(eBook - German) Schmidt, Arno - Atheist Allerdings (1957)

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Arno Schmidt

Atheist?:Allerdings!

Erstveröffent lichung in »Was halten Sie vom

Christentum?« H erausgegeben von KarlheinzDeschner, München, 1957

© 1984 by Arno Schmidt Stiftung BargfeldISBN 3 251 50001 5

Text abgeschrieben und Cover der Haffmans‘ Ausgabe nachempfunden

 párduc 2002

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1. Es ist wieder einmal hohe Zeit, dem Christentumzu bedeuten, was ein Unbefangener von ihm hält; heu-te, vor einem Rundhorizont von Synoden und Gott-

suchern, Schattengestalten mit scholastisch gerunzeltenWolkenstirnen, unfehlbar, mißbilligend, bejahrt, seitkurzem auch wieder »H err der H eerscharen« : Ich habees tragen müssen, der ihr Koppel : »Gott mit Uns« hießes sechs Jahre lang auf meinem unschuldigen Bauch :Da will ich doch einmal betonen, daß es nicht auch au

meinem Kopf stand!

2. Meine Antwort auf die Frage »Was halten Sie vonChristentum?« lautet also : »N icht sonderlich viel!« –

3. Die (mir) zureichenden Begründungen sind von

dreierlei Art : einmal die Fragwürdigkeit der Stiftungs-urkunde (also der Bibel; wer hier schon zuckt, lesenicht erst weiter). / Dann die (mir) ungenügende Per-sönlichkeit des Jesus von N azareth. / Endlich die Be-trachtung der Auswirkungen des Christentums in sei-nem Machtbereich (und außerhalb : the white man’sburden) während der verflossenen zwei Jahrtausende. / 

Avant i! :

4. Solange man als die reinste Q uelle »Gött licherWahrheit«, als heilige Norm der »Vollendetsten Moral« ,als Grundlage von Staatsreligionen ein Buch mit mildegerechnet, 50 000 Textvarianten (also pro Druckseite

durchschnittlich 30 strittige Stellen!) proklamiert ; dessenInhalt widerspruchsvoll und oft dunkel ist; selten auf 

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das außerpalästinensische Leben bezogen; und dessenbrauchbares Gute (schon vor ihm und zum Teil besserbekannt) auf unhaltbaren Gründen eines verdächtig-

finsteren theosophischen Enthusiasmus beruht : so-lange verdienen wir die Regierungen und Zustände, diewir haben!

Die Theologen wollen mit Gewalt aus der Bibel einBuch machen, worin kein Menschenverstand ist. DieH aare stehen einem zu Berge, wenn man bedenkt, was

für Zeit und Mühe auf ihre Erklärung gewendet wordenist; und was war am Ende, nach Jahrtausenden, der je-dem Unbefangenen von vornherein selbstverständlichePreis all der Bemühungen? : kein anderer als der : DieBibel ist ein Buch, von Menschen geschrieben, wie alleBücher. Von Menschen, die etwas anders waren als wir,

weil sie unter etwas anderen Bedingungen lebten, die inmanchen Stücken unverkünstelter waren als wir, dafüraber natürlicherweise auch sehr viel unwissender. Daßsie also ein normales Buch ist, worin manches Wahreund manches Falsche, manches Gute und manchesSchlechte, enthalten ist. Je mehr eine Erklärung dieBibel zu einem ganz gewöhnlichen Buch macht, desto

besser ist sie; und all das würde auch schon längst ge-schehen sein, wenn nicht unsere Erziehung, unsereunbändige Leichtgläubigkeit und die »gegenwärtigeLage der Dinge« dem entgegen wären.

N ur diese aus H underten von Beispielen, die mandem gesunden Menschenverstand und der heranwach-

senden Jugend, ich weiß nicht , ob zur Bildung oderVerwirrung, in die H ände gibt:

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Lot treibt in sinnloser Betrunkenheit Blutschande mitden eigenen Töchtern : das war der frömmste Mannseiner Stadt! / Joseph, das schmeichelnde Schoßkind

wird ägyptischer Minister, durch eben das fragwürdigeTalent, das er im H ause seines Vaters gebildet hat. Erlegt in den fetten Jahren Magazine an: sehr lobenswert!Was aber tut er später damit? Rettet er das verhungern-de Land, »in Frieden und Freiheit«, und wird seinWohltäter? – Um es mit einem Wort zu sagen :  Er 

bringt es in Sklaverei! Erst muß man ihm Wucherpreisefür sein Korn bezahlen; dann bringen die Einwohnerihre arm-sonstige H abe; dann verschleudern sie ge-zwungenermaßen ihre Grundstücke; zuletzt verkaufensie sich selbst zur Knechtschaft : » Die Rede gefiel Pha-rao und seinem Kabinette wohl« : Das ist doch einmal

ein Finanzminister! Mir ist in den Annalen der Mensch-heit kaum ein größerer Bube bekannt!! : Und der wirdaufgestellt, der Jugend und dem gläubigen Volke zumVorbild?? Meint man denn, wir hätten keine Augen undO hren mehr?! / Saul der hohe, großmütige, königlicheMann, wird verworfen, weil er dem Propheten Samueldie Amalekiter nicht genug »würgt«; auch nicht genau

nach Vorschrift würgt. Freilich ist da der Knabe Isaispriesterfolgsamer; er, der die Weiber verführt; weit-blickend die 7 Prinzen des früheren Königshauses be-seitigt; die toten Feinde unten rum skalpiert, und dienoch Lebenden »unter eisernen Sägen und Zacken leg-te, und eiserne Keile, und verbrannte sie in Ziegelöfen«

– dafür wird er dann aber auch als »Mann nach demH erzen Gottes« bezeichnet : der H immel behüte mich,

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daß ich je ein Mann nach dem H erzen Gottes werde!!Ist das erschauernd »von Gott diktiert« oder ’ne

simple briefliche Mitteilung, wenn Paulus schreibt :

»Den Mantel, den ich bei Troas in Karpus gelassen,bringe mir bitte mit, ebenso die Bücher.«?

Bei heutigen Schriftstellern ist man mit gerichtlicherVerfolgung »wegen Pornographie, Gotteslästerung undanderem« rasch bei der H and; zumal wenn das betref-fende arme Luder nicht Mitglied der gerade jeweils

herrschenden Partei sein sollte : Warum aber schreitetman dann nicht auch gegen Schilderungen ein, wie sie

 jedes Jahr millionenfach in allen Kultursprachen ver-breitet werden, Schilderungen, in denen, mehr als bei

 jedem modernen Realisten, oben »junge Brüste steif«werden und unten »H aare kräftig sprießen«. Und alles

wird ausgiebig betastet von Liebhabern, merkwürdiger-weise »insgesamt wie O ffiziere anzusehen«, von »Buh-len, die Glieder hatten wie Esel und Samenerguß wie dieH engste« und »die Adern ihrer Scham starren wieÄste« … Eltern holt die Kinder rein! (denn auch »sym-bolische oder kultische Unzucht« bleibt, wenn man mitdem Begriff schon literarisch und strafrechtlich zu ma-

nipulieren gedenkt, Unzucht! O der ist das »naturalianon sunt turpia« etwa nur christliches Privileg? UndGoethe und H emingway sind Schweine?)

Muß ich noch erwähnen, daß man aus ein und dersel-ben Bibel gleichwertige Argumente und Beispiele holenkann : für und wider Krieg und Frieden, / für Einehe

und Polygamie; (und was gibt es da für göttlich geneh-migte Finessen : Sadika- und Leviratsehe; Brautraub

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und -kauf; Sklavinnen, Konkubinen und »Ehen auf Zeit« – mehr als im rötesten Rußland!) / fürorientalisch-anmutigste Lüsternheit ebenso wie für

Selbstkastrierung der Skopzen; / »in coena domini«verflucht man sich gegenseitig periodisch, / die Mor-monen nennen sich Christen und belegen es mit sovielen Bibelzitaten, daß einem der Kopf schwindelt; / dazu die endlosen inneren Widersprüche, auch derEvangelien, à la »Wolffenbüttler Fragmente« : da kann

doch wohl von einer »einfachen, selbstverständlichen,leicht faßlichen Wahrheit« nicht die Rede sein! (und ichwarne hier gleich einmal alle »ernsthaften Bibelfor-scher« vor den kursierenden Ü bersetzungen! Aus Lu-thers hochpoetischer reizendfalscher »N achthütte inden Kürbisgärten« wird im Urtext ein waidmännisch-

sachlicher »Jagdhochstand in den Gurkenfeldern«; undso fort, bis in die heiligsten Definitionen hinein. Also :cave!) (N icht daß man in meiner H andbibliothek keineBibeln finden würde : Ich lese das »Groß wüst Buch«,den »Schlüssel von Sankt Peter« durchaus; wer dürftedas auch unterlassen, angesichts der immer merkwürdi-gen globalen Wirkung, die es hatte? Aber ich lausche

seinen Stimmen, den lieblichen und vergaunerten, le-diglich historisch-literarisch; wie all den andern heiligenRufern auch : dem Steinmaulgeklappe des Gilgamesch,den feurigen Bässen des Koran, dem schuldigen Weis-heitsgewäsche Buddhas [und »Candide« und der »Tri-stram Shandy« sind mir, ich gestehe es frei, lieber, auch

Shakespeare oder Don Q uijote, selbstverständlich].)

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5. Die Persönlichkeit des Mannes, nach dem sichimmerhin 30 Prozent der Menschheit nennen, genügtmir nicht! –

Was würden wir heute sagen, wenn ein junger Mannaus irgendeinem unbedeutenden Zwergstaat käme; ei-nem der immer wieder vorhandenen und nicht nur»wirtschaftlich unterentwickelten« O stgebiete, keinerder großen Kultursprachen mächtig; völlig unbekanntmit dem, was in Jahrtausenden Wissenschaft, Kunst,

Technik, auch frühere Religionen, geleistet haben – undein solcher stellte sich vor uns hin mit den dicken Wor-ten : Ich bin der Weg; und die Wahrheit; und das Le-ben«? Wir müßten’s uns durch einen herbeigerufenenDolmetsch erst noch mühsam aus dem barbarischenDialekt übersetzen lassen – würden wir nicht halb belu-

stigt, halb verständnislos ihm raten : »Junger Mensch :Lebe erst einmal und lerne : und komme dann in 30Jahren wieder!«?

Genau dies aber war der Fall mit Jesus von N azareth: er verstand weder Griechisch noch Römisch, die bei-den Weltsprachen, auf denen seit viel hundert Jahrenalle nennenswerte Kultur beruhte (und beruht!). Er war

mit H omer und Plato ebenso unbekannt wie mit Phidi-as und Eratos-thenes : was ein solcher Mann behauptet,ist für mich von vornherein indiskutabel! Um über et -was aburteilen zu können, muß ich es doch wenigstensvorher untersucht haben! (Er selbst scheint auch imallgemeinen bescheidenere Augenblicke gehabt zu ha-

ben, in denen er einschränkend alle N icht juden für»H unde« erklärte, und : »Ich bin nur gesandt zu den

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verlorenen Schafen von dem H ause Israel« Also : »Vor-über, Ihr Schafe, vorüber«.)

Um die Lückenhaftigkeit der von ihm verkündeten,

angeblich so übermenschlich hohen Moral zu demon-strieren, stehen Vergleiche zu Gebote, wie etwa dieser: Welch bösartig-charakteristischen Kontrast bietetnicht die »evangelische« Geschichte vom »FischzugPetri«, den der H eiland durch ein ausdrückliches Wun-der dermaßen segnet, daß die Boote mit der Beute fast

bis zum Sinken überfüllt werdenS

mit dem Verfahrendes großen H eiden Pythagoras, der den Fischern ihrenZug, während das Netz noch unter Wasser liegt, ab-kauft : und allen geängstigten T ieren die Freiheit schenkt!!

: Wen von diesen beiden könnte man mit Recht einenSohn Gottes nennen? (Von denen es mir überhaupt viel

zu viele gibt : im Altertum kam das in jeder besserenFamilie vor!)Wenn Christus bei solch unvergleichlicher Gelegen-

heit – wo das Wahnsinnsprinzip einer Welt, deren le-bende Wesen dadurch existieren, daß sie einander auf-fressen, handgreiflich vor Augen lag! – wenigstens be-drückt gemurmelt hätte : »Wenn ein Gott diese Welt

geschaffen hat, so möchte ich dieser Gott nicht sein :Ihr Jammer würde mir das H erz zerreißen!« – dann ja!Aber dazu mußte scheinbar erst der »Atheist« Schopen-hauer kommen. (O der, wie Lichtenberg es in ein Ge-heimbuch notierte : »Zu untersuchen, inwieweit Gottaus der Welt erkannt werden kann : sehr wenig : es

könnte ein Stümper sein!«)

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6. Als weitere Kriterienreihe : H at das Christentumdie Summe des Guten / Wahren / Schönen / in der Weltvermehrt?

7. Des Guten? : Wie viel Aufrüstungen, wie viel Krie-ge, wie viel scheußlichste Grausamkeiten hat das Chri-stentum beseitigt oder doch wenigstens verhindert? :im Gegenteil! Es wurde »zureichender Grund« zu neu-en, bis dahin unerhörten Schwerttänzen, wie »Kreuzzü-

ge«, »30jähriger Krieg« oder »Albigenser« : als damalsselbst Soldaten die Besorgnis äußerten, daß mit den»Schuldigen« (= N ichtkatholiken!) Doch vielleichtauch Unschuldige umkommen könnten, tröstete sie derpäpstliche Legat : »Schlagt ihr nur tot! Der H err wirddie Seinigen schon erkennen!« : Völker, hört auch diese

Signale!!»Toleranz«? : predigte man erst, als man nicht mehr»an der Macht« war! Bis dahin hieß es »compelle in-trare«, mit dem Scheiterhaufen als gewichtigstes Argu-ment; ach armer Giordano Bruno! Man erwarte dochnicht, daß ich von einem System mit Ehrerbietung rede,das gegen Lessing Schreibverbote erwirkte : weil er die

Auferstehung als eine Erfindung der Jünger Christierachtete und ihm alle positiven Religionen gleichmäßigverdächtig waren! Ein System, das »Ewige H öllen« alsfundamentale Institutionen vorsieht – was ist denn dieChristenhölle anders als ein KZ, vor allem für abwei-chend Denkende? Man vergleiche doch nur das ab-

scheuliche Dantesche H andbuch für SS-Führer!S

undnoch nicht einmal als theoretisch-jenseitige Einrichtung

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(darüber könnte man ja immer wieder achselzuckendhinweggehen); sondern vor allem als integrierend-dies-seitigen Bestandteil des »Reiches der Liebe«, immer

wieder als Inquisition aller Art auftauchend (auch dieProtestanten haben Ketzer zu verbrennen verstanden;ich erinnere nur an Servet oder die englischen Katholi-kenverfolgungen unter Karl II.) : ein solches Systemsollte jeder anständige Mensch (meines Erachtens) ei-gentlich verabscheuen!

Man muß die politischen H ändel nicht sehr genau,die Kirchengeschichte noch weniger, den GroßenBrehm gar nicht studiert haben, wenn man nicht vorBitterkeit gegen das Christentum werden soll!

8. Des Wahren? : Die Forschung, von Jesus, wie be-

reits nachgewiesen, weder als Methode noch in ihrenauch damals schon längst vorhandenen Einzelgebietenund Ergebnissen gekannt, also auch gar nicht be-rücksichtigt und bestenfalls als »Eitelkeiten« bezeich-net, ist denn auch von allen christlichen Kirchen konse-quenterweise nach besten Kräften verhindert und ge-knebelt worden. Und zwar nicht, wie es menschlicher

Anstand erfordert hätte, mit besseren Kenntnissen wi-

derlegt (woher hätten die bei solcher Einschätzung derWissenschaften auch kommen sollen?); sondern nieder-

geknüppelt!

Der »H eilige Bonifazius«, der hochgerühmte Fällervon Donarseichen – einem bei konsequentem Zu-Ende-

Denken des Verfahrens nicht ganz ungefährliche Prak-tik : H olz bleibt ja schließlich immer H olz! – denun-

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ziert in Rom eifrigst-entrüstet den Bischof Virgiliusvon Salzburg : der, ein – ja, wir würden ja sagen hoch-gebildeter – Mann, hatte nämlich unter anderem auch

angedeutet, daß seiner Überzeugung nach die Erderund sei. Auf die Meldung des erwähnten Denunzian-ten hin erschien Papst Zacharias also : Falls Inculpantbei seiner Verkehrtheit beharre, müsse er des Priester-schmuckes entkleidet und aus der Kirche ausgestoßenwerden! Was damals einer milderen Form es Todes-

urteils gleichkam : und alles nur, weil das oben erwähn-te alte Buch abwechselnd vom Erdkreis und sogar vonden »4 Ecken der Erde« spricht!

Galilei mußte sein bißchen Einsicht vorm Inquisi-tionsgericht abschwören – »O b er dabei gefoltert wurdeoder nicht, sthet noch nicht fest«, bemerkt er christli-

che H istoriker nasenhaft-aktenkundlich dazu : als obdie bloße Möglichkeit nicht schon genügte, einen nochheute die Fäuste ballen zu machen! Aber auch Lutherverwarf die uralte, von uns mit Unrecht »kopernika-nisch« genannte lehre : weil in der Bibel, an der Stelle,wo es steht, Josua die Sonne stillstehen läßt und nicht 

die Erde. Erst 1822 gestattete die Indexkongregation

offiziell den Druck von Büchern, welche die Bewegungder Erde lehren – oh, die Wissenschaften sind von denH erren schon arg gefördert worden! Und wer das N a-mensverzeichnis des katholischen »Index librorum pro-hibitorum« einmal durchblättert, glaubt sich sogleich ineine geistige Ruhneshalle verstzt : Kant steht darauf,

Spinoza, Ranke, Schopenhauer, N ietzsche, Goethe,Sals Radbod, der Friese, sich nach jahrzehntelangem

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Widerstand aus politischen Gründen endlich entschloß,Christ zu werden, und bereits mit dem Fuße im Tauf-wasser stand, fragte er vorher vorsichtshalber noch den

Bischof Wulfram von Sens, wo denn ihre beiderseitigenVorfahren nach dem Tode hingekommen wären? Alsder Bischof selbstbewußt antwortete : seine in denH immel, die  Radbods in die H ölle, sprang dieser so-gleich aus der Taufwanne und rief : »Wo so viele tapfereMänner sind, da will auch ich sein!« – There’s a good

fellow!Was das Christentum auf dem Gebiete der kultur aus

sich selbst zu leisten imstande war, haben wir in dembekannten bleiernen Jahrtausend von 500 bis 1500 zurGenüge gesehen : Die H erren haben ihre Chance über-voll gehabt! Was will all unser armseliges heutiges For-

schen besagen gegen scholastische Untersuchungensolcher Art : In welcher Sprache die Schlange zu Evageredet habe; oder ob der Mensch ewig hätte lebenkönnen, wenn er damals nicht O bst gegessen hätte,oder, noch kniffliger : Wie hätten die ersten Menschensich fortgepflanzt, wenn sie nicht geschlecht lich gesün-digt hätten?

Was das Christentum speziell in Sachen Weltentste-hung und Weltordnung zu geben hatte, sieht amn ausstreng schriftmäßigen Weltbilde Kosmas’ des Indiko-pleustes, das bei rechtgläubigen Theologen fast einJahrtausend lang gegolten hat. O der in unserer Zeit andem 1905 mit Approbation der katholischen Kirche zu

Mainz erschienenen Werk »Die H ölle« des münster-schen Theologieprofessors Dr. J. Bautz. (Und die Pro-

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testanten mögen zum Vergleich ihres Jung-Stillings»Theorie der Geisterkunde« zur H and nehmen; dieSekten Schwedenborg.) U nd der rechte Christ weiß

alles zu erklären : »H öben sich die Augenlider / durchdie Muskeln selbst nicht auf, / sondern sänken immerwieder / – ach man achte doch darauf! – / Wie erbärm-lich würd es lassen, / wenn man sie mit H änden fassen,

 / Und erst aufwärts schieben müßt! / : Merk’s, verruch-ter Atheist!«

Ich fasse zusammen : Fellgekleidete Anachoreten,fuchtelgebärdige, schäumenden Mundes um Dogmen-splitter keifend (oder bestenfalls im Professorenfrack,scholastisch-philologisch auf der Stelle tretend) sindnoch lange keine »Wahrheitssucher«! Und er statt»Gott« dafür auch noch »God, Dieu, Deus, Theos, Jah-

ve oder Elohim« sagen kann, ist deswegen noch längstkein »gebildeter Mann« : im Gegenteil : es ist ein typi-sches Kennzeichen jesuitischer Technik, den Geistdurch übermäßiges Sprachenlernen abzustumpfen!Jeder Arbeiter, der in seiner Muttersprache nachge-dacht hat, ist solchem unergiebigen Buchstabengeplät-scher überlegen.

9. Des Schönen? : Wenn wir Künstler lediglich audie Antriebe und Arbeitshypothesen des Christentumsangewiesen wären : höchste Spitze wären Dosto-

 jewskijfiguren; Menschen ohne Renaissance; sündig-formlos; weichselzöpfige Trolle, Brackwässer des Gei-

stes tretende; in rotten boroughs kauernde; und literari-sche Schwedentrünke vomierend à la : »Es danket DIR

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mit H erz und Mund / die arme, sünd’ge Made. / DEINLeichnamsduft durchweh’ dies H aus, / DEIN Blut be-spreng’ die H erzen …« (ob der betreffende Verfasser

wohl jemals kriegerische Leichenfuder gerochen hat?Ich ja!)

Und man soll mir nicht nur Beschäft igung mit derDichtung vorwerfen können; nicht nur Berufung auf den großen Bruder Goethe, ihn, dem das Kreuz verhaßtwar wie die Wanzen, Rauch des Tabaks, Knoblauch und

H undegebell. Wieviel hat nicht die Kirche den Malernzu verdienen gegeben, was? Die rechte Antwort istlängst gegeben :

»Indem der himmlische Sinn des Guido, sein Pinsel,der nur das Vollkommenste, was geschaut werden kann,hätte malen sollen, Dich anzieht – : so möchtest du

gleich die Augen von den abscheulich dummen, mitkeinen Scheltworten der Welt genug zu erniedrigendeGegenstände verwenden – man ist immer auf demSchindanger! Entweder Missetäter oder Verzückte,Verbrecher oder N arren; wo denn der Maler, um sichzu retten, einen nackten Kerl, eine hübsche Zuschaue-rin herbeischleppt. Unter zehn Sujets nicht eins, das

man hätte malen sollen : und das eine hat der Künstlernicht von der rechten Seite nehmen dürfen. Ein »Jo-hannes in der Wüste«, ein »Sebastian«, wie köstlichgemalt; und was sagen sie? : der Eine sperrt das Maulauf; der Andre krümmt sich!« (Wie hätte Malerei dennauch sonst gedeihen können, wo jahrhundertelang iko-

noklastische Stänkereien ihr oftmals den Boden gänz-lich unter den Füßen wegzogen?!)

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Das Christentum ist nämlich – trotz aller später hin-zuerfundenen »N iederen Mythologie« seiner H eiligen,oder der schüchtern fabulierenden Legenden – künst-

lerisch einfach nicht konkurrenzfähig! N icht gegenüberder Gestalten- und Gedankenfülle der Antike; nichtgegenüber dem Material der Geschichte oder der Na-turwissenschaften – kurz : nicht gegenüber dem vonihm überheblich vernachlässigten, ja verleumdeten, demKünstler aber unentbehrlichen (weil zur Gestaltung

aufgegebenen) Leben schlechthin!(Ich protestiere an dieser Stelle feierlich gegen die

heute unaufhörlich kursierende falsche Wortmünze vonder »christlich-abendländischen Kultur«. Eine »christli-che Kultur« ist, eben wegen der dort grundsätzlichenDiffamierung von Kunst und Wissenschaft, ein Wider-

spruch in sich! Unsere abendländische Kultur, auf Al-tertum und Renaissance beruhend, ist im härtestenKampf gegen die ausgesprochen kulturhemmenden Kräf-te des Christentums entstanden! Also Schluß endlichmit dem klangvoll-widersinnigen Silbenfall!)

10. Ich bin also nicht nur antiklerikal – das ohnehin!

–, sondern auch antichristlich; oder präziser, bedeu-tend-allgemeiner, : antireligiös! Institutionen, die esnicht verschmähen (und nicht verschmähen können),mit den Mitteln des Fanatismus, der Massenbearbei-tung, der Großen O per, also der Tyrannei, zu operie-ren, lehne ich, ebenso wie ihre gleichnamigen politi-

schen Brüder, für mich ab! Ich bekenne mich vorbe-haltlos zur alten, heute bestgeschmähten Aufklärung :

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la lumière sans phrase!Allerdings würde ich nie so weit gehen, einen Gläubi-

gen an Eigentum oder gar Leben zu schädigen – derglei-

chen Praktiken bleiben den Christen überlassen! (»WirH eiden sind tolerant«, hat N ehru einmal stolz gesagt.)

11. Ich resümiere :Die H ierarchie der drei christlichen Großbekennt-

nisse (und der zahllosen kleinen dazu) zehrt borniert

immer noch von jener unzureichenden Begründung, dievor 2000 Jahren dem geistigen Mittelstande gerade an-gemessen war. Seitdem wird mit der wachsenden Er-kenntnis in jedem Jahrhundert und jedem einzelnen derUnwille immer größer, über den unheilvollen Riß zwi-schen der anerkannten N otwendigkeit gütiger Liebe,

und jener unentwegt-schamanenhaften Begründungdafür. Ein Dritt eil der Schuld an unserer verzweifeltengeistigen und politischen Situation trägt dieser, die mei-sten beruhigende Widerspruch, der edle Menschen(Nietzsche) sogar so weit gebracht hat , daß sie in ge-quältem Zorn dann selbst das Mitleid (die »Grundlageder Moral«) verleumdeten.

Es wäre doch wirklich an der Zeit, die christliche My-thologie mit all ihre Göttern, Halbgöttern, Sehern,H immeln und H öllen (und natürlich auch die rezentenDekorationen) dahin abzustellen, wohin sie historischund wertmäßig gehört : nämlich in die Nähe der rö-mischen und griechischen Etcetera.

Dann ird es ruhiger werden in und um uns.

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12.  Mein Vorschlag : – oder halt erst eine Frage :Widerlegt man einen Gegner, indem man vom Staat –

der freilich an dem »Göttlichen Recht der O brigkeit«

zustärkst interessiert ist! – ein Schreibverbot gegenAndersdenkende erwirkt? Und beklagt sich dann inchristlichen Kreisen, weil es in kommunistischen Lan-den einmal umgekehrt geschieht? Noch ist, halten wirdas immer fest, die Summe der durch das Christentumfrüher und laufend begangenen Verbrechen bzw. Ver-

gehen (und geistigen Vergewaltigungen) um ein Vielfa-ches größer als die der Gegenseite! Eine Religion, dieganze Staaten ausrot tete – die häufigsten O rtsnamen imfernen Mexiko sind noch heute »Mantaza« und »Vitto-ria«, »Sieg« und »Gemetzel« – und auch bei uns 50 Ge-nerationen nach Kräften in geistigen Schlaf versenkte,

verdiente noch ganz andere Behandlung.Aber wieder mein Vorschlag . Wo ist der westlicheStaat, in dem auch die Atheisten volle Bürgerrechtegenießen? Wo entweder der Begriff »Lästerung desAtheismus« ebenso als strafbar eingeführt ist wie jetztder der »Got teslästerung«? (O der vielleicht beide abge-schafft!?)

Wer fragt danach, ob das ewige Glockenläuten, Betenund Choralen meine O hren beleidigt?! (Und ich binhier nichts weniger als der Einzige : Man lese Lichten-berg nach. Gibt denn N iemand die Tatsache zu denken,daß von unserem großen Sechsfachgestirn – Goethe,H erder, Klopstock, Lessing, Schiller, Wieland : nie sah

die Welt gleichzeitig ihresgleichen! –, daß von diesenSechsen nicht einer katholisch war, dafür aber drei – die

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besseren Drei! – erklärte Feinde jeder positiven Reli-gion, deutlicher : des Christentums?!)

Sind wir Atheisten denn Staatsbürger zweiter Klasse?

Darf sich jeder kostümierte Beamte an uns reiben, nurweil ihm »die janze Richtung« nicht paßt? Wo sind un-sere offiziell anerkannten atheistischen Schulen? U nse-re atheistische Presse? Wo unser, wenigstens einer ,atheistischer Rundfunksender? (Während’s im Äthertäglich aus tausend Stationen entsühnt jauchzt und un-

verdaute Stücke von Bibeltexten pausenlos serviert.)Steuern zur Unterhaltung der Kirche gibt es : Wo istder prozentuale Anteil zur Finanzierung des Atheis-mus? Warum muß sich bei uns, im 20 Jahrhundert, im-mer noch jeder, der »vorwärts kommen will«, als »Gott -sucher« gerieren?

Also zum unbestreitbaren Regentenideal : AlexanderSeverus; in dessen Zimmer gleichwertig nebeneinanderdiese Statuen standen . Abraham, O rpheus, Sokrates,Apollonius von Tyana, Christus, und andere mehr! AlsoAbschaffung des Begriffs der »Staatsreligion« : Er ver-gewaltigt die intelligenten Bürger!

13. Atheist?? – : Allerdings!!