DVB Bank „The World is flat“ – die Bahn-Welt...

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62 PRIMA 5.2014 Thomas L. Friedman schrieb vor rund zehn Jahren das Buch „The World is flat“. Seine Grundannahme, dass in der heutigen globalisierten Welt – stärker als je zuvor – gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Teilnehmer gelten, überführte er in die Empfehlung, dass jedes Subjekt (Länder, Unternehmen, Individuen) umso größere Anpassungsanstren- gungen vornehmen müsse, um wett- bewerbsfähig zu bleiben, da zuneh- mend historische oder geografische Rahmenbedingungen irrelevant sei- en. Stark vereinfacht können Fried- mans wesentlichen Thesen grob so zusammengefasst werden: Die hohe Veränderungsgeschwin- digkeit hin zu mehr Wettbewerb ist zwingend und wird durch Compu- tertechnologie und weltumspan- nende Netze hervorgerufen. Zehn Faktoren machen die Welt flach: unter anderem interaktive und nutzerunabhängige Software, Outsourcing, Produktionsverlage- rungen in Billiglohnländer, Logistik- optimierung, Informationszugang und kontinuierliche Aktualisierung von Daten und Prozessen; dies wird durch drei „Verdichtungs- trends“ verstärkt (einschließlich des Bewusstseins der Notwendig- keit ständiger Neuorientierung so- wie des Auftretens großer globaler, weltanschaulich neutraler Intelli- genzpools). Im Endeffekt haben alle Marktteil- nehmer beinah gleiche Möglichkei- ten am Markt, unabhängig von Ort, Herkunft oder Sprache, sodass der globale Wettbewerbsdruck steigt. Diese Beschreibung ist nicht hinläng- lich; auch soll die Kritik an Fried- mans Buch hier nicht thematisiert werden. Vielmehr haben wir uns ge- fragt, ob in Anlehnung an Friedman auch die Bahnwelt als „flach“, das heißt zunehmend globalisiert, wett- bewerbsorientiert und effizient, zu bezeichnen ist. Noch stärker verengt, wollten wir wissen, ob der Eisen- bahnsektor global kleiner geworden ist, andere Spielregeln gelten, Spieler sich neu positionieren und neuen In- vestitionsmustern folgen. Interesse internationaler Investoren steigt Dies haben wir mehrfach mit euro- päischen und amerikanischen Bahn- industrie-Experten diskutiert: Ist die These haltbar, dass internationale Unternehmen einzelne regionale Bahnmärkte als Teil einer geschlos- senen globalen logistischen Trans- portkette verstehen und Positionen an dieser besetzen? Ein steigendes Interesse internationa- ler Investoren an inter- oder transkon- tinentalen Transaktionen ist erkenn- bar. Im Falle Europas sind das zum Beispiel: Bahngesellschaften: GWI kauft RRF 2008; RZD übernimmt 75 Prozent an GEFCO. Akquisitionen bei Waggonvermie- tern: GATX kauft KVG 1997; GATX erwirbt 37,5 Prozent an AAE 1999; Mitsui übernimmt Dispolok 2006; CIT kauft Nacco (2014). US-Hersteller erwerben europäi- sche Waggonbauer; Greenbrier verbleibt als Einziger nach dem Kauf von Wagony Swidnica1999; GE kauft Jenbacher 2003; Tita- garh Wagons übernimmt Arbel Fauvet 2010. Private Equity-Firmen intensivie- ren Investitionen: WL Ross – VTG 2005; Bridgepoint – CTL 2007; Macquarie – CB Rail 2012; Pamplona – Beacon 2014 (nach BTMU-Übernahme von HSBC Rail Europe 2008). Europäische Investitionen in den USA sind eher zurückhaltend: VTG – Texas Railcar 2008. Die Ergebnisse unserer Diskussionen ergaben folgendes Bild: Generelle Marktparameter: Ins- besondere europäische Waggonver- mieter sind überzeugt, dass die amerikanischen und europäischen Bahnmärkte immer noch klar ge- trennt seien und bleiben würden. Nicht nur Unterschiede in der Stan- DVB Bank „The World is flat“ – die Bahn-Welt auch? Die Globalisierung hat verschiedene Wirtschaftsbereiche dramatisch ver- ändert. Für das Privatbahn Magazin analysieren Martin Metz und Wouter Radstake von der DVB Bank SE, ob und wie weit das auch für den Bahn- sektor als Investitionsziel gilt. Ihr Fazit: Die Bahn ist nach wie vor eine regional geprägte Industrie, auch wenn sie in globalen Märkten agiert. FOTO: WOUTER RADSTAKE Anders als andere Wirtschaftsbereiche sei die Bahnwelt im Zuge der Globalisierung weder „flach“ noch räumlich zusammengerückt, meinen die Experten der DVB Bank Martin Metz und Wouter Radstake.

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Thomas L. Friedman schrieb vor rund zehn Jahren das Buch „The World is flat“. Seine Grundannahme, dass in der heutigen globalisierten Welt – stärker als je zuvor – gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Teilnehmer gelten, überführte er in die Empfehlung, dass jedes Subjekt (Länder, Unternehmen, Individuen) umso größere Anpassungsanstren-gungen vornehmen müsse, um wett-bewerbsfähig zu bleiben, da zuneh-mend historische oder geografische Rahmenbedingungen irrelevant sei-en. Stark vereinfacht können Fried-mans wesentlichen Thesen grob so zusammengefasst werden: ■ Die hohe Veränderungsgeschwin-

digkeit hin zu mehr Wettbewerb ist zwingend und wird durch Compu-tertechnologie und weltumspan-nende Netze hervorgerufen.

■ Zehn Faktoren machen die Welt flach: unter anderem interaktive und nutzerunabhängige Software, Outsourcing, Produktionsverlage-rungen in Billiglohnländer, Logistik-optimierung, Informationszugang und kontinuierliche Aktualisierung von Daten und Prozessen; dies wird durch drei „Verdichtungs-trends“ verstärkt (einschließlich des Bewusstseins der Notwendig-keit ständiger Neuorientierung so-

wie des Auftretens großer globaler, weltanschaulich neutraler Intelli-genzpools).

■ Im Endeffekt haben alle Marktteil-nehmer beinah gleiche Möglichkei-ten am Markt, unabhängig von Ort, Herkunft oder Sprache, sodass der globale Wettbewerbsdruck steigt.

Diese Beschreibung ist nicht hinläng-lich; auch soll die Kritik an Fried-mans Buch hier nicht thematisiert werden. Vielmehr haben wir uns ge-fragt, ob in Anlehnung an Friedman auch die Bahnwelt als „flach“, das heißt zunehmend globalisiert, wett-bewerbsorientiert und effizient, zu bezeichnen ist. Noch stärker verengt, wollten wir wissen, ob der Eisen-bahnsektor global kleiner geworden ist, andere Spielregeln gelten, Spieler sich neu positionieren und neuen In-vestitionsmustern folgen.

Interesse internationaler Investoren steigtDies haben wir mehrfach mit euro-päischen und amerikanischen Bahn-industrie-Experten diskutiert: Ist die These haltbar, dass internationale Unternehmen einzelne regionale Bahnmärkte als Teil einer geschlos-senen globalen logistischen Trans-portkette verstehen und Positionen an dieser besetzen?

Ein steigendes Interesse internationa-ler Investoren an inter- oder transkon-tinentalen Transaktionen ist erkenn-bar. Im Falle Europas sind das zum Beispiel: ■ Bahngesellschaften: GWI kauft

RRF 2008; RZD übernimmt 75 Prozent an GEFCO.

■ Akquisitionen bei Waggonvermie-tern: GATX kauft KVG 1997; GATX erwirbt 37,5 Prozent an AAE 1999; Mitsui übernimmt Dispolok 2006; CIT kauft Nacco (2014).

■ US-Hersteller erwerben europäi-sche Waggonbauer; Greenbrier verbleibt als Einziger nach dem Kauf von Wagony Swidnica1999; GE kauft Jenbacher 2003; Tita -garh Wagons übernimmt Arbel Fauvet 2010.

■ Private Equity-Firmen intensivie-ren Investitionen: WL Ross – VTG 2005; Bridgepoint – CTL 2007; Macquarie – CB Rail 2012; Pamplona – Beacon 2014 (nach BTMU-Übernahme von HSBC Rail Europe 2008).

■ Europäische Investitionen in den USA sind eher zurückhaltend: VTG – Texas Railcar 2008.

Die Ergebnisse unserer Diskussionen ergaben folgendes Bild:Generelle Marktparameter: Ins -besondere europäische Waggonver-mieter sind überzeugt, dass die amerikanischen und europäischen Bahnmärkte immer noch klar ge-trennt seien und bleiben würden. Nicht nur Unterschiede in der Stan-

DVB Bank

„The World is flat“ – die Bahn-Welt auch?Die Globalisierung hat verschiedene Wirtschaftsbereiche dramatisch ver-ändert. Für das Privatbahn Magazin analysieren Martin Metz und Wouter Radstake von der DVB Bank SE, ob und wie weit das auch für den Bahn-sektor als Investitionsziel gilt. Ihr Fazit: Die Bahn ist nach wie vor eine regional geprägte Industrie, auch wenn sie in globalen Märkten agiert.

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Anders als andere Wirtschaftsbereiche sei die Bahnwelt im Zuge der Globalisierung weder „flach“ noch räumlich zusammengerückt, meinen die Experten der DVB Bank Martin Metz und Wouter Radstake.

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dardisierung der Waggons, den Kun-densektoren und der ökonomischen Dynamik verlangten in beiden Märk-ten eine differenzierte Herangehens-weise an Fahrzeuginvestitionen und -management. Eine einheitliche Transportkette im Güterwagenbe-reich sei daher faktisch nicht leicht darstellbar.Differenzierte Marktzyklik: Die Liberalisierung in Europa habe mehr wirtschaftliche Zyklik im Markt er-zeugt, bleibe jedoch weit entfernt von einer wirtschaftlichen Emanzipation nach dem Vorbild des amerikani-schen Bahnsektors. Die Herstel-lungskapazitäten europäischer Güter-wagenbauer hätten sich reduziert, was Bestellwellen wie in Nordameri-ka nicht zulasse. Außerdem sei in Europa immer noch eine Zweiteilung in westliche und östliche Güterwa-

genflotten zu beobachten, deren Be-standsentwicklung und technische Ausstattung differenziert zu betrach-ten seien. Ein logistischer Durchfluss erfordere daher komplexe Vorarbeit. Eine Weiterverfolgung ausgeprägter amerikanischer Sektorzyklen (Kohle, Ethanol, Fracking) mit entsprechen-den Investitionsschüben sei in Europa weder zu finden noch zu erwarten.Marktliquidität: Während europäi-sche Vermieter immer noch mit dem Aufbau und Halten von Flottenbe-ständen beschäftigt seien, gebe es einen sehr starken Zweitmarkt in Nordamerika. Cashflow- oder Port-folio-getriebene Waggontransaktio-nen fänden sich in Europa kaum. Dies erlaube weder schnelle Wachstums-raten beim Aufbau neuer Vermietflot-ten noch eine passende Arbitrage beziehungsweise Wagenparkoptimie-

rung. Außerdem habe der europäi-sche Güterwagen-Leasingmarkt trotz seiner signifikanten Größe immer noch nur einen Anteil von circa einem Drittel am Güterwagenpark. Globale wirtschaftliche Wellen ließen sich auf dieser Basis im Waggonbereich inter-kontinental auch mittelfristig nicht fortsetzen. Economies of scale seien schwer zu erzielen, sowohl innerhalb Europas als auch über den Atlantik hinweg.Effizienz: Die Konsolidierung im europäischen Markt habe Chancen für Einstiege in den Markt eröffnet; der Beweis sei erbracht, dass Unter-nehmenswerte gesteigert und erfolg-reich veräußert werden könnten. Allerdings gebe es noch immer frag-mentierte Strukturen mit nationalen Partikularinteressen, die durch inter-nationale Regeln effizienter gemacht

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werden müssten, um Synergien zuzu-lassen. Der Durchfluss von Verkeh-ren im Sinne einer weiträumigen Transportkette sei in Europa dadurch noch immer gehemmt.Netznutzung: Fundamentale Unter-schiede beständen im operativen Umfeld. Während in Europa weitge-hend eine Parallelität von Fracht und Passagierverkehren in den Korrido-ren bestehe, sei der amerikanische Eisenbahnbetrieb außerhalb von Me-tropolregionen einzig auf Güterver-kehr ausgerichtet. Daneben gebe es eine effiziente Zusammenarbeit zwi-schen Class I, II und III Bahnen, die in Europa nicht zu finden sei. Der Trennung von Schiene und Betrieb in Europa ständen in Nordamerika loka-le oder regionale Monopole gegen-über, die die Übertragung von opera-tiven Strategien von einer Welt in die andere nahezu unmöglich machten. Die noch bestehende Vormachtstel-lung europäischer Staatsbahnen ma-che Strategen den Sprung nach Europa schwer. Die Konkurrenz zur Straße durch relativ kurze Strecken-verkehre in Europa erlaube kein si-cheres Durchleiten von Frachtströ-men allein durch den Bahnmarkt, sondern erfordere eher multimodale Strategien.Regulierung: Eine regulatorische Flut mit nationaler Färbung in Europa kontrastiere stark mit einem effizient geregelten einheitlichen Bahn-Großraum in Nordamerika. Die Komplexität werde sich eher er-höhen als auf einen optimalen Rah-men reduzieren. Logistische trans-kontinentale Ketten ließen sich daher lediglich in Randsektoren denken.Informationen: Nordamerika zeige einen hohen Grad an Transparenz bei Leasingraten, Kosten, Wagenbewe-gungen, Waggonbestand, Frachtraten und anderem mehr. Europa habe im-mense Informationslücken; Informa-tionsbeschaffung sei kostenintensiv und langwierig sowie durch defensi-ve Staatseisenbahnen behindert. Dies trage nicht zu gleichen Wettbewerbs-bedingungen und zur Realisierung von globalen Transportströmen bei.Durchfluss: Wenige Güterströme

würden logistisch global transpor-tiert, sodass eine durchlaufende La-dekette auf der Eisenbahn notwendig sei; die Wege von Grundstoffen, Halbfertigwaren und Endprodukten seien zu differenziert und auf kleinere Netze beschränkt. So sei zum Beispiel die Fortsetzung der transsibirischen Frachtkette nach Westen und über den Atlantik kaum denkbar oder steigerbar, genauso we-nig wie in der Gegenrichtung. Um Container interkontinental zu trans-portieren, sei die direkte Seeschiff-fahrt noch immer dem Landtransport vorzuziehen.

Bahn ist nicht vorbereitetDie wenigen Aussagen führen aus heutiger Sicht zu einem relativ klaren Ergebnis. Auch wenn es sinnvoll wäre, über interkontinentale Investi-tionen den globalen Durchfluss in verbundenen Transportketten zu stei-gern – und dabei den Bahnverkehr voranzubringen –, ist die Bahn mo-mentan nicht darauf vorbereitet. Ökonomische Treiber (Ölpreise,

Zuggeschwindigkeiten, Frachtraten, Umladezeiten und Ähnliches) sind global weder verlässlich noch harmo-nisiert. Entwicklungen in komple-mentären Dienstleistungen und Trans-portmodi haben Auswirkungen auf eine zumindest in Europa wenig autarke Bahn. Die Bahnwelt ist mo-mentan weder „flach“ noch räumlich zusammengerückt. Sie ist eine regio-nale Industrie in globalen Märkten – eher als eine globale Industrie in kon-tinentalen Märkten.Interkontinentale Investitionen sind daher voraussichtlich mehr als Kon-sequenz von Liquidität, Anlage-druck, Diversifizierung und einem gewissen Herdentrieb („peer group pressure“) zu sehen als als strategi-sche Positionierung. Für Letzteres wären ein sehr langer Atem, Behar-rungsvermögen und große Weitsicht nötig. Außerdem benötigt die Bahn dringend, was im Englischen trefflich als „human talent“ bezeichnet wird. Dies ist keine abschließende Aussa-ge. Wir sind gespannt auf die weitere Entwicklung und Diskussion.

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Martin Metz

Als Global Head des Bereiches Land Transport Finance bei der DVB Bank SE in Frankfurt ist Mar-tin Metz verantwortlich für das ge-samte Objektfinanzierungs- und Be-ratungsgeschäft der Bank für Eisen-bahnrollmaterial in Europa, Nord-amerika und Australien. Er ist seit 1999 bei der DVB Bank tätig.

Wouter Radstake

Seit 2006 beobachtet Wouter Radstake als Senior Vice President Land Trans-port bei der DVB Bank SE in Frankfurt die Entwicklung des Marktsegments Landverkehr in Europa, Nordamerika und Australien. Zu seinen Aufgaben gehört die unabhängige Analyse glo -baler und regionaler wirtschaftlicher Prognosen für Fahrzeugmärkte.