Dürer: Melencolia I (1514)

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V. Männer am Rande des Nervenzusammenbruches – Schillers Wallenstein 1. Noch einmal: „das Los des Schönen auf der Erde!“ 2. Inhalt 3. Entstehung 4. Ent-Täuschung: Zur Funktion von Wallensteins Lager in der Gesamtarchitektur des Dramas 5. „Wer die Sterne fragt was er thun soll? ist gewiß nicht klar über das was zu thun ist“ – Wallensteins Melancholie und die Ästhetik des Zögerns

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V. Männer am Rande des Nervenzusammenbruches – Schillers Wallenstein  1. Noch einmal: „das Los des Schönen auf der Erde!“ 2. Inhalt 3. Entstehung 4. Ent-Täuschung: Zur Funktion von Wallensteins Lager in der Gesamtarchitektur des Dramas 5. „Wer die Sterne fragt was er thun soll? ist gewiß nicht klar über das was zu thun ist“ – Wallensteins Melancholie und die Ästhetik des Zögerns 

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„Der Stoff und der Gegenstand ist so sehr außer mir, daß ich ihm kaum eine Neigung abgewinnen kann; er läßt mich beynahe kalt und gleichgültig, und doch bin ich für die Arbeit begeistert. Zwey Figuren ausgenommen [Max und Thekla; GK], an die mich Neigung fesselt, behandle ich alle übrigen, und vorzüglich den hauptcharakter, bloß mit der reinen Liebe des Künstlers.“(FA 12, S. 245ff.)

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„Und wenn die Muse heut,Des Tanzes freie Göttin und Gesangs [Terpsichore],Ihr altes deutsches Recht, des Reimes Spiel,Bescheiden wieder fordert – tadelts nicht!Ja danket ihrs, dass sie das düstre BildDer Wahrheit in das heitre Reich der KunstHinüberspielt, die Täuschung, die sie schafft,Aufrichtig selbst zerstört und ihren ScheinDer Wahrheit nicht betrüglich unterschiebt,Ernst ist das Leben, heiter die Kunst.“(W I, V. 129ff.; S. 8)   These 1:In der Gesamtarchitektonik des Dramas kommen dem Lager zwei wesentliche Funktionen zu: 1. Das Lager veranschaulicht die Basis von Wallensteins charismatischer Herrschaft.

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„Sein Lager nur erkläret sein Verbrechen“ (W I, V. 118). „Zweiter Jäger: Ihm schlägt das Kriegsglück nimmer um,Wie’s wohl bei andern pflegt zu geschehen.Der Tilly überlebte seinen Ruhm.Doch unter des Friedländers KriegspanierenDa bin ich gewiss zu viktorisieren.Er bannet das Glück, es muss ihm stehen.Wer unter seinem Zeichen tut fechten,Der steht unter besondern Mächten.Denn das weiß ja die ganze Welt,Dass der Friedländer einen TeufelAus der Hölle im Solde hält.“(W I, V. 344ff.; S. 21f.)

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2. Zum Zweiten entfaltet das Lager das, was man als das moralische setting des Stückes, als seinen eingedunkelten Hintergrund, vor dem sich das gesamte Geschehen entfaltet, bezeichnen könnte. Die Welt der Soldaten wird entfaltet als eine Welt, in der eher düstere Motive und Motivationen überwiegen: Materialismus, Egoismus, Selbsttäuschung und Verrat.

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These 2:Im Rahmen von Schillers Poetologie des Scheins wird nun die Täuschung, die das inhaltlich ja recht düster und realistisch gezeichnete Bild des Kriegslagerlebens zunächst erzeugt, in zweifacher Weise wieder zerstört. 1. die Soldaten sprechen durchgehend in gereimten Knittelversen. Dies wie auch und vor allem ihr Schlussgesang mit Chorpartien stellen die Gemachtheit, die Künstlichkeit des Ganzen in einer geradezu opernhaften Art und Weise aus.

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„Dragoner.Aus der Welt die Freiheit verschwunden ist,Man sieht nur Herren und Knechte;Die Falschheit herrschet, die HinterlistBei dem feigen Menschengeschlechte.Der dem Tod ins Angesicht schauen kann,Der Soldat allein ist der freie Mann. Chor.Der dem Tod ins Angesicht schauen kann,Der Soldat allein ist der freie Mann.“(W I, V. 1060ff.; S. 43)   „Ich hatte immer ein gewisses Vertrauen zur Oper, daß aus ihr wie aus den Chören des alten Bacchusfestes das Trauerspiel in einer edlern Gestalt sich loswickeln sollte.“(Brief an Goethe vom 29.12.1797)

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2. Die Künstlichkeit zeigt sich darüber hinaus in der Bewusstheit der Formgebung überhaupt. Diese bewusste poetische Organisation des Ganzen, das Vermeiden von „blinden“, also im Gesamtaufbau des Stückes funktionslosen Elementen, dokumentiert sich dadurch, dass Schiller bemüht ist, im Lager sämtliche Leitmotive des Dramas vorwegnehmend und vorausdeutend zum Einsatz zu bringen.  „[…] denn das Ganze ist poetisch organisiert und ich darf wohl sagen, der Stoff ist in eine reine tragische Fabel verwandelt. Der Moment der Handlung ist so prägnant, daß alles was zur Vollständigkeit derselben gehört, natürlich ja in gewißem Sinn nothwendig darinn liegt, daraus hervor geht. Es bleibt nichts blindes darinn, nach allen Seiten ist es geöfnet. Zugleich gelang es mir, die Handlung gleich von Anfang in eine solche Praecipitation und Neigung zu bringen, daß sie in steetiger und beschleunigter Bewegung zu ihrem Ende eilt.“(FA 12, S. 330)

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„Marketenderzelte, davor eine Kram- und Trödelbude. Soldaten von allen Farben und Feldzeichen drängen sich drucheinander, alle Tische sind besetzt. Kroaten und Ulanen an einem Kohlenfeuer kochen, Marketenderin schenkt Wein, Soldatenjungen würfeln auf einer Trommel, im Zelt wird gesungen.“(W I; S. 11)   „Verleugnet wie Petrus seinen Meister und Herrn,Drum kann er den Hahn nicht hören krähn.“(W I, V. 611f.)  „Deveroux. Und sind wir oben, wie erreichen wirDas Schlafgemach des Fürsten, ohne dassDas Hofgesind erwacht und Lärmen ruft?Denn er ist hier mit großem Komitat.Buttler. Die Dienerschaft ist auf dem rechten Flügel,Er hasst Geräusch, wohnt auf dem linken ganz allein.“(W II, V. 3364ff.; S. 121)

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„Die Pferde schnauben und setzen an,Liege wer will mitten in der Bahn,Seis mein Bruder, mein leiblicher Sohn,Zerriss mir die Seele sein Jammerton,Über seinen Leib weg muss ich jagen,Kann ihn nicht sachte beiseite tragen.“(W I, V. 981ff.; S. 41)

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„Er hat nichts Edles, er erscheint in keinem einzelnen LebensAkt groß, er hat wenig Würde und dergleichen, ich hoffe aber nichtsdestoweniger auf rein realistischem Wege einen dramatisch großen Character in ihm aufzustellen, der ein ächtes Lebensprincip in sich hat.“(FA 12, S. 162)   „Wir sehen seine [Wallensteins; GK] Stärke nur in der Wirkung auf andere; tritt er aber selbst […] auf, so sehen wir den in sich gekehrten, fühlenden, reflektirenden, planvollen und wenn man will, planlosen Mann, der das wichtigste seiner Unternehmungen kennt, vorbereitet und doch den Augenblik, der sein Schicksal entscheidet, selbst nicht bestimmen kann und mag. […] sein Glaube an Astrologie […] sezt ein Gemüth voraus, das in sich arbeitet, das von Hofnung und Furcht bewegt wird, über dem Vergangnen, dem Gegenwärtigen und dem Zukünftigen immer brütet, groser Vorsäze, aber nicht rascher Entschlüsse fähig ist. Wer die Sterne fragt was er thun soll? Ist gewiß nicht klar über das was zu thun ist.“(FA 4, S. 814ff.)

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These 3:Das astrologisch-humoralpathologische Analogiesystem, das im Stück explizit und implizit entfaltet wird, hat drei Funktionen:

1. es fungiert als Medium der indirekten Charakterdeutung

2. es fungiert als Medium einer gleichsam auktorialen Ironisierung der Figur

3. es fungiert als ein Medium, das die Hauptfigur tragödienkompatibel macht.

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ILLO. O! du wirst auf die Sternenstunde warten,Bis dir die irdische entflieht! Glaub mir,In deiner Brust sind deines Schicksals Sterne.Vertrauen zu dir selbst, Entschlossenheit Ist deine Venus! Der Maleficus,Der einzge, der dir schadet, ist der Zweifel. WALLENSTEINDu redst, wie dus verstehst. Wie oft und vielmalsErklärt ich dirs! – Dir stieg der Jupiter Hinab bei der Geburt, der helle Gott;Du kannst in die Geheimnisse nicht schauen.Nur in der Erde magst du finster wühlen,Blind, wie der Unterirdische, der mit dem bleichenBleifarbnen Schein ins Leben dir geleuchtet.Das Irdische, Gemeine magst du sehn,Das Nächste mit dem Nächsten klug verknüpfen;

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Darin vertrau ich dir und glaube dir.Doch, was geheimnisvoll bedeutend webtUnd bildet in den Tiefen der Natur, - Die Geisterleiter, die aus dieser Welt des StaubesBis in die Sternenwelt, mit tausend Sprossen,Hinauf sich baut, an der die himmlischen Gewalten wirkend auf und nieder wandeln,- Die Kreise in den Kreisen, die sich engUnd enger ziehn um die zentralische Sonne –Die sieht das Aug nur, das entsiegelte,Der hellgebornen, heitern Joviskinder. (W I, V. 966-985; S. 80f.)

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WALLENSTEIN (mit sich selbst redend).Wärs möglich? Könnt ich nicht mehr, wie ich wollte?Nicht mehr zurück, wie mirs beliebt? Ich müssteDie Tat vollbringen, weil ich sie gedacht,Nicht die Versuchung von mir wies – das HerzGenährt mit diesem Traum, auf ungewisseErfüllung hin die Mittel mir gespart,Die Wege bloß mir offen hab gehalten?-Beim großen Gott des Himmels! Es war nichtMein Ernst, beschlossne Sache war es nie.In dem Gedanken bloß gefiel ich mir;Die Freiheit reizte mich und das Vermögen.Wars unrecht, an dem Gaukelbilde michDer königlichen Hoffnung zu ergötzen?Blieb in der Brust mir nicht der Wille frei,Und sah ich nicht den guten Weg zur Seite,Der mir die Rückkehr offen stets bewahrte?[…] und eine MauerAus meinen eignen Werken baut sich auf,Die mir die Umkehr türmend hemmt! -(W II, V. 138-154; S. 9f.)

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WALLENSTEIN.[…]Mich schuf aus gröberm Stoffe die Natur,Und zu der Erde zieht mich die Begierde.Dem bösen Geist gehört die Erde, nicht Dem guten. (W II, V. 797ff.; S. 30)  WALLENSTEIN[…]Glückseliger Aspekt! So stellt sich endlichDie große Drei verhängnisvoll zusammen,Und beide Segenssterne, JupiterUnd Venus, nehmen den verderblichen,Den tückschen Mars in ihre Mitte, zwingenDen alten Schadenstifter mir zu dienen.[…]

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Jetzt haben sie den alten Feind besiegt,Und bringen ihn am Himmel mir gefangen.[…] Saturnus’ Reich ist aus, der die geheimeGeburt der Dinge im ErdenschoßUnd in den Tiefen des Gemüts beherrscht,Und über allem, was das Licht scheut, waltet.Nicht Zeit ists mehr zu brüten und zu sinnen Denn Jupiter, der glänzende, regiertUnd zieht das dunkel zubereitete WerkGewaltig in das Reich des Lichts – Jetzt mussGehandelt werden, schleunig, eh die Glücks-Gestalt mir wieder wegflieht überm Haupt,Denn stets in Wandlung ist der Himmelsbogen.(Es geschehen Schläge an die Tür.)Man pocht. Sieh, wer es ist.(W II, V. 9-37; S. 5f.)

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„Das eigentliche Schicksal thut noch zu wenig, und der eigne Fehler des Helden noch zuviel zu seinem Unglück.“(FA 12, S. 243f.)  „Ich theile mit Ihnen die unbedingte Verehrung der Sophokleischen Tragödie, aber sie war eine Erscheinung ihrer Zeit, die nicht wiederkommen kann, und das lebendige Produkt einer individuellen bestimmten Gegenwart einer ganz heterogenen Zeit zum Maaßstab und Muster aufdringen, hiesse die Kunst, die immer dynamisch und lebendig entstehen und wirken muß, eher tödten als beleben.“(FA 12, S. 522)