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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Eberhard Schneider Staatliche Akteure russischer Auenpolitik im Zentrum und in den Regionen S 8 Mrz 2002 Berlin

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SWP-StudieStiftung Wissenschaft und PolitikDeutsches Institut für InternationalePolitik und Sicherheit

Eberhard Schneider

Staatliche Akteurerussischer Außenpolitikim Zentrum und in denRegionen

S 8März 2002Berlin

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Inhalt

Problemstellung und Empfehlungen 5

Einführung: Die Akteure 7

Der Präsident 8Leitung der Außenpolitik 8Präsidialadministration 10Sicherheitsrat 10

Die Regierung 13Das Außenministerium 13Das Verteidigungsministerium 14Andere Ministerien 15Der Auslandsnachrichtendienst 15

Das Parlament 16Die Staatsduma 16Der Föderationsrat 17

Die Föderationssubjekte 19Rechtliche Grundlagen 19Außenpolitische Interessen der Regionen 20Typen von Regionen 21Außenpolitische Aktivitäten 21Im Widerspruch zum Kreml 22Der Sonderfall der Stadt Moskau 23Alleingänge in der Sicherheitspolitik? 24Gewünschte Mitwirkung der Regionen 25Einschätzung 25

Fazit 26

Abkürzungen 26

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SWP-BerlinStaatliche Akteure

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Problemstellung und Empfehlungen

Staatliche Akteure russischer Außenpolitikim Zentrum und in den Regionen

Seitdem sich der russische Präsident Wladimir Putinin Reaktion auf den 11. September 2001 für die poli-tische Annäherung Rußlands an die USA einsetzt,fragen sich viele, wer außerdem noch Einfluß auf dieGestaltung der russischen Außenpolitik hat und vonwelcher Seite diese Politik gebremst werden könnte.In dieser Studie sollen die verschiedenen Akteure derrussischen Außenpolitik auf der Ebene der Zentral-regierung und in den Regionen vorgestellt werden. ImMittelpunkt stehen dabei offizielle politische Reprä-sentanten; nichtstaatliche Mitspieler finden keineBerücksichtigung, auch wenn sie hinter den Kulissengelegentlich einen größeren Einfluß auf außen-politisches Handeln nehmen dürften als manche staat-liche Akteure.

Nach der russischen Verfassung bestimmt der Präsi-dent die Hauptrichtungen der Außenpolitik und leitetdiese, während der Außenminister für die operativeDurchführung zuständig ist. Allerdings deckt sich dieaußenpolitische Linie des Präsidenten nicht immermit der des Außenministeriums. Ebensowenig verläuftdie Koordinierung der Außenpolitik des Außenmini-steriums mit derjenigen der Präsidialadministration,des Sicherheitsrats, des Verteidigungsministeriumsund der Föderalversammlung immer reibungslos. Diewichtigste Aufgabe der Föderalversammlung imaußenpolitischen Entscheidungsprozeß ist die Ratifi-zierung internationaler Verträge. Dabei treten dieRegionen zum ersten Mal in der russischen Geschichteals außenpolitische Akteure mit unterschiedlichenInteressen auf und befinden sich gelegentlich imGegensatz zur Position des Außenministeriums.

Die formale Beschreibung der Akteure und ihrerKompetenzen im außenpolitischen Entscheidungs-prozeß spiegelt nicht immer ihren tatsächlichen Ein-fluß wider, zumal sich dieser von Entscheidung zuEntscheidung ändern kann und oft von innen-politischen Konstellationen abhängt. Für eine ein-gehende Analyse der außenpolitischen Entscheidungs-prozesse müßten die jeweilige Interessenlage derBeteiligten und die einzelnen Verlaufsschritte genaubekannt sein, was aber häufig nicht der Fall ist.Zudem sind im Vorfeld der formalen Entscheidunginformelle Elemente von Bedeutung, die kaum erfaßtwerden können.

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Problemstellung und Empfehlungen

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Was ergibt sich aus all dem für die deutsche Außen-politik?! Wenn es darum geht, außenpolitische Vorstellun-

gen und Entwicklungen zu beeinflussen, empfiehltes sich, möglichst viele Akteure der russischenAußenpolitik in den Gesprächs-, Informations- undKonsultationsprozeß einzubeziehen.

! Wenn sich die russische Außenpolitik heute viel-stimmig äußert, sollte darauf positiv reagiertwerden. Dabei sollte es nicht darum gehen, dieRegionen gegen den Kreml und das Außenministe-rium auszuspielen, sondern darum, die meistpragmatischeren außenpolitischen und außenwirt-schaftlichen Ansätze der Regionen aufzugreifen.Letztere erkennen häufig eher als die Zentral-regierung, wie die Probleme vor Ort besser gelöstwerden können.

! Zugleich sollten sich die Verantwortlichen für diedeutsche Rußlandpolitik um ein besseres Verständ-nis der regionalen Probleme und ihrer außen-politischen Dimension bemühen. Dazu gehört auchdie systematische Information über regionale Vor-gänge.

! Aufgrund seiner isolierten geographischen Lagestellt Kaliningrad einen Sonderfall dar: Die Proble-me dieser russischen Exklave, die in absehbarer Zeitvon einem EU-Umfeld umgeben sein wird, erfor-dern flexible Lösungen, die zu einem gut Teil inBrüssel entwickelt werden müssen.

! Die außenpolitischen Interessen der russischenRegionen können auf deutscher Seite ebenfallsbesser auf regionaler Ebene wahrgenommenwerden. Auf diesem Gebiet geschieht bereitseiniges: Neben den vielen Städtepartnerschaftenbestehen Partnerschaften zwischen einzelnenBundesländern und manchen Föderations-subjekten. Die übrigen Bundesländer solltenprüfen, ob sie nicht auch eine Partnerschaft zueiner Republik oder einem Gebiet der RussischenFöderation eingehen wollen, um den Föderalismusin Rußland mit konkreten Projekten zu fördernund so eventuellen Rezentralisierungstendenzenentgegenzusteuern.

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Einführung: Die Akteure

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Einführung: Die Akteure

Die wichtigsten staatlichen Akteure der russischenAußenpolitik sind der Präsident, der Außenministerund die Föderalversammlung mit ihren beidenKammern, der Staatsduma und dem Föderationsrat.Über den Föderationsrat, in dem alle 89 Föderations-subjekte durch je einen Vertreter der Exekutive undder Legislative vertreten sind, haben die Regionenindirekt einen gewissen Einfluß auf den außenpoliti-schen Entscheidungsprozeß. Darüber hinaus sind dieRegionen teilweise selbst außenpolitisch tätig.

Im April 2001 befragte das »Russische unabhängigeInstitut für soziale und nationale Probleme« im Auf-trag der Friedrich-Ebert-Stiftung 210 außenpolitischeExperten, von denen 29,5% Abgeordnete der Staats-duma und gleichzeitig Mitglieder ihrer außenpoliti-schen Ausschüsse sind, 9,6% dem Föderationsrat unddessen internationalem Ausschuß angehören, 14,8%verantwortliche Tätigkeiten in den außenpolitischenBehörden wahrnehmen und 46,1% Wissenschaftlerund Experten in den Instituten der Russischen Aka-demie der Wissenschaften sowie verschiedenen Stif-tungen sind.1 Auf die Frage nach den Einflußfaktorenauf die russische Außenpolitik nannten 91,0% denPräsidenten an erster Stelle, 52,4% den Außenmini-ster, 47,6% die Präsidialadministration und 27,1% dieRegierung als ganze (Mehrfachnennungen waren mög-lich). Die Führungen der Sicherheitsorgane, zu denenauch der Sicherheitsrat gehört, wurden von 26,7%angegeben, gefolgt vom Apparat des Außenmini-steriums mit 26,2% und dem militärisch-industriellenKomplex, dem auch das Verteidigungsministeriumzuzurechnen ist, mit 22,9%. Aus Sicht von 7,1% derbefragten Experten unterliegt die russische Außen-politik dem Einfluß der Armeeführung. Die entspre-chenden Ausschüsse der Staatsduma, vergleichbar mitden Ausschüssen des Bundestags, nannten 9,8%, dieStaatsduma als ganze 9,5% und den Föderationsrat alsGesamtorgan 5,2% der Umfrageteilnehmer. Für 36,7%von ihnen beeinflußt die Wirtschaft in Gestalt derErdöl-Gas-Industrie die außenpolitische Entschei-

1 Herrschaft und Gesellschaft im Neuen Rußland. Die außen-und sicherheitspolitische Elite Rußlands 2001. Eine ana-lytische Studie, durchgeführt vom Russischen unabhängigenInstitut für soziale und nationale Probleme im Auftrage derFriedrich-Ebert-Stiftung Moskau, Moskau, August 2001.

dungsfindung, für 18,1% die Außenhandelslobby undfür 14,8% die Privatwirtschaft. Auch die Medien unddie Experten wirken nach Ansicht von 14,8% bzw.6,7% der Befragten auf den außenpolitischen Entschei-dungsprozeß ein. Verglichen mit der Jelzin-Zeit hatunter Putin die Bedeutung des Präsidenten bei derBestimmung der Außenpolitik zugenommen und diedes Parlaments zugunsten der Erdöl-Gas-Industrie undder Sicherheitsdienste abgenommen. Relativ unverän-dert blieb das außenpolitische Gewicht des militä-risch-industriellen Komplexes.

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Der Präsident

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Der Präsident

Der Verfassung vom 12. Dezember 1993 zufolge,2 diedas Staatsoberhaupt mit exekutiven Vollmachten aus-stattet, ergreift der Präsident Maßnahmen zum Schutzder Souveränität der Russischen Föderation, ihrerUnabhängigkeit und ihrer staatlichen Integrität(Art. 80 Abs. 1�2). Der Präsident bestimmt in Über-einstimmung mit der Verfassung der RussischenFöderation und den föderalen Gesetzen die grund-legenden Richtungen der Außenpolitik (Art. 80 Abs. 3).

Das bedeutet, daß der Präsident die großen Liniender russischen Außenpolitik vorgibt und nicht ver-pflichtet ist, diese Richtlinien mit irgend jemandemabzustimmen.3 Er stützt sich dabei vor allem aufseinen außenpolitischen Berater im Rang eines stell-vertretenden Leiters der Präsidialadministration (s. u.).

Kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten unter-zeichnete Wladimir Putin am 28. Juni 2000 das »Kon-zept der Russischen Außenpolitik der Russischen Föde-ration«4, in dem die Hauptlinien der russischenAußenpolitik dargelegt werden.5

Einmal jährlich muß der Präsident der Föderal-versammlung die grundlegenden Richtungen derstaatlichen Innen- und Außenpolitik erläutern(Art. 84 f), was im allgemeinen im Frühjahr geschieht.6

2 Deutschsprachige Übersetzungen der russischen Verfas-sung in: Osteuropa-Recht, 40 (1994) 4, S. 292�325; in: DietrichFrenzke, Die russischen Verfassungen von 1978 und 1994. Einetexthistorische Dokumentation mit komparativem Sach-register, Berlin 1995, sowie im Anhang von: EberhardSchneider, Das politische System der Russischen Föderation.Eine Einführung, 2., aktualisierte und erweiterte Auflage,Wiesbaden 2001, S. 286�330.3 V. V. Lazarev (red.), Naučno-praktičeskij kommentarij k Kon-stitucii Rossijskoj Federacii [Wissenschaftlich-praktischerKommentar zur Verfassung der Russischen Föderation],2. Auflage, Moskau 2001, S. 407.4 Diplomatičeskij vestnik, 9 (2000) 8, S. 3�11. Deutschegekürzte Übersetzung in: Internationale Politik, 56 (2001) 10,S. 86�95.5 Vgl. dazu: Hannes Adomeit, Konzeptionelle Leitlinien inder Außenpolitik Rußlands, in: Osteuropa, 51 (2001) 4�5,S. 353�365.6 Die Jahresbotschaft Putins vom 3. April 2001 ist abgedrucktin: Diplomatičeskij vestnik, 10 (2001) 5, S. 9�10. DeutscheÜbersetzung des außenpolitischen Teils in: InternationalePolitik, 56 (2001) 10, S. 116f.

Leitung der Außenpolitik

Laut Verfassung bestimmt der Präsident nicht nur diegrundlegenden Richtungen der Außenpolitik, er mußdie russische Außenpolitik auch leiten (Art. 86a).Damit hat er also für die Umsetzung seiner eigenenaußenpolitischen Vorgaben zu sorgen.

Am 11. Januar 1994 verfügte der damalige Amts-inhaber Boris Jelzin zudem, daß dem Präsidentenneben den drei »Machtressorts« � dem Ministerium fürVerteidigung, Inneres und Zivilverteidigung � auchdas Außenministerium direkt unstellt wird.7 Dadurchnimmt der Präsident direkten Einfluß auf die Politikdieser wichtigen Ministerien und muß nicht den Um-weg über den Regierungschef gehen. Zugleich wirddamit deutlich gemacht, daß Außen- und äußere wieinnere Sicherheitspolitik »Chefsache« sind.

Auf Vorschlag des Regierungschefs ernennt bzw.entläßt der Präsident die stellvertretenden Minister-präsidenten und die Minister, darunter den Außen-minister (Art. 83e). Es ist allerdings fraglich, inwieweitder Präsident den Regierungschef vor der Ernennungbzw. Entlassung des Außenministers tatsächlich kon-sultiert.

Als Staatsoberhaupt vertritt der Präsident Rußlandin den internationalen Beziehungen (Art. 80 Abs. 4), erführt Verhandlungen und unterzeichnet die interna-tionalen Verträge der Russischen Föderation sowie dieRatifikationsurkunden und nimmt die Beglaubigungs-und Abberufungsschreiben der bei ihm akkreditiertendiplomatischen Vertreter entgegen (Art. 86 b�d).

Ferner ernennt der Präsident nach Konsultationenmit den entsprechenden Ausschüssen oder Kommis-sionen der Staatsduma bzw. des Föderationsrats (s. u.)die Botschafter Rußlands in ausländischen Staatenund bei internationalen Organisationen (Art. 83 l). DieVerfassung schreibt diese Beratungen vor, läßt jedochoffen, welchen der Ausschüsse der Präsident zu kon-

7 Ukaz Prezidenta Rossijskoj Federacii »O strukture fede-ral�nych organov ispolnitel�noj vlasti. Struktura federal�nychorganov ispolnitel�noj vlasti« [Erlaß des Präsidenten der Russi-schen Föderation »Über die Struktur der föderalen Organeder Exekutive. Struktur der föderalen Organe der Exekutive«],in: Rossijskie vesti, 11.1.1994.

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Leitung der Außenpolitik

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sultieren hat. Überdies haben die Stellungnahmen derParlamentsausschüsse nur Vorschlagscharakter.

Der Präsident ist der Oberbefehlshaber der Streit-kräfte (Art. 87 Abs. 1). Er bildet und leitet den Sicher-heitsrat (s. u.) und bestätigt die Militärdoktrin derRussischen Föderation (Art. 83 f�g). Im Falle einer tat-sächlichen oder unmittelbar drohenden Aggressiongegen die Russische Föderation verhängt der Präsidentauf dem gesamten Staatsgebiet oder in einzelnenLandesteilen den Kriegszustand und hat darüberunverzüglich den Föderationsrat und die Staatsdumazu unterrichten (Art. 87 Abs. 2). Der Föderationsratmuß dann das diesbezügliche Dekret des Präsidentenbestätigen (Art. 102 Abs. 1b).

In der Praxis nutzen die jeweiligen Amtsinhaberihre außenpolitischen Machtbefugnisse unterschied-lich. Da Jelzin auf diesem Gebiet anfangs kaum Erfah-rungen hatte, überließ er die konkrete Führung derAußenpolitik in den ersten Jahren seiner Amtszeitweitgehend seinem Außenminister, zumal ihn seinschlechter Gesundheitszustand oft daran hinderte,außenpolitisch aktiv zu werden. Das hielt ihn aller-dings nicht davon ab, in wichtigen außenpolitischenFragen ein Machtwort zu sprechen. So setzte er gegen-über seiner Generalität durch, daß die 340 000 russi-schen Soldaten und 206 000 Zivilangehörigen am31. August 1994 aus Deutschland abgezogen wurden.Bonn übernahm einen Teil der Kosten für den Trup-penabzug und zahlte eine soziale Unterstützung fürdie Soldaten. Insgesamt beliefen sich die finanziellenAufwendungen auf 13,5 Mrd. DM.

Ein zweites Beispiel ist der Kosovo-Konflikt. Gegendie einhellige Meinung seines Außenministeriumsund der beiden Parlamentskammern (darunter demo-kratisch und westlich gesinnte Politiker) sowie derMedien, die den NATO-Luftkrieg in diesem Teil Jugo-slawiens verurteilten, ernannte Jelzin am 10. April1999 den ehemaligen Premier Wiktor Tschernomyrdinzu seinem »Sonderbeauftragten für Jugoslawien«,ohne dessen konstruktives Mitwirken es wohl nicht sobald zu einer Lösung des Konflikts gekommen wäre.

Im Unterschied zu Jelzin konnte Putin vor seinerAmtszeit in begrenztem Umfang außenpolitischeErfahrungen sammeln: von 1985 bis 1990 als Agentdes KGB in Dresden, anschließend als Referent fürinternationale Fragen beim Konrektor der LeningraderStaatlichen Universität und von 1991 bis 1996 alsVorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Bezie-hungen beim Oberbürgermeister von St. Petersburg,ab 1994 im Rang eines ersten stellvertretenden Ober-bürgermeisters der zweitgrößten Stadt Rußlands. Er

lebte also immerhin fünf Jahre in einem andereneuropäischen Land, nämlich der ehemaligen DDR,und erlernte die deutsche Sprache perfekt.8

Als Präsident absolvierte Putin ein umfangreichesReiseprogramm: Er nahm an vielen Gipfeltreffen teilund machte zahlreiche Reisen in die GUS-Staaten.9

Nachdem er im April 2000 zunächst Großbritannienbesucht hatte, folgte er Einladungen in die meistenanderen westeuropäischen Länder. Ein Treffen mitdem damaligen amerikanischen Präsidenten GeorgeBush scheiterte zunächst an dessen Zurückhaltung.Um ihn doch zu einer Zusammenkunft zu bewegen,schickte Putin Michail Gorbatschow nach Washing-ton. Daraufhin wurde die slowenische HauptstadtLjubljana als Ort der Begegnung ausgehandelt, wo dasGipfeltreffen zwischen dem amerikanischen und demsowjetischen Präsidenten im Juli 2001 denn auchstattfand. Im November desselben Jahres unternahmPutin die längst fällige Reise in die USA.10 Bei seinerunerwarteten Visite in Pjöngjang im Juli 2001versuchte Putin, den nordkoreanischen Führer KimJong-il von dessen Raketenplänen abzubringen, undim Januar 2002 gelang es ihm, die russisch-polnischenBeziehungen durch einen Staatsbesuch zu verbessern.

Putin dominiert die russische Außenpolitik sostark, daß das Außenministerium nach Meinungrussischer Politologen völlig in den Hintergrund

8 Vgl. dazu: Alexander Rahr, Wladimir Putin. Der »Deutsche«im Kreml, München 2000.9 Er nahm am Fünfergipfel mit den Präsidenten Chinas,Kasachstans, Kirgistans und Tadschikistans (»Shanghai Fünf«)im Juli 2000 in Duschanbe sowie im Oktober 2001 in Shang-hai (unter zusätzlicher Teilnahme des usbekischen Präsiden-ten) teil, am G 8-Gipfel im Juli 2000 auf Okinawa sowie imJuli 2001 in Genua, im November 2000 am APEC-Treffen inBrunei, am GUS-Gipfel im August 2000 auf Jalta sowie imDezember 2000 in Minsk und am EU-Rußland-Gipfel im März2001 in Stockholm sowie im Oktober 2001 in Brüssel. ImOktober 2001 besuchte Putin ebenfalls in Brüssel die NATO.Als neugewählter Präsident reiste er im April 2000 zuerstnach Weißrußland. Von den übrigen GUS-Staaten besuchte erim April 2000, im Februar 2001 sowie im August 2001 dieUkraine, im Mai 2000 Usbekistan, im Juni 2000 Moldowa, imOktober 2000 Kasachstan, im Januar 2001 Aserbajdschan undim Oktober 2001 Armenien (Zusammenstellung von OlgaAlexandrova und eigene Weiterführung); zum Treffen der»Shanghai Fünf« vgl. Gudrun Wacker, Die »ShanghaierOrganisation für Zusammenarbeit«. Eurasische Gemeinschaftoder Papiertiger?, unveröffentlichte Studie, Berlin: StiftungWissenschaft und Politik, August 2001 (S 22/01).10 Vgl. dazu Hannes Adomeit/Olga Alexandrova, Nach demPutin-Bush-Gipfel. Stand und Perspektiven der russisch-ameri-kanischen Beziehungen, Berlin: Stiftung Wissenschaft undPolitik, Dezember 2001 (SWP-Aktuell 28/01).

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getreten ist.11 Besonders augenfällig wurde dies imProzeß der Annäherung Rußlands an die USA, dernach den Terroranschlägen vom 11. September 2001in New York und Washington einsetzte. Putin, der fürsein Land keine vernünftige Alternative zum Kurs derWestorientierung sieht, vollzog diese wichtigepolitische Weichenstellung weitgehend allein.

Präsidialadministration

Aufgabe der Präsidialadministration ist es, die Arbeitdes Staatsoberhauptes vorzubereiten und zu kontrol-lieren. Wie wichtig Wladimir Putin die Außenpolitikist, zeigt sich daran, daß er innerhalb der Präsidial-verwaltung eine eigene Abteilung für außenpolitischeFragen einrichtete, deren Leiter den Rang eines stell-vertretenden Leiters der Präsidialadministration hat.

Zur Zeit hat der Diplomat und Experte für europäi-sche Sicherheitsfragen Sergej Prichodko diese Positioninne. 1957 in Moskau geboren, studierte Prichodko ander Fakultät für internationale Wirtschaftsbeziehun-gen des »Instituts für internationale Beziehungen«beim sowjetischen Außenministerium und wurdespäter in Prag und Bratislawa eingesetzt. 1997 beriefJelzin den Karrierediplomaten zu seinem Referentenfür Außenpolitik. 1998 wurde er Mitglied der Regie-rungskommission für GUS-Fragen und stieg kurze Zeitspäter zum stellvertretenden Leiter der Präsidialadmi-nistration auf; zusätzlich übernahm er im Februar1999 die Leitung der dortigen Abteilung Außenpolitik.Er spricht Englisch, Französisch und Tschechisch.

In dem im September 2001 veröffentlichten Ratingrussischer Politiker, das auf der regelmäßigen Befra-gung von Personen aus Politik, Wissenschaft, Wirt-schaft und Publizistik beruht, nahm Prichodko in derListe der Personen mit dem größten Einfluß auf dierussische Innen- und Außenpolitik den 79. Platz ein,während Außenminister Igor Iwanow auf dem16. Platz und Verteidigungsminister Sergej Iwanowgleich nach Putin auf dem zweiten Platz rangierten.12

Prichodkos Rolle im außenpolitischen Entscheidungs-prozeß darf demnach nicht zu hoch eingeschätzt, aberauch nicht unterschätzt werden. Auf jeden Fall hat ernicht die Bedeutung des Leiters der ehemaligem Inter-nationalen Abteilung des ZK der KPdSU, der eigentlichdie sowjetische Außenpolitik machte, während derAußenminister sie im Grunde nur ausführte.

11 Nezavisimaja gazeta, 31.1.2002.12 Meinungsforschungsinstitut »VP-T«.

In einem Interview im November 1999 beschriebPrichodko seine Zusammenarbeit mit Jelzin,13 seineTätigkeit unter Putin dürfte sich ähnlich gestalten.Prichodko holte sich in seine Verwaltung die erfah-rensten außenpolitischen Kader, die die Schule desAußenministeriums, des Verteidigungsministeriumsoder der Sicherheitsdienste durchlaufen haben. Vonihnen fordert er klare Stellungnahmen und Initiative.Zu Prichodkos Aufgaben gehört es, die Fülle vonPapieren, Darstellungen und Vorschlägen, die derPräsident jede Woche von den Behörden und Sicher-heitsdiensten erhält, zusammenzufassen, zu ana-lysieren und in konkrete Maßnahmen umzusetzen.Darüber hinaus bereitet Prichodko die außenpoliti-schen Aktivitäten des Präsidenten vor und muß diesenam Tag vor einem Termin und häufig auch hinterherin Form eines mündlichen Vortrags informieren.

Welchen Einfluß der außenpolitische Referent desPräsidenten gelegentlich im außenpolitischen Ent-scheidungsprozeß haben kann, zeigt folgendes Bei-spiel: Prichodkos Vorgänger unter Jelzin, DmitrijRjurikow, handelte den Unionsvertrag mit Weißruß-land aus. Wäre dieser Vertrag unterzeichnet worden,hätte er Rußland große politische und ökonomischeZugeständnisse abverlangt. Der damalige Leiter derPräsidialadministration, Anatolij Tschubajs, der imMärz 1997 Finanzminister wurde, trat in letzterMinute auf die Bremse. Beim Besuch des weißrussi-schen Präsidenten Aleksandr Lukaschenko in Moskauwurde dann am 2. April 1997 ein � gemessen an derursprünglichen Fassung � sehr viel vorsichtigererUnionsvertrag geschlossen. Zwei Tage später wurdeRjurikow »wegen unzureichender Bearbeitung vonDokumenten« entlassen. Erstaunlich ist, daß dasAußenministerium keine entscheidende Rolle bei derAusarbeitung des Vertrags spielte.

Sicherheitsrat

Der Sicherheitsrat ist das einzige Beratungsorgan,dessen Bedeutung für den außenpolitischen Entschei-dungsprozeß unter Putin zunahm:14 Leitender Sekre-tär ist Sergej Iwanow, der als enger politischer Ver-trauter des Präsidenten gilt. Wie dieser besuchteIwanow das KGB-Institut und hatte später als dessen

13 Nezavisimaja gazeta, 12.11.1999.14 Bei der Ausarbeitung stützt sich der Autor hauptsächlichauf Gespräche, die er mit politisch Verantwortlichenwährend seiner verschiedenen Informationsreisen in Moskaugeführt hat.

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Sicherheitsrat

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Stellvertreter im Föderalen Sicherheitsrat (FSB) denRang eines Generalleutnants inne.15 Als Verteidigungs-minister vertrat Sergej Iwanow gelegentlich eigeneAnsichten, die von denen Putins abwichen, ohne daßer sie aber gegen den Präsidenten umsetzen wollteund/oder konnte.

Eingerichtet worden war der Sicherheitsrat durchein Dekret Boris Jelzins vom 3. Juni 1992, der sichdabei an der entsprechenden US-amerikanischenInstitution orientierte. In der russischen Verfassungfinden sich keine näheren Bestimmungen zum Sicher-heitsrat. Es wird lediglich festgelegt, daß er vom Präsi-denten geleitet wird (Art. 83).

Nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten präzi-sierte Jelzin in dem Dekret vom 10. Juli 1996 »ÜberFragen des Sicherheitsrats der Russischen Föderation«die Tätigkeit des Sicherheitsrats. Demnach soll er inerster Linie die sicherheitspolitischen Aktivitäten derMinisterien und Behörden koordinieren, wobei derBegriff Sicherheit in einem sehr umfassenden Sinneverstanden wird. Eine weitere wichtige Aufgabe ist dieAusarbeitung von Empfehlungen an den Präsidenten,denen Entwürfe von Dekreten und Gesetzen beigefügtsein können.

Die Mitglieder des Sicherheitsrats werden aus denReihen führender staatlicher Funktionsträger bzw.den Leitern wichtiger Institutionen rekrutiert. GenaueAngaben dazu finden sich in einem Erlaß Putins vom26. April 2001.16

15 Quelle für die biographischen Angaben: Informacionno-ėkspertnaja gruppa »Panorama« [Informationstechnische Exper-tengruppe] (Hg.), Datenbank »Labirinth«, Moskau, fortlaufend.16 Dem Sicherheitsrat gehören laut diesem Dekret an:Vorsitzender: Präsident der Russischen FöderationSekretär: wird vom Präsidenten ernanntWeitere ständige Mitglieder: Premierminister, Außenminister,

Direktor des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB), Verteidi-gungsminister

Mitglieder: Leiter der Administration des Präsidenten, Vorsit-zender der Staatsduma, Vorsitzender des Föderationsrats,Innenminister, Generalstaatsanwalt, Justizminister, Mini-ster für Zivilverteidigung, Ausnahmesituationen und dieBeseitigung von Naturkatastrophen, Generaldirektor derFöderalen Agentur für regierungsamtliche Kommunika-tion und Information (FAPSI), Direktor der Auslandsaufklä-rung, Direktor des Föderalen Grenzdienstes, Präsident derRussischen Akademie der Wissenschaften, Generalstabs-chef der Streitkräfte, Bevollmächtigte Vertreter des Präsi-denten in den sieben neuen Föderalen Bezirken (Sibirien,Süd, Wolga, Ural, Zentral, Fernost, Nordwest).

Stimmrecht haben nur die ständigen Mitglieder des Sicher-heitsrats.

Der Sekretär des Sicherheitsrats wird vom Präsiden-ten ernannt oder entlassen und untersteht ihm unmit-telbar. Er leitet die Arbeit des Sicherheitsrats, schlägtim Auftrag des Präsidenten Kandidaten für höchsteStaatsposten vor und überprüft, ob die föderalenOrgane die Sicherheit im Land gewährleisten.

Wenn nötig, kann der Sekretär des Sicherheitsratsseine Vollmachten den Umständen entsprechenderweitern. Er ist persönlich dafür verantwortlich, daßder Sicherheitsrat seinen Aufgaben nachkommt undseine Beschlüsse umgesetzt werden.

In seinem Dekret vom 28. März 199817 organisierteJelzin den Apparat des Sicherheitsrats neu und schufsechs Abteilungen:! innere staatliche und öffentliche Sicherheit,! Verteidigungssicherheit;! internationale Beziehungen;! wirtschaftliche Probleme der Sicherheit;! Sicherheit der Verteidigungsindustrie;! föderale Verfassungssicherheit.

Über die konkrete Arbeit des Sicherheitsrats gibt eswenig Informationen. Angesichts seiner personellenZusammensetzung wurde er mit dem Politbüro ver-glichen. Dieser Vergleich ist insofern nicht ganz ab-wegig, als es sich bei der Regierung eher um eine ArtWirtschaftskabinett handelt und sonstige politischeFragen offenbar im Sicherheitsrat behandelt werden.

Eine unrühmliche Rolle spielte der Sicherheitsratim Herbst 1994 bei der Entscheidung, den Tschetsche-nien-Krieg zu beginnen. Die wichtigsten Dokumente,die der Sicherheitsrat in den letzten Jahren verabschie-det hat, sind die »Konzeption der nationalen Sicher-heit« (von Jelzin am 17.12.1997 unterzeichnet), dieMilitärdoktrin (von Putin am 21.4.2000 unterzeich-net), der Militärreformbeschluß (August 2000) und dieInformationssicherheitsdoktrin (September 2000).

Es gab Pläne, den Sicherheitsrat politisch dadurchaufzuwerten, daß man ihm alle führenden Sicher-heitsstrukturen unterstellte. Diese Umwandlung voneinem Beratungsorgan in ein Instrument des Sicher-heitsmanagements sollte in einem neuen Sicherheits-ratsgesetz verankert werden, das jedoch bis heutenicht vorliegt.18 Offensichtlich war dieses Gesetz aufdie Person des damaligen Sicherheitssekretärs Sergej

17 Ukaz Prezidenta Rossijskoj Federacii »Ob apparate SovetaBezopasnosti Rossijskoj Federacii« [Dekret des Präsidenten derRussischen Föderation »Über den Apparat des Sicherheitsratsder Russischen Föderation«], in: Sobranie zakonodatel�stvaRossijskoj Federacii [Sammlung der Gesetzgebung der Russi-schen Föderation] 1998, Nr. 14, Pos. 1536.18 RFE/RL Newsline, 5 (5.1.2001) 3, Part I, und 8.1.2001.

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Der Präsident

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Iwanow zugeschnitten, der im März 2001 Verteidi-gungsminister wurde (s. u.), weshalb das Gesetzes-vorhaben nicht weiterverfolgt wurde.

Solange Sergej Iwanow Sicherheitsratssekretär war,betraute Putin ihn mit allen wichtigen außenpoliti-schen Missionen,19 während das Außenministeriumeher formale bzw. technische Funktionen erfüllte.Auch ausländische Politiker wurden von SergejIwanow empfangen, wie im Februar 2001 Bundes-außenminister Joschka Fischer, der Hohe Vertreter derGemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheits-politik Javier Solana, der EU-Kommissar für Außen-beziehungen Christopher Patton und die schwedischeAußenministerin Anna Lind in ihrer damaligen Eigen-schaft als EU-Ratspräsidentin.

Mit der Ernennung von Sergej Iwanow zum Vertei-digungsminister am 28. März 200120 verlor der Sicher-heitsrat sein außenpolitisches Gewicht. Neuer Sicher-heitsratssekretär wurde der von Putin abgelöste Innen-minister Generaloberst Wladimir Ruschajlo, der dem»Jelzin-Clan« zugerechnet wird. Der 1953 im GebietTambow geborene Ruschajlo studierte an der OmskerHochschule der Miliz und trat dann in den Polizei-dienst ein. Er durchlief verschiedene Karrierestationenund war vor allem bei der Bekämpfung des organi-sierten Verbrechens eingesetzt. 1999 wurde er zumGeneraloberst befördert und zum Innenministerernannt. In seiner neuen Funktion als Sicherheitsrats-sekretär konzentriert er sich auf die innere Sicherheit.

Abschließend kann festgestellt werden: Der Sicher-heitsrat nutzte zeitweise den Spielraum, den ihm die

19 So fuhr Sergej Iwanow 2000 mehrmals nach Weißruß-land, um Fragen der Zusammenarbeit zwischen den Verteidi-gungseinrichtungen beider Länder zu erörtern. Im Februar2000 unternahm er Reisen nach Armenien (Festigung derrussisch-armenischen Beziehungen; Sicherung der armeni-schen Außengrenzen) und in die Ukraine (Probleme der wirt-schaftlich-technischen Zusammenarbeit; besonders des Rake-tenbaus), im Juni 2000 nach Georgien (Visaeinführung durchRußland), Aserbajdschan (Gespräche mit den Präsidentenbeider Länder) und Moldawien (Probleme der Dnjestrrepu-blik) sowie im August 2000 nach Kirgisien (Besprechung derTerrorbekämpfung mit Kirgisien, Usbekistan und Tadschiki-stan). Im Februar 2001 besuchte er Deutschland, um an derWehrkundetagung in München teilzunehmen, und fuhr imMärz 2001 in die USA (ABM-Vertrag, NATO-Osterweiterung,russischer Waffenverkauf an den Iran) und nach Frankreich(Balkanproblematik und Entwicklung der russisch-französi-schen Beziehungen).20 Vgl. dazu: Eberhard Schneider, Neue »Machtminister«in Moskau. Erste wichtige Personalveränderungen Putins,Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, April 2001(SWP-Aktuell 8/01).

Verfassung gewährt, und gewann an außenpoliti-schem Gewicht. Seine Bedeutung wuchs insbesonderedadurch, daß sich sowohl der Präsident als auch derSicherheitsratssekretär auf Kosten des zuständigenMinisteriums außenpolitisch profilieren wollten. Aberauch in dieser Situation war der Sicherheitsrat keinEntscheidungs-, sondern nur ein Beratungsorgan.

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Das Außenministerium

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Die Regierung

Nach dem Gesetz über die russische Regierung vom31. Dezember 1997 hat diese unter anderem die Auf-gabe, die russische Außenpolitik umzusetzen(Art. 114e) und dafür zu sorgen, daß die von Rußlandgeschlossenen internationalen Verträge erfülltwerden.

Das Außenministerium

Der Außenministerium ist in erster Linie für dieoperative Durchführung der Außenpolitik des Präsi-denten zuständig. Es soll eine allgemeine Strategie derrussischen Außenpolitik ausarbeiten und dem Präsi-denten, dem es unmittelbar unterstellt ist, entspre-chende Vorschläge unterbreiten. Zugleich muß dasAußenministerium den außenpolitischen Kurs desLandes in die Praxis umsetzen. Schließlich obliegt esihm, die internationalen Aktivitäten der Föderations-subjekte zu koordinieren.

In seinem Dekret vom 12. März 1996 bestimmtePräsident Jelzin das Außenministerium im Rahmender föderalen Exekutive zum »Hauptorgan auf demGebiet der Beziehungen zu ausländischen Staaten undinternationalen Organisationen«. Außerdem trugJelzin dem Außenministerium die »allgemeine Kon-trolle über die Erfüllung der internationalen Ver-pflichtungen der Russischen Föderation« auf.

Ob der Außenminister darüber hinaus konzeptio-nelle Vorstellungen zur Außenpolitik seines Landesentwerfen und durchsetzen kann, hängt von seinerPersönlichkeit und der Bereitschaft des Präsidentenab, das zu akzeptieren. So beschränkte sich Primakowals Außenminister nicht nur auf die Umsetzung deraußenpolitischen Vorgaben Jelzins, sondern entwik-kelte die außenpolitische Konzeption der Multipolari-tät, nach der es in der heutigen Welt nicht nur einen,sondern mehrere außenpolitische Großakteure gibt.Primakow war als Außenminister sehr selbstbewußt,was sich nicht zuletzt darin ausdrückte, daß er imSeptember 1997 Jelzin in das Außenministeriumeinlud und ihn mit der höchsten Auszeichnung desAußenministeriums ehrte.

Nachfolger von Primakow, der im September 1998von Jelzin zum Premier ernannt wurde, ist der heutige

Außenminister Igor Sergejewitsch Iwanow. Der 1945in Moskau geborene Igor Iwanow absolvierte 1969 dasStaatliche Maurice Thorez-Fremdspracheninstitut inMoskau. Anschließend war er wissenschaftlicherMitarbeiter des »Instituts für Weltwirtschaft und inter-nationale Beziehungen« der Akademie der Wissen-schaften der UdSSR; in dieser Zeit war Primakow stell-vertretender Direktor des Instituts. 1973 trat Iwanowin den diplomatischen Dienst ein und wurde mehr-mals in Spanien eingesetzt. 1993 stieg er zum erstenstellvertretenden Außenminister auf, ab 1996 unterAußenminister Primakow. In seiner neuen Funktionhatte er sich zuerst der Situation in Jugoslawien zuwidmen und wurde für seinen Einsatz von denVertretern aller Konfliktparteien gelobt. 1998 wurdeer Vorsitzender der russischen Fraktion des Rates fürZusammenarbeit »Rußland-Europäische Union«.

Erste Stellvertreter Iwanows sind der DiplomatAleksandr Awdejew und der ehemalige Chef des Aus-landsnachrichtendienstes Wjatscheslaw Trubnikowmit dem Sonderauftrag GUS-Staaten. Iwanow verfügtferner über zehn einfache Stellvertreter, die unteranderem für Europafragen (Jewgenij Gussarow), fürWirtschaftsfragen (Iwan Iwanow), für die KaspischeRegion (Wiktor Kaljushnyj), für die asiatisch-pazifischeRegion (Aleksandr Lossjukow), für die USA und Kanada(Georgij Mamedow) sowie für den Nahen Osten(Wassilij Sredin) zuständig sind.

Das Außenministerium hat � wie viele andererussische Ministerien � ein Kollegium, dem der Außen-minister, seine Stellvertreter und andere leitendeMitarbeiter des Ministeriums angehören. Die Mitglied-schaft in diesem Kollegium erfolgt kraft Amtes undwird von der russischen Regierung bestätigt. Es behan-delt wichtige Fragen des Außenministeriums undentscheidet dabei mit einfacher Stimmenmehrheit.Wenn es zwischen dem Ministerium und dem Kolle-gium Meinungsverschiedenheiten gibt, können derMinister oder das Kollegium die Angelegenheit demPräsidenten oder der Regierung vorlegen. Das Außen-ministerium hat das Recht, wissenschaftliche Rätebzw. Expertenkommissionen zu bilden und mit derAusarbeitung von Vorschlägen zu beauftragen. ZurZeit besteht ein solcher wissenschaftlicher Rat mitzwanzig Mitgliedern, die sich zweimal im Jahr treffen.

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Die Regierung

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Die organisatorische Arbeit des Rats wird von derAbteilung für außenpolitische Planung des Außen-ministeriums geleistet.

Das russische Außenministerium ist ein riesigerApparat, der in vielen Bereichen immer noch soarbeitet wie zu Sowjetzeiten. Jelzins optimistischeAnnahme, daß sich durch die Ernennung von AndrejKosyrew zum russischen Außenminister im Jahre1990 die Arbeitsweise des russischen Außenmini-steriums ändern würde, erwies sich im nachhinein alsnaiv. Selbst der durchsetzungsfähige Primakow warim Außenministerium relativ isoliert.

Eine Besonderheit des diplomatischen DienstesRußlands besteht darin, daß Diplomaten nur in Regio-nen entsandt werden, deren Sprache sie beherrschen.Wenn ein Diplomat im Verlauf seiner Karriere in dieMoskauer Zentrale zurückwechselt, so wird er meist inderjenigen Abteilung eingesetzt, die für die betreffen-de Region zuständig ist. Ein Problem für das Außen-ministerium ist mittlerweile die Abwanderung guterDiplomaten in besser bezahlte Stellungen in derPrivatwirtschaft.

Das Außenministerium hat häufig Schwierigkeiten,seine Außenpolitik mit dem Sicherheitsrat, der Präsi-dialadministration, dem Verteidigungsministeriumund der Föderalversammlung zu koordinieren. Vorallem die außenpolitische Linie des Kreml ist nichtimmer mit der des Außenministeriums identisch.Schwierigkeiten zwischen Präsidialadministrationund Außenministerium treten nicht selten dann auf,wenn der Vertreter der Administration des Präsiden-ten kein Karrierediplomat ist. Das war bei Tscherno-myrdin der Fall, den Jelzin 1999 zum Kosovo-Beauf-tragten ernannte.21 Damals wurden Abstimmungs-schwierigkeiten zwischen Verteidigungs- und Außen-ministerium sichtbar, als das russische Truppen-kontingent aufgrund einer aus Sicht des Außenmini-steriums überraschenden Entscheidung des russischenVerteidigungsministeriums von Bosnien nach Kosovoverlegt wurde.

Das Verteidigungsministerium

Da sicherheitspolitische Fragestellungen auch außen-politisch relevant sind, ist das Verteidigungsministe-rium in den außenpolitischen Entscheidungsprozeß

21 Oleg Barabanov, Upravlenie vne�nepolitičeskoj deja-tel�nost�ju v Rossii [Steuerung der außenpolitischen Tätigkeitin Rußland]; http://www.ilpp.ru/projects/barabanov/art.html.

einbezogen. Am 28. März 2001 ernannte Putin mitSergej Borissowitsch Iwanow zum ersten Mal in derrussischen Geschichte einen Nicht-Militär zum Vertei-digungsminister. Der 1953 in Leningrad geboreneIwanow studierte an der dortigen Universität Philo-logie und besuchte wie Putin das KGB-Institut. Danachübte er verschiedene Tätigkeiten beim KGB, FSB undim neuen russischen Auslandsaufklärungsdienst aus.Unter Putin (1998�1999) war er stellvertretender FSB-Chef und anschließend Nachfolger Putins als Sekretärdes Sicherheitsrats (November 1999�März 2001). Vonallen neuen Funktionsträgern steht Sergej IwanowPutin am nächsten.

Speziell für außenpolitische Fragen ist im Verteidi-gungsministerium die Hauptverwaltung für inter-nationale militärische Zusammenarbeit zuständig.Zunächst hatte sie eher militärisch-technische Auf-gaben, aber seit 1995 hat sich ihr Tätigkeitsfeld umaußenpolitische Fragestellungen erweitert. Zu diesemZweck wurde in ihrem Geschäftsbereich eine eigeneaußenpolitische Abteilung geschaffen.22

Zu einiger Bekanntheit gelangte der vorletzte Leiterder Hauptverwaltung für internationale militärischeZusammenarbeit, Generaloberst Leonid Iwaschow, derauch als »Außenminister« des Verteidigungsmini-steriums bezeichnet wurde. Er vertrat hinsichtlich derBeziehungen Rußlands zur NATO, vor allem mit Blickauf die geplante Erweiterung des Militärbündnisses,eine harte Position und ließ � zu Putins Ärger � keinMikrofon aus, um seine Meinung aller Welt kund-zutun. Dabei bezeichnete der »Falke« Iwaschow, wie ersich selbst nannte, das Bombardement Jugoslawiensdurch die NATO als »NATO-Faschismus« und »Staats-terrorismus«.

Im Juni 2001 schickte Putin Iwaschow in Pensionund ernannte Generalleutnant Anatolij Masur-kewitsch zu seinem Nachfolger. Letzterer ist 1949 imukrainischen Gebiet Winniza geboren, nahe derungarischen Grenze. Er absolvierte 1971 die Flieger-schule, acht Jahre später die Gagarin-Akademie derLuftstreitkräfte und 1990 die Generalstabsakademie.Eingesetzt war Masurkewitsch in der DDR und imMilitärbezirk Zentralasien, darüber hinaus soll er fürden militärischen Nachrichtendienst tätig gewesensein. Ab 1983 bekam seine berufliche Laufbahn einepolitische Ausrichtung: Von 1983 bis 1986 war er stell-vertretender Luftwaffenattaché an der Botschaft derUdSSR in Washington, von 1991 bis 1997 Stellvertreter

22 Information der Hauptverwaltung für internationalemilitärische Zusammenarbeit.

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Andere Ministerien

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des Vertreters der Russischen Streitkräfte bei denVereinten Nationen und Luftwaffenattaché an derrussischen Botschaft in Washington. Ende 1997schließlich übernahm er die Leitung der Verwaltungfür auswärtige Beziehungen im Verteidigungsmini-sterium.

Andere Ministerien

Neben den genannten gibt es weitere Ministerien, dieAufgaben mit außenpolitischem Bezug haben. Das giltzum Beispiel für das Kulturministerium, sofern es aus-wärtige Kulturpolitik betreibt, oder für das Energie-ministerium, wenn es um die Erschließung neuer Öl-und Gasquellen im Ausland oder den Export vonrussischem Öl und Gas geht.23 Allerdings müssen sichalle anderen Ministerien bei Fragen mit außenpoliti-scher Relevanz den Entscheidungen des Außenmini-steriums unterordnen.

Der seit Februar 2001 amtierende KulturministerMichail Schwydkoj, 1948 in Kirgisien geboren undursprünglich Theaterregisseur, war vorher stellvertre-tender Chefredakteur der Zeitschrift »Teatr« und dannVorsitzender der Russischen Staatlichen Fernseh- undHörfunkgesellschaft.

Das Energieministerium, zu dem der Erdöl- undder Gasbereich gehören, leitet seit Juni 2001 IgorJussufow, 1956 in Dagestan geboren. Der Elektro-ingenieur absolvierte 1991 die Akademie für Außen-handel. Bevor er im Juni 2001 zum Energieministerernannt wurde, leitete er die Russische Agentur fürEnergiereserven.

Der Auslandsnachrichtendienst

Nach dem Putsch vom August 1991, an dem der letzteKGB-Vorsitzende Wiktor Krjutschkow maßgeblichbeteiligt war, teilte Jelzin den KGB in verschiedeneInstitutionen auf. Dabei entstanden unter anderemder Auslandsnachrichtendienst (SWR) und der für dasInland zuständige Föderale Sicherheitsdienst Ruß-lands (FSB). Erster SWR-Chef war von Dezember 1991bis Januar 1996 der spätere Außenminister und nach-

23 In diesem Zusammenhang ist vor allem die KaspischeRegion zu erwähnen. Vgl. dazu: Sherman W. Garnett/Alexander Rahr/Koji Watanabe, Der Kaspische Raum vor derHerausforderung der Globalisierung. Die Verantwortung derTrilateralen Staaten für die Stabilität der Region. Ein Berichtder Trilateralen Kommission, Opladen 2001.

malige Premier Jewgenij Primakow, gefolgt vom ehe-maligen ersten stellvertretenden SWR-Chef Wjatsches-law Trubnikow, der im Juni 2000 zum ersten stell-vertretenden Außenminister ernannt wurde (s. o.). SeitMai 2000 wird der Auslandsnachrichtendienst vondem Usbeken Sergej Nikolajewitsch Lebedew geleitet,der 1970 das Polytechnische Institut in Kiew und da-nach eine Kiewer KGB-Schule absolvierte und späterdie KGB-Akademie in Moskau sowie 1978 die dortigeDiplomatische Akademie des sowjetischen Außen-ministeriums besuchte. Seit 1973 ist er nachrichten-dienstlich tätig, zwischen 1975 und 1978 auch in derBundesrepublik Deutschland. Von 1998 bis zu seinerErnennung war er offizieller Vertreter des SWR in denVereinigten Staaten.

Es versteht sich von selbst, daß der Auslands-nachrichtendienst auf den außenpolitischen Entschei-dungsprozeß einwirkt, und so benennen ihn dennauch 26,7% der russischen Außenpolitikexperten alsentscheidenden Einflußfaktor (siehe die eingangserwähnte Meinungsumfrage). Auf die Frage, ob dieAußenpolitik eher von Karrierediplomaten als vonehemaligen Geheimdienstlern wie Primakow, Trubni-kow, Sergej Iwanow und anderen bestimmt würde,antwortete der Geheimdienstspezialist AndrejSoldatow, daß der Einfluß der Geheimdienste auf dieAußenpolitik in den letzten beiden Jahren zugenom-men habe.24

24 Agentura, 1.6.2001.

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Das Parlament

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Das Parlament

Das Parlament der Russischen Föderation ist dieFöderalversammlung (Art. 94), die aus zwei Kammernbesteht, dem Föderationsrat und der Staatsduma(Art. 95 Abs. 1). Es ratifiziert bzw. kündigt internatio-nale Verträge und behandelt Gesetze, die Krieg undFrieden betreffen sowie den Status und den Schutz derStaatsgrenzen der Russischen Föderation.

Die Staatsduma

Zuerst durchlaufen die Gesetze die Staatsduma,danach werden sie vom Föderationsrat behandelt, dersich einer Bearbeitung der Gesetze nicht verweigerndarf (Art. 106d�f). Außenpolitische Fragen erörtert dieStaatsduma laut Statut entweder auf eigene Initiativeoder auf Initiative des Präsidenten sowie im Rahmenvon Mitteilungen der Regierung und der Staatsduma-ausschüsse (Art. 170 des Staatsdumastatuts).

Über das jeweilige Arbeitsprogramm der Staats-duma � einschließlich der Überweisung von Gesetz-entwürfen an die Ausschüsse � beschließt der Rat derStaatsduma, dem der Vorsitzende der Staatsdumasowie die Vorsitzenden der Fraktionen und der Abge-ordnetengruppen der Staatsduma angehören. Da derStaatsdumavorsitzende Gennadij Selesnjow Mitgliedder Fraktion der »Kommunistischen Partei derRussischen Föderation« (KPRF) ist, verfügen die Kom-munisten als einzige Partei im Staatsdumarat überzwei Stimmen.

Beratende Stimme im Rat der Staatsduma habendie stellvertretenden Vorsitzenden der Staatsdumasowie die Vorsitzenden der Ausschüsse der Staats-duma (Art. 13 der Geschäftsordnung25). Einen indi-rekten Einfluß auf die Behandlung außenpolitischerFragen haben die Parteien dadurch, daß ihre Vorsit-zenden, die oft zugleich Fraktionsvorsitzende sind, ander Festlegung der Tagesordnung beteiligt sind. Wennder Staatsdumarat etwa die Abstimmung über einGesetz verhindern will, braucht er dessen Behandlung

25 Reglament Gosudarstvennoj Dumy Federal�nogo Sobranija� parlamenta Rossijskoj Federacii [Geschäftsordnung derStaatsduma der Föderalversammlung der Russischen Födera-tion, des Parlaments der Russischen Föderation], Moskau1994.

nur nicht auf die Tagesordnung zu setzen. Jahrelangwiderfuhr dies dem START-II-Abkommen, das erst imJahr 2000 von der 1999 neugewählten Staatsdumaratifiziert wurde (s. u.)

Bevor ein Gesetz in erster Lesung beraten wird, istes vom fachlich zuständigen Ausschuß � manchmalvon mehreren Ausschüssen � geprüft worden. DieBegutachtung außenpolitischer Fragen obliegt demAusschuß für internationale Angelegenheiten, der,wie alle anderen Ausschüsse auch, von Regierungs-stellen weitere Informationen verlangen oder eineAnhörung zu dem jeweiligen Vertrag ansetzen kann.

An den Sitzungen des Ausschusses können führen-de Beamte des Außenministeriums teilnehmen.Darüber hinaus kann der Ausschuß einen Vertreterdes Präsidenten, des Verteidigungsministeriums, desFSB, des Sicherheitsrats oder des Auslandsaufklärungs-dienstes einladen.

Nach der Begutachtung empfiehlt der Ausschußder Staatsduma die Annahme oder Ablehnung desVertrags. Da die verschiedenen Parteistandpunktebereits durch die Mitglieder des Ausschusses einge-bracht wurden, folgt die Staatsduma im allgemeinender Empfehlung, muß es aber nicht.

Vorsitzender des Staatsdumaausschusses für inter-nationale Angelegenheiten ist Dmitrij Rogosin, derseit 1991 parteipolitisch tätig ist. Er gehört derGruppe »Volksdeputierte« an, die der regierendenPartei »Einheit« nahesteht. Außenpolitische Erfahrun-gen im engeren Sinne hat Rogosin offensichtlich nurbei einem Praktikum gesammelt, das er von 1985 bis1986 auf Kuba absolvierte. 1990 war er Vizepräsidentder Russisch-Amerikanischen Universität und 1991Vizepräsident der »Stiftung für Rußland«, die ihreZentrale in den USA hat.

Von den 18 Ausschußmitgliedern gehört ein Drittelder KPRF-Fraktion an, je zwei Mitglieder den Fraktio-nen der regierenden Partei »Einheit«, der LDPR, derder »Einheit« nahestehenden Gruppe »Volksdeputier-te« sowie der Gruppe »Regionen Rußlands«, je ein Mit-glied der Fraktionen »Vaterland � Ganz Rußland« und»Rechte Kräfte« sowie der KPRF-nahen Gruppe »Land-wirtschaft und Industrie«; ein Mitglied ist unab-hängiger Abgeordneter. Das Übergewicht der Kommu-

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Der Föderationsrat

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nisten im außenpolitischen Ausschuß der Staatsdumaist nicht zu übersehen.

Der ehemalige russische Botschafter in den USA,Wladimir Lukin, ist nicht mehr Vorsitzender des Aus-schusses für internationale Angelegenheiten, seit dempolitischen Block »Jabloko«, dem Lukin angehört, derAusschußvorsitz genommen wurde. Lukin leitete dieKommission seit Januar 1994 und zeichnete sich imUnterschied zu vielen anderen Mitgliedern durchaußenpolitische Kompetenz aus.

Für die Begutachtung von Fragen, welche die GUSbetreffen, ist der Ausschuß für Angelegenheiten derGUS und Verbindungen zu den Landsleuten zustän-dig. Vorsitzender dieses Ausschusses ist BorisPastuchow, der 1996 erster stellvertretender Außen-minister und von 1998 bis zur Ministeriumsauflösung1999 Minister für GUS-Angelegenheiten war. Der vonder ersten Staatsduma 1993 gebildete Ausschuß fürGeopolitik, in dem ebenfalls außenpolitische Fragenbehandelt wurden und der von einem Mitglied derSchirinowskij-Partei geleitet wurde, bestand bis zumEnde der Legislaturperiode der zweiten Staatsdumaund wurde im Januar 2000 nicht wieder eingerichtet.

Während der zweiten Legislaturperiode von 1996bis 1999 arbeitete der Ausschuß für internationaleAngelegenheiten zusammen mit anderen Ausschüssen15 Gesetzesvorlagen aus, 11 davon wurden von derStaatsduma angenommen.26

Im selben Zeitraum wurde der Ausschuß � wie auchder Ausschuß für Angelegenheiten der GUS undVerbindungen zu den Landsleuten � regelmäßig vorder Ernennung von Botschaftern durch den Präsiden-ten konsultiert (Verfassungsartikel 831) und äußertesich zu fast 300 Personalentscheidungen im diplo-matischen Dienst.27 Darüber hinaus unterhält der Aus-schuß für internationale Angelegenheiten Kontaktezu den entsprechenden Kommissionen der wichtig-sten Länder.

Welche außenpolitische Rolle die Staatsdumaspielen kann, zeigte sich 1997, als sie das Gesetz überdie Beutekunst billigte. Diese kam als Folge des

26 Die Ratifikation von Verträgen erfolgt in Form föderalerGesetze (Verfassungsartikel 106d); dafür ist die Mehrheit derStimmen aller Abgeordneten erforderlich (Verfassungsartikel105 Abs. 2).27 Fond razvitija parlamentarizma v Rossii [Stiftung zur Entwick-lung des Parlamentarismus in Rußland] (Hg.), Federal�noe Sobra-nie vtorogo sozyva, formirovanie, process raboty i osnovnyerezultaty [Die Föderalversammlung der 2. Legislaturperiode:Einberufung, Arbeitsprozesse und wichtigste Ergebnisse];http://www.legislature.ru/fund/books/parl2000/2_4_3.htm.

Zweiten Weltkriegs aus deutschen Beständen nachRußland und sollte als Entschädigung für die vondeutschen Truppen zerstörten russischen Kulturgüterim Eigentum Rußlands verbleiben. Präsident Jelzinweigerte sich jedoch, das Gesetz zu unterschreiben,weil es dem internationalen Recht und speziell derHaager Landkriegsordnung widerspreche, die vor-schreibt, daß durch Kriegseinwirkungen verbrachteKunstgüter an die Ursprungsländer zurückgegebenwerden müssen. Darüber hinaus stand das Gesetzeiner Vereinbarung zwischen Jelzin und dem da-maligen Bundeskanzler Helmut Kohl entgegen. Dochdie Staatsduma und der Föderationsrat überstimmtenJelzins Veto, so daß er das Gesetz � entsprechend derrussischen Verfassung � am 15. April 1989 unter-zeichnen mußte.

Daraufhin ließ Jelzin das Gesetz vom Verfassungs-gericht auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen,denn die Verfassung schreibt vor, daß internationalesRecht Vorrang vor nationalem Recht hat. Am 20. Juli1999 bestätigten die Richter die Verfassungsmäßigkeitdes Gesetzes, stellten es den Gerichten aber frei, dieRückgabe einzelner Kunstgüter zu erlauben. In einemÄnderungsgesetz vom 25. Mai 2000 berücksichtigtedie Staatsduma die Vorschläge des Verfassungs-gerichts.

Ein zweites Beispiel: In beiden Parlamentskammernwurde im April 2000 endlich der START-II-Vertrag von1993 ratifiziert, der die Obergrenze für strategischeWaffen auf 3000 bis 3500 Sprengköpfe begrenzt. DieAbgeordneten der Staatsduma bestanden in Artikel 2Absatz 2 des entsprechenden Ratifizierungsgesetzes28

allerdings darauf, daß sich Rußland das Recht vor-behält, den START-II-Vertrag aufzukündigen, falls dieUSA sich nicht an den ABM-Vertrag halten.

Der Föderationsrat

In die alleinige Zuständigkeit des Föderationsrats,dem Oberhaus des russischen Parlaments, fällt dieBestätigung des Präsidentialdekrets zur Verhängungdes Kriegszustandes und zur Frage, ob ein Einsatzrussischer Streitkräfte außerhalb des Territoriums derRussischen Föderation möglich ist (Art. 102 Abs. 1bund d). Der aus 178 Mitgliedern bestehende Födera-tionsrat entscheidet diese Fragen mit einfacher Stim-menmehrheit (Art. 102 Abs. 3). Die Entscheidung übereine Truppenentsendung ins Ausland wurde bisher

28 Rossijskaja gazeta, 6.5.2000.

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Das Parlament

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nur einmal vor dem Einsatz russischer Truppen aufdem Balkan relevant. Der Föderationsrat votierte imJuni 1999 mit 127 Ja-Stimmen und drei Enthaltungenfür den Einsatz.

Der Föderationsrat befindet über alle föderalenGesetze, die die Staatsduma verabschiedet hat. Durchdie Einbeziehung des Föderationsrats in das Gesetz-gebungsverfahren haben die Republiken und Gebietedie Möglichkeit, sich in wichtigen Fragen am außen-politischen Prozeß zu beteiligen.

Die Tagesordnung der Sitzungen wird vom Rat desFöderationsrats festgelegt (Art. 12³ Abs. 1a derGeschäftsordnung29), dem der Vorsitzende des Födera-tionsrats sowie dessen Stellvertreter und die Vorsitzen-den der Ausschüsse des Föderationsrats angehören(Art. 12² Abs. 1 der Geschäftsordnung).

Der Föderationsrat muß ein Gesetz innerhalbvon 14 Tagen behandeln. Läßt er diesen Zeitraum ver-streichen, gilt sein Schweigen als Zustimmung(Art. 105 Abs. 3 und 4). Diese Regelung gilt allerdingsnicht für föderale Gesetze zu Fragen der Ratifizierungund Aufkündigung internationaler Verträge, desStatus und des Schutzes der russischen Staatsgrenzesowie von Krieg und Frieden (Art. 106d�f). Entspre-chende Gesetze muß der Föderationsrat auf jeden Fallbearbeiten.

In Abhängigkeit vom Inhalt legt der Vorsitzendedes Föderationsrats fest, welcher Ausschuß einbestimmtes Gesetz zu begutachten hat. Er kann auchmehrere Ausschüsse mit der Vorbereitung eines Gut-achtens beauftragen, allerdings muß einem Ausschußdie Leitung übertragen werden. Bei außenpolitischenFragen ist der Ausschuß für internationale Angelegen-heiten zuständig, dessen Vorsitz seit November 2001Michail Margelow innehat, der im Föderationsrat denGouverneur von Pskow vertritt. Margelow wurde 1964in Moskau geboren und absolvierte 1986 das Asien-und Afrika-Institut der Moskauer Staatlichen Univer-sität. Zu Beginn seiner Laufbahn arbeitete er als Über-setzer für die Internationale Abteilung des ZK derKPdSU und dann als Arabisch-Lehrer an der Dzer-zhinskij-KGB-Hochschule. Von 1989 bis 1990 leitete erdie Arabien-Redaktion von TASS. Bis 1995 betreute erdann GUS-Projekte der Boston Consulting Group. 1996wechselte er als Leiter der Verwaltung für die Verbin-dungen zur Gesellschaft in die Präsidialadministra-tion und zwei Jahre später als Pressesekretär in das

29 Reglament Soveta Federacii [Geschäftsordnung der Föde-rationsrats], in der Fassung vom 27.1.1999; Quelle: http://www.parliament.ru/reglam/reglam.htm.

Staatliche Zollkomitee, wo er den Rang eines Oberstendes Zolls erhielt. Im Frühjahr 2000 war Margelow Mit-glied des Wahlkampfstabs von Putin und dort zustän-dig für den Kontakt mit den ausländischen Massen-medien. Im September 2000 wurde er Mitglied derRegierungskommission für GUS-Fragen und einenMonat Mitglied später des Präsidiums des PolitischenRats der regierenden Partei »Einheit«. Im Jahr 2001trat er der Gruppe »Föderationsrat Rußlands � Senatder USA« bei.

Wie in der Staatsduma gibt es auch hier einen Aus-schuß für Angelegenheiten der GUS, der seit April2001 von Wadim Gustow geleitet wird, dem neuenVertreter des Gebiets Wladimir im Föderationsrat.1998 war Gustow für ein Jahr der für GUS-Fragenzuständige erste stellvertretende PremierministerRußlands. Seit 1993 ist er mit kurzen Unterbrechun-gen Föderationsratsmitglied.

Der Ausschuß muß sein Gutachten über eine Geset-zesvorlage innerhalb von drei Tagen erstellen, wasihm in der Regel deshalb möglich ist, weil der Födera-tionsrat den Gesetzestext bereits nach der erstenLesung in der Staatsduma erhält. Das Gutachten wirdmit der Mehrheit der an der Ausschußsitzung teil-nehmenden Mitglieder bestätigt, wobei mindestensdie Hälfte der Mitglieder anwesend sein muß. Binnensechs Tagen prüft der Vorsitzende des Föderationsratsdas Gutachten des Ausschusses.30

Ein auf der Tagesordnung des Föderationsratsstehendes Gesetz gilt als gebilligt, wenn mehr als dieHälfte aller Mitglieder des Föderationsrats für dasGesetz gestimmt hat (Art. 105 Abs. 4). Wenn der Föde-rationsrat einem föderalen Gesetz nicht zustimmt �was im Fall der Ratifizierung internationaler Verträgenoch nicht vorgekommen ist �, können beide Parla-mentskammern einen Schlichtungsausschuß bilden,um die entstandenen Unstimmigkeiten zu über-winden. Anschließend muß das föderale Gesetz erneutvon der Staatsduma behandelt werden (Verfassungs-artikel 105 Abs. 4). Die Staatsduma kann aber auchmit den Stimmen von zwei Dritteln aller Abgeord-neten die Ablehnung des Föderationsrats überstim-men (Verfassungsartikel 105 Abs. 5). Daran wird deut-lich, daß die Staatsduma die politisch wichtigere derbeiden Parlamentskammern ist.

30 Lev Olegovič Ivanov, Die Gesetzgebungstätigkeit der Föde-ralversammlung der Rußländischen Föderation 1993�1995,Köln 1996 (Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaft-liche und internationale Studien [BIOst], Nr. 49/1996), S. 13f.

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Rechtliche Grundlagen

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Die Föderationssubjekte

Zum ersten Mal in der russischen Geschichte könnensich die regionalen Einheiten � 21 Republiken, zehnAutonome Bezirke, sechs Regionen, 49 Gebiete, einAutonomes Gebiet und die beiden Städte mit föde-ralem Status � am außenpolitischen Entscheidungs-prozeß beteiligen und international agieren.

Rechtliche Grundlagen

Nach Artikel 71 der russischen Verfassung fallenAußenpolitik, internationale Beziehungen, Außen-wirtschaftsbeziehungen, Verteidigung und Sicherheitin die alleinige Zuständigkeit des Zentrums. Über dieRolle der Föderationssubjekte in den BereichenAußenpolitik und Außenwirtschaft findet sich nur inArtikel 72 der Verfassung die Aussage, daß die inter-nationalen und außenwirtschaftlichen Beziehungender Föderationssubjekte und die Erfüllung der inter-nationalen Verträge von der Zentrale und den Födera-tionssubjekten gemeinsam zu koordinieren sind.31

Im Hinblick auf Aufgaben, die in die alleinige Zu-ständigkeit der Regionen fallen, enthält Artikel 73lediglich die allgemeine Aussage, daß das Föderations-subjekt auf seinem Territorium über die gesamteStaatsmacht in all denjenigen Bereichen verfügt, dienicht in die Zuständigkeit der Zentralregierung bzw.in die gemeinsame Zuständigkeit von Zentralregie-rung und Föderationssubjekt fallen. Diese pauschalenFormulierungen führten in der Praxis zu Kompetenz-streitigkeiten zwischen der zentralen Staatsmacht undden Föderationssubjekten. Um den Regelungsspiel-raum zu füllen, schlossen daher viele Republiken undGebiete auf Grundlage des Verfassungsartikels 11Absatz 3 Kompetenzabgrenzungsverträge mit demZentrum,32 in denen das Zentrum den Föderations-subjekten unterschiedliche Zugeständnisse machte.Das Recht, internationale und außenwirtschaftliche

31 Zum Föderalismus vgl. Andreas Heinemann-Grüder, Derheterogene Staat. Föderalismus und regionale Vielfalt inRußland, Berlin 2000.32 Die Texte der bis August 1996 abgeschlossenen Kompe-tenzabgrenzungsverträge sind abgedruckt in: Federalizmvlasti i vlast� federalizma [Föderalismus der Macht und dieMacht des Föderalismus], Moskau 1997.

Beziehungen zu unterhalten, räumte Moskau denRepubliken Tatarstan, Baschkortostan, Nordossetien-Alanija, Sacha (Jakutien), Komi, Tschuwaschien undKabardino-Balkarien (nur Außenwirtschaftsbeziehun-gen) ein sowie fast allen Gebieten außer Kaliningradund Orenburg sowie der Region Krasnodar.33

Einige Republiken haben sehr weitgehende Vorstel-lungen bezüglich ihrer außenpolitischen Aktivitäten.Die Möglichkeit, selbständig Außenpolitik zu betrei-ben und internationale Verträge abzuschließen, sehendie Verfassungen von Komi (Art. 73 Abs. 11 und 22;Art. 85 Abs. 2), Baschkortostan (Art. 1 Abs. 2; Art. 76;Art. 88 Abs. 3), Sacha (Art. 9; Art. 58), Tatarstan(Art. 62) und Tywa (Art. 1 Abs. 3) vor. In ihren Verfas-sungen bezeichnen sich die Republiken Tatarstan(Art. 61) und Tschetschenien (Präambel) als »Subjektedes Völkerrechts«. Manche Republiken haben sogareinen Minister für Außenbeziehungen.34

In dem 199935 in Kraft getretenen Gesetz über dieKoordinierung der internationalen und außenwirt-schaftlichen Beziehungen der Mitglieder der Russi-schen Föderation wird den Föderationssubjekten dasRecht zu außenpolitischen und außenwirtschaft-lichen Kontakten sowie zum Abschluß entsprechenderVereinbarungen mit föderalen Subjekten andererStaaten � nicht mit den Staaten selbst � eingeräumt.Allerdings dürfen diese Vereinbarungen weder dierussische Verfassung noch die föderalen Gesetze oderdie Kompetenzabgrenzungsverträge verletzen undnicht im Widerspruch zum Völkerrecht sowie zu denvon Rußland geschlossenen Verträgen stehen. Ist das

33 Eberhard Schneider, Föderalismus in Rußland: Kompetenz-abgrenzungsverträge und Gouverneurswahlen, Köln 1997(Berichte des BIOst, Nr. 21/1997).34 Ju. Ermakova, Problemy razgraničenija kompetencii:Federacija i ee sub-ekty [Probleme der Kompetenzabgrenzung:die Föderation und die Föderationssubjekte], http://www.nasledie.ru/oboz/N3-4_97/007.htm.35 Federal�nyj zakon »O koordinacii me�dunarodnych ivne�nich i vne�neėkonomičeskich svjazej sub-ektov RossijskojFederacii« [Föderales Gesetz »Über die Koordination der inter-nationalen, der Außen- und der außenwirtschaftlichen Bezie-hungen der Subjekte der Russischen Föderation«], in: Sobra-nie zakonodatel�stva Rossijskoj Federacii [Sammlung derGesetzgebung der Russischen Föderation], Moskau, (1999) 2,S. 263�267.

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Die Föderationssubjekte

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der Fall, wird die Gültigkeit der Vereinbarung ent-sprechend Verfassungsartikel 85 Absatz 2 vom Präsi-denten ausgesetzt, bis die Frage vom zuständigenGericht entschieden ist.

Ihre außenpolitischen und außenwirtschaftlichenKontakte sollen die Föderationssubjekte nur mitZustimmung des russischen Außenministeriumsunterhalten. Wenn die Absicht besteht, Verhandlun-gen zum Abschluß von Vereinbarungen � es darf sichdabei nicht um internationale Verträge handeln � zubeginnen, muß das Außenministerium vom betref-fenden Föderationssubjekt rechtzeitig vorab unter-richtet werden. Der Vertragsentwurf ist dem russi-schen Außenministerium � und gegebenenfallsweiteren föderalen Organen � mindestens einenMonat vor der Unterzeichnung zu übergeben. Späte-stens zwanzig Tage nach Erhalt des Entwurfs legt dasAußenministerium seine Stellungnahme vor. Im Fallevon Meinungsverschiedenheiten wird ein Schlich-tungsverfahren im Rahmen der russischen Gesetz-gebung eingeleitet.

Die föderalen Organe haften nur dann für die vonden Föderationssubjekten abgeschlossenen Verträge,wenn diese eine offizielle Garantiezusage der russi-schen Regierung enthalten oder mit Zustimmung derrussischen Regierung geschlossen wurden.

Die Föderationssubjekte haben das Recht, in ande-ren Staaten Vertretungen zu eröffnen. Umgekehrtdürfen sie zulassen, daß auf ihrem Territorium Vertre-tungen von Subjekten anderer Staaten eingerichtetwerden. Diese Vertretungen dürfen jedoch keinerleidiplomatische oder konsularische Funktionen aus-üben.

Außenpolitische Interessen der Regionen

Das außenpolitische Engagement der insgesamt 89Föderationssubjekte hat verschiedene thematischeSchwerpunkte: Wirtschaft, Politik, Ethnie, Migration,Geopolitik und Infrastruktur.36 Die wirtschaftliche Inter-essenlage der Föderationssubjekte ist dadurchbestimmt, daß sie ihre gegebenenfalls vorhandenenNaturressourcen weitgehend zum eigenen Vorteilnutzen wollen, wie zum Beispiel die Republik Sacha(Jakutien) ihre Diamanten. Außerdem bemühen siesich darum, daß auf ihrem Territorium möglichstviele Investitionen getätigt werden.

36 Neil Melvin, Regional Foreign Policies in the RussianFederation, London 1995, S. 1�3.

Darüber hinaus demonstrieren die Föderationssub-jekte durch internationale Aktivitäten ihre politischeSouveränität.37 Dieses Motiv gewinnt an Bedeutung,wenn es sich um ethnisch bestimmte nicht-russischeRepubliken handelt, wie zum Beispiel Tatarstan oderTschetschenien. Zugleich streben die von einer nicht-russischen Titularnation stark geprägten Republikendanach, möglichst enge Beziehungen zu den Lands-leuten in anderen Ländern zu unterhalten. So wird dieRepublik Tatarstan durch Vertretungen in 16 Ländernrepräsentiert, unter anderem in Frankreich, den USA,Österreich, Australien, Tschechien, Lettland, Usbeki-stan, Aserbajdschan, in der Ukraine, Türkei, in Kasach-stan und Zypern.38 Die Republik Tschuwaschien unter-hält ein Honorar-Konsulat in Kairo und die RepublikKalmykien diplomatische Vertretungen in Kenia undKasachstan.39

Nationalistische Tendenzen in Nachfolgestaaten derehemaligen Sowjetrepubliken führen dazu, daß diedort ansässige russische Bevölkerung in grenznaheGebiete der Russischen Föderation abwandert. Diebetroffenen Föderationssubjekte sind von derMigration nicht selten wirtschaftlich überfordert undbemühen sich deshalb, diese neuen Staaten (vor allemdie baltischen Republiken) zur Änderung ihrer Innen-politik zu bewegen.

Gelegentlich wird die Migration auch durch Kon-flikte an der russischen Peripherie ausgelöst. Dieangrenzenden Föderationssubjekte haben also ausgeopolitischen Gründen ein Interesse daran, mit ihremaußenpolitischen Engagement zu einer möglichstschnellen Lösung dieser Konflikte beizutragen.Schließlich haben die außenpolitischen Bemühungender Regionen infrastrukturelle Gründe, denn der Zerfallder Sowjetunion hat dazu geführt, daß sich Binnen-märkte sowie wichtige Eisenbahnverbindungen,Straßen und Häfen nunmehr außerhalb der eigenenStaatsgrenzen befinden. Manche Föderationssubjektesind aber dringend auf einen Zugang zum Weltmarktangewiesen, um ihre Produkte exportieren zu können.

37 Vgl. dazu: Jeronim Perović, Die Regionen Rußlands alsneue politische Kraft. Chancen und Gefahren des Regiona-lismus in Rußland, Bern/Berlin/Brüssel/Frankfurt a.M./NewYork/Oxford/Wien 2001.38 Vremja i den�gi (Kazan�), 4.6.1998.39 Stephan De Spiegeleire, Gullivers Fäden: Die russischenRegionen und die Außen- und Sicherheitspolitik der Russi-schen Föderation, in: Hans-Joachim Spanger (Hg.), Rußlandund der Westen. Von der »strategischen Partnerschaft« zur»Strategie der Partnerschaft«, Frankfurt a.M./New York 1998,S. 170.

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Typen von Regionen

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Und zu guter Letzt verfolgen auch die Republiks-präsidenten bzw. Gouverneure bei ihren außenpoliti-schen Aktivitäten bestimmte Interessen:! sie wollen sich persönlich politisch profilieren;! sie wollen die Interessen der Region auf der inter-

nationalen Ebene vertreten;! sie wollen sich von der Politik der Moskauer Zen-

tralregierung distanzieren, wenn nicht sogar gegensie opponieren.40

Typen von Regionen

Aus den obengenannten Gründen versuchen die Föde-rationssubjekte als selbständige Akteure auf der inter-nationalen Bühne aufzutreten, Außenwirtschafts-beziehungen zu entwickeln, ihre politischen und wirt-schaftlichen Interessen in Moskau zu vertreten sowiedie außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Kon-takte des Zentrums für ihre Republiken und Gebietezu nutzen. Dabei können folgende Typen von Föde-rationssubjekten unterschieden werden, wobei durch-aus Mischformen vorkommen:! »Toreinfahrt«-Regionen, das heißt Föderationssubjekte,

die an großen Häfen liegen bzw. deren Hinterlandbilden, wie zum Beispiel St. Petersburg und dasGebiet Leningrad im Nordwesten, die RegionKrasnodar und das Gebiet Rostow am Don im Südensowie die Regionen Primorje und Chabarowsk imFernen Osten;41

! Rohstoffexportregionen, wie das Gebiet Tjumen oderdie Republik Sacha;

! Grenzregionen. Zu ihnen zählen 45 Föderationssub-jekte, die an insgesamt 16 Staaten grenzen und aufderen Territorien 32,6% der russischen Bevölkerungwohnen. Für die Grenzregionen traf Rußland aufRegierungsebene Kooperationsvereinbarungen mitderen Nachbarstaaten.42

40 Alla Chirikova/Natalia Lapina, Regional Elite: A Quiet Revo-lution Russian Scale, Zürich 2001, S. 43.41 M. J. Bradshaw, Regional Patterns of Foreign Investment inRussia, London 1995.42 Mit folgenden Nachbarstaaten traf Rußland Regierungs-vereinbarungen: mit Finnland (Januar 1992), mit Polen (Mai1992), Kasachstan (Januar 1995), mit der Ukraine (Januar1995), mit der Mongolei (Januar 1993) und mit China (1994).Eine zwischenstaatliche Vereinbarung wurde im Februar1999 zwischen Rußland, Weißrußland, Kasachstan undKirgisien geschlossen. Diese Abkommen betreffen russischeFöderationssubjekte der Russisch-Finnischen Vereinbarung (dieGebiete Murmansk und Leningrad, die Republik Karelien unddie Stadt St. Petersburg); das Gebiet Kaliningrad als Mitglied

Außenpolitische Aktivitäten

Unter Jelzin waren verschiedene regionale Aktivitätenzu beobachten: Im September 1996 empfing der da-malige US-Vizepräsident Al Gore in Anwesenheit desrussischen Botschafters den MinisterpräsidentenTatarstans, Rawil Muratow; im November 1996nahmen an der Tagung der Tschernomyrdin-Juppé-Kommission in Paris die Präsidenten Baschkortostans,Kabardino-Balkariens und der Republik Komi sowie

der Baltischen Vereinbarung, das vor allem mit Polen zusam-menarbeitet; die Föderationssubjekte des Ostseerats, der Euro-arktischen Region, die mit den grenznahen Gebieten Finn-lands, Norwegens und Schwedens zusammenarbeiten (dieGebiete Murmansk und Archangelsk, die Republik Karelienund der Autonome Bezirk der Nenzen); die Teilnehmer-regionen der Russisch-Kasachischen Vereinbarung (die GebieteAstrachan, Wolgograd, Saratow, Samara, Orenburg, Tschel-jabinsk, Kurgan, Tjumen, Omsk und Nowosibirsk, die RegionAltaj sowie die Republik Altaj). Ferner arbeiten die GebietePskow, Smolensk und Brjansk mit den grenznahen GebietenWeißrußlands und die Gebiete Brjansk, Kursk, Belgorod, Woro-nesh und Rostow am Don mit den Grenzregionen der Ukrainezusammen. Die Mitglieder der »Sibirischen Vereinbarung«(die drei Republiken Altaj, Burjatien und Chakassien sowiedie 14 Föderationssubjekte Altaj, Krasnojarsk, Irkutsk, Nowo-sibirsk, Omsk, Tomsk, Tjumen, Kemerowo, Aginisch-Burjati-scher Autonomer Bezirk, Tajmyr, Ust-Ordynischer-Burjati-scher Autonomer Bezirk, Chanty-Mansischer, Ewenkischerund Jamalo-Nenzischer Autonomer Bezirk) arbeiten mit derMongolei zusammen. Die Republik Karelien ist � wohl als ein-ziges Föderationssubjekt � Mitglied einer Euroregion, derEuroregion Karelia, zu der außer Karelien drei finnischeRegionen gehören: Kajnuu, Nordkarelien und Nordpoh-janmaa. Die Territorien der Euroregion stehen unter natio-naler Jurisdiktion und werden von einem Exekutivkomiteeregiert, das aus sechs Vertretern von jeder Seite sowie ausExperten des russischen und des finnischen Außenmini-steriums gebildet wird. Alle Entscheidungen der Euroregionwerden im Konsens gefällt, und die gemeinsamen Projektefinanziert jeder zur Hälfte.Vgl. Andrei Makarychev, Islands of Globalization: RegionalRussia and the Outside World, Zürich 2000, S. 18f; AleksejGundorov, Archangel�sk: gorizonty sotrudničestva v Barenc-regione [Archangel�sk: die Zusammenarbeit in der Barentssee-Region], in: Rossijskie regiony, (1998) 5, S. 17; GrigorijMarčenko/Ol�ga Mačul�skaja, Regiony Rossii. Spravočnik [DieRegionen Rußlands. Ein Handbuch], Moskau 1997, S. 448;Aleksandr Granberg, Rossijskoe prigranič�e: zona osobych voz-mo�nostej [Russische Grenzgebiete: eine Zone besondererMöglichkeiten], in: Rossijskie regiony, (1998) 3, S. 20; NatanM. Shklyar, Russian Regions in Subregional Cooperation, in:Renata Dwan/Oleksandr Pavliuk (Hg.), Building Security in theNew States of Eurasia. Subregional Cooperation in the FormerSoviet Space, New York/London 2000, S. 87�118; Oleg B.Alexandrov, The Role of the Republic of Karelia in Russia�sForeign and Security Policy, Zürich 2001, S. 31.

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Die Föderationssubjekte

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der Gouverneur des Gebiets Jaroslawl teil. Im Februar1998 besuchte der ehemalige Gouverneur der RegionKrasnojarsk, Walerij Subow, Japan,43 der ehemaligeGouverneur von Primorje, Jewgenij Nasdratenko,stattete im März 1998 den USA einen Besuch ab,44 undder Gouverneur von Kemerowo, Amangeldy Tulejew,unternahm im April 1998 eine Reise nach Polen.45

Gelegentlich stellen Regionen einen Plan für ihreaußenpolitischen Aktivitäten auf, wie zum Beispielder Autonome Bezirk der Chanten und Mansen46 unddas Gebiet Twer47 für das Jahr 2001. Das Gebiet Kirowverabschiedete sogar eine Konzeption seiner außen-politischen Aktivitäten bis zum Jahr 2005 und derenUmsetzung im Jahr 2001.48 Demzufolge hat für dasGebiet Kirow die internationale Zusammenarbeit mitden GUS-Ländern Priorität, und so wurden mitGebieten dieser Länder Kooperationsabkommengeschlossen. Auch mit den baltischen Republiken,besonders mit Lettland, will das Gebiet Kirow diedurch den Zerfall der Sowjetunion unterbrochenenKontakte wieder beleben. Zudem arbeitet das GebietKirow mit 15 EU-Ländern zusammen, will seine Koope-ration mit Indien und China fortsetzen, seine freund-schaftlichen Kontakte zum Iran und zu Libyen bei-behalten und seine Beziehung zu Vietnam, Südkorea,Japan und zu afrikanischen Ländern ausbauen.

Im Widerspruch zum Kreml

Manche Föderationssubjekte stört es nicht, wenn siebei der Verfolgung ihrer Interessen gelegentlich dieAußenpolitik Moskaus konterkarieren: 1993 führteder damalige Gouverneur von Primorje, JewgenijNasdratenko, ein Visasystem für die Einreise in seinGebiet ein, in dessen Folge mehr als 100 000 illegalechinesische Einwanderer des Landes verwiesenwurden. 1994 forderte er die Annullierung derzwischen Rußland und China bestehenden Verein-barung über die Demarkation des Ostabschnitts derrussisch-chinesischen Grenze von 1991, die damalsallerdings von der Sowjetunion unterzeichnet wordenwar. Der Gouverneur kritisierte, daß infolge derVereinbarung Gebiete von großer wirtschaftlicher und

43 Krasnojarskij rabočij, 20.2.1998.44 Utro Rossii (Vladivostok), 20.3.1998.45 Kuzbass (Kemerovo), 28.4.1998.46 Datenbank: Integrumworld.47 Datenbank: Integrumworld.48 Tovar-den�gi-tovar, No. 25 vom 27.7.2001, No. 26 vom3.8.2001, No. 27 vom 10.8.2001.

strategischer Bedeutung an China abgetreten wordenseien.49 Jelzin kündigte die Vereinbarung mit Chinanatürlich nicht, sondern versuchte � damals aller-dings vergeblich �, den Gouverneur abzusetzen. Nachdem Inkrafttreten des Grenzvertrags organisierte Nas-dratenko sogar eine Unterschriftensammlung, um einregionales Referendum gegen diesen Vertrag zuerreichen.

1997 nahmen die Republiken Baschkortostan, Dage-stan, Sacha und Tatarstan sowie einige Gebiete amKongreß der Turkvölker in Istanbul teil und stimmtendem Schlußdokument zu, das formal die TürkischeRepublik von Nordzypern anerkannte und damit derLinie des russischen Außenministeriums wider-sprach.50

Im März 2000 fand in Maikop, der Hauptstadt derRepublik Adygeja, eine Konferenz des Koordinierungs-rats der Volksbewegungen des Nordkaukasus statt, andem auch offizielle Vertreter der nordkaukasischenRepubliken teilnahmen. Im Rahmen der Konferenzwurden internationale Organisationen aufgerufen,Vertretungen im Nordkaukasus zu eröffnen.51 Darüberhinaus erkannte die Republik Baschkortostan dieislamische Provinz Abchasien als Staat an, die sich ineinem Sezessionskrieg mit Georgien befindet. Nachdem Völkerrecht und in der Sicht Moskaus ist dieProvinz aber Teil Georgiens.52

In der ersten Jahreshälfte 2000 wurde auf Initiativedes Präsidenten der Republik Adygeja, Aslan Dshari-mow, in Maikop eine weitere internationale Konfe-renz unter Beteiligung der Präsidenten der nordkau-kasischen Republiken durchgeführt. Sie diente derVorbereitung des Treffens Putins mit dem HohenVolkskomitee Libyens für Auswärtige Beziehungenund internationale Zusammenarbeit im Juli 2000 inMoskau. Zugleich eröffnete in Adygeja die libyscheOrganisation Islamic Call eine Vertretung, die den isla-mischen Fundamentalismus propagiert.

Bereits im Sommer 1999 nahm in der RepublikDagestan das Caucasus Center seine Tätigkeit auf. Es

49 Klaus Fritsche/Gudrun Wacker, Keine »dritte Front« für Ruß-lands Außenpolitik. Droht ein neuer chinesisch-russischerGrenzkonflikt?, Köln 1995 (Aktuelle Analysen des BIOst,Nr. 28/1995); De Spiegeleire, Gullivers Fäden, S. 170.50 Paul Goble, Diplomacy within Russia, in: RFE/RL Newsline,2 (20.7.1998) 137, Part I, S. 7f; Newly Elected GovernorsGrapple with Moscow, Regional Problems, in: IEWS RussianRegional Report. Internet Edition, 3 (15.1.1998) 2, S. 11f.51 Chirikova/Lapina, Regional Elite: A Quiet RevolutionRussian Scale, S. 44.52 Makarychev, Islands of Globalization: Regional Russia andthe Outside World, S. 31.

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Der Sonderfall der Stadt Moskau

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wird von Saudi-Arabien unterstützt und verbreitet denWahabismus.53 Eine Sonderrolle spielt die nach Unab-hängigkeit strebende Republik Tschetschenien, auf diehier jedoch nicht eingegangen werden soll.54

Bei den außenpolitischen Aktivitäten spielen gele-gentlich auch nationalistische Elemente eine Rolle. Sowurde der nationalistische Gouverneur von Kras-nodar, Nikolaj Kondratenko, vom damaligen jugo-slawischen Präsidenten, Slobodan Milo�ević, zur Beob-achtung der Präsidentenwahl nach Jugoslawien ein-geladen.55

Selbständige internationale Kontakte, die nicht mitdem Außenministerium koordiniert wurden,56 stoßenin Moskau nicht gerade auf Begeisterung, weil derKreml darin das Bestreben der Föderationssubjekteerkennt, sich vom Zentrum zu lösen. Um diesegelegentlich chaotische Entwicklung wenigstenseinigermaßen in den Griff zu bekommen, wurde 1994beim russischen Außenministerium ein »Kon-sultativrat der Föderationssubjekte für internationaleund außenwirtschaftliche Beziehungen« eingerichtet,der zunächst vom jetzigen Außenminister IgorIwanow geleitet wurde57 und inzwischen vom erstenstellvertretenden Außenminister Aleksandr Awdejewgeleitet wird. Der Konsultativrat arbeitete eine Reihenormativer Grundsatzdokumente aus, wie Standard-bestimmungen für Handels-, Wirtschafts-, Wissen-schafts- und Kulturabkommen, Modalitäten für die

53 Chirikova/Lapina, Regional Elite: A Quiet RevolutionRussian Scale, S. 45.54 Anfang August 1998 besuchte der tschetschenischePräsident Aslan Maschadow die USA. Am 9. August 1998erklärte er in einem Interview, daß Tschetschenien seineBeziehungen zur Außenwelt mit Rußland absprechen werdeund bereit sei, mit Rußland einen gemeinsamen Wirtschafts-und Verteidigungsraum zu bilden. Doch zugleich bezeich-nete es Maschadow als wichtigstes Ziel seines Landes, ein Völ-kerrechtssubjekt zu werden. Sein damaliger AußenministerMowladi Udugow kündigte Ende Juni 1998 an, daß Tsche-tschenien einen Antrag auf Aufnahme in die VereintenNationen stellen werde. Später führte Tschetschenien Ver-handlungen mit mehr als zehn Staaten über die Aufnahmediplomatischer Beziehungen. Im Januar 2000 bereisteschließlich der tschetschenische Außenminister IljasAchmadow die USA.55 Chirikova/Lapina, Regional Elite: A Quiet RevolutionRussian Scale, S. 45.56 Vgl. dazu: Vladimir Shlapentokh/Roman Levita/MikhailLoiberg, From Submission to Rebellion. The Provinces versusthe Center in Russia, Boulder, Col.: Westview Press, 1997,S. 141.57 Jeronim Pertović, Internationalization of Russian Regionsand the Consequences for Russian Foreign and SecurityPolicy, Zürich 2000, S. 39.

Unterzeichnung solcher Abkommen sowie derenAbstimmung mit den föderalen Behörden.

1995 arbeitete das Außenministerium ein Statut fürdie Vertretungen der Föderationssubjekte im Auslandaus,58 1996 wurde eine Abteilung für Verbindungen zuden Föderationssubjekten, zum Parlament und zu dengesellschaftspolitischen Organisationen geschaffen.

Um die außenpolitischen Initiativen der Regionenbesser kontrollieren und nötigenfalls rechtzeitigbremsen zu können, richtete das Außenministeriumin 20 Föderationssubjekten Vertretungen ein, wie zumBeispiel im Gebiet Kaliningrad,59 das heute alsrussische Enklave von Litauen und Polen umgeben ist.Doch diese Einrichtungen zeitigen nicht selten einegegenteilige Wirkung: Der Repräsentant des Außen-ministeriums in Kaliningrad vertritt eher die Inter-essen der Region gegenüber Moskau als umgekehrt,denn er ist in bezug auf Wohnung, Versorgung undPersonal völlig vom Republikspräsidenten bzw. Gou-verneur abhängig.60

Gelegentlich hat Moskau Verträge, die von denFöderationssubjekten abgeschlossen wurden, annul-liert, wie zum Beispiel 1995 den Vertrag zwischendem Gebiet Kaliningrad und Litauen. Ähnlichesgeschah mit einem direkten Abkommen, das einerussische Region mit dem zu Georgien gehörigenAbchasien geschlossen hatte und das eine offizielleBeschwerde Georgiens bei der russischen Regierungauslöste.61

Der Sonderfall der Stadt Moskau

Die russische Hauptstadt, die den Rang eines Födera-tionssubjekts innehat, stellt im Hinblick auf ihreaußenpolitischen Beziehungen einen Sonderfall unterden Regionen dar. Im Gegensatz zum damaligenrussischen Präsidenten Jelzin bemühte sich derMoskauer Oberbürgermeister Jurij Lushkow darum,das Verhältnis zu den ehemaligen Sowjetrepublikenzu pflegen. So unterzeichnete Lushkow 1995 und 1996mehrere Vereinbarungen über die Lieferung von weiß-

58 Segodnja, 26.8.1995.59 Vgl. dazu: Heinz Timmermann, Kaliningrad: Eine Pilot-region für die Gestaltung der Partnerschaft EU�Rußland?,unveröffentlichte Studie, Berlin: Stiftung Wissenschaft undPolitik, August 2001 (S 23/01).60 Regiony protiv centra [Regionen versus Zentrum], in:Me�dunarodnaja politika; http://germany.org.ru/ru/library/internationale-politik/2000-05/article10.html.61 De Spiegeleire, Gullivers Fäden, S. 172.

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Die Föderationssubjekte

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russischen Bussen für den Moskauer Kommunal-verkehr. Damit wollte er den weißrussischen Präsi-denten Lukaschenko während der Verfassungskriseund dessen undemokratischen Vorgehens gegen Parla-mentsabgeordnete unterstützen. Die Solidaritäts-bezeugungen für Lukaschenko gipfelten im BesuchLushkows im Dezember 1995 in Minsk.

Darüber hinaus förderte Lushkow den Bau vonrussischsprachigen Schulen in den Baltischen Repu-bliken und den Druck von russischsprachigen Schul-büchern. Zugleich sprach er sich dafür aus, durchAbspaltung von Moldawien eine mehrheitlich vonRussen bewohnte Republik Dnestr zu gründen.

Dem Kreml warf Lushkow vor, die Russen auf derKrim zu vernachlässigen. Er stellte den rechtlichenStatus der Krim in Frage, die Chruschtschow 1954 derUkraine geschenkt hatte, ohne daß der Oberste Sowjetder UdSSR dies gebilligt hatte. Lushkow unterstütztedie Autonomiebestrebungen der mehrheitlich russi-schen Bevölkerung auf der Krim in politischer undwirtschaftlicher Hinsicht.

Und schließlich kritisierte Lushkow die Aufteilungder Schwarzmeerflotte zwischen Rußland und derUkraine und erklärte, daß die Krim und Sewastopolrussisch seien. Im Dezember 1996 initiierte er einHearing über den Status von Sewastopol, in dessenFolge eine Kommission eingesetzt wurde, die einenRechtsakt über Sewastopol vorbereiten sollte. Mitdiesem Dokument sollte dem für die Schwarzmeer-flotte wichtigen Hafen ein Sonderstatuts zuerkanntwerden. Bereits seit den 90er Jahren baut Lushkow fürdie Schwarzmeerflotte Kindergärten, Schulen undWohnungen in Sewastopol. Er ließ das Haus der Offi-ziere, das Rehabilitationszentrum für die Veteranendes Zweiten Weltkriegs, das Marine-Hospital und dasHauptquartier der Schwarzmeerflotte renovieren bzw.neu bauen.62 Konsequenterweise stimmte er am17. Februar 1999 im Föderationsrat gegen den Vertragüber Freundschaft, Zusammenarbeit und Partner-schaft zwischen Rußland und der Ukraine. LushkowsOpposition zur Außenpolitik des Kremls kam nichtzuletzt in seiner scharfen Kritik an der im Jahre 2000eingeführten Visapflicht für Georgier zum Ausdruck.

Lushkow, der vor einiger Zeit Ambitionen auf dasPräsidentenamt hatte und in seiner Hoffnung auf dieBerufung zum Premierminister enttäuscht wurde,baute seine ausländischen Kontakte immer weiter aus.

62 Oleg B. Alexandrov, The City of Moscow in Russia�s Foreignand Security Policy: Role, Aims and Motivations, Zürich 2001,S. 27�30.

So reiste er nach Österreich, Frankreich, Schweden,Italien, Deutschland, Finnland und in die Slowakei,wo er Gespräche mit wichtigen Politikern, Partei-führern und Oberbürgermeistern anderer Hauptstädteführte. Außerhalb Europas besuchte er Kanada, dieMongolei, Südkorea, Japan, China, Indien und Süd-afrika. 1999 empfing Lushkow 25 offizielle auslän-dische Delegationen. Zudem fanden im Laufe jenesJahres über 250 Begegnungen zwischen Mitgliedernder Moskauer Stadtregierung und ausländischenPolitikern bzw. Wirtschaftsvertretern statt, unteranderem aus den USA, Großbritannien, Deutschland,der Türkei, Jugoslawien, Israel und Kanada. Mehr als140 Delegationen der Stadt Moskau nahmen an inter-nationalen Konferenzen, Seminaren und Städte-begegnungen teil.

Alleingänge in der Sicherheitspolitik?

Auch im Bereich der Sicherheitspolitik versuchen dieFöderationssubjekte Profil zu zeigen. Im Juli 1998 botder Gouverneur der großen sibirischen Region Krasno-jarsk, Generalleutnant a.D. Aleksandr Lebed, in einemoffenen Brief an den damaligen Regierungschef SergejKirijenko an, einer in seinem Gebiet stationierten undmit Raketen ausgerüsteten Division den seit fünfMonaten ausstehenden Lohn zu zahlen und denzukünftigen Sold regelmäßig zu entrichten; im Gegen-zug sollten diese Streitkräfte der Region unterstelltwerden.63 Natürlich wurde dieses Ansinnen von derRegierung zurückgewiesen.

Dies zeigt, wie weit manche Gouverneure zu gehenbereit waren und daß die Regionalisierung sogar dieSicherheitspolitik zu erfassen drohte. Zwar hat es seit-her keine ähnlichen Angebote gegeben, zumal Putindafür sorgte, daß sich die soziale Lage der Soldatengegenüber den späten Jelzin-Jahren verbesserte. Aberes läßt ahnen, was passieren könnte, wenn sich diesoziale Lage in den Regionen drastisch verschlechternund die Zentralregierung gleichzeitig empfindlichgeschwächt würde: Aus Sicht einiger Präsidenten oderGouverneure wäre eine Zersplitterung der Armeedenkbar, obwohl sie über Nuklearwaffen verfügt.

63 Financial Times, 25./26.7.1998; Nezavisimaja gazeta,28.7.1998; Die Zeit, 30.7.1998. Lebed-Interview, in: DerSpiegel, 52 (1998) 36, S. 136.

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Gewünschte Mitwirkung der Regionen

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Gewünschte Mitwirkung der Regionen

Manchmal handeln die Regionen auch als Vertreterder Moskauer Zentrale. So unterzeichnete der Präsi-dent der Republik Sacha, Michail Nikolajew, imFebruar 1995 das Abkommen Rußlands mit Südkoreaüber wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ebenso vertratSacha als Hauptproduzent von Diamanten Moskau beientsprechenden Verhandlungen.

Die Regionen üben gelegentlich einen indirektenEinfluß auf die zentrale russische Außenpolitik aus,wie etwa bei der vertraglichen Festlegung der russisch-chinesischen Grenze. An der Erarbeitung der russi-schen Verhandlungsposition wirkten die betroffenenRegionen indes direkt mit, wobei der bereits erwähnteehemalige Gouverneur von Primorje, Nasdratenko,dabei allerdings auf Konfrontationskurs zum rus-sischen Außenministerium und den meisten in derKommission vertretenen Gouverneuren ging.

Im Fernen Osten werden die Regionen bei Verhand-lungen mit Korea, China und Japan bezüglich derFischereizone sowie bei der Bekämpfung der illegalenEinwanderung von Chinesen hinzugezogen. DieGebiete Leningrad und Pskow gestalteten die Bezie-hungen Rußlands zu Estland mit. Ähnlich wird beider Lösung der Probleme verfahren, die sich aus dergeographischen Lage Kaliningrads ergeben.64

Schließlich berieten die Vertreter einiger Repu-bliken das Außenministerium bei der Vorbereitungvon Verträgen mit Finnland (Republik Karelien) undZypern (Kraj Krasnodarsk).65

Einschätzung

Der Überblick über die außenpolitischen Aktivitätender Regionen belegt, daß während der RegierungszeitJelzins in der russischen Außenpolitik mit mehrerenStimmen gesprochen wurde. Unter Putin ist das, vongelegentlichen Ausnahmen (Moskau und der Kauka-sus) abgesehen, nicht mehr der Fall. Die einstigeaußenpolitische Vielstimmigkeit trug jedoch auf ihreWeise zur Stärkung des russischen Föderalismus bei.66

64 De Spiegeleire, Gullivers Fäden, S. 173.65 Regiony protiv centra [Regionen versus Zentrum], in:Me�dunarodnaja politika; http://germany.org.ru/ru/library/internationale-politik/2000-05/article10.html.66 Vgl. dazu: Sergej Borisov, Vne�nepolitičeskaja dejatel�nost�rossijskich regionov kak atribut ich političeskoj samoidenti-fikacii [Außenpolitische Tätigkeit der russischen Regionen alsAttribut ihres politischen Eigenbildes], in: Moskovskij Centr

Umgekehrt gilt: Die außenpolitischen Kontakteund Verbindungen der Föderationssubjekte in denGrenzregionen dienen nicht selten auch dem Außen-ministerium, das die regionalen Repräsentanten zuBeratungen hinzuzieht oder die regionale grenzüber-schreitende Zusammenarbeit nutzen kann, um dieBeziehungen Rußlands zum betreffenden Nachbar-staat (z.B. Finnland) zu verbessern.

Die regionalen außenpolitischen Aktivitäten för-dern die Öffnung Rußlands. Bei einem Netz vonaußenpolitischen Beziehungen der Regionen dürfte esdem Kreml schwerer fallen, Rußland wieder auf Kon-frontationskurs gegenüber dem Westen zu bringen.

Karnegi[Carnegie Moscow Center] (Hg.), Čto chotjat regionyRossii? [Was wollen die Regionen Rußlands?], Moskau 1999,S. 12�25.

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Fazit

SWP-BerlinStaatliche Akteurerussischer AußenpolitikMärz 2002

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Fazit

Die wichtigsten staatlichen Akteure der russischenAußenpolitik werden von der Verfassung bestimmt:der Präsident, das Außenministerium und das Parla-ment. Darüber hinaus wirken weitere Akteure amaußenpolitischen Entscheidungsprozeß mit, ohne daßdie Verfassung sie in dieser Funktion erwähnt: derSicherheitsrat, das Verteidigungsministerium, derAuslandsnachrichtendienst und gelegentlich zusätz-liche Regierungsbehörden, wie zum Beispiel dieMinisterien für Kultur oder für Energie. In welchemMaße welche staatlichen Organe im aktuellen außen-politischen Entscheidungsprozeß welchen konkretenEinfluß ausüben, konnte hier nicht erörtert werden,weil das die Teilnahme an diesem Prozeß voraus-gesetzt hätte. Aufgrund der schmalen Informations-basis kann nur gelegentlich gezeigt werden, welcheRolle welches staatliche Organ spielte.

Bemerkenswert ist, daß zum ersten Mal in derrussischen Geschichte auch die Regionen in denaußenpolitischen Entscheidungsprozeß eingebundensind. Zum einen geschieht das über den Föderations-rat, auch wenn sich der Einfluß der Regionen durcheine von Putin vorgenommene organisatorische Neu-ordnung des Förderationsrats abgeschwächt hat. Zumzweiten nahmen sich die Regionen in der Jelzin-Zeitdas Recht zu außenpolitischen Aktivitäten heraus, diesich an ihren regionalen Interessen orientierten undnicht immer im Sinne Moskaus waren. Unter Putin istvon dieser Vielstimmigkeit kaum noch etwas zumerken. Möglicherweise ist die einheitlichere Außen-politik eine Folge des noch unter Jelzin ausgearbeite-ten Gesetzes über die Koordinierung der internatio-nalen und außenwirtschaftlichen Beziehungen derFöderationssubjekte, das 1999 in Kraft trat.

Nichtstaatliche Mitspieler in der russischen Außen-politik wurden im Rahmen dieser Studie nicht unter-sucht, auch wenn sie hinter den Kulissen wahrschein-lich manchmal größeren Einfluß auf den Entschei-dungsprozeß nehmen als manche staatliche Akteure.Hier sei nur auf die großen Energieriesen Gaspromoder Lukoil hingewiesen.67

67 Vgl. dazu: Hans-Henning Schröder, Unternehmer undFinanzgruppen als Kräfte in der russischen Außenpolitik,in: Osteuropa, 51 (2001) 4/5, S. 393�407.

Die dominante Rolle des Präsidenten im außenpoli-tischen Entscheidungsprozeß ist von der Verfassunggewollt und wird von Putin auch ausgefüllt. Der großeEinfluß des Präsidenten auf die Außenpolitik erweistsich gerade jetzt als wichtig, wo Putin sich um eineAnnäherung Rußlands an die USA und den Westenbemüht. Vor allem unter dem jetzigen AußenministerIgor Iwanow, von dessen baldiger Ablösung in Moskauschon seit einiger Zeit gesprochen wird, spielt dasAußenministerium fast nur noch die Rolle eines Erfül-lungsgehilfen. Die in der Spätphase Jelzins in regel-mäßigen Abständen zu hörenden Rufe nach einerÄnderung der Verfassung68 sind inzwischen ver-stummt. Daher kann davon ausgegangen werden, daßdie Verfassung in absehbarer Zeit nicht geändert wirdund der Präsident das bestimmende außenpolitischeMachtorgan in Rußland bleibt.

Abkürzungen

ABM Anti-Ballistic MissileAPEC Asia-Pacific Economic CooperationBIOst Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und inter-

nationale StudienEU Europäische UnionFAPSI Federal�naya Agenstvo Pravitel�stvennoy Svayazi i

Informatsii (Federal Agency for GovernmentCommunications & Information)

FSB Federal�naja Slu�ba Bezopasnosti (Föderaler Sicher-heitsdienst)

GUS Gemeinschaft Unabhängiger StaatenIEWS Institute for East West Studies (New York)KGB Komitet Gosudarstvennoj Bezopasnosti (Komitee für

Staatssicherheit)KPdSU Kommunistische Partei der SowjetunionKPRF Kommunistische Partei der Russischen FöderationLDPR Liberal-Demokratische Partei RußlandsRFE Radio Free EuropeRL Radio LibertySTART Strategic Arms Reduction TalksSWR AuslandsnachrichtendienstZK Zentralkomitee

68 Vgl. dazu: Eberhard Schneider, Verfassungsreform inRußland?, Köln 1998 (Aktuelle Analyse des Bundesinstitutsfür ostwissenschaftliche und internationale Studien,Nr. 48/1998).