Edition - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede...

16
01 | 2014 www.griephan.de SICHERUNG DER GLOBALEN HANDELS- UND LOGISTIKSTRÖME Edition Eine Kooperation DVV | griephan und dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)

Transcript of Edition - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede...

Page 1: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

01 | 2014 ww

w.g

rie

ph

an

.de

SICHERUNG DER GLOBALEN

HANDELS- UND LOGISTIKSTRÖME

Edition

Eine Kooperation DVV | griephan und dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)

Page 2: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

EDITORIAL_SCHULTE

SICHERUNG DER GLOBALEN HANDELS- UND LOGISTIKSTRÖMEIn Ihren Händen halten Sie, oder haben vor sich auf dem Bildschirm, die griephan Edition Sicherung der globalen Handels- und Logistikströme, die Beiträge der ersten Kooperationsveranstaltung zwischen DVV | griephan und dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am 12. März 2014.

Die Tatsache, dass diese Zusammenarbeit zwischen einem Medienhaus mit der Kernkompetenz Logistik & Transport auf der einen Seite und dem BDI auf der anderen zustande ge-kommen ist, zeigt die hohe Bedeutung, die beide dem Thema beimessen. Gemeinsam wollen wir die Sicherung der globalen Handels- und Logistikströme – das Rückgrat der Globalisie-rung, von der Deutschland als führende Exportnation und Logistikstandort vor allem profitiert – aus unterschiedlichen Sichtweisen vorstellen: aus der Sicht der Politik, aus der Per-spektive der Industrie, aus der Analyse der Berater und der Wissenschaft sowie aus den Erfahrungen im „Maschinenraum“ der Logistik.

Kurz vor Redaktionsschluss hat die World Bank ihr aktuelles Logistik-Ranking von 160 Staaten vorgelegt: Deutschland als Logistikstandort hat seinen Spitzenplatz beim Logistikleis-tungsindex (LPI) zurückerobert. Gleichzeitig findet eine globale Neuausrichtung der führenden Reedereien statt: P3 steht für die geplante Großallianz von Maersk Line (Dänemark), MSC (Schweiz) und CMA CGM (Frankreich). Die deutsche Reederei Hapag-Lloyd findet sich in der Endrunde von Fusionsgesprä-chen mit der chilenischen CSAV. Durch die Fusion entstünde die viertgrößte Containerreederei der Welt. Vor einigen Tagen hat der chinesische Staatspräsident dem Duisburger Hafen

einen Besuch abgestattet, der Endstation einer Eisenbahnlinie vom Reich der Mitte zum größten Binnen-Umschlagshafen in Europa.

Der BDI hat Ende 2012 den Ausschuss für Sicherheit ge-gründet. Dieser hat für sich vier wesentliche Aufgabenfelder identifiziert: Wirtschaftsschutz, Cybersicherheit, Stärkung der industriepolitischen Rahmenbedingungen sowie Sicherung der globalen Handels- und Logistikströme. Zum letzteren trägt griephan Expertise aus der Perspektive der umfassen-den Sicherheitsvorsorge bei. Die Veranstaltung am 12. März 2014 war die erste ihrer Art, weitere sollen an ausgesuchten Logistikstandorten in Deutschland folgen.

Heinz SchulteChefredakteur

DVV | griephan

HerausgeberDVV Media Group GmbH | griephanPostfach 101609, D-20010 HamburgNordkanalstr. 36, D-20097 Hamburgwww.dvvmedia.com | www.griephan.de

RedaktionHeinz Schulte (verantw.)Anna SturmE-Mail: [email protected]

AnzeigenverkaufFlorian Visser (Anzeigenleitung)E-Mail: [email protected] Dr. Uwe Wehrstedt (Anzeigenverkauf)E-Mail: [email protected]

DruckTZ-Verlag, Roßdorf

Copyright 2014 DVV Media | griephan

Cover: © Coneyl Jay/gettyimages

DVV Media GroupDeutscher Verkehrs-Verlag

2 griephan Edition 01/2014

Page 3: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

EDITION_MAIR

Sicherheit: ein GrundbedürfnisEXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz. Sie gewährleistet, dass sich Kultur, Handel und Wirtschaft entwickeln können. Durch sie erlangen wir Freiheit, Stabilität und Wohlstand.

STABILITÄT Was bedroht diese Sicherheit? Mit welchen Risiken sehen wir uns konfron-tiert? Und wie können wir diesen Risiken erfolgreich entgegentreten? Diese Fragen müssen wir immer wieder aufs Neue beant-worten.Sicherheit in der globalisierten Welt von heute muss dabei anders gedacht werden als noch vor 30 Jahren. Anstelle der politisch und geo-grafisch klar definierten Blockkonfrontationen des Kalten Krieges ist eine multipolare Staa-ten- und Wirtschaftsordnung getreten – mit

Dr. Stefan Mair vielfältig verflochtenen Strukturen, Interessen und komplexen Sicherheitsrisiken.Es bedarf ebenso komplexer, ganzheitlicher Ansätze unserer Sicherheitspolitik, um hie-rauf adäquate Antworten zu entwickeln und umzusetzen. Das ist sicherlich keine neue Erkenntnis. Schon im Weißbuch der Bundes-wehr aus dem Jahr 2006 wird die Notwen-digkeit eines ganzheitlichen, ressortübergrei-fenden politischen Ansatzes der sogenannten „vernetzen Sicherheit“ beschrieben. Umso überraschender ist es, dass es – allen Grundsatzpapieren zum Trotz – bis heute keinen solchen ganzheitlichen Ansatz gibt –

weder in Deutschland noch in der EU oder in der NATO.Nach wie vor wird die Debatte über Sicher-heit in unserer Gesellschaft allzu oft auf Einzelaspekte reduziert. Oder Sicherheit schlichtweg als selbstverständlicher Zustand – als Normalität – erachtet. Das ist weder zielführend noch akzeptabel.Wir benötigen daher Plattformen wie diese, um zentrale gesellschaftliche Sicherheitsfra-gen ganzheitlich zu erörtern und für diese zu sensibilisieren. In einem direkten persönlichen Austausch von Politik und Wirtschaft. Das ist aus meiner Sicht durch nichts zu ersetzen.

© Lufthansa Cargo

griephan Edition 01/2014 3

Page 4: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

EDITION_MAIR

DIE BEDEUTUNG DES AUSSENHANDELS Das Industrieland Deutschland hat von der Globalisierung wie kaum ein anderes Land profitiert. Ein Großteil seines Wohlstandes

schöpft es heute aus dem Außenhandel und aus seinen Auslandsinvestitionen.So macht der Export von Gütern und Dienst-leistungen etwa die Hälfte des gesamten deutschen Bruttoinlandsprodukts aus. Die deutsche Außenhandelsquote, also der Anteil der Ex- und Importe am BIP, lag in den ver-gangenen Jahren sogar auf einem Wert von 76 Prozent. Das gab es noch nie.Der Bestand deutscher Auslandsinvestitionen betrug zuletzt 1,2 Billionen € – davon waren rund die Hälfte außerhalb der EU investiert – mit steigender Tendenz. Und auch das ist ein Rekord. Über neun Millionen, also knapp einViertel aller Arbeitsplätze in unserem Land,hängen von unserem Außenhandel ab.Kurzum: Die starke Einbindung in internatio-nale Wertschöpfungsketten ist einer der we-sentlichen Erfolgsstrategien für die Wettbe-werbsfähigkeit deutscher Unternehmen.

BEDEUTUNG VON HANDELS- UND LO-GISTIKKETTEN Komplexe Logistikprozesse und Infrastrukturen ermöglichen dabei erst den internationalen Austausch von Waren, Dienstleistungen und die dafür erforderliche Kommunikation.60 Prozent aller Güter werden per Schiff oder LKW transportiert und lediglich 7 Pro-zent per Bahn oder Flugzeug – meist beson-ders dringliche oder teure Güter. Dabei ist die Kombination von Luft, Schiene, Straße und See in den heutigen „multimodalen“ Lo-gistikketten die Regel, nicht die Ausnahme. Ohne sie wäre eine international arbeitsteili-ge Wertschöpfung schlichtweg nicht möglich. Sie sind damit ein entscheidender Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit und den Wohl-stand der Exportnation Deutschland.

STEIGENDE SICHERHEITSHERAUSFOR-DERUNGEN Handels- und Logistikketten können aber nur dann funktionieren, wenn sie „sicher“ sind. Wenn Unternehmen und Verkehrsinfrastrukturen – wie Flug- oder Seehäfen, Straßen-, Schienennetze oder Rohrleitungen – vor Angriffen, Störungen und Unterbrechungen Dritter geschützt sind – sowohl im Inland als auch im Aus-land. Mit der zunehmenden Globalisierung

und fortschreitender technischer Vernet-zung steigen jedoch auch die Komplexität und zugleich die Verwundbarkeit unserer Logistikprozesse.

Von welchen Bedrohungsszenarien spre-chen wir? Nur soviel: Die Bandbreite reicht von organisierter Kriminalität, Terrorismus, Schmuggel, staatlichen/innerstaatlichen Kon-flikten bis hin zu Katastrophen. Angriffe er-folgen dabei auch zunehmend über IKT-Struk-turen.Darüber können sich Sicherheitsvorkommnis-se irgendwo auf der Welt binnen kürzester Zeit nachteilig auf die deutsche Wirtschaft auswirken.

BEISPIEL ROHSTOFFSICHERHEIT Rund 50 Prozent aller in Deutschland benötigten Rohstoffe müssen importiert werden. Bei den energetischen Rohstoffen wie Öl oder Gas sind es sogar über 70 Prozent, bei den metallischen nahezu 100 Prozent. Würde die hierfür erforderliche Logistik unterbrochen werden, stünden in unseren Unternehmen binnen kürzester Zeit die Produktionsbänder still und in den Haushalten – bei jedem der hier Anwesenden – gingen buchstäblich die Lichter aus. Und zwar unabhängig davon, ob dieser Rohstoff am Weltmarkt im Überfluss verfügbar ist oder absolute Verknappungs-tendenzen aufweist.Die Frage der europäischen Rohstoffsicher-heit ist damit primär eine Frage der Logis-tikkettensicherheit in Kombination mit dem internationalen Marktdesign. Dass diese theoretischen Ausführungen sich durchaus in realen Szenarien widerspiegeln, zeigen unter anderem die jüngsten Ereignisse in der Ukrai-ne: Durch ein politisch derzeit instabiles Land führt eine der wichtigsten Erdgasleitungen von Russland nach Europa. Diese befördert rund 15 bis 20 Prozent des jährlichen deut-schen Gasbedarfs – bei einigen südosteuro-päischen Staaten liegt dieser Wert bei nahe-zu 100 Prozent.Sicherlich: Eine durch den russisch-ukraini-schen Konflikt bedingte Störung dieser Lei-tung ist aktuell sehr unwahrscheinlich. Und im Notfall gäbe es Substitutionsmöglichkei-ten. Dennoch verdeutlicht dieses Beispiel, wie abhängig Deutschland und Europa grund-sätzlich von sicheren und damit funktionieren-den Logistikketten bei der Rohstoffversor-gung sind.

FAZIT Wollen wir unseren Wohlstand, sozi-ale Stabilität und damit unsere Freiheit lang-fristig erhalten, müssen wir alle gemeinsam – Politik, Industrie und Gesellschaft – Ant-worten auf diese aktuellen und künftigen Si-cherheitsherausforderungen – nicht nur, aber auch – im Kontext sicherer Handels- und Lo-gistikketten finden. Bundespräsident Gauck und Vertreter der Bundesregierung haben sich im Rahmen der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz für eine aktivere, ver-antwortungsvolle und ganzheitliche Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands ausge-sprochen.Nun ist es nicht die Aufgabe der Industrie, die deutsche Sicherheitspolitik zu definieren oder zu kommentieren. Dieses Privileg haben allein der Bundestag und die Bundesregie-rung.Sicherheitspolitik muss sich jedoch an den gesellschaftlichen Werten und Interessen – auch an wirtschaftlichen – orientieren.Der Bundesverband der Deutschen Industrie wird weiterhin seinen Beitrag dazu leisten, die Erwartungen der deutschen Industrie an eine künftige Sicherheitspolitik unseres Lan-des und der EU zu formulieren. Eine dieser Erwartungen ist es, dass die Bundesregie-rung das Thema der „Sicherheit unserer glo-balen Handels- und Logistikketten“ in den Fo-kus ihrer Politik rückt – stärker und ganzheitlicher als in der Vergangenheit. Was dies konkret bedeutet und welche inhaltlichen Schwerpunkt aus Sicht unserer Unternehmen im Vordergrund stehen müssen, das wollen wir heute gemeinsam erörtern.

»Handels- und Logistikketten können aber nur dann funktionieren, wenn sie „sicher“ sind.«

Dr. Stefan Mair; Mitglied der Hauptgeschäftsführung, Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)

4 griephan Edition 01/2014

Page 5: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

EDITION_SCHULTE

Globalisierung: eine politische HerausforderungSTRÖME Manchem scheint es, als ob die Globalisierung etwas völlig neues sei. In Wirk-lichkeit ist sie von den Konflikten des 20. Jahrhunderts – zwei Weltkriege und ein Kalter Krieg im Schatten der nuklearen Abschreckung – lediglich überlagert worden.

GLOBALISIERUNG Die Antwort auf die Fra-ge, ob das Thema „Sicherung der globalen Handels- und Logistikströme“ angemessen sei angesichts der aktuellen Entwicklung auf der Krim, ist eindeutig: Das russische Festhalten am Flottenstützpunkt Sewastopol auf der Krim ist getragen von geostrategischen Interessen, die maritim umgesetzt werden. Das Schwarze Meer ist für die russische Marine Zugang zum Mittelmeer: Und schon sind wir bei den globalen Handels- und Logistikströmen.Manchem scheint es, als ob die Globalisierung etwas völlig neues sei. In Wirklichkeit ist sie von den Konflikten des 20. Jahrhunderts – zwei Weltkriege und ein Kalter Krieg im Schatten der nuklearen Abschreckung – lediglich überlagert worden. Jahrhunderte lang gab es die Seidenstrasse; und Karawanen brachten die Essenzen des Mor-genlandes an die europäischen Adelshöfe und für das aufstre-bende Bürgertum. Denken wir an das Luxusgut einer Tasse heißen Kakaos. Die Älteren er-innern sich an den „Kolonialwa-ren-Laden“! Jahrhunderte lang setzten arabische und indische Seeleute das Segel, um den Monsunwind auszunutzen, lang bevor die Portugiesen den Indi-schen Ozean „entdeckten“. Sie taten es zum Austausch von Waren. Und der Aufstieg Roms zur Weltmacht begann damit,

Heinz Schulte dass man die Piratennester um das Mittel-meer aushub, um die Handelsströme nach Rom zu sichern.Handelswege waren immer unsicher, spezi-elle Seegebiet wie die Strasse von Hormuz oder die Straße von Malakka bilden nicht erst

heute potentielle „Choke points“. Gewachsen ist die Komplexität und damit Anfälligkeit logistischer Ströme: Werden Häfen lahm gelegt, nehmen die Handelsströme Scha-den und die Börse reagiert umgehend. Die Weltmeere selbst sind zu Lagerstätten ge-

© Tom Nulens/gettyimages

griephan Edition 01/2014 5

Page 6: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

EDITION_SCHULTE

worden: So verlassen Supertanker die Ölter-minals im Nahen Osten ohne den Zielhafen zu kennen; dieser hängt vom Verkauf der Ladung auf dem Rotterdamer „Spot market“ während der Fahrt ab. Auch „Fracking“ än-dert nichts an der Tatsache, dass es keine nationale Autarkie mehr gibt.

VON DEN STANDARDS & DEN MÄRK-TEN Wer Standards setzt, schafft Märkte! Genau darum geht es, wenn von transatlan-tischen und transpazifischen Freihandelszo-

nen die Rede ist. Und darum ist ein transat-lantisches Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA von strategischer Be-deutung. So sieht es Edward Luce, der in der Financial Times geschrieben hat: „Fortu-nately, the geostrategic benefits to what is likely to be called the ‘transatlantic part-nership’ are now increasingly recognised on both sides. By 2030, Asia’s economy will be larger than that of the US and EU combined … By acting now when they still account for half the world’s economy, the US and EU still possess the leverage to set the global stan-dards that others, including China, are likely to follow. Five years on, it may be too late. In the words of a senior EU official, the round would be ‘strategic not tactical, global not bilateral’.“Um welche Standards geht es? Es geht um Good governance, Compliance, Anti-cor-ruption, and the Rule of law. Diesem Regel-werk können nicht nur Europa und die USA zustimmen, sondern auch Japan, Australien, Singapur und Südkorea. Für Länder wie Chi-na und Indien, die westlich geprägten Stan-dards skeptisch gegenüber stehen, wird es aber schwierig, einen wirtschaftlich attrak-tiven und tragfähigen Gegenentwurf zu prä-sentieren: Was sind die Alternativen zu Good governance, Compliance, Anti-corruption, and the Rule of law?In einem bemerkenswerten Beitrag hat FT-Kolumnist Philip Stephens („Trade trumps missiles in today’s global power“) festge-stellt, „China is waking up to the fact it is being left behind as the west clings to eco-nomic power“. Er kommt zu dem nüchternen

Schluss: „Governments pay lip service to the facts of interdependency while jealously guarding outdated notions of national so-vereignty. Enlightened self-interests is an approach lost on to-day’s world leaders. Glo-balisation without global rules may work for a while, but will not last.“Wir stimmen Stephens zu, „geopolitics is making way for geoeconomics“. Aber die Aufrechterhaltung internationaler Standards zum Zwecke der geoeconomics bedarf der Durchsetzung. Und hier ist die Erkenntnis

von Professor Stürmer einzubringen, der jüngst geschrieben hat: „Was in früheren Jahrhunderten Landnahme und territoriale Ausweitung waren, ist heute der Griff nach maritimen Regionen und Luftraum.“Es sind Bilder, die in den Köpfen hängen bleiben: In der Vergangenheit waren bei der Berichterstattung über die deutsche Wirt-schaft in den abendlichen Nachrichtensen-dungen die rauchenden Schlote des Ruhr-gebiets als Hintergrundbild zu sehen. Jetzt ist es der Verladekai mit Containern. Auf den Punkt gebracht hat es Dr. Peter Hefele von der Konrad-Adenauer-Stiftung in seiner Studie „Fragile Wertschöpfungsketten: Zur Notwendigkeit eines deutschen maritimen Engagements“.„Es muss unter Entscheidungsträgern in Po-litik und Wirtschaft ein Bewusstsein für die Problemlage fragiler maritimer Wertschöp-fungsketten geschaffen werden.“

EINE GEOSTRATEGISCHE MÜNZE Die gegenwärtige strategischen Großwetterlage gleicht einer Münzen mit zwei Prägungen: Auf der einen Seite ist der Aufstieg Chinas abgebildet, auf der anderen Seite die Globa-lisierung. Globalisierung handelt von weltwei-ten Strömen (flows) an Gütern, Rohstoffen, Menschen, Finanzen und Informationen. Beides – Globalisierung und der asymmetri-sche (!) Aufstieg Chinas – gehört zusammen und bedingt eine neue Dimension maritimen Handelns: das Wissen um und Denken in Räumen (Domain awareness). Berlin muss sich in der anlaufenden Legis-laturperiode der Herausforderung einer eu-

ropäischen Gestaltungsmacht zur Sicherung der globalen Ströme stellen. Mit Blick auf den pazifischen Raum sollte Berlin nach einem Partner Ausschau halten, der ähnliche Inte-ressen verfolgt. Unseres Erachtens eignet sich Singapur für eine derartige Partner-schaft: Compliance, Corporate governance und Rule of law sind dort ebenso verankert, wie eine komplexe logistische Infrastruktur und eine global agierende maritime Indust-rie. Singapur unterhält gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, die die Nutzung der maritimen Infrastruktur für amerikanische Marineschiffe einschließt.Ergebnis eines solchen Diskurses muss auch die Neuordnung politischer und ministerieller Strukturen mit Blick auf die neue Heraus-forderung sein. Welcher Bundestags-Aus-schuss soll sich mit diesem Thema befas-sen, welches Ministerium ist federführend? Da es sich bei der Bewältigung der globalen Ströme um ein ressortübergreifendes The-ma handelt, sei der Koordinator der Bundes-regierung für die strategische Industrie beim Bundeskanzler/bei der Bundeskanzlerin an-geraten. Eine minimalistische Definition der strategischen Industrie schließt sicherlich kritische Infrastruktur (Häfen, logistischen Drehscheiben) sowie „Treiber der globalen Logistik“ (einschlägige Unternehmen, Ree-dereien und Fluggesellschaften) mit ein.Eine ressortübergreifende Befassung gilt auch für den Bundestag, der mit seinen Aus-schüssen im Wesentlichen bestehende Minis-terien widerspiegelt. Ein parlamentarischer Ausschuss für Fragen der Globalisierung könnte sich aus Mitgliedern verschiedener Fachausschüsse wie Auswärtiges, Wirt-schaft und Verteidigung zusammensetzen. Das Denken in Räumen als Voraussetzung für den Beitrag Europas zur Sicherung glo-baler Ströme ist in Deutschland unterentwi-ckelt und steht im Widerspruch zum augen-scheinlichen Erfolg als Exportnation.Zum Abschluss kann der Blick zurück hilf-reich sein. Auf einer populären virtuellen Nachschlagseite lesen wir: „Hanse ist die Bezeichnung für die zwischen Mitte des 12. Jahrhunderts und Mitte des 17. Jahr-hunderts bestehenden Vereinigungen nie-derdeutscher Kaufleute, deren Ziel die Si-cherheit der Überfahrt und die Vertretung gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen besonders im Ausland war.“ Die Kaufleute der Hanse hätten die Dynamik der Globalisierung umgehend als das ver-standen, was sie ist: Chance!

»Gewachsen ist die Komplexität und damit Anfälligkeit logistischer Ströme: Werden Häfen lahm gelegt, nehmen die Handelsströme Schaden und die Börse reagiert umgehend.«

Heinz Schultegriephan | DVV Media Group

6 griephan Edition 01/2014

Page 7: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

EDITION_HALLDORN

Außenhandel: Abhängigkeit & sichere HandelswegeABHÄNGIGKEIT Sichere Handelswege waren und sind keineswegs selbstverständlich. Störungen können verschiedene Ursachen haben: menschliches Versagen, natürlicher Verfall und Naturgewalten, aber auch kriminelle Akte und terroristische Anschläge.

MARKTZUGANG Deutschland ist ein roh-stoffarmes Land. Allein für die drei größten Exportbranchen Deutschlands – Fahrzeug-bau, Maschinenbau und Chemie/Pharma – die einen Anteil von über 50 Prozent am jährlichen Export von 1,1 Billionen € haben, sind Rohstoffe existenzielle Grundlage des Geschäfts. Das allein belegt, wie extrem wir auf offene und freie Märkte angewiesen sind. Protektionismus schadet uns besonders. Aber er schadet auch der Weltwirtschaft und den Entwicklungsländern. Es ist empirisch belegt, dass Länder, die über offene Handels-grenzen verfügen, eine bessere Entwicklung durchlaufen als solche, deren Märkte abge-schottet sind.Die Außenhandelsabhängigkeit zeigt aber auch, wie essenziell Deutschland als In-dustrie- und Handelsnation auf sichere und geschützte Handelswege angewiesen ist. Gleiches gilt natürlich auch für den Per-sonenverkehr, insbesondere auch für den Tourismus. Was nützen offene Märkte und Grenzen, wenn die Wege dorthin physisch verschlossen sind.

INFRASTRUKTUR Sichere Handelswege waren und sind keineswegs selbstverständ-lich. Störungen können verschiedene Ursa-chen haben; menschliches Versagen, natür-licher Verfall und Naturgewalten, aber auch kriminelle Akte und terroristische Anschläge.Die Havarie eines mit Gefahrgut beladenen Motorschiffes an der Loreley war wohl eher menschliches Versagen. Es hat hohe Kosten verursacht. Hier müssen wir weiter an der Ausbildung und Überwachung arbeiten. Die Infrastruktur, insbesondere die technischen Bauwerke wie Brücken und Tunnel, kommen in Deutschland mittlerweile in die Jahre – siehe Nord-Ostsee-Kanal. Vielfach sind umfangrei-

Dr. Sven Halldorn

che Grundsanierungen mit Streckensperrun-gen erforderlich. Die neue Bundesregierung hat dieses oft als Instandhaltungslücke be-zeichnete Problem erkannt und reagiert: Trotz der Haushaltszwänge wird sie 5 Mrd € zusätzlich insbesondere für den Erhalt in die Hand nehmen.

NATURKATASTROPHEN Naturgewalten wie das Elbe-Hochwasser im letzten Früh-sommer oder ein Vulkanausbruch in Island werden auch in Zukunft über uns hereinbre-chen. Auch hier wird wirtschaftlicher Schaden unvermeidbar sein. Hier geht es dann darum, aus solchen Katastrophen zu lernen, um die

Folgen und die Schäden für Menschen und Wirtschaft möglichst gering zu halten.

KRIMINALITÄT UND TERRORISMUS Ein sehr besorgniserregendes, für unsere Generation neues Problem ist in den ver-gangenen Jahren durch den internationalen Terrorismus aufgetaucht. Besonders der 11.09.2001 war ein einschneidendes Datum für eine veränderte Sicherheitslage. Für gro-ße Verunsicherung sorgte aber auch die Pira-terie am Horn von Afrika. Wir haben erfahren müssen, dass zunehmend kriminelle, bis-weilen auch terroristische Anschläge gezielt internationale Handelsströme stören wollen.

© shaunl/gettyimages

griephan Edition 01/2014 7

Page 8: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

EDITION_HALLDORN

Piraterie, die es im Übrigen seit Jahrhunder-ten gibt, und Terrorismus haben heute eine andere Qualität hinsichtlich ihrer Dimension und ihren Wirkungen. Die technischen und taktisch-strategischen Möglichkeiten der An-greifer sind gewachsen. Die Anfälligkeit des globalen, arbeitsteilig organisierten Wirt-schaftssystems gegen solche Störungen hat zugenommen hat.

MASSNAHMEN Aufgabe des Staates war und ist es dabei, mit präventiven Maßnahmen flankierend beizustehen. Dies ist Bestandteil

der Außen- und Sicherheitspolitik und bedurf-te daher auch keiner Erwähnung im Koaliti-onsvertrag. Deutschland hat sich frühzeitig an der Aktion Atalanta vor dem Horn von Af-rika beteiligt. Das Mandat wurde im letzten Jahr erneuert und umfasst sowohl die Siche-rung des Seewegs und des Schiffes selbst als auch die Bekämpfung der Infrastruktur der Angreifer in Strandnähe.Darüber hinaus nimmt Deutschland an un-terschiedlichen Projekten im Rahmen der UN und der EU teil, die den Wiederaufbau zum Ziel haben. Dabei geht es neben einer Wirtschaftshilfe auch um den Aufbau einer funktionierenden Gerichtsbarkeit oder um Trainingsprogramme für die Polizei.Ohne begleitende Maßnahmen für die Men-schen vor Ort, darüber sind wir uns sicher einig, wird das Ziel der Befriedung und Stabi-lisierung der Region am Horn von Afrika nicht zu erreichen sein.

WIRKUNG Heute kann man feststellen: Die-ses Gesamtpaket zeigt mittlerweile Wirkung. Die Zahl der Angriffe ist von 176 in 2011 auf 7 in 2013 zurückgegangen. Kaperungen gab es in 2013 überhaupt nicht mehr. Das heißt aber nicht, dass wir uns auf diesem Erfolg ausruhen können. Die Strukturen der Piraten-Clans sind weiter intakt bzw. können schnell wiederbelebt werden. Wichtig bleibt aber: Wir haben unsere Hausaufgaben bis-lang gemacht. Auf Initiative des BMWi sind private Sicher-heitsdienste auf den Schiffen zugelassen worden. Dafür waren auch die gewerberecht-lichen und waffenrechtlichen Rahmenbedin-gungen zu schaffen. Private Sicherheitsdiens-te an Bord können nunmehr professionell und

wirkungsvoll – präventiv und ggf. robust – tä-tig sein. Damit ist nun auch die notwendige Rechtssi-cherheit für die Reeder hergestellt worden. Zum heutigen Stichtag (12.03.) haben zwölf Sicherheitsunternehmen formell vom BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon-trolle) ihre Zulassung erhalten. Das reicht, so sagen es uns die Reeder, aus.Leider stellen sich bei der Piraterie mittler-weile Nachahmereffekte im Westen des af-rikanischen Kontinents ein. Hier taucht das Problem auf, dass einige Staaten im Golf

von Guinea in Westafrika keine privaten Si-cherheitsteams an Bord von Schiffen in ihren Hoheitsgewässern dulden. Da wird vor Ort noch viel diplomatische Überzeugungsarbeit erforderlich sein.

LUFTVERKEHR Einer besonderen Gefähr-dungslage ist natürlich auch der Luftverkehr ausgesetzt. Auf dem Luftwege werden be-sonders hochwertige und zeitkritische Güter transportiert. Dieser Verkehrsweg ist für Deutschland besonders wichtig, da er die Stärken der deutschen Exportwirtschaft wie Termintreue und Zuverlässigkeit in besonde-rem Maße unterstützt.Auch hier haben wir schon einiges zur Ge-währleistung der Sicherheit erreicht. Aller-dings bewegen wir uns hier nunmehr in einer Art Evaluierungsphase. Stichwort: Mitnahme von Flüssigkeiten an Bord. Da müssen wir jetzt prüfen, welche Maßnahmen im Einzelnen wirklich sinnvoll und notwendig sind.

NATIONALE SICHERHEIT Aber auch nati-onal müssen wir der Frage nachgehen, wie unsere Verkehrswege und Logistikabläufe gesichert sind.Die notwendigen Schritte von der Identi-fizierung kritischer Infrastrukturen über die Ermittlung von Schwachstellen und An-griffspunkten bis hin zur Ausarbeitung von Schutzmaßnahmen und Notfallplänen haben wir unternommen. Es ist klar, das es dabei vollkommene Sicherheit nicht geben kann. Ebenso richtig ist, dass die notwendigen Maßnahmen nicht ohne Kosten und Mehrauf-wand auch für die Wirtschaft möglich sind.Wichtig ist, bei allen Maßnahmen den Effi-zienzgedanken nicht aus den Augen zu ver-

lieren. Neben der Aufdeckung von Sicher-heitslücken sollte es auch darum gehen, Doppelungen und Bürokratie zu vermeiden. Es wäre nicht zu verantworten, ein lückenlo-ses Scanning etwa bei Containern oder in der Luftfracht vorzusehen. Das ist nicht leistbar und im Interesse der Gewährleistung wirt-schaftlicher und persönlicher Freiheitsrechte auch nicht akzeptabel.Auch gibt es nicht für alle Verkehrsträger und Logistikketten allgemein gültige, pauschale Lösungen. Erforderlich sind angepasste, auf die jeweilige Transportkette und den Prozes-sablauf zugeschnittene Maßnahmen.Viele Befürchtungen, die letztes Jahr im Zu-sammenhang mit dem sog. „Bekannten Ver-sender“ geäußert wurden, haben sich nicht bewahrheitet. Die Akteure in der Wirtschaft haben offensichtlich das Problem unbürokra-tischer gelöst als erwartet.

FAZIT Das zeigt: Politik und Administration brauchen den Sachverstand und den Rat der Experten aus der Wirtschaft. Nur im Zusam-menwirken zwischen Staat und Wirtschaft wird es uns gelingen, praktikable und finan-zierbare Lösungen zu erarbeiten. Dabei darf der internationale Aspekt nicht zu kurz kom-men. Lösungen sind wenig effektiv und auch ineffizient, wenn wir unsere Sicherheitsregu-larien nicht aufeinander abstimmen. Sonst machen wir Doppelarbeit. Die Bundesregie-rung steht hierzu sowohl auf europäischer Ebene als auch international in ständigem Kontakt und Austausch mit den Partnern.

»Nur im Zusammenwirken zwischen Staat und Wirtschaft wird es uns gelingen, praktikable und finanzierbare Lösungen zu erarbeiten.«

Dr. Sven HalldornMinisterialdirigentLeiter der Abteilung IndustriepolitikBundesministerium für Wirtschaft und Energie

8 griephan Edition 01/2014

Page 9: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

EDITION_GÜNTHER

Hochkomplex: Handels- & LogistikkettenWERTSCHÖPFUNG Hochkomplexe Handels- und Logistikketten zu Land, Wasser und in der Luft ermöglichen zeit- und bedarfsgerechten Gütertransport. Ihr Funktionieren ist die Grundvoraussetzung für eine international arbeitsteilige Wertschöpfung.

PULSADERN Hochkomplexe Handels- und Logistikketten sind ein entscheidender Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas. Sie sind die Pulsadern unse-rer global vernetzten Wirtschaft. Der Schutz unserer Handels- und Logistikketten gegen vielfältige Bedrohungsszenarien liegt im vita-len Interesse der Exportnation Deutschland. Dieses Thema muss aus Sicht der Industrie stärkeren Eingang in die deutsche und euro-päische Sicherheitspolitik finden.

DEUTSCHE HANDELSBILANZ – ZAHLEN UND FAKTEN Unstrittig ist die zunehmende Verflechtung internationaler Wirtschaftsräu-me im Kontext der Globalisierung. Der welt-weite Anstieg von Arbeitsteilung und Handel eröffnet neue Marktzugänge. Das schafft Wohlstand: Die globale Wirtschaftsleistung hat sich seit 1990 verdreifacht – die Han-delsströme im selben Zeitraum verfünffacht. Die Exportnation Deutschland hat von dieser Entwicklung profitiert.2013 wurden 980 Millionen Tonnen Güter im Wert von rund 2 Billionen € in unser Land ein- oder ausgeführt. 50 Prozent des deut-schen Bruttoinlandsprodukts basieren auf dem Export von Gütern und Dienstleistungen.Im September 2013 wurde ein Außenhan-delsüberschuss von mehr als 20 Mrd € er-zielt, das ist neuer Rekord! Über 9 Millionen oder ein Viertel aller Arbeitsplätze sind ab-hängig vom Außenhandel. Tendenz steigend. „Made in Germany“ ist weltweit gefragt. Es steht für hohe Innovationskraft, Qualität und Zuverlässigkeit.Die starke Verflechtung mit international arbeitsteiligen Wertschöpfungsketten ist wichtige Erfolgsstrategie unserer Unter-nehmen. Diese sind im Zeitalter globaler Just-in-Time-Produktion auf reibungslos funk-

Claus Günther

tionierende, multimodale Handels- und Logis-tikprozesse angewiesen. Dem internationalen Seeverkehr kommt dabei eine zentrale Rolle zu:Ein Drittel des deutschen Außenhandels und 95 Prozent des weltweiten Güteraufkom-mens werden über See transportiert. Zudem zählt die Logistikwirtschaft zu den größten deutschen Wirtschaftszweigen:Im Jahr 2013 galt:• 2,8 Millionen Beschäftigte,• Jahresumsatz von 220 Mrd €,• betrieb mit 3900 Schiffen die drittgrößte

Handelsflotte der Welt.Kurzum: Leistungsfähige Handels- und Logis-tikketten bilden eine unverzichtbare Grundla-ge für den wirtschaftlichen Erfolg und damit für unseren Wohlstand.

STEIGENDE SICHERHEITSHERAUSFOR-DERUNGEN Wachsende Abhängigkeit von globalen Logistikprozessen hat auch eine sicherheitspolitische Dimension: die zuneh-

mende Verwundbarkeit unserer Volkswirt-schaft durch Störungen und Angriffe auf logistische Prozesse und Infrastrukturen. Der Ausfall internationaler Transportknoten-punkte kann signifikante Auswirkungen auf Produktion und Güterversorgung unserer In-dustrie haben.Das Spektrum der Bedrohungsszenarien ist groß: Störungen infolge von• zwischen- oder innerstaatlichen Konflikten,• asymmetrischen Bedrohungen,• Terrorismus,• organisierter Kriminalität sowie• Unglücksfällen und Katastrophensind keine abstrakten Gefahren! Beispiele:2013: Mehrere erfolglose Anschläge auf Handelsschiffe im Suez-Kanal durch islamisti-sche Terrorgruppen mit dem Ziel der Blockie-rung des Nadelöhrs für den internationalen Seehandels zwischen Europa und Asien durch Versenkung der Handelsschiffe.2010: Anschlagsversuche mittels Luftfracht-bomben auf zwei Passagierflugzeuge – in

© querbeet/gettyimages

griephan Edition 01/2014 9

Page 10: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

EDITION_GÜNTHER

letzter Minute durch europäische Behörden vereitelt. In steigendem Maße erfolgen auch Cyberangriffe auf Logistikinfrastrukturen: laut Bundesregierung tagtäglich und hunder-tausendfach. Tätergruppen und Motive kön-nen nur vermutet werden. Deutsche Sicher-heitsbehörden gehen von einem jährlichen Anstieg der Cyberkriminalität von 20 Prozent allein in Deutschland aus.Weitere Herausforderung: Missbrauch von Logistikketten für Schmuggel illegaler Güter wie Drogen, Gefahrenstoffe, Plagiate oder

ungenehmigte Waffenlieferungen. Die Bun-desregierung schätzt die Schäden durch diese Sicherheitsherausforderungen für die deutsche Industrie auf einen hohen zweistelli-gen Milliardenbereich. Darin sind die Investi-tionen der Unternehmen für Sicherheits- und gesetzliche Kontrollmaßnahmen noch gar nicht berücksichtigt.

HANDLUNGSBEDARF AUS SICHT DER INDUSTRIE Die Industrie hat ein hohes Ei-geninteresse, Güter und Einrichtungen ge-gen derartige Bedrohungen zu schützen und übernimmt Verantwortung.Ziel ist es, Schäden durch Prävention und Krisenmanagement zu verhindern bzw. mög-lichst frühzeitig einzudämmen. An den deut-schen Flughäfen sind 41 Prozent aller Mitar-beiter mit Sicherheitsaufgaben betraut. 30 Prozent aller Betriebskosten entfallen auf Sicherheitsmaßnahmen. Zum Vergleich: Vor 9/11 waren es 9 Prozent der Betriebskos-ten.Eine besondere Herausforderung liegt in der strukturellen Komplexität von Handels- und Logistikketten: Die Sicherheitsrisiken unter-schiedlicher Transportarten, -mittel, -wege und -infrastrukturen variieren deutlich. Eine 100-prozentige „End-to-end security“ ist da-her nicht erreichbar.Die Unternehmen sind auf die Flankierung durch Politik, Strafverfolgungs-, Zoll- und Sicherheitsbehörden sowie die Streitkräfte angewiesen. Industrie und Staat stehen ge-meinsam in der Verantwortung, Antworten auf diese Sicherheitsfragen zu finden. Aus Sicht der deutschen Industrie bestehen im

Wesentlichen drei dringliche Handlungsfelder auf Seiten der Bundesregierung:ERSTENS: Das Thema „Sicherheit von Handels- und Logistikketten“ erfordert eine ganzheitliche, ressortübergreifende Sicher-heitskonzeption. Derzeit existiert lediglich eine Vielzahl unzureichend aufeinander abge-stimmter Teilkonzeptionen. Das Schlagwort der „vernetzten Sicherheit“ muss dezidiert auch in diesem Themenfeld Anwendung fin-den. Deutschland muss als führende Export-nation darauf vorbereitet sein, im Krisenfall

schnell entscheiden zu können, wann es sich wo und unter welchen Bedingungen sicher-heitspolitisch engagieren muss. Nur dann ist die, von Bündnispartnern erwartete, Verläss-lichkeit bei Übernahme sicherheitspolitischer Verantwortung erzielbar.Dafür unerlässlich ist eine klare Definition un-serer sicherheitspolitischen Interessen beim Schutz von Handels- und Logistikketten. Dies ist die Voraussetzung für eine zielgerichtete Mitgestaltung europäischer und internatio-naler Sicherheitspolitik. Nur auf Grundlage klar definierter Interessen ist eine bedarfs-gerechte Ausrichtung von Zuständigkeiten und Fähigkeiten unserer Sicherheitsressorts, -behörden und Streitkräften möglich. Frage ist: Kann die Verkleinerung unserer Marine – trotz der leistungssteigernden Modernisie-rungseffekte – den gestiegenen Sicherheits-anforderungen im maritimen Güterverkehr hinreichend Rechnung tragen?ZWEITENS: Bedarfsgerechter Ausbau der freiwilligen, internationalen Kooperationen zwischen Sicherheitsbehörden und Unterneh-men. International besteht bereits heute eine Vielzahl staatlicher Unterstützungsangebote für Unternehmen. Es fehlt jedoch eine Kohä-renz und damit eine bedarfsgerechte Aus-gestaltung dieser Maßnahmen auf EU- und erst recht auf internationaler Ebene. Zudem bedarf es einer Verbesserung der grenzüber-schreitenden Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungs-, Zoll- und Sicherheitsbe-hörden auf europäischer und internationaler Ebene. DRITTENS: Abstimmung und Harmonisie-rung nationaler und internationaler Sicher-

heitsregularien. Allgemein pauschale Sicher-heitslösungen für sämtliche Logistikprozesse zu entwickeln, ist weder möglich, noch ziel-führend. Sicherheitsmaßnahmen müssen daher stets risikobasiert an den jeweiligen Prozessabläufen und Sicherheitsrisiken ein-zelner Logistikketten ausgerichtet werden. Unerlässlich ist ein Gleichgewicht zwischen Sicherheitsverfahren und freiem Handelsver-kehr, soll der Warenverkehr nicht unnötig und kostentreibend unterbrochen werden. In der EU wurde daher eine Vielzahl von Sicherheits-regularien entwickelt. Es wurde aber ver-säumt, diese aufeinander abzustimmen. Es fehlt ein kohärenter Handlungsrahmen für die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik. Dadurch entstehen der deutschen Industrie jedes Jahr ein enormer bürokratischer Mehr-aufwand und hohe Kosten. Ziel der Politik muss es sei, durch eine Abstimmung oder Harmonisierung der gesetzlichen Bestim-mungen zumindest auf EU-Ebene Bürokratie abzubauen und das Sicherheitsniveau zu stär-ken. Dabei ist entscheidend: Wir benötigen keine neuen Gesetze oder Vorschriften, son-dern eine intelligente Überwindung regulato-rischer Doppelungen.

FAZIT Der Schutz unserer internationalen Handels- und Logistikketten ist eine Kernher-ausforderung für die deutsche und europäi-sche Sicherheitspolitik, bilden sie doch die Grundlage für unseren wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand. Nur wenn dieses Handlungs-feld stärker im Fokus der Politik steht, haben wir gute Chancen den ansteigenden Sicher-heitsanforderungen begegnen zu können.

»Eine besondere Herausforderung liegt in der strukturellen Komplexität von Handels- und Logistikketten: Die Sicherheitsrisiken unterschiedlicher Transportarten, -mittel, -wege und -infrastrukturen variieren deutlich.«

Claus GüntherVorsitzender Ausschuss für Sicherheit im BDICEO Diehl Defence Holding

10 griephan Edition 01/2014

Page 11: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

EDITION_HADER

Globale Netzwerke: Chance & VerwundbarkeitVERFLECHTUNG Die vielfältigen Netzwerke der Globalisierung haben weltweit Frei-heitsräume geschaffen und Chancen für Wachstum und Entwicklung eröffnet. Diese Verflechtung ist aber zweischneidig: Sie bewirkt eine nie zuvor gekannte Abhängigkeit und Verwundbarkeit. Eine strategische Herausforderung für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

HISTORISCH Vor 160 Jahren – im Jahr 1854 – wies der russische Zar Nikolaus I. ei-nen westlichen Friedensvorschlag zurück, der den Krieg zwischen Russland und dem Osma-nischen Reich beenden sollte. Daraufhin ver-bündeten sich Großbritannien und Frankreich mit dem Osmanischen Reich und es begann der bedeutendste Konflikt in Europa zwischen 1815 und 1914: der sogenannte Krimkrieg. Ziel der Russen war es damals, die Schwäche des Osmanischen Reiches zu nutzen, um ihre Macht in Europa auszubauen – und vor allem um einen direkten Zugang zum Mittelmeer und zum Balkan zu bekommen. Wie wir heute wissen, ist ihnen das nicht ge-lungen. An den Grenzverläufen änderte sich

Manfred Hader durch den Krimkrieg nur wenig: Die Land-karte, die Transportwege und damit auch die Warenströme blieben auf beiden Seiten weitgehend so, wie sie bereits vor dem Krieg gewesen waren. Durch den Frieden von Paris, der im März 1856 den Krimkrieg beendete, wurde jedoch unter anderem die Freiheit der Donauschifffahrt sichergestellt. Auch einigten sich die ehemaligen Kriegsparteien in der so-genannten Pariser Seerechtsdeklaration auf ein Verbot von Kaperei, Güterraub und Blocka-den und legten – erstmals in der Geschichte multilateral – Teile des Seekriegsrechts fest, die Maßnahmen von Kriegsschiffen gegenüber neutralen und feindlichen Handelsschiffen re-geln. Für die siegreichen Alliierten war die Siche-rung des Status Quo und die Sicherung von

Handelswegen jedoch mit enormen Kosten verbunden: Als erster der modernen Stel-lungskriege verlief der Krimkrieg beson-ders verlustreich, die Historiker gehen von 264.000 Toten aus. Zudem veränderte er auf westlicher Seite das Mächtegleichgewicht der Alliierten – Österreich beispielsweise verlor an Einfluss, Frankreich gewann hinzu. Und nur am Rande: Der Krimkrieg gilt auch als Geburtsstunde der modernen Kriegsbe-richterstattung, da es die Telegrafie erstmals ermöglichte, Nachrichten innerhalb weniger Stunden vom entlegenen Kriegsschauplatz in die Hauptstädte Westeuropas zu übermitteln.In diesen Tagen steht die Krim einmal mehr im Mittelpunkt geopolitischer Auseinander-setzungen. Welche Auswirkungen der aktuelle Konflikt in der Ukraine auf die Geopolitik, die

© JPM/gettyimages

griephan Edition 01/2014 11

Page 12: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

EDITION_HADER

Weltwirtschaft und auf den globalen Aus-tausch von Rohstoffen, Waren, Personen und Daten haben wird, ist zurzeit noch schwer ab-zusehen. Die Sicherung der globalen Ströme allerdings ist – das zeigen der geschichtliche Rückblick ebenso wie die aktuellen Diskussio-nen – eine strategische und immer bedeuten-dere Herausforderung für den Wirtschafts-standort Deutschland. Dazu vier Thesen:

DEUTSCHLAND BEFINDET SICH IN EI-NEM NEUEN STRATEGISCHEN UMFELD Aus den Anfängen der Globalisierung ist – befördert durch gewaltige technologische

Entwicklungen – eine dichte politische, wirt-schaftliche und soziale Verflechtung entstan-den, die inzwischen fast den gesamten Glo-bus umspannt. Diese vielfältigen Netzwerke haben weltweit Freiheitsräume geschaffen und Chancen für Wachstum und Entwicklung eröffnet. Denn sie lassen Menschen und Gü-ter durch physische Räume ebenso wie Daten und Ideen durch den Cyberraum strömen. Sie haben Kommunikation und Handel revolutio-niert und abgeschottete Gesellschaften eben-so an die Weltmärkte angeschlossen wie an globale Debatten. Diese Verflechtung ist aber zweischneidig: Sie bewirkt eine nie zuvor ge-kannte Abhängigkeit und Verwundbarkeit.Hier bei uns in Deutschland – in der Mitte einer immer tiefer integrierten Europäischen Union – wird das besonders deutlich. Eu-ropa profitiert von der Globalisierung, und Deutschland profitiert von der Europäischen Union. Nur gemeinsam haben wir internatio-nal Gewicht. Umgekehrt bedrohen Gefahren und Risiken in Europa fast nie nur einen Staat allein; Gefahrenabwehr und Risikomanage-ment sind in einem rein nationalstaatlichen Rahmen nur noch im Ausnahmefall sinnvoll zu denken und zu organisieren.Diese neue Abhängigkeit und ihre Folgen wer-den besonders deutlich in der Sicherheits-politik: Staaten sind zwar nach wie vor die Hauptakteure der Weltpolitik. Macht, Kon-kurrenz und Geografie bleiben bestimmende Faktoren der internationalen Beziehungen. Und auch die traditionellen Bedrohungen und Gefahren – Krieg, die Verbreitung von Mas-senvernichtungswaffen etc. – sind weiterhin aktuell. Neu ist aber, dass die Globalisierung

die Privatisierung und Individualisierung der Gewalt – etwa in Form von Terrorismus und organisierter Kriminalität – beschleunigt hat. Vor allem aber hat sie ein breites Spek-trum grenzüberschreitender Risikofaktoren hinzugefügt, die oft gehäuft auftreten, sich gegenseitig verstärken, und gegen die ein Staat allein nur wenig auszurichten vermag: Klimawandel, demografische Entwicklung, unkontrollierte Migration, Ressourcen- und Nahrungsmittelknappheit, Pandemien oder sogenannte „failed states“, also Länder, in denen das staatliche Gewaltmonopol und grundlegende Verwaltungsstrukturen so stark

eingeschränkt sind, dass die Regierung kaum handlungsfähig ist. Damit ist neben der Ge-fahrenabwehr das Risikomanagement zum neuen Paradigma der Sicherheitspolitik ge-worden.Die weltweite Finanzkrise hat zudem gezeigt, wie verwundbar uns die zunehmende Vernet-zung und Verflechtung gemacht hat. Ungleich-gewichte in der Eurozone können die Stabilität des ganzen Währungsraums gefährden. Der tief integrierte transatlantische Finanzmarkt ist trotz einiger Erfolge bei der Regulierung nach wie vor krisenanfällig. Und die Auswir-kungen der Krise spüren wir auf beiden Seiten des Atlantiks deutlich, beispielsweise in Form politischer und institutioneller Blockaden oder als Erfolg populistischer Bewegungen.Die neuen Technologien – die entscheidenden Treiber für die jüngste Vertiefung der Globali-sierung – haben durchaus zwiespältige Aus-wirkungen auf die Macht von Staaten. Einer-seits stärken sie die staatlichen Exekutiven, weil sie ihnen gegenüber ihren Bürgern völlig neue Überwachungs- und Kontrollmöglichkei-ten an die Hand geben. Dieselben Technologi-en haben aber auch die Ermächtigung privater Akteure bewirkt – von Freiheitskämpfern oder engagierten Bürgern wie im arabischen Früh-ling, Verbrauchern und Unternehmen bis hin zu kriminellen Organisationen und Terroristen. Die Machtdiffusion im Inneren der Staaten geht dabei mit Machtverschiebungen in der internationalen Politik einher. Bisher hat die Weltordnung der Nachkriegs-zeit insgesamt zwar ein bemerkenswer-tes Beharrungsvermögen bewiesen. Dem Westen und seiner auf Menschenrechten,

Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Demokratie beruhenden Legitimität ist kein Gegenpol mit ähnlich universaler Strahlkraft erwachsen. Und der jahrzehntelange Garant dieser Ordnung, die Vereinigten Staaten, bleibt zumindest auf absehbare Zeit die einzi-ge Supermacht mit globalem Ordnungswillen und Reichweite. Doch die USA signalisieren deutlich und im Bewusstsein geschrumpf-ter materieller Ressourcen, dass Amerikas Engagement in der Welt künftig selektiver und sein Anspruch an Partner entsprechend höher sein wird. Vor allem für Europa und insbesondere für Deutschland bedeutet dies einen großen Zuwachs an Aufgaben und Ver-antwortung.Die drei Institutionen, über die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik in der globa-len Nachkriegsordnung mehr als ein halbes Jahrhundert lang verankert wurde – Vereinte Nationen, NATO und Europäische Union – be-finden sich selbst im Umbruch. Alle drei sind Schauplatz fundamentaler Auseinanderset-zungen zwischen ihren Mitgliedern über die Ausrichtung, Aufgaben und Architektur dieser Institutionen. Gleichzeitig fordern aufstreben-de Mächte eine angemessenere Vertretung in internationalen Institutionen. Manche stellen sie auch deren normative Grundlagen oder gar ihre Legitimität insgesamt in Frage. Aber sie tun dies nur selten in Verbindung mit dem Angebot eines Gegenentwurfs; oft sind sie nur Störer, nicht Gegenpol. Als Folge umge-hen die Staaten des Westens angesichts von anhaltendem Dissens und Blockaden immer öfter die bewährten multilateralen Instituti-onen und greifen stattdessen zu „Koalitionen der Willigen“ oder informellen Formaten, um Krisen zu bewältigen und Probleme zu lösen. Fazit: Die Umwälzungen in Deutschlands strategischem Umfeld – in der Europa- und der Sicherheitspolitik, im Umgang mit neuen Mächten und bei der Erneuerung der globa-len Ordnung – sind enorm. Deutschland mit seiner freien und offenen Bürgergesellschaft lebt wie kaum ein anderes Land von der Glo-balisierung. Unsere gegenwärtige Stärke be-ruht wesentlich auf unserem Erfolg als Han-dels- und Exportnation. Wir sind existenziell abhängig vom Austausch mit anderen Gesell-schaften – vom Austausch von Menschen, Gü-tern, Ressourcen, Ideen und Daten. Deutsch-land braucht also die Nachfrage aus anderen Märkten sowie den Zugang zu internationalen Handelswegen und Rohstoffen. Mehr noch aber brauchen wir das stabile globale Umfeld, das diese Freiheiten erst möglich macht: ein starkes Europa, und eine liberale, normen-gestützte Weltordnung mit freien, offenen Märkten. Deutschlands überragendes strate-gisches Ziel muss es daher sein, diese Welt-

»Die Sicherung der globalen Ströme allerdings ist … eine strategische und immer bedeutendere Herausforderung für den Wirtschaftsstandort Deutschland.«

12 griephan Edition 01/2014

Page 13: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

EDITION_HADER

ordnung zu erhalten, zu schützen und weiter zu entwickeln.

ZUNEHMENDE UNGEWISSHEIT STELLT DIE SICHERUNG DER GLOBALEN STRÖ-ME VOR GROSSE STRATEGISCHE HE-RAUSFORDERUNGEN Nicht nur in der Außen- und Sicherheitspolitik, aber dort be-sonders, müssen wir heute mit einem Phä-nomen umgehen, dass uns in Zukunft immer stärker beeinflussen wird: Ungewissheit. Un-gewissheit zeichnet sich dadurch aus, dass wir weder wissen, was passieren könnte, noch wie wahrscheinlich das ist. Ungewissheit unterscheidet sich also deutlich von Risiko oder Unsicherheit – Begriffe, die wir alle gut kennen: Von Risiko spricht man, wenn zwar mehrere Ereignisse möglich, aber ihre Eintrittswahr-scheinlichkeiten bekannt sind. Also: Es gibt zwar mehrere Möglichkeiten, die sind aber bekannt und man kann berechnen, welche Ent-scheidung die bessere sein wird.Bei Unsicherheit sind auch mehrere Ereignis-se möglich, allerdings sind ihre Eintrittswahr-scheinlichkeiten nicht bekannt oder schwer kalkulierbar. Extrapolationen sind nur noch bedingt möglich, Kausalzusammenhänge oft

erst ex-post erkennbar. Aber immerhin: Es gibt eine Vorstellung von dem, was sein kann. Bei Ungewissheit, und das ist der Unter-schied, der die Komplexität treibt, fehlt es uns nicht nur an Wissen um die Eintritts-wahrscheinlichkeit von Ereignissen – es bleibt eben auch verborgen, welche Ereig-nisse denn überhaupt eintreten können. Ent-wicklungen auf dieser Komplexitätsstufe sind nicht-linear: Weder Wahrscheinlichkeit noch Richtung oder Geschwindigkeit lassen sich vorhersagen. Ungewissheit ist auch nicht nur ein theoretisches Konstrukt, sondern macht uns das Leben, Planen und Führen schwer. Denn wer hätte vor nur 10 Jahren gedacht, dass das Internet doch noch und dann so schnell den Einzelhandel oder die Medien revolutioniert, und viele andere In-dustrien mehr. Oder dass grüne Technologi-en unseren Wachstumskurs bestimmen und wir endgültig aus der Atomkraft aussteigen. Oder dass China zur größten Exportnation aufsteigt und Amerika das „Pacific Age“ aus-ruft. Oder das Schiefergas und Fracking die internationalen Energiemärkte auf den Kopf stellen – mit der Folge, dass die Wettbe-werbsfähigkeit der amerikanischen Indust-rie unerwartet schnell steigt und nicht nur

viele Wachstumsprognosen überholt sind, sondern auch viele Wettbewerbsstrategien überdacht werden müssen. Das amerikani-sche Militär spricht heute übrigens von einer „VUCA World“ – und stellt damit auf die vier Begriffe ab, die entscheidend sind: Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity.Weil die Ungewissheit zunimmt, brauchen wir neue Ansätze, um mit den komplexen strate-gischen Herausforderungen umzugehen. Quan-titative Modelle alleine helfen uns nicht weiter. Es braucht andere, grundlegendere Ansätze: Erstens müssen Organisationen heute dezen-tral aufgestellt sein, um Kulturen und Politik zu verstehen, schwache Signale von Umbrü-chen früh zu erkennen und schnell reagieren zu können. Sie müssen ihr Umfeld genauer beobachten.Zweitens müssen Führungskräfte interdiszip-linär denken, weil man politisches und volks-wirtschaftliches Verständnis braucht, um Globalität zu begreifen. Es geht um intellek-tuelle Breite und den unbedingten Willen zur Reflexion.Drittens kommt es darauf an, in Szenarien zu denken und zu handeln. Denn wenn Trends brechen können, Entwicklungen verstärkt nicht-linear verlaufen und Ergebnisse immer

Griephan Briefe

Die Fachkompetenz fürSicherheit und Verteidigung

www.griephan.de/app

Die digitalen Ausgaben sind für Abonnenten kostenfrei!

Registrieren Sie sich einfach unter www.griephan.de/app und wir senden Ihnen Ihre persönlichen Zugangsdaten!

Sie haben kein Abonnement?Unter www.griephan.de/kiosk können Sie die Appherunterladen und das Angebot kostenfrei testen.

08/13 – 49. Jahrgang 18. Februar 2013

Ganzheitliche SicherheitImpulse zum Diskurs über eine nationale Sicherheitsstrate-gie hat Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes derDeutschen Industrie (BDI), auf der Vorfeldveranstaltungzur Münchner Sicherheitskonferenz (griephan 51-52/12)gegeben. Das griephan-Destillat aus„SicherheitspolitischeHerausforderungen für das Industrieland Deutschland“:

Weil sich Umstände verändern, muss jede Gesellschaft, jedeGeneration immer aufs Neue nach den richtigen Antwortensuchen. Denn wir leben heute in einer globalisierten Welt. Si-cherheit muss anders gedacht werden, als noch vor 60 Jahren.Keine Frage, Deutschland ist weltweit einer der Hauptprofiteu-re der Globalisierung. Der Export von Gütern und Dienstleis-tungen macht zum Beispiel beinahe die Hälfte des Bruttoin-landsprodukts aus.

In unserem Land hängen die Arbeit und der Wohlstand vonneun Millionen Menschen vom Außenhandel ab. Das ist fastjeder vierte Arbeitsplatz. Qualität „Made in Germany“ stehtauf der ganzen Welt in hohem Ansehen: Und diese Entwick-lung ist nicht rückläufig. Ganz im Gegenteil, wir erwarten für2013 ein Exportwachstum von drei Prozent.

Internationale Wertschöpfungsketten und Infrastrukturenbieten aber auchMöglichkeiten für Angriffe und Störungen. DieSicherheitsherausforderungen für unsere globalisierten Infor-mationsgesellschaften sind sehr viel komplexer geworden.

Zeitgemäße SicherheitsarchitekturDeshalb ist die zeitgemäße Gestaltung der Sicherheitsarchi-tektur – in all ihren Facetten! – für den BDI von größter Wich-tigkeit. Als Stimme der deutschen Industrie sprechen wir so-wohl für Anbieter, als auch für Nutzer von Sicherheitstechno-logien, die für die Handlungsfähigkeit eines Staates – unseresStaates – unerlässlich sind. Um dem Bedürfnis der Industrienach Sicherheit und ihrem Beitrag dazu ausreichend gerechtzu werden, hat sich der BDI in diesem Bereich neu aufgestellt.Ende 2012 wurde der Ausschuss für Sicherheit [griephan48/12] gegründet.

Dieses Gremium setzt sich branchenübergreifend dafür ein,die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungenso auszugestalten, dass die Industrie einerseits ihre Innovati-onsfähigkeit und Wertschöpfung in Deutschland sicher undgeschützt ausbauen kann und andererseits in der Lage ist,auch künftig leistungsfähige Sicherheitstechnologie zu entwi-ckeln und herzustellen.

Im Sinne aller Beteiligten bieten wir mit diesem Ausschuss eineindustrieübergreifende Plattform zum Dialog: Mit der Politik,der Wissenschaft und allen relevanten sicherheitspolitischen Ak-

teuren – aber auch mit interessierten gesellschaftlichen Gruppenaufnationaler, europäischerund internationaler Ebene.

Im April 2012 hat die Wirtschaft die RA Rohstoffallianz ge-gründet. Diese privatwirtschaftliche Initiative von Unterneh-men aus verschiedenen Industriezweigen – der Kupfer- undStahlherstellung, der Automobilzuliefer- und der Chemiein-dustrie – hat die Sicherung der Rohstoffversorgung der deut-schen Industrie zum Ziel. Ohne Rohstoffe funktioniert unsereIndustrie nicht in der gewohnten Wertschöpfungstiefe. DieThemen „Sicherheit“ und „Rohstoffe“ sind im Miteinanderverwoben. Im BDI laufen deshalb die Fäden für die ThemenSicherheit und Rohstoffe seit neuestem in einer einzigen Abtei-lung zusammen.

Worum geht es im Einzelnen:

Unsere internationalen Wertschöpfungs- und Logistikkettenmüssen sehr viel besser geschützt werden. Unsere Informations- und Kommunikationsstrukturen müs-sen angesichts einer rasant steigenden Cyberkriminalität si-cherer werden. Der Wirtschaftsschutz muss gemeinsam zukunftsfähig aus-gestaltet werden. Und schließlich gilt es zu klären, welche Rolle künftig derSicherheits- und Verteidigungsindustrie in unserer nationalenSicherheitsarchitektur zukommen soll.

Logistik & CyberZum Beispiel bei den Logistikketten. Vier Fünftel des Welthan-dels und weit mehr als die Hälfte des deutschen Güterverkehrssind auf sichere maritime Handelswege angewiesen. DieseRouten sind die logistischen Pulsadern unserer Weltwirtschaft.Und diese Pulsadern dürfen nicht durchtrennt werden.

Dieser Ausgabe liegt der griephan special 01/13„ZumMilitä-rischen in Deutschland“ bei.

08/13 – 49. Jahrgang 18. Februar 2013

Ganzheitliche SicherheitImpulse zum Diskurs über eine nationale Sicherheitsstrate-gie hat Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes derDeutschen Industrie (BDI), auf der Vorfeldveranstaltungzur Münchner Sicherheitskonferenz (griephan 51-52/12)gegeben. Das griephan-Destillat aus„SicherheitspolitischeHerausforderungen für das Industrieland Deutschland“:

Weil sich Umstände verändern, muss jede Gesellschaft, jedeGeneration immer aufs Neue nach den richtigen Antwortensuchen. Denn wir leben heute in einer globalisierten Welt. Si-cherheit muss anders gedacht werden, als noch vor 60 Jahren.Keine Frage, Deutschland ist weltweit einer der Hauptprofiteu-

d Gl b li i D E Gü d Di l i

teuren – aber auch mit interessierten gesellschaftlichen Gruppenaufnationaler, europäischerund internationaler Ebene.

Im April 2012 hat die Wirtschaft die RA Rohstoffallianz ge-gründet. Diese privatwirtschaftliche Initiative von Unterneh-men aus verschiedenen Industriezweigen – der Kupfer- undStahlherstellung, der Automobilzuliefer- und der Chemiein-dustrie – hat die Sicherung der Rohstoffversorgung der deut-schen Industrie zum Ziel. Ohne Rohstoffe funktioniert unsereIndustrie nicht in der gewohnten Wertschöpfungstiefe. DieThemen „Sicherheit“ und „Rohstoffe“ sind im Miteinanderverwoben. Im BDI laufen deshalb die Fäden für die ThemenSicherheit und Rohstoffe seit neuestem in einer einzigen Abtei-lung zusammen.

08/13 – 49. Jahrgang 18. Februar 2013

Ganzheitliche SicherheitImpulse zum Diskurs über eine nationale Sicherheitsstrate-gie hat Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes derDeutschen Industrie (BDI), auf der Vorfeldveranstaltungzur Münchner Sicherheitskonferenz (griephan 51-52/12)gegeben. Das griephan-Destillat aus„SicherheitspolitischeHerausforderungen für das Industrieland Deutschland“:

Weil sich Umstände verändern, muss jede Gesellschaft, jedeGeneration immer aufs Neue nach den richtigen Antwortensuchen. Denn wir leben heute in einer globalisierten Welt. Si-cherheit muss anders gedacht werden, als noch vor 60 Jahren.Keine Frage, Deutschland ist weltweit einer der Hauptprofiteu-re der Globalisierung. Der Export von Gütern und Dienstleis-tungen macht zum Beispiel beinahe die Hälfte des Bruttoin-landsprodukts aus.

In unserem Land hängen die Arbeit und der Wohlstand vonneun Millionen Menschen vom Außenhandel ab. Das ist fastjeder vierte Arbeitsplatz. Qualität „Made in Germany“ stehtauf der ganzen Welt in hohem Ansehen: Und diese Entwick-lung ist nicht rückläufig. Ganz im Gegenteil, wir erwarten für2013 ein Exportwachstum von drei Prozent.

Internationale Wertschöpfungsketten und Infrastrukturenbieten aber auchMöglichkeiten für Angriffe und Störungen. DieSicherheitsherausforderungen für unsere globalisierten Infor-mationsgesellschaften sind sehr viel komplexer geworden.

Zeitgemäße SicherheitsarchitekturDeshalb ist die zeitgemäße Gestaltung der Sicherheitsarchi-tektur – in all ihren Facetten! – für den BDI von größter Wich-tigkeit. Als Stimme der deutschen Industrie sprechen wir so-wohl für Anbieter, als auch für Nutzer von Sicherheitstechno-logien, die für die Handlungsfähigkeit eines Staates – unseresStaates – unerlässlich sind. Um dem Bedürfnis der Industrienach Sicherheit und ihrem Beitrag dazu ausreichend gerechtzu werden, hat sich der BDI in diesem Bereich neu aufgestellt.Ende 2012 wurde der Ausschuss für Sicherheit [griephan48/12] gegründet.

Dieses Gremium setzt sich branchenübergreifend dafür ein,die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungenso auszugestalten, dass die Industrie einerseits ihre Innovati-onsfähigkeit und Wertschöpfung in Deutschland sicher undgeschützt ausbauen kann und andererseits in der Lage ist,auch künftig leistungsfähige Sicherheitstechnologie zu entwi-ckeln und herzustellen.

Im Sinne aller Beteiligten bieten wir mit diesem Ausschuss eineindustrieübergreifende Plattform zum Dialog: Mit der Politik,

teuren – aber auch mit interessierten gesellschaftlichen Gruppenaufnationaler, europäischerund internationaler Ebene.

Im April 2012 hat die Wirtschaft die RA Rohstoffallianz ge-gründet. Diese privatwirtschaftliche Initiative von Unterneh-men aus verschiedenen Industriezweigen – der Kupfer- undStahlherstellung, der Automobilzuliefer- und der Chemiein-dustrie – hat die Sicherung der Rohstoffversorgung der deut-schen Industrie zum Ziel. Ohne Rohstoffe funktioniert unsereIndustrie nicht in der gewohnten Wertschöpfungstiefe. DieThemen „Sicherheit“ und „Rohstoffe“ sind im Miteinanderverwoben. Im BDI laufen deshalb die Fäden für die ThemenSicherheit und Rohstoffe seit neuestem in einer einzigen Abtei-lung zusammen.

Worum geht es im Einzelnen:

Unsere internationalen Wertschöpfungs- und Logistikkettenmüssen sehr viel besser geschützt werden. Unsere Informations- und Kommunikationsstrukturen müs-sen angesichts einer rasant steigenden Cyberkriminalität si-cherer werden. Der Wirtschaftsschutz muss gemeinsam zukunftsfähig aus-gestaltet werden. Und schließlich gilt es zu klären, welche Rolle künftig derSicherheits- und Verteidigungsindustrie in unserer nationalenSicherheitsarchitektur zukommen soll.

Logistik & CyberZum Beispiel bei den Logistikketten. Vier Fünftel des Welthan-dels und weit mehr als die Hälfte des deutschen Güterverkehrssind auf sichere maritime Handelswege angewiesen. DieseRouten sind die logistischen Pulsadern unserer Weltwirtschaft.Und diese Pulsadern dürfen nicht durchtrennt werden.

Dieser Ausgabe liegt der griephan special 01/13„ZumMilitä-rischen in Deutschland“ bei.

Jetzt 3 in 1:

Printausgabe,

e-Paper & App-

Ausgabe

6085_anz_GGS_179x121.indd 1 10.04.2014 09:19:27

griephan Edition 01/2014 13

Page 14: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

EDITION_HADER

weniger prognostizierbar sind, dann wird es wichtig, auf unterschiedliche Zukünfte vorbe-reitet zu sein.Eine Arbeitsgruppe der Atlantik Brücke hat vor kurzem geopolitische Szenarien entwor-fen und diskutiert. Dabei wurde schnell klar: Denkbar – und auch realistisch! – sind viele verschiedene Zukünfte. Im besten Fall stehen wir heute am Beginn einer neuen Phase inter-nationaler Kooperation, weltweiter Stabilität und dynamischen Wachstums. Einige Eck-punkte dieses Positiv-Szenarios lauten: Die transatlantische Freihandelszone setzt neue Wachstumsimpulse frei und Europa überwin-det seine Krise. Der globale Wettbewerb um Rohstoffe nimmt ab. Schwellenländer spie-len eine konstruktive geopolitische Rolle. Ein moderater Islam setzt sich in der arabischen Welt durch. Internationale Organisationen garantieren Sicherheit und bekämpfen erfolg-reich die Armut in der Welt.Der Eintritt eines jeden einzelnen dieser Eck-punkte ist durchaus realistisch. Es kann aber auch ganz anders kommen. Das globale Nega-tiv-Szenario wäre eine Phase von Konfronta-tion, Chaos und Stagnation und sähe folgen-dermaßen aus: Die USA und Europa verlieren geopolitisch an Bedeutung. China und die anderen Schwellenländer verhalten sich wenig kooperativ. Die NATO kann keine Sicherheit mehr garantieren. Terroristen gelangen an Massenvernichtungswaffen. Der Syrienkon-

flikt destabilisiert den Nahen Osten. Die isla-mische Welt radikalisiert sich. Russland kehrt zu alter Großmachtpolitik zurück. Japan und China gehen auf Konfrontationskurs.Auch jeder einzelne dieser Eckpunkte liegt im Rahmen des Möglichen! Hoffen wir, dass es nicht dazu kommt – aber vorbereitet sein sollten wir! Vieles ist möglich und durchaus realistisch. Wir leben in einer Zeit großer Ungewissheit. Mit freien und sicheren Han-delswegen, bilateralen Handelsabkommen, WTO-Vereinbarungen und internationalen Freihandelszonen – darunter hoffentlich bald eine transatlantische –, mit der NATO als er-folgreichstem Verteidigungsbündnis der Welt und mit Fortschreiten der europäischen Inte-gration kann es uns gelingen, einige der Un-wägbarkeiten zu reduzieren bzw. zu managen. Aber die zentrale strategische Herausforde-rung bleibt: Wir müssen uns in der VUCA-Welt zurechtzufinden.

DEUTSCHLAND HAT GROSSE CHANCEN DURCH DIE MEGATRENDS – ABER NUR, WENN DIE GLOBALEN STRÖME UNGE-STÖRT FLIESSEN Als Berater werden wir häufig gefragt, was für uns den Erfolg des Standorts Deutschland ausmacht. Wir nen-nen dann die folgenden vier Gründe:An erster Stelle unsere industrielle Kom-petenz, weil wir genau für den intelligenten Querschnitt aus Maschinenbau, Anlagenbau,

Elektrotechnik und hochwertigen technischen Dienstleistungen stehen, der nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum auch in Zukunft möglich macht.Zweitens unsere Systemkopf-Kompetenz, weil die intelligente Differenzierung und die An-siedlung wettbewerbsfähiger Funktionen wie F&E, Fertigungssteuerung, Marketing, Bran-ding und hochwertige Produktion in der Hei-mat unternehmerischen Erfolg bringen und hochwertige Arbeitsplätze sichern.Drittens unsere Expertise im Umgang mit Knappheit, weil die Megatrends Demografie, Klimawandel und Ressourcenknappheit dieses Wissen notwendig und global vermarktbar machen und somit neue Wachstumschancen eröffnen.Und viertens unsere intelligenten Köpfe, weil gut ausgebildete Arbeitnehmer und exzellente Manager, die „europäisch“ führen und denken, nachhaltigen unternehmerischen Erfolg schaf-fen.Insbesondere der dritte Grund bedarf wei-terer Erläuterung: Hinter den Megatrends Demografie, Klimawandel und Ressour-cenknappheit steht das Phänomen zunehmen-der Knappheit, und zwar Knappheit an Men-schen, Knappheit an Umwelt und Knappheit an Rohstoffen. Wer jetzt schon Expertise im Umgang mit (zunehmender) Knappheit aufge-baut hat, der wird von den Megatrends profi-tieren, weil er dieses Wissen anwenden und

© Cultura Travel/Kevin Kozicki/gettyimages

Page 15: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

EDITION_HADER

Manfred HaderPartnerRoland Berger Strategy Consultants

global vermarkten kann und sich somit neue Wachstumschancen schafft. Zu den Gewinnern gehören beispielsweise Unternehmen, die heute schon auf den gro-ßen „grünen“ Leitmärkten aktiv sind: Energie-, Rohstoff- und Materialeffizienz, Wasserwirt-schaft, Mobilität oder Recycling. Es werden Unternehmen profitieren, die Produktivitäts-steigerung verkaufen – in Form von Automa-tisierung, altersgerechten Produktionsstruk-turen, neuen Einsatzstoffen. Unternehmen, die kollektive Infrastrukturen für das Leben in wachsenden Städten und sich ausdünnenden ländlichen Räumen bereitstellen. Und Unter-nehmen, die innovative und attraktive Gesund-heits- und Pflegeleistungen oder passende Konsumgüter für die wachsende Gruppe der „Best Ager“ anbieten. Produktivitätssteigerung ist ganz sicher eine Kernkompetenz deutscher Unternehmen, die unsere industrielle Kompetenz begründet. Insofern bieten die Megatrends deutschen Unternehmen vielfältige Chancen zur Diffe-renzierung und für neue Produkte und Wachs-tumspotenziale. Unseren Analysen zufolge sind in Europa neben Deutschland auch Frank-reich, die skandinavischen Länder, (Nord-)Italien oder Polen und weltweit auch Korea, Chile, Brasilien, perspektivisch sicher stärker die USA und China, sowie Japan zu den Volks-wirtschaften zu zählen, die bereits umfang-reiche Expertise im Umgang mit Knappheit aufgebaut haben. In Deutschland bieten sich jedoch besonders gute Chancen, diese Expertise weiterzuentwi-ckeln – zumal hierzulande nicht nur viel Knapp-heits-Wissen existiert, sondern alle drei ge-nannten Megatrends im Unternehmensalltag bereits unmittelbar spürbar sind: Rückläufige Bevölkerungszahlen, das ambitionierte Pro-jekt der Energiewende und Ressourcenknapp-heit. Damit Deutschland von diesen Chancen profitieren und sein Wissen und seine Produk-te in alle Welt verkaufen kann, ist es jedoch zwingend erforderlich, dass die Ströme flie-ßen. Unsichere Handels-/Seewege oder gar Unterbrechungen in der Mobilität von Waren, Personen und Daten müssen wir unbedingt verhindern.

DEUTSCHLANDS GESTIEGENER MACHT ERWÄCHST EINE NEUE VERANTWOR-TUNG FÜR DIE AUSSEN- UND SICHER-HEITSPOLITIK Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidi-gungsministerin von der Leyen haben bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 unmissverständlich klar gemacht: Aus der gewachsenen Macht Deutschlands folgt eine neue Verantwortung. Jahrzehntelang war Deutschland Konsument von Sicherheit, ga-

rantiert von der NATO und insbesondere von den USA. Heute erwarten Verbündete und Partner, dass Deutschland selbst Sicherheit produziert – und nicht nur für sich selbst.Deutsche Sicherheitspolitik kann heute nicht mehr anders als global konzipiert werden. Unsere Geschichte, unsere geographische Lage und knappe Ressourcen werden uns immer wieder veranlassen, konkrete strate-gische Ziele mit Augenmaß zu formulieren. Dazu gehört auch, dass sich eine pragmati-sche deutsche Sicherheitspolitik – besonders dann, wenn es um aufwendige und länger-fristige militärische Einsätze geht – in erster Linie auf das zunehmend instabil werdende europäische Umfeld von Nordafrika über den Mittleren Osten bis Zentralasien kon-zentrieren muss; nicht zuletzt, um unsere amerikanischen NATO-Verbündeten im Zuge ihres wachsenden Engagements in Asien zu entlasten. Vermeiden müssen wir dagegen eine ausschließliche Konzentration auf das Management akuter Krisen auf Kosten lang-fristigen strategischen Handelns. Deutsche Sicherheitspolitik muss beides gleichzeitig leisten können: schnelle Reaktion und lange Sicht.Als überdurchschnittlich globalisierter Staat muss Deutschland seine Sicherheitsvorsor-ge als umfassendes, gesamtstaatliches Ri-sikomanagement – das die Gefahrenabwehr mit einschließt – nach innen wie nach außen begreifen und organisieren. Sicherheitsvor-sorge muss dann früher ansetzen, bei den ko-gnitiven Fähigkeiten: Wissen, Wahrnehmung, Analyse, Urteilsfähigkeit und strategische Vo-rausschau. Eine als Risikomanagement ver-standene Sicherheitspolitik umfasst ein brei-tes Spektrum von staatlichen Instrumenten, von der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe über die klassische Diplo-matie und die Nachrichtendienste bis hin zum Katastrophenschutz und den robusten Ein-satz von Streitkräften. Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit sind dabei fließend. Eine vorausschauende, umfassende Sicherheitspolitik muss daher alle zuständi-gen Ressorts und Institutionen – und, wo an-gemessen, zivilgesellschaftliche Akteure – in die Abstimmung mit einbeziehen.Ein in diesem Sinne organisiertes Risikoma-nagement stellt übrigens auch hohe Anforde-rungen an die Kommunikation zwischen Staat und Öffentlichkeit. Risikoeinschätzungen, Pri-orisierungen und die daraus zu ziehenden Fol-gerungen müssen den Bürgern überzeugend erklärt und begründet werden. Dabei gibt es in einer offenen Gesellschaft keinen allum-fassenden Schutz. Nicht alle Risiken können vermieden, nicht alle Gefahren abgewehrt werden. Und das neue strategische Umfeld

führt die Grenzen der Steuerbarkeit von Si-cherheitspolitik durch Staaten oder mithilfe hoheitlicher Instrumente vor. Deshalb gehört zum Risikomanagement, dass Staat, Wirt-schaft und Gesellschaft lernen, mit der eige-nen Verwundbarkeit umzugehen und Wider-standsfähigkeit (Resilienz) aufzubauen, und zwar so dezentral wie möglich.Die Instrumente deutscher Sicherheitspolitik müssen ergänzt und besser miteinander ver-netzt werden. Krisenprävention, Krisenma-nagement und Krisennachsorge sind bei uns wenig integriert, sondern vielmehr geprägt von einem Nebeneinander der zivilen, poli-zeilichen und militärischen Kräfte. Wir sind mit unserer Fähigkeit, zivile Kräfte – etwa Polizisten, Richter oder Wahlbeobachter – in Krisengebiete zu schicken, vielen Partnern in EU und NATO voraus. Trotzdem hinken unsere Leistungen auf diesem Gebiet unseren eige-nen Ansprüchen oft hinterher. Vermutlich wird es noch einige Zeit dauern, bis wir außen- und sicherheitspolitisch einen Grad von Verantwortungsübernahme erreicht haben, der unserer gestiegenen Macht ent-spricht – und den unsere Partner von uns ein-fordern. Das Engagement in Afghanistan, die Beteiligung am Atalanta-Einsatz vor der Küste Ostafrikas, unsere Führungsrolle bei der Be-wältigung der Eurokrise und andere Engage-ments mehr zeigen jedoch deutlich, dass wir dazu bereit und in der Lage sind. Aktuell heißt das: Auch in der Krise um die Ukraine müssen wir uns der Herausforderung stellen und (dip-lomatisch und international koordiniert) Ein-fluss nehmen – nicht zuletzt in unserem eige-nen strategischen Interesse.

griephan Edition 01/2014 15

Page 16: Edition  - bdi.eu · EDITION_MAIR Sicherheit: ein Grundbedürfnis EXISTENZGRUNDLAGE Für jede Gesellschaft ist ihre Sicherheit die wichtigste Grundla-ge der Existenz.

Medien für einen bewegten Markt.

DV

Euro 20.00 | C 2566April 2014 04|14

INTERNATIONALE FACHZEITSCHRIFT FÜR SCHIENENVERKEHR & TECHNIK

VDE 8.1: Feste Fahrbahn und Bauüberwachung

City-Tunnel Leipzig: Herzstück der S-Bahn Mitteldeutschland

Untersuchung von Gleisanlagen bei Werk- und Hafenbahnen

Effi zientes Testen und Installieren von modernen Außenanlagen

Tests und Zulassungsprozesse bei Schienenfahrzeugen

Aktuell:

HERAUSGEBERVERBAND DEUTSCHER EISENBAHN-INGENIEURE E.V.

DER EISENBAHN INGENIEUR

EI

58. Oberbaufachtagung7. Mai 2014in Darmstadt

DAMEN WALK-2-WORK VESSEL

Die Krim & die Konsequenzen

Putin

Kein neuer Kalter Krieg!

Deutschland ist als größter NATO-Partner an der Ostsee gefordert, dort den See- und Luftraum zu schützen

Vom Schwarzen Meer in die Ostsee

deutlich kommunizieren,

umfassende Verteidigungsoperation von bis zu einem Jahr

Mistral

Sewastopol

Inhalt

&

50%60%

100%

PureBallast 3.0

15/147. April 2014

www.railbusiness.deISSN 1867-2728

Der wöchentliche Branchenreport von Eurailpress und DVZB U S I N E S S

1

Julia Lamb wird neue Erfa-Generalsekretärin

Verbände

In dieser Ausgabe:

DB Energie stellt Strompreise auf branchenübliche Systematik umEnergie

Foto

: S. S

chra

der

7.4.2014 | 15/14

NEU

ICE-Halbzeit Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat etwas vorzuzeigen: den achten

neuen ICE 3, den die DB in ihre Flotte einreihen kann. Am 02.04.2013 wurde der letzte Zug

der ersten Charge im Berliner Hauptbahnhof an die DB übergeben.

Foto

: T. H

einr

ici

D E U T S C H E V E R K E H R S - Z E I T U N G

DIENSTAG, 8. APRIL 2014 C 2497 www.dvz.deZeitung für Verkehr und Logistik

Stückgutnetz:Palletways bleibt dran

100 Tage Dobrindt:Noch nicht warmgelaufen

Einzelhandel:Mut zur Lücke im Regal

Ifoy Award 2014:Toyota gegen Toyota

Seeschiff fahrt:Ecsa rüttelt die EU wach

Singapur beschuldigt elf SpeditionenPREISABSPRACHEN

2

3

6

2/11

FOTO

: WIL

DE

8

www.dvz.de/twitter

www.dvz.de/facebook

t

f

Der Jade-Weser-Port muss dringend weitere Dienste gewinnen, betonen die Manager Andreas Bullwinkel (links) und Holger Banik. Sie regen ferner eine Arbeitsteilung mit Hamburg an.INTERVIEW SEITEN 16/17

{DAYNAME}, {DD}. {MONTHNAME} {YYYY}

-

SEITE 3

In dieser Ausgabe

CHANCEN

SEITE 2

NEUE LERNINHALTE

SEITE 3

LDUNGSPROJEKT

DIE TAG, 8. AP L 2014THEMENHEFT

Aus- und Weiterbildung in der Logistik

EISENBAHNEN KOMBINIERTER VERKEHR

Aus- undWeiterbildung

Zuschläge ohne Ende

LUFT- UND SEEFRACHT SEITE 13

DIENSTAG 8 APRIL 2014

LUFT- UND SEEFRACHT SEITE 13

in der Logistikwirtschaft in EuropaTrends, Analysen & Potenziale

Jetzt neu!

6086_anz_griephan_portfolio_215x280.indd 1 11.04.2014 09:35:41