ver trä -ge nicht mehr. Um »Handlungs fähig keit«zu demonstrieren, ist sie inzwischen Teildes Überbietungswett bewerbs der asyl-rechtlichen Restriktionen. Die BrüsselerBlaupausen für ein neues EU-Asylrechtsind nahezu durchgängig ein Programmzur Schwächung von Flüchtlingsrechten.Deutlich wird dies etwa an den Vorschlä-gen zur Reform der Dublin-Verordnung.

Dublin revitalisiert und verschärft

Das erbärmliche politische Scheitern derEU bei der Flüchtlingsaufnahme hätteeinen Neubeginn, eine grundlegendeReform des unfairen und unmenschli-chen Dublin-Systems, zur Folge habenmüssen. Der Vorschlag für eine verän-derte Asylzuständigkeitsregelung (Dub-lin IV) sieht hingegen eine deutliche Verschärfung vor.

Brüssel will verpflichtend einführen,dass Mitgliedsstaaten noch vor Beginndes eigentlichen Dublin-Verfahrens prü-fen sollen, ob Asylsuchende über einen»sicheren Drittstaat« oder »sicheren Her-kunftsstaat« eingereist sind – trifft dieszu, so sind die Anträge als unzulässig abzulehnen. Ihre Fluchtgründe könnenFlüchtlinge dann nicht mehr vorbrin-gen. Bisher noch vorhandene humani -täre Spielräume der Mitgliedsstaatensollen durch den Wegfall der Überstel-lungsfristen und die Aushöhlung des sogenannten Selbsteintrittsrechts mas-siv eingeschränkt werden. Flüchtlingedrohen zu »refugees in orbit« zu werden,zu Schutzsuchenden, für deren Asyl -antrag sich kein Staat mehr zuständigfühlt. Zur besseren Durchsetzung derTransfers von Asyl suchenden sollen Leistungen zur Sicherung des Existenz-minimums verweigert werden können.

Die Zivilgesellschaft wehrt sich

In den letzten zwei Jahren haben sich zivilgesellschaftliche Initiativen für denFlüchtlingsschutz stark gemacht wie niezuvor. Von der Seenotrettung im Mittel-meer, über Hilfe entlang der Flucht -routen in Europa bis hin zur Unterstüt-zung in den Aufnahmeländern leisten zivilgesellschaftliche Gruppen einen immensen Beitrag, um Leben zu retten,Leid zu mindern und Flüchtlingen zu ihren Rechten zu verhelfen. <<

ORBANISIERUNG EUROPAS

FLÜCHTLINGSPOLITIK AM NULLPUNKTGibt es noch ein Tabu in der Europäischen Flüchtlingspolitik? Unterhalb vom »Schießbefehl« an den Grenzen oder der Forderung, Flüchtlingsboote direkt im Mittelmeer zu versenken, scheint fast jeder Vorschlag diskussionswürdig.

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Allein in den ersten drei Monaten2017 kamen 595 Menschen beider Überfahrt über das zentrale

Mittelmeer ums Leben, rund 24.200Schutzsuchende gelangten nach Italien.Bereits 2016 hatte die Zahl der lebens-gefährlichen Überfahrten mit mehr als181.000 Ankünften in Italien einen neu-en Höchststand erreicht, fast 4.600 Ge-flüchtete kamen allein auf dieser Routeums Leben. Der Fluchtweg von Libyennach Italien stand 2016 ganz oben aufder Agenda der EU-Mitgliedstaaten.Während die Hoffnung auf einen solida-rischen Umgang mit Flüchtlingenschwindet, schwört man sich mit der

Externalisierung auf den kleinsten ge-meinsamen Nenner ein: UnbequemeFragen nach Flüchtlingsschutz in und legalen Wegen nach Europa erübrigensich, wenn Schutzsuchende europäi-sches Territorium nicht mehr erreichen.

Was es für Schutzsuchende bedeutet ander (Weiter)flucht gehindert zu werden,wird totgeschwiegen: In Eritrea treibtdie Militärdiktatur mehrere TausendMenschen monatlich in die Flucht, anZuflucht und Schutz ist für sie in Staatenwie Sudan nicht zu denken, Flüchtlingenin Libyen drohen schwerste Menschen-rechtsverletzungen und mit EU-Geldern

verbesserte Grenzkontrollen schaffenimmer gefährlichere Fluchtrouten durchdie Sahara und über das Mittelmeer.

Libyen: Rehabilitierung eines»Türstehers«

Am 3. Februar 2017 stellten die europä -ischen Staats- und Regierungschefs miteinem Zehn-Punkte-Plan die Weichenfür eine Neuauflage der Kooperation mit Libyen. Am Vortag hatte bereits dieitalienische Regierung ein bilateralesMemorandum of Understanding zur Be kämpfung »irregulärer Migration«nach Europa unterzeichnet. In dem von

31TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

EXTERNALISIERUNG DERVERANTWORTUNGGRENZ- UND ALIBIFLÜCHT LINGS SCHUTZ AUSSERHALB EUROPAS

Die europäische Externalisierungspolitik läuft auf Hochtouren. Das libysche Grenzmanagement wird aufgerüstet, um den Fluchtweg nach Italien zu blockieren, neben der Sahel-Region stehen die Herkunfts- und Transitstaaten am Horn von Afrika im Fokus. Eine Strategie auf Kosten der Menschenrechte.

Judith Kopp, PRO ASYL

Flüchtlinge an Bordder libyschen Küsten-wache nahe Tripolis,Sep. 2015

© Reuters/Ismail Zitouny

Bürgerkrieg zerrütteten Libyen ringen Milizen um die Macht, die international anerkannte Regierung der NationalenEinheit kontrolliert nur kleine Teile des Landes, Schutzsuchende und Migrant*in nen werden Zielscheibe von Gewalt und Erniedrigung: Es liegen Berichte über Erschießungen, Folter,Misshandlungen und Vergewaltigungenin libyschen Gefängnissen und Lagernvor. Als »völlig menschenunwürdig« bezeichnete Martin Kobler, UN-Koordi-nator für Libyen, die Zustände in denFlüchtlingslagern. Dennoch umwirbt die EU das nordafrikanische Land als»Türsteher«. Bis zu 200 Millionen Eurosollen unter anderem in das Grenzmana-gement entlang der südlichen Grenze (v.a. Richtung Niger) fließen sowie in dieAusbildung und Ausrüstung der liby-schen Küstenwache, die Flüchtlings -boote in libyschen Gewässern »retten«und zurück nach Libyen schaffen soll.Knapp 90 Beamte der libyschen Küsten-wache, die wiederholt brutal gegenFlüchtlinge vorgegangen ist, wurdenbisher im Rahmen der EU-Militäropera -tion EUNAVFOR Med geschult.

Am 20. März 2017 trafen sich die Innen-minister von Deutschland, Frankreich,Österreich, Slowenien, Malta und derSchweiz mit den Regierungschefs vonTunesien und Libyen in Rom. Im Vorfeldwar in der italienischen Presse eine Listemit Forderungen der libyschen Regie-rung veröffentlicht worden: darunter 20 Schiffe, 24 Schlauchboote, 30 Jeeps,vier Hubschrauber, zehn Ambulanz -wagen, Radareinrichtungen, Satelliten-telefone und Tauchanzüge. Klar ist: See-und Landgrenzen Libyens sollen mithilfetechnischer Ausrüstung möglichst un-passierbar gemacht werden.

Zudem zielt die Kooperation darauf, Abschiebungen aus Libyen zu forcieren.Mithilfe der Internationalen Organisa -tion für Migration sollen »freiwilligeRückführungen« in die Herkunftsländervorangetrieben und »bessere Bedingun-gen« in den Flüchtlingslagern erreichtwerden. Auch die Forderung, »Aufnah-mezentren« für Asylsuchende in Libyeneinzurichten, bleibt aktuell und wurdebeispielsweise im Februar vorgebrachtvon Antonio Tajani, dem neuen Präsi-denten des EU-Parlaments. Andernfalls,so Tajani, könnten bis zu 20 MillionenMenschen aus Afrika in den nächstenJahren nach Europa gelangen. So man-che*r in Brüssel scheint sich die Zusam-menarbeit mit dem Gaddafi-Regime zurückzuwünschen: Man hatte einenverlässlichen Partner in Tripolis, der beientsprechenden Gegenleistungen be-reit war, als ausführender Arm der euro-päischen Migrationskontrollpolitik zufungieren. Die Rechte von Geflüchtetenspielten schon damals keine Rolle.

Fluchtverhinderung am Hornvon Afrika: Von Skrupeln keineSpur

Auch am Horn von Afrika sollen die Kontrollmechanismen greifen. Der imNovember 2014 lancierte Khartoum-Prozess bildet hierfür den Rahmen. InHerkunftsländern wie Eritrea sollen»Fluchtursachen« und »Schleppernetz-

32 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Razzia gegen Flüchtlinge in Tripolis, Okt. 2015 © Reuters/Hani Amara

An der libyschen Küste werden die Leichen von Flüchtlingen geborgen, Feb. 2017 © picture alliance/AA/Hazem Turkia

werke« bekämpft werden, Staaten wieder Sudan werden beim Grenzmanage-ment unterstützt und dabei, Flücht -lingen eine »Bleibeperspektive in derRegion« zu bieten – fernab von Europa.Länder wie Sudan und Eritrea im BereichGrenzschutz zu unterstützen, gibt nichtnur Unrechtsregimen Mittel an die Hand,brutal gegen die eigene Bevölkerungund Flüchtlinge im Land vorzugehen. Esverleiht ihnen auch Legitimität und Sta-bilität. Gegen den sudanesischen Präsi-denten Omar al Bashir liegt seit 2009 eininternationaler Haftbefehl vor. AmnestyInternational hat rund 30 Giftgasangriffeder Regierung auf die Zivilbevölkerungvon Januar bis September 2016 doku-mentiert. Allein 2015 flohen UNHCR zu-folge rund 11.000 Menschen aus demSudan, es gibt mehr als drei MillionenBinnenflüchtlinge im Land. Dennoch ist der Sudan auch Zufluchtsland. Flücht-linge sind Willkür und Gewalt ausge-setzt, immer wieder kommt es zu rechts-widrigen Abschiebungen. Im Februarwurden 65 eritreische und äthiopischeSchutzsuchende nach friedlichen Pro-testen ausgepeitscht, zur Zahlung vonBußgeldern verurteilt, inhaftiert und 40 von ihnen direkt abgeschoben.

Dennoch will man mit dem sudanesi-schen Regime zusammenarbeiten. Über den Treuhandfonds für Afrika sol-len verbesserte Aufnahmebedingungen für intern Vertriebene und Flüchtlingegeschaffen werden. So wichtig eine

humanitäre Unterstützung ist, so heuch-lerisch erscheint das Ansinnen ange-sichts der dahinter stehenden Intentionder EU: Die Verantwortung für denSchutz von Flüchtlingen auszulagern auf Staaten, in denen große Teile der Be-völkerung unter Unterdrückung, massi -ver Armut und Perspektivlosigkeit lei-den. Wer sich auf den Weg macht, sollspätestens an der Grenze gestoppt wer-den: So zielt das von der Deutschen Ge-sellschaft für Internationale Zusammen-arbeit (GIZ) durchgeführte Programm»Better Migration Management« auf die Aus bildung und Ausrüstung der sudanesischen Grenzpolizei. Bedenken,eine Koopera tion mit der sudanesischen Regierung könne dem Ruf der EU scha-den, scheinen verflogen. Von Skrupelnkeine Spur.

»Europa ist nicht euer Paradies,sondern vielleicht euer Tod«

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen hatdie dramatischen Folgen der EU- Exter -na lisierungspolitik am Beispiel eritre i -scher Flüchtlinge aufgezeigt. Ein Berichtvom Februar mit Interviews, die in Äthi -o pien, Libyen und nach Seenotrettungs-einsätzen geführt wurden, doku men tiertdas Grauen der Flucht. Jede*r auf Ret-tungsbooten befragte Schutzsuchendeist während der Flucht Opfer schwererGewalt einschließlich Folter gewordenoder hat miterlebt, wie andere Gewalterlitten, häufig mit Todesfolge.

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist imOktober 2016 in den Niger, nach Äthio-pien und Mali gereist. Zuvor meldetesich Entwicklungsminister Gerd Müllerzu Wort. Um die Flüchtlinge davon abzu-halten, in Libyen in die Boote zu steigen,müsse man ihnen sagen: »Europa istnicht euer Paradies, sondern vielleichteuer Tod.« Die Aussage ist blanker Zynis-mus: Tatsächlich bedeutet das europäi-sche Grenzregime für Tausende Geflüch-tete Leid, Gewalt und Tod.

Ruf nach legalen Wegen »in Zeiten, in denen Mauern gebaut werden«

Die EU setzt auf Entrechtung und Ab-wehr. Zwar will man auch über Resettle-ment-Programme Flüchtlinge aus Dritt-staaten in Europa aufnehmen – dochbitte kontrolliert und je nach Aufnahme-bereitschaft der EU-Mitgliedstaaten, diebekanntlich in den meisten Länderneher dahinvegetiert.

»In meinen Augen ist es entscheidend,dass die Mitgliedstaaten, in Zeiten, indenen die Grenzen sich schließen oderMauern gebaut werden, nicht vor ihrerVerantwortung fliehen.« Paolo Mengoz-zi, Generalanwalt des Europäischen Ge-richtshofs, plädierte in einer Stellung-nahme im Februar 2017 dafür, Schutz -suchenden humanitäre Visa im Rahmendes EU-Rechts zu erteilen, wenn ihnenFolter oder unmenschliche Behandlungdrohen. Der EuGH erklärte sich in sei-nem Urteil vom 7. März 2017 für nichtzuständig. Dennoch bleibt dieser vor-sichtige Ruf nach legalen Wegen einwichtiger Appell inmitten von Abwehr-szenarien. Er findet Resonanz im uner-müdlichen Engagement ziviler See not -rettungsinitiativen, migrantischerSelbstorganisationen, und zahlreicherMenschenrechtsaktivist*innen und Un-terstützer*innen quer durch Europa. <<

33TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Empfang für Bundeskanzlerin Angela Merkel in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba, Okt. 2016 © dpa/Michael Kappeler

Nazifa muss sich stützen, wenn sie vom Stuhl aufsteht. Das Ge-sicht der 34-Jährigen verzieht

sich, auch die Schritte, die sie dannmacht, fügen ihr Schmerzen zu. Sie hatSchmerzen im Rücken, in den Beinenund in den Füßen. Hinzu kommt einTaubheitsgefühl im rechten Arm. Sie atmet langsam und laut ein und aus,holt eine mittelgroße Tüte mit Medika-menten aus Deutschland und sagt: »Das alles muss ich nehmen, damit esmir besser geht: Ich weiß nicht, wie ichdie Medikamente noch bezahlen soll.«

Nazifa lebt mit ihrem Mann Zajid und ihren drei Kindern Razija (17), Rasim (15)und Alen (6) in einem zweistöckigenHaus an der Peripherie der bosnischenStadt Bijeljina. Das Haus gehört einemVerwandten, der zurzeit in Deutschlandarbeitet. Dort kann die Familie wohnen– solange er nicht zurückkommt.

Die Familie sitzt im Wohnzimmer. Derkleine Alen schaut deutschsprachigeZeichentrickserien, er hat die meiste Zeitseines Lebens in Deutschland gelebt. Als die Polizei kam, um die Familie abzu-schieben, hat er angefangen zu weinen.Ihm fällt es schwer, sich auf die neue Lebenssituation in Bosnien einzustellen.»Alen ist Epileptiker. Er verliert manch-mal das Bewusstsein und fällt dann ein-fach um«, sagt Nazifa. Auch für ihn mussdie Familie Medikamente kaufen. DieEpilepsie stört Alen aber nicht so sehr. Er sagt: »Ich vermisse meine Freunde inDeutschland. Ich konnte mich dochnicht mal verabschieden.«

Auch der 17-jährigen Razija und dem15-jährigen Rasim fällt es schwer, sichwieder in Bosnien einzuleben. Rasim be-

suchte die neunte Klasse der Haupt-schule. Er stand kurz vor seinem Schul-abschluss, den er wegen der Abschie-bung nicht machen konnte. Weil seineLeistungen in Bosnien nicht anerkanntwerden, wurde er in die sechste Klassezurückgestuft.

Nazifa hatte ein Attest über ihre Reiseunfähigkeit

Neben den körperlichen Problemen lei-det Nazifa auch psychisch. Sie hat einePanikstörung, Migräneattacken, eineschwer ausgeprägte Depression. Nachtswacht sie manchmal auf und schreit lautauf. Damit sie einschlafen kann, nimmtsie vier Tabletten.

Ein Psychiater bescheinigte ihr am 11. Juli 2016 eine Reiseunfähigkeit fürmindestens drei Monate und schrieb in sein fachärztliches Attest: »Bei einemvorzeitigen Behandlungsabbruch, ins-besondere bei einer unangekündigtenAbschiebung ist unverändert mit einerZunahme der Symptomatik zu rechnenbis hin zur Gefahr einer psychischen Dekompensation.«

Die verantwortlichen Behörden küm-merten sich nicht um das Attest. Am 16. August um fünf Uhr morgens kamenPolizeibeamte ins Wohnhaus der Familiein Kreuztal. Die Polizeibeamten hatteneinen Amtsarzt dabei, der Nazifa kurzer-hand die Reisefähigkeit bescheinigte.Die sechsköpfige Familie hatte 15 Minu-ten Zeit, um ihre Sachen zu packen.

Ihr 15-jähriger Sohn Rasim erzählt: »Wirhaben das Klingeln der Polizei erst nichtgehört, weil es ja noch so früh war. Dannhat unser Nachbar die Tür geöffnet. Der

Arzt hat meine Mutter gefragt, ob sieSchmerzen hat und ob sie schwangerist. Meine Mutter hatte Schmerzen undwar aufgebracht, aber das war ihnenegal.«

Roman Franz ist Vorsitzender des Ver-bands Deutscher Sinti und Roma inNordrhein-Westfalen und kritisiert dieseAbschiebepraxis aufs Schärfste: »DieMenschen werden abgeschoben, weilder Amtsarzt das Attest über Reise -unfähigkeit nicht anerkennt. Die Aus -länderbehörden planen oft schon dieRückkehr, bevor über den Asylantragentschieden wurde, weil Roma aus densogenannten sicheren Herkunftsstaatenkeine Chance auf Asyl haben.«

Kein Geld für Medikamente und Behandlung

Familie R. erhält rund 55 Euro Sozialleis-tungen für die drei Kinder. Zum Lebenreicht das nicht. Dienstags und freitagsverkaufen Nazifa und Zijad Fundstückeaus dem Müll auf einem nahegelegenenFlohmarkt. Weil es in Bijeljina kein staat-lich organisiertes Recyclingsystem gibt,übernehmen die marginalisierten Romadiese Aufgabe. Ein Kilo Plastikflaschenbringt umgerechnet rund 15 Cent, dieauseinandergenommenen Teile einesSchrottwagens bis zu 20 Euro. Manch-mal finden sich in den Containern auchSchuhe, Uhren oder alte Handys und Radios.

Weil Nazifa sich nicht gut bewegenkann, sitzt sie auf einem Stuhl vor einerausgebreiteten Decke, auf der sie ihreWaren anbietet. Der Tag bringt den beiden umgerechnet rund 20 Euro ein.In Bijeljina leben über 200 Romahaus-

34 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

OHNE RÜCKSICHT AUF VERLUSTEMit diversen neuen Regelungen versucht die Bundesregierung, Abschiebungen durchzusetzen: schneller, härter, rücksichtsloser. Opfer dieser Politik sind auch Nazifa R. und ihre Familie. Eine Reportage aus Bosnien.

Krsto Lazarević, Journalist bei »Jib Collective«

halte, aber kaum jemand ist bereit Romaeinzustellen. Die Arbeitslosen quote von Roma in Bijeljina wird von den Mit -ar beitern der örtlichen Nichtregierungs -organisation Otaharin auf über 95 Pro-zent geschätzt. Die NGO selbst beschäf-tigt sechs Roma und ist damit der größte Arbeitgeber für die diskriminierte Gruppe in der Stadt.

Keine Chance auf Asyl inDeutschland

Roma aus den Westbalkanstaaten habenfast keine Chance Asyl in Deutschlandzu erhalten. Denn grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass in diesen Län-dern keine politische Verfolgung vor-liegt. »Das zu behaupten, spricht von einer völligen Ignoranz gegenüber dem,was vor Ort wirklich passiert«, sagt

Tamara Baković-Jadžić vom Roma- Forum Serbien. »Die Diskriminierung vonRoma auf dem Westbalkan ist so groß,dass kumulative Verfolgungsgründe alspolitische Verfolgung anerkannt wer-den sollten.« Wenn eine Person von verschiedenen Diskriminierungen undMenschenrechtsverstößen betroffen ist, die einzeln keinen Asylgrund darstel-len, können diese aber zusammenge-nommen nach Europäischem Recht undder Genfer Flüchtlingskonvention alsVerfolgung eingestuft werden. In ande-ren EU-Staaten werden diese »kumula ti -ven Verfolgungsgründe« anerkannt. Sohat Frankreich im Jahr 2015 19,4 Prozentund Schweden 9,9 Prozent der Asylan-träge aus Serbien anerkannt.

Abschieben ohne hinzusehen

Seit Verabschiedung des zweiten Asyl-pakets im März 2016 werden Abschie-bungen vom BAMF nur bei schwerenund lebensbedrohlichen Erkrankun-gen, die sich durch eine Abschiebungwesentlich verschlechtern würden, aus-gesetzt (§ 60 Abs. 7 AufenthG). Auch dieAusländerbehörden sind nun verpflich-tet, grundsätzlich davon auszugehen,dass einer unmittelbar bevorstehendenAbschiebung keine gesundheitlichenGründe entgegenstehen. Es sei denn,die Betroffenen selbst weisen eben -solche Gründe nach. Dafür braucht man ein Attest, aber psychologische Gut -achten sind explizit ausgenommen. DieBundespsychotherapeutenkammer hältdie neuen Regelungen für »fachlichnicht fundiert, inhuman und lebensge-fährdend.«

Seit Nazifa wieder in Bosnien ist, habensich ihre Symptome verstärkt. Sie wirktextrem unausgeglichen, beginnt zu weinen, ihre körperlichen Beschwerdensind schlimmer geworden. Seit ihrer Abschiebung im August musste sie des -wegen schon zweimal ins Krankenhaus.In ihrer Heimatstadt Bijeljina gibt es aberkeine Behandlungsmöglichkeiten. Frei-willige Helfer brachten sie ins vier Auto-stunden entfernte Banja Luka, obwohlihr Arzt ihr gesagt hatte, sie dürfe keinelangen Autofahrten auf sich nehmen.Das vergangene Mal lag sie in BanjaLuka elf Tage im Krankenhaus, aber dortbekommt sie nicht die Therapie, die der Arzt ihr in Deutschland verschriebenhat. »Hier sagen sie immer, sie könnenmich nicht richtig behandeln. Die Ärztesehen doch, dass es mir schlecht geht.«Es sei besser, wenn sie sich in Belgrad imbenachbarten Serbien behandeln lassenwürde, aber dafür fehlen ihr die Mittel.»In Deutschland hatte ich das Gefühl,das sind gute Ärzte, die sich um meineProbleme kümmern. In Bosnien ist dasnicht so. Hier hat niemand Respekt vorRoma.« <<

35TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Nazifa R. wurde trotzgravierender gesund-heitlicher Probleme imAugust 2016 mit ihrerFamilie nach Bosnienabgeschoben.

© Chris Grodotzki (alle Fotos auf dieser Seite)

Seit den Fluchtbewegungen über die Balkanroute hat die ungarischeRegierung repressive Maßnahmenergriffen, um Asylsuchende undFlüchtlinge am Zugang zum ungari-schen Territorium zu hindern. Waswaren die wichtigsten Entwicklun-gen und Ereignisse seither?

Die ungarische Regierung vertritt eineharsche Anti-Flüchtlingspolitik. Die ge-setzlichen und politischen Änderungenseit dem Sommer 2015 hatten alle dasZiel, das ungarische Asylsystem völlig zu zerstören und schutzbedürftige Menschen davon abzuhalten, in UngarnAsyl zu suchen. Vor allem der Zugang zum ungarischen Territorium und zumAsylverfahren wurde eingeschränkt. Will man ein Asylgesuch einreichen,kann man nur noch über die Transit -zonen Röszke und Tompa von Serbienlegal nach Ungarn einreisen. Auch derZugang zu den Transitzonen wurdemehrfach eingeschränkt, im Januar 2017auf fünfzehn Personen pro Woche.

Die haarsträubendste Menschenrechts-verletzung ist die sogenannte Acht-Kilometer-Regel, die im Juli 2016 in Kraft trat. Sie verpflichtet die Polizei, alleSchutzsuchenden auf die nicht-ungari-sche Seite des Grenzzauns zu bringen,die innerhalb einer Acht-Kilometer-Zone

um den Grenzzaunherum entlang derserbisch-ungari-schen oder kroa-tisch-ungarischenGrenze aufgegriffen werden. Das führtzu einer Legalisierung von Push Backs,also völkerrechtswidrigen Zurückwei-sungen. Bis Jahresende 2016 wurde19.219 Schutzsuchenden der Zugang an der ungarisch-serbischen Grenze verweigert, entweder weil sie von derEinreise abgehalten oder zurück an dieGrenze transportiert wurden. DiesenMenschen wurde das Recht verwehrt,Asyl zu beantragen, obwohl die meis-ten von ihnen aus Kriegsgebieten wieSyrien, dem Irak oder Afghanistan kamen. Viele wurden außerdem von Per-sonal in Uniform misshandelt und ver-letzt, was in unserem Bericht »PushedBack at the Door« beschrieben ist.

Wie beeinträchtigen diese Entwicklungen Eure Arbeit?

Die Kommunikationskampagne der Regierung gegen Migrant*innen undFlüchtlinge hat zu einer feindseligenStimmung geführt. Es ist sehr schwieriggeworden, mit Behörden in einen fach -lichen Dialog zu treten, da diese Themenso hochgradig politisiert sind.

Auch Asylsuchende zu beraten, wird immer schwieriger. Die Anerkennungs-rate in Ungarn ist eine der niedrigsten in der EU und fast niemand befürwortetIntegration. Permanente Unterkünftewurden durch mangelhafte, temporäreEinrichtungen ersetzt. Der Staat ziehtsich aus Integrationsleistungen zurückund zwingt selbst international Ge-schützte in Obdachlosigkeit und Armut.Die Einführung von Grenz- und Unzuläs-sigkeitsverfahren sowie kürzere Be -rufungsfristen erschweren die Beratung.Wir können unseren Klienten kaum Per-spektiven aufzeigen. Beunruhigend ist auch, dass die Behörden seit Januar unseren Zugang zu den Transitzonenbeschränken. Das ist ein Rechtsbruchund wir arbeiten daran, die Situation zuändern.

Wie hat sich die Lage von Flüchtlin-gen und Asylsuchenden in Ungarnseit dem Sommer 2015 verändert?

Asylsuchende sind mit ernsthaftenSchwierigkeiten konfrontiert, Zugangzum Asylsystem zu bekommen undSchutz zu erhalten, obwohl im Jahr 2016

36 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

»DIE HASSKAMPAGNE HAT DAS GESELLSCHAFTLICHEKLIMA VERÄNDERT«ILLEGALE PUSH-BACKS, FLÜCHTLINGE IN HAFT UND UNGARISCHE NGOs UNTER DRUCK

Das ungarische Helsinki-Komitee kämpft für die Menschenrechte und für die Stärkungrechtsstaatlicher Strukturen in Ungarn. Ein Schwerpunkt liegt auf den Themen Fluchtund Asyl. Anikó Bakonyi ist seit 2010 für die gemeinnützige Organisation tätig. Im Interviewmit PRO ASYL schildert sie die desaströse Lage von Flüchtlingen in Ungarn.

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ähnlich wie 2015 über 65 Prozent derAsylsuchenden aus von Krieg und Terrorgezeichneten Ländern kamen. Der Frau-enanteil lag bei 22 Prozent, 29 Prozentwaren Kinder. Die Hasskampagne derRegierung hat das gesellschaftliche Kli-ma verändert und zu einer Stimmungs-mache gegen Flüchtlinge geführt, ob-wohl deren Anzahl im Land minimal ist.Einige unserer Klienten mit Schutzsta-tus, die seit einiger Zeit in Ungarn leben,berichten von entsprechenden Alltags-problemen, die sich auf diese Hassbot-schaften zurückführen lassen.

Der Zugang zu den Transitzonen anden Grenzen ist sehr eingeschränkt.Wie ist die Lage an der Grenze zu Serbien?

Schätzungen zufolge sind etwa 8.000Personen in Serbien gestrandet. EinigeSchutzsuchende sind obdachlos, andereleben in Auffanglagern. Ab März und biszum Winter 2016 sammelte sich einewachsende Zahl von Menschen in den»Vortransitzonen«. Das sind Gebiete auf ungarischer Seite, die durch Zäunevon den tatsächlichen Transitzonen inRichtung Serbien abgeriegelt sind. Hierwarteten die Schutzsuchenden darauf,in die Transitzonen einreisen zu kön-nen, darunter ein Drittel Kinder unter 18 Jahren. Die Flüchtlinge lebten in pro -viso rischen Zelten aus Decken, die von

UNHCR ausgegeben wurden. Die Be -dingungen waren sehr schwierig. In -zwischen versuchen die serbischen Be-hörden, Unterkünfte für die Wartendenbereitzustellen. Frustrierend ist aber vor allem die Wartezeit, von der keinersagen kann, wie lang genau sie dauernwird. Nicht nur die Zahl der erlaubtenZugänge in die Transitzonen nimmt stetig ab, auch die Auswahl ist völlig intransparent. Wenn man die jetzige Ein-lasspolitik zugrunde legt, war die Listeschon im Februar 2017 bis 2019 ausge-bucht.

Im März wurden weitere Gesetzesver-schärfungen beschlossen: Die Polizei istjetzt verpflichtet, jeden sich irregulär imLand aufhaltenden Schutzsuchendenhinter den Grenzzaun zurückzudrängen,ohne Zugang zum Asylverfahren in Ungarn zu gewähren. Schutzsuchendemüssen dort ausharren, bis man sie indie Transit zonen lässt. Dort werden Asyl-suchende dann für die gesamte Dauerihres Asylverfahrens inhaftiert.

Welchen Einfluss haben Menschen-rechtsorganisationen zurzeit in Ungarn?

Allgemein ist es sehr schwierig, Ansich-ten, die von der Regierungsmeinung ab-weichen, in die Öffentlichkeit oder in die Medien zu bringen. Trotzdem haben

wir Ende 2016 eine kleine Kampagne organisiert und versucht, über unsereArbeit im Bereich Familienzusammen-führung positive Bilder von Flüchtlingenin die Öffentlichkeit zu bringen. Wirglauben an die Stärke individueller Ge-schichten und werden weiter versuchen,uns Gehör zu verschaffen.

Es gibt eine starke Solidarität unter denNichtregierungsorganisationen, von denen manche unter erheblichen An-griffen der Regierung leiden. Wir werdenals Pseudo-Nichtregierungsorganisatio-nen bezeichnet und beschuldigt, aus-ländische Interessen zu vertreten.

In den letzten Jahren haben deut-sche Gerichte Rückführungen nachUngarn häufig gestoppt, dennochwerden Abschiebungen durchge-führt. Wie ist die Situation von Dublin-Rückkehrern in Ungarn?

Das Dublin-System ist ineffektiv wie ehund je. Im Jahr 2016 gab es aus Deutsch-land mehr als 11.000 Rückübernahme -ersuchen an Ungarn, aber weniger als300 Personen wurden tatsächlich rück-geführt. Genauso wie neu ankommendeAsylsuchende sind auch Dublin-Rück-kehrer nicht gewollt.

Wie beurteilst Du die Entwicklungenauf europäischer Ebene aus ungari-scher Perspektive?

Die Visegrad-Länder vertreten alle eine Anti-Flüchtlingshaltung: Während Ungarn und Polen überhaupt nicht amUmsiedlungsprogramm der EU (Reloca-tion) teilnehmen, haben die Slowakeiund die tschechische Republik wenigs-tens eine begrenzte Zahl an Menschenumgesiedelt. Meine Sorge ist, dass Orbans beängstigende Vision eines ab-geschotteten Europas mehr und mehrzur Norm wird und wir die Verdrängungeuropäischer Werte, die das Fundamentder EU darstellen, miterleben müssen.<<

37TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

GÄNZLICH UNERWÜNSCHT Entrechtung, Kriminalisierung und Inhaftierung von Flüchtlingen in Ungarn

Juli 2016

Autor Marc Speer zeigt auf, wie Flücht linge in Ungarn systematisch politisch, rechtlich und sozial margina -lisiert werden.

Die DIN A4-Broschüre umfasst 32 Seiten und ist bei PRO ASYL erhältlich (auch als PDF).Herausgeber*innen sind PRO ASYL und bordermonitoring.eu.

Hier finden Sie den Bericht »Pushed Back« des ungarischen Helsinki-Komitees von Anfang 2017 als PDF in englischer Sprache: http://ShortURL.de/ZIEax

38 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Krsto Lazarević, Journalist bei »Jib Collective«

Es ist eine Hölle. Unweit des Bel -grader Zentrums hat sich in alten Lagerhallen das größte informel-

le Flüchtlingslager Europas gebildet.1.200 Menschen leben in den Ruinen,die meisten von ihnen kommen aus Afghanistan. An die alten Lagerhallensind Graffitis gesprüht: »Please, don’t for-get about us« und »Refugees are not terrorists« steht dort in großen Letterngeschrieben. Vor den verfallenen Hallenstehen Männer in einer kleinen Schlan-ge an einer der beiden Wasserquellender Belgrader Trümmerlandschaft. Einerputzt sich die Zähne, ein anderer wäschtsich die Füße. Neben dem Schlauch, ausdem das Wasser kommt, steht ein rosti-ges Fass über einer Feuerstelle. Einer der Männer zeigt lächelnd darauf undsagt: »Das ist unsere Dusche.« SanitäreAnlagen gibt es nicht. Not macht er -finderisch.

Hier lebt auch der 26-jährige Mielad, derwie die meisten in den Lagerhallen ausdem Osten Afghanistans kommt. Ausder Provinz Kunar, unweit von Kabul, wodie Taliban sehr aktiv sind. Er trägt einehelle Lederjacke mit Spuren von Ruß, siesieht nicht so aus, als könnte sie vor derKälte schützen. Mielad betont, dass erein gutes Leben in Afghanistan hatte, biser ins Visier der Taliban geriet, weil er imGesundheitsministerium für die Regie-rung gearbeitet hat.

Unhaltbare Zustände

Die Provinz Kunar hat er vor sieben Monaten verlassen, seit vier Monatenlebt er nun hier. Er führt durch die herun -tergekommenen Lagerhallen. In den Ruinen steigt beißender Rauch auf, weil mit Holz aus alten Balken der Schie nen -an lagen, Müll und Plastik geheizt wird.Richtig warm wird es trotzdem nicht. DieLungen beginnen schon nach wenigenMinuten zu schmerzen und die Augenzu tränen.

Zwischen zwei Erhöhungen wurde miteiner Leiter eine kleine Brücke aufge-baut, auf der ein selbst gebautes Dixi-Häuschen steht, um ein wenig Privat-sphäre zu ermöglichen. Darunter bildetsich ein großer Haufen Kot, der gefro-ren ist. Mielad deutet mit dem Finger auf diese Zustände und stellt Fragen:»Warum müssen wir hier leben? Habenwir unsere Häuser und unser Land ver-lassen und sind vor dem Krieg geflüch-tet, nur um hier zu erfrieren?« Unweitder improvisierten Toilette hält er sichdie Nase zu und sagt: »Das ist doch widerlich. Ich kann hier nicht länger bleiben.«

Täglich kommen rund 100 neue Flücht-linge aus Mazedonien und Bulgarien inSerbien an. Hier bleiben sie stecken, weildie Grenzen zu Ungarn und Kroatiendicht sind. Laut Europol hat sich Belgradzum Epizentrum für die Schlepper aufder Balkan-Route entwickelt.

IN DEN BARACKEN AUFDER BALKANROUTE Seit Schließung der Balkanroute hat sich die Situation der Flüchtlinge stark verschlechtert. Sie leben oft unter menschenunwürdigen Bedingungen. Die Schlepper machen ein gutes Geschäft. Die Reportage beschreibt die Lage in Belgrad Anfang 2017.

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39TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Gewalt gegen Flüchtlinge

Die Afghanen in den Lagerhallen sind im Schnitt deutlich ärmer als die Flücht-linge, die noch vor der Schließung derBalkan-Route vergangenes Jahr im Märzin Belgrad ausharrten. Vielen ist das Geld ausgegangen, auch weil sie vonden Schleppern betrogen werden. Rund 3.000 Euro kostet es derzeit, nachUngarn zu kommen. Für viele ist es einRückfahrschein, weil die ungarische Regierung Push-Backs durchführt. DieRuinen von Belgrad sind voller Männer,die behaupten, bereits in Ungarn ge -wesen und dann von der Polizei ge-schlagen, misshandelt und zurückge-schickt worden zu sein. Auch der bulga-rischen Polizei wird in zahlreichendokumentierten Fällen die Misshand-lung von Flüchtlingen vorgeworfen.

40 Prozent der Flüchtlinge sind minderjährig

Der neunjährige Hamraz wärmt seineHände am Feuer und hustet. Seit zweiMonaten lebt der Junge in den Ruinen.Er ist mit einer kleinen Gruppe unter-wegs, aber ohne Eltern und Familie.Hamraz kommt aus der afghanischenRegion Nangarhar, die zwischen Kabulund der pakistanischen Grenze liegt; Taliban-Gebiet. Er sagt, seine Eltern hätten ihn losgeschickt, weil die Talibanmehrfach versucht hätten, seinen Vaterzu töten: »Ich kann auch nicht in dieSchule gehen, weil die oft von den Taliban angegriffen wird.«

Die NGO »Save the Children« schätzt,dass sich rund 900 unbegleitete Minder-jährige in Serbien aufhalten. 200 bis 300 von ihnen sollen in den Lagerhallenschlafen. Als die Temperaturen in Bel-grad im Winter auf bis zu minus 16 Gradsanken, warnte die NGO, dass die Kinderzu erfrieren drohten. Als die Tempera -turen stiegen, wurde die Situation einwenig erträglicher.

Die Situation in den Aufnahmezentren

In den Ruinen hat sich eine reine Männerwelt gebildet, weil Frauen undMädchen in den serbischen Aufnahme-und Asylzentren unterkommen. In Serbien befinden sich rund 8.000 Flücht-linge. Die meisten leben in den offiziel-len Flüchtlingslagern, in denen die Situation etwas besser ist als in den Belgrader Baracken.

Alleine im Camp «Krnjača» am RandeBelgrads leben circa 1300 Flüchtlinge.Während die Belgrader Ruinen eine reine Männerwelt sind, leben in den offiziellen Lagern auch viele Familien,Frauen und Mädchen. Im Haus Nummer

13 des Camps leben ausschließlich un-begleitete Minderjährige im Alter von 11 bis 17 Jahren. Die meisten besuchendie Schule und sprechen bereits etwasSerbisch. Die meisten schlafen in Vier-bettzimmern. Die Kinder im Alter bis zu 13 Jahren müssen zu zehnt in einemZimmer schlafen. Es ist warm, es gibt einen Spielplatz und dreimal am Tag etwas zu essen.

Die serbische Regierung bemüht sichnach außen, ein humanes Gesicht zu zei-gen, aber das ist nur die halbe Wahrheit.Lange Zeit hatte sich der serbische Staatgeweigert, ausreichend Schlafplätze zurVerfügung zu stellen und Geflüchtetedamit in die Obdachlosigkeit gezwun-gen. Warum viele Flüchtlinge nicht in die Aufnahmezentren wollen, hat abereinen anderen Hintergrund.

Abschiebungen aus den Aufnahmezentren

Dem UNHCR zufolge werden Flüchtlingeaus Serbien vermehrt über die Grenzenach Mazedonien und Bulgarien abge-schoben. Diese Praxis ist rechtswidrig,hat sich aber auf der westlichen Balkan-route inzwischen etabliert. Nikola Kovačević vom Belgrader Zentrum fürMenschenrechte sagt: »Wir haben Be-richte, laut denen uniformierte MännerFlüchtlinge aus dem Bus an die Grenzegebracht haben. Dort wurden ihre Papiere zerrissen und die Menschen beiTemperaturen von minus elf Grad imWald ausgesetzt.« Auch Human RightsWatch berichtet von illegalen Push-Backs. Demnach sollten an einem Tag 40 Flüchtlinge von der serbisch-ungari-schen an die serbisch-mazedonischeGrenze gebracht werden. Doch die Men-schen wurden einfach auf mazedoni-schem Gebiet rausgeschmissen. NGOsschätzen, dass bislang über 1000 Men-schen Opfer dieser illegalen Push-Backsaus Serbien geworden sind. Es ist dieAngst vor diesen brutalen Push-Backs,die Menschen in die Belgrader Barackentreibt. <<

In den Baracken von Belgrad, Anfang 2017© Erik Marquardt (alle Fotos auf dieser Seite)

40 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

»IN MAROKKO GELTEN HOMO SEXUELLE NICHT ALS MENSCHEN«NACH DREI JAHREN ENDLICH ALS FLÜCHTLING ANERKANNT

Im März 2017 hat der Bundesrat eine Einstufung der Maghreb-Länder als »sichere Herkunftsstaaten« abgelehnt – aus gutem Grund. Dass die Maghreb-Staaten mitnichten sicher sind, zeigt der Fall des 29-jährigen Zouhair. Aufgrund seiner Homosexualität war er in Marokko Schikanen ausgesetzt und wurde verhaftet. Nach einem jahrelangen, zer mürbenden Asylverfahren wurde er in Deutschland als Flüchtling anerkannt. Im Gespräch mit PRO ASYL erzählt Zouhair, warum Marokko gerade für Menschen wie ihn nicht sicher ist.

PRO ASYL: Du hast sicher in denNachrichten von der Debatte gehört,dass die Maghreb-Staaten zu siche-ren Herkunftsländern erklärt werdensollten. Was hältst du davon?

Diese Länder als sicher einzustufen würde bedeuten, dass Betroffene ausdiesen Ländern nicht länger die Chanceauf ein gutes Asylverfahren haben. DieSitua tion in Nordafrika ist gerade fürLGBT-Menschen ziemlich schrecklich.Marokko ist definitiv nicht sicher. Stän-dig hört man in den Nachrichten, dassSchwule und Lesben schlecht behandeltoder verhaftet und ins Gefängnis ge-steckt werden. Das marokkanische Ge-setz sagt, dass, wenn man schwul oderlesbisch ist oder »unnatürlichen Sex«hat, wie sie es nennen, ist man kriminell.

Man kann zwischen sechs Monaten unddrei Jahren ins Gefängnis kommen, nurweil man so ist, wie man ist. Touristenaus Deutschland und Europa kommennach Marokko und denken, sie sehenein offenes Land, in dem man gut Ur-laub machen kann. Aber für Schwule,Lesben, Bisexuelle und Transgender-People ist es ein Horrorleben: Wir habenkeine Freiheit, werden nicht respektiert,schikaniert und öffentlich gedemütigt.In Marokko gelten Homosexuelle nichtals Menschen.

Und die Polizei? Ist sie nicht dazu da, Betroffene zu schützen?

Nein, die Polizei schützt uns nicht. Sieverhaften LGBT-Menschen und steckensie ins Gefängnis, weil es dieses homo-phobe Gesetz in Marokko gibt. Erstwenn ein Homosexueller getötet wurde,stellen sie eine Untersuchung an. An-sonsten gibt es kein Mitleid mit uns, weil man glaubt, dass, wenn uns etwaspassiert, uns »das recht geschieht«.Mehr noch, die Polizei checkt unsereHandys, wenn wir ihnen suspekt vor-kommen.

Es kommt auch vor, dass sie in unsereHäuser und Wohnungen einbrechenund uns verhaften. Sie wissen, niemandwird dagegen protestieren, weil wir homosexuell sind. Einmal wurde ich verhaftet und nachdem ich die Freilas-sungspapiere unterzeichnet hatte, woll-te der Polizist den Stift nicht mehr vonmir zurücknehmen. Er sagte, ich solle ihnin den Müll werfen, weil ich Leute mitAIDS anstecke. Er hat geglaubt, Homo-sexuelle seien krank und ansteckend.

Wann und wie hast du dich ent -schieden: Ok, ich halte das nicht länger aus?

Ich war schon vorher im Ausland gewe-sen, weil ich in der Hotelbranche gear-beitet hatte. Es war immer unglaublich

schwer für mich, zurück in ein Land zugehen, wo ich nicht ich selbst sein konn-te. Im November 2013 reiste ich nachEuropa, um dort Urlaub zu machen. Mirwurde klar, dass ich unmöglich in dasLand zurück konnte, in dem ich ständigum mein Leben fürchten muss. Alsohabe ich in Deutschland Asyl beantragt.

Was passierte dann? Wie verliefen dasAsylverfahren und die Anhörung?

Ich habe zuerst 52 Tage in einer Erst -aufnahme in Niedersachsen gelebt. Das war schlimm. Drei Monate nachdem ich meinen Asylantrag gestellt hatte,war die Anhörung. Das Erste, was dieAn hörerin sagte, war, ich würde nichtschwul aussehen. Das hat mich totalumgehauen. Hätte ich Schminke tragenmüssen? Oder meine Fingernägel lackie-ren müssen? Seit meiner Kindheit wuss-te ich, dass ich anders aussehe und von anderen anders angesehen werde.Ich war nie ein Macho oder aggressivoder dominant, so wie es von Männernin Marokko erwartet wird. Wenn mandieser Erwartung nicht entspricht, giltman als feminin oder schwach. Wennman auch noch schwul ist, benehmensich alle, als hätten sie das Recht, einenschlecht zu behandeln. Manche Famili-en würden eher akzeptieren, dass die eigene Tochter eine Prostituierte ist als lesbisch. Daran erkennt man, wie irritiert ich von dieser Frage war.

41TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Die Anhörung dauerte länger als eineStunde. Zum Schluss fragte mich die An-hörerin, ob das alles gewesen war. Ichhatte ihr gerade meine ganze Geschich-te erzählt und hatte das Gefühl, dass ihrdas nicht genug war. Dann kam der Ab-lehnungsbescheid, in dem stand, dasssie mir nicht glaubten, dass ich schwulbin.

Wie hat sich das angefühlt? Abgelehnt zu werden?

Es war… Ich finde keine Worte dafür. Es war so surreal. Ich konnte, ich konnteeinfach nicht zurück nach Marokko! Ich hatte endlich einen Ort gefunden, an dem ich frei atmen konnte und dannwurde ich abgelehnt. Wäre ich abge-schoben worden, hätte ich mich gefühlt,als wäre mein Leben zu Ende.

Hattest du jemand, der dich unter-stützt?

Ich bekam Kontakt zu einer lokalen Unterstützergruppe, die sich um LGBT-Flüchtlinge kümmerte. Über sie bekamich den Kontakt zu meiner Anwältin. Sie war gut, aber sie hat mir gleich zuBeginn gesagt, dass es wenig Hoffnunggab, die Entscheidung des BAMF erfolg-reich anzufechten, gerade weil ich ausMarokko komme.

Zu der Zeit wurde ich sehr depressiv. Ich war sogar mehrmals in der psychi-atrischen Behandlung, einmal 40 Tageam Stück. In Marokko war ich von einerGesellschaft umgeben, die mich und alle anderen LGBT-Menschen ablehnte.Als ich nach Deutschland kam, fühlteich, dass ich endlich frei und sicher sein

konnte und dann wurde mein Antragabgelehnt. Dieses Gefühl, von nieman-dem gewollt oder angenommen zu werden, macht einen verrückt. Ich warverzweifelt.

Was passierte als nächstes?

Ich war mental in einem schlechten Zu-stand. Mein Arzt bestätigte dem BAMF,dass der Hauptgrund ist, warum ich depressiv war, dass ich schwul bin undals schwuler Mann befürchten muss,nach Marokko abgeschoben zu werden.Da hat mir das BAMF endlich geglaubt.Im Dezember 2016 bekam ich endlichmeine Anerkennung als Flüchtling nachder Genfer Konvention.

Warte mal. Du hast also drei Jahredarauf warten müssen, anerkannt zu werden?

Ja, es war ein langer Kampf und drei Jahre lang Unsicherheit. Für Asylsuchen-de aus Marokko ist es besonders hart.Ich hatte keinen Anspruch auf einenSprachkurs. Ich wünschte, ich hätte inder Zeit die Möglichkeit gehabt, nochbesser Deutsch zu lernen.

Wie fühlt sich das Leben in Deutsch-land für dich an, jetzt nachdem duanerkannt worden bist?

Ich fühle mich endlich sicher. Es ist einSegen. Mehr kann man sich nicht wün-schen. Einen Monat nach meiner Aner-kennung hatte ich ein Gespräch an einerHochschule für einen Studienplatz inComputerwissenschaften. Ich bekam einen Platz in einem Deutschkurs. In Marokko lebt man in Angst, man arbei-tet in Angst. Das Leben ist vorbei, wenndie Leute herausfinden, dass man gay ist.

Schwule und Lesben haben in Marokkokeine Rechte. In Deutschland wurde ichnie diskriminiert. Ich meine, man kannniemanden dazu zwingen, einen zu mögen oder zu akzeptieren. Aber dasdeutsche Gesetz verbietet es einem,LGBT-Menschen zu diskriminieren. Unddas ist ein Menschenrecht, das man sichnur wünschen kann. <<

© p

rivat

42 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

RECHTE GEWALT GEGEN ASYLSUCHENDE

ES HÖRT NICHT AUFDie Zahlen sind alarmierend: Die »Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle« dokumentiert 3.729 Fälle rassistisch motivierter Gewalt gegen Asylsuchende im Jahr 2016. Die Angaben der Sicherheitsbehörden hingegen sind oft fehlerhaft. Eine Bestandsaufnahme der Gewalt.

Marius Münstermann/Timo Reinfrank, Amadeu Antonio Stiftung Es wird geschlagen und getreten,

gehetzt, geschossen und ge-sprengt, mit Steinen und Molotov-

Cocktails geworfen. Tausende Menschen,die in Deutschland Schutz suchen, wer-den Opfer rechter Gewalt. Der Kampfgegen Geflüchtete und ihre Unterstützerist eindeutig das dominierende Themader organisierten Rechten. Eine weitver-breitete Annahme lautet: Seit wenigerGeflüchtete nach Deutschland kommen,nehme auch die Zahl rassistisch moti-vierter Übergriffe ab. Ein Trugschluss,wie ein Blick in die »Chronik flüchtlings-feindlicher Vorfälle« zeigt. In der Chronikdokumentiert PRO ASYL gemeinsam mit der Amadeu Antonio Stiftung rechteÜbergriffe auf Geflüchtete in Deutsch-land.

Im Schnitt gab es im vergangenen Jahr jeden Tag zehn Übergriffe auf Asyl -suchende. Hinzu kommen hunderterechte Demonstrationen und Kundge-bungen, bei denen unverhohlen gegenGeflüchtete gehetzt wird. Die Chronikflüchtlingsfeindlicher Vorfälle ist im Internet öffentlich einsehbar. Die Daten-bank ist ein Wasserstandsmesser fürHass und Gewalt im Land. Sie erfüllt da-

rüber hinaus eine zivilgesellschaftlicheKontrollfunktion: Die Chronik ist ein notwendiges Korrektiv zu den Angabender Sicherheitsbehörden. Als einzige Datenbank bietet sie einen bundes -weiten Überblick derartiger Übergriffeund ermöglicht somit einen Vergleich zu den Angaben von Polizei, Landes-und Bundesbehörden, welche immerwieder Fehler und Merkwürdigkeitenaufweisen.

Das Schweigen der Behörden

Um eine Vergleichbarkeit der Statistikenzu gewährleisten, orientieren sich PROASYL und die Amadeu Antonio Stiftunggrundsätzlich an den Erfassungskrite-rien der Sicherheitsbehörden. Primär-quellen sind im Idealfall Polizeimeldun-gen. Allerdings werden viele Vorfällevon den zuständigen Ermittlungsstellennicht per Pressemitteilung öffentlich ge-macht. In zwei Bundesländern könnenwir dieses Problem konkret benennen.Aus den Angaben des Berliner Senatsgeht hervor, dass das LKA Berlin im Jahr2016 insgesamt 50 Übergriffe auf Ge-flüchtete registrierte. Allerdings ver -öffentlichten die Behörden nur in siebenFällen eine entsprechende Pressemittei-lung. Kaum besser die Lage in Bayern:Von 415 registrierten Fällen machten diebayerischen Ermittlungsbehörden nur94 auf eigene Initiative hin öffentlich.

Die Dunkelziffer der Übergriffe dürftedeutlich höher liegen. Viele Fälle kom-men nie zur Anzeige – teils, weil die Be-troffenen Angst vor der Polizei haben,teils, weil sie kein Aufsehen erregen wollen aus Sorge um ihren Aufenthalts -status oder ihr laufendes Asylverfahren.Umso wichtiger ist deshalb die Arbeitder regionalen Opferberatungsstellen,deren Erkenntnisse in die Chronik ein-

1. Oktober 2016 Jüterbog (Brandenburg)

Ein 20-jähriger Tatverdächtigersoll in der Nacht zwei Molotov-Cocktails gegen ein Fenster einesGebäudes geworfen haben, in demzwanzig unbegleitete minderjähri-ge Geflüchtete wohnen. Es ist einer der wenigen Brandanschlä-ge, in dem neben schwerer Brand-stiftung auch wegen versuchtenMordes ermittelt wird.

fließen. Die Opferberatungsstellen ken-nen die Strukturen vor Ort und vermit-teln Betroffenen rechter Gewalt bei Bedarf juristische oder psychologischeBetreuung. Leider müssen viele Opfer-beratungsstellen Jahr für Jahr um eine

Folgefinanzierung bangen. Die AmadeuAntonio Stiftung fordert seit Langem,dass die Opferberatungsstellen von denLändern finanziell abgesichert werden,damit sie ihre unersetzliche Arbeit lang-fristig planen und fortsetzen können.

Insbesondere Lokalredaktionen erhaltenoftmals wertvolle Hinweise auf Vorfälle,die andernfalls nicht zeitnah öffentlichgemacht würden. Ein Beispiel: Am 23.Februar 2016 warfen Unbekannte mit einem Stein die Scheibe einer Asylunter-kunft im sächsischen Moritzburg ein. In dem dahinter liegenden Zimmer be-fanden sich zum Tatzeitpunkt mehrereMenschen, zum Glück wurde niemandverletzt. Ein Zeuge hatte die SächsischeZeitung auf den Vorfall hingewiesen.Erst auf Nachfrage der Redaktion bestä-tigte die zuständige Ermittlungsstelleden Vorfall, weiterführende Details wurden der Zeitung jedoch verweigert.Nur der Hartnäckigkeit der Redaktion ist es zu verdanken, dass die Öffentlich-keit überhaupt von dem Vorfall erfuhr.So konnten wir den Fall in die Chronikflüchtlingsfeindlicher Vorfälle aufneh-men. In der Statistik des Bundeskrimi-nalamts (BKA) fehlt dieser Vorfall übri-gens bis heute.

Die BKA-Statistik ist mangelhaft

Das BKA ist für die bundesweite Erfas-sung von Übergriffen auf Asylsuchendeverantwortlich. Das BKA beruft sich aufAngaben der Bundesländer (Landes -kriminalämter), die sich wiederum aufdie einzelnen Polizeidienststellen be -ziehen. Auch wenn das BKA letztlich nurbündelt, was der Behörde aus den Län-dern zugetragen wird, ist offensichtlich:Die BKA-Statistik ist mangelhaft. Ein Abgleich der Chronik flüchtlingsfeind -licher Vorfälle von PRO ASYL und derAmadeu Antonio Stiftung mit der Statis-tik des BKA zeigt, dass die offiziellen Angaben der Ermittlungsbehörden dietatsächliche Dimension rassistischer Gewalt gegen Asylsuchende nicht an -gemessen wiedergeben. Das BKA ver-zeichnete laut eigenen Angaben im Jahr2016 insgesamt 3.533 Übergriffe aufAsylsuchende. Zur Erinnerung: Die Chro-nik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle zählteim selben Zeitraum 3.729 Fälle – alsofast 200 Fälle mehr.

Die Sicherheitsbehörden veröffentlichenihre Statistiken nicht von selbst. Dies geschieht nur, weil Abgeordnete Druckauf die Behörden ausüben. In einzelnenLandtagen und im Bundestag stellen

43TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Anschlag auf eineFlüchtlingsunter-kunft in Berlin-Buch:Polizisten begutach-ten die Brandstelle, Aug. 2016

© Christian-Ditsch.de

8. August 2016 Neustadt am Main(Bayern)

Zum dritten Mal innerhalb vonzwei Wochen kommt es in Neu-stadt zu einem tätlichen Angriffauf jugend liche Asylsuchende. Ein 18-jähriger Bewohner einerUnterkunft für unbegleitete min-derjährige Geflüchtete soll amAbend von drei Unbekannten imBereich der Hauptstraße tätlichangegangen worden sein. Wieschon in den beiden vorherigenFällen wird der Geschädigte vonden Tätern zunächst angespro-chen und dann unvermittelt atta-ckiert. Während das BKA einender vorherigen Übergriffe in Neu-stadt als rechtsmotivierte Körper -verletzung einordnet, fehlt dieserFall in der offiziellen Statistikkomplett.

Abgeordnete sogenannte Kleine An -fragen und machen so von ihrem parla-mentarischen Auskunftsrecht gegen-über Behörden Gebrauch. Dadurch sinddie angefragten Landeskriminalämtersowie das Bundeskriminalamt gezwun-gen, ihre Erkenntnisse zumindest quar-talsweise zu veröffentlichen. Anders sind diese Angaben nicht zu beziehen,obwohl die Zahlen laufend aktualisiertvorliegen. Auf Presseanfragen etwa liefert das BKA durchaus wöchentlichaktualisierte Zahlen, jedoch ohne weite-re Details zu den einzelnen Vorfällen zu nennen.

Für genauere Informationen bleibenalso nur die Antworten auf die parla-mentarischen Anfragen. Diese bestehenaus ellenlangen Listen, deren Aussage-kraft dennoch dürftig ist: Beantwortetwird im Wesentlichen, wann und wo eszu welchem Delikt zum Nachteil vonAsylsuchenden kam und ob die Ermitt-lungsbehörden den jeweiligen Vorfallals rechtsmotiviert einstufen. Immer-hin lassen sich diese Angaben mit derChronik flüchtlingsfeindlicher Vorfällevon PRO ASYL und der Amadeu AntonioStiftung abgleichen.

Dennoch bereiten die Angaben der Behörden etliche Probleme: Für Groß-städte wie Köln oder Hamburg bedürf-te es einer genaueren Angabe der je -weiligen Tatorte, mindestens eines Orts-teils, besser noch der Straßennamen.Andernfalls ist es nahezu unmöglich ein-zelne Fälle nachzurecherchieren. Dassden Behörden entsprechend detaillierte Angaben vorliegen, zeigen etwa die um-fassenden Antworten auf parlamentari-

sche Anfragen an den Berliner Senat.Die Berliner Sicherheitsbehörden liefernauf Anfrage eine kurze Schilderung des jeweiligen Sachverhalts. Das ist vor-bildlich. Das BKA hingegen führt tausen-de Fälle von »Sachbeschädigung«, »Körperverletzung« oder anderen ver-klausulierten Delikten auf, ohne jedeSchilderung des Sachverhalts. So bleibtunklar, was in den einzelnen Fällen tat-sächlich vorgefallen ist. PRO ASYL unddie Amadeu Antonio Stiftung forderndaher mehr Transparenz seitens der Sicherheitsbehörden. Solange keinenennenswerten ermittlungstaktischenGründe für Verschwiegenheit bestehen,müssen alle Fälle politisch motivierterGewalt gegen Asylsuchende zeitnahund umfassend und nicht erst auf An -frage von Abgeordneten öffentlich ge-macht werden.

Die ganze Milde des Gesetzes

Rechte Gewalt muss konsequent be-nannt und geahndet werden. Das gilt im Übrigen auch für rassistische, volks-verhetzende Hasskommentare im Internet. Zwar droht die Politik rechtenGewalt tätern gern die »volle Härte desGesetzes an«. Doch die Realität sieht anders aus: Die Aufklärungsquote ist erschreckend niedrig. Wie viele Tatver-dächtige konnten die Behörden in tausenden Ermittlungsverfahren ding-fest machen? Wie viele Verurteilungengab es? Auch auf diese Fragen liefernweder das Bundesjustizministeriumnoch das BKA Antworten. Deshalb

recherchierte die Amadeu Antonio Stif-tung gemeinsam mit dem Magazin»Stern«, welche Strafen die Täter bei be-sonders schwerwiegenden Delikten wie Körperverletzung oder Brand- undSprengstoffanschlägen bekamen. Dasernüchternde Ergebnis: Nur jede vierteGewalttat gegen Asylsuchende aus denJahren 2013 und 2014 wurde von deut-schen Strafverfolgungsbehörden aufge-klärt. Nur zwei Prozent der ermitteltenStraftäter erhielten später eine Gefäng-nisstrafe (stern Nr. 17/2016). Im Übrigenscheitern Gerichtsprozesse auch daran,dass Opfer und Zeugen nicht aussagenkönnen, weil sie abgeschoben wurden.

Bleiberecht für die Opfer rechter Gewalt

Auch aus diesem Grund fordern PROASYL, die Beratungsstellen für Betroffe-ne rechter, rassistischer und antisemiti-scher Gewalt und die Amadeu AntonioStiftung ein bundesweites Bleiberechtfür Betroffene rechter Gewalt. Wenn Täter*innen straflos bleiben, weil derStaat ihre Opfer zwischenzeitlich außerLandes gebracht hat, ist dies ein fatalesSignal: Rechte Gewalttäter können sichvor Verfolgung und Bestrafung sicherfühlen. Umgekehrt signalisiert eine Blei-berechtsregelung, dass der Staat sichkompromisslos auf die Seite der Opferstellt. Der brandenburgische Innen -minister hat es per Erlass vorgemacht.Auch Berlin und Thüringen debattiereneine entsprechende Regelung. Das isterfreulich.

44 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

1. Januar 2016 Nördlingen (Bayern)

Eine 34-Jährige fährt mittags mit dem Auto an einer Asyl -unterkunft vorbei. Dabei soll siemit einer Schreckschusspistoleauf zwei Bewohner der Unterkunftgeschossen haben. Beide bleibenun ver letzt. Wenig später stellt die Polizei die Tatverdächtige undfindet im Fahrzeug die Tatwaffeund zwei Messer. Der Vorfall findet sich nicht in der Auf listungdes BKA zu Über griffen auf Ge-flüchtete.

11. März 2016 Flensburg (Schleswig-Holstein)

Unbekannte schütten am Nach-mittag eine ätzende Flüssigkeitdurch ein auf Kipp gestelltes Fenster in eine Wohnung, in dereine aus Syrien geflüchtete Fraulebt. Die 37-Jährige klagt überAtemnot und wird zur ärztlichenVersorgung in ein Krankenhausgebracht. Bereits wenige Tage zuvor haben unbekannte Täter einen ähnlichen Anschlag aufeine andere Asylunterkunft inFlensburg verübt.

17. Juli 2016 Hermannsburg (Niedersachsen)

Unbekannte werfen Steine aufeine Wohnung von Asylsuchen-den. Einer der Pflastersteinedurchschlägt das Wohnzimmer-fenster. Durch die umherfliegen-den Glassplitter werden zwei 19 und 36 Jahre alte Asyl suchendeverletzt. Zu diesem Zeitpunkt be-finden sich zehn weitere Personenin der Wohnung.

Andererseits ermutigt das gegenwär ti-ge politische Klima die Täter eher. Wäh-rend Asylunterkünfte brennen, prägenAsylrechtsverschärfungen, Massen -abschiebungen und eine um sich grei-fende Islamfeindlichkeit die politischeDebatte. Das ist Wasser auf die Mühlender Rechten. Dabei wäre es im Vorfeldder Bundestagswahl Aufgabe aller demokratischen Parteien, sich nicht weiter von der AfD und der organisier-ten Rechten treiben zu lassen. Wer das

Grundgesetz ernst nimmt und tatsäch-lich auf dem Boden der oft zitierten freiheitlich-demokratischen Grundord-nung steht, muss sich stattdessen gegenGewalt und für das Grundrecht auf Asyleinsetzen. <<

www.initiativebleiberecht.de

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/service/chronik-vorfaelle

45TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

PRO MENSCHENRECHTE. CONTRA VORURTEILE.

3. überarbeitete Auflage, Mai 2017

Kurz und griffig geht die Broschüre auf gängige Vorurteile gegen Asyl -suchende und Flüchtlinge ein und liefertwichtige Fakten und Gegenargumente.Die DIN A6-Broschüre passt in jede Hosentasche und eignet sich perfektzum Ver teilen auf Veranstaltungen!

Herausgeber*innen: Amadeu AntonioStiftung, PRO ASYL u.a.

Erhältlich bei PRO ASYL (auch als PDF, 40 Seiten)

Demonstration inDresden, August 2015

© dpa/Oliver Killig

Ob ein Flüchtling in Deutschlandeine »gute« oder »schlechte«Bleibeperspektive hat, hängt

nach Ansicht des Bun desamts für Migra-tion und Flüchtlinge (BAMF) allein vomHerkunftsland ab. Das ist schon deshalbunsinnig, weil der Kern des Asylsystemsdie individuelle Prüfung von Fluchtgrün-den ist und nicht eine pauschale Ein-schätzung anhand des Herkunftslandes.

Wer hat eine »gute Bleibe -perspektive«?

Eine »gute Bleibeperspektive« wird Men-schen aus Syrien, Irak, Eritrea, Somaliaund dem Iran zugeschrieben. Sie dürfenfrühzeitig an Integrations kursen teil -nehmen. Das BAMF begründet diesesPrivileg damit, dass die (unbereinigte)Schutzquote für Flüchtlinge aus den ge-nannten Ländern bei über 50 Prozentliegt. Natürlich erhalten auch Menschenaus anderen Herkunftsstaaten Schutz inDeutschland. Sie aber müssen untätigden Abschluss des Verfahrens abwarten.In manchen Fällen sprechen wir vonmehr als zwei Jahren, in denen die Inte-grationsbemühungen von Menschenvon Amts wegen be hindert werden.

Willkürliche und ungerechtePrognose

Trotz knallhart umgesetzter Sammelab-schiebungen erhalten nach wie vor vieleAfghan*innen Schutz in Deutschland:Die offizielle, unbereinigte Schutzquotelag in ihrem Fall im Jahr 2016 bei fast 56Prozent. Vom frühzeitigen Besuch einesIntegrationskurses sind Afghan*innendennoch ausgeschlossen. Die willkürli-che Abkehr von der 50-Prozent-Regel istnur mit der politischen Vorgabe zu er -klären, dass Afghan*innen sich erstmalnicht integrieren sollen: Wer Deutschlernt, seine Rechte kennt und persön -liche Kontakte knüpft, hat vielleicht Un-terstützer*innen, die verhindern, dass er oder sie kurzerhand in ein Flugzeugnach Kabul gesetzt wird.

Absurd auch der Umgang mit jemeniti-schen Flüchtlingen: Obwohl sie letzt-lich fast immer Schutz erhalten, durftensie lange nicht an Integrationskursendes BAMF teilnehmen. Der Grund: Siewaren zu wenige. Kein Witz. Neben einerSchutz quote von über 50 Prozent gehtdas BAMF bislang nur dann von einer»guten Bleibeperspektive« aus, wenn eseine »relevante Zahl von Antragstellern«aus dem jeweiligen Land gibt. Im Klar-text: Die Jemeniten mögen zwar schutz-bedürftig sein, sind aber zu wenige, um

frühzeitig integriert zu werden. Logischist das nicht. Allerdings können die Bun-desländer seit Anfang 2017 zusätzlichePersonengruppen definieren, denen siedie Teilnahme am Integrationskurs er-möglichen. Schleswig-Holstein, wo fastalle jemenitischen Flüchtlinge leben, tut dies inzwischen.

Integrationskurse für alle vonAnfang an!

Die Beispiele zeigen, wie ungerecht die Prognose »gute« oder »schlechte«Bleibeperspektive ist. Schließlich er-kennt das BAMF bei der Mehrheit allerSchutzsuchenden die Fluchtgründe alsberechtigt an. Die unbereinigte Schutz-quote lag im Jahr 2016 insgesamt beiüber 60 Prozent. Rechnet man rein for-melle, inhaltlich nicht geprüfte Entschei-dungen heraus, betrug die bereinigteSchutzquote sogar rund 71 Prozent.

Selbst für Menschen, die im Asylver fah -ren abgelehnt werden, macht ein früh-zeitiger Sprachkurs Sinn: Viele ab gelehn -te Asylsuchende bleiben in Deutschland,etwa weil in das zuständige Dritt- oderHerkunftsland nicht ab geschoben wer-den kann. Sie erhalten meist eine Dul-dung, oft über Jahre hinweg. Auch fürsie wäre der frühzeitige Besuch eines Integrationskurses sinnvoll und richtig.<<

46 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

DIE MÄR VON GUTEN UNDSCHLECHTEN FLÜCHTLINGENKONZEPT DER »BLEIBEPERSPEKTIVE« IST UNFAIR

Nur Flüchtlinge mit einer soge-nannten »guten Bleibeperspek -tive« dürfen schon während des laufenden Asylverfahrensan offiziellen Integrationskur-sen teilnehmen. Durch die Vorsortierung wird die Integra-tion von Menschen, die dauer-haft in Deutschland bleibenwerden, unnötig verschleppt.

Max Klöckner/Miriam Fehsenfeld, PRO ASYL

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47TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Die arbeitsmarktpolitische Ent-wicklung folgte lange Zeit derEinsicht, dass es unsinnig ist,

Menschen jahrelang vom Arbeitsmarktfernzuhalten und sie stattdessen staat-lich zu alimentieren. Hintergrund wardie Diskussion über geduldete Flüchtlin-ge, die keinen Schutz erhalten, aber ausverschiedenen, oft guten Gründen nichtin ihre Herkunftsländer abgeschobenwerden können. Seit 2007 haben sie die Möglichkeit, durch eine qualifizierte Beschäftigung im Anschluss an eineAusbildung ein Aufenthaltsrecht zu er-halten. Das Integrationsgesetz von 2016sieht ergänzend vor, dass Geduldete inAusbildung für deren gesamte Dauereine »Ausbildungsduldung« erhalten.

Die »gute Bleibeperspektive«

Grundsätzlich knüpft die Entwicklungder letzten zwei Jahre an eine Politik an, welche die zügige Arbeitsmarkt -inte gra tion Geflüchteter zum Ziel hat.Zugleich wurden aber neue Grenzen ge zogen: Asylsuchende aus den defi-nierten »sicheren Herkunftsstaaten«, die ihren Antrag nach August 2015 ge-stellt haben, unterliegen einem Beschäf-tigungsverbot. Asylsuchende, die aus einem Herkunftsland mit einer Aner -kennungsquote von unter 50 Prozentkommen, werden bei der frühzeitigenIntegration nicht unterstützt: Sie dürfennicht an den Integrationskursen desBAMF und an Maßnahmen der Arbeits-förderung nach SGB III teilnehmen. Die-se sind Flüchtlingen mit vermeintlich »guter Bleibeperspektive« vorbehalten.

Bundesländer handeln unterschiedlich

Bei allen anderen Geflüchteten wird jenach Bundesland unterschiedlich ver-fahren. Ihre Zuweisung in ein Bundes-land kommt damit einer Lotterie derChancen gleich. Einige Bundesländerhalten an der integrationsorientiertenPerspektive fest und bieten zum BeispielDeutschkurse aus Landesmitteln an.Zwar bekommen auch dort Asylsuchen-de mit einer »guten Bleibeperspektive«mehr Unterstützung als andere, aber zumindest dürfen auch die meisten anderen jobben oder eine Ausbildungmachen und sich so eine Perspektive er arbeiten. Andere Bundesländer, allenvoran Bayern, handhaben den Zugangzu Arbeit und Ausbildung deutlich res-triktiver und behindern so, wie in frühe-ren Zeiten, monate- oder gar jahrelangeine mögliche Integration.

In Bayern gilt Abschiebung vor Ausbildung

In Bayern bekommen nur Asylsuchendemit einer »guten Bleibeperspektive«eine Ausbildungserlaubnis, alle anderenmüssen warten, bis über ihren Asylan-trag entschieden ist. Ermessensspiel -räume sind durch das Innenministeriumgegen Null reduziert. Werden sie aner-kannt, ist der Weg in Arbeit und Ausbil-dung offen, aber wertvolle Zeit ist ver -loren. Wird ihr Antrag abgelehnt, drohtein vollständiges Arbeits- und Ausbil-dungsverbot. Das bayerische Innen -ministerium bringt es auf den Punkt:»Aufenthaltsbeendende Maßnahmenhaben Vorrang vor Ausbildung.« DieseHaltung ignoriert die Einsicht, dass nichtalle diejenigen, die im Asylverfahrenscheitern, einfach so abgeschoben wer-den können. Es gibt oft rechtliche, ver-waltungspraktische, humanitäre odergesundheitliche Hindernisse.

ARBEITSMARKTPOLITIK

LOTTERIE DER CHANCENSeit 2004 wurde der Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylsuchende in mehreren Schritten erleichtert. Die Vorrangprüfung ist inzwischen vielerorts ausgesetzt, spezielle Fördermöglichkeiten wurden eröffnet. Doch nun werden manchem Flüchtling wieder Steine in den Weg gelegt.

Dr. Stephan Dünnwald, Bayerischer Flüchtlingsrat

Leider kein selbstverständliches Angebot für alle Asylsuchenden: Geflüchtete beim Deutschunterricht in München, Okt. 2015 © picture alliance/Tobias Hase

48 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Bayern hat die niedrigsten Arbeitslosen-quoten und einen hohen Bedarf an Aus-zubildenden in Handwerk und Handel.Dennoch macht man es Flüchtlingenund Betrieben extrem schwer, zueinan-derzukommen. Der Protest bleibt nichtaus, wie dieses Beispiel vom bayerischenRundfunk Ende September 2016 be-weist:

»Um kurz vor 10 geht die Sirene los. Ein Bauarbeiter nach dem anderen legtdas Werkzeug auf den Boden, in einerReihe steigen sie die Treppe hoch, rausaus der Baugrube, hin zum Container.Dort hängt ein großes Banner: ›KeineAbschiebung für integrierten Flücht-lingskollegen! Tavus Qurban, wir stehenhinter Dir!‹ Tavus Qurban ist Afghane,seit fast fünf Jahren arbeitet er für Stras-ser Bau. Heute soll sein letzter Arbeits-tag sein. Seine Arbeitserlaubnis endetzum 1. Oktober.«

Tavus Qurban hatte bald darauf seineArbeitserlaubnis wieder. Andere nicht.Zahllose Menschen verfassten Protest-schreiben, starteten Aktionen und for-derten: Ausbildung vor Abschiebung!Auch die Handwerkskammer und die Industrie- und Handelskammer ver -suchen bis heute, die bayerische Regie-rung zum Einlenken zu bewegen.

1-Euro-Jobs zu achtzig Cent

Der Politik ist offenbar bewusst, dass der Arbeitsmarkt nicht überall und inausreichendem Maß für Geflüchtete zu-gänglich ist. Daher sollen sogenannteFlüchtlings-Integrations-Maßnahmen(FIM) bestehende Angebote ergänzen.Für einige mag das konkrete Angebotdurchaus attraktiv sein. Generell sind dieFIM aber kritisch zu bewerten, da sie be-stehende Sozialstandards unterlaufen:Nach dem Modell der 1-Euro-Jobs dür-fen Flüchtlinge in ihrer Unterbringungs-einrichtung oder in sozialen Einrichtun-gen arbeiten, erhalten pro Stunde abernur achtzig Cent. Ob diese Maßnahmendie soziale Integration fördern, hängtvon den Umständen ab: Das Harken vonFriedhofswegen beispielsweise ist einewenig kommunikative Tätigkeit, dieLernerfolge halten sich somit in engenGrenzen. Und nicht zuletzt wird ein 80-Cent-Job im Unterschied zu einemnoch so schlecht bezahlten »richtigen«Job bei einer aufenthaltsrechtlichen Be-wertung der Integrationsbemühungennicht als Pluspunkt gewertet. Die FIMsind nur ein defizitärer Ersatz für eine Arbeit. Überdies sind die zuständigenBehörden nicht selten froh, wenn sieLeute in den vom Bund geförderten Bil-ligjobs unterbringen können und küm-mern sich in der Folge noch weniger umdie Frage, ob für die Betroffenen nichtandere Maßnahmen, zum Beispiel derQualifizierung, zielführender wären.

Staat setzt auf ehrenamtlichesEngagement

Von Asylsuchenden wird regelmäßig erwartet, dass sie sich zwecks Beratungund Vermittlung selbst an die zuständi-gen Stellen wenden. Ohne Unterstüt-zung wäre das den meisten nicht mög-lich. Ob Pat*innen, Mentor*innen odersemiprofessionelle Jobvermittler*innen:Die vielen ehrenamtlichen Unterstüt-zer*innen sind das stabile Fundamentdafür, dass Flüchtlinge und Betriebe zu-sammenfinden und auch die eine oderandere Hürde nehmen. Die Begleitungder Flüchtlinge zu Ämtern oder Betrie-ben, abendliche Nachhilfestunden undemotionale Unterstützung sorgen dafür,dass die Integration von Flüchtlingen in Ausbildung und Arbeit gelingt. Vielwird den Ehrenamtlichen von den staat-lichen Strukturen aufgeladen, doch auchihr Engagement kennt Grenzen. Letzt-lich wird die Integration dort erfolgreichverlaufen, wo individuelle Interessenund eigene Bemühungen der Flüchtlin-ge geachtet werden und wo Behörden,Agenturen, Betriebe und Ehrenamtlichegut und vertrauensvoll mit ihnen zu-sammenarbeiten. Notwendig sind politi-sche Rahmenbedingungen, die frühzei-tig und diskriminierungsfrei den Zugangzu Arbeit und Ausbildung ermöglichenund eine erfolgte Integration aufent-haltsrechtlich anerkennen. <<

Solidaritätsaktion derKolleg*innen für TavusQurban, Sep. 2016

© STRASSER

Von Abschiebung bedrohte Flücht-linge finden Schutz in Synagogeund Kirche: Das Asyl im Gottes-

haus ist die letzte Chance, eine humani-täre Lösung herbeizuführen und nichtzu Krieg, Gewalt und Bedrohung zu rück -kehren zu müssen. Die Stiftung PROASYL verleiht ihren diesjährigen Men-schenrechtspreis, die PRO ASYL-Hand,daher an zwei herausragend engagiertePersonen, die Schutz suchenden Asyl inihrer Synagoge bzw. ihrer Kirche bietenund sie so vor Abschiebung schützen.

Wolfgang Seibert, Pinneberg

Wolfgang Seibert, langjähriger Vorsit-zender der jüdischen Gemeinde Pinne-berg bei Hamburg, schützte im Synago-genasyl mit Rückhalt seiner Gemeindeüber Wochen einen jungen Juden vorder zwangsweisen Ausreise nach Afgha-nistan. »Menschen in Not muss man helfen«, so Seiberts Überzeugung. Alserste und bislang einzige jüdische Ge-meinde in Deutschland hat die in Pinne-berg auf seine Initiative hin in den ver-gangenen Jahren bereits mehrerenSchutzbedürftigen ungeachtet ihrer

Religion in ihren Räumen Asyl geboten.»Die jüdische Geschichte ist eine Ge-schichte von Flucht und Vertreibung«,sagt Seibert. Auch deshalb habe sich seine Gemeinde »schon immer in derFlüchtlingspolitik engagiert«.

Doris Otminghaus, Haßfurt

Zur gleichen Zeit am anderen Ende derRepublik: Doris Otminghaus, evangeli-sche Pfarrerin im fränkischen Haßfurt,beherbergt mit Unterstützung ihrer Ge-meinde seit Ende 2016 mehrere jungeFlüchtlinge im Kirchenasyl, die unmittel-bar von Abschiebung, unter anderemnach Afghanistan, bedroht sind. Bis vorKurzem wurde der »Schutzraum Kirchen -asyl« in der Pfarrei von Otminghaus be-hördlicherseits auch weitgehend akzep-tiert. Hier wie auch anderswo bot dasKirchenasyl Anlass, Einzel fälle noch ein-mal intensiv zu überprüfen. Nun abergeraten vor allem in Bayern Pfarrer*in-nen zunehmend ins Visier der Behörden,wenn sie Flüchtlingen Schutz bieten.Wegen »Beihilfe zum illegalen Aufent-halt« in mehreren Fällen ermittelte zwischenzeitlich die Staatsanwaltschaftgegen Otminghaus und andere.

Wenn Flüchtlingen in Deutschland derlebensnotwendige Schutz behördlicher-seits verweigert wird, kann die Auf -nahme in den geschützten Raum einerGlaubensgemeinde für sie der letzteAusweg sein. Kirchenasyl ist eine huma-nitäre Zwischenlösung, die den Betroffe-nen und ihren Unterstützer*innen dieZeit und die Möglichkeit gibt, rechtlicheWege zu überprüfen und/oder alterna -tive Lösungen für dauerhaften Schutz zufinden. Das seit Jahrhunderten prakti-zierte Kirchenasyl hat bislang unzähligeFlüchtlinge geschützt. Dennoch gerätdas Kirchenasyl in einigen Bundeslän-dern zunehmend unter politischenDruck.

In Zeiten, in denen nicht nur Flüchtlinge,sondern auch ihre Helfer*innen zuneh-mend angefeindet und kriminalisiertwerden, ist das Engagement derer, diesich dieser Entwicklung mit humanitä-ren Mitteln unbeirrt entgegenstellen,umso bemerkenswerter.

Die Stiftung PRO ASYL würdigt Doris Otminghaus und Wolfgang Seibert fürihr beispielhaftes und couragiertes, zivilgesellschaftliches Engagement fürschutzbedürftige Menschen. Die Aus-zeichnungen werden im September2017 in Frankfurt am Main überreicht. <<

49TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

MENSCHENRECHTSPREIS DER STIFTUNG PRO ASYL 2017

WOLFGANG SEIBERTDORIS OTMINGHAUSGemeindevorsteher und Pfarrerin leben humanitäres Engagement vor und öffnen ihre Gotteshäuser ganz selbstverständlich für Schutzsuchende. Wolfgang Seibert,Vorsitzender einer jüdischen Gemeinde, und Doris Otminghaus, evangelische Pfarrerin, erhalten den Menschrechtspreis 2017 der Stiftung PRO ASYL.

Kerstin Böffgen, PRO ASYL

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Circa 321.000 Flüchtlinge wurden 2016 im EASY-Systemregistriert. Damit haben deutlich weniger FlüchtlingeDeutschland erreicht als im Vorjahr. Doch auch die

Flüchtlingszahl für das Jahr 2015 musste die Bundesregierungnach unten korrigieren: Aus den kolportierten 1,1 Millionenwurden nach Bereinigung der Ungenauigkeiten des EASY- Systems* 890.000 Schutz suchende.

Von den bereits 2015 Eingereisten konnten viele erst 2016 ihren Asylantrag stellen. Die Zahl der Anträge ist 2016 daherdeutlich gestiegen: Insgesamt gab es rund 722.000 Neu- undcirca 23.000 Folgeanträge. Dementsprechend erreichte so-wohl die Zahl der Asylentscheidungen (circa 696.000) als auchdie Zahl der noch laufenden Asylverfahren einen Rekordwert:Knapp 434.000 Menschen warteten Ende 2016 auf die Ent-scheidung über ihren Asylantrag.

Über ein Jahr von Einreise bis Entscheidung

Durchschnittlich vergeht über ein Jahr von der Einreise bis zurEntscheidung über einen Asylantrag. Je nach Herkunftslandwarten die Betroffenen deutlich länger. Die Bearbeitungszeitliegt im Schnitt bei sieben Monaten. Hinzu kommt eine Warte-zeit von durchschnittlich knapp sechs Monaten, bis überhauptein Asylantrag gestellt werden kann.

Vergleichsweise schneller erhielten syrische Flüchtlinge 2016den dringlich erwarteten Bescheid des BAMF. Doch auch beiihnen lagen zwischen Einreise und der Entscheidung über ihren Asylantrag in der Regel zehn Monate. Bei somalischenFlüchtlingen dauert allein das Verfahren eineinhalb Jahre, mitder Wartezeit zur Antragstellung braucht es im Durchschnittmehr als zwei Jahre bis zur Entscheidung.

Ende 2016 gab es über 50.000 Asylanträge, bei denen nachüber 1,5 Jahren immer noch keine Entscheidung getroffenwurde. Bei knapp 35.000 davon sind sogar schon mehr als zwei Jahre seit der Antragstellung vergangen. Das sind nichtnur zwei Jahre quälender Unsicherheit, sondern oft auch zwei verlorene Jahre für die Integration der Neuankömmlinge.

* Vom BAMF genutztes IT-System zur Erstverteilung der Asylbegehrenden auf die Bundesländer

Warten auf die Entscheidung

Dauer der Asylverfahren 2016 (in Monaten)

16,3Türkei

17,3Somalia

8,7Afghanistan

3,8Syrien

10,7Eritrea

Hier dargestellt sind Durchschnittswerte.

In vielen Fällen dauerten die Verfahren

erheblich länger.

50 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Rund 64 Millionen Menschen waren lautUNHCR Midyear Report 2016 weltweit auf derFlucht. Die meisten von ihnen leben als Binnen -vertriebene in ihrem Herkunftsland oder in denNachbarregionen. Deutschland gehörte 2016 zu den zehn Hauptaufnahmeländern Schutz -suchender. Allerdings kommen nur knapp dreiProzent aller Flüchtlinge überhaupt in die EU.Das liegt auch daran, dass Europa sich zuneh-mend abschottet.

Max Klöckner/Miriam Fehsenfeld, PRO ASYL

RÜCKBLICK

ZAHLEN UND FAKTEN 2016

Fast drei Viertel erhalten Schutz in Deutschland

Mit 65 Prozent kam der Großteil der Schutzsuchenden 2016aus Syrien, Afghanistan, Irak, Iran und Eritrea und damit ausLändern, in denen Krieg herrscht oder politische Verfolgung an der Tagesordnung ist. Zurückgegangen ist die Zahl der Ein reisen aus den Westbalkanstaaten.

Die meisten Flüchtlinge erhielten einen Schutzstatus, sie bleiben also für längere Zeit. Rechnet man die inhaltlich nichtgeprüften Fälle heraus, ergibt sich eine bereinigte Gesamt-schutzquote von 71,4 Prozent (173.846 Ablehnungen bei607.766 inhaltlich geprüften Anträgen). Bei fast drei Vierteln aller Flücht linge erkannte das BAMF 2016 also an, dass es berechtigte Fluchtgründe gab! 2015 lag dieser Wert noch bei60,4 Prozent.

Oft nur Schutz minderer Qualität

Die insgesamt hohe Schutzquote darf über eines nicht hinweg -täuschen: Die Qualität des erteilten Schutzes ist 2016 signifi-kant gesunken. Deutlich häufiger wurde nur subsidiärer Schutzerteilt. Besonders drastisch zeigt sich dies bei syrischen Flücht-lingen. Über ein Viertel der Afghan*innen erhielten 2016 nurein Abschiebeverbot und damit den schwächsten Schutzstatus.

51

Entscheidungen des Bundesamtes (BAMF) 2016 Bearbeitet wurden 695.733 Asylanträge

Anerkennung

nach GFK

36,8 % Ablehnungen

25 %

internationaler

subsidiärer Schutz

22,1 % nationale Abschiebungs-verbote

3,5 %

12,6 % nicht inhaltlich

geprüft*

* z.B. Dublin-Verfahren, nicht

angenommene Folgeanträge

TAG DES FLÜCHTLINGS 2016

Woher kommen die meisten Flüchtlinge?

Hauptherkunftsländer weltweit (Stand Mitte 2016)

UN

HC

R, M

id-Y

ea

r Tren

ds 2

01

6,

SYRIEN

AFGHANISTAN

SOMALIA

SÜDSUDAN

SUDAN

DR KONGO

ZAR *

MYANMAR

ERITREA

KOLUMBIEN

5.300.000

2.700.000

1.100.000

854.200

639.000

536.100

473.300

451.100

435.600

339.200

* Zentralafrikanische Republik

Woher stammen die Flüchtlinge, die nach Deutschland

gekommen sind? (EASY-Registrierungen 2016)

Insgesamt wurden 321.371 Menschen registriert.

Davon stammen 65 % aus Syrien, Afghanistan, Irak, Iran und Eritrea.

Iran 13.053

Eritrea 12.291

Syrien

Afghanistan 48.622

Irak 45.091

89.161

Hinzu kommt eine noch härtere Gangart bei bestimmten Her-kunftsländern: Während Asylbegehren syrischer und eritrei-scher Flüchtlinge kaum abgelehnt wurden, stieg der Anteil der Schutzsuchenden aus Iran, Irak und Afghanistan, denenjeglicher Schutz verwehrt wurde, dramatisch an. Bei Schutz -suchenden aus Afghanistan und dem Iran wurde mehr als einDrittel aller Anträge als un begründet abgelehnt und gut einFünftel der irakischen Flüchtlinge blieb 2016 schutzlos! Auchbei weiteren Herkunftsländern mit signifikanten Flüchtlings-zahlen (Russland, Türkei, Ukraine, Nigeria, Äthiopien, Pakistan)ist die Ablehnungsquote teils deutlich gestiegen.

Die Entscheidungspraxis ist damit im Jahr 2016 insgesamt re-pressiver geworden, obwohl sich die Situation in den meistenHerkunftsländern nicht verbessert hat.

Familien auf Jahre getrennt

Keinesfalls sind es übrigens, wie gern behauptet wird, »nur junge, alleinstehende Männer«, die Asyl in Deutschland suchen.Mehr als ein Drittel der Schutzsuchenden ist weiblich. Rund 36 Prozent sind minderjährig, darunter viele Kinder unter 12 Jahren. Unter den Männern sind zudem viele Familienväter.Häufig nehmen sie die gefährliche Reise in der Hoffnung aufsich, ihre Familie später auf sicherem Wege nachholen zu können.

Diese Hoffnung wird allerdings immer öfter enttäuscht, denndie vermehrte Erteilung lediglich subsidiären Schutzes hatschwerwiegende Folgen. Mit dem Asylpaket II wurde 2016 der

Familiennachzug für Menschen mit diesem Schutzstatus bisMärz 2018 ausgesetzt. Viele Flüchtlinge bleiben so auf Jahrevon ihren Familien getrennt. Anzunehmen ist, dass hinter dieser Gesetzesänderung auch ein politisches Kalkül zur Be-grenzung der Gesamtflüchtlingszahl steckt.

Auch die Abschiebungen nehmen zu

Die vermehrten Ablehnungen zeigen Folgen: Die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland hat im Jahr 2016 im viertenJahr in Folge einen neuen Höchststand erreicht. Von den über 25.000 Abschiebungen betrafen rund 75 Prozent dieWest balkanstaaten, die zu »sicheren Herkunftsländern« erklärt wurden. Auch in die Maghreb-Staaten und nach Afghanistanwurde 2016 deutlich häufiger abgeschoben als im Vorjahr.Rund 55.000 Menschen sind zudem »freiwillig ausgereist«,auch hier vor allem in die Westbalkanstaaten.

Europäische Flüchtlingspolitik? Funktioniert nicht.

Deutschland taucht 2016 erstmals in den Top 10 der Aufnahme-länder auf. In Deutschland wurden mehr Asylanträge gestelltals in allen anderen EU-Staaten zusammen. Auch bezogen auf die Einwohnerzahl lag Deutschland 2016 mit circa 8 Asyl-anträgen pro 1000 Einwohner in Europa an erster Stelle.

Eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik existiert defacto nicht. Effektive Zusammenarbeit gibt es ausschließlich inAbschottungs-, nicht aber in Aufnahmefragen. Das Dublin- System lässt die Staaten an der EU-Außengrenze allein und

52 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Sinkende Schutzqualität, mehr Ablehnungen

Inhaltliche Entscheidungen im Jahresvergleich 2015/2016

■ voller Flüchtlingsschutz ■ subsidiärer Schutz

■ Abschiebungsverbot ■ Ablehnungen

Syrien 2015 99,7 %

Syrien 2016 57,6 % 42 %

Afghanistan 2015 46,7 %

Afghanistan 2016 22,0 % 9,3 %

8,9 % 22,1 % 22,3 %

29,3 % 39,4 %

Irak 2015

Irak 2016 59,0 % 17,5 % 22,8 %

96,7 %

1,9 %

Fehlt die Prozentangabe, beträgt der jeweilige Anteil an den inhaltlichen Entscheidungen

weniger als ein Prozent.

sorgt für einen Wust an Bürokratie. Gemessen an den Ge -samtzahlen hat es kaum Auswirkungen: 2016 gab es ausDeutschland knapp 4.000 Dublin-Abschiebungen in andereEU-Staaten, gleichzeitig wurden rund 12.000 Flüchtlinge nachDeutschland überstellt. In knapp 40.000 Fällen hat Deutsch-land zudem sein Selbsteintrittsrecht ausgeübt und auf eineDublin-Abschiebung verzichtet. Bedenklich ist, dass Deutsch-land Flüchtlinge auch in Staaten wie Bulgarien oder Ungarnzurückschickt, in denen sie katastrophale Verhältnisse er -warten.

Um insbesondere Griechenland und Italien zu entlasten, hatdie Europäische Union schon im September 2015 einen Relo-cation-Plan verkündet: 160.000 Flüchtlinge sollten innerhalbvon zwei Jahren umverteilt werden. Die traurige Bilanz: Gerademal 14.051 Menschen wurden bis Anfang März 2017 in andereEU-Länder ausgeflogen, 2.862 davon nach Deutschland.

Das tödlichste Jahr in der Geschichte der EU-Flüchtlingspolitik

Der traurigste Rekordwert des Jahres: Über 5.000 Menschensind 2016 auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken, die Dunkel-ziffer dürfte noch höher sein. Dazu kommen Tausende, die ihrLeben bereits in den Grenzgebieten im Nahen Osten oder inder Wüste Nordafrikas verlieren. Das ist auch ein Ergebnis desEU-Türkei-Deals, in dessen Folge die kürzere und damit im Vergleich weniger gefährliche Ägäis-Route quasi geschlossenwurde. Die europäische Abschottungspolitik kostet immermehr Menschen das Leben. <<

53TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

*Dänemark, Großbritannien, Island, Österreich,

Polen und Ungarn nehmen bisher keine Personen im

Rahmen des Programms auf

14.051 Personen

wurden bisher von 24 Staaten*

aufgenommen. (Stand Anfang März 2017)

160.000Personen sollen aus Griechenland und

Italien weiter verteilt werdenKeine Solidarität in Europa

Umsetzung des Relocation-Plans

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5.096Menschen ertranken 2016 bei der Überfahrt im

Mittelmeer oder sind vermisst. Das sind mehr

als je zuvor.

Mindestens

Asylerstanträge nach Altersgruppen

und Geschlecht 2016

= 722.370 Erwachsene und Minderjährige

100 %

140.951 weibliche Erwachsene

(ab 18 Jahre)

106.853 weibliche Minderjährige

(unter 18 Jahre)

14,8 % 19,5 %

320.033 männliche Erwachsene

(ab 18 Jahre)

154.533 männliche Minderjährige

(unter 18 Jahre)

44,3 % 21,4 %

54 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

© PRO ASYL/Philip Eichler

Amadeu Antonio StiftungNovalisstr. 12, 10115 BerlinTel.: 030 / 24 08 86 10, Fax: 030 / 24 08 86 [email protected]

Amnesty International Sektion der BRD e.V.Zinnowitzer Str. 8, 10115 BerlinTel.: 030 / 42 02 48 0, Fax: 030 / 42 02 48 [email protected]

Arbeiterwohlfahrt – Bundesverband e.V.Heinrich-Albertz-Haus Blücherstr. 62/63, 10961 BerlinTel.: 030 / 263 09 - 0, Fax: 030 / 263 09 - 325 [email protected]

Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und IntegrationBundeskanzleramt Willy-Brandt-Str. 1, 10557 BerlinTel.: 030 / 18 400 16 40, Fax: 030 / 18 400 16 [email protected]

Brot für die Welt – Evangelischer Entwick-lungsdienst Evangelisches Werk für Diakonieund Entwicklung e.V.Caroline-Michaelis-Str.1, 10115 BerlinTel.: 030 / 652 [email protected]

Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V.Paulsenstr. 55-56, 12163 BerlinTel.: 030 / 82 09 743 - 0 [email protected]

Connection e.V.Von-Behring-Str. 110, 63075 OffenbachTel.: 069 / 82 37 55 34, Fax: 069 / 82 37 55 [email protected]

Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte insozialer Verantwortung e.V. (IPPNW)Körtestr. 10, 10967 BerlinTel.: 030 / 698 07 40, Fax: 030 / 693 81 [email protected]

Deutscher Anwaltverein (DAV) e.V.Littenstr. 11, 10179 BerlinTel.: 030 / 72 61 52-0, Fax: 030 / 72 61 52-190www.anwaltverein.de [email protected]

Deutscher Caritasverband e.V. Referat Migration und IntegrationKarlstr. 40, 79104 FreiburgTel.: 0761 / 200 - [email protected]

Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband –Gesamtverband e.V. Migration und internationale KooperationOranienburger Str. 13-14, 10178 BerlinTel.: 030 / 246 36 0, Fax: 030 / 246 36 [email protected]

Deutsches Institut für Menschenrechte e.V.Zimmerstr. 26/27, 10969 BerlinTel.: 030 / 25 93 59 0, Fax: 030 / 25 93 59 59www.institut-fuer-menschenrechte.deinfo@institut-fuer-menschenrechte.de

Deutsches Rotes Kreuz – Generalsekretariat – Team Migration und IntegrationCarstennstr. 58, 12205 BerlinTel.: 030 / 854 04 0, Fax: 030 / 854 04 [email protected]

Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband – Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.Caroline-Michaelis-Straße 1, 10115 BerlinTel.: 030 / 652 11 0, Fax: 030 / 652 11 33 33Homepage: www.diakonie.deE-Mail: [email protected]

European Council on Refugees and Exiles, ECRE Brussels OfficeRue Royale 146, 1st Floor, 1000 Brussels, BelgiumTel: +32 (0)2 234 38 00, Fax: +32 (0)2 514 59 [email protected]

Gesellschaft für bedrohte Völker e.V.Postfach 2024, 37010 GöttingenTel.: 0551 / 49 90 60, Fax: 0551 / 580 [email protected]

Informationsverbund Asyl und Migration e.V.Haus der Demokratie und MenschenrechteGreifswalder Str. 4, 10405 BerlinFax: 030 / 46 79 33 [email protected]

Internationale Liga für MenschenrechteHaus der Demokratie und MenschenrechteGreifswalder Str. 4, 10405 BerlinTel.: 030 / 39 62 [email protected]

Jesuiten-Flüchtlingsdienst DeutschlandWitzlebenstr. 30a, 14057 BerlinTel.: 030 / 32 60 25 90, Fax: 030 / 32 60 25 92www.jesuiten-fluechtlingsdienst.deinfo@jesuiten-fluechtlingsdienst.de

Jugendliche ohne GrenzenTel: 0172 / 288 89 [email protected]

Kirchenamt der EKDHerrenhäuser Str. 12, 30419 HannoverTel.: 0511 / 27 96 0, Fax: 0511 / 27 96 [email protected]

Komitee für Grundrechte und Demokratie e. V. Aquinostr. 7-11, 50670 KölnTel.: 0221 / 97 26 920, Fax: 0221 / 97 26 [email protected]

Kommissariat der Deutschen BischöfeHannoversche Str. 5, 10115 BerlinTel.: 030 / 288 78 0, Fax: 030 / 288 78 [email protected]

medica mondiale e.V.Hülchrather Str. 4, 50670 KölnTel.: 0221 / 93 18 98 0, Fax: 0221 / 93 18 98 [email protected]

medico international e.V.Burgstr. 106, 60389 FrankfurtTel.: 069 / 94 438 0, Fax: 069 / 43 60 [email protected]

Neue RichtervereinigungGreifswalder Str. 4, 10405 BerlinTel.: 030 / 42 02 23 49, Fax: 030 / 42 02 23 50www.neuerichter.de [email protected]

ADRESSEN

55TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V. Kirche Zum Heiligen Kreuz Zossener Str. 65, 10961 BerlinTel.: 030 / 25 89 88 91, Fax: 030 / 69 04 10 [email protected]

Ökumenischer Vorbereitungsausschuss zur Interkulturellen WochePostfach 160646, 60069 FrankfurtTel.: 069 / 24 23 14 60, Fax: 069 / 24 23 14 [email protected]

pax christi – Internationale katholischeFriedensbewegung e.V.Deutsche Sektion, SekretariatHedwigskirchgasse 3, 10117 BerlinTel.: 030 / 200 76 78 0, Fax: 030 / 200 76 78 [email protected]

PRO ASYL e.V.Postfach 160624, 60069 FrankfurtTel.: 069 / 24 23 14 - 0, Fax: 069 / 24 23 14 [email protected]

Stiftung für die InternationalenWochen gegen RassismusGoebelstr. 21, 64293 DarmstadtTel.: 06151 / 33 99 71, Fax: 06151 / 3 91 97 40www.stiftung-gegen-rassismus.destiftung@interkultureller-rat.de

TERRE DES FEMMES –Menschenrechte für die Frau e.V.Brunnenstr. 128, 13355 BerlinTel.: 030 / 40 50 46 99 0, Fax: 030 / 40 50 46 99 [email protected]

terre des hommes Deutschland e.V.Ruppenkampstr. 11a, 49084 OsnabrückTel.: 0541 / 71 01 0, Fax: 0541 / 70 72 [email protected]

UNHCR-Vertretung für Deutschland Zimmerstr. 79/80, 10117 BerlinTel.: 030 / 20 22 02 0, Fax: 030 / 20 22 02 [email protected]

UNO-Flüchtlingshilfe e.V.Graurheindorfer Str. 149a, 53117 BonnTel.: 0228 / 90 90 86 - 00, Fax: 0228 / 90 90 86 - [email protected]

Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V.Ludolfusstr. 2 - 4, 60487 FrankfurtTel.: 069 / 713 75 60, Fax: 069 / 707 50 [email protected]

Verband für Interkulturelle Arbeit e.V. (VIA)Am Buchenbaum 21, 47051 DuisburgTel.: 0203 / 728 42 82, Fax: 0203 / 728 42 [email protected]

Landesweite Flüchtlingsräte

Wer Informationen braucht, Referentinnen und Referenten sucht oder in Flüchtlingsinitiativenmitarbeiten will, findet bei den Flüchtlingsrätender Bundesländer Ansprechpartner.

Baden-Württemberg: FlüchtlingsratHauptstätter Str. 57, 70178 StuttgartTel.: 0711 / 55 32 83 4; Fax: 0711 / 55 32 83 5www.fluechtlingsrat-bw.de [email protected]

Bayern: FlüchtlingsratAugsburger Str. 13, 80337 MünchenTel.: 089 / 76 22 34, Fax: 089 / 76 22 36www.fluechtlingsrat-bayern.de [email protected]

Berlin: FlüchtlingsratGreifswalder Str.4, 10405 BerlinTel.: 030 / 224 76 311, Fax: 030 / 224 76 [email protected]

Brandenburg: FlüchtlingsratRudolf-Breitscheid-Str. 164, 14482 PotsdamTel.: 0331 / 71 64 99, Fax: 0331 / 88 71 54 60www.fluechtlingsrat-brandenburg.de [email protected]

Bremen: Flüchtlingsrat St. Jürgenstr. 102, 28203 BremenTel.: 0421 / 41 66 12 18, Fax: 0421 / 41 66 12 19 [email protected]

Hamburg: FlüchtlingsratNernstweg 32-34, 22765 HamburgTel.: 040 / 43 15 87, Fax: 040 / 430 44 90www.fluechtlingsrat-hamburg.de [email protected]

Hessen: FlüchtlingsratLeipziger Str. 17, 60487 FrankfurtTel.: 069 / 97 69 87 10, Fax: 069 / 97 69 87 11www.fr-hessen.de [email protected]

Mecklenburg-Vorpommern: FlüchtlingsratPostfach 11 02 29, 19002 SchwerinTel.: 0385 / 58 15 790, Fax: 0385 / 58 15 791www.fluechtlingsrat-mv.de [email protected]

Niedersachsen: FlüchtlingsratRöpkestr. 12, 30173 HannoverTel.: 0511 / 98 24 60 30, Fax: 0511 / 98 24 60 [email protected]

Nordrhein-Westfalen: FlüchtlingsratWittener Str. 201, 44803 BochumTel.: 0234 / 58 73 15 6, Fax: 0234 / 58 73 15 75www.frnrw.de [email protected]

Rheinland-Pfalz: Arbeitskreis Asyl Kurhausstr. 6, 55543 Bad KreuznachTel.: 0671 / 84 59 15 2, Fax: 0671 / 84 51 15 4www.asyl-rlp.org [email protected]

Saarland: FlüchtlingsratKaiser Friedrich Ring 46, 66740 Saarlouis Tel.: 06831 / 48 77 93 8, Fax: 06831 / 48 77 93 [email protected]

Sachsen: Flüchtlingsrat Dammweg 5, 01097 DresdenTel.: 0351 / 874 517 10, Fax: 0351 / 332 947 50www.saechsischer-fluechtlingsrat.deinfo@saechsischer-fluechtlingsrat.de

Sachsen-Anhalt: FlüchtlingsratSchellingstr. 3-4, 39104 MagdeburgTel.: 0391 / 53 71 281, Fax: 0391 / 50 54 96 [email protected]

Schleswig-Holstein: FlüchtlingsratSophienblatt 82-86, 24114 KielTel.: 0431 / 73 50 00, Fax: 0431 / 73 60 [email protected]

Thüringen: FlüchtlingsratSchillerstr. 44, 99096 ErfurtTel.: 0361 / 518 05 125, Fax: 0361 / 518 84 [email protected]

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TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

____ Heft(e) zum Tag des Flüchtlings 2017 (DIN A4, 60 S.; 2,50 Euro pro Ex. zzgl. Versand; ab 10 Stück: 1,50 Euro zzgl. Ver-sand)

____ Plakat(e) zum Tag des Flüchtlings 2017(DIN A3; kostenlos; zzgl. Versand)

GEMEINSAM GEGEN RASSISMUS

____ Broschüre(n) »pro menschen-rechte. contra vorurteile – Fakten undArgumente zur Debatte über Flücht-linge in Deutschland und Europa«(Hg.: Amadeu Antonio Stiftung, PROASYL u.a.; 3. überarbeitete Auflage, Mai 2017; DIN A6, 40 S.; kostenlos zzgl.Versand; ab 100 Stück: 0,15 Euro pro Ex.zzgl. Versand)

____ Aufkleberset(s) »Warnhinweise: Rassismus gefährdet … « à 5 Motive (DIN A7; kostenlos zzgl. Versand)

____ Plakatset(s) »Warnhinweise: Rassismus gefährdet … « à 5 Motive (DIN A3; kostenlos zzgl. Versand)

____ Plakat(e) »Wer hilft mit, Familie Salawi zu überfallen? Alle, die … «(DIN A2; kostenloszzgl. Versand)

____ Postkarte(n)»Wer hilft mit, Familie Salawi zu überfallen? Alle, die … «(DIN A6; kostenloszzgl. Versand)

ASYL IN DEUTSCHLAND

____ Ausstellung(en) »Asyl ist Men-schenrecht« (siehe Seite 2 in diesemHeft; 2. Ausgabe, September 2016; DIN A1, 37 Plakate; 64 Euro pro Ausstel-lung zzgl. 16 Euro Versand)

____ Begleitbroschüre(n) zur Aus -stellung »Asyl ist Menschenrecht«(2. Ausgabe, September 2016; DIN A3,mittig auf A4 gefalzt, 40 S.; 2 Euro pro Ex.zzgl. Versand)

____ Broschüre(n) »Afghanistan: Keinsicheres Land für Flüchtlinge«(August 2016; DIN A4, 40 S.; 1,50 Europro Ex. zzgl. Versand)

____ Protestpostkarte(n) »Keine Abschiebungen nach Afghanistan!«(September 2016; DIN A6; kostenloszzgl. Versand)

____ Faltblatt/Faltblätter »TausendeTote und Verletzte: Afghanistan istnicht sicher!« (September 2016; DIN lang; kostenlos zzgl. Versand)

____ Broschüre(n) »Memorandum für faire und sorgfältige Asylverfah-ren in Deutschland« (Hg.: DiakonieDeutschland, PRO ASYL u.a.; November2016; DIN A4, 60 S.; 1,50 Euro pro Ex.zzgl. Versand)

____ Broschüre(n) »Neue Nachbarn.Vom Willkommen zum Ankommen.«(Hg.: Amadeu Antonio Stiftung, PROASYL; 2. Auflage, September 2016; DIN A4, 60 S.; 1 Euro pro Ex. zzgl. Ver-sand)

____ Buch/Bücher »Grundrechte-Report 2017« (Hg.: T. Müller-Heidelberg,E. Steven, M. Pelzer, M. Heiming u.a.; Fischer Taschenbuchverlag; Mai 2017;224 S.; 10,99 Euro pro Ex. zzgl. Versand)

EUROPÄISCHE ASYLPOLITIK

____ Plakatflyer »›Die Menschen gehen hier langsam zugrunde…‹Über die massiven Menschenrechts-verletzungen in der Ägäis und die Arbeit des PRO ASYL-Teams zumSchutz der Flüchtlinge« (März 2017;DIN lang; kostenlos zzgl. Versand)

____ Broschüre(n) »Gänzlich uner-wünscht. Entrechtung, Kriminalisie-rung und Inhaftierung von Flücht -lingen in Ungarn« (Juli 2016; DIN A4, 32 S.; 2,50 Euro pro Ex. zzgl. Versand)

____ Broschüre(n) »Der EU-Türkei-Deal und seine Folgen« (Juni 2016; DIN A5, 24 S.; kostenlos zzgl. Versand)

____ Broschüre(n) »Flüchtlinge in Seenot. Handeln und helfen. Hin weise für Skipper und Crews«(November 2015; DIN A6, 23 S.; kosten-los zzgl. Versand; auch in weiteren Sprachen online erhältlich)

ÜBER PRO ASYL

____ »Tätigkeitsbericht(e) PRO ASYL2016/2017« (ab Juli 2017; DIN A5; kostenlos)

STIFTUNG PRO ASYL

____ Broschüre(n) »Vererben SieSchutz und Menschenrechte: Ein Leit-faden zu Testament und Erbschaft«(Dezember 2015; DIN A5, 30 S.; kosten-los)

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Diese und weitere Materialiensind auch unter www.proasyl.de bestellbar.

TAG DES FLÜCHTLINGS 2017 57

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1: Broschüren, Faltblätter, Plakate, Aufkleber und Postkarten: 2 Euro

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Diese und weitere Materialien sind auch unter www.proasyl.de bestellbar.

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Die roten Buttons mit der Aufschrift »PRO ASYL« haben einen Durchmesser von ca. 2,5 cm und werden in einem 10er-Pack an Sie verschickt. (2 Euro zzgl. Versand)

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T-SHIRTS

Unser PRO ASYL-Shirt ist ein Single Jersey T-Shirtvon Stanley & Stella. Das heißt: 100 % ringgesponnene,gekämmte Baumwolle aus kontrolliert biologischemAnbau, hergestellt nach den Richtlinien der FairWear Foundation und GOTS-zertifiziert. Aufdruck Vorderseite: »Menschenrechte kennen keine Grenzen«Aufdruck Rückseite: kleines PRO ASYL-Logo unterhalb des Kragens »PRO ASYL – der Einzelfall zählt«(15 Euro pro Stück zzgl. Versand)

____ Frauen T-Shirt(s) »PRO ASYL« ® S ® M ® L ® XL

____ Männer T-Shirt(s) »PRO ASYL« ® S ® M ® L ® XL ® XXL

STOFFTASCHE

Diese klassische Baumwolltasche aus 100 % Bio baumwolle hat die Maße 38 x 42 cm. Das Fair-Trade-Zertifikat garantiert, dass die Tascheunter fairen Bedingungen ohne Kinderarbeit her -gestellt wurde. (5 Euro pro Stück zzgl. Versand)

____ Stofftasche(n)

SPORTBEUTEL

Der Sportbeutel aus 100% Bio baumwolle hat die Maße 32 x 40 cm (klassische Turnbeutel kommen in 34 x 46 cm) und trägt das Global Organic Textile Standard Zertifikat sowie das Fairtrade Certified Cotton Zertifikat von Transfair. (7 Euro pro Stück zzgl. Versand)

_____ Sportbeutel

58 TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

59TAG DES FLÜCHTLINGS 2017

HERAUSGEGEBEN ZUM TAG DES FLÜCHTLINGS AM 29. SEPTEMBER 2017Herausgeber: PRO ASYL, Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge

Der Tag des Flüchtlings findet im Rahmen der Interkulturellen Woche statt und wird von PRO ASYL in Zusammenarbeit mit dem ÖkumenischenVorbereitungsausschuss zur Interkulturellen Woche vorbereitet.

PRO ASYL ist eine unabhängige Menschenrechtsorganisation, die sich seit mehr als 30 Jahren für die Rechte verfolgter Menschen in Deutschland und Europa einsetzt. Neben Öffentlichkeitsarbeit, Recherchen und der Unterstützung von Initiativgruppenbegleitet PRO ASYL Flüchtlinge in ihren Asylverfahren und steht ihnen mit konkreterEinzelfallhilfe zur Seite. Gemeinsam mit internationalen Partnern recherchiert und dokumentiert PRO ASYL auch an Europas Außengrenzen Menschenrechtsverletzun-gen gegen Schutzsuchende. PRO ASYL engagiert sich für eine demokratische und offene Gesellschaft, in der Flüchtlinge die Chance auf ein menschenwürdiges Lebenhaben. Die Arbeit von PRO ASYL wird über Mitgliedsbeiträge und Spenden finanziert.

Die Stiftung PRO ASYL realisiert seit 2002 mittel- und längerfristige Projekte in derFlüchtlings- und Menschenrechtsarbeit – von der Dokumentation von Menschen-rechtsverletzungen in Griechenland oder Ungarn bis zur Unterstützung von Stipendienfür Flüchtlingskinder. Sie gibt Stifterinnen und Stiftern die Möglichkeit, das gemein -same Engagement für eine weltoffene, faire und solidarische Gesellschaft nachhaltigsicherzustellen. Mit dem jährlich verliehenen Menschenrechtspreis, der PRO ASYL-Hand, fördert und ehrt die Stiftung Persönlichkeiten, die sich in herausragender Weisefür die Achtung der Menschenrechte und den Schutz von Flüchtlingen einsetzen.

Redaktion: Günter Burkhardt, Andrea Kothen, Miriam Fehsenfeld

Redaktionsschluss: April 2017

Titelbild: Dieter Klöckner/Imke Thiele, Frankfurt/M.

Layout: Wolfgang Scheffler, Mainz

Herstellung: alpha print medien AG, Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt

Gedruckt auf 100 Prozent Recyclingpapier

Förderverein PRO ASYL e. V.Postfach 160624, 60069 Frankfurt/M.Telefon: 069 / 24 23 14 - 0Telefax: 069 / 24 23 14 - 72

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Spendenkonto bei derBank für Sozialwirtschaft KölnIBAN: DE62 3702 0500 0008 0473 00BIC: BFSWDE33XXX

VERERBEN SIE SCHUTZ UNDMENSCHENRECHTE

März 2016

Sie möchten sicherstellen, dass Ihr Erbe den Menschenrechten zugute-kommt? Unser Leitfaden zum ThemaTestament und Erbschaft bietet wich -tige Infos zur Nachlassgestaltung.

Die DIN A5-Broschüre ist kostenlosbei PRO ASYL erhältlich (auch alsPDF, 30 Seiten).

Förderverein PRO ASYL e. V.

Postfach 160624, 60069 Frankfurt/M.Telefon: 069 / 24 23 14 -0Telefax: 069 / 24 23 14 -72

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