Dummy Redesign

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Überarbeitete Ausgabe 19 . Winter 2011 . 9. Jahrgang Deutschland 6,00 Euro . EU 8,00 Euro . Schweiz 12,50 CHF Andere 15,00 Euro DUMMY UNABHäNGIGES GESELLSCHAFTSMAGAZIN Schweiz

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Projekt von Ravena Hengst und Verena Schneider, Darstellungsmethoden I unter der Leitung von Sandra Doeller

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Überarbeitete Ausgabe 19 . Winter 2011 . 9. Jahrgang Deutschland 6,00 Euro . EU 8,00 Euro . Schweiz 12,50 CHF

Andere 15,00 Euro

DUMMYUnabhängiges gesellschaftsMagazin

schweiz

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MiR

DOOfe

DÜtsche

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Mir doofe Dütsche dänke ja, wenn e schwiizer Dütsch redt mit schwiizer lischlag, de sigi das schwiizerdütsch. Wenn är aber würklech schwiizerdütsch redt, de verschtöh mir gar nüt meh. U weme als Dütsche z'züri oder z'bärn oder z'basel jammeret, dass me gar nüt meh verschteit, de bechunnt me öppis z'ghöre, nämlech: me sigi en arrogante Depp (wül die Dütsche d'schwiiz sowieso für ne teil vo Dütschland halte). U weme de bim Wiiterschwätze meint, das chönn ja jede: so ne blüehigi Wirtschaft uf d'bei stelle mit emene huufe Milli-arde, wo me nid wot wüsse, wohär si chöme – de isch dr tag z'züri oder z'basel oder z'bärn gloffe.

Mir Dütsche sige weni international, arrogant u z'blöd, für allne e Vollziitbeschäftigung z'bringe. D'schwiizer sige bie-der, brav u mit ihrem komische bankgheimnis d'handlanger vo Kriminelle. eso töne hie u dert d'Vorurteil, wo bsunders i

de vergangnige Jahr ds Verhältnis belaschtet hei. Uf aui fäll isch es es gfundnigs frässe für d'Medie.

Derbii isch das, wo mir zäme hei, vil grösser als das, wo üs trennt. Vil isch gschribe worde über die dütsche gaschtar-beiter, wo i chrankehüser u Redaktione de schwiizer d'Jobs wägnäh u sich i de zürcher bars uffüehre, als sige si hie de-hei. zvil isch über settigs gschribe worde. i däm Magazin lä-set dir nüt zum chindische schtriit über dütschi emigrante ir schwiiz u schlächts Dütsch vo de schwiizer. für ds Magazin hie hei schwiizer u Dütschi zämegschaffet. Wül d'schwiizer ja nid id eU wei, müesse mir se wenigschtens i ds heft hole.

Vil spass bim läse u luege!

inhalt

4 scheine system8 schriftsache - Warum arial nehmen

10 california Dreaming14 Wir wollen auch einen zustupf!

20 guter Plan

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scheinesYs

teMDie Schweizer horten Geld aus aller Welt –

aber noch viel mehr davon exportieren sie. Bei den Gelddruckern von Zürich und Lausanne

von Johanna lühr

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in zürich, Kreis 3, im Viertel Wiedikon, in der Dietzinger-strasse 3 wird das geld der halben Welt gemacht. in einem haus ohne schild und fahne, bei «Orell füssli sicherheits-druck». Das fort Knox der schweiz liegt nicht auf freiem fel-de, sondern in einer Wohnstrasse, und die Unauffälligkeit ist seine tarnung.

Der club der privaten gelddruckereien besteht aus zehn oder zwölf Mitgliedern auf der ganzen Welt. ihr geschäft ist das geld und ihr Kapital die Diskretion. zürich gilt als eine der ersten adressen für alle staaten ohne eigene notendruckerei. Über 15 länder aus europa, afrika und asien bestellen bei Orell füssli. transporter voll von banknoten fahren von hier los zu den flughäfen, und von dort geht es weiter zu den na-tionalen zentralbanken. einer kauft sich eine Kuh davon, der andere einen flachbildschirm, und der nächste handelt mit Waffen.

Orell füssli ist ein Unternehmen, das Wert darauf legt, lokal zu sein. Die zürcher conrad Orell und hans Rudolf füssli übernahmen die Druckerei im 18. Jahrhundert, 1780 druck-ten sie die erste zürcher zeitung, die 40 Jahre später zur neu-en zürcher zeitung wurde. seit den 70er Jahren war dann auch die ganze schweizer Währung in ihren händen. heute ist Orell füssli eine holding, zu der buchhandel, Verlag und sicherheitsdruck gehören. Wer heute in zürich «Orell füssli» sagt, spricht normalerweise von der buchhandlung. «ich geh schnell zu Orell füssli» heisst «ich kauf mir ein buch». an banknoten denkt keiner.

Fragen an den Chef der Druckerei von Orell Füssli: Wie viel Geld wird bei Ihnen täglich gedruckt? Dazu kann ich keine Auskunft geben. Drucken Sie auch die israelische Währung? Dazu kann ich keine Auskunft geben. Wie viel kostet es, einen Schein zu drucken? Dazu kann allenfalls die Zentralbank Aus- kunft geben.

intern läuft alles ganz einfach. in der Welt der privatwirt-schaftlichen notendruckereien druckt jeder für jeden. Wer das beste angebot macht, bekommt den auftrag. Politik spielt keine Rolle. so soll der litauische lita in los angeles entstan-

den sein, genauso wie die scheine von Malaysia, haiti und Venezuela irgendwo in amerika gedruckt werden. in sim-babwe soll der chef der zentralbank angeblich vor der Wahl noch einmal schnell in München bei der Druckerei giesecke & Devrient – auch eine grosse nummer im club der geld-drucker – neue banknoten geordert haben, um bestechende Wahlgeschenke aus der staatskasse bezahlen zu können. Die Druckerei macht auch einen teil der euronoten für Deutsch-land, der andere teil wird von der bundesdruckerei in berlin hergestellt, die im Jahr 2000 privatisiert wurde. ein tochter-unternehmen von giesecke & Devrient ist die Papierfabrik louisenthal, die über 100 Unternehmen in der ganzen Welt mit banknotenpapier beliefert.

Die gründe, das geld nicht im eigenen land zu drucken, sind vor allem wirtschaftliche. Meist lohnt es sich mehr, einem privaten Unternehmen im ausland den auftrag zu geben, als selbst eine Druckerei mit der neuesten technik aufzubauen. selbst wenn man dafür die sicherheitskosten für den trans-port zahlt.

für die geldmacher ist jede inflation ein gewinn. Je mehr das geld ihrer Kunden entwertet wird, desto mehr können sie nachdrucken. in Venezuela hat staatschef chavez das neue Jahr mit einer Währungsreform begonnen und kurzerhand drei nullen gestrichen. ein fünfzigtausend-bolivar-schein musste durch einen fünfziger ersetzt werden. gute arbeit für die gelddruckerei in amerika, die für Venezuela druckt. aber auch Revolutionen und staatsgründungen sind nicht schlecht für das geschäft. Die Ukraine soll, nachdem sie 1991 unab-hängig wurde, ihre neue Währung in Kanada bestellt haben.

Die schweizer franken gelten als eine der sichersten Währun-gen weltweit. grund dafür sind auch ein paar kleine löcher, eine ovale Perforation in einer ecke des scheines. schwer

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zu fälschen und schwer zu übersehen. Wenn man durch den franken nicht hindurchschauen kann, weiss man sehr schnell, dass etwas nicht stimmt. Die europäer entschieden sich da-mals gegen die Perforation im euroschein. skeptiker meinten, dass das ovale loch zu schnell verdrecken könnte. es gehe ja nicht überall so reinlich zu wie in den schweizer geldbör-sen. Der gute Ruf der schweizer in sachen gelddruckerei liegt aber auch noch an zwei anderen Unternehmen. Denn die schweizer drucken nicht nur viele gute scheine, sie stellen auch noch die farbe und die Druckmaschinen dazu her.

Über 80 Prozent aller Währungen werden mit tinte der fir-ma sicpa aus lausanne gedruckt. für euro, Us-Dollar und schweizer franken liefert sicpa eine sicherheitsfarbe, die gegen Dutzende von chemikalien, licht und das Kochpro-gramm einer Waschmaschine resistent ist. Die Mischung, die auf dem Dollar je nach licht von bronzegrün zu schwarz wechselt, ist eine hochgeheime Mixtur, die nur sicpa kennt. Der Kunde weiss: Wenn der schein bei licht nicht die farbe wechselt, ist etwas faul. Die andere grosse nummer im geld-geschäft ist die Druckmaschinen-firma «De la Rue giori», auch mit sitz in lausanne. Das Unternehmen beherrscht fast 90 Prozent des Weltmarktes, ohne sie würde nicht viel geld gedruckt auf der Welt. aber darüber redet der diskrete chef der firma, Roberto giori, natürlich niemals.Keine interviews, keine fotos, keiner kennt ihn (zu seinem glück übrigens, als er auf dem Weg nach indien in einem entführten flugzeug sass, acht tage mit über 100 Passagieren in der gewalt von Kaschmir-Rebellen, und keiner wusste, was für eine gold-quelle darunter war).

Das gewerbe der gelddruckerei ist ein «closed shop», und jeder Versuch, etwas über sie zu erfahren, endet vor der tür. Die Mitarbeiter der gelddruckereien dürfen nichts über ihre arbeit erzählen. nachbarn, freunde, Verwandte ahnen nicht, was der gelddrucker tut, nur die engste familie weiss, wohin er jeden Morgen geht, wenn er das haus verlässt. in der Dru-ckerei tragen die Mitarbeiter jedes Pausenbrot in durchsichti-gen Plastiktüten mit sich herum. nirgendwo darf ein Papier-korb stehen. Damit nichts abhanden kommt.

Jeder schein ist registriert, gibt es fehler bei der Produktion, wird er zerschreddert und in das Vernichtungsprotokoll ein-getragen.

Denn geld kostet. in der schweiz sind das 30 Rappen pro banknote, egal ob es ein hundert- oder tausend-franken-schein ist. Währungen auf Papier sind billiger, banknoten aus Kunststoff, Polymer, kosten mehr, halten aber länger. bezahlt wird vom Kunden immer mit Kreditbrief und nicht in harter Währung. banknoten seien die Visitenkarte eines landes, hat John coleman, der chef von «Orell füssli sicherheitsdruck» und internationaler guru des gelddruckens, einmal in einem interview gesagt. Die nächste serie schweizer franken soll 2010 in Umlauf gebracht werden und die schweiz als «unver-wechselbares und innovatives land» darstellen.

auch israel gehört zu den Kunden in zürich. Die «bank of is-rael» wird bald für neue Köpfe auf ihren schekel zahlen. zur-zeit prangen auf den «new israeli scheqel» die Köpfe zweier Präsidenten, Jitzchak ben tzwi und salman schasar, dem des Ministerpräsidenten Mosche scharet und des literaturnobel-preisträgers samuel agnon. Die zukunft soll zeitgenössischer aussehen. Man denkt über den astronauten ilan Ramon, die songschreiberin naomi shemer oder Jerusalems bürgermeis-ter teddy Kollek nach. Wofür sich israel entscheidet, das weiss nur Orell füssli.

in zürich, im Kreis 3, im Wiedikon, ist auch das Viertel der orthodoxen Juden. im koscheren laden bezahlt man in fran-ken. Wie nah der schekel eigentlich ist, dürften die wenigsten wissen. nur einmal um die ecke, bei Orell füssli, dort, wo das geld gemacht wird.

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arial ist überall. Wer arial nicht kennt, hat mit grosser Wahr-scheinlichkeit noch nie in seinem leben einen computer be-dient. Die populäre schriftart hat sich wie ein Virus verbreitet und demonstriert dabei den einfluss des computergiganten Microsoft auf die ganze Welt. in Wirklichkeit ist arial jedoch ein dreister betrüger!

eine der meist verwendeten schriften der letzten hälfte des 20. Jahrhunderts war nämlich die wundervoll gezeichnete helvetica. sie wurde in den 50er Jahren von der haas‘schen schriftgiesserei bei basel entwickelt und hatte in der fachwelt sehr schnell eine grosse internationale anhängerschaft. als eine ikone der schweizer typografie wurde sie zum synonym für eine moderne, progressive und kosmopolitische haltung.

schRiftsache

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ab den 80er Jahren setzte sich der Personal computer und damit auch das so genannte Desktop Publishing durch. Um teure schriftlizenzen zu umgehen, entwickelte die firma Mo-notype einen «helvetica-Klon» – genannt arial –, welche Microsoft seitdem mit seinem betriebssystem Windows aus-liefert. Die namensgebung arial war dabei ebenfalls ein ge-schickter schachzug: im schriftenmenü erscheint die schrift dadurch meist an erster stelle.

apple entschied sich damals übrigens für die helvetica. Wir hingegen entscheiden uns auch mal für den Klon arial, weil die schweiz schon immer weltoffen war und souveräner als so mancher Megakonzern sowieso. bei der Rechtschreibung hingegen sind wir streng: es wird kein ß benutzt, dafür jede Menge schweizer an- und abführungszeichen.

WaRUM aRial

nehMen

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califORnia

DReaMing

Als Märchenonkel des deutschen Journalismus lieferte der Schweizer Tom Kummer den Magazinen, was sie wollten: Star-Interviews und Reportagen, «die poppen». Mit der Wahrheit hatte das nicht viel zu tun.

Aber vielleicht mit der Schweiz, mit Deutschland und Hollywood?Wir haben Kummer in L.A. besucht und gesagt: Tom, jetzt mal in echt!

von Oliver geyer

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Popp, popp, popp, popp. Die gelben bälle fliegen so schnell über das kleine Paddletennis-feld, dass sie die ballistische bahn von gewehrkugeln beschreiben.

Popp, popp, popp. Man sieht nur noch gelbe streifen. Tom Kummer lässt es auch in seinem neuen Job als Paddleten-nis-trainer im Jonathan club at the beach in Malibu rich-tig poppen, er macht tempo. er will das letzte aus seinem gegenüber herausholen, egal wer sich da abrackert. Heute ist es Bruce Willis, der alles geben muss. Die sonne steht schon tief über den unwirklich hohen Palmen des Promi-clubs in Malibu. gegen abend bläht sie sich immer noch einmal auf, taucht die Welt in technicolor und versinkt im Pazifik. Der ganze himmel ist orange. hier ist aber auch alles larger than life, denkt der gejetlagte europäer. Das kann doch nicht wahr sein.

Der actionheld hat aufgegeben, bruce Willis wedelt mit dem triefenden stirnband: «lass uns besser noch zusammen einen Drink nehmen tomas.» Willis und Kummer kommen hoch auf die terrasse und setzen sich zu mir. Die letzten sonnen-strahlen leuchten die szene perfekt aus. «Das ist bruce, das ist Oliver, ein freund aus Deutschland», stellt tomas uns vor. «nice to meet you, bruce.» Da ist man 13 stunden nach los angeles geflogen, um etwas über den wahren Tom Kummer zu erfahren, über das leben unseres schweizers in Hollywood, über den Bad Guy of German Journalism, der mit seinen ge-fälschten Promi-interviews und Reportagen die heile deutsche Medienwelt in eine identitätskrise gestürzt hat, und schon ist man teil der lüge. für die Mitglieder des clubs heisst Tom tomas, kommt nicht aus bern, sondern aus brasilien und war immer tennisspieler. Meine erste frage, die mir während der zwischenlandung in zürich einfiel und klug erschien, muss ich erst mal stecken lassen: sind alle schweizer lügner? statt-dessen gibt es Weibergeschichten von bruce Willis.

auf der Rückfahrt kommen wir der Wahrheit schon näher. «Wir schweizer belügen vor allem uns selbst», antwortet Tom Kummer, jetzt auch mit der echten berner sprachfärbung. Wie James Dean peitschen wir mit völlig überhöhter ge-schwindigkeit über den Mulholland Drive, unter uns glitzert und rumort die grösste licht-Klang-installation der Welt, los angeles. Korea town, Kummers «hood», ist noch weit weg. «Wir sind nie bei uns», spricht Kummer für seine lands-leute, «wir sind immer nur bei unserem image, von dem wir unterstellen, dass es das ausland von uns hat, und an dieser Unterstellung arbeiten wir.» immer können schweizer ihre ei-gene leistung nur im abgleich mit irgendetwas grossem im ausland würdigen, hat Kummer auch schon in seinem buch «blow up» behauptet. als ginge es um Weltniveau, so wie in der DDR. heisst das, er will seine lügengeschichten im «sz-

Magazin» und im «stern» nachträglich einer vermeintlichen schweizer Kollektivneurose in die schuhe schieben? «na ja, diese schweizer Diktatur des imagebewusstseins hat mich geprägt. Und ich hab die völlig auf die spitze getrieben.» – Pause – «andererseits hat man ja auch einen freien Willen.» Und der wollte das grosse Ding machen. Der sah die sache so: nicht weniger ist mehr – mehr ist mehr!

schweigend fahren wir weiter. leuchtreklamen und entgegen-kommende autos werfen schillernde Muster auf Kummers braun gebranntes tennislehrer-gesicht, im Radio wummern die die R‘n‘b-guitars. l.a. ist ein einziger tarantino-film, hier in einer Koproduktion mit dem schweizer fernsehen. Kummer baut noch einen schlenker über den holiywood boulevard und das Observatory hoch oben auf dem berg im griffith Park ein. beiläufig, scheinbar zufällig an beeindru-ckenden Orten entlangfahren, das mache ich in berlin auch immer mit besuchern. Vielleicht eine schreiber-Marotte. it‘s all about entertainment.

Motor aus, blick geniessen und erst mal eine rauchen. Von hier oben sieht das strassenmuster der Monsterstadt aus wie ein beleuchteter schachcomputer, über dem spielzeug-hub-schrauber mit suchscheinwerfern kreisen. Unten tobt eine schlacht, aber hier hat man den Überblick und kann seine strategie überdenken. Kummer kneift die augen leicht zu-sammen, wie leute, die etwas bedeutendes sagen, und bläst beim sprechen den Rauch aus dem fenster: «ich sag‘s mal so: ich bin mit meinen stationen schweiz, Deutschland und dann l.a. auf der beobachterebene dritter Ordnung ange-kommen.» Wo? serviert er mir jetzt den altbekannten cock-tail aus trash und Philosophie, gut geschüttelt, damit der le-ser nichts mehr versteht? «erst reichte mir die aussicht von Kleinscheidegg auf das lauterbrunnental nicht mehr. Dann ekelte mich dieser ganze künstlerische höhenflug in berlin an, die pseudopostmoderne Philosophie- und Magazin-bes-serwisserei. Hollywood war meine Pilgerfahrt ins Mekka der fiktion, ich dachte, kurz vor dem Olymp zu sein. aber dann lässt mich meine Münchner seilschaft abstürzen. Und wenn du plötzlich alles verlierst, dann wird der blick frei.»

aber worauf? auf die eigene geltungssucht, antwortet er. auf die eigene art, die Welt zu sehen. Und darauf, dass er unbe-wusst vielleicht immer genau das wollte: abstürzen, hart lan-den in der unterprivilegierten Realität von Korea town. Das scheinbar angeborene Recht der schweizer auf Mittelstand, sicherheit und damit langeweile abschütteln und mit dem echten leben in berührung kommen.

Realitätsschnipsel mit fantasie zu grossem Kino komponie-ren – Tom Kummer hat trotz bruchlandung nichts verlernt. Oder sich ein Detail rauspicken und es übercodieren, was die zeilen halten. zum beispiel topfpflanzen. charles bronson liess er in dem legendären interview mit der Überschrift «ein Mann sieht grün» seitenlang über zimmerpflanzen philoso-phieren. Welches Detail picken wir uns denn heute mal raus? heute ist die Überwachungskamera dran, die vor seinem apartmenthaus an der south serrano avenue hängt. Kummer sieht sie und hebt zu einem Kurzreferat an: «all diese Kame-ras im öffentlichen Raum hier sind für mich nicht nur symbol

Popp, popp, popp, popp.

Popp, popp, popp.

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Popp, popp, popp, popp.

l.a. ist ein einziger tarantino-film.

bad guy of german Journalism

heute ist es bruce Willis, der alles geben muss.

billig

larger than life

von schweizern und hollywood

glaubst du da wirklich immer noch dran, tom?

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des Polizeistaates Usa nach 9/11. Die sind sinnbild der heu-tigen faktenreligion, dem Dogma des faktischen. als gebe es so etwas wie die Realität! Jede Wahrnehmung ist Konstruk-tion, aber damit kommen die angstgesteuerten Journalisten-schulen-abgänger nicht klar.» einspruch: es gibt doch so was wie die konsensuelle Realität, Tom, wollen wir uns nicht ein bisschen daran orientieren? «gute nacht», sagt er. für heute ist alles gesagt.

an schlaf ist im Billig-Motel an der interstate 10 am Rand von Kummers Viertel nicht zu denken. ein paar Mexis ha-ben Party gemacht und wurden nahtlos vom anschwellenden Motorenlärm der Millionen Pendler abgelöst, die hier ihren Morgen im stau verbringen. ich schiebe die Plastikvorhänge zur seite und sehe im gleissenden Morgenlicht die 12-spuri-ge trasse. Die automasse bewegt sich wie das automatische fussgänger-fliessband auf dem flughafen. Kurz danach stehe ich mit Tom Kummer in seinem Jeep selber drin. Und kriege einen crashkurs in kalifornischer lebensphilosophie: «Du musst nur deine innere abwehrhaltung gegen den stau auf-geben, dich in den flow bringen, dann erträgst du es. Man muss es als Meditation sehen.» nach einer anderthalbstün-digen stau-Kontemplation stehen wir vor dem eingang des hollywood forever cemetery am santa Monica boulevard. Mir wird klar, was dieser ausflug an Tom Kummers freiem tag soll. er ist die antwort auf meine frage nach der Realität.

auf dem hollywood forever cemetery gibt es keine grab-steine, nur Monitore, auf denen 20-minütige biografische fil-me laufen. Die Verstorbenen haben sie vor ihrem ableben in auftrag gegeben. es lebe der zentralfriedhof, singe ich. «Das ist wirklich die lebendigste art, tot zu sein, die ich je gesehen habe.» Wir bleiben vor dem lcD-grabstein eines Versiche-rungsagenten stehen. sein film macht mehr so den eindruck, der Mann sei britischer geheimagent gewesen. erstaunlich, wie man so ein Versicherungsdasein aufbauschen kann. «heute ist alles semifiktiv, jede biografie. Man muss nur ein auge dafür haben», sagt Kummer, «dann erkennt man überall und in jedem das grosse Drama.» er hat es immer schon ge-wusst, alles ist grosses Kino, und Hollywood kann ihn da nur bestätigen. Das ist die alte schule von griechischem Drama und hollywood-Drehbuch: held verlässt heimat, denn die heimat braucht hilfe. held nimmt die herausforderung an, muss Prüfungen bestehen, hat Mentoren, feinde und Verbün-dete, und wenn er alles überstanden hat, kommt er zurück und rettet die hilfsbedürftige heimat mit dem schatz seiner erfahrung. Drama, Drama, Drama, und immer an den le-ser denken. glaubst du da wirklich immer noch dran, Tom? «Ja sicher, es würde sich doch auch niemand mit Popcorn ins Kino setzen, um die bilder einer Überwachungskamera anzu-sehen», antwortet er.

ausgerechnet der «focus» hat ihn enttarnt, das Magazin, das immer nur fakten, fakten, fakten liefert. Diese heft geworde-ne Überwachungskamera ohne einen Journalisten-Regisseur, der mit etwas esprit die schnöden fakten zu grossem Kino neu arrangiert, aber voller tabellen und zahlen. Das torten-diagramm ist die Verdichtung von Tom Kummers feindbild des faktengläubigen Mainstream-Journalismus, da will er sich auch heute noch keine scheibe von abschneiden. nein, dann

lieber die knallig bunten dreistöckigen geburtstagskuchen, die man bei Ralph‘s supermarket im sonderangebot aus der tiefkühltruhe nehmen kann. Deswegen ist Kalifornien heu-te genau der richtige Ort für einen wie Kummer: auf dem gelände der traumfabrik ist er sicher vor diesen freudlosen Deutschen und schweizern, die Menschen mit neigung zum imaginativen abheben immer unbedingt runterholen wollen. Warum runter? am boden war er eine zeit lang, dahin zieht ihn nichts zurück.

allerdings kann ich auch dem Reiz nicht widerstehen, noch etwas helium in Kummers ego-ballon zu füllen: Wie sein Drama auf dem Kino-grabstein aussehen würde, will ich wis-sen. Wie ein schweizerisch-deutsch-amerikanisches epos? Wie will er sich zu einem helden umdichten? Und müsste der nicht am ende wie jeder dramatische held in seine hei-mat zurückgehen und sie mit irgendwas bereichern? Kum-mer mag es gross: «Da fällt mir sicher was ein. Vielleicht mit der erfahrung, das mit der geltungssucht mal auf die spitze getrieben zu haben. Dann am boden gelegen und das ech-te leben gespürt zu haben, ohne diese verteufelte schweizer sicherheit. Jede Menge schläge eingesteckt zu haben und es irgendwie auch zu bereuen. ich schlage tagaus, tagein mo-noton meine Paddletennis-bälle, so wie der deutsche Kaiser Wilhelm im exil aus Reue holz gehackt hat. so in der art. so

wird es grosses Kino. hauptsache, es poppt.» Popp, popp, popp. Diesmal fliegen die bälle etwas ruhiger. gwyneth Paltrow hat auf Tom Kummers handy angerufen. Ob sie noch eine Privatstunde kriegen könnte. Wir fahren so-fort in den Jonathan club nach Malibu. Wieder sitze ich auf der terrasse, wieder ist der chefbeleuchter von Hollywood, die sonne, in hochform. heute gibt es einen rosaroten son-nenuntergang, dazu einen sundowner. Kleines tennis, gros-ses Kino. gwyneth winkt mir zwischen zwei ballwechseln zu. Dann kommen sie zu mir an den tisch. Die sterne flunkern am firmament, wir kommen ins Plaudern – über das Ver-hältnis von schweizern und Deutschen, von schweizern und Hollywood, über das theater der DDR, über die auflösung der grenzen von Körper und technologie, Wahrheit und fik-tion. gwyneth schaut mir tief in die augen und sagt: «Die medientechnologische entzauberung des Menschen als en-tropiemaschine provoziert revolutionsromantische immedi-atutopien reziprok kommunizierender Kollektive.» nein, das sagt sie natürlich nicht. aber wir reden noch bis spät in die nacht über topfpflanzen.

Popp, popp, popp.

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WiRWOllen

aUch einen

zUstUPf!

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Wiglaf Droste

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16 Röhrlinge

Wir wollen auch einen Zustupf!Vergesst das Hochdeutsch! Die Schweizer Sprache ist viel schöner.

eine hommage von Wiglaf Droste

Die schweiz verströmt einen kulinarischen, sprachlichen und journalistischen luxus, von dem sich die deutschen gürtelenger-schnaller und geizgeilfi nder täglich mehr entfernen. an einem freitag im september meldete die im Kanton graubünden er-scheinende Regionalzeitung «Die südost-schweiz» unter der Überschrift «Pilzfrevler aus italien erwischt» folgende geschichte: «trotz schonzeit haben mehrere Perso-nen gestern und am Mittwoch an verschie-denen Orten im Kanton Pilze gesammelt und dabei auch weit mehr als die erlaubte Menge von zwei Kilo pro Person und tag mitgenommen. Wie die Kantonspolizei graubünden mitteilte, wurden auf der alp flix oberhalb sur gestern drei Personen erwischt, die insgesamt 52,5 Kilo Pilze ge-sammelt hatten. am tag zuvor waren am gleichen Ort zwei Personen mit neun Kilo steinpilzen kontrolliert worden. in nufenen wurden zwei Männer gestern mit elf Kilo steinpilzen angehalten, und auf der lenzer-heide musste ein Pilzsammler am Mittwoch acht Kilo steinpilze abgeben. bei all diesen Pilzsammlern handelte es sich um italiener. sie wurden verzeigt und mussten Depots von jeweils mehreren hundert franken hin-terlegen.» als ich das las, musste ich beinahe wei-nen: zweiundfünfzigeinhalb Kilo steinpilze! Und jeder schweizer darf zwei Kilo stein-pilze pro tag sammeln – das macht bei ei-ner schonzeit von zehn tagen im Monat in graubünden pro gierschlund immer noch 40 Kilo im Restseptember. 40 Kilo stattli-

che gnubbelmänner: so sieht das Paradies aus – in das aber nicht unbefugt eingedrun-gen werden darf, nicht in der ordentlichen schweiz. Kriminelle hat es zwar eigentlich keine im land der schneeweissen Westen; wenn es aber doch welche gibt, handelt es sich garantiert um italiener. Kriminelle sind in der schweiz italiener, immer. soliten einmal ausnahmsweise keine italiener zur hand sein, sind die Kriminellen wenigstens «italienischstämmig». ein schönes Wort, italienischstämmig: Man sieht stämmige italiener vor sich, rund und knuffi g gebaut, weil das glück nun einmal nicht dürr, ma-ger und klapprig sein kann. Der nicht ertappte, sondern wie im «Räu-ber hotzenplotz» von Wachtmeister Dimp-felmoser nach guter alter art «erwischte» Kriminelle wird in der schweiz nicht an-gezeigt, o nein: er wird verzeigt. Da ist der autoritär tadelnde zeigefi nger noch mit im Wort, und nach dem Verzeigtwerden wird man in der schweiz nicht bestraft – man wird gebüsst! Das ist unmissverständlich, klar und unlabbrig: sie haben Pilze gefre-velt? – sie werden gebüsst! so aufregend lebt es sich ausschliesslich in der schweiz: stämmig, verzeigt und gebüsst. Der schweizer parkt nicht, er parkiert. er zieht nicht um, sondern zügelt. er dankt auch nicht; derjenige, dem er Dank schul-det und abstattet, wird im gegenteil und wahrscheinlich zur strafe «verdankt». Der schweizer telefoniert nicht mit dir – er gibt dir ein telefon. anfangs war ich menschlich tief enttäuscht, wenn ich nach der ankündi-

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17Steinpilz

Abb. 1

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Abb. 2

gung «ich gebe dir ein telefon» keineswegs ein telefon, sondern stattdessen bloss einen anruf erhielt. aber das gab sich und wich der freude am eigenwilligen ausdruck. noch etwas haben die schweizer, um das ich sie sehr beneide. Das ist der zustupf. ein zustupf ist ein zubrot, eine zusätzli-che fi nanzielle zuwendung. zustupf, o ja, zustupf, zustupf, zustupf! ich sehe meine Omma vor mir, wie sie mir etwas zu schle-

ckern, ein geldstück oder ein Klöpschen zusteckt, nein: zustupft . in einer Welt ohne zustupf zu leben ist ganz sinnlos, dann kann man es besser gleich sein lassen. so – und jetzt möchte ich einen zustupf von 40 Kilo steinpilzen, herbeigetragen über die alp flix von stämmigen Männern aus italien.

18 Röhrlinge

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Zu Abb. 1 Boletus edulis(herrenpilz, edelpilz)

Hut: 8-20 cm. hell- bis dunkelbraun, matt, feinsamig, feucht klebrig, oft heller Rand. Jung halbkugelig, später fl acher, wellig ge-wölbt. Oft von schnecken löchrig angefres-sen.Röhren: Jung weißlich, später gelbgrünlich. am stiel ausgebuchtet. Poren eng, nicht verfärbend.Stiel: bis 20cm lang. fest, jung bauchig, spä-ter keulig schlank, weißlich bis hell-bräun-lich. Weißliche netzzeichnung, besonders im oberen teil.Fleisch: fest, später weich. Weiß, älter blassgelb und unter der huthaut bräunlich.Geruch: angenehm nussartig.geschmack: fein nussartig.Zeitraum: Juli bis OktoberVorkommen: in laub- und nadelwäldern, häufi g unter fichten, buchen, Kiefern und birkenWert: einer der hochwertigsten speisepilze. für alle zubereitungsarten vorzüglich ge-eignet.Verwendung: sehr vielseitig, frisch, einge-froren, getrocknet, auch roh zum einlegen. ältere Röhren entfernen.Verwechslung: Mit dem ungenießbaren, bitter schmeckenden gallenröhrling, dessen stiel jedoch dunkel und nicht hell genetzt ist. Mit dem essbaren Maronenröhrling, dessen Poren sich auf Druck blau verfärben.Kommentar: im gegensatz zu vielen ande-ren Pilzen ist beim steinpilz aich der stiel besonders wertvoll. alle Unterarten, fich-ten-, sommer- und Kiefern-steinpilz sind gleichermaßen hochwertig. schon junge Pilze sind oft madig.

Zu Abb. 2Rapina funginus(Pilzraub)

Geruch: faulGeschmack: bitterZeitraum: Juli bis OktoberVorkommen: in laub- und nadelwäldern, häufi g unter fichten, buchen, Kiefern und birken

Erläuterungen

19Steinpilz

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gUteR Plan

Wie der Pazifist und Kartograph Arne Rohweder ei-nen Stadtplan von Bagdad zeichnete, der einschlug

wie eine Bombe

von ben Knight

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Wenn du in die hölle verbannt wärst, gäbe es einen besseren begleiter als einen schweizer? Die Kombination aus klarer Vernunft und bergsteiger-erfahrung wäre ideal angesichts des eher felsigen terrains in der hölle. ich zumindest wür-de arne Rohweder gerne mitnehmen. sein kühler Kopf und seine freundliche art würden die ewige Pein erträglicher ma-chen, aber was wichtiger wäre: er könnte auch eine Karte von der Unterwelt anfertigen. er würde eine toblerone und ein taschenmesser mitbringen Und aus meiner feurigen höhle auf seinem Mountainbike losfahren. Und dann würde er eine detaillierte, hieronymus-bosch-ähnliche landschaft kreie-ren, mit allen wichtigen zeichen versehen. Wenn man mit unendlicher Qual konfrontiert ist, ist es schliesslich wichtig, den Überblick zu haben.

Obwohl er sich bei dem Vergleich nicht wohl fühlt, hat arne Rohweder mit seinem unabhängigen Verlag gecko Maps den Ruf eines Kartografen für Krisengebiete erlangt. er hat die erste Karte von bagdad nach dem zweiten irakkrieg erstellt und bringt nun in diesen schwierigen zeiten die neueste aus-gaben seiner Karten von tibet und nepal heraus. beides sind länder, zu denen er einen persönlichen bezug hat – für die tibetische bewegung empfindet er auch eine politische sym-pathie.

ein Verdacht sollte gleich zu beginn ausgeräumt werden: Rohweders bagdad-Karte wurde nicht vom amerikanischen oder britischen Militär benutzt, um die stadt zu bombardie-ren. einige Reporter (u. a. vom berliner «tagesspiegel» und der «neuen zürcher zeitung») haben eben diesen Vorwurf suggeriert, als jemand herausfand, dass das britische Mili-tär ein paar tausend exemplare von Rohweders irak-Karten einen Monat vor beginn der invasion gekauft hatte. Ohne grossen aufwand und mit ungezwungenem Pragmatismus wird dieser Verdacht auf der gecko Maps Webseite entkräf-tet: «Wir haben noch nicht einmal ein Koordinatennetz in die Karte eingezeichnet», steht da mit grossen roten buchsta-ben geschrieben, bevor Rohweder seine eigene theorie vor-schlägt: «Man stellt sich vor, wie oft inspektoren und truppen von ihren geheimdiensten in die Wüste geschickt wurden um giftgasfässer oder mobile labors zu suchen. nach der x-ten erfolglosen suche vertrauen die truppen dann den informa-tionen ihrer nachrichtendienste auch nicht mehr, wenn es darum geht, wo es den besten Masguf oder die feinsten süs-sigkeiten in der stadt gibt.»

Diese aussage zeigt etwas von der leidenschaft, die in Rohwe-ders wissenschaftlichem bemühen stets durchschimmert. er ist Pazifist mit leicht satirischem humor. Rohweder kann zwar über die bösen bombardierungsgerüchte lachen – «nicht, dass sie auch noch das schreiben!» –, doch er fühlte sich schon in seinen Prinzipien verletzt. Die Webseite deklariert: «als an-hänger der friedensbewegung liegt es mir fern, für irgendeine

armee zu arbeiten.» seine politische leidenschaft ist jedoch immer auch etwas abgemildert durch seinen sinn für Klarheit und ehrlichkeit: Je älter, desto dunkler. «Die erste bagdad-Karte war eigentlich eine unserer schlechtesten Karten, weil wir damals kaum an Unterlagen rangekommen sind. Die ira-ker haben sicher irgendwann detaillierte Pläne gehabt, aber das ist halt zerbombt worden, und man weiss nicht, wie man-che strassen heissen.» Und tatsächlich weisen viele Vororte in der neuesten ausgabe einige namenlose strassen auf. Wie eine geisterstadt, könnte man sagen.

aber die bagdad-Karte hat auch metaphorische Dimensio-nen. Kartografie ist nämlich fast eine Kunst: Wie bei anderen stadtplänen werden bewohnte gegenden in einer neutralen, hellen hautfarbe dargestellt. eine leichtere hautfarbe bedeu-tet, dass die gegend noch bebaut wird. Die stadt wird also dunkler, je älter sie wird. Dementsprechend hat die altstadt eine dunkelbraune farbe. helle purpurfarbene felder bedeu-ten: «zerstört, geplündert, abgebrannt, ungenutzt oder proviso-risch.» Die farbe ist beinahe neutral, und doch erinnert das Purpur an eine beule: alles, was fremd ist oder die stadt be-droht bzw. verletzt, ist purpurfarben. Die militärischen Kom-plexe sind purpurne Kästen, und winzige purpurne bomben zeigen einen bombardierten Ort. es gibt auch ein kleines ren-nendes purpurfarbenes Männchen, mit einem Rucksack auf dem Rücken und einem beutel in der hand, das auf all das hinweist, was «geplündert und teilweise abgebrannt» wurde.Weiss ist keine positive farbe unter den symbolen von bag-

dad. ein kleines schwarzes Moschee-zeichen bedeutet einfach eine Moschee. Wenn die Moschee rot ist, ist sie «sehenswert», aber wenn sie weiss ist, heisst es, dass der bau gestoppt wurde. Wenn der kleine Umschlag weiss ist und nicht gelb, heisst es, dass die Post ausser betrieb ist. Und eine geschlossene Disco wird von einem winzigen Mann, der in einem weissen Kas-ten tanzt, symbolisiert. eine offene Disco zeigt den gleichen Mann in einem Kasten voll warmem gelb und Orange. Ver-mutlich ist dieses symbol lediglich in der legende dargestellt, um einen Unterschied zu markieren – auf der Karte selbst ist keine einzige offene Disco zu finden. Die Discos wurden alle dicht gemacht aus Rücksichtsname gegenüber religiösen ei-ferer. Rohweder: «in einer neuauflage würden wir das sym-bol wahrscheinlich ganz rausnehmen, da eine liberalisierung des iraks unwahrscheinlich ist und eine Wiederaufnahme des betriebes wohl kaum mehr stattfinden dürfte.» es gibt eine Menge weiterer bedeutungsvoller Details. ein kleiner purpur-farbener Kreis im Westen der stadt zeigt den Ort eines «flu-gangriffs auf eine zivile luftschutzanlage» in 1991, und ein

Karte von der Unterwelt

zerstört, geplündert, abgebrannt, ungenutzt

oder provisorisch

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riesiges gelände direkt neben der «green zone» markiert die aufgegebene baustelle der so genannten Rahman-Moschee. ein foto davon in der ecke der Karte zeigt einen massiven Kuppelbau, umringt von Kränen, unterlegt mit einem text, der die geschichte auf englisch erzählt: «Projected duration of construction 1998–2005: biggest mosque of iraq (if and when completed).» Doch so traurig ist das nicht, dass der bau nicht weiter geht, meint Rohweder. «Solche Moscheen waren stillose grössenwahnsinnige Image-Projekte zum Ruhme von saddam hussein, der sich wegen der zunehmend feindlichen haltung der Usa bei den Muslimen einschmeicheln wollte.»Die Recherchen für diese Karte wurde fast ausschliesslich von

Martin herzog durchgeführt, einem forstingenieur, der 1981 eine irakische frau geheiratet hat und bis 2004 jedes Jahr nach bagdad reiste. Während einer seiner letzten Reisen verbrachte er zwei Monate damit, die stadt zu inspizieren, Markierun-gen in seinem laptop vorzunehmen und sie anschliessend an Rohweder in die schweiz zu mailen. «Der ist relativ unbehel-ligt rummarschiert», sagt Rohweder. herzog, der jetzt in basel lebt, spricht ausreichend arabisch und weiss auch genug über die irakischen Milizen, um ausser gefahr zu bleiben. er ist Rohweder nicht unähnlich, er teilt seinen sanften ironischen humor: «Das war damals eine ganz amüsante geschichte. als sie mich an den checkpoints für die green zone kontrolliert haben, hab ich meine schweizerische identitätskarte gezeigt, und die amerikanischen soldaten haben das immer für einen ausweis des Roten Kreuzes gehalten. irgendwann haben sie‘s gemerkt.» – ebenso wie Rohweders anteilnahme am schick-sal der länder, die er kartiert. «Damals hatten wir auch noch die ganzen illusionen, dass es sich nach ein oder zwei Jahren wieder gibt, dass die ausländischen investoren wieder nach bagdad kommen – dass die Wirtschaftsstrukturen wieder da sein werden.»

Doch ist es nicht so ausgegangen. herzog war seit 2004 nicht mehr in bagdad, teils aus angst vor entführungen, teils aus Mangel an arbeit für ihn. Die bagdad-Karte, anfangs noch sehr erfolgreich, wird inzwischen kaum noch verkauft. «Kei-ner interessiert sich mehr für bagdad. Kein tourismus – nie-mand geht hin. Keine Wirtschaft. Die hilfsorganisationen gehen auch alle weg.»

Von bagdad nach tibetso hat Rohweder sich nun einer früheren liebe zugewandt – der himalaya-Region. seine neue tibet Karte kommt zeitgleich mit den Olympischen spielen und dem damit einhergehendenaufsehen heraus. sein interesse an der Region rührt von ei-

ner Kinder-Patenschaft, einem zufälligen besuch in nepal, undschliesslich auch der ausbildung einer Reihe von nepalesi-schen geografiestudenten zu Kartografen. Rohweder verzich-tet nun auf den blühenden chinesischen Markt und verlässt sich stattdessen auf seine Kundschaft, die aus westlichen Rei-senden und hilfsorganisationen besteht. seine Karten zeigen tibetische Ortsnamen, «weil die chinesen alles umbenennen, und da will ich ein bisschen dagegen halten.» Die Rückseiten sind bedeckt mit anzeigen für tibetische Vereine. immerhin trifft er die Vorsichtsmassnahme, keine tibetfahnen oder bil-der vom Dalai lama abzudrucken, um so Reisenden ärger zu ersparen. auch sind chinesische Polizei-Kontrollpunkte ein-getragen, damit Radfahrer wissen, wo sie die strasse verlassen sollten.

Verleiht dies alles dem Kartografen nicht auch eine gewisse Macht? Rohweder hat natürlich seine bedenken angesichts solcher Worte. «Macht ist da übertrieben.» aber er gibt schon zu, dass Kartografen bestimmte Dinge beeinflussen. so kön-nen sie manchmal namen schlichtweg erfinden. «einmal haben wir tigerspuren gesehen, und da wusste der führer genau, das ist der tiger namens lucky. Und weil der hügel keinen namen hatte, haben wir ihn auf unsere Karte lucky‘s hill genannt – prompt haben das alle andere Karten über-nommen.»

in Jorge luis borges‘ erzählung «Von der strenge der Wissen-schaft» wird davon erzählt, wie die Diktatoren eines fiktiven Reiches, vom Wahn der genauigkeit getrieben, ihren Karto-graphen befehlen, eine Karte des Reiches anzufertigen, die so gross wie das Reich selbst ist – im Massstab von 1:1. ich habe gehofft, ich könnte poststrukturalistische literaturthe-orie heranziehen, um arne Rohweder zu beeindrucken. ich wollte postmoderne bemerkungen zur Kartografie machen. ich wollte durch zweideutigkeit die Prinzipien der Karto-grafie hinterfragen. ich dachte, borges‘ bild könnte Rohwe-der vielleicht umhauen. sind wir nicht alle bettler, die in den falten einer nutzlosen Karte die Wüste bewohnen? also habe ich Rohweder gefragt: Keine Karte ist wirklich «wahr», oder? Keine landkarte ist die wahre Darstellung eines Orts? es gibt immer politische Motivationen. Und landkarten werden auch immer von den persönlichen erlebnissen des Kartogra-fen geprägt. nicht wahr? Mit der ihm eigenen gutmütigkeit antwortete Rohweder, dass so ein Kartograf bestimmt freibe-

rufler sein muss. «Der grossteil der Kartografen arbeitet in einem amt oder für ein grosses Verlagshaus, ohne jede Mög-lichkeit, persönliche erlebnisse einbringen zu können. in ers-ter linie ist es die arbeit des Kartografen, ein vereinfachtes, inhaltlich erläutertes abbild der erdoberfläche zu erstellen, also eigentlich neutral.» Und doch gibt er zu, dass sein Verlag den luxus geniesst, politisch unabhängig zu sein.

Keine Karte ist wirklich «wahr», oder?

solche Moscheen waren stillose

grössenwahnsinnige image-Projekte

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Unabhängiges gesellschaftsmagazin Überarbeitete ausgabe 19Winter 2011, 9. JahrgangThema schweiz

hochschule Darmstadtfachbereich gestaltungWs 2011/12

Darstellungsmethoden 1editorial Designbei sandra Doeller

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