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    D. T. Suzuki

    ZAZEN Die bung des Zen

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    DAISETZ TEITARO SUZUKI

    Die bung des Zen

    Grundlagen und Methodender Meditationspraxis

    im Zen

    OTTO WILHELM BARTH VERLAG

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    Essays in Zen Buddhism, First Series

    4. Auflage 1999Einzig berechtigte bersetzung aus dem Englischen von Jochen Eggert.

    Titel des Originals: Essays in Zen Buddhism, First Series.

    Copyright 1953 by the executors of the late D. T. Suzuki.

    Gesamtdeutsche Rechte beim Scherz Verlag, Bern, Mnchen,

    Wien fr den Otto Wilhelm Barth Verlag.

    Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Funk, Fernsehen,

    fotomechanische Wiedergabe, Tontrger jeder Art und

    auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

    Schutzumschlag von Adolf Bachmann.

    Digitalisiert von Xela2

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    INHALT

    Die Praxis der Erleuchtungslehre: Die Entwicklung 7des Zen-Buddhismus von Bodhidharma bis Hui-neng

    Der Ursprung des Zen 11

    Bodhidharma, der erste Patriarch des Zen in China 20

    Von Hui-ko zu Hung-jen 38Hui-neng, der letzte Patriarch 53

    Die Nrdliche und die Sdliche Schule 60

    Von Dhyna zu Zen 67

    Die praktischen Methoden der Zen-Schulung 79

    Zen als religise Kernerfahrung 80

    Jenseits des Denkens 84

    Kein Gegensatz 87

    Ein Schwert, das ttet 92

    Ein Schwert, das leben macht 95Buddha ist Buddha, Zen ist Zen 100

    Keine Erklrung 105

    Direktes Hinweisen 112

    Das Erlernen der Einbrecherkunst 121

    Die Zen-Halle und die Ideale der mnchischen 129

    DisziplinKlosterleben und Zen-Alltag 129

    Freiheit und Demut 143

    Sesshin Sammlung des Herz-Geistes 148

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    Das Ausreifen der Zen-Erfahrung 155

    Geheime Tugend 157

    Armut im Geiste 161

    Worte und Schweigen 168

    Stadien des Zen-Weges: Die Zehn Ochsenbilder 179

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    Die Praxis der Erleuchtungslehre:Die Entwicklung des Zen-Buddhismus

    von Bodhidharma bis Hui-neng

    Es ist hier nicht meine Absicht, eine grndliche wissenschaft-liche Darstellung der Geschichte des Zen zu geben, denn daswrde einiges Wissen ber die Entwicklung des Buddhismusin China voraussetzen, und es drfte dem Leser schwerfallen,sich anhand der in westlichen Sprachen vorliegenden Litera-tur ein solches Wissen zu verschaffen. Der Plan des vorliegen-den Essays wird daher sein, den Leser mit der berlieferten

    Geschichte des Zen vertraut zu machen, so wie sie von seinenAnhngern in Japan und China erzhlt wird. Eine kritischeBetrachtung wird folgen, sobald wir die wichtigsten Voraus-setzungen dafr geschaffen haben.

    Der berlieferte Ursprung des Zen in Indien vor seiner inder Zen-Literatur aufgezeichneten bertragung nach China ist so stark von legendren Elementen durchsetzt, da vongesicherten Fakten hier kaum die Rede sein kann. Aber was

    sollten wir anderes erwarten von einer Zeit, die kritische Un-tersuchungen im modernen Sinne nicht kannte und in derschlichte, fraglose Glubigkeit, insbesondere in religisenDingen, das Bild beherrschte? Vielleicht ist es jetzt zu spt,die Geheimnisse um den Ursprung des Zen in Indien zu lf-ten, auer eben durch Schlufolgerungen von den bekanntenTatsachen her, also aufgrund der allgemeinen Entwicklungs-

    geschichte des Mahyna-Buddhismus in Indien. Nun ist Zen ja, wie wir in einem frheren Essay bereits

    darstellten, das Produkt des chinesischen Geistes, die spezi-fisch chinesische Ausprgung der buddhistischen Erleuch-

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    tungslehre.1 Wenn wir also die Geschichte des Zen erzhlenwollen, knnte es in mancher Hinsicht klger sein, gar nichterst nach Indien zu gehen, sondern in China zu bleiben und

    die Psychologie, die Philosophie und die Lebensumstndedieses Volkes zu betrachten, den Rahmen also, in dem Zen alsdie praktische Interpretation der Erleuchtungslehre zu so er-staunlicher Blte gelangte.

    Dieses Verfahren knnte natrlich bei den FachgelehrtenWiderspruch finden. Wenn Zen, so werden sie argumentie-ren, eine Form des Buddhismus ist, ja sogar dessen Essenz,

    wie seine Anhnger behaupten, so kann man es nicht aus derallgemeinen Geschichte des Buddhismus in Indien herausl-sen. Das ist gewi richtig, doch andererseits drfen wir nichtverkennen, da es Zen in der Form, in der wir es heutekennen in Indien nicht gab. Wenn wir daher ber Chinahinaus nach seinem Ursprung und seiner Entwicklung fragenwollen, bleibt uns nur der Weg, den ich bereits im ersten

    Band dieser Essaysammlung beschritten habe. Das heit, wirmssen Zen als die chinesische Interpretation der Erleuch-tungslehre auffassen, wie sie in der gesamten buddhistischenLiteratur niedergelegt ist, am tiefgrndigsten im Mahynaund mehr oder weniger vorlufig im Hnayna.

    Im Laufe der Zeit trat diese Lehre unter den Anhngern desBuddha immer mehr in den Vordergrund und bestimmte zu-nehmend die weitere Entwicklung des buddhistischen Den-kens denn schlielich war es ja die Erleuchtung, das Erwa-chen, gewesen, durch die Gautama zum Buddha (wrtl.:der Erwachte) geworden war. Mute es da nicht das Anlie-gen der Buddhisten sein, auf dem Weg zur endgltigen Be-freiung in seine Fustapfen zu treten? Die chinesischen An-hnger des Bodhismus2, des Erleuchtungsgedankens, wa-ren jedoch nicht bereit, den Buddhismus einfach in seiner

    1 Siehe D. T. Suzuki: Satori. Der Zen-Weg zur Befreiung, O. W. Barth Verlag,1987.

    2 Dieser Ausdruck soll hier ganz allgemein alle Schulen bezeichnen, welche dieErleuchtungslehre vertreten.

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    indischen Gestalt zu bernehmen. So ging Zen schlielich ausder praktischen Imagination der Chinesen hervor, und sieentwickelten es nach bestem Vermgen zu etwas ihren eige-

    nen religisen Bestrebungen Gemem.Vergleichen wir dieses Zen mit der Erleuchtungslehre, wie

    sie sich im primitiven Buddhismus zu entfalten begann, soscheint eine breite, unberwindliche Kluft zwischen ihnen zuklaffen. Das jedoch ist nicht anders zu erwarten, wenn wir diefolgenden Umstnde bedenken: Am Anfang zgerte derBuddha, das Geheimnis der Buddhaschaft gnzlich zu offen-

    baren, denn die Vollkommene Universale Erleuchtung er-schien ihm als ein zu hohes Ideal fr sterbliche Wesen. Erfrchtete, sie wrden ihn wahrscheinlich gar nicht verstehenund seine Erfahrung unwissentlich und zu ihrem eigenenSchaden beschmutzen. Dachte er nicht sogar nach seiner Er-leuchtung daran, sogleich ins Nirvna einzugehen? Sein gan-zes Leben scheint von diesem Gefhl beherrscht gewesen zu

    sein, das ihn stets zgern lie, die ganze Tiefe der Erfahrungzu enthllen. Das zumindest ist der Eindruck, den uns dieLektre der gamas und Nikyas vermittelt; welche Grndedie Autoren dieser frhen Schriften bewegt haben mgen,den Buddha so darzustellen, wissen wir nicht. Jedenfalls stehtdie Erleuchtungsidee in der Hnayna-Literatur noch nicht sodeutlich im Vordergrund, da sie gleich unsere Aufmerksam-keit fesselt. Aber wie ich schon sagte, wird der Erleuchtungs-gedanke nur scheinbar verdeckt von anderen, weniger zentra-len Ideen und lt sich leicht ans Licht bringen, wenn man diein den kanonischen Schriften dargestellten Ereignisse um dieErleuchtung des Buddha aufmerksam nachvollzieht.

    Die frhen Autoren betrachteten die Vier Edlen Wahrhei-ten oder die Zwlffache Kette des bedingten Entstehens oderden Edlen Achtfachen Pfad als die zentrale Lehre des Bud-

    dhismus, der sie die eher psychologische Theorie desNicht-Selbst (antman) zur Seite stellen. Wenn wir uns aberdas Leben des Buddha vergegenwrtigen und nach der Essenzder Buddhaschaft fragen, werden wir kaum umhinknnen,

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    in seiner Erleuchtung die wichtigste und fruchtbarste Seitedes Buddhismus zu sehen. Deswegen mu es dem Buddhaletztlich wohl doch vor allem darum gegangen sein, den

    Menschen die Erleuchtungslehre zu vermitteln. Jedenfallsaber behielt diese zentrale Idee des Buddhismus auch in denMahyna-Stras ihre spezifisch indische Gestalt, und erst alsBodhidharma sie nach China brachte und sie dort Wurzelnschlug und wuchs, nahm sie die Gestalt an, in der wir sienoch heute als die Zen-Schule des Buddhismus bezeichnen.Wir gehen also am besten davon aus, da die eigentliche Ge-

    schichte des Zen erst in China beginnt. Die indische Erde warzu metaphysisch, zu sehr von schwrmerischer Bildhaftigkeitdurchdrungen, als da Zen in seiner reinen Form dort httegedeihen knnen.

    Buddhaschaft oder Arhatschaft zu erlangen war zwar dashchste Ziel, doch hatte der Buddha dabei eine durchaus

    praktische und am konkreten Leben orientierte Ausrichtung,

    und so sprach er in seinen Lehrreden immer wieder von der Notwendigkeit eines von den Regeln der Moral geleitetenLebens. Auch zeigte er keinerlei Neigung, intellektuelle odermetaphysische Interpretationen der Erleuchtung zu geben sie kann nur erfahren, nicht aber erklrt werden. Nie ver-sumte er es, die Bedeutung der Selbstverwirklichung her-vorzuheben, denn Nirvna oder Erleuchtung ist nur durcheigenes persnliches Bemhen zu erlangen. Die Vier EdlenWahrheiten, die Zwlffache Kette des bedingten Entstehensoder die Lehre vom Nicht-Selbst waren nur intellektuelleLeitlinien fr die Verwirklichung des buddhistischen Lebens.Sie konnten nur dann einen praktischen Sinn haben, wenn sieletzten Endes zur Erleuchtung fhrten.

    Der Buddha htte gewi nie gedacht, da seine Nachfolgerdas Schwergewicht seiner Lehre schlielich in diesen intellek-

    tuellen Strukturen sehen wrden, die nicht fr sich selbst bestehen knnen, sondern nur, wenn sie vom richtigen Geistgetragen sind. Der Achtfache Pfad bot ethische Leitlinien frden Weg zur Erleuchtung, und so hatte ihn der Buddha ge-

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    meint. Alle, die nicht tiefer blicken knnen als bis zur morali-schen Ebene dieser Lehre, werden darin kaum mehr erkennenals eine Erziehung zu ethischem Verhalten. Sie halten den

    Buddhismus einfach fr eine positive Philosophie und seineAnhnger, den Sangha, fr eine Bruderschaft moralischer As-keten. Sie preisen den Buddha als den Stifter einer praktischenReligion, die frei ist von allem metaphysischen Aberglauben,von dem die Religionen nur zu hufig berwuchert werden.Wir wissen jedoch, da diese Anschauungen nicht ganz mitder Lehre des Buddha bereinstimmen, denn sie zeigen uns nur

    eine Seite dieser Lehre, nicht aber die Innenansicht. Wrdendiese Kritiker die Dhyna-Praxis, die Praxis der meditativenVersenkung, mit zum Wesen des Buddhismus rechnen, sowren sie dem Ziel schon etwas nher, denn selbst wenn derErleuchtungsgedanke dann noch nicht ganz im Mittelpunktstnde, ist Dhyna doch eine Form der spirituellen bung, dieden Weg zur Verwirklichung des Nirvna ebnet. Dhyna oder

    Meditation allein unterscheidet den Buddhismus allerdingsnoch nicht von anderen philosophisch-religisen Systemen,wie es sie zu Lebzeiten des Buddha in Indien gab. Um Zen alsAusdruck der Erleuchtungslehre zu verstehen, die das Wesendes Buddhismus ausmacht, mssen wir den Aufstieg der Mah-yna-Bewegung und ihre bertragung nach China abwarten.

    DER URSPRUNG DES ZEN

    Die Legende vom Ursprung des Zen in Indien wird so erzhlt:

    Der Weltverehrte [Buddha] war einst mit den versammel-ten Schlern auf dem Berg Gridhrakta [Geierberg] undhielt fr die Mnche eine Blume hoch.

    Zu der Zeit schwiegen alle, nur der ehrwrdige Kshyapabrach in ein Lcheln aus.Der Weltverehrte sprach: Ich habe den Augen-Schatz desWahren Dharma, das wunderbare Nirvna-Bewutsein,

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    Wahre Form der Nicht-Form, das geheimnisvolle Tor desDharma. Es kann nicht durch Worte und Buchstaben ausge-drckt werden und ist eine besondere bermittlung jenseits

    (auerhalb) aller Lehren. Ich betraue Mahkshyapa damit.1

    Orthodoxe Zen-Anhnger nehmen diese Begebenheit im all-gemeinen als den Ursprung ihrer Lehre, denn hier, so sagensie, offenbart sich der Geist des Buddha und das Geheimnisder Religion. Wenn Zen, wie es heit, die Essenz des Bud-dhismus ist, die unmittelbar vom Buddha auf Mahkshyapa,

    seinen grten Schler, bertragen wurde, so ist es ganz na-trlich, da seine Anhnger einen bestimmten Anla ausfin-dig zu machen suchen, bei dem diese bertragung stattfand.Wir wissen nun zwar, da Mahkshyapa der Nachfolgerdes Buddha wurde, doch von dieser besonderen bertragungdes Zen besitzen wir keinerlei historische Zeugnisse. Erwhntwird sie, soweit wir wissen, zum erstenmal in einer chine-

    sischen Geschichte des Zen mit dem Titel Aufzeichnung vonder Verbreitung der Leuchte, die 1029 von Li Tsun-hs kompi-liert wurde; in dem 1061 von Chi-sung kompilierten Berichtvon der orthodoxen bermittlung des Dharma wird die Episodenur als historisch nicht authentisch erwhnt. In der Aufzeich-nung ber die Weitergabe der Leuchte, verfat in der Ching-te-Zeit(Ching-te chuan-teng-lu, jap. Keitoku Dent-roku, kurz Dent-roku), die der chinesische Mnch Tao-yan im Jahre 1004kompilierte und die die lteste erhalten gebliebene Geschichtedes Zen darstellt, erfahren wir von keiner bestimmten Bege-

    benheit im Leben des Buddha, die sich als bertragung desZen deuten liee. Da alle frheren Geschichten des Zen verlo-rengegangen sind, knnen wir heute nicht mehr rekonstru-ieren, welche Anschauung die ersten chinesischen Zen-Bud-dhisten von der bermittlungslinie ihrer Tradition besaen.

    1 Dieser Text bildet das 6. Beispiel des Wu-men-kuan (jap. Mumonkan),wrtl. Die torlose Schranke, einer der beiden wichtigsten Kan-Sammlungen der Zen-Literatur, kompiliert von Meister Wu-men Hui-kai (Mumon Ekai); verffentlicht im Jahre 1229.

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    Die Diskussion darum setzte vermutlich im spten achtenJahrhundert ein, als die Zen-Lehre in China bereits Fu gefathatte.

    In jenen Tagen mu es notwendig gewesen sein, solch eineLegende fr die Autorisierung des Zen-Buddhismus zu ersin-nen, denn je grer sein Einflu wurde, desto mehr wuchsauch die Eifersucht anderer, bereits etablierter Schulen desBuddhismus; sie warfen den Zen-Anhngern vor, sie besenkeinerlei glaubwrdiges Zeugnis fr die Behauptung, ihreLehre sei in direkter und ununterbrochener Linie vom Bud-

    dha auf sie berkommen. Solche Vorwrfe erhielten natrlichauch dadurch Nahrung, da die Zen-Anhnger so wenig aufdie orthodoxen Lehren der Stras und Shstras gaben, son-dern die Autoritt des Zen auf die unmittelbare persnlicheErfahrung grndeten. Darauf beharrten sie stets was aller-dings nicht hie, da sie die Autoritt des historischen Bud-dhismus einfach ignorierten. Und so suchten sie denn nach

    Zeugnissen fr die bertragung des Zen vom Buddha aufMahkshyapa und von diesem auf den nchsten Patriarchen bis hin zu Bodhidharma, dem achtundzwanzigsten indischenPatriarchen, der zum ersten Patriarchen des Zen in Chinawurde. So gelangten die Zen-Historiker zu einer Linie vonachtundzwanzig indischen Patriarchen, whrend man in an-deren Schulen nur dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Pa-triarchen zhlte.

    Wenn man davon ausgeht, da Zen wahr ist und sein Wertsich nicht verndert, spielt es natrlich keine groe Rolle, obes nun mit Bodhidharma in China entstand oder mit demBuddha in Indien. Auch fr den Historiker, der nach einemUrsprung jener Entwicklung forscht, die zum Zen-Buddhis-mus fhrte, gengt es, wenn er eine logische Verbindungherstellen kann zwischen der Erleuchtungslehre des indischen

    Mahyna-Buddhismus und ihrer praktischen, am tglichenLeben orientierten Interpretation durch die Chinesen; eine

    besondere bermittlungslinie in Indien vor Bodhidharma isthier nicht von groem Belang. Formuliert man das Zen je-

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    doch zu einem unabhngigen System mit charakteristischenZgen und historisch gesicherten Fakten, so wird man diebermittlungslinie vollstndig und lckenlos aufzeigen ms-

    sen (zumal es, wie wir noch sehen werden, im Zen von gr-ter Bedeutung ist, da die Echtheit einer vom Schler ge-wonnenen Einsicht durch den Meister besttigt wird). Wennwir Zen als ein Gewchs der chinesischen Erde betrachten,hervorgegangen aus dem indischen Erleuchtungssamen unddies ist meine Anschauung , so brauchen wir uns nicht umdie Rekonstruktion einer indischen bermittlungslinie zu be-

    mhen; es gengt hier, die Entwicklung in groben Zgenaufzuzeigen, wie ich es in den vorangegangenen Essays ver-sucht habe.

    Als die achtundzwanzig Patriarchen des Zen, die die ortho-doxe bermittlungslinie reprsentieren, werden genannt:

    Shkyamuni

    1.

    Mahkshyapa 15. K

    nadeva2. nanda 16. rya Rhulata

    3. Shanavsa 17. Samghanandi4. Upagupta 18. Samghayashas5. Dhritaka 19. Kumrata6. Michchaka 20. Jayata7. Vasumitra 21. Vasubandhu8. Buddhanandi 22. Manura9. Buddhamitra 23. Haklenayashas

    10. Bhikshu Parshva 24. Bhikshu Simha11. Punyayashas 25. Vshasita12. Ashvaghosha 26. Punyamitra13. Bhikshu Kapimala 27. Prajtara14.Ngrjuna 28. Bodhidharma

    Zen-Historiker haben diese Linie sogar ber Shkyamuni-Buddha hinaus zurckverfolgt, denn der berlieferung nachgab es schon mindestens sechs Buddhas vor dem Muni (muni= Weiser, Asket, Heiliger) aus dem Hause der Shkyas, dem

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    Buddha des gegenwrtigen Weltzeitalters. Und jeder dieserBuddhas, so heit es, hat eine Gth der Dharma-bermitt-lung hinterlassen, die in der Geschichte des Zen bewahrt

    wird. Und wenn diese Buddhas der Vergangenheit ihre G-ths hinterlieen, weshalb dann nicht auch alle Patriarchenvon Shkyamuni bis Bodhidharma? Daher wird ihnen alleneine Gth der bermittlung zugeschrieben, deren jede mitden Worten beginnt: Ich bergebe dir nun den Augenschatzder Groen Ordnung (dharma), den du hten und dessen dustets eingedenk sein sollst. Zweifellos sind diese Gths Er-

    zeugnisse jener historischen Imagination, die die frhen Au-toren der Zen-Geschichte in ihrem Feuereifer fr ihre Sache

    beflgelte.Der Autor der Aufzeichnung von der rechten bermittlung

    nennt als bersetzer dieser Patriarchenverse Chih-chiang-liang-lou, der zur Zeit der ersten Wei-Dynastie lebte, und

    Na-lien-ya-she aus der stlichen Wei-Dynastie; der erste

    stammte aus Mittelindien, der zweite aus Kabul. Ihr Buch, Bericht von der Nachfolge im Dharma, ging durch wiederholteBuddhistenverfolgungen verloren, aber die Geschichten vonden Patriarchen wurden in mindestens noch zwei anderenBchern zitiert, auf welche dieAufzeichnung von der Weitergabeder Leuchte (Dent-roku) sich bezieht. Diese beiden Bchergingen in der Zeit der Sung-Dynastie verloren, weshalb das

    Dent-roku heute die lteste Geschichte des Zen ist, in der dieachtundzwanzig Patriarchen und ihre Verse der Dharma-bermittlung verzeichnet sind.

    Hier zunchst zwei Beispiele fr die Buddha-Gths, derenerste man dem ersten Buddha, Vipashyin, zuschreibt:

    Dieser Krper wurde aus dem Formlosen geboren;wie durch Zauber erscheinen alle Formen und Bilder:

    Scheinwesen mit Gemt und Bewutsein besitzenkeine Wirklichkeit von Anfang an;das Bse und das Glck sind beide leer, haben keinenOrt, da sie sind.

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    Die Gatha des sechsten Buddha, Kshyapa, des unmittelba-ren Vorgngers von Shkyamuni-Buddha, lautet:

    Rein und unbefleckt ist die Natur aller Lebewesen;von Anfang an ist da keine Geburt, kein Tod;dieser Krper, dieser Geist eine Trug-Schpfung;und in der Wandlung des blo Scheinbaren istweder Snde noch Verdienst.

    Als der Buddha des gegenwrtigen Zeitalters seinen Schler

    Mahkshyapa als seinen Nachfolger einsetzte, sprach er dazuden folgenden Vers:

    Der Dharma ist letztlich ein Dharma, der Nicht-Dharma ist;ein Dharma, der Nicht-Dharma ist, ist auch ein Dharma.Indem ich dir nun diesen Nicht-Dharma bergebe:Was wir den Dharma nennen wo ist eigentlich der Dharma?

    Von Dhritaka, dem fnften indischen Patriarchen, hren wir:

    Dringe ein in die letzte Wahrheit des Geistes,und wir haben weder Dinge noch Nicht-Dinge.Erleuchtet und nicht-erleuchtet gleichviel;da ist weder Geist noch Ding.

    Und der zweiundzwanzigste Patriarch, Manura, legte seineEinsicht so dar:

    Der Geist geht den Zehntausend Dingen nach;indem er ihnen nachgeht, bleibt er heiter-gelassen.Gewahre sein Wesen, whrend er sich hierhin, dahin bewegt,und da ist weder Freude noch Kummer.

    In diesen Gths finden wir die fr Indien charakteristischeAusprgung der Mahyna-Lehren wieder. Aber wie ichschon sagte: Was die Lehre angeht, hat Zen im Grunde nichts

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    Eigenes zu bieten, denn es ist vor allem eine spirituelle Erfah-rung und kein philosophisches oder dogmatisches System.Zen beginnt da, wo das Mahyna-Gedankengut aufhrt,

    Spekulation zu sein, wo es in die Begegnung mit dem wirkli-chen Leben einmndet und zum direkten Ausdruck des inne-ren Lebens wird. Das jedoch geschah erst, als der Buddhis-mus nach China gelangte und dort von Menschen angenom-men wurde, denen es aufgrund ihrer praktischen Veranla-gung unmglich war, die indische Tradition einfach zu ber-nehmen. Die Form, die das buddhistische Denken in den

    Patriarchenversen angenommen hatte, sagte dem chinesi-schen Bewutsein wenig. Als diese Menschen mit den Ge-danken vertraut geworden waren, suchten sie nach eigenenAusdrucksmglichkeiten, denn sie wollten die Einsichten aufihre Weise leben und sie nicht als importiertes und ihnen letzt-lich wesensfremdes Gedankengut horten.

    Als Bodhidharma seinen Schlern die volle Besttigung

    erteilte, soll er dazu folgende Gth

    gedichtet haben:

    Der Grund meines Kommens in dieses Land war,den Dharma zu bermitteln, um die Verwirrten zu retten;eine Blte mit fnf Blttern hat sich entfaltet,und die Zeit des Fruchttragens wird von selbst kommen.

    Meinte er mit diesem Fruchttragen die sptere Hochblte

    des Zen in China? Mit den fnf Bltenblttern, so nimmtman an, sind die fnf auf Bodhidharma folgenden chinesi-schen Patriarchen des Zen gemeint. Ob diese Gth wirklichvon Bodhidharma selbst stammt oder von einem spterenZen-Historiker verfat wurde, lt sich heute nicht mehrfeststellen. Historisch gesichert ist nur die Tatsache, da Bo-dhidharmas Lehre etwa zweihundert Jahre nach der Zeit sei-

    nes Wirkens in China heimisch wurde und die Form gefun-den hatte, die den Eigenheiten des chinesischen Volkes am

    besten entsprach. In der Form, in der es uns heute begegnet,konnte Zen nirgendwo anders entstehen als in China. Indien

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    war zu metaphysisch, zu sehr von seiner mystischen Bilder-welt durchdrungen; es war die Heimat solcher Schulen wieYogchra, Avatamsaka und Mdhyamaka. Zen bedurfte da-

    gegen eines Geistes, der das taoistische Denken tief in sichaufgenommen hatte und doch sehr nah an den Realitten destglichen Lebens blieb. Eigenstndigkeit und Begeisterungs-fhigkeit sowie gleichzeitig ein Sinn frs Praktische und eineausgeglichene Persnlichkeit das waren die Voraussetzun-gen fr die Entwicklung des Zen zu seiner jetzigen Gestalt.

    Wir wollen hier einmal an zwei Beispielen aufzeigen, wo-

    rin sich die indische Methode, die Wahrheit des Zen zu de-monstrieren, von der chinesischen unterscheidet. Wie ichschon mehrfach betonte, ist der Buddhismus in jeder seinerFormen eine Religion der Befreiung: Er will den Geist ausseinen Banden befreien, damit er gem den ihm selbst inne-wohnenden Prinzipien wirken kann. Das ist mit dem Aus-druck Nicht-Anhaften (apratishthita) gemeint. Diese Idee ist

    insofern negativ, als es hier darum geht, die Verirrungendes Intellekts und der Leidenschaften aufzuheben, doch letzt-lich geht es dabei um etwas Positives, denn das Ziel ist nur zuerreichen, wenn der Geist seine ursprngliche Verfassung zu-rckgewinnt. Der Geist kennt seinen Weg; wir haben nichtsweiter zu tun, als die Hindernisse zu beseitigen, die unsereVerblendung ihm in den Weg stellt. Wirf sie fort, ist daherder wiederkehrende Grundton buddhistischer Lehre.

    Hier das Beispiel fr die indische Art, uns diesen Gedankennahezubringen: Ein Brahmane namens Schwarzngel kamzum Buddha und bot ihm zwei groe, blhende Bume dar,die er dank seiner bernatrlichen Krfte in den Hnden trug.Der Buddha rief ihn an, und als er antwortete, sagte derBuddha: Wirf sie hin! Der Brahmane setzte den blhendenBaum in seiner Linken vor dem Buddha ab. Wieder rief die-

    ser, sie fortzuwerfen, und Schwarzngel lie den Baum inseiner rechten Hand fallen. Abermals wiederholte der Bud-dha seinen Befehl, und nun fragte der Brahmane: Ich habenichts mehr, was ich loslassen kann. Was ist es, das du von

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    mir verlangst? Ich sagte nichts vom Preisgeben deiner blhenden Pflanzen, erwiderte der Buddha. Ich mchte aber,da du deine sechs Sinnesobjekte, deine sechs Sinnesorgane und

    deine sechs Arten von Bewutsein preisgibst. Gibst du diese allezugleich preis und bleibt dann nichts mehr preiszugeben, so bistdu befreit aus der Fessel von Geburt und Tod.

    Vergleichen wir diese zwar klare, aber doch etwas um-schweifige Darlegung des Buddha nun mit dem Verhalten desgroen Zen-Meisters Chao-chou (Jsh), der in dieser Sacheeinen ganz direkten, endgltigen und unzweideutigen Bescheid

    erteilt.Der ehrwrdige Gony fragte Jsh: Wie, wenn man nicht

    einmal ein Ding hat?Jsh sagte: Wirf es weg!Gony sagte: Da ich nicht ein Ding habe, was soll ich da

    wegwerfen?Jsh sagte: Wenns so ist, halt es eben fest.1

    Die Frage der Befreiung oder Erleuchtung ist sehr eng ver-knpft mit der Frage, wer oder was der Buddha ist. Ist dieseFrage beantwortet, so hat der Buddhismus seinen Zweck er-fllt. Was dachten die indischen Philosophen vom Buddha?Von einer Frau wird erzhlt, die zur selben Zeit lebte wie derBuddha. Sie lebte im Ostteil der Stadt, und sie empfand demBuddha gegenber ein tiefes Grauen und war stets bemht, ihmaus dem Weg zu gehen. Sooft sie ihn des Weges kommen sah,lief sie fort. Doch wohin sie sich auch wandte, nach Osten oderWesten, begegnete sie ihm. Da verbarg sie ihr Gesicht in denHnden, doch ach! sie sah ihn zwischen ihren Fingern. Einewunderbar sprechende Geschichte!

    Welche Antwort gibt Zen auf die Frage nach dem Buddha?Ein Mnch fragte den Landesmeister Ch von Nany: Was

    ist der Essentielle-Leib von Birushana [Vairochana]?

    1 Dieser Text stellt das 57. Beispiel einer Kan-Sammlung aus dem 12. Jahr-hundert dar, die den Titel Tsung-jung-lu trgt (jap. Shy-roku) Buchdes Gleichmuts.

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    Der Landesmeister sagte: Bring mir den Wasserkrug.Der Mnch holte den Wasserkrug.Der Landesmeister sagte: Bring ihn zurck, dorthin, wo

    er war.Der Mnch fragte: Was ist der Essentielle-Leib von Biru-

    shana?Der Landesmeister sagte: Der alte Buddha ist schon vor

    langer Zeit dahingegangen.1

    1Shy-roku 42.

    BODHIDHARMA, DER ERSTE PATRIARCHDES ZEN IN CHINA

    Die Geschichte des Zen beginnt mit dem Kommen Bodhi-dharmas aus dem Westen (so eine hufig wiederkehrendeFormulierung) im Jahre 520. Er kam mit einer Botschaft nachChina, die in der folgenden viergliedrigen Aussage zusam-mengefat wurde:

    Eine besondere berlieferung auerhalb derorthodoxen Lehre,Unabhngigkeit von heiligen Schriftenund das unmittelbare Deuten auf des Menschen Herzfhren zur Schau des eigenen Wesens und zurBuddha-Werdung.

    Diese vier Aussagen, die das Zen von anderen buddhistischenSchulen abheben, wie sie in China zu jener Zeit bereits exi-stierten, stammen mglicherweise nicht von Bodhidharmaselbst, sondern wurden spter formuliert. Wir besitzen keineverlliche Information ber die tatschliche Autorschaft,aber Tsung-chien, der im Jahre 1257 aus der Sicht der Tien-

    tai-Schule eine Geschichte des Buddhismus kompilierte (Dierechtmige bertragung der Shkya-Lehre), nennt den Zen-Meister Nan-chan Pu-yan (Nansen Fugan). Vermutlich

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    entstand die Formel in den Tagen, als die groen Meister Ma-tsu (Baso), Pai-chang (Hyakuj), Huang-po ( baku), Shih-tou (Sekit) und Yeh-shan (Yakusan) westlich des Flusses

    und sdlich des Sees wirkten. Es war jedoch Bodhidharmagewesen, der den chinesischen Buddhisten den Geist dieserAussagen eingehaucht hatte. Jene widmeten sich damals ent-weder dem Philosophieren oder der bung der Kontempla-tion und ahnten wenig von der direkten Methode des Zen,die darin besteht, unmittelbar in die Wahrheit der Erleuch-tung zu schauen und Buddhaschaft zu erlangen, ohne all die

    von den Gelehrten beschriebenen Stadien der Vorbereitungzu durchlaufen.

    Unser Wissen ber das Leben Bodhidharmas stammt auszwei Quellen. Die frhesten Hinweise auf seine Person findenwir in einem Werk mit dem Titel Biographien HervorragenderMnche, das von Tao-hsan zur Zeit der frhen Tang-Dyna-stie, im Jahre 645, kompiliert wurde. Tao-hsan war auch der

    Grnder der sogenannten Schule der Disziplin (L-tsung) undein groer Gelehrter, doch er lebte vor der eigentlichen Blte-zeit des Zen, die mit Hui-neng, dem sechsten chinesischenPatriarchen, begann (Hui-neng war sieben Jahre alt, als Tao-hsan sein biographisches Werk verfate). Die andere Quelleist die bereits erwhnte Aufzeichnung ber die Weitergabe der

    Leuchte (Dent-roku), von Tao-yan zur Zeit der frhen Sung-Dynastie (1004) kompiliert. Er war im Unterschied zu Tao-hsan ein Zen-Mnch, lebte zu einer Zeit, in der Zen als eine

    besondere Schule des Buddhismus weithin Anerkennung ge-funden hatte, und sein Buch enthlt die Aussprche und Tatender Meister dieser Schule. Er verweist hufig auf frhere Wer-ke zur Geschichte des Zen, doch diese Werke gingen verloren,und wir kennen von ihnen nur noch die Titel.

    Es ist kein Wunder, da diese beiden Berichte ber das

    Leben Bodhidharmas in zahlreichen Punkten voneinander ab-weichen. Der erste entstand zu einer Zeit, als Zen sich nochnicht als eigenstndige Schule etabliert hatte, der zweitestammt aus der Hand eines Zen-Meisters. Im ersten wird

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    Bodhidharma als einer unter vielen anderen herausragendenVertretern des Buddhismus genannt, die sich als bersetzer,Kommentatoren, Gelehrte, Vinaya-Anhnger, Meditations-

    meister oder durch wunderbare Fhigkeiten hervortaten, undhier nimmt er keineswegs jene Sonderstellung ein, die ihmspter als Begrnder der Zen-Schule zufiel; er wird lediglichals einer jener Meditationsmeister genannt, deren Auffas-sung von Dhyna sich nicht von der traditionellen Anschau-ung im Hnayna unterschied.

    Tao-hsan erfate Bodhidharmas Botschaft nicht in ihrer

    ganzen Tiefe, obgleich mehr in ihr zu lesen war als in dendamals blichen Abhandlungen ber die Praxis der Medita-tion. Manche Kritiker sagen deshalb, in Tao-hsans Darstel-lung sei wenig Zen zu finden, jedenfalls nicht genug, umBodhidharma jene hervorragende Stellung einzurumen, dieer spter im Zen einnahm. Damit jedoch wird man wederdem Zen noch Tao-hsan gerecht, der natrlich kein Prophet

    war und keine Geschichte des Zen schreiben konnte, bevor essich als eigenstndige Schule gefestigt hatte. ber Bodhi-dharmas Leben vor seiner Reise nach China enthlt Tao-hsans biographisches Werk manches, was wir bezweifelnmssen, aber wir haben Grund anzunehmen, da die von ihmaufgezeichneten Taten Bodhidharmas nach seiner Ankunft inChina geschichtliche Tatsachen sind, und hier mssen wir ihnergnzend zu Tao-yans Aussagen heranziehen.

    Nach Tao-hsans Worten hinterlie Bodhidharma vieleSchriften und Aussprche, und es scheint, da sie zu Lebzei-ten des Autors derBiographien noch im Umlauf waren. Dieeinzige authentische Schrift Bodhidharmas, die wir heutenoch besitzen, ist sowohl in Tao-hsans Biographien als auchin Tao-yans Aufzeichnung enthalten. Es gibt noch weitereSchriften, die dem Begrnder des Zen zugeschrieben wer-

    den1, doch die meisten obgleich sie vom Zen-Geist durch-

    1 Sh shitsu Rokumonsh, Sammlung der sechs Tore des Shshitsu; vgl.den ersten Band der Essays (Satori) S. 163 ff.

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    drungen sind drften unecht sein. Nur eine davon halte ichfr authentisch; ihr Titel lautet ber die Befriedung derSeele. Die andere, eben erwhnte Schrift ist allgemein unter

    dem Titel Meditation ber die Vier Handlungen bekannt.Obwohl ich glaube, da die Meditation ber die Vier Hand-lungen nicht gerade die beste Probe von BodhidharmasSchaffen ist, kein Werk also, das geradewegs auf die Essenzdes Zen zusteuert, mchte ich hier doch eine bersetzunganfgen, da es sich um das Werk handelt, bei dem die Autor-schaft des ersten chinesischen Patriarchen am ehesten als gesi-

    chert gelten darf.Es gibt, wie ich schon sagte, zwei Fassungen dieser Schrift,

    die eine in Tao-hsans Biographien, die andere in Tao-yansAufzeichnung von der Weitergabe der Leuchte, und diese Fassun-gen stimmen in einigen Punkten nicht berein, wenn auchder Tenor in beiden derselbe ist. Die Frage lautet nun: Wel-ches ist die originalgetreuere Version? Die Biographien ent-

    standen frher als das Dent

    -roku, doch letzteres beruft sichauf ltere Werke. Wir knnen heute nicht mehr beurteilen,wie verllich diese Dokumente sind, und zum anderen istauch die Autoritt derBiographien nicht absolut. Wir knnendie beiden Fassungen also nur fr sich betrachten, um siedann zu vergleichen und zu sehen, welches Licht der Ver-gleich auf sie wirft. Ich bin zu dem Resultat gelangt, da Tao-hsan fr seine Biographie von der Fassung ausging, die inTao-yans Werk aufgezeichnet ist, denn diese letztere scheintmir originalgetreuer zu sein. Der Grund fr diese Annahmeliegt darin, da Tao-hsan Bodhidharmas Schrift offenbar frseine Zwecke bearbeitete, denn sie ist stilistisch besser dasheit bndiger, pointierter, geschliffener als Tao-yans Fas-sung, die ich deshalb fr die ursprnglichere halte. Tao-yanhatte gute Grnde, das Original so wiederzugeben, wie es

    ihm vorlag, und so orientiert die folgende bersetzung sichan seiner Fassung:

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    [Bodhidharma,] der Dharma-Lehrer, war der dritte Sohneines groen Brahmanenknigs in Sdindien, Herrscherder Westlichen Lnder. Sein Geist war von wunderbarer

    Kraft, klar und weitsichtig; was immer er lernte, erfateer bis zum Grund. Da es sein Bestreben war, die Lehredes Mahyna zu meistern, legte er das weie Laienge-wand ab und kleidete sich in das schwarze Mnchsge-wand, darauf bedacht, die Saat der Heiligkeit zu pflegen.Er bte sich in der Kontemplation und im Stillwerden,wute wohl, was die wahre Bedeutung weltlicher Dinge

    war. Innen wie auen war er durchsichtig; seine Tugendwar der Welt mehr als ein Vorbild. Zutiefst grmte ersich ber den Niedergang der rechten Lehre des Buddhain den entlegeneren Weltgegenden. Schlielich entschloer sich, ber Land und Meer nach China zu reisen undseine Lehre im Knigreich Wei zu verbreiten. Die zumgeistigen Leben neigten, scharten sich in groer Vereh-

    rung um ihn, whrend andere, die sich nicht ber ihreeinseitigen Ansichten erheben konnten, ihn verleumde-ten.Zu jener Zeit waren da nur zwei Mnche, Tao-yih undHui-ko, beide noch jung, doch von einem starkenDrang nach hheren Dingen beseelt. Wohl sehend, daes die groe Gelegenheit ihres Lebens war, einen solchenLehrer des Dharma in ihrem Land zu haben, unterzogensie sich etliche Jahre der Schulung unter ihm. Ehrfrchtigfolgten sie ihm, stellten Fragen, ber die sie Aufklrungsuchten, befolgten alle seine Anweisungen. Ihre Ernst-haftigkeit bewegte den Lehrer des Dharma, und soschulte er sie im wahren Weg und sagte ihnen: Dies istder Weg zum Frieden des Geistes, und Dies ist dieArt, sich in der Welt zu verhalten, und Dies ist der

    Weg, in Einklang mit der Welt zu leben, und Dies istdas Mittel (upya). Da dies der Mahyna-Weg ist, denGeist still zu halten, mu man auf der Hut sein vor seinerfalschen Anwendung. Mit dieser Befriedung des Geistes

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    ist Pi-kuan1 gemeint; mit diesem Verhalten die Vier Hand-lungen; mit diesem Einklang mit den Dingen die Enthal-tung von bler Nachrede und Schlechtigkeit; mit diesem

    Mittel das Nicht-Anhaften.So schildere ich2 in aller Krze den Zusammenhang, indem das folgende steht.Es gibt viele Mglichkeiten, auf den Weg zu gelangen,doch vereinfachend gesagt, sind sie nur von zweierlei Art.Die eine ist Eintritt durch Vernunft, die andere Eintrittdurch Lebensfhrung. Mit Eintritt durch Vernunft

    meinen wir die Verwirklichung des Geistes des Buddhis-mus mit Hilfe der Schriften. Wir gelangen so zum tiefenGlauben an das Wahre Wesen, das in allen Lebewesen einund dasselbe ist. Da es sich nicht zeigt, liegt an der ber-lagerung durch uere Dinge und falsches Denken. Wenneiner das Falsche ablegt und das Wahre annimmt und inSchlichtheit des Denkens in Pi-kuan verweilt, so wird er

    finden, da da weder ein Ich noch ein anderes ist, daniederes Volk und groe Persnlichkeiten von einem Wesensind, und er wird an diesem Glauben festhalten und sich nievon ihm entfernen. Er wird dann nicht mehr von niederge-schriebenen Unterweisungen geleitet sein, denn nun stehter in stillem Austausch mit dem Prinzip selbst, frei von

    1 Dies ist der bedeutsamste Ausdruck in Bodhidharmas Schrift. Ich habeihn hier unbersetzt gelassen, da er weiter unten eingehend erlutertwird.

    2 Der Autor dieser Vorbemerkung ist Tan-lin (Donrin), der (nach denWorten von Dr. Tokiwa, Tokyo Imperial University) ein Gelehrterwar, der bei der bersetzung mehrerer Sanskritwerke mitwirkte. Erwird auch in Verbindung mit Hui-ko (Eka) genannt, und zwar indessen von Tao-hsan verfater Biographie. Wenn Tan-lin wie es

    den Anschein hat mehr Gelehrter als echter Zen-Meister war, so braucht es uns nicht zu wundern, da er die Meditation ber die VierHandlungen in dieser Form niederschrieb, die mehr mit gelehrterInterpretation als mit Zen selbst zu tun zu haben scheint. Gewi, die

    Pi-kuan-Lehre ist eindeutig Zen, doch daneben finden wir manches,was sich eher dem Philosophieren ber Zen leiht.

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    begrifflicher Unterscheidung, gelassen und nicht-han-delnd. Dies nennt man Eintritt durch Vernunft.Mit Eintritt durch Lebensfhrung sind die Vier Hand-

    lungen gemeint, in denen alles Handeln einbegriffen ist.Was sind die vier? Sie sind: Wie man dem Ha begegnet,Sich dem Karma beugen, Nach nichts trachten undIn bereinstimmung mit dem Dharma sein.Wie man dem Ha begegnet was ist damit gemeint?Die sich im Beschreiten des Weges ben, sollen, wenn siemit widrigen Umstnden zu kmpfen haben, solcherma-

    en denken: In zahllosen vergangenen Zeitaltern bin ichdurch viele Existenzen gewandert, habe mich stets auf Ko-sten des Wesentlichen in die unbedeutenden Dinge des Le-

    bens verloren und dadurch endlos Gelegenheit zu Ha,Bswilligkeit und Missetat gegeben. Wenn auch dieses Le-

    ben frei von Verfehlungen ist, mu ich nun doch dieFrchte schlechter Taten der Vergangenheit ernten. Weder

    die Gtter noch die Menschen knnen voraussagen, wasber mich kommen wird. Ich werde bereitwillig und ge-duldig jedes bel auf mich nehmen und niemals seufzenoder klagen. Im Stra heit es: Bekmmere dich nicht umdas bel, das dir widerfhrt. Weshalb? Weil man dann inder Lage ist, [die ganze Kette der Verursachung] zu ber-

    blicken. Wenn dieser Gedanke sich einstellt, ist man inbereinstimmung mit dem Prinzip, denn so macht mandas Beste aus dem Ha und macht ihn sich fr das Fort-schreiten zum Weg zunutze. Dies nennt man: Wie mandem Ha begegnet.Sich dem Karma beugen, das bedeutet: Es gibt keinSelbst (tman) in allen Wesen, die vom Wechselspiel karmi-scher Bedingungen erzeugt werden. Schmerz und Lustsind auch das Ergebnis unseres frheren Handelns. Werde

    ich mit Reichtum, Ehre und dergleichen belohnt, so gehtdas auf meine frheren Taten zurck, die als Ursachenmein jetziges Leben beeinflussen. Wenn die Kraft des Kar-ma erschpft ist, werden die Frchte, die ich jetzt geniee,

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    verschwinden; wozu also froh sein ber sie? Gewinn oderVerlust, lat uns das Karma annehmen, das uns das eineoder das andere bringt; der Geist selbst kennt weder Zu-

    noch Abnahme. Der Wind der Freude bewegt ihn nicht,denn er ist in stillem Einklang mit dem Weg. Daher nenntman dies: Sich dem Karma beugen.Nach nichts trachten, das bedeutet: Menschen der Welt,ewig in Verwirrung, heften sich berall an dies oder jenesDing das nennt man Trachten. Die Weisen jedoch begrei-fen die Wahrheit und sind nicht wie die Gemeinen. Ihr

    Geist verweilt gelassen im Ungeschaffenen, whrend derKrper in bereinstimmung mit dem Gesetz der Verur-sachung handelt und wandelt. Alle Dinge sind leer, undda ist nichts Begehrens- und Erstrebenswertes. Auf Lichtfolgt Dunkelheit. Diese dreifache Welt, wo auch immerman zu lange verweilt, ist wie ein brennendes Haus; waseinen Krper hat, leidet, und wer mag je erfahren, was

    Ruhe ist? Weil die Weisen grndlich vertraut sind mit die-ser Wahrheit, heften sie sich nie an etwas Werdendes, ihreGedanken werden zur Ruhe gebracht, sie trachten nicht.Im Stra heit es: Wo auch immer ein Trachten ist, dafindest du Leiden; wenn das Trachten aufhrt, bist du imHeil. Daher wissen wir: Nicht zu trachten ist frwahr derWeg zur Wahrheit. Und daher sage ich euch: Trachtetnach nichts.In bereinstimmung mit dem Dharma sein, das bedeu-tet: Der Geist ist in seinem Wesen, das wir Dharma nen-nen, rein; da er ber allen Befleckungen und Verhaftungensteht und es kein Ich und kein anderes in ihm gibt, ist er dasPrinzip der Leere in allen Phnomenen. Im Stra heit es:Im Dharma sind keine Lebewesen, denn er ist frei von denVerunreinigungen des Seins; im Dharma ist kein Selbst,

    denn er ist frei von der Verunreinigung der Ichheit. Wennder Weise diese Wahrheit begreift und glaubt, wird seineLebensfhrung in bereinstimmung mit dem Dharmasein.

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    Da der Dharma keine Besitzgier kennt, sind die Weisenstets bereit, Freigebigkeit zu ben mit Leib, Leben undBesitz, und sie mignnen nie, kennen kein belwollen.

    Da sie im vollen Begreifen der dreifachen Natur der Leereleben, sind sie ber Voreingenommenheit und Verhaftungerhaben. Nur weil sie alle Lebewesen von ihren Befleckun-gen zu reinigen wnschen, mischen sie sich unter sie alsihresgleichen, doch haften sie nicht an der Form. Diesnennt man den inneren Aspekt ihres Lebens. Sie wissenauch, wie man fr andere wirkt und den Pfad der Erleuch-

    tung verherrlicht. Wie mit der Tugend der Freigebigkeit,so ist es auch mit den anderen fnf Tugenden. Die Weisenben die Sechs Tugenden der Vollkommenheit und werdenso frei von allem verwirrten Denken, doch handeln sienicht absichtsvoll. Dies nennt man: In bereinstimmungmit dem Dharma sein.

    Die Lehre von den zwei Arten des Eintritts oder Zugangsstammt offensichtlich aus dem Vajrasamdhi-Stra1; die Lehreder Vier Handlungen ist abgeleitet von der zweiten Art desZugangs, wie sie im Stra beschrieben wird. Ein Vergleichmit einer Passage aus dem Stra wird dies verdeutlichen:

    Der Buddha sagte: Die beiden Zugnge sind Eintrittdurch Vernunft und Eintritt durch Lebensfhrung.

    Eintritt durch Vernunft meint den tiefen Glauben, daalle Lebewesen im Grunde eins sind mit dem Wahren We-sen, das weder Einheit noch Vielheit ist; es wird nur ver-dunkelt durch uere Objekte. Das Wahre Wesen selbstvergeht weder, noch kommt es. Wenn ein Mensch inSchlichtheit des Denkens in cheh-kuan verweilt, wird erEinblick in das Buddha-Wesen gewinnen, von dem wir

    nicht sagen knnen, ob es existiert oder nicht existiert, und

    1 Es wurde in der Zeit der Nrdlichen Liang-Dynastie (397-439) ins Chi-nesische bertragen. Der Name des bersetzers ist unbekannt.

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    worin es weder ein Selbst noch ein anderes gibt. Er wirdauch finden, da das Wesen berall dasselbe ist, im niede-ren Volk wie in den groen Persnlichkeiten. So hlt er

    sich unerschtterlich an das Diamant-Herz und entferntsich nie von ihm. Er ist gelassen und absichtslos und freivon begrifflicher Unterscheidung. Dies nennt man Ein-tritt durch Vernunft.Eintritt durch Lebensfhrung, das heit, nicht unstet,aber auch nicht trge zu sein im Geiste und sich in seinenSchatten nicht hierhin und dahin zu wenden wie ein Bach.

    Wo du auch bist, la dein Denken gelassen sein und trachtenach nichts. La es wie von der groen Erde erfllt sein,die selbst im tobenden Sturm unbewegt bleibt. Gib alleselbstschtigen Gedanken in deinem Herzen auf und rettedie Lebewesen, la sie ans andere Ufer gelangen. Da sindkeine Geburten und Zeichen, da ist kein Anhaften undLoslassen; im Geist eines Bodhisattva gibt es kein Hinaus-

    gehen, kein Hereinkommen. Wenn dieser Geist, der wederhinausgeht noch hereinkommt, in das eintritt, wohinein eskein Eintreten gibt, so nennt man das Eintreten. Auf dieseWeise tritt ein Bodhisattva in den Dharma ein. Der Dhar-ma ist nicht leer in der Form, und der Dharma der Nicht-Leerheit ist nicht als Nicht-Wesenheit abzutun. Weshalb?Der Dharma, der nicht Nicht-Wesenheit ist, ist erfllt vonguten Krften. Er ist weder Geist noch Schatten, er ist reinin seiner Soheit.

    Beim Vergleich der beiden Texte wird dem Leser aufgefallensein, da Bodhidharma cheh-kuan durch pi-kuan ersetzte. Pi

    bedeutet fr gewhnlich Wand oder Abgrund, hufig inVerbindung mit li, stehen, wie etwa in dem Ausdruck pi liwan jen, um eine unbesteigbare Wand zu beschreiben; im

    bertragenen Sinne kann es auch beispielsweise eine aufrechteHaltung bezeichnen. Weshalb tauschte Bodhidharma dascheh, erwachen oder erleuchtet werden, gegen ein Wortaus, das anscheinend keine organische Beziehung zu dem fol-

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    genden kuan, wahrnehmen oder kontemplativ betrach-ten, hat? Diese neue Kombination ist sehr bedeutsam, dennsie verndert auch den Kontext, in dem sie auftritt .

    Tao-hsan, der Autor derBiographien, bezeichnet das tai-cheng pi-kuan (etwa: mahynistisches Wand-Betrachten)als Bodhidharmas wichtigste Neuerung in China. Wir findenhufig den Beinamen Pi-kuan-Brahmane fr Bodhidharma also wandbetrachtender Brahmane , und in Japan folgendie Mnche der St-Schule des Zen noch heute seinem Bei-spiel und ben Zazen zur Wand gewandt. Das allerdings ist

    wohl eine oberflchliche Interpretation des Ausdrucks Pi-kuan, denn wie htte bloes Wand-Betrachten soviel Bewe-gung in die buddhistische Welt bringen sollen, wie es nachTao-hsans Biographie des ersten Patriarchen der Fall gewe-sen zu sein scheint?1 Wie konnte solch eine harmlose bung

    bei den Gelehrten jener Zeit soviel feindseligen Widerspruchfinden? Meines Erachtens hat Pi-kuan eine weit tiefere Be-

    deutung, und wir mssen uns hier am Dent

    -roku orientieren,in dem Tao-yan aus einer lteren Schrift mit dem Titel Pieh-chi zitiert:

    Der Meister blieb neun Jahre lang im Kloster Shao-lin (jap.Shrin-ji), und als er den Zweiten Patriarchen unterwies,geschah es nur auf folgende Weise: uerlich halte dichfern von allen Beziehungen, innerlich habe kein Lechzen(oder Gieren, chuan) in deinem Herzen;2 wenn dein Geist

    1 Wir lesen bei Tao-hsan, da Bodhidharma, wo immer er sich aufhielt,die Menschen in der Zen-Lehre unterwies. Es war jedoch eine Zeit, inder scholastische Errterungen vorherrschten, und so traf seine Bot-schaft allenthalben auf Widerspruch und auf abfllige uerungen berMeditation.

    2 Mglicherweise hat diese Passage Bezug zum Vajrasamdhi-Stra, wo

    der Bodhisattva Mah bala von einem kraftlosen und einem star-ken Geist spricht. Der kraftlose Geist, der unter gewhnlichen Men-schen die Regel ist, lechzt oder giert und hlt die Menschen davon ab,das Tathgata-Dhyna zu erlangen; den starken Geist findet man beidenen, die in den Bereich der Wirklichkeit (bhtakoti) eintreten knnen.Solange es ein Lechzen gibt, ist der Geist nicht frei und kann sich

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    einer lotrechten Wand gleicht, magst du den Pfad betreten.Hui-ko gab sich immer wieder Mhe, die Essenz des Gei-stes zu erklren, doch gelang es ihm nicht, die Wahrheit

    selbst zu erfassen. Der Meister sagte einfach: Nein! Nein!,machte aber keinerlei Anstalten, seinem Schler zu erkl-ren, was die Essenz des Geistes in seinem gedankenleerenZustand sei.Eines Tages wandte Hui-ko sich an den Patriarchen undsagte: Ich habe schon aufgehrt, irgend etwas mit uerenUmstnden zu tun zu haben.

    Der Patriarch sagte: Ist nicht alles ausgelscht worden?Der Meister [Hui-ko] sagte: Es ist nicht ausgelscht wor-den.Der Patriarch sagte: Was fr einen Beweis gibt es dafr?Der Meister sagte: Weil ich mir immer dessen bewut bin,so kann kein Wort es erreichen.Der Patriarch sagte: Das eben ist der Geist-Leib, den alle

    Buddhas erkannten. Zweifle nicht daran.

    Diese Passage fat die besondere Botschaft Bodhidharmaszusammen, und hier finden wir auch eine Antwort darauf, wasPi-kuan bedeutet. Der Ausdruck mu damals neu gewesensein, und die Originalitt von Bodhidharmas Anschauungenlag in der Tat im schpferischen Sinn dieses einen Wortes Pi.Es war so konkret, so bildhaft, und es hatte nichts Abstraktesoder Begriffliches an sich. Daher auch Tao-hsans Ausdrucktai-cheng pi-kuan als besonderer Hinweis auf BodhidharmasLehre. In der Lehre von den Zwei Arten des Eintritts und denVier Handlungen lag nichts, was speziell dem Zen zuzurech-nen wre, aber die Pi-kuan-Lehre, die Wand-Betrachtung,machte Bodhidharma zum ersten Patriarchen des Zen in China.

    nicht mit der Soheit des Wirklichen identifizieren. Der Geist mustark, fest und gesammelt sein, um das Tathgata-Dhyna verwirkli-chen zu knnen ein Dhyna, das ber die sogenannten vier Dhynasund acht Samdhis weit hinausgeht.

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    Der Autor der Schrift Rechtmige bertragung der Shkya-Lehre interpretiert Pi-kuan als den Geisteszustand, wo keinStaub von auen eindringen kann. Das mag sein, doch er-

    fahren wir nicht, wo er die Grundlage fr dieses Verstndnisfindet. Dachte er an die Bemerkung Bodhidharmas zu Hui-ko, die in der Schrift mit dem Titel Pieh-chi aufgezeichnetwar? Doch wie dem auch sei, den tieferen Sinn der Wand-Betrachtung mssen wir wohl in der subjektiven Verfassungdes Betrachtenden suchen, nmlich in der vollkommenenSammlung des Geistes und der daraus folgenden Leerheit von

    allen Gedanken und Begriffen. Es wre absurd, Pi-kuan ein-fach als bloes Anstarren einer Wand zu verstehen. Sollte die

    besondere Botschaft Bodhidharmas, die ihn zum Begrnderdes Zen in China machte, berhaupt in seinen erhalten geblie-

    benen Schriften zu finden sein, so kann es nur dieses ma-hynistische Wand-Betrachten sein.

    Daneben haben wir jedoch noch einige Stras, die uns Ein-

    blicke in Bodhidharmas Lehre erlauben, nmlich dasLank

    -vatra-, das Vajrasamdhi- und das Vajrachchedik-Stra. ImUnterschied zu anderen Schulen des Buddhismus hat Zenkeine bestimmten Stras, die man als seinen Kanon be-zeichnen knnte und auf die seine Anhnger sich fr dieGrundaussagen ihrer Schule berufen. Bodhidharma empfahl

    jedoch seinem Schler Hui-ko (Eka) dasLankvatra-Straals die Schrift, in der sich die Lehren finden, die am direkte-sten mit Zen zu tun haben, und nach ihm waren es vor allemdie Zen-Gelehrten, die dieses Stra studierten. Auch die Be-deutung des Vajrasamdhi-Stra als Lehrwerk der Philosophiedes Zen geht, wie wir bereits darstellten, aus Bodhidharmaseigenen Hinweisen hervor.

    Anders steht es mit dem Vajrachchedik- Stra, denn hierwird meist angenommen, da es in der Zeit vor dem fnften

    Patriarchen, Hung-jen (Gunin), nichts mit Zen zu tun gehabthabe. Hung-jen machte seine Schler als erster damit ver-traut, whrend Bodhidharma selbst kein Wort ber diesen inChina sehr beliebten Text verlor. In Hui-nengs Vorwort zum

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    Vajrachchedik-Sutra finden wir jedoch: Seit seinem Kommenaus dem Westen wnschte Bodhidharma den Sinn dieses S-tra zu verbreiten und die Menschen anzuleiten, das Prinzip zu

    begreifen und in das Wesen zu schauen. Wenn das so war,mu Bodhidharma das Stra sehr gut gekannt haben, ja, sei-ne Beziehung zum Zen mu sogar tiefer gewesen sein als diedes Lankvatra-Stra. Jedenfalls war aber das Lankvatra-Stra ein zu schwieriger Stoff, als da es allgemeines Interessehtte finden knnen, und als Zen immer mehr an Einflugewann, trat das Vajrachchedik-Stra allmhlich an seine Stel-

    le. Es gehrt der Prajpramit-Klasse der buddhistischenLiteratur an; seine Lehre ist vergleichsweise einfach und ingewisser Weise den taoistischen Ideen der Leerheit und des

    Nicht-Handelns verwandt. Der normale Chinese war durch-aus in der Lage, der Shnyat-Philosophie zu folgen, denn siehatte mit einer bestimmten Seite des chinesischen Denkensvieles gemein.1

    Fr die Zen-Anhnger jedoch war alle Literatur wie derFinger, der zum Mond deutet, aber selbst nicht der Mond ist;das Deuten allein wird kaum jemanden dazu bringen, seineigenes wahres Wesen zu schauen. Dieses Schauen mu viel-mehr durch eigenes persnliches Bemhen erlangt werden,

    jenseits des bloen Buchstaben-Verstehens. Kein Stra ver-

    1 Hier mchte ich einmal jenen Gelehrten etwas erwidern, die die Shn-yat-Philosophie fr die Grundlage des Zen halten. Sie verfehlen denwahren Sinn des Zen, denn hier geht es zunchst um Erfahrung undnicht um Philosophie oder Dogmatik. Zen lt sich nicht auf metaphy-sische oder psychologische Anschauungen grnden; man mag sich da-mit beschftigen, nachdem man die Zen-Erfahrung gemacht hat, abernicht als Voraussetzung dafr. Die Prajpramit-Philosophie gehtZen nicht voraus, sondern folgt ihm. Buddhistische Gelehrte neigten

    schon zu Bodhidharmas Zeiten dazu, Lehre und Leben, Theorie undErfahrung, Beschreibung und Faktum zu verwechseln. Wenn man die-ser Verwirrung ihren Lauf lt, wird Zen uns keine zufriedenstellendenAntworten mehr geben. Ohne das Faktum der Erleuchtung unter demBodhi-Baum htte kein Ngrjuna je ein Buch ber die Praj-Philo-sophie schreiben knnen.

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    mag dem wirklich ernsthaften Wahrheitssucher zu helfen, dieWirklichkeit mit bloen Hnden zu ergreifen. Dazu ist viel-mehr erforderlich, da sein Bewutsein sich aufgrund seines

    beharrlichen Bemhens von innen her ffnet. Schriften gebennur Hinweise auf die einzuschlagende Richtung, sind aber niedie Sache selbst.

    Was wir an Aufzeichnungen ber Bodhidharmas Leben inIndien finden, ist, wie gesagt, nicht sehr glaubwrdig, aberTao-hsans und Tao-yans Berichte ber seine Zeit in Chinasind nicht so leicht von der Hand zu weisen. Die erste groe

    Persnlichkeit, mit der Bodhidharma nach seiner Ankunft inChina eine Unterredung hatte, war, dem Dent-roku zufolge,der Kaiser Wu von Liang, ein groer Schutzpatron des Buddhis-mus. Die Begegnung soll folgendermaen abgelaufen sein:

    Kaiser Wu von Liang fragte Bodhidharma: Seit Beginnmeiner Regentschaft habe ich viele Tempel errichten und vieleSchriften kopieren lassen und viele Mnche und Nonnen unter-

    sttzt. Welche Verdienste, glaubt Ihr, habe ich mir damiterworben?Kein Verdienst, erwiderte Bodhidharma knapp.Weshalb nicht? verlangte der Kaiser erstaunt zu wissen.All das sind geringe Taten, aufgrund derer man im Himmel

    oder wieder auf dieser Erde geboren werden kann, so begannBodhidharmas bedeutsame Antwort. Sie zeigen noch Spurenvon Weltlichkeit, sind wie Schatten, die den Dingen folgen.Wenn sie auch wirklich zu existieren scheinen, sind sie doch

    bloe Nicht-Wesenheiten. Eine wahrhaft verdienstvolle Tat isterfllt von reiner Weisheit, ist vollkommen und geheimnisvoll,und ihr Wahres Wesen liegt auerhalb der Reichweite menschli-cher Intelligenz. Solches sucht man nicht durch weltliche Er-rungenschaften.1

    1 Der folgende Teil dieser Unterredung bildet das 1. Beispiel des Pi-yen-lu(jap. Hekigan-roku), der Niederschrift von der blaugrnen Felswand,einer der beiden wichtigsten Kan-Sammlungen der Zen-Literatur, in derersten Hlfte des 12. Jahrhunderts von Meister Yan-wu Ko-chin (EngoKokugon) in der heute vorliegenden Form verfat.

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    Der erste Schler, den er fragte, sagte: Wie ich es verste-he, sollten wir, wenn wir die Wahrheit verwirklichen wollen,uns weder ganz auf Worte verlassen, noch sollten wir die

    Worte ganz abtun; wir sollten sie vielmehr als ein Werkzeugauf dem Weg benutzen.

    Bodhidharma antwortete ihm: Du hast meine Haut er-fat.

    Als nchstes trat eine Nonne vor und sagte: Wie ich esverstehe, ist die Wahrheit wie eine glckverheiende Schaudes Buddha-Paradieses; man sieht sie einmal und dann nie

    wieder.Ihr antwortete Bodhidharma: Du hast mein Fleisch er-

    fat.Der nchste Schler sagte: Die vier Groen Elemente sind

    leer, und die fnf Skandhas sind nicht-existent. Es gibt in derTat nichts, das zu erfassen wre.

    Hierauf entgegnete Bodhidharma: Du hast meine Kno-

    chen erfat.Schlielich war Hui-ko an der Reihe. Er sagte jedochnichts, sondern verbeugte sich nur schweigend vor dem Mei-ster.

    Ihm sagte Bodhidharma: Du hast mein Mark erfat.1

    Geheimnisumwittert ist das Ende Bodhidharmas; wir wis-sen nicht, wie, wann und wo er diese Erde verlie. Manchesagen, er sei von seinen Widersachern vergiftet worden, an-dere meinen, er sei durch die Wste nach Indien zurckge-

    1 Nach Hsieh-sung, dem Autor der Schrift Rechte bermittlung des Dharma,folgt Bodhidharma in dieser Anatomie des Zen-Begreifens Ngrju-na. Dieser sagt in seinem berhmten Kommentar zum Prajpramit-Stra: Moralische Lebensfhrung ist die Haut, Meditation ist dasFleisch, das hhere Begreifen ist die Knochen, und der subtile und gute

    Geist ist das Mark. Den subtilen Geist interpretiert Hsieh-sung alsdas, was wortlos vom Buddha auf seinen Dharma-Nachfolger bertra-gen wurde. Dann verweist er auf Chih-i, der zur Zeit der Sui-Dynastielebte und diesen Geist als die Wohnstatt aller Buddhas betrachtet, als denmittleren Weg, in dem weder Einheit noch Vielheit ist und der in Wor-ten nicht auszudrcken ist.

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    wandert, und wieder andere behaupten, er sei in Japan auf-getaucht. In einem Punkt stimmen sie jedoch alle berein:Er mu sehr alt gewesen sein, als er starb, nach Tao-hsan

    ber einhundertfnfzig Jahre.

    VON HUI-KO ZU HUNG-JEN

    Nach Bodhidharma war Hui-ko (487-593) der Hauptvertre-ter des Zen-Buddhismus. Er soll ein Gelehrter gewesen sein,

    wohl bewandert in den Schriften des Konfuzianismus,Taoismus und Buddhismus, als er zu Bodhidharma kam undum Unterweisung bat. Doch alle Gelehrsamkeit konnte ihnnicht befriedigen; er scheint sogar eine Art Erleuchtungs-erfahrung gehabt zu haben und suchte Bodhidharma auf,um sie von ihm besttigt zu bekommen. Nach Beendigungseiner Schulung unter Bodhidharma soll er nicht gleich zulehren begonnen haben, sondern lebte in dieser Zeit offenbarunter einfachen Arbeitern und war gar nicht darauf aus, alsMeister von groer Weisheit und tiefer Einsicht betrachtetzu werden. Dennoch vermittelte er auf seine stille Weise denDharma, wo immer sich Gelegenheit dazu bot. Er blieb ein-fach, unauffllig und bescheiden und machte kein Aufhebenvon sich.

    Eines Tages jedoch sprach er vor einem Tempeltor ber

    den Dharma, whrend drinnen gerade der gelehrte und ge-achtete Priester des Tempels predigte. Dieser mute mitan-sehen, wie ihm seine Zuhrerschaft allmhlich abhandenkam und sich drauen um den vermutlich zerlumpten unddurch nichts als geistlichen Wrdentrger zu erkennendenStraenmnch scharte. Das erregte seinen Zorn. Er bezich-tigte den Bettelmnch bei den Behrden der Verbreitung

    von Irrlehren, woraufhin Hui-ko festgenommen und zumTode verurteilt wurde. Er unternahm nichts, um seine Un-schuld zu beweisen, sondern fgte sich still mit den Worten,er habe gem dem Gesetz des Karma eine alte Schuld zu

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    begleichen. Dies geschah im Jahre 593, und er war einhun-dertsechs Jahre alt, als er hingerichtet wurde.

    Seine Beredsamkeit, so lesen wir bei Tao-hsan, entsprang

    unmittelbar seinem Herzen und war gnzlich frei von gelehr-ten Errterungen. Wenn er sein Verstndnis des Zen darlegte,wurden seine Worte ihm natrlich von denen, die sich nichtber den toten Buchstaben erheben konnten, als Hresie odersinnloses Geschwtz ausgelegt. Da war vor allem ein Medi-tationsmeister namens Tao-han, der eine sehr groe Anhn-gerschaft besa und sofort eine feindselige Haltung gegen-

    ber Hui-ko einnahm. Er schickte einen seiner Schler zuihm, wohl um herauszufinden, was fr ein Mann er wirklichwar. Als dieser Schler jedoch den Worten des angeblichenHretikers lauschte, war er so beeindruckt, da er zu einemZen-Anhnger wurde. Tao-han entsandte einen weiterenSchler, der den ersten zurckholen sollte, doch der folgtedem Vorbild seines Vorgngers. Noch etliche weitere Schler

    folgten, doch das Ergebnis war immer dasselbe. Spter trafTao-han zufllig den ersten Kundschafter und fragte: Wes-halb mute ich so viele Male nach dir senden? ffnete ichdir nicht das Auge, nachdem ich mich so lange um dich be-mhte?

    Der Schler jedoch erwiderte: Mein Auge war recht vonAnfang an; durch Euch kam es, da es zu blinzeln begann.

    Das brachte den Meister sehr in Harnisch, und durch seineRnke, so schreibt Tao-hsan, kam es dazu, da Hui-ko sichder Verfolgung durch die Behrden ausgesetzt sah.

    So finden wir die Geschichte in Tao-hsans Biographienverzeichnet; Tao-yan erzhlt uns in seiner Aufzeichnungeine etwas andere Version, doch beide stimmen darin ber-ein, da Hui-ko durch die Hnde seiner Feinde umkam. KeinZweifel, in der Zen-Lehre Bodhidharmas und seines ersten

    chinesischen Schlers lag etwas, das den meisten Buddhisten jener Zeit unbegreiflich blieb, weil sie sich bis dahin nur mitden eher uerlichen Aspekten des Buddhismus beschftigthatten Metaphysik, bungen fr das Stillwerden des Gei-

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    stes und Moralitt. Nun behaupteten die Vertreter des Zen beharrlich, die Wahrheit msse im eigenen Bewutsein wach-gerufen werden, und sei es auf Kosten der kanonischen Leh-

    ren in den Stras und Shstras, von denen viele bereits inbersetzungen in Umlauf waren. Das war den Konservati-ven und Buchstabenglubigen natrlich ein Dorn im Auge.Wie Bodhidharma hinterlie auch Hui-ko keine Werke inliterarischer Form, wenn es auch in beider Biographie heit,ihre Lehrreden seien gesammelt und die des Zweiten Patriar-chen sogar klassifiziert1 worden, was immer darunter zu

    verstehen sein mag. Einiges ist erhalten geblieben, und derfolgende Auszug gibt uns einen Eindruck von Hui-kos Leh-re. Ein Laienschler namens Hsiang schrieb einen Brief anihn:

    Schatten folgt einem Krper, und Echo erhebt sich auseinem Laut. Wer dem Schatten nachluft und dabei den

    Krper erschpft, wei nicht, da der Krper den Schattenwirft; wer ein Echo zu unterbinden trachtet, indem er seineStimme erhebt, versteht nicht, da die Stimme die Ursachedes Echos ist. Wer nach Nirvna strebt, indem er Begier-den und Leidenschaften abschneidet, ist einem zu verglei-chen, der den Schatten losgelst vom Krper sucht; undwer nach Buddhaschaft strebt, sie aber als vom Wesen allerLebewesen gesondert betrachtet, ist einem zu vergleichen,

    der das Echo hren mchte, indem er seinen Ursprungs-laut abttet. Die Nichtwissenden und die Erleuchtetenwandeln einen Weg; der Gemeine und der Weise, kein Un-terschied ist zwischen ihnen. Wo keine Namen sind, schaf-fen wir Namen, und aufgrund dieser Namen bilden sichUrteile. Wo kein zergliederndes Denken ist, zergliedern

    1 Es mu einen Band mit Darlegungen und Briefen von Hui-ko gegebenhaben, von seinen Schlern gesammelt und aufgeschrieben und vonihm selbst grndlich berarbeitet. Auch Bodhidharmas Aussprchemssen zur Zeit Tao-hsans, also in der frhen Tang-Dynastie, noch inUmlauf gewesen sein.

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    Kaiser der Chou-Dynastie. Den Berichten zufolge fand er imJahre 592 einen Schler, den er fr wrdig befand, sein Nach-folger zu werden. Dieser Schler hie Tao-hsin (Dshin). Im

    Denk-roku wird die Begegnung der beiden geschildert:Der einunddreiigste Patriarch [der vierte chinesische Pa-

    triarch], Daii Zenji [Ehrentitel fr Tao-hsin], verneigte sichvor Kanshi Daishi [Ehrentitel fr Seng-tsan] und sagte: Ich

    bitte Euch, Meister, habt Erbarmen mit mir; bitte erteilt mirdas Dharma-Tor der Befreiung.

    Der Patriarch [Seng-tsan] sagte: Wer bindet dich?

    Der Meister [Tao-hsin] sagte: Da ist niemand, der michbindet.

    Der Patriarch sagte: Warum suchst du dann noch nachBefreiung?

    Bei diesen Worten erlebte der Meister groe Erleuchtung.Als Seng-tsan ihn als seinen Nachfolger besttigte, hn-

    digte er ihm zum Zeichen der bermittlung des Dharma das

    Gewand des Ersten Patriarchen aus.

    1

    Er starb im Jahre 606.Sein Leben blieb weitgehend im Dunkel, doch von seinemDenken knnen wir einiges einer Schrift mit dem Titel Hsin-hsin-ming2 (jap. Shinjinmei) entnehmen, welche die Grund-

    1 Wenn es im Zen nur der Erste Patriarch, der Zweite Patriarchusw. heit, so sind damit immer die chinesischen Patriarchen gemeint.

    2 Hsin ist eines jener chinesischen Wrter, die praktisch unbersetzbar

    sind. Als die indischen Gelehrten die buddhistischen Sanskritwerke insChinesische zu bertragen versuchten, entdeckten sie, da es fnfKlassen von Sanskrit-Begriffen gibt, die sich nicht adquat ins Chine-sische bertragen lassen. Daher finden wir im chinesischen Tripitaka(Dreikorb, Kanon der buddhistischen Schriften) Begriffe wie Pra-

    j, Bodhi, Buddha, Nirvna, Dhyna, Bodhisattva und andere faststets unbersetzt. Heute noch erscheinen sie in der buddhistischenTerminologie in ihrer ursprnglichen Form. Knnten wir hsin in derfolgenden bersetzung mit all seinen Bedeutungsnuancen stehenlas-

    sen, so wrde uns dies die groen Schwierigkeiten ersparen, die vorallem die bersetzung in europische Sprachen mit sich bringt, dennhsin bedeutet nicht nur Geist (und zwar sowohl im Sinne von lat.mens als auch im Sinne von lat. Spiritus), sondern auch Herz oderSeele; es kann jeden dieser Inhalte einzeln, aber auch alle zusammen

    bezeichnen. In dem folgenden Werk des dritten Patriarchen hat das

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    Prinzipien des Zen in Gedichtform darlegt und starke taoisti-sche Einflsse erkennen lt.

    Der Erhabene Weg ist gar nicht schwer,nur abhold whlerischer Wahl.

    Nur in der Freiheit von Ha und Liebezeigt er sich ganz und unverhllt.

    Eine Abweichung um Haaresbreite,und Himmel und Erde klaffen auseinander.

    Mchtest du ihn verwirklicht sehen,so fasse keinen Gedanken fr oder gegen ihn.

    Was du magst, gegen das zu halten, was du nicht magst,das ist die Krankheit des Herz-Geistes.Wenn du den tiefen Sinn nicht erfat,mhst du vergebens dich um Seelenruhe.

    Vollkommen wie der weite Raum,mangelt ihm nichts, ist nichts zuviel.Es liegt frwahr an den Vorlieben und Abneigungen,da man seine Soheit aus dem Auge verliert.

    Verstricke dich nicht in das uere,verharre nicht in der inneren Leere.

    Wenn der Herz-Geist gelassen in der Einheit der Dinge ruht,verliert sich alle Verblendung von selbst.

    Wort manchmal einen intellektuellen Beigeschmack, whrend es ananderen Stellen mit Herz treffend bersetzt wre. Da wir aber den

    Grundton des Zen am ehesten als intellektuell bezeichnen knnen (abernatrlich nicht im Sinne von Logik oder Philosophie), bersetzeich hsin hier lieber mit Geist (mind) denn mit Herz. (Fr die deut-sche Fassung wurde der Ausdruck Herz-Geist gewhlt, der demSprachgebrauch in der chinesischen und japanischen Zen-Literatur amnchsten kommt.)

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    Sobald du Richtig und Falsch hast,erhebt sich Verwirrung im Herz-Geist.

    Die Zweiheit existiert aufgrund des Einen,doch halte dich nicht einmal an dieses Eine.Wenn der eine Geist nicht aufgerhrt wird,sind die Zehntausend Dinge ohne Versto.

    Wo kein Versto ist, gibt es keine Dinge,wo nichts aufgerhrt wird, gibt es keinen Geist.

    Das Subjekt kommt zur Ruhe, indem das Objekt erlischt,das Objekt erlischt, indem das Subjekt zur Ruhe kommt.

    Das Objekt ist ein Objekt fr das Subjekt.Das Subjekt ist ein Subjekt fr ein Objekt.Wisse, da die Bezogenheit der beidenletztlich auf der Einheit der Leere beruht.

    In der Einheit der Leere sind die zwei eines,und jedes der beiden enthlt in sich all die ZehntausendDinge.Wo kein Unterschied gemacht wird zwischen diesemund jenem,wie knnen da einseitige und voreingenommeneAnschauungen entstehen?

    Stille und ein offener Sinn machen den Groen Weg aus.Nichts ist leicht, nichts ist schwer.Begrenzte Anschauungen sind schwankend,

    je hastiger sie vorwrts drngen, desto mehr geratensie ins Hintertreffen.

    Wer anhaftet, der gert aus dem Lotund geht ganz gewi in die falsche Richtung.La nur los, und die Dinge sind, wie sie zu sein haben,im Grunde gibt es kein Gehen und kein Bleiben.

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    Wird das tiefe Geheimnis der einen Soheit ergrndet,sind alle ueren Verwicklungen auf einmal vergessen.Werden die Zehntausend Dinge in ihrer Einheit geschaut,

    so kehren wir zum Ursprung zurck und bleiben, waswir sind.

    Vergi das Wozu der Dinge,und du erlangst das Stadium jenseits des Vergleichens.Angehaltene Bewegung ist nicht Bewegung,und in Bewegung gesetzte Ruhe ist nicht Ruhe.

    Wo keine Zweiheit mehr herrscht,bleibt auch die Einheit selbst nicht als solche erhalten.

    Das Unberschreitbare, ber das hinaus kein Dinggelangen kann,ist nicht durch Ma und Regel gesetzt.Der Herz-Geist in Einklang [mit dem Weg] ist das Prinzipder Identitt,worin wir alles Tun in Ruhe finden.Alle Unschlssigkeit ist beseitigt,und der rechte Glaube findet zu seiner natrlichenGeradheit zurck.

    Nichts wird jetzt mehr behalten,nichts mu erinnert werden.

    Alles ist leer, klar, sich selbst erleuchtend,keine Anstrengung, keine Mhe, keine Kraftverschwendung.Hierher gelangt das Denken nie,und die Vorstellung ermit es nicht.

    Im Reich der Wahren Soheitgibt es weder ein Anderes noch ein Ich.

    Wo direkte Benennung verlangt wird,knnen wir nur sagen: Nicht zwei.

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    jap. Gozu, nach dem Namen des Berges, auf dem er lebte),erlosch und nicht zu den orthodoxen Zen-Schulen gerech-net wird. Der andere Zweig geht auf Hung-jen, den Fnften

    Patriarchen, zurck, und diese Schule lebte weiter. Hung-jen(Gunin oder Knin, 601-674) begegnete dem Vierten Patriar-chen, als er erst vierzehn Jahre alt war, und schon beim erstenGesprch beeindruckte er Tao-hsin durch die Art seiner Ant-worten. Die Begebenheit ist im Denk-roku wiedergegeben,und der Witz dieses Dialoges ist das Spiel mit zwei im Chine-sischen gleichlautenden Wrtern, nmlich hsing = Familien-

    name und hsing = Natur, Wesen:Der Patriarch [Tao-hsin] fragte: Was ist dein Familien-

    name (hsing)?Der Meister [Hung-jen] sagte: Obgleich ich einen Namen

    habe, ist es doch kein gewhnlicher Name.Der Patriarch sagte: Was fr ein Name ist es denn?Der Meister sagte: Es ist Buddha-Wesen [Wesen =

    hsing].Der Patriarch sagte: Hast du keinen Familiennamen?Der Meister sagte: Habe ich nicht, da es Leeres-Wesen

    ist.Der Patriarch war still und besttigte, da er ein Dharma-

    Gef war. Und er bermittelte das Dharma-Gewand.Sehr aufschlureich ist eine Begegnung Tao-hsins mit Fa-

    jung, denn hier zeigt sich, worin sich ihr Verstndnis unter-schied und weshalb das eine sich schlielich als lebensfhigererwies.

    Whrend der Chen-kuan-ra der Tang-Dynastie hrteTao-hsin von einem Heiligen, der auf dem Niu-tou-Berglebte, und begab sich dorthin, um zu sehen, wer das war. Beieinem buddhistischen Tempel in den Bergen erkundigte ersich nach dem Mann, und man erzhlte ihm von einem Ein-

    siedler, der sich nie von seinem Sitz erhob und nicht einmalgrte, wenn jemand sich ihm nherte. Tao-hsin ging tieferin die Berge hinein und fand den Eremiten dort still versun-ken sitzend, den Fremden nicht beachtend. Er fragte ihn, was

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    er denn da tue. Ich betrachte den Geist, lautete die Ant-wort. Da fragte Tao-hsin weiter: Was ist der, der betrachtet?Was ist der Geist, der betrachtet wird? Fr solche Fragen war

    Fa-jung nicht gerstet. Doch bemerkte er nun wohl, da seinBesucher ein Mann von tiefer Einsicht war, und erhob sichvon seinem Sitz, um ihn zu begren und zu fragen, wer ersei. Als Fa-jung hrte, da sein Besucher Tao-hsin war, be-grte er ihn ehrerbietig und dankte ihm fr seinen Besuch,denn er wute um Tao-hsins Ruf.

    Sie wollten ihr Gesprch in der kleinen Htte Fa-jungs

    fortsetzen; auf dem Weg dorthin hrte Tao-hsin einen Tigerim Wald brllen. Er machte eine Geste des Entsetzens und

    blieb stehen. Wie ich sehe, seid Ihr dies noch nicht los, bemerkte Fa-jung. Augenblicklich antwortete der Vierte Pa-triarch: Was seht Ihr noch? Darauf wute der Eremit nichtszu erwidern. Spter schrieb der Patriarch das Schriftzeichenfr Buddha (fo) auf den Stein, auf dem Fa-jung in Versun-

    kenheit zu sitzen pflegte. Dessen Gesichtsausdruck verrietBetroffenheit. Der Patriarch sagte: Wie ich sehe, seid Ihr diesnoch nicht los. Doch Fa-jung konnte den Sinn dieser Be-merkung nicht erfassen und beschwor den Patriarchen, ihn inder tiefgrndigen Lehre des Buddhismus zu unterweisen.Dies geschah, und so wurde Fa-jung zum Begrnder der

    Niu-tou-Schule des Zen.Tao-hsin starb im Alter von zweiundsiebzig Jahren im Jah-

    re 651.Hung-jen, der Fnfte Patriarch, stammte wie sein Vorgn-

    ger aus der Provinz Chi-chou. Nach dem Tode seines Mei-sters grndete er ein Kloster auf dem Berge Huang-mei( bai), wo er fnfhundert Schler im Zen unterwies. Eswird manchmal behauptet, er sei der erste Zen-Meister gewe-sen, der die Botschaft des Zen gem der Lehre des Vajrach-

    chedik-Stra zu interpretieren versuchte. Ich stimme mit die-ser Ansicht zwar nicht ganz berein, doch knnen wir sagen,da mit dem Fnften Patriarchen eine Wende in der Geschich-te des Zen einsetzte, die mit dem Sechsten Patriarchen, Hui-

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    neng, schlielich ganz vollzogen wurde. Bis dahin hatten dieZen-Anhnger im stillen gewirkt und mglichst nicht dieAufmerksamkeit der ffentlichkeit auf sich gezogen; die

    Meister hatten sich in die Berge zurckgezogen oder ihreSpuren im Getriebe der Welt verwischt, wo niemand etwasGenaues ber ihr Woher und Wohin sagen konnte. Doch nunwar die Zeit des offenen Auftretens gekommen, und Hung-

    jen bereitete hierin seinem groen Nachfolger den Weg. Neben den Patriarchen, die die offizielle bertragungslinie

    reprsentierten, gab es im sechsten und siebenten Jahrhundert

    noch eine Reihe vereinzelter Gestalten des Zen. Etliche vonihnen finden wir erwhnt, doch gab es gewi noch viele an-dere, die vergessen oder der Welt gar nicht erst bekannt wur-den. Die beiden bekanntesten sind Pao-chih (gest. 514) undFu-hsi (gest. 569). Wir finden sie im Dent-roku genannt alsEingeweihte des Zen, doch nicht in der Welt erscheinend,wenn auch wohlbekannt zu ihrer Zeit. Das ist eine eigen-

    tmliche Ausdrucksweise, und wir wissen nicht mit Be-stimmtheit zu sagen, was nicht in der Welt erscheinend bedeutet. Fr gewhnlich bezeichnete man mit diesen Worten jemanden, der keine offizielle Position in einem anerkanntenKloster einnahm, doch unter den so Bezeichneten findet sichzumindest einer, auf den diese Charakterisierung nicht zu-trifft: Chih-i war ein Priester, der whrend der Sui-Dynastieeine sehr einflureiche Stellung innehatte. Doch wie demauch sei, alle in diesem Zusammenhang erwhnten Persn-lichkeiten gehrten nicht der eigentlichen Zen-Schule an.

    Die Anhnger der Tien-tai-(Tendai-)Schule verwahrtensich dagegen, da zwei ihrer Patriarchen, Hui-ssu und Chih-i,als Eingeweihte des Zen bezeichnet wurden. Fr sie sinddies zwei groe Namen in der Geschichte ihrer Schule, dieman nicht einfach der Geschichte des Zen einverleiben kann.

    Aus der Sicht des Zen ist diese Zuordnung dennoch erklr-lich, denn die Tendai-Lehre ist, mit Ausnahme ihrer Meta-

    physik, eigentlich auch eine Zen-Strmung, die von Bodhi-dharma ausging und bei mehr praktisch ausgerichteter Ent-

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    wicklung wohl zu echtem Zen geworden wre. Doch diemetaphysische Seite trat zu stark in den Vordergrund, und sostanden die Tendai-Philosophen stndig auf Kriegsfu mit

    dem Zen, vor allem mit jenen Vertretern, die das schlufol-gernde Denken, den literarischen Diskurs und das Stra-Stu-dium als Mittel der spirituellen Verwirklichung strikt ablehn-ten. Nach meiner Auffassung ist Tendai eine Variante desZen, und seine ersten Verknder drfen durchaus als Zen-Meister gelten wenn auch nicht vom Rang eines Shih-tou(Sekit), Yeh-shan (Yakusan), Ma-tsu (Baso) oder Lin-chi

    (Rinzai).So bildeten sich im sechsten und siebenten Jahrhundert also

    mehrere Zen-Linien, doch die fruchtbarste und lebensfhigstewar jene, die sich von Bodhidharma aus lckenlos ber Hui-ko, Seng-tsan, Tao-hsin und Hung-jen fortsetzte. Die neuer-liche Aufspaltung unter dem Fnften Patriarchen durch Hui-neng und Shen-hsiu eliminierte wiederum nebenschliche

    Elemente und trug zur weiteren Entwicklung des reinen Zen bei. Da Hui-nengs Schule die andere berlebte, deutet dar-auf hin, da dieses Zen am besten mit der chinesischen Gei-stesart bereinstimmte. In der Gestalt, in der es unter Hui-neng und seinen Nachfolgern in China heimisch wurde, gabes keine inneren Hemmnisse seiner freien Entwicklung mehr,und so wurde es schlielich zu der Kraft, die das Gesicht desBuddhismus in China bestimmte. Betrachten wir nun, aufwelche Weise Hui-neng der Nachfolger Hung-jens wurdeund worin die Unterschiede seines Zen zu dem der rivalisie-renden Schule unter Shen-hsiu bestehen.

    HUI-NENG, DER LETZTE PATRIARCH

    Hui-neng (En, 638-713) stammte aus Hsin-chou in Sdchi-na. Er hatte seinen Vater frh verloren und verdiente einenkrglichen Lebensunterhalt fr seine Mutter und sich damit,da er Brennholz sammelte und verkaufte. Eines Tages, als er

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    Eines Tages rief der Fnfte Patriarch alle Mnche zusam-men, denn er war schon hochbetagt und fhlte sein Endenahen und wollte einen Dharma-Nachfolger bestimmen. Er

    sagte den Versammelten, jeder solle einen Vers schreiben, derden Stand seiner Einsicht in das Wahre Wesen wiedergebensolle. Nun gab es in diesem Kloster den MnchsltestenShen-hsiu (Jinsh, 605?-706), der hochintelligent und ein Ge-lehrter war und der selbst (wie auch alle brigen Mnche)meinte, da er der Nachfolger von Hung-jen werden wrde.Shen-hsiu schrieb also einen Vers und heftete ihn in einem

    Durchgangskorridor an die Wand, wo er dem Auge des Fnf-ten Patriarchen nicht entgehen konnte. Sein Vers lautete:

    Der Leib, das ist der Bodhi-Baum,der Geist, er gleicht dem klaren Spiegelstnder;wisch ihn denn immer wieder rein,la keinen Staub sich darauf sammeln.

    Fr den Fnften Patriarchen besttigte dieser Vers natrlichnur, was er lngst wute, nmlich, da Shen-hsiu durchausnoch nicht wirklich sein Wahres Wesen erfat hatte. Aber vorden anderen Mnchen sagte er: Wir wollen diesen Vers hierhngen lassen. Machen wir die Menschen ihn rezitieren;wenn man sich also bt, wird man nicht auf ble Wege gera-ten. Und so rezitierten denn die Mnche diesen Vers, und

    alle fanden ihn gut.Schlielich hrte der Kchenjunge, Hui-neng, von diesem

    Vers. Er sah sofort, da es mit Shen-hsius Einsicht nicht weit herwar, und bat einen Knaben in der Kche: Ich werde dir einenVers diktieren; schreibe ihn fr mich auf. (Es heit, da Hui-neng zu der Zeit noch nicht schreiben konnte.) Sein Vers lautete:

    Im Grunde gibt es keinen Bodhi-Baum,noch ist der klare Spiegel ein Gestell.Da alles Leere ist von Anbeginn,wo heftete sich Staub denn hin?

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    Als der Fnfte Patriarch diesen Vers las, wute er, da seinUrheber tiefe Erleuchtung gefunden hatte. Aber vor den an-deren Mnchen ging er wiederum grob darber hinweg.

    Doch in der Nacht, als die Mnche schliefen, rief er Hui-nengzu sich. Er war fest entschlossen, diesen zu seinem Dharma-

    Nachfolger und damit zum Sechsten Patriarchen zu machen.Aber wie htte er den Mnchen sagen sollen, da er diesenKchenjungen, der noch nicht einmal ein Mnch war, zumSechsten Patriarchen machte? Um Hui-neng vor der Eifer-sucht der Mnche zu bewahren, erklrte er es nicht ffent-

    lich, solange Hui-neng noch da war.In dieser letzten Nacht Hui-nengs im Kloster erhielt er

    vom Patriarchen Gewand und Schale, die ueren Zeichender bermittlung, und wurde zum sechsten Patriarchen er-klrt. Hung-jen sagte ihm, er solle, um vor eventuellen

    Nachstellungen sicher zu sein, noch in derselben Nacht heim-lich fortgehen und sich mindestens zehn Jahre in Verborgen-

    heit halten. Es wurden fnfzehn Jahre.Diese Erzhlung stammt aus Aufzeichnungen der Nach-folger des Sechsten Patriarchen und zeigt natrlich eine ge-wisse Voreingenommenheit fr seine Person. Besen wirZeugnisse ber Shen-hsiu und seine Schule, so mte derhier wiedergegebene Bericht vielleicht in manchem ganzanders aussehen. Wir besitzen allerdings ein Dokument, dasuns ber Shen-hsius Beziehung zu Hung-jen Auskunft gibt.Es ist die Gedenkinschrift auf seinem Grabstein, die vonChang-shuo, einem seiner Laienschler, geschrieben wur-de. Hier wird Shen-hsiu als derjenige genannt, dem Hung-

    jen den Dharma bertrug. Wir knnen demnach davonausgehen, da Hui-nengs Autoritt als Patriarch nicht un-umstritten war oder da die rechtmige Nachfolge ersteinige Zeit spter endgltig geklrt wurde, als Hui-nengs

    Schule sich als die lebens- und entwicklungsfhigste erwie-sen hatte. Leider sagt die Grabinschrift nichts ber die Be-ziehung Hui-nengs zum Fnften Patriarchen, doch knnenwir auch der oben wiedergegebenen Erzhlung manches

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    entnehmen, was uns die Geschichte des Zen ein wenig er-hellt.

    Zunchst, war Hui-neng wirklich der ungebildete Anal-

    phabet, als der er hier dargestellt wird, oder bestand eineNotwendigkeit, ihn gegenber dem hochgelehrten Shen-hsiuso darzustellen? Denn immerhin finden wir in dem ihm zuge-schriebenen Werk Des Sechsten Patriarchen Stra (gesprochen)vom Podium des Dharma-Schatzes (Liu-tsu-ta-shih fa pao tan-ching, kurz Tan-ching, jap. Rokuso daishi Hbdan-gy, kurz

    Dan-gy), auch Podium-Stra genannt, das neben seiner Bio-

    graphie auch seine Darlegungen und Aussprche enthlt, Zi-tate aus etlichen Stras. Zeigt das nicht, da dem Autor dieMahyna-Literatur nicht ganz fremd war? Vermutlich warer nicht so gelehrt wie Shen-hsiu, doch in den Berichten bersein Leben erkennen wir so etwas wie ein systematisches Be-mhen, ihn als besonders ungebildet darzustellen. MeinesErachtens liegt in der Hervorhebung des Gegensatzes zwi-

    schen den beiden herausragenden Schlern des Fnften Pa-triarchen das Bemhen, die Unabhngigkeit der Zen-Erfah-rung von Belesenheit und Intellektualitt herauszustellen.Wenn Zen, wie es in den vier Grundaussagen heit,