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Editorial 202Björn HHaaggeenn

Familienentlastende Gruppe in München 203Dominik KKöönniigg

Wenn die Krise zum Alltag wird – 214Jugendhilfe und traumatisierte JugendlicheEwald ZZaauunneerr

Leben lernen – Freiräume nutzen: 224Ein neues Angebot hilft jugendlichen Sexualstraftätern nach der ersten TherapieTobias HHääßßnneerr

Fehlmeldung der 226Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK)Björn HHaaggeenn

Verändern statt wegsehen – offener 228Umgang mit Sucht in der Einrichtung?Ingeburg BBrraannddtt

Auswirkungen des 230Bevölkerungsrückganges auf JugendhilfeleistungenWolf OOnnnnaasscchh

Gesetze und Gerichte 234Christian MMüülllleerr

DDiiee GGlloossssee 238Schwein muss man haben.Harald TToorrnnooww

EREV: Dialog-Politik 239Gespräch mit Antje Tillmann (MdB), CDU-Finanzexpertin Björn HHaaggeenn

Rückschau: 241EREV-Praxisforschungsworkshop »Erziehungshilfen« am 3. Juli 2008 in HannoverBjörn HHaaggeenn

Dialogveranstaltung »Euer Leben hat 244Gewicht«: Bundesgesundheitsministerium lud zum Thema »Essstörungen« einAnnette BBrreemmeeyyeerr

»»GGeehhtt ddeennnn ddaa üübbeerrhhaauupptt nnoocchh wwaass??«« 246Information zum Fachtag des Eylarduswerkes am 28. Mai 2008Klaus tteerr HHoorrsstt

Hinweise 248

Glossar: Komplex – kompliziert 252Harald TToorrnnooww

AAuuff eeiinn WWoorrtt U3Spätsommerlicher StreifzugJürgen RRoolllliinn

201EJ 4/2008

INHALT

Dieser Ausgabe liegen das EREV–Fortbildungs-programm 2009, das Programm der EREV–Bun-desfachtagung 2009 sowie die Programme derEREV–Foren »Ambulante, flexible Hilfen 2008«und »Erziehungshilfe und Schule 2008« bei.

TTIIPPPP:: NeFF – ein Netzwerk für Familien Das Dormagener Modell »Willkommen im Leben«Gerd TTrrzzeesszzkkoowwsskkii

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Dieser Ausgabe der Zeitschrift »Evangelische Ju-gendhilfe« liegt das EREV-Fortbildungsprogrammbei. Es wird von sozialpolitischen Entwicklungs-prozessen beeinflusst, von denen zwei beispiel-haft anzuführen sind.

In zunehmendem Maß erfolgt die »Kommunalisie-rung von Entscheidungen« zum einen mit derKonsequenz für den EREV, Netzwerke der Einrich-tungen zu knüpfen. Ein entscheidendes Motiv fürdie Beteiligung an den Fortbildungen ist ebenauch die Möglichkeit, Anregungen, Impulse undEntwicklungen über den eigenen Horizont hinauszu erfahren.

Zum zweiten erweitern sich die Zielgruppen. Inder aktuellen gesellschaftlichen Diskussion wirdvom Ende der Mittelschicht gesprochen. Der Zu-sammenhang zwischen Einkommensarmut undweitreichenden Benachteiligungen von Kindernwie zum Beispiel geringeren Bildungschancensind bekannt. Nun sieht sich eine wachsendeSchicht von Menschen diesem Risiko ausgesetzt.Soziologen beschreiben, dass das Problem darinbesteht, dass eine neue Scheidelinie entstehe: diezwischen drinnen und draußen. Zwischen denen,die dazugehören, und denen, die nicht dazugehö-ren. Zwischen denen, die gebraucht, und denen,die nicht gebraucht werden. Zu diesen Ausge-schlossenen gehören Migranten, gescheiterteAutoren der eigenen Bastelbiografie oder Allein-erziehende. Ihnen allen sei gemein, dass sie in ei-nen nach unten ziehenden Strudel geraten seienund nicht mehr die Kraft aufbringen, gegen dasGefühl der eigenen Nutzlosigkeit anzugehen.

Aufgabe der Fortbildungen im Evangelischen Er-ziehungsverband ist es, diese Entwicklungen indie fachliche Arbeit einzubeziehen. Die klassi-

schen Zielgruppen der benachteiligten, bildungs-fernen Familien verändern sich und neue kommenhinzu.

Natürlich steht das Fortbildungsjahr 2009 ganzim Banne der EREV-Bundesfachtagung vom 12.bis 14. Mai 2009 in Karlsruhe mit dem Titel: »Ler-nende Jugendhilfe«. Veränderte Lebensbedingun-gen junger Menschen und Familien erfordern pas-sende Hilfekonzepte. Dafür ist eine Jugendhilfe,die sich analog zu den gesellschaftlichen Verän-derungen in einem stetigen Lernprozess befindet,unabdingbar.

Die in dieser Zeitschrift dargestellte SozialeGruppenarbeit ist ein Beispiel dafür, wie die er-weiterten Zielgruppen der Erziehungshilfen er-reicht werden können. Es finden hier verschiede-ne Methoden der Sozialen Arbeit Anwendung, umauf unterschiedliche Situationen adäquat reagie-ren zu können. Die Elternarbeit ist hierbei ein we-sentlicher Bestandteil zur sozialen Integration derKinder in ihr Lebensumfeld.

Ein weiteres Thema sind traumatisierte Jugendli-che. Sie bringen die Pädagogen an den Rand ih-rer Möglichkeiten. Die Auseinandersetzungen ko-sten Kraft und sind oft Angst machend. Die dar-gestellten Möglichkeiten der Arbeit mit den jun-gen Menschen stellen keine Garantie für das Ge-lingen dar. Aber die Soziale Arbeit hat die Aufga-be, den Beteiligten eine Chance zur Bewältigungder Traumata zu geben.

Ihr Björn Hagen

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Editorial

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DDeerr vvoorrlliieeggeennddee AArrttiikkeell bbeeggrreeiifftt ssiicchh aallss bbeesscchheeiiddee--nnee AAnnrreegguunngg uunndd kklleeiinneerr DDiisskkuussssiioonnssbbeeiittrraagg ffüürreeiinnee PPrrooffeessssiioonn,, ddiiee ssiicchh ttrraaddiittiioonneellll üübbeerr AArrtt,, UUmm--ffaanngg,, FFüürr uunndd WWiiddeerr vvoonn SSoozziiaalleerr GGrruuppppeennaarrbbeeiitt((SSGGAA)) bbeerräätt uunndd ddiiee ssiicchh gglleeiicchhzzeeiittiigg,, iimm RRaahhmmeenneeiinneess ssiicchh rreedduuzziieerreennddeenn SSoozziiaallssttaaaatteess,, bbeeii wwaacchh--sseennddeenn,, iinnnneerrggeesseellllsscchhaaffttlliicchheenn SSppaannnnuunnggeenn11,, ddeerrFFrraaggee ggeeggeennüübbeerrssiieehhtt,, mmiitt wweellcchheenn MMeetthhooddeenn ggee--sseellllsscchhaaffttlliicchhee KKoohhäässiioonn eerrzzeeuuggtt wweerrddeenn kkaannnn..

WWiiee SSGGAA iimm RRaahhmmeenn ddeerr HHiillffeenn zzuurr EErrzziieehhuunnggpprraakkttiisscchh ggeennuuttzztt wweerrddeenn kkaannnn,, uumm sscchhuulliisscchhee,, ssoo--zziiaallee uunndd ffaammiilliiäärree PPrroobblleemmee zzuu bbeeaarrbbeeiitteenn,, iisstt GGee--ggeennssttaanndd ddeerr ffoollggeennddeenn AAuussffüühhrruunngg,, wweellcchhee vvoonnddeerr AArrbbeeiitt eeiinneerr »»FFaammiilliieenneennttllaasstteennddeenn GGrruuppppee««((FFEEGG)) ddeerr FFlleexxiibblleenn JJuuggeennddhhiillffee MMüünncchheenn bbeerriicchh--tteett..

1. Kurzer historischer Abriss

Soziale Gruppenarbeit (SGA) ist neben Einzelfall-hilfe und Gemeinwesenarbeit traditionell einerder drei großen Bereiche in der Sozialen Arbeit.

Bereits um die vorletzte Jahrhundertwende ka-men erste methodische Impulse aus den USAnach Europa.2 Nach dem Ende des Zweiten Welt-krieges war sie in Deutschland als vorprofessio-nelle Gruppenarbeit Teil einer »speziellen Pädago-gik, die sich um die Gruppe zentrierte und in spä-teren Jahren in der sozialen Ausbildung etabliertwurde«.3

In den siebziger Jahren und im Zuge von Be-strebungen, Soziale Arbeit zu professionalisie-ren, wurde sie jedoch wegen des vermeintli-chen Fehlens einer didaktischen Konzeptionkritisiert. Zeitgleich wurde ihr aus dem Lagerder 68er angelastet, dass sie soziale Einbin-dung in eine Gesellschaft erzeuge, die eigent-lich zu verändern sei.4

Parallel dazu wurde SGA im Zuge der sich ent-wickelnden Tiefenpsychologie therapeutisiert.Individualistische Gruppentheorien wie »Encoun-ter Gruppen« (Rogers, Watzlawick), »Psychodra-ma« (Moreno) oder die »Themenzentrierte Inter-aktion« (Cohen) hielten in dieser Zeit Einzug indie Gruppenarbeit, zugleich kamen therapeuti-sche Zusatzausbildungen für Gruppenarbeiter inMode.5

»Auch als Reaktion auf die vorwiegend therapeu-tische Ausrichtung und damit PsychologisierungSozialer Arbeit findet seit Mitte der achtziger Jah-re allerorten ein Nachdenken über die Eigenstän-digkeit Sozialer Arbeit (...) statt. Mit der Hinwen-dung zu sozialwissenschaftlichen Ansätzen, diemit den Schlüsselwörtern ›Alltagsorientierung‹und ›Lebensweltorientierung‹ verbunden sind,wird seit Beginn der neunziger Jahre ein Perspek-tivwechsel in der Sozialen Arbeit gefordert. DieMethodenentwicklung wird als Forschungsaufga-be diskutiert (...). Hierunter fällt auch die weiterewissenschaftliche Fundierung und damit Fortent-wicklung sozialer Gruppenarbeit.«6

Es ist demnach weder eine neue noch brillante Er-kenntnis, dass SGA für die Entwicklung von Per-sönlichkeit und Sozialverhalten wichtig seinkann. Nicht umsonst steht dieses Gruppenange-bot im Kanon der Hilfen zur Erziehung. Das baye-rische Landesjugendamt formuliert:

»Als Angebote zum sozialen Lernen soll sie (SGA,Anmerkung des Verfassers) positive Erfahrungen,Erlebnisse und Einsichten vermitteln, die zur Ach-tung des Anderen, zu Selbstbewusstsein und zurÜberwindung von Entwicklungsschwierigkeitenund Verhaltensproblemen verhelfen, mit dem Ge-samtziel einer eigenverantwortlichen und ge-meinschaftsfähigen Persönlichkeit«.7

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FEG – Familien Entlastende GruppeZwei Jahre innovative Soziale Gruppenarbeit

Dominik KKöönniigg, München

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Im Folgenden wird unter Punkt 2 das theoretischeKonzept der FEG vorgestellt, wie es in der Lei-stungsbeschreibung für Mitarbeiter und Mitarbei-terinnen der Flexiblen Jugendhilfe München fest-geschrieben ist.

Unter den Punkten 3 und 4 wird dargestellt, wiediese theoretische Konzeption in der Praxis umge-setzt wird. Dabei konzentrieren sich die Ausfüh-rungen in Punkt 3 auf die unmittelbare Arbeit amKlienten in der FEG, während unter Punkt 4 erläu-tert wird, wie mit dem System des Klienten gear-beitet wird.

2. Das Konzept der FamilienentlastendenGruppe (FEG)

2.1 Rahmendaten und ZielgruppeDie FEG ist ein ambulantes Gruppenangebot, wel-ches die gesetzlichen Leistungen nach den Para-graphen 27 und 29 KJHG anbietet. Träger ist dieFlexible Jugendhilfe München, ein Geschäftsbe-reich des Diakonischen Werks Rosenheim. Ge-gründet wurde die FEG auf Initiative der Abtei-lung Erziehungsangebote, Produktteam Erzie-hungshilfe und Kinderschutz des Stadtjugendam-tes München. Die dort tätigen Fachkräfte erkann-ten den großen Bedarf nach einem ambulantenGruppenangebot, welches gleichzeitig nieder-schwellig und trotzdem verbindlich-strukturiertsein sollte. Die nachfolgenden Rahmendaten ent-sprechen den ursprünglichen Vorstellungen desStadtjugendamts:

Zur Zielgruppe gehören Kinder und Jugendlichezwischen neun und 14 Jahren sowie deren Fami-lien, bei denen Bedarf nach ambulanter Hilfe be-steht, der durch andere Angebote der Jugendhil-fe (beispielsweise Beratung durch Bezirkssozialar-beit, Horte, Jugendzentren) nicht ausreichend be-ziehungsweise zu hochschwellig oder dem erzie-herischen Bedarf nicht gerecht werdend gedecktwird (vergleiche Paragraph 29 KJHG). Dabei han-delt es sich insbesondere um Entwicklungsauffäl-ligkeiten und Verhaltensprobleme.

Konkret sind dies in der Regel eine oder mehrereder nachfolgenden sozialen und/oder psychischenProblemlagen:• Überforderung der Sorgeberechtigten in der Er-

ziehung,• drohende Verwahrlosung,• Schwierigkeiten oder Verweigerung in der

Schule,• Traumatisierung durch psychische, sexualisier-

te oder physische Gewalt,• Auffälligkeiten des Sozialverhaltens,• Kontakt- und Beziehungsschwierigkeiten,• Auffälligkeiten des Essverhaltens,• Probleme mit der Affektkontrolle (unter ande-

rem Gewaltbereitschaft),• delinquentes Verhalten.

Die Zielgruppe der FEG unterscheidet sich vomKlientel heilpädagogischer Tagesstätten dadurch,dass auch und vor allem Kinder ohne Indikationnach den Paragraphen 35a KJHG (seelische Be-hinderung) und 32 KJHG (Entwicklungsdefizite)aufgenommen werden. Damit wird zusätzlich we-niger intensiven Fällen die Möglichkeit zu Sozia-ler Gruppenarbeit gegeben und eine Lücke ge-schlossen, die zumindest in München noch anvielen Stellen weit klaffte.

Im Rahmen sozialräumlichen Arbeitens8 ist dieFlexible Jugendhilfe München in verschiedene So-zialraumbüros aufgeteilt, die ausschließlich fürbestimmte Stadtteile zuständig sind. Die FEG isthierbei an ein Sozialraumbüro angegliedert undnimmt dementsprechend überwiegend Klientin-nen und Klienten aus der jeweiligen Sozialregionauf.

Durch sozialräumliches Arbeiten soll gewährtwerden, dass die Klienten flexible Hilfen aus einerHand erhalten.9

In der FEG arbeiten zwei pädagogische Fachkräf-te (ein Mann, eine Frau) in Vollzeit. Sie leiten denGruppenalltag, sind für die Arbeit mit den jewei-ligen Familien zuständig und übernehmen admi-nistrative und koordinierende Aufgaben in Zu-

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FEG – Familien Entlastende Gruppe, Zwei Jahre innovative Soziale Gruppenarbeit

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sammenarbeit mit Schulen, Sozialbürgerhäusernund anderen Einrichtungen wie Sportvereinen, Ju-gendzentren oder vorangegangenen Hilfen.

Die FEG bietet an fünf Tagen in der Woche jezwölf Plätze für maximal 18 Kinder und Jugend-liche. Konkret bedeutet dies, dass 60 Nachmit-tagseinheiten (fünf Mal zwölf) bedarfsgerecht mitden Klienten vereinbart werden können. Klientenkönnen somit das Angebot der FEG flexibel wahr-nehmen, da es nicht verpflichtend an fünf Tagenpro Woche, sondern tageweise in Anspruch ge-nommen werden kann, entsprechend dem indivi-duellen Bedarf an Hilfe zur Erziehung.

Der Gruppentag beginnt nach Schulschluss undendet um 16:30 Uhr, er umfasst also den gesam-ten Nachmittag. Dabei folgt er einer festen Tages-struktur, die freies und angeleitetes Spiel, gemein-sames Mittagessen, Hausaufgabenhilfe und eineAbschlussreflexion beinhaltet.

In den Schulferien bietet die FEG unter Leitung ei-nes Mitarbeiters einer kleineren Gruppe aus derFEG (rund sechs Kinder pro Tag) ein ganztägigesFerienprogramm. Die Teilnahme in den Ferien wirdmit den Kindern und ihren Familien je nach Be-darf und Möglichkeiten individuell vereinbart.

2.2 Ziele der FEGZu den Zielen der FEG zählt es, junge Menschen inihrer Entwicklung und in ihrem Recht auf Erzie-hung zu einer eigenverantwortlichen und ge-meinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern.Sie hilft dem jungen Menschen und den Sorgebe-rechtigten dabei, eine Lebenswelt10 (wieder-)her-zustellen, in der ein kind- und jugendgerechtesLeben ohne wesentliche Konflikte mit gesell-schaftlichen Institutionen oder verbindlichenNormen und ohne externe professionelle Hilfemöglich ist. Die Maßnahmen stärken die familiä-re Kompetenz und fördern die Selbstheilungskräf-te der Familie.

Der junge Mensch und seine Familie sollen durchdie Hilfe möglichst schnell von professioneller

Unterstützung unabhängig werden. In der Praxisbedeutet dies, dass die Kinder und Jugendlichenein bis maximal zwei Jahre in der FEG verbleiben.In dieser Zeit gehen die Bestrebungen der Mitar-beiter dorthin, intensive Hilfe zur Selbsthilfe zuleisten.11

Die konkreten individuellen Ziele orientieren sichdabei an den Wünschen und Vorstellungen desjungen Menschen und der Personensorgeberech-tigten sowie am durch die Mitarbeitenden der So-zialbürgerhäuser und der Flexiblen JugendhilfeMünchen festgestellten erzieherischen Bedarf.Grundlage hierfür ist ein systemisches Verständ-nis von Sozialer Arbeit12, wonach bisherige An-passungsleistungen als individuelle Ressource imSystem wahrgenommen werden.

Demgemäß und in Übereinstimmung mit demLeitbild des Diakonischen Werks Rosenheim, wo-nach jeder Mensch eine einmalige, wertvolle, vonGott geschaffene und geliebte Persönlichkeit ist,wird das auffällige Verhalten der jungen Men-schen als aktive und kreative Problemlösungsstra-tegie verstanden, an welche im weiteren Verlaufder Zusammenarbeit angeknüpft wird.

Individuelle Ziele können unter anderem sein:• Stabilisierung und/oder Erweiterung der emo-

tionalen Entwicklung des Kindes oder Jugend-lichen,

• Verbesserung der psychosozialen Kompetenzdes Kindes oder Jugendlichen,

• Entwicklung einer gelungenen Nähe-Distanz-Regulierung und eines angemessenen Sozial-verhaltens,

• Hinführung zur selbstständigen Bewältigunglebenspraktischer Anforderungen,

• Stärkung der Selbsthilfepotenziale des Kindesoder Jugendlichen.

Einem systemischen Arbeitsverständnis entspre-chend werden auch familienunterstützende Zieleanvisiert:• Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der

Familie,

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• Förderung der Erziehungsfähigkeit der Eltern,• Stärkung der Selbsthilfepotenziale der Bezugs-

personen,• Entlastung der Herkunftsfamilie.

2.3 Methoden der FEGIm Rahmen der FEG finden verschiedene Metho-den der Sozialen Arbeit Anwendung, um auf ver-schiedene Situationen passgenau reagieren zukönnen. Essenziell sind hierbei die Strukturmerk-male: verbindliche Öffnungszeiten, Mittagessen,Hausaufgabenbetreuung und Freizeitgestaltung.Mit diesem festen Rahmen wird die Entwicklungälterer Kinder und Jugendlicher durch sozialesLernen in der Gruppe gefördert. Diese sozialenLernprozesse können als allgegenwärtige Meta-Methode der FEG bezeichnet werden.

Darüber hinaus arbeiten die Mitarbeiter der FEGmit Techniken der Themenzentrierten Interakti-on13, der Erlebnispädagogik14 und LSCI (= LifeSpace Crisis Intervention; Methoden zur Krisenin-tervention bei Kindern und Jugendlichen)15.

Die Familienarbeit orientiert sich an der Methodeder Systemischen Familienberatung16, umfasstaber auch Elemente der Lösungsorientierten Be-ratung17, des Video-Home-Trainings (VHT) sowieder Klientenzentrierten Interaktion18 und vermit-telt elterliche Präsenz.

Bei der Leistungserbringung gelten für die Mitar-beiter der FEG dieselben Grundprämissen wie fürihre Kollegen aus den anderen Bereichen der Fle-xiblen Jugendhilfe München. Diese beinhalten so-zialarbeiterische Haltungen, die methodisch aus-gefüllt werden.

Sozialarbeiterische Haltungen• Beziehungskontinuität: Wechselnde Ziele, For-

men und Inhalte der Betreuung bei gleichenBezugspersonen

• Bedarfsorientierung: So wenig wie möglich, soviel wie nötig

• Flexibilität: Hilfeform und -intensität passensich der Entwicklung an.

• Nachrangigkeit: Eltern in der Erziehung unter-stützen, anstatt sie zu ersetzen

• Professionalität: Ausschließlich pädagogischesFachpersonal

• Zielorientierung: Durch traditionelle und inno-vative Methoden der sozialen Einzel-, Famili-en-, Gruppen- und Projektarbeit werden dievereinbarten Ziele erreicht.

• Lebensweltorientierung: Die Betreuung findetdort statt, wo der Klient oder die Klientin lebt.

• Alltagsorientierung: Der Lebensalltag wird ge-meinsam bewältigt und nachhaltig stabilisiert.

• Sozialraumorientierung: Soziale Probleme wer-den dort gelöst, wo sie entstehen.

• Ressourcenorientierung: Nutzung und Stärkungvorhandener, individueller und sozialräumlicherRessourcen.

• Lösungsorientierung: Aktuelle und langfristigeProbleme werden gelöst.

• Netzwerkorientierung: Professionelle und so-ziale Netzwerke werden erhalten und ausge-baut.

• Niederschwelligkeit: Aufsuchende und nachge-hende Hilfen werden angeboten.

• Toleranz: Problematisches Verhalten führt nichtzu einem vorzeitigen Maßnahmenende.

• Effizienz: Pädagogisches und wirtschaftlichesControlling

• Nachhaltigkeit: Wirtschaftlichkeit und Spar-samkeit

3. Die FEG als Lernfeld für Kinder und Jugendliche

3.1 Vom Teufelskreis negativer ErlebnisseWie bereits unter Punkt 2.1 dargestellt, haben diejungen Menschen, welche die FEG besuchen, so-ziale Probleme verschiedenster Ausprägungen.Dabei haben sie oft eine Karriere hinter sich, inwelcher sie aus Regeleinrichtungen wie beispiels-weise der Regelschule oder dem Regelkindergar-ten ausgesondert wurden oder zu ihnen erst garkeinen Zugang erhielten beziehungsweise dort zu»Versagern« und/oder auffälligen Außenseiternwurden.

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Diese kontinuierliche Kette von Misserfolgserleb-nissen, welche sich wie ein roter Faden überJahre hinweg durch ihre Biografien zieht, wirktsich in aller Regel negativ auf das Selbstwertge-fühl dieser Kinder aus. Ängste, Aggressionen,Leistungsverweigerungen, destruktive Selbstbil-der und soziale Isolation sind nur eine kleineAuswahl aus der langen Reihe von Folgeerschei-nungen.

Damit setzt sich in den Lebensgeschichten dieserMenschen ein Muster fort, welches von derWechselseitigkeit negativer Bedingungen (zumBeispiel Armut, geringes Bildungsniveau der El-tern, Erziehung mit Abwertung, Gewalt und Ver-nachlässigung oder verhaltensbeeinflussende Er-krankungen wie ADHS19 und dem daraus resultie-renden problematischen Verhalten geprägt ist. Indiesem Teufelskreis ist der junge Mensch gleich-zeitig aktives Subjekt und passives Objekt: Mitihm geschieht etwas; er wird durch etwas geprägtund im Ausleben dieser Prägung schafft er fort-laufend negative Bedingungen.

Als Beispiel mag hier der Schüler dienen, welcheraufgrund seiner häuslichen Erziehung und seinesnahen sozialen Umfelds des Wohnblocks oder derNachbarschaft Gewalt als Opfer erlebte und dabeilernte, dass auf diese Weise Konflikte »geregelt«und Probleme »gelöst« werden. Setzt er diese Er-fahrungen nun um, etwa, indem er auf dem Pau-senhof andere Kinder schlägt, weil dies im Rah-men seiner Streitkultur ein probates Mittel ist,wird er dafür von der Schule sanktioniert. Im Rah-men eines Schulverweises dürfte sich dies nega-tiv auf sein Selbstwertgefühl auswirken. Dieseshat nun bereits mehrfach Erniedrigungen erfah-ren, nicht zuletzt aufgrund der Gewalterfahrun-gen, die der Schüler selbst erleiden musste. Daseine Fähigkeiten, Frust auszuleben, jedoch be-grenzt sind, braucht es nicht viel Phantasie, umsich auszumalen, wie dieser Schüler mit seinenMisserfolgserlebnissen umgeht und auf welcheWeise er versuchen wird, sein Selbstwertgefühl zustärken.20

An dieser Stelle geraten Regeleinrichtungen oftan ihre Grenzen und die Jugendhilfe tritt auf denPlan.

Die FEG bietet den Kindern und Jugendlichen ei-nen klar und kontinuierlich strukturierten Alltag,in welchem leicht verständliche Regeln geltenund eine Atmosphäre der allgemeinen Wertschät-zung herrscht. Sie erleben dort einen Alltag, deralle Elemente eines fürsorglichen, familiärenNachmittags beinhaltet. Dies beginnt mit demgemeinsamen Mittagessen, bei dem man sich un-terhalten, vom Tag erzählen und scherzen kann.Im Anschluss erhalten die Kinder einen ruhigen,konzentrationsfördernden Rahmen, in dem sie mitUnterstützung von den Mitarbeitern der FEG ihreHausaufgaben erledigen können. Danach könnensie mit Gleichaltrigen spielen, toben und gemein-sam den restlichen Nachmittag verbringen. Kon-zentriert man sich auf die Ereignisse, die sich inder FEG vordergründig und auf den ersten Blickabspielen, so könnte man sie als »Normalitäts-Si-mulator« bezeichnen.

Dabei muss man sich bewusst sein, dass der Be-griff »Normalität« im Rahmen von mittelschichts-orientiertem Denken differenziert zu verstehen ist.Keinesfalls darf er dazu führen, eigene Sozialisa-tionserfahrungen als entscheidendes Kriterium zubenutzen, um andere zu bewerten und mit Erwar-tungen zu belegen wie etwa »du musst zumindestdie Realschule besuchen«. Vielmehr soll er als Ori-entierungshilfe dienen, wonach bestimmte Erfah-rungen (zum Beispiel regelmäßig warmes Mittag-essen zu bekommen) wünschenswert und positivsind.

Die FEG wirkt als »Simulator«, weil die Mitarbei-ter der FEG zwar tun, was Eltern tun sollten, sieaber nicht selbst die Eltern der Kinder sind, dieGruppenräume sind nicht das Elternhaus, die an-deren Kinder nicht die Geschwister.

Dennoch wirkt sich das Umfeld der FEG positivaus – vor allen Dingen durch Beständigkeit undtägliche Wiederholung.

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Viele Kinder erleben im häuslichen Umfeld einenunstrukturierten Alltag, in dem sie weitgehendsich selbst überlassen sind oder den sie als»Schlüsselkinder« gänzlich alleine und oft vor demFernseher verbringen müssen. Demgegenüberstellt die FEG für Kinder die täglich wichtigeGrundversorgung (Essen, Lernhilfe, Spielkamera-den, wohlwollende Ansprache) konkret sicher. Da-mit wird gewährleistet, dass sich die Situation derKinder stabilisiert und nicht noch weiter eskaliert.Diese Stabilität soll über den gesamten Zeitraum,in dem das Kind die FEG besucht, aufrechterhal-ten bleiben, um sich im Alltag des Kindes so festzu verwurzeln, dass das Kind sie selbst reprodu-zieren kann, beispielsweise, indem ein Kind bei derErledigung der Hausaufgaben zum Aufbau einesneuen Arbeitsverhaltens angeleitet wird, welcheses in Zukunft selbstständig anwenden kann.

Ebenso soll im Verlauf der Hilfe die elterliche Er-ziehungskompetenz dauerhaft gefestigt und aus-gebaut werden, damit den Eltern in Zukunft neueund erfolgreiche Wege zum Umgang mit ihrenKindern zur Verfügung stehen. Näheres zur El-ternarbeit steht unter Punkt 4.1.

Die FEG nimmt das ganze Jahr über neue Klientenauf (solange Platz ist) und ist somit flexibel. Den-noch ist es in diesem eng strukturierten Rahmenmöglich, eine offene Gruppe zu sein, die sichdurch hohe Kontinuität auszeichnet. Durch dengelegentlichen Wechsel der Kinder entsteht einehohe Gruppendynamik, die von den Mitarbeiternkonstruktiv gesteuert wird, so dass ein sozialerLernprozess für die Gruppe stattfindet. Die stabi-le Tagesstruktur liefert hierbei den Rahmen, indem alle Kinder mit ihren individuellen Bedürfnis-sen und Problemen aufgefangen und geleitetwerden.

Selbstverständlich lebt ein Kind nicht isoliert,sondern in Wechselwirkung mit seinem häusli-chen und sozialen Umfeld, welches für einige Pro-bleme mit-konstitutiv sein kann. Im Rahmen vonNachhaltigkeit und Hilfe zur Selbsthilfe müssenauch dort Veränderungen stattfinden. Wie diese

Aufgabe im Rahmen der FEG bearbeitet werdenkann, wird unter Punkt 4 dargestellt.

3.2 Gemeinsame Regeln gestalten den AlltagIn der FEG gewährleisten Gruppenregeln wie kei-ne Gewalt, keine Drohungen, während den Haus-aufgaben leise sein, beim Essen sitzen bleiben, bisalle fertig sind, dass für die Kinder über die Grund-versorgung hinaus ein sozialer Lernprozess statt-findet. Aus diesem Grund sind die Regeln bewusstkleinschrittig und kindgerecht gehalten und ver-zichten auf abstrakte Forderungen wie »sich ge-genseitig respektieren«.

Jeder FEG-Tag endet mit einer Reflexionsrunde.Wird im Alltag auf das Befolgen der Regeln kon-kret und von Fall zu Fall geachtet, bietet sichhier ein Rahmen, um das Verhalten der einzel-nen Gruppenmitglieder allgemein zu besprechensowie um die Gruppenstimmung zu thematisie-ren. Da der Tag auf diese Weise endet, wird ge-währleistet, dass sich die Kinder ihrer sozialenLernaufgaben bewusst bleiben. Auch hier ist dieStärke der FEG die tägliche Wiederholung: DieRegeln für das gemeinsame Miteinander bleibenimmer gleich. Somit wird für die Kinder ein ho-hes Maß an Verbindlichkeit, aber auch an Ver-lässlichkeit hergestellt. Gerade in der Phase desHeranwachsens ist eine klare Orientierung, dietransparent und nachvollziehbar aufgestelltwird, eine förderliche Entwicklungsbedingungfür Kinder und Jugendliche.

Aus diesem Grund werden die Gruppenregelnauch nicht von den Mitarbeitern festgelegt, son-dern sind ein gemeinsames Produkt von Mitarbei-tern und Kindern. Einmal aufgestellt, sind sie fürjeden verbindlich und werden beibehalten. Imwiederkehrenden Prozess des demokratischenAushandelns erleben die Kinder, dass ihre Mei-nung zählt, dass sie mitbestimmen und ihr Lebenim positiven Sinn selbst beeinflussen können. ImSinne von stärkeorientiertem Arbeiten nehmendie Mitarbeiter hierbei die Rolle von Förderernund Moderatoren ein, während die Impulse undIdeen von den Kindern selbst kommen.

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Die Regeln, welche auf diese Weise entstehen,haben für die Kinder einen anderen Wert als an-onyme und autoritäre Vorschriftensysteme wieetwa eine Schulordnung oder der Verbotskatalogin ihrem Wohnblock. Dementsprechend ist dieBereitschaft, sich daran zu halten, erheblich hö-her.

Selbstverständlich lassen sich die Schwierigkeitenvieler Kinder nicht darauf reduzieren, dass sie sichnicht an Regeln halten können. Erlerntes Verhal-ten, wie zum Beispiel Gewalt als Ventil zu nutzen,spielt eine erhebliche Rolle. Die Gruppenregelnbeziehungsweise ihre konstante Einhaltung sindalso nicht nur Selbstzweck oder sollen einen rei-bungslosen Tagesablauf gewährleisten, sondernsie sollen eine Verhaltensmodifikation im bestenSinne von Erziehung bewirken. UnerwünschtesVerhalten wie verbale und motorische Unruhe beiden Hausaufgaben oder das Bedrohen andererKinder wird vor dem Hintergrund der Gruppenre-geln unmittelbar und konkret thematisiert. DieKinder sollen sich mit ihrem Verhalten auseinan-dersetzen und lernen, die Zusammenhänge zwi-schen ihren Gefühlen und Bedürfnissen und ihremVerhalten zu erkennen. Ist dies gelungen, so kön-nen sie steuern, auf welche Weise sie ihre Zielekonstruktiv erreichen wollen. In der FEG bietetsich Kindern die Möglichkeit, alternative Verhal-tensweisen in einem geschützten Rahmen auszu-probieren, wobei sie Unterstützung und Rückmel-dung von den Mitarbeitern und der Gruppe be-kommen.

4. Die FEG als Lernfeld für das soziale Umfeldvon Kindern und Jugendlichen

Gemäß einem systemischen Verständnis von So-zialer Arbeit lebt kein Mensch isoliert, sondern istin seinem Erleben, Verhalten und Handeln ständigwechselseitig an ein soziales Umfeld gekoppelt.

Im Fall der jungen Menschen, welche die FEG be-suchen, lässt sich feststellen, dass ihre Problemein der Mehrheit auf familiäre Ursachen zurückzu-führen sind. Die Familien dieser Kinder sind wie-

derum häufig in einem gesellschaftlichen Milieuangesiedelt, das sich mit Begriffen wie »Armut«oder »Minderheit« beschreiben lässt. Erfahrungenvon Gewalt, Flucht, Vertreibung, sozialer Ächtungund Diskriminierung gehören oft zum Erlebnisho-rizont dieser Familien.

Eine zentrale Leistung der FEG besteht daher auchin dem warmen Mittagessen, welches die Kinderbekommen. Damit wird sie ihrem Namen »famili-enentlastend« konkret gerecht und schafft gleich-zeitig eine hohe Motivation seitens der Klienten,das Angebot wahrzunehmen. Viele Familien, mitdenen wir arbeiten, befinden sich in existenziel-len Nöten, was nicht zuletzt auch durch die rea-le Schlechterstellung von Kindern durch dasHartz-IV-Gesetz verursacht wurde.

Die Klienten der FEG sollen täglich für das warmeEssen sowie für Obst und Getränke, die tagsübergereicht werden, eine Eigenbeteiligung von zweiEuro bezahlen. In vielen Fällen ist dies aber bereitsnicht mehr leistbar, weswegen dieser Betrag aufbis zu 50 Cent gesenkt wird, beziehungsweise inEinzelfällen sogar ganz entfällt. Dies verdeutlichtdas Ausmaß der Armut dieser Familien und auchdie Verhältnisse, in denen die Kinder aufwachsen.Für den Familienalltag bedeutet dies konkret, dasssich die Eltern in Überforderungssituationen be-finden, die sich wiederum auf das Erziehungsver-halten auswirken.

Dementsprechend lassen sich die Problemsitua-tionen der Kinder auch nicht ausschließlich mitden unter Punkt 3 beschriebenen Maßnahmenbeheben. Soll Nachhaltigkeit erzeugt werden, soist die Arbeit im und am sozialen System uner-lässlich.

4.1. Elternarbeit im HilfeplanprozessElternarbeit ist ein wesentlicher Teil der FEG. Diesbeginnt bereits beim Aufnahmegespräch, in demdie Mitarbeiter der Flexiblen Jugendhilfe Mün-chen gemeinsam mit den Fallverantwortlichen derSozialbürgerhäuser, den Eltern und den Kindernüber die Ziele der Maßnahme sprechen.

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Dabei werden stets Ziele für die Kinder vereinbart:Zum Beispiel X erwirbt friedliche Konfliktlösungs-strategien, Y ist in der Lage, 45 Minuten konzen-triert Hausaufgaben zu erledigen. Es werden aberauch Ziele für die Eltern vereinbart: Zum BeispielHerr Y verzichtet bei der Erziehung seiner Kinderauf Schläge, Frau Z unterstützt ihr Kind bei denHausaufgaben.

Zur Zielerreichung werden ihnen konkrete Metho-den zugeordnet. Maßnahmen der FEG wie dieHausaufgabenzeit sind dabei immer nur ein Teildes Methodenkatalogs für ein bestimmtes Ziel.Ein gleichfalls wichtiger Teil, der im Hilfeverlaufeine stetig größer werdende Bedeutung erhaltensoll, ist die Elternarbeit.

Die Elternarbeit wird also im Rahmen der FEG alsentscheidende Methode betrachtet, mit der Zieleerreicht werden sollen. Verantwortung, Kompe-tenz und Macht der Eltern werden wieder in denMittelpunkt gerückt. Mit der Beschreibung vonkonkretem Erziehungsverhalten als Methode (HerrX spielt täglich mindestens 20 Minuten mit seinenKindern, Frau Z lernt jeden Tag 30 Minuten mit ih-rem Kind für die Schule) wird ein wünschenswer-ter Zustand festgelegt, auf den sich alle an derHilfe Beteiligten einigen können.

Diese Ziele werden in regelmäßigen Abständenmit allen Beteiligten überprüft und gegebenen-falls fortgeschrieben. So wird gewährleistet, dassvon Anfang bis Ende der Maßnahme verbindlicheZiele mit einer genauen Aufgabenteilung undausgewählten Methoden festgelegt werden. Die-ser Prozess wird partnerschaftlich mit Eltern undKind gestaltet und ist von hoher Transparenz,Nachvollziehbarkeit und Kontinuität geprägt. Dasbedeutet, dass lieber einmal zu viel als zu wenigerklärt, nachgefragt und diskutiert wird. In eini-gen Fällen bedeutet bereits diese erste Form derAuseinandersetzung der Eltern mit ihrer Familieeine erhebliche Steigerung ihres Erziehungsauf-wands. Damit beginnt Entwicklung.

4.2. Elternarbeit im Alltag der FEGUm die Zielerreichung auch außerhalb des Hilfe-planprozesses gewährleisten zu können, ist eineenge Kooperation mit den Eltern erforderlich. Ausdiesem Grund finden jeden Monat Elternabendestatt, deren Teilnahme verbindlich ist. Dort bietetsich den Eltern ein Forum, in dem sie sich mit an-deren über ihre Situation austauschen können.Für viele ist es eine Erleichterung festzustellen,dass sie nicht die Einzigen sind, die bestimmteProbleme haben. Auch hier steht der Erfahrungs-austausch der Eltern ganz im Zeichen der Hilfe zurSelbsthilfe. Wenn Eltern erkennen, wie ihnen Ge-spräche mit anderen Eltern bei ihren eigenen Le-bens- und Erziehungsschwierigkeiten weiterhel-fen können, dann sind ihre Erfahrungen auchohne institutionelle Unterstützung reproduzier-bar.

Zudem werden in den Elternabenden erziehungs-relevante Themen zum Erziehungsverhalten wieErziehungsstile und Medienkonsum der Sprösslin-ge oder Taschengeld, familiäre Freizeitgestaltungund Kommunikation besprochen. Die Mitarbeiterder FEG übernehmen die Rolle von Workshop-Lei-tern und Moderatoren. Die Themenauswahl findetgemeinsam mit den Eltern statt, sodass gewähr-leistet wird, dass Themen besprochen werden, diefür die Betroffenen relevant beziehungsweise pro-blematisch sind.

Darüber hinaus bietet der Elternabend auch dieMöglichkeit, über gemeinsame Aktivitäten wiemit den Kindern spielen oder basteln den Elternden Wert von familiärem Miteinander sowie diedafür relevanten Fähigkeiten zu vermitteln. DiePrämisse lautet dabei stets: So nah am Alltag wienötig, um in der Lebenswelt der Betroffenen zubleiben, so weit weg vom Alltag wie möglich, umAlternative und Hoffnung zu sein.

Zusätzlich zu den Elternabenden finden viele Ein-zelkontakte mit den Eltern statt, bei denen sichdie FEG von der Methode Gruppenarbeit entfernt,um Einzelhilfe leisten zu können. Damit soll ge-währleistet werden, dass individuelle und eventu-

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ell intime Problemlagen ebenfalls besprochen undbearbeitet werden können. An dieser Stelle erhal-ten die Mitarbeiter der FEG oft einen tiefen Ein-blick in die Nöte und Sorgen der betroffenen Fa-milien. Zuvor, am Beginn der Hilfe, drehen sichEinzelgespräche oder Telefonate mit den Elternjedoch oft noch um »Kleinigkeiten« des Alltagsund Verbindlichkeiten, die in Zusammenhang mitder FEG entstehen (»Warum sind Sie gestern nichtzum Elternabend erschienen?«, »Bitte denken Sieauch morgen wieder daran, Ihrem Kind einen Eurofür das Essen mitzugeben.«). Auf diese Weise wer-den die Eltern von Anfang an durch die FEG anihre Erziehungsverantwortung erinnert und dazuangehalten, diese wahrzunehmen. Die Mitarbeiterder FEG fördern die Kinder und fordern die Eltern:Sie fordern, dass die Eltern dafür sorgen, dass ihreKinder regelmäßig, pünktlich und zuverlässig anden vereinbarten Tagen in der FEG erscheinen; siefordern, dass die Eltern regelmäßig an den Eltern-abenden teilnehmen und dass im Hilfeplan ge-troffene Absprachen insgesamt eingehalten wer-den. Gibt es dabei Schwierigkeiten, beispielswei-se wenn die Eltern die vereinbarte Spiel- oderLernzeit mit ihren Kindern nicht einhalten, dannist es Aufgabe der Mitarbeiter, die Eltern bei derUmsetzung von Zielen durch Gespräche oder An-leitung zu unterstützen. An diesem Punkt wird oftrecht schnell deutlich, ob die im Hilfeplange-spräch gemachten Vereinbarungen tatsächlichdem Willen der Eltern entsprechen oder ob es sichum bloße Lippenbekenntnisse handelte, um dieFachkräfte zu beruhigen. So oder so sind diese Si-tuationen sehr aufschlussreich und bedeuten ofteine Phase der Hilfe, in der entscheidende Fort-schritte erzielt werden oder in der Absprachennoch einmal genau auf ihre Gültigkeit hin geprüftwerden können.

Nach den ersten Monaten der Hilfe beginnendann in der Regel themenzentrierte Einzelgesprä-che, bei denen die Mitarbeiter gemeinsam mit denEltern Lösungen für ihre Problemlagen entwickelnDer Erfolg dieser Gespräche hängt wesentlich da-von ab, welchen Nutzen die Eltern aus der Arbeitder FEG bis zu diesem Zeitpunkt gezogen haben.

Je mehr sie bei akuten Problemen entlastet wur-den, umso offener werden sie für die Bearbeitungvon nicht akuten und trotzdem wichtigen Themenund desto kompetenter schätzen sie die Mitarbei-ter hierfür ein. Im Klartext heißt dies: Wenn dasKind seit es die FEG besucht, mittags satt wird,sich seine schulischen Leistungen verbessern undVerhaltensauffälligkeiten zu verschwinden begin-nen, können die Eltern aufatmen und sich um ihreeigenen Probleme kümmern.

Das bedeutet, dass durch die FEG ein nieder-schwelliger Einstieg in Lebens- und Erziehungsbe-ratung für die Eltern stattfinden kann, sofern die-se dazu bereit sind. Davon unabhängig und flan-kierend finden über den gesamten Zeitraum derHilfe die bereits beschriebenen kurzen Gesprächestatt, mit denen die Erziehungsverantwortung derEltern gestärkt werden soll, und die Einhaltungder im Hilfeplan vereinbarten Ziele wird gemein-sam mit den Eltern verfolgt.

4.3. Arbeit am weiteren sozialen UmfeldDie Familie ist nicht das einzige soziale Umfeld,welches für das Schicksal von Kindern eine großeBedeutung hat. Die Schule und der Freundeskreiswirken sich ebenfalls prägend aus. Gerade in derSchule entstehen oft Probleme und Konflikte. Teilder Arbeit der FEG ist es daher, engen Kontakt zuden Schulen und den jeweiligen Lehrern der Kin-der zu halten. Dabei geht es nicht nur darum, sichbei den Lehrkräften zu informieren, wie der Lei-stungsstand des Kindes ist, wo es Lücken hat undgefördert werden muss, sondern auch, zu ver-deutlichen, dass die Schwierigkeiten der Kinderauch an anderer Stelle erkannt und bearbeitetwerden.

Oft erleben die Mitarbeiter der FEG bei den erstenKontaktaufnahmen mit der Schule »entnervte«Lehrer, wenn die Sprache auf die betroffenen Kin-der kommt. Diese Kinder nehmen häufig die Rol-le des ewig störenden Klassenclowns, des Pausen-hofschlägers oder des schulischen Totalverweige-rers ein. In den meisten Fällen ist die Lehrkraftfroh und motiviert, wenn sie die Probleme mit

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diesen Schülern mit einem Außenstehenden be-sprechen kann.

Die FEG trifft enge Absprachen hinsichtlich derKinder mit den Schulen und steht mit diesen infortwährendem Kontakt. Im Idealfall werden dieEltern in diesen Prozess einbezogen und überneh-men nach und nach die Rolle der FEG. Eine Situa-tion, in der sich Eltern selbstständig, konstruktivund verantwortungsvoll mit den schulischen Be-langen ihrer Kinder auseinandersetzen, kann si-cherlich als angestrebter Wunschzustand be-zeichnet werden. Dem stehen leider oft sprachli-che Barrieren seitens der Eltern sowie gegensei-tige Vorurteile zwischen Eltern und Schule imWege. Diese Hindernisse durch fortlaufendes Be-mühen aus dem Weg zu räumen, zählt ebenfallszum Aufgabenbereich der FEG.

In ihrer Freizeit sind viele Kinder in Vereinen oderJugendzentren verortet. In diesen Umfeldern erle-ben sie oft wichtige Erfolgserlebnisse, wodurchdiese zu bedeutenden Faktoren für ihr Wohlbefin-den werden. Im Rahmen der FEG werden Schwie-rigkeiten, die sich in solchen Freizeiteinrichtungenergeben, zeitnah besprochen, um den Kinderneine möglichst reibungslose Nutzung dieser An-gebote zu ermöglichen. Bekommen sie beispiels-weise im Jugendzentrum Hausverbot, so bedeutetdies für sie den Verlust von Freunden und Betäti-gungsfeldern und im weiteren Verlauf damit ge-gebenenfalls erhebliche Beeinträchtigungen. DieLösung dieser Probleme gehört zu den fallspezifi-schen Leistungen der FEG. Dabei wird stets ver-sucht, die Eltern mit ins Boot zu holen.

Sind die Eltern befähigt, auftretende Schwierig-keiten im Interesse ihres Kindes konstruktiv zu lö-sen, weil sie dies am Modell des Sozialpädagogenlernen konnten, so wurden für die weitere Ent-wicklung des »Falls« entscheidende Erfolge erzielt.

5. Grenzen und Perspektiven der FEG

Die FEG existiert bei der Flexiblen JugendhilfeMünchen seit dem Schuljahresbeginn 2005. In

dieser kurzen Zeit konnte bereits eine hohe Wirk-samkeit hinsichtlich der Zielerreichung festge-stellt werden. So wurden in den Jahren 2006 und2007 80 Prozent der Fälle regulär nach Hilfeplanbeendet, weil die anvisierten Ziele erreicht wer-den konnten. Bei allen Erfolgen kann auch festge-stellt werden, dass es für viele Familien ein müh-samer Prozess ist, über Empowerment so gestärktzu werden, dass sie ohne fremde Hilfe ihren All-tag bewältigen können. Dennoch kamen 50 Pro-zent der beendeten Fälle ohne intensive An-schlussmaßnahmen aus oder diese waren deutlichin ihrer Intensität reduziert. Nichtsdestotrotz sinddie Möglichkeiten, mittels Ressourcenaktivierungund Netzwerkarbeit starke, nicht-institutionelleHilfesysteme um die Familien zu weben, im Rah-men der FEG sicherlich noch nicht ausgeschöpft.Gleichzeitig (und dies trifft auf Soziale Arbeit wo-möglich grundsätzlich zu) stellt sich vielerorts dasProblem von großen, innergesellschaftlichen Un-terschieden. Die Adressaten Sozialer Arbeit, dievon der FEG betreuten Familien, sind in vielerleiHinsicht gegenüber der Mehrheit stark benachtei-ligt – daran können auch Theorien und Methodenvon Empowerment und Ressourcenaktivierungnichts ändern. Sicherlich muss es stets das ZielSozialer Arbeit sein, diese Benachteiligten zu stär-ken. Dazu sind die erwähnten Methoden zweifel-los bestens geeignet. Dennoch wird sich SozialeArbeit überfordern, wenn sie versucht, diese Lastalleine zu stemmen.

Ohne gesamtgesellschaftliches Bewusstsein be-züglich der relativen Chancenlosigkeit von be-stimmten Bevölkerungsgruppen und des darinenthaltenen Zündstoffs werden von Sozialer Ar-beit stets nur Einzelfälle und deren Systeme bear-beitet.

Aus diesem Grund (und dazu soll dieser Artikelletztendlich einen kleinen Beitrag liefern) ist es fürSoziale Arbeit wichtig, sich Gehör zu verschaffenund eine Lobby für die (fast) abgehängten Teile derGesellschaft zu sein. Denn auch in der sozialan-waltschaftlichen Rolle liegt letztendlich ein Auf-gabenfeld für die Profession der Sozialen Arbeit.

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Literatur

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Weinberger, Sabine: Klientenzentrierte Gesprächsführung.Lern- und Praxisanleitung für Personen in psychosozialenBerufen, Juventa Verlag GmbH, Weinheim 2006

Dominik KönigSozialraumbüro Laim/Schwanthalerhöhe

Heimeranstraße 64 und 5380339 München

[email protected]

1 vgl. Beck (1986), S. 115 ff.2 vgl. Schmidt-Grunert (2002), S. 26 3 ebd., S. 274 ebd., S. 32 ff.5 vgl. ebd., S. 36 ff.6 ebd., S. 387 Bayerisches Landesjugendamt (2007)8 Zu zentralen Aussagen über die Theorie sozialräumlichenArbeitens siehe Hinte (1992).9 vgl. Hinte / Treeß (2006)10 Eine Zusammenfassung der Theorie der Lebensweltorien-tierung findet sich bei Stimmer (2000), S. 41511 vgl. Herriger in ebd., S. 174 ff.12 vgl. Staub-Bernasconi in ebd., S. 737 ff.13 vgl. Stimmer (2000), S. 749 ff.14 vgl. Senninger (2000) 15 vgl. Long / Wood / Fecser (1991)16 vgl. Bürgi, Eberhardt (2004)17 vgl. Berg (1999)18 vgl. Weinberger (2006)19 ADHS = Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syn-drom20 vgl. Metzinger (2005) S. 42 ff

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DDiiee iimm FFoollggeennddeenn ddaarrggeesstteellllttee EErröörrtteerruunngg eeiinneesskklleeiinneenn AAuusssscchhnniittttss zzuumm ggrrooßßeenn TThheemmaa »»KKrriisseenn--mmaacchheerr«« eerrhhiieelltt iihhrreenn IImmppuullss eeiinneerrsseeiittss aauuss ppoollii--ttiisscchh uunndd ggeesseellllsscchhaaffttlliicchh ggeeffüühhrrtteenn DDiisskkuussssiioonneennuumm JJuuggeennddkkrriimmiinnaalliittäätt uunndd GGeewwaalltt dduurrcchh JJuu--ggeennddlliicchhee uunndd aannddeerreerrsseeiittss aauuss BBeeoobbaacchhttuunnggeennddeess nnaahheenn bbeerruufflliicchheenn UUmmffeellddss.. DDaass ddiirreekkttee EErrllee--bbeenn kkoonnfflliikkttbbeerreeiitteerr JJuuggeennddlliicchheerr,, ddiiee GGrreennzzeennsseettzzeennddee AAuusseeiinnaannddeerrsseettzzuunngg mmiitt iihhnneenn uunndd ddeerrVVeerrssuucchh,, eeiinneenn ggeemmeeiinnssaammeenn pprroodduukkttiivv--rriicchh--ttuunnggwweeiisseennddeenn WWeegg zzuu ffiinnddeenn,, ggeehhöörreenn zzuu ddeennaannsspprruucchhssvvoollllsstteenn,, aabbeerr aauucchh bbeellaasstteennddsstteenn TTää--ttiiggkkeeiitteenn iimm BBeerreeiicchh ddeerr eerrzziieehheerriisscchheenn HHiillffeenn..UUmm nniicchhtt GGeeffaahhrr zzuu llaauuffeenn,, ssiicchh eeiinneerr ppoolleemmiisscchhggeeffüühhrrtteenn DDiisskkuussssiioonn sstteelllleenn zzuu mmüüsssseenn,, aabbeerraauucchh uunndd uumm ddaass HHeefftt ddeess HHaannddeellnnss iinn ddeerr HHaannddzzuu bbeehhaalltteenn,, iisstt eeiinnee AAuusseeiinnaannddeerrsseettzzuunngg mmiitt ddeennmmöögglliicchheenn GGrrüünnddeenn uunndd ddeenn ssiicchh eerrggeebbeennddeennCChhaanncceenn uunnuummggäänngglliicchh..

Die Realität von Kindern und Jugendlichen, die inJugendhilfeeinrichtungen abgebildet wird, ist inaller Regel diejenige von jungen Menschen, die inihrem kurzen seitherigen Leben nicht immer guteErfahrungen gemacht haben. Schlechte Erfahrun-gen können unzureichende Lebensbedingungender Familie sein und/oder unzureichende Erzie-hung und Förderung des Kindes. Diese Erfahrun-gen von Kindern und Jugendlichen können zudem grundlegenden Gefühl führen, auf der Seiteder »Zu-kurz-Gekommenen« zu stehen und zu denVerlierern zu gehören. Sie bringen mit sich, dasssie in weiten Lebensbereichen keine wertvollenund schönen Erfahrungen machen können, undresultieren in dem sehr realistischen Eindruck,dem Schönen, dem Guten und Wertvollen garnicht begegnet zu sein.

Einige dieser Kinder haben gar eine katastropha-le Vergangenheit hinter sich und – aus ihrer Sicht

und momentanen Lage – keine gute Zukunft vorsich. Im schlimmsten Fall wird ihnen nicht nur dieMöglichkeit zu gesellschaftlicher Teilhabe vorent-halten, sondern sie müssen zusätzlich Erniedri-gung, Deprivation und Gewalt ertragen. Sie gehö-ren »zu den Geschlagenen«, wie Konstantin Wek-ker es einst in einem Lied ausgedrückt hat, und»wer dauernd (ge-)treten wird, der tritt halt aucheinmal zurück« (Konstantin Wecker: Willi).

Sie glauben nicht an das Gute in der Welt, weil siees kaum erfahren haben, und sie entwickelnschließlich Strategien, die ihnen helfen, in ihrerSituation zu überleben, die aber im weiteren ge-sellschaftlichen Kontext nicht hilfreich sind.

Traumatisierte Kinder, die teilweise schwer unterden Folgen erdrückender Erlebnisse zu leiden ha-ben, sind und waren ganz besonders belastetenSituationen ausgesetzt. Ihre Verhaltensweisensind nicht selten bizarr, unvorhersehbar und kaumzu ertragen. Sie stellen ihre Umgebung und auchdie Pädagoginnen und Pädagogen in den Einrich-tungen vor größte Herausforderungen.

1. Wie entwickelt sich ein Mensch?

Der Säugling kommt mit einem angeborenen Be-dürfnis nach dem Kontakt zu betreuenden Men-schen zur Welt, die ihm dreierlei gewähren: Nah-rung, Pflege und liebevolle, verlässliche Zuwen-dung. Die Basis dafür bildet das natürliche, biolo-gisch begründete Bedürfnis nach sicherer Zuge-hörigkeit. Das Kind bindet sich an seine Eltern unddie Eltern binden sich an das Kind. Dies geschiehtumso rascher und selbstverständlicher, je unge-störter die Eltern von Geburt an täglich mit demSäugling in Kontakt sind und seine Bedürfnissebefriedigen.

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Wenn die Krise zum Alltag wird – Jugendhilfe und traumatisierte Jugendliche

Ewald ZZaauunneerr, Öhringen

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Der Bindungsprozess ist ein erstaunlich entwick-lungsfähiger Vorgang. Gelingt er, ist die Basis fürdie künftige, seelisch-geistige Entfaltung ge-schaffen. Gelingt er nicht, ist dies von schicksal-hafter Bedeutung für das ganze spätere Leben.

Die folgende Entdeckung des NEIN-Sagens ist einwichtiger Schritt zur Entwicklung des eigenenWillens: Die ersten nicht nur nehmenden, sondernauch gebenden Sozialbeziehungen, die Fähigkeitder Selbstbeherrschung und zur Steuerung des ei-genen Handelns, all dies ist ein »mitreißender Pro-zess der Steigerung und Entfaltung der kindlichenPersönlichkeit« (Hassenstein, 1987).

Das Spielen, der Wiederholungsdrang, die Fähig-keit, durch Nachahmen fremde Fertigkeitengleichsam in eigenes Können zu verwandeln: DasNervensystem des Kindes ist nach jeder Eigenak-tivität im Erwartungszustand für das Wahrneh-men und Aufsaugen von Antworten und Reaktio-nen auf das eigene Handeln. Das Kind macht fun-damentale Erfahrungen über eine Grundlagemenschlichen Zusammenspiels: Was kann ichdurch eigene Aktivität bewirken?

Schon diese wenigen, hier sehr verkürzt dargestell-ten Abläufe verdeutlichen, welche wunderbar an-gelegten Mechanismen in dieser Lebensphase da-für sorgen, dass das Kind grundlegende Erfahrun-gen macht sowie Wissen und Können speichert.Kinder erbringen diese Leistungen mit Leichtigkeitund Vergnügen – und das trotz der Komplexität derphysiologischen Voraussetzungen.

Im weiteren Prozess der Entwicklung der Selbst-ständigkeit erweitert sich das Umsorgtwerden hinzur eigenen Aktivität. Versagen und Scheiternwerden mit produktiver elterlicher Unterstützungzu neuem Mut; das für spätere Abschnitte sowichtige Durchhaltvermögen entwickelt sich.

2. Bindungsstörungen und ihre Folgen

Doch all diese Entwicklungstendenzen sind ex-trem empfindlich gegen beunruhigende Erschüt-

terungen: Sie sind durch angstauslösende Ereig-nisse leicht zu unterdrücken. Biologisch gesehenist das durchaus sinnvoll: Die Angst steuert dasVerhalten in einer bestehenden Gefahr, die Ver-haltenweisen des aktiven Erfahrungserwerbs er-weisen ihren Vorteil dagegen erst in der Zukunft.Es ist deswegen ökonomisch und sinnvoll, wennsie im Hier und Jetzt nicht in Konkurrenz mit dergegenwärtigen biologischen Notwendigkeit zurGefahrenvermeidung und Selbsterhaltung treten.Diese Unterdrückbarkeit der Exploration, derNeugierde, des Lernenwollens kann sich unglück-licherweise zu einer besonderen Gefahrenquelleentwickeln, und zwar dann, wenn in der Folgewegen vermehrter Unsicherheit frühkindliche Be-treuungs- und Bindungsmängel entstehen. Diespätere geistige Entwicklung, der Gewinn anLern- und Konzentrationsfähigkeit, Selbstständig-keit und sozialer Selbstsicherheit werden schwerbeeinträchtigt.

Ist es nicht möglich, eine feste Vertrauensbindungaufzubauen, so können sich zumindest allmählichUnsicherheit und Misstrauen einschleichen. »Dasgesamte Lebensgefühl erhält die Tönung ängstlichbeunruhigter Erregtheit. Die resultierende blei-bende Unsicherheit prägt die Struktur der Persön-lichkeit. Dies unterbindet eine funktionierendeGefühlsentwicklung. Viele dieser Kinder sind spä-ter unempfänglich gegenüber zwischenmenschli-chen Regungen wie Mitgefühl, Liebe, Achtung,und Ehrfurcht. Sie verstehen keine Appelle anMenschlichkeit und Rücksicht. Man spricht vonGefühlsarmut.« (Hassenstein: Verhaltensbiologiedes Kindes, 1973).

Die hier beschriebenen Bindungsstörungen gehö-ren gemäß ICD 10 in eine heterogene Gruppe ge-störter sozialer Funktionen, die offensichtlichnicht konstitutionell bedingt sind. Ursache sindschwerwiegende Milieuschäden oder Deprivatio-nen.

Schwere Bindungsstörungen ziehen vor allemStörungen sozialer Funktionen nach sich:• abnorme Beziehungsmuster zu Betreuungsper-

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sonen mit einer Mischung aus Annäherung undVermeidung,

• inadäquate Reaktionen auf Beziehungsange-bote,

• nicht-selektives Bindungsverhalten,• eingeschränkte Interaktionsmuster mit Gleich-

altrigen,• Beeinträchtigung des sozialen Spielens,• gegen sich selbst und andere gerichtete Ag-

gressionen.

Begleitstörungen können sein:• Intelligenzminderungen,• Entwicklungsverzögerungen,• Störung des Sozialverhaltens,• hyperkinetische Störungen,• altersspezifische emotionale Störungen.

Bindungsgestörte Kinder sind permanent ge-fordert und deshalb im Stress. Neben derÜberforderung, mit der emotionalen Situationzurechtzukommen, drohen sie in ihrer Ent-wicklung gegenüber Gleichaltrigen zurückzu-fallen. Kinder entwickeln sich nervös und un-ruhig, Sprachfehler können auftreten, sie wir-ken hektisch und überaktiv, können sich nichtgut konzentrieren und entwickeln wenigDurchhaltevermögen. Ein Kreislauf tut sichauf: Diese Kinder überfordern ihre Umweltund werden von ihr überfordert.

Nach dem ersten Lebensjahr können sich Ag-gressionen gegenüber Dingen und Personen ent-wickeln. Sie sind durchgängig Ausdruck vonAngst. Ängstlich geprägtes Empfinden wird sichnoch wie ein roter Faden durch den Werdegangsolcher Kinder ziehen.

Die Ursache dafür liegt oft in erlebter Gewalt, seies gegenüber seiner eigenen Person oder zwi-schen beziehungsweise gegenüber seinen Be-zugspersonen. Gewalttätig aggressives Verhaltendurch die Bindungspersonen hat besonders fürdas spätere Sozialverhalten einen starken Modell-charakter.

3. Trauma und Persönlichkeitsentwicklung

Traumata sind Erlebnisse, von denen Menschenmit einer Heftigkeit, Plötzlichkeit von Ereignissenüberrascht werden, die ihnen in einer unge-schützten Situation zugefügt werden und die siein einen Schock (Angst, Schreck) versetzen undeinen alles überlagernden Stresszustand auslösen.

Diese traumatische Situation kann plötzlich auf-treten, sie kann sich aber auch allmählich ent-wickeln oder kontinuierlich ansteigen. Der ihrausgelieferte Mensch ist einer bedrohlichen Si-tuation ausgeliefert, auf die er sich nicht (mehr)einstellen kann und der er auch nicht entkom-men kann. Die Bedrohung ist so umfassend, dassihr ausgesetzte Personen in einen ausgeprägtenVerwirrungszustand geraten. Dazu gehören Un-fälle, Natur- und Verkehrskatastrophen, Kriege,Vertreibung, Flucht, körperliche oder sexuelleGewalt, Misshandlungen und andere Schocker-lebnisse.

Zwei Qualitäten von Traumata können unter-schieden werden:• Big-T-Traumata (nach Francis Shapiro) sind Er-

lebnisse existenzieller äußerer oder innerer Be-drohung durch Gewalteinwirkung auf den Kör-per wie physische und sexuelle Misshandlungenund andere Angriffe auf die Existenz. Das kön-nen Foltererlebnisse, Katastrophen, Unfälle,schwere Erkrankungen, plötzliche Verluste ver-trauter Menschen sein.

• Small-t-Traumata, also Bedrohungen im wei-teren Sinne, sind scheinbar weniger desaströseEreignisse. Sie stehen in Verbindung mitSchreck und oft einem hohen Maß an bestür-zender Beschämung und tiefer Verunsicherung.Was sie auszeichnet, ist vor allem die gleicheUnausweichlichkeit, wie sie die vom großenTrauma Betroffenen erfahren.

»Innerlich katastrophische von Menschen verur-sachte t-Traumata sind vor allem physischeMisshandlungen (und insbesondere sexuelle Ge-walterfahrungen), seelische Grausamkeit und

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schwere Vernachlässigungen durch nahe, vertrau-te Menschen, noch dazu, wenn die Traumatisie-rungen sehr früh in der Kindheit beginnen, überlängere Zeiträume wiederholt auftreten, nie an-und ausgesprochen werden können und niemalsSchutz und Trost erfahren wurde.« (L.U. Besser,2008)

Für das Opfer entsteht eine Situation völligenAusgeliefertseins, das Wissen: Jetzt ist alles aus.Es kommt zu einem regelrechten Kollaps aus ei-nem Erfahrungsgefühl der Todesangst, der Hilflo-sigkeit und des Ausgeliefertseins. Das Fatale: Diebei allen Lebewesen angelegten Reaktionsmög-lichkeiten – Flucht oder Kampf – sind blockiertund fallen aus.

Dieser im Englischen als Freeze-Situation (nofight, no flight) bezeichnete Zustand führt dazu,dass keine der bislang hilfreichen Handlungskon-zepte abgerufen werden kann. Auch die Schutz-funktionen der Angst und Aggression, als psycho-motorische Anpassungsmöglichkeiten stehennicht als gezielte einsetzbare Reaktion und vor-sätzlich gesteuerte Handlung zur Verfügung.

Die Situation kann sich noch dramatischer ent-wickeln: Über das Ereignis des Erstarrens hinauskommt es zu einer Aufsplitterung des Erlebten:Die übermächtig bedrohliche Erfahrung kann alsGanzes nicht ertragen werden und wird deshalbim Gedächtnis unter verschiedenen körperlichen,kognitiven und emotionalen Erlebensperspektivenzerstückelt.

Ein sehr sinnvoller Schutzmechanismus der Natursorgt, unter anderem durch das Anspringen deskörpereigenen Opiatsystems, für eine betäubendeVerringerung von Schmerz und Angst, die bis zuderen Auslöschung führen kann. Durch den unge-heuren Stresspegel ist der Anstieg der Stresshor-mone bei gleichzeitiger Unmöglichkeit der Flucht-oder Kampfbereitschaft so hoch, dass es zu einerLähmung des Denkens, Fühlens und Handelnskommen kann und zum Zerreißen der Wahrneh-mung des Erlebnisses.

Es kommt zu autoprotektiven Wahrnehmungs-veränderungen, die den betroffenen Menschenweniger leiden lassen, bis hin zur Umkehr desschrecklichen Erlebens, zu einem Gefühl vonLeichtigkeit, Schmerz- und Furchtlosigkeit.

»In einer akuten Situation sprechen wir von peri-traumatischer Dissoziation (psychotische Abspal-tung zusammengehöriger Dinge). Das kann vomEntfremdungserleben der Umgebung (Derealistai-on), der eigenen Person (Depersonalisation), dererlösenden Ohnmacht bis zur Fragmentierung destraumatischen Geschehens gehen, in die alle Sin-neseindrücke eingebunden sind.« (L.U. Besser,a.a.O.)

Die in der Folge auftretende PosttraumatischeBelastungsstörung lässt Betroffene unter ver-schiedensten, zum Teil schwerwiegenden Reaktio-nen leiden. Typisch sind:• das wiederholte Erleben des Traumas in sich

aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinne-rungen, »Flashbacks«), Träumen oder Alpträu-men,

• das Gefühl des Betäubtseins und emotionalerStumpfheit,

• Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen• Teilnahmslosigkeit und Freudlosigkeit,• Vermeidung von Aktivitäten, die an das Trauma

erinnern könnten.

Oft tritt auch ein Zustand von andauernder Über-erregtheit und Reaktionsbereitschaft ein, der wei-tere Folgen mit sich bringt:

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FreezeFreeze

Angst/VerzweiflungAngst/Verzweiflung

no no flightflight no fightno fight

HilflosigkeitHilflosigkeit OhnmachtOhnmachtErstarrungErstarrung

TRAUMA

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• Schreckhaftigkeit und Schlafstörungen,• Angst und Depressionen bis hin zu Suizidge-

danken,• Konzentrationsschwierigkeiten,• Aggressivität, Reizbarkeit und Wutausbrüche.

Insbesondere die Symptome des Wiedererlebenssind spezifische Aspekte einer tief greifenden see-lischen Verletzung. Immer wieder sich aufdrän-gende, beängstigend-belastende Vorstellungen,die meist gar nicht in der bewusst erlebten Erin-nerung erscheinen, führen zu manchmal chaoti-schen, emotional intensivst erlebten Situationen.Neben den Alpträumen können das Bilder, Erinne-rungen (Bruchstücke), Gedanken(-fetzen) sein;Nachhallerlebnisse rufen heftigste Erregungenund Verhaltensweisen wach.

Die Symptome des Wiedererlebens können durchso genannte Trigger ausgelöst werden. Es handeltsich dabei um Phänomene, die in irgendeinerWeise an das Ereignis als Ganzes oder in Teilen er-innern, diesem ähnlich sind oder dieses symboli-sieren. Eine Konfrontation mit einem solchen Trig-ger kann sowohl auf psychischer wie auf körper-licher Ebene heftige Reaktionen mit großem Lei-densdruck auslösen. Pur und ungefiltert könnenStressreaktionen übergangslos wieder auftreten,wie das Beispiel »Moritz« zeigt:

Moritz weist sich 15-jährig selbst in die Psychia-trie ein, weil er »mit dem Leben nicht mehr zu-rechtkommt«. Die Mutter lehnt ihn offen ab, derVater hält nur vordergründig zu ihm. Die Zeit inder Klinik hat Moritz sehr positiv in Erinnerung, erhat eine Ordnung, geregelte Mahlzeiten undMenschen, die sich um ihn kümmern. Nach derEntlassung hält er sich für jeweils wenige Tage insozialpädagogischen Einrichtungen auf; auf sei-nen Wunsch hin, »weiter von zu Hause weg zukommen«, gelangt er zu uns. Moritz ist ein eherschüchterner, freundlicher und aufgeweckter Jun-ge. Mit der Wahrheit nimmt er es nicht immer sogenau, aber »die Phantasie ging schon früher mitihm durch«, so der Vater. Moritz besucht dieSchule, hält regen Kontakt zu Mädchen, ist zuvor-

kommend, hilfsbereit und angepasst. Auf demWeg vom Sportplatz zurück zur Schule entführt ermit einem jüngeren Mitschüler ein herumstehen-des Fahrrad und wirft es in den Bach. Als der Leh-rer darauf aufmerksam wird, mahnt er die Jungen,das Rad wieder zu holen und zurückzubringen.Am Bach angekommen fällt Moritz über seinenKameraden her und schlägt ihn so lange und hef-tig, bis der bewusstlos am Boden liegt.

4. Traumatisierte Kinder und Jugendliche insozialpädagogischen Einrichtungen

Offensichtlich verbleiben Traumafragmente alssolche verbindungslos gespeichert und summie-ren sich mit von außen kommenden Eindrückenzu Stressoren, die höchsten Alarm auslösen kön-nen und den Betroffenen mental sofort auf Fluchtund Kampf umschalten lassen. Die Dramatik ist,dass die Person selbst nicht in der Lage ist, irritie-rende und verwirrende Sinneseindrücke einzuord-nen und das eigene Verhalten entsprechend ver-nünftig und angepasst zu steuern. So tauchen fürdie Umwelt beängstigend und unverständlich diefatalsten Lebensäußerungen unerwartet und ver-meintlich ohne Zusammenhang mit gegebenenUmständen auf: Aggressionen, Weinerlichkeit,Hilflosigkeit, Suizidgedanken, Ängstlichkeit. Fatalist weiterhin, dass solche Phänomene nicht immeralleine auftauchen, sondern durchaus gebündeltpräsent werden. Der oben erwähnte Moritz kannnicht nur scheinbar aus dem Nichts explodieren,er klagt auch über Schlaflosigkeit, trinkt eine Fla-sche Reinigungsmittel, verweigert die Hilfe, »weilihr mir sowieso nicht helfen könnt«.

Auch weniger ausagierende junge Menschenstellen ihre Umgebung vor erhebliche Rätsel, dafür die auftretenden Phänomene auf den erstenBlick keine passenden Erklärungen zu finden sind.Immer haben die Helfer mit einem beinahe un-überwindbaren Widerstand zu kämpfen, der aufbeiden Seiten Kränkungen zur Folge hat. Gutge-meinte Aktionen laufen ins Leere, viel Energiebleibt auf der Strecke, ohne dass zählbare Ergeb-nisse zu konstatieren sind.

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Jugendliche entwickeln also nicht nur in pubertä-ren Zusammenhängen sonderbare Verhaltenswei-sen. Ein Teil des in der öffentlichen Diskussion fürAufmerksamkeit sorgenden Themas »Gewalt vonbeziehungsweise unter Jugendlichen« spielt sichauch in sozialpädagogischen Einrichtungen ab.Ausagierende Jugendliche stammen oft aus Fami-lien, die mit erheblichen Belastungen aller Art zukämpfen haben und in denen eben nicht im erfor-derlichen Maße die Fähigkeiten vorhanden sind,adäquat zu handeln und den Kindern die notwen-dige und hinreichende Unterstützung zu geben.Mehr noch, schlechtestenfalls entsteht eine Kas-kade sich negativ gegenseitig beeinflussender Ge-gebenheiten, wie oben aufgezeigt, mit der Folgeeiner Schädigung (früh-)kindlicher Entwicklung,die die dargestellten Folgen haben kann.

Das Beispiel »Max«Max kam mit seiner Sozialarbeiterin zur Tür her-ein. Er war groß für seine 16 Jahre, und erst sei-ne Turnschuhe: riesig. Max trug den Kopf tief, dieSchultern eingezogen, Hände in den Taschen, demBlick ausweichend. Die vorhergehende Einrich-tung hatte ihn nur drei Wochen ertragen, dannkam das Aus. An einem Auto war die Bremslei-tung durchgeschnitten, unter der Tür des Bereit-schaftsdienstzimmers war plötzlich eine Stich-flamme durchgeschossen, eines Abends fiel diekomplette Telefonanlage aus. Der Stresspegel wardurchweg hoch, dabei konnte ihm niemand etwasnachweisen. Es fiel nur auf, dass, seit er da war,die Stimmung kippte. Unter manchen Jugendli-chen machte sich Angst breit, andere, die in sei-nem Dunstkreis sein durften, sonnten sich in ei-nem neuen Selbstbewusstsein.

Auf meine Frage, was er hier wolle, meinte er nur:»Schlagen, Euch alle.« Und, wo soll das hinführen:»Weiß nicht, ist auch egal.« Und wie können wires hinbekommen dass es keinen Stress gibt?»Weiß nicht. Mich in Ruhe lassen.«

Das haben wir erst einmal auch getan. Max warleidlich freundlich, doch immer »an der Grenze«:Er ging nicht aus dem Weg, wenn jemand kam,

hatte immer das letzte Wort, breitete sich in je-der Hinsicht aus. Die Bedürfnisse anderer gingenihn nichts an und das ließ er sie auch spüren. Daer den engen Rahmen der vorherigen Einrichtungnicht einhalten konnte, ließen wir ihn erst einmalgewähren, in der vagen Hoffnung, dass er schonvon sich aus kommen würde. Er kam nicht. Er ver-schanzte sich in seinem Zimmer, war überwiegendnachts unterwegs. Sachschäden und die Klagender anderen Jugendlichen nahmen zu. Schließlichstellte er sich gegen die Erzieher/-innen, die Gren-ze war – wieder einmal – erreicht. In der Folge zo-gen wir ihn aus seinem verdreckten Zimmer. Erflüchtete in die nahe Wohnsiedlung.

In der »Wohngruppe für Jugendliche mit erhöh-tem Förderbedarf« sah er sich einige Tage um undbegann dann wieder sein Programm. Scheibengingen zu Bruch, eine Tür fehlte, er verweigertesich gemeinsamen Unternehmungen. Als einigeJugendliche mit Äpfeln eine nahe Scheune be-schädigten, stand er lächelnd im Hintergrund.Schulunterricht verunmöglichte er allein durchseine Anwesenheit, Jugendliche bekamen es mitder Angst, Sozialpädagogen auch. Er erhielt zweiAuszeiten, jeweils einige Tage mit einem Betreu-er. Ziel war, mit ihm eine Perspektive und Mög-lichkeit erarbeiten zu können, zu bleiben und den– seinen – Weg eine gewisse Zeit gemeinsam zu-rückzulegen. Eine Vereinbarung wurde getroffen,ein Vertrag unterschrieben: Er kann bleiben, wenner sich an die geltenden Vorgaben hält. Aus-schlusskriterien wurden erörtert, die Zusammen-arbeit mit Polizei und Justiz klargestellt. Nach ei-nigen Tagen kam sein Ja: »Ich will bleiben, dennich weiß nicht wohin, und ich werde verrückt,wenn ich alle paar Wochen woanders hin soll.Aber ihr müsst mir dabei helfen!«

Max kann sich nicht erinnern, irgendwann einangstfreies Leben gehabt zu haben. Immer warlaut Max »trouble« in der Familie. Vor allem derVater »hat richtig Gas gegeben«. Er war lustig, hu-morvoll, witzig, jähzornig, rücksichtslos, bösartig.Das Schlimme: Max konnte nie voraussehen,wann die Stimmung kippte. Schläge kamen aus

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heiterem Himmel. Übergangslos und nicht ein-schätzbar wurde es dem Vater zu viel. Er kam inaufgeräumter Stimmung nach der Arbeit nachHause und spielte mit seinen Kindern. Oder erkam nach Hause und schlug erbarmungslos zu.Seine Kinder. Seine Frau. Er führte mit dem Autodie waghalsigsten Manöver durch. Er sang, er ju-bilierte, er schwieg. Nichts war voraussehbar. AlsMax wegen einer Kleinigkeit den Mund aufmach-te, fuhr der Rest der Familie zwei Wochen langohne ihn in den Urlaub. Er wurde bestraft undwusste nicht warum.

Um seine Ängste in den Griff zu bekommen, wur-de Max zum Zerstörer. Wenigstens die Bestrafungwar berechenbar. Er provozierte im Kindergarten,in der Schule, die Nachbarn. Er wurde eingeschult,er wurde ausgeschult. Der Vater hob ihn in denHimmel, er prügelte ihn durch den Garten. DieMutter sah zu, sie weinte und schwieg. Eines Ta-ges schlug Max zurück. Als er erkannte, dass erdie Schlacht gewinnen könnte, überkam ihn einGefühl grenzenloser Freiheit, das ihn ängstigteund das ihn leichtsinnig machte: Jetzt war er es,der dem Vater Angst bereiten konnte. Dieser ver-ließ eines Morgens mit seiner Frau das Haus, undeine Stunde später stand die Polizei in der Tür undholte ihn ab. Von da an entwickelte sich in Maxdie Vorstellung, seinen Vater umzubringen.

Grenzen sprengende Jugendliche entstammenauch aus dem Umfeld posttraumatischer Bela-stungsstörungen. Sie fordern die Umgebung imhohen Maße heraus. In Einrichtungen sind sienicht nur Opfer, sie sind fast immer auch Täter. Inerstaunlichem Maße sind sie resistent gegenübererzieherischen Einflussversuchen. Die bewährten»Erziehungsversuche« wie Maßnahmen und Un-ternehmungen zur Beeinflussung von Verhaltens-weisen junger Menschen erreichen diese oft nicht.Und so bringen diese Jugendliche Erzieher/-innenund Sozialpädagogen/-innen an den Rand ihrerMöglichkeiten: Die Auseinandersetzungen mit ih-nen sind anstrengend, Kraft raubend und auchAngst machend.

Aber nicht nur die Pädagogen sind frustriert. AuchKinder und mehr noch Jugendliche machen sichnach eigener Einschätzung erneutem Versagenschuldig, wo doch so viel investiert wird undnichts aus ihnen wird.

Die manchmal beeindruckend auftretende Resis-tenz einiger junger Menschen erklärt sich aus frühaufgetretenen Schädigungen, die zudem im un-günstigen Fall lange angehalten haben.

Doch unter anderem durch die Erkenntnisse derTraumaforschung um problematisches Verhaltenlassen sich ein anderes Verhältnis und eine ande-re Verständigung gegenüber den jungen Men-schen entwickeln. Das Wissen, dass hier jemandnicht »kann«, lässt eine andere Zugehensweise zu,als der (implizite) Vorwurf des Nicht-Wollens.

Auch für die, die nicht können, gelten Regeln undAnforderungen. Manchmal sind sie im hohenMaße notwendig, wenn Kinder und Jugendlichesich nicht ausreichend selbst steuern können.Klarheit und Verlässlichkeit sorgen dort für Über-sicht, wo bisher eher Chaos herrschte. Transpa-renz und Berechenbarkeit setzten der verunsi-chernden Welt einen Pol der Sicherheit gegen-über. Ein klar gegliederter Alltag mit übersichtli-chen Konstellationen setzt einen Gegenentwurfzur erlebten Ohnmacht und Willkür. Insofernkommt schon dem gelingenden Alltag therapeu-tische Bedeutung zu.

Aber aus dem Schatzkästchen pädagogischer In-terventionen lässt sich noch einiges mehr hervor-zaubern:• Das gemeinsame Erarbeiten alternativer Hand-

lungsmuster nimmt die jungen Menschen ernstund lässt erste Strukturen legen zur aktiven Be-wältigung von Aufgaben als ein positives Erle-ben von Selbstwirksamkeit.

• Behindernde Selbstbilder lassen sich mit Ele-menten der Erlebnispädagogik wenigstens teil-weise korrigieren.

• Der Zusammenhang zwischen erdrückenden Er-fahrungen und den augenblicklichen Problemen

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wie beispielsweise Fremdunterbringung, Schei-tern in der Schule oder Schwierigkeiten in zwi-schenmenschlichen Beziehungen, denen sichjunge Menschen gegenübersehen, muss herge-stellt und zugänglich gemacht werden. Erst diesermöglicht es, gemeinsam Lösungen zu finden.

• Das Erlebte muss enttabuisiert werden, vor al-lem wenn es aus dem Umfeld der Familiekommt.

Auch dann ist der Weg steinig. Diese Kinder undJugendlichen sind misstrauisch und ängstlich al-lem Neuen gegenüber, weil sie es nicht einschät-zen können. Alles, was sie kennen, und sei es nochso belastend, ist vermeintlich besser als die Unsi-cherheit des Neuen, die nicht bewertet werdenkann. So kommt es, dass Kinder und JugendlicheAuseinandersetzungen provozieren, obwohl »manes gut mit ihnen meint«. Dieses (Er-)Leben ist ih-nen vertraut, auf diesem Terrain sind sie zu Hau-se. Für Pädagogen ist gerade das die große Her-ausforderung.

Aber: Wenn wir uns nicht engagiert und fachlichdieser Herausforderung stellen, verlieren wir die-se Jugendlichen aus den Hilfesystemen, ohne dasswir ihnen helfen konnten. Spätestens wenn ausdem Kind ein Jugendlicher wird und er uns auf-grund seiner gewachsenen Physis bedrohlichwird und sich zumindest in der Lage wähnt, sei-ne Situation selbst zu entscheiden, wird er dasauch tun. Schon das vordergründig zur Schau ge-stellte Selbstbewusstsein (»ich darf nicht verlie-ren«) zwingt einen jungen Menschen, Zeichen zusetzen.

Das Dargestellte kann als Möglichkeit gewertetwerden, einem schwierigen Personenkreis brauch-bare Hilfen zur Verfügung zu stellen. Eine Gewährfürs Gelingen ist es nicht. Zu komplex sind die Le-bensläufe junger Menschen, ihre familiären Hin-tergründe mit Erfahrungen, die oft über Genera-tionen zurückreichen, und die individuelle Ent-wicklungsdynamik. Die Abgrenzung zu anderenStörungsbildern muss gezogen werden, damit hierkein Durcheinander entsteht. Aber es ist viel mehr

als ein Versuch, es ist eine Chance, für Kinder undJugendliche und für professionelle Helfer.

5. Wege aus dem Dilemma – Ein Ausblick

1. Verschaffen Sie sich einen Überblick: Sorgfäl-tige anamnestische Erhebungen und die Mühe ei-ner gewissenhaft erstellten Diagnose sind die Ba-sis für eine erfolgreiche Arbeit mit traumatisier-ten Jugendlichen. (Leider wird dieser Aspekt im-mer noch nicht ausreichend gründlich ausgeführt.Anders als psychiatrische Fachärzte verfügen So-zialpädagogen nicht über ein Regelwerk wie dasICD 10 und auch nicht immer über das Selbstver-ständnis der Durchführung einer adäquaten Ex-ploration). Ohne die Hintergründe zu kennen undzu verstehen, ist es kaum möglich, für solcherartbelastete jungen Menschen geeignete Hilfen zuinstallieren und die umfassende Aufarbeitung desProblems anzugehen. Der Alltag sieht leider oft soaus, dass ASD-Mitarbeiterinnen und Gruppenpäd-agogen mit der anstrengenden Tagesarbeit(Strukturieren, Begrenzen, Planen, Dokumentie-ren, Auseinandersetzen ...) so gefordert sind, dassüber den Tellerrand hinausreichende, aber not-wendige Detektivarbeit, Elternarbeit oder Koope-rationen allzu oft nur unzureichend erfolgen kön-nen.

2. Unterstützung der pädagogischen Bemühun-gen durch eine spezielle (Trauma-)Therapie fürKinder und Jugendliche, in der sie lernen, Erlebteszu berichten und die Sprachhemmung sowie diezersplitterte Gedächtnisleistung zu überwinden.Sie erleben die Unterstützung wissender, wohl-meinender und »neugieriger« Therapeuten/-innenund Erzieher/-innen. In dieser Therapie können sieTechniken erlernen, die es ihnen ermöglichen,beunruhigende Sachverhalte zu verschließen, siewegzustecken, mit ihnen umzugehen: aus derpassiven Rolle des Opfers gelangen sie in die ak-tive dessen, der lernt, sein Schicksal in die Handzu nehmen.

3. Schaffen eines sicheren Ortes als pädagogi-sche Antwort auf die Erlebnissituation des Kin-

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des oder Jugendlichen: Ein geordneter Platz, ent-sprechend eingerichtet und ausgestattet als Um-gebung und Beheimatung für den jungen Men-schen mit stabilen, erwachsenen Erwachsenen,die Halt geben, verstehen (wollen) und in der Lagesind, einen äußeren Rahmen als beständiges Ge-rüst zu schaffen, der als inneres Gerüst den Kin-dern und Jugendlichen nicht zur Verfügung steht.Erwachsene, die die oft extremen und eskalieren-den Jugendlichen aushalten, sich mit ihnen aus-einandersetzen, die standhalten und auch in Kri-sen und nach Konflikten zu den Kindern und Ju-gendlichen stehen, auf die sie sich, als Muster undGegenstück zu gemachten Erfahrungen, verlassenkönnen. Erwachsene, die Kinder und Jugendlichenicht abschieben (»... der passt nicht in unser Kon-zept«), sondern die geeignet sind, über die durch-lebten Konflikte hinaus wieder Beziehung entste-hen zu lassen. Durch Stabilität, Verlässlichkeit undUnbedingtheit wird am ehesten vermieden, dassdie Kinder und Jugendlichen vom Helfersystemnoch einmal »sekundär traumatisiert« werden, in-dem sie wiederum die Ohnmacht und die Hilflo-sigkeit erfahren und das scheinbare Ausgeliefert-sein an das Schicksal (»ihr könnt mir doch nichthelfen«, siehe oben). Zu diesem Rahmen gehörtauch die konzeptionelle Freiheit, den Rahmenentsprechend der Notwendigkeit flexibilisieren zukönnen.

4. Arbeit mit traumatisierten Jugendlichen istimmer auch Arbeit mit dem familiären Umfeld.Diese sozialpädagogische Binsenweisheit muss je-der, der sich diesem Personenkreis stellen will,ganz bewusst in die strukturell-inhaltliche Ausge-staltung der Arbeit integrieren. Oft kommenStressoren aus dem familiären Milieu und doch istes beinahe immer der größte Wunsch jungerMenschen, wieder in die Familie zurückzukehren.Die Aufarbeitung des Traumas, den Schutz desKindes oder Jugendlichen zu gewährleisten, dieWiederholung belastender Ereignisse so weit esgeht auszuschließen und letztlich eine Aussöh-nung sowie die Möglichkeit des Verzeihens undsomit der Weiterentwicklung sicherzustellen, ge-hören in diesen Aufgabenkatalog

5. Sicherstellung entsprechender Rahmenbedin-gungen: So lapidar das klingen mag, die Strukturmuss stehen, von der sachlich-finanziellen Aus-stattung bis zur Unterstützung durch Leitung, be-gleitende Dienste und Fachkräfte von außen undgeeigneten Kooperationsstrukturen. In diesenPunkt gehört naturgemäß der Abgleich mit denöffentlichen Trägern. Eine falsch verstandene Ein-sparpolitik konterkariert jedwede professionelleAnstrengung und stellt die Beteiligten vor weite-re, nicht hilfreiche Schwierigkeiten.

6. Und: Die mit der Erziehung und Förderungdieser jungen Menschen verbundenen Aufgabensind allein, das heißt, nur von einer Profession,nicht zu leisten. Zu unerklärlich, bizarr, hartnäk-kig und bedrohlich sind im Einzelfall die Begleit-erscheinungen, als dass sie im sozialpädagogi-schen Setting einer Wohngruppe allein aufgefan-gen werden können. Hier ist strukturierte, überden Einzelfall hinausreichende Kooperation mitden Diensten der Kinder- und Jugendpsychiatrieund mit Therapeuten anzustreben, aber auch mitPolizei und Justiz, damit für das einzelne Kind undden einzelnen Jugendlichen umfassend Hilfestel-lung erreicht werden kann, auch im Vorfeld gro-ßer, belastender Krisen. Die subtile Betrachtungmultifaktorieller Beeinflussung der menschlichenEntwicklung und der Wechselwirkung von körper-lichen, seelischen und sozialen Zuständen gelingtim Zusammenspiel der Professionen sehr viel bes-ser. In diesem Selbstverständnis lassen sich auchkrisenhafte Ereignisse, hervorgerufen durch ent-sprechende Aktionen der Kinder und Jugendli-chen, in produktiver, für die jungen Menschen ge-winnbringender Art und Weise, bewältigen.

Ewald ZaunerDistriktleitung

Ev. Jugendhilfe FriedenshortTiele-Winckler-Str. 72

74613 Öhringenregionsued.schwaebischhall@

jhfh.friedenshort.de

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Wenn die Krise zum Alltag wird – Jugendhilfe und traumatisierte Jugendliche

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Literatur

Besser, L und Hofmann, A: Psychotraumatologie bei Kindernund Jugendlichen. Grundlagen und Behandlungsmethoden.In: Bindung und Trauma, Stuttgart, 2008

Hassenstein, B: Was Kindern zusteht, München, 1990

Hassenstein, B: Verhaltensbiologie des Kindes, München,1987

Huber, M: Wege der Traumabehandlung, Paderborn, 2006

Krieger, W: »Gewaltprävention im Alltag der stationären Ju-gendhilfe – pädagogische und ästhetische Aspekte«. In:EREV (Hrsg.), Evangelische Jugendhilfe, 5/2007

Liegl, W: Was tun mit den »besonders Schwierigen«? In: ju-gendhilfe (Hrsg.), 1/2000

Schwabe, M: Unerzogen – Verunsichert – Fasziniert oderWahnhaft? In: EREV (Hrsg.), Schriftenreihe 3/2002

Uttendörfer, J: Traumazentrierte Pädagogik. Von der Ent-wicklung einer Kultur eines »Sicheren Ortes«. In: unsere ju-gend, München 2/2008

Wecker, K: Genug ist nicht genug, Team Musikon, 1977

Wolf, K: Machtprozesse in der Heimerziehung, Münster,1999

Zywicki, C: Wollen sie nicht oder können sie nicht anders? InEREV (Hrsg.), Evangelische Jugendhilfe, 1/2006

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Wenn die Krise zum Alltag wird – Jugendhilfe und traumatisierte Jugendliche

Nr.: 43/2008EREV – FREIE SEMINARPLÄTZE– FREIE SEMINARPLÄTZE

Pendeltür – Kinder und JugendlicheEine besondere pädagogische Herausforderung zwischen den

Hilfesystemen

Inhalt und ZielsetzungEinige Kinder und Jugendliche zeigen sich wie Bälle in einem Flipperautomaten: Kaum kommen sieauf uns zu, entfaltet sich ein Dynamik, dass es nur so funkt. Schon steuern sie neuen Zielen entge-gen, »titschen« von einem Ende zum anderen, kommen selten zur Ruhe. Und wenn wir nicht schnellund flexibel genug reagieren, sind sie gar nicht zu halten. Kinder und Jugendliche mit diesem Beziehungs- und Symptomverhalten beschäftigen meist mehre-re Hilfesysteme (Jugendhilfe, Psychiatrie, sonderpädagogische Beschulung, Strafinstanzen) und brin-gen diese in eine spannungsreiche Zusammenarbeit. Sie werden häufig mit Bindungsstörungen, Dis-sozialität oder einer Borderline-Persönlichkeit diagnostiziert, Nähe und Distanz mit ihnen ausbalan-cieren ist besonders schwierig. Das zentrale Paradigma der Jugendhilfe, die bezugspädagogische Be-treuung, scheint fast nicht umsetzbar. In diesem Seminar werden wir versuchen, Zugänge des Verstehens zu diesen Kindern und Jugendli-chen zu finden und Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten. MethodikDas Seminar hat einen Werkstattcharakter. Ausgangspunkt werden Fallarbeiten und Praxiserfahrun-gen sein, bei deren Reflexion theoretische Bezüge vermittelt und auf ihre Handlungstauglichkeit hinüberprüft werden. ZielgruppeInteressierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus der Erziehungshilfe, die sich mit dem Thema be-schäftigen und sich weiterbilden möchten. Leitung Heide Roscher-Degener, Münster; Andreas Kuchenbecker, Erkrath Termin/Ort 10. – 12.11.2008 in Mülheim/Ruhr Teilnahmebeitrag 249,- € für Mitglieder / 289,- € für Nichtmitglieder inkl. Unterbringung und

Verpflegung Teilnehmerzahl 14

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»»KKeeiinn TTooaasstt uunndd NNuutteellllaa bbiiss MMoonnttaagg!!«« GGlleeiicchh üübbeerrzzwweeii SSppaalltteenn ggeehhtt ddiieessee AAnnwweeiissuunngg aauuff ddeerr ggrrooßßeennTTaaffeell ddeess MMiittaarrbbeeiitteerrbbüürrooss.. ZZwweeii SSppaalltteenn hheeiißßtt::HHiieerr wwiirrdd ddaass VVeerrhhaalltteenn vvoonn zzwweeii JJuunnggeenn gglleeiicchh--zzeeiittiigg ssaannkkttiioonniieerrtt.. DDiiee bbeeiiddeenn JJuuggeennddlliicchheenn ddeerrGGrruuppppee »»FFrreeiirraauumm«« iinn KKaammpp--LLiinnttffoorrtt hhaatttteenn ggeennaauuddiieessee DDiinnggee –– TTooaasstt uunndd NNuutteellllaa –– aauuss ddeemm nnaahheeggeelleeggeenneenn SSuuppeerrmmaarrkktt ggeessttoohhlleenn.. DDaass aalllleerrddiinnggssiisstt nniicchhtt iihhrr eeiiggeennttlliicchheess PPrroobblleemm..

Offensichtlich bedeutet der Einkauf im Super-markt ebenso eine Risikosituation für die Heran-wachsenden wie die Erreichbarkeit von Alkoholund Drogen. Deshalb hat das gemeinsame Bespre-chen eben dieser Situationen seinen Platz in derGruppe. »Im Bereich der Sexualität können dieJungen mittlerweile sehr gut das Gefährdungspo-tenzial verschiedener Situationen benennen undabschätzen«, erzählt Gruppenleiterin SandraSchmitz. »Doch daneben gibt es andere typischeGefahren für Jungen in diesem Alter, die nichtausgeblendet werden dürfen.« Schließlich geltees, ergänzt die Sozialpädagogin, die Jugendlichenan die Selbstständigkeit heranzuführen.

Alternative: Jugendstrafvollzug

Die Gruppe »Freiraum« besteht seit einem Jahr. AlsJugendhilfemaßnahme ist sie nicht isoliert konzi-piert, sondern baut auf einem anderen Angebotder Neukirchener Kinder- und Jugendhilfe auf, derTherapeutischen Interventionsgruppe (TIG). Etwa25 Kinder und Jugendliche haben seit 2004 dassechsstufige Therapieprogramm der TIG (sieheNM Dezember 2005) durchlaufen. Sie alle – obunter 14 Jahren und damit strafunmündig oderälter – haben eines gemeinsam: Andere Kinderwurden Opfer ihrer sexuellen Übergriffe, bis hinzur Vergewaltigung. Dass die Bewohner der TIG in

den meisten Fällen selbst zuerst Opfer von Er-wachsenen waren, wird nicht ausgeblendet. Den-noch geht es in der TIG in erster Linie darum, diejugendlichen Täter mit ihrem Fehlverhalten zukonfrontieren. Deshalb sind in der ersten Phaseauch freiheitsbeschränkende Maßnahmen vorge-sehen; die enge Regelorientierung zieht sichdurch die gesamte Therapie. Schließlich ist für dieÄlteren der Jugendstrafvollzug eine drohende Al-ternative.

Doch was passiert mit den Jugendlichen, die er-folgreich das Programm durchlaufen haben?»Häufig gibt es für sie kein Zurück in das elterli-che Umfeld«, weiß Sandra Schmitz. Allerdings sei-en sie für eine eigene Wohnung noch zu jung.»Und welche anderen Heimgruppen sind für eineArbeit mit Jungen dieser speziellen Problematikgeeignet?«, fragt die Gruppenleiterin. Die Heraus-forderung bestand also darin, einen Übergang voneinem stark strukturierten Tagesablauf hin zu ei-nem Konzept zu entwickeln, in dessen Rahmendie Jugendlichen zu einem selbstverantwortetenLeben befähigt werden. Das Ergebnis war dasKonzept für die Gruppe Freiraum mit insgesamtvier Phasen. Die Bewohner sollen lernen, sich ineinem weniger kontrollierten und strukturiertenUmfeld zu bewegen.

Vertraute Anknüpfungspunkte

Sieben Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18Jahren leben derzeit in der Gruppe. Phase 1, so ihrfast einhelliges Urteil, ist zunächst ein Rückschrittgegenüber der letzten TIG-Phase. Der Ausgang istenger reglementiert. So müssen sich die Jungen,wenn sie das Haus verlassen möchten, wieder ab-melden. Auch die allabendlichen Reflektionen mitden Therapeuten sind Pflicht. Sandra Schmitz be-

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Leben lernen – Freiräume nutzenEin neues Angebot hilft jugendlichen Sexualstraftätern nach der ersten Therapie

Tobias HHääßßnneerr, Neukirchen-Vluyn

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gründet dies mit dem hohen »Wiedererkennungs-wert« aus der TIG. Außerdem können die Jugend-lichen auf diese Weise an gelernte Abläufe an-knüpfen, was ihnen zudem Stabilität vermittelt.Am Anfang der ersten Phase steht ein Zielverein-barungsgespräch zwischen den Betreuern und denJugendlichen. Dabei geht es natürlich auch nocheinmal um den sexuellen Missbrauch, den sie be-gangen haben. In diesem Zusammenhang müssendie Jungen einen Selbsteinschätzungsbogen aus-füllen, auf dem sie eigenständig ihre Stärken undSchwächen sowie die noch zu entwickelnden Fä-higkeiten benennen sollen.

Der Weg in die nächst höhere Phase führt aus-schließlich über das Erreichen der gemeinsamfestgelegten Wochenziele. Dies wird durch einengrünen Bilderrahmen dokumentiert. Ein gelbersteht für Stillstand und rot heißt: Das Ziel wurdenicht erreicht – Neustart. Das passiere, wenn dieJungen nicht konsequent an ihren Wochenzielenarbeiteten, so Sandra Schmitz. Konkret bedeutetdas zum Beispiel, dass sie keine Absprachen ein-halten, ihre Bücher – so zum Beispiel das Wege-buch und das Gefühls- und Gedankenbuch – nichtlückenlos führen oder schlichtweg unpünktlichsind. Eigentlich ist Phase 1 auf sechs Wochen an-gelegt. Doch einige Jungen haben selbst nachsechs Monaten die zweite Phase noch nicht er-reicht. Die Gruppenleiterin führt dies auch daraufzurück, dass die Jugendlichen nach dem Wechselin die städtische Umgebung ein größeres Sicher-heitsbedürfnis haben. Und das Verharren in einerPhase bedeute zunächst ein längeres Verbleibenin der vertrauten Gruppe.

Ein respektvoller Umgang

Dennoch sind Erzieher und Therapeuten, aberauch die Bewohner selber davon überzeugt, dassdas gesamte Therapieprogramm ihnen weiterhilft.Die TIG habe ihn weitergebracht, die erste Phasein Freiraum auch, so der 16-jährige Martin (alleNamen geändert). Er gehe mittlerweile nochselbstständiger mit der Freiheit um, lautet seineSelbsteinschätzung. Und seine gleichaltrigen Mit-

bewohner Torben und Rafael legen, wie Martinauch, Wert darauf, dass man gelernt habe, mehrRespekt vor dem Anderen aufzubringen. Torben istGymnasiast. Für ihn bedeutet es viel, dass er sichinzwischen besser in das jeweilige Gegenüberhineinversetzen kann. Schließlich ist Empathie fürdie Opfer bereits in der TIG ein wichtiger Schwer-punkt. Doch auch die Tatsache, dass Torben nichtmehr bei jeder Anweisung sofort in die Diskussi-on mit seinen Betreuern gehen muss, ist für ihnein Erfolg. Den Beweis, dass die Jugendlichen re-spektvoll und wertschätzend miteinander umge-hen können, bleiben sie nicht schuldig. Als Rafa-el über seine Erfahrungen berichtet, ergänzt ihnTorben positiv und in freundschaftlicher Weise. Ersei offener und mutiger geworden und könne –wenn er denn wolle – besser mit Geld umgehen.Martin, Torben, Rafael und die anderen brauchennoch für einige Monate den Rahmen der Gruppe.Das beinhaltet auch die Inanspruchnahme vonSport- und Kreativangeboten sowie hier und daAnleitung für eine sinnvolle Freizeitgestaltung.Gerade die Nutzung der modernen Medien unddie Gefahren des Internets bergen einige Risiken.Doch die Perspektive ist klar. Alle wollen dieSelbstständigkeit, einen Schulabschluss und eineAusbildung beginnen: Martin als Schreiner, Rafa-el als KfZ-Mechatroniker und Torben möchte stu-dieren.

Sandra Schmitz zieht jedenfalls nach fast einemJahr ein positives Fazit: »Unsere bisherigen Erfah-rungen machen uns Mut für die Zukunft. Wir er-leben, dass die Jungen von diesem Konzept profi-tieren und sich weiter stabilisieren. Im Herbst2008 werden voraussichtlich die ersten Jungen ineine eigene Wohnung ziehen und ihr Leben dannin Eigenregie weiterführen« – mit Toast, Nutellaund vielen anderen und selbstverständlichenDingen des Alltags.

Tobias HäßnerLeiter Kommunikation (bis Juni 2008)

Neukirchener ErziehungsvereinAndreas-Bräm-Straße 18/20

47506 Neukirchen-Vluyn

225EJ 4/2008

Leben lernen – Freiräume nutzen

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In ihrem Newsletter der Ausgabe 1/2008 berich-tet die BPtK darüber, dass mit der Heimerziehungdie Kosten explodieren. In dieser Kurzmeldungwerden die Kosten der Erziehungsberatung undder stationären Betreuung miteinander vergli-chen. Hierbei gelangt die BPtK zu der Aussage:»Die präventive Arbeit der Erziehungsberatung istgesundheitsökonomisch deutlich günstiger als dieHeimunterbringung. Theoretisch rechnet sich dieBeratung und Behandlung in einer Erziehungsbe-ratung schon, wenn durch ihre Arbeit bei einembis drei Prozent der Kinder eine Heimunterbrin-gung verhindert werden könnte«. Hierbei beziehtsich die BPtK auf die Ergebnisse einer Pilotstudievon Prof. Dr. Jürgen Wasem (Universität Duis-burg/Essen) und Privatdozent Dr. Christian Krauth(Medizinische Hochschule Hannover) im Auftragdes BPtK-Ausschusses »Psychotherapie in Institu-tionen«.

In der Kurzmeldung heißt es zum Schluss: »fiska-lisch begründete Einsparungen bei der Erzie-hungsberatung haben nach dieser Berechnungeine gegenteilige Wirkung. Für jeden Euro, denLänder und Kommunen bei der Erziehungsbera-tung einsparen, entsteht Ihnen ein Vielfaches anKosten an anderer Stelle.«

Bei allem Verständnis dafür, sich für die jeweiligenArbeitsbereiche einzusetzen, darf es nicht dazukommen, die Hilfearten miteinander aufzuwiegen.So hat sich Rolf Schüler-Brandenburger als Mit-arbeiter der Jugendhilfe gegenüber der BptK überdiese Verlautbarung entsetzt geäußert. In seinerStellungnahme beschreibt Schüler-Brandenbur-ger »aber eine Heimunterbringung sollte nie »ver-hindert« werden dürfen, wie in Ihrer Meldung dar-gestellt, nämlich genau dann nicht, wenn sie in-diziert ist. Sonst verhält man sich zumindest fahr-lässig. Die Frage der Kosten muss dabei zweitran-gig sein. Wer aus ökonomischen Gründen eineHilfeart protegiert, handelt missbräuchlich. Rolf

Schüler-Brandenburger bittet die Bundespsycho-therapeutenkammer darum, die Stellungnahmezu veröffentlichen. Dieses wurde von der BPtK mitder Begründung abgelehnt, dass das Format desNewsletters eine Veröffentlichung von Leserbrie-fen nicht vorsieht. Auch eine Richtigstellung wirdnicht erfolgen. In einem Schreiben an Schüler-Brandenburger versichert die BPtK, dass eine »Dif-famierung« der stationären Jugendhilfe nicht dieIntention dieser Kurznachricht war. Auch ging esnicht darum, zu suggerieren, die ambulante Ju-gendhilfe könne die stationäre Jugendhilfe grund-sätzlich ersetzen. Wenn aufgrund der Kürze derMeldung auf der letzten Seite unseres Newslet-ters dieser Eindruck entstanden sein sollte, wirddies bedauert.

Die Fachzeitschrift »Evangelische Jugendhilfe« hatdiese Meldung zum Anlass genommen, bei derBundespsychotherapeutenkammer nachzufragen.In dem Gespräch mit dem wissenschaftlichen Re-ferenten, Dr. Johannes Klein-Heßling, nahm die-ser Stellung zu der Kurznachricht und bedauertedie Veröffentlichung. Sie sei »ein bisschen provo-kant«. Keinesfalls sei es Absicht der Bundespsy-chotherapeutenkammer, beide Hilfearten mitein-ander aufzurechnen. Ebenso kann keine Aussageaufgrund der kurzen Pilotstudie zu der Effektivi-tät von ambulanten oder stationären Hilfen ge-troffen werden. Die in dem Newsletter veröffent-lichten Aussagen seien alle im »Konjunktiv« ge-sprochen. Wenn es demnach gelingen würde, inEinzelfällen Heimunterbringungen zu vermeiden,lohne sich eben der Einsatz für die Erziehungsbe-ratung. Hierum könne es bloß überhaupt nichtgehen. In Abhängigkeit von der Hilfeplanungmüssen die jeweils adäquaten Unterstützungs-möglichkeiten für die Kinder, Jugendlichen undFamilien im Einzelfall greifen.

Die gesundheitsökonomische Vorstudie beschäf-tigt sich ausschließlich mit den Effekten von Be-

226 EJ 4/2008

Fehlmeldung der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK)

Björn HHaaggeenn, Hannover

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Fehlmeldung der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK)

ratung und psychotherapeutischer Behandlungvon aggressiven Kindern (vier bis 14 Jahren in Er-ziehungs- und Familienberatungsstellen). Sie hat-te also gar nicht die Aufgabe, ambulante und sta-tionäre Hilfen miteinander zu vergleichen. In derZielsetzung der Studie wird beschrieben, dass esdarum geht, neben dem unmittelbaren Nutzen ei-ner erfolgten Beratung oder Behandlung für dieratsuchenden Klienten die Frage zu beantworten,ob sich auch ein ökonomischer Nutzen für die All-gemeinheit plausibel darstellen lässt. Die Pilotstu-die sollte prüfen, ob eine realistische Kostenein-schätzung verschiedener Beratungs- und Behand-lungsformen vorzunehmen sei. Andererseits soll-te der Versuch unternommen werden, diesen Ko-sten beispielhaft die möglichen gesellschaftlichenNutzenaspekte, im Sinne von Kosten, die durcherfolgreiche Beratung vermieden, beziehungswei-se eingespart werden können, gegenüberzustel-len. Die Studie kommt zu beispielhaften Aussage-möglichkeiten:

»In der Beratungsstelle C muss nur eine von 78Einzelpsychotherapien dazu beitragen, dass einSchüler mit aggressiver Problematik seinen Real-schulabschluss und anschließend eine Berufsaus-bildung macht. Er wird bis zu seinem 40. Lebens-jahr statistisch gesehen 155.000,- Euro mehr anEinkommen akkumulieren, als wenn er nach demSchulabgang keine Berufsausbildung hätte ma-chen können. Sein persönlicher finanzieller Ge-winn wird die Kosten für die 78 Einzeltherapienaufwiegen«.

Eine zweite Aussage lautet, »führen in der Bera-tungsstelle B nur zwei von 114 Elternberatungendazu, dass eine spätere Straffälligkeit des Jugend-lichen vermieden wird, hat die BeratungsarbeitKosteneinsparungen bewirkt, die im Falle einer In-haftierung bei Männern durchschnittliche Kostenin Höhe von 72.000,- Euro und bei Frauen durch-schnittliche Kosten von 47.000,- Euro auslöst«. Die dritte Aussage: »kann im Rahmen einer Fami-lientherapie in Beratungsstelle A mehr als einmalin 58 Fällen eine Alkoholabhängigkeit eines Ju-gendlichen vorgebeugt werden, bewirkt diese Be-

ratungsarbeit Kosteneinsparungen im Sinne ge-sellschaftlichen Nutzens«.

In den Schlussfolgerungen dieser Pilotstudie wirdbeschrieben, dass die Praktikabilität des gesund-heitsökonomischen Ansatzes im Bereich der psy-chotherapeutischen Arbeit von Erziehungsbera-tungsstellen geprüft werden konnte. Da die sehrkleine Stichprobe der beteiligten Einrichtungenkeine Repräsentativität beanspruchen kann, sinddie vorliegenden Zahlen nicht zu generalisierenoder zu verallgemeinern. Auch die Gleichsetzungvon durchgeführten Behandlungen mit erfolgrei-chen Behandlungen war für die vorliegende Aus-wertung zwar praktikabel – ist aber eben nichtübertragbar. Dieses entspricht einer vereinfachtenAnnahme, die der Wirklichkeit nicht gerecht wirdund in Folgestudien neu überlegt werden muss.Die hilfsweise Operationalisierung von Erfolgdurch das Kriterium »Behandlung wurde einver-nehmlich beendet« ist ebenfalls zu überprüfen.Die Studie geht davon aus, dass die vorliegendenErgebnisse erwarten lassen, dass gesamtgesell-schaftlich zu tragende Kosten vermieden werdenkönnten. Ziel der Studie ist es, für anschließendeUntersuchungen Mittel zu akquirieren und dieAussagemöglichkeiten des Projekts näher zu prü-fen.

Der Vergleich des Berichtes über die Pilotstudiemit dem Bericht der Bundespsychotherapeuten-kammer ergibt, dass keine Übereinstimmung vor-liegt. Die Studie selber relativiert die Ergebnissehinsichtlich ihrer Vergleichbarkeit der Aussage-kraft und der Repräsentativität. Bedauerlich isthierbei, dass die Bundespsychotherapeutenkam-mer nicht zu einer Korrektur ihrer Kurzdarstellungbereit war.

Hannover, 12. Juni 2008

Dr. Björn HagenGeschäftsführer, EREV

Flüggestr. 2130161 Hannover

[email protected]

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SSuucchhtt iisstt nnaacchh wwiiee vvoorr eeiinn TTaabbuu--TThheemmaa iinn ddeerr AArr--bbeeiittsswweelltt.. AAllkkoohhooll zzuu ttrriinnkkeenn,, MMeeddiikkaammeennttee eeiinnzzuu--nneehhmmeenn ooddeerr DDrrooggeenn zzuu kkoonnssuummiieerreenn iisstt eeiinnee ggaannzzppeerrssöönnlliicchhee EEnnttsscchheeiidduunngg,, ddiiee aabbeerr eerrhheebblliicchheeAAuusswwiirrkkuunnggeenn aauuff ddiiee AArrbbeeiitt hhaabbeenn kkaannnn.. WWiiee rreeaa--ggiieerree iicchh aallss KKoolllleeggee ooddeerr VVoorrggeesseettzztteerr,, wweennnn iicchhddeenn VVeerrddaacchhtt hhaabbee,, ddaassss eeiinn MMiittaarrbbeeiitteerr bbeerraauusscchhttiisstt?? SSeehhee iicchh lliieebbeerr wweegg??

OObb uunndd wwiiee rreeaaggiieerrtt wwiirrdd,, hhäännggtt ddaavvoonn aabb,, oobb eeiinnPPrroobblleemmbbeewwuussssttsseeiinn iimm UUnntteerrnneehhmmeenn vvoorrhhaannddeenniisstt,, oobb eess kkllaarree vveerrbbiinnddlliicchhee RReeggeelluunnggeenn ggiibbtt uunnddvvoonn ddeerr KKoommppeetteennzz ddeerr VVoorrggeesseettzztteenn iimm UUmmggaannggmmiitt SSuucchhttpprroobblleemmeenn.

Sucht ist ein Thema, das vor der Arbeitswelt nichthalt macht. Nach Aussage der Bundeszentrale fürgesundheitliche Aufklärung (BZgA) sind zehn Pro-zent aller Werktätigen alkoholkrank. Drogenpro-bleme spielen zwar zurzeit noch eine untergeord-nete Rolle im Arbeitsleben, es ist aber mit einerstetig wachsenden Zahl missbräuchlich Konsu-mierender, beziehungsweise Abhängiger zu rech-nen (vgl. »Schritt für Schritt«, BZgA 2000).

Wegsehen ist einfacher?

In Betrieben und Einrichtungen, in denen keineAnzeichen für Suchtprobleme vorliegen, ist davonauszugehen, dass die Wahrnehmung für diesesThema nicht vorhanden ist, beziehungsweiseAuffälligkeiten solange wie möglich ignoriertwerden. Unerklärliche Fehlzeiten, verändertesSozialverhalten sowie ein rapider Leistungsabfallkönnen zahlreiche Gründe haben; nicht seltenhandelt es sich um suchtmittelbedingte Auffällig-keiten.

Vorgesetzte, Betriebsräte und Kollegen reagierenoft unsicher und hilflos. Ein Teamleiter formulier-

te sein Dilemma wie folgt: »Erst schicke ich eineMitarbeiterin nach Hause, dann kriege ich Ärgermit den anderen Mitarbeitern, weil die Schicht un-terbesetzt ist und meinem Vorgesetzten mache ichzusätzliche Arbeit. Ignoriere ich das Problem –hoffe, dass es sich von selbst löst – muss ich keineunangenehmen Gespräche führen und spare Zeit.«

Langfristig führt diese Strategie zu erheblichenProblemen. Der Vorgesetzte wird zum Mitwisserund kann die Problematik nicht mehr ansprechen,ohne selbst in eine unangenehme Situation zugeraten. Die übrigen Mitarbeiter und Mitarbeite-rinnen reagieren mit Unzufriedenheit, das Be-triebsklima leidet. Es treten vermehrt Fehler auf,die Krankheitszeiten steigen. Suchtmittelproble-me werden zu einem erheblichen Kostenfaktorund können den guten Ruf der Einrichtung ge-fährden.

Das Tabu brechen

»Nachdem ich auf der Beerdigung von einemsuchtkranken Mitarbeiter war, habe ich mich ent-schlossen, das Thema Sucht offensiv in unsererEinrichtung anzugehen«, berichtet ein Geschäfts-führer.

Über Suchtmittel und Suchterkrankungen nach-zudenken, sie nicht mehr als Tabu zu behandeln,ist der Anfang für einen bewussten Umgang mitdiesem Thema (vgl. Substanzbezogene Störungenam Arbeitsplatz, DHS 2001). Es geht nicht darum,den Genuss des Feierabendbiers zu vermiesen,sondern darum, die so genannte »Punktnüchtern-heit« zu erreichen, das heißt beispielsweise, amArbeitsplatz keine Suchtmittel zu konsumierenund auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit kei-nen Restalkohol im Blut zu haben.

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Verändern statt wegsehen – offener Umgang mit Sucht in der Einrichtung?

Ingeburg BBrraannddtt, Trier

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Der Arbeitsplatz ist wichtiger als die Familie

Ein weiterer, wichtiger Aspekt für einen konstruk-tiven Umgang mit Suchtproblemen ist die Erar-beitung eines – der betrieblichen Organisationangepassten – Stufenplans. Der Umgang mit be-troffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirdverbindlich geregelt. Mit dem strukturierten Vor-gehen wird Druck ausgeübt, aber auch gleichzei-tig Hilfe und Unterstützung angeboten, damitsich der Betroffene in Behandlung begibt. Für vie-le Menschen ist der Verlust des Arbeitsplatzeseine sehr bedrohliche Perspektive, häufiger sogarbelastender als eine anstehende Trennung von derPartnerin oder dem Partner (vgl. Lenfers, 1993).Hier kommt die zentrale Rolle der direkten Vorge-setzten erneut zum Zuge. Fühlt sich der Vorge-setzte in der Lage ein derart unangenehmes The-ma anzusprechen? Kann er kompetent reagieren,wenn der Mitarbeiter leugnet oder aggressivwird?

Konstruktiv und offensiv mit Suchtproblemenumgehen

Es bestehen gute Aussichten, dass bei Suchtpro-blemen im Betrieb nicht mehr weggesehen wird,wenn: • ein Problembewusstsein entwickelt wird,• in einer Betriebsvereinbarung das Vorgehen für

alle verbindlich fixiert ist,• Vorgesetzte in Seminaren gelernt haben, Anzei-

chen einer Suchterkrankung zu erkennen und inangemessener Form ein Konfliktgespräch zumThema Sucht zu führen.

Ingeburg BrandtSupervisorin und Suchtberaterin,

Betriebliche GesundheitsförderungDiakonisches Werk Trier gGmbH

Theobaldstr. 1054292 Trier

[email protected]

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Verändern statt wegsehen – offener Umgang mit Sucht in der Einrichtung?

Impressionen aus dem EREV-Fachausschuss »Jugendhilfepolitik«

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IInn DDeeuuttsscchhllaanndd iisstt ddiiee ddeemmooggrraaffiisscchhee EEnnttwwiicckklluunnggsseeiitt 11996655 vvoonn eeiinneemm GGeebbuurrtteennrrüücckkggaanngg ggeekkeennnn--zzeeiicchhnneett.. DDiieesseerr RRüücckkggaanngg vveerrllääuufftt nniicchhtt kkoonnttiinnuu--iieerrlliicchh,, ssoonnddeerrnn eerr bbeesscchhlleeuunniiggtt ssiicchh.. DDeerr ffoollggeennddeeAArrttiikkeell ggeehhtt ddeerr FFrraaggee nnaacchh,, oobb wweenniiggeerr KKiinnddeerr zzuurrVVeerrrriinnggeerruunngg vvoonn LLeeiissttuunnggeenn ddeerr JJuuggeennddhhiillffee ffüühh--rreenn uunndd EEiinnrriicchhttuunnggeenn uunndd DDiieennssttee iihhrree KKaappaazziittää--tteenn vveerrrriinnggeerrnn mmüüsssseenn..

Daten und Fakten

Obwohl sich die absolute Zahl der Geburten inDeutschland stetig verringert, so dass wir im Jah-re 2050 eine Gesamtbevölkerungszahl von 69Millionen gegenüber derzeit 82 Millionen habenwerden, wird der Anstieg der Geburtenrate von1,33 Kindern pro Frau im Jahre 2006 auf 1,45 Kin-der im Jahr 2007 als Erfolg der Familienpolitik ge-feiert (»Der Spiegel«, Heft 18, 2008, Seite 30). Wiepassen diese Informationen zusammen? Auchwenn die Statistik den Geburtendurchschnitt progebärfähige Frau richtig wiedergibt, so verringertsich die absolute Zahl der Geburten mit den er-sten geburtenschwachen Jahrgängen und damitauch die Zahl gebärfähiger Frauen.

Die geburtenschwachen Jahrgänge setztenkriegsfolgenbedingt 1965 ein. Bis 1975 halbiertesich in der alten Bundesrepublik die Zahl der Ge-burten. Diese und die folgenden Jahrgänge stehenjetzt zur »Reproduktion« an, wenn man für eineGeneration den Zeitraum von 30 Jahren annimmt.

Seit 1990 gab es im wiedervereinigten Deutsch-land in jedem Jahr mehr Sterbefälle als Geburten.2005 betrug dieses Defizit 143 000.

Interessant ist die Entwicklung bei Frauen mit Mi-grationshintergrund, die einen Anteil von 19 Pro-zent an der Gesamtbevölkerung haben: 2005 ha-ben diese Frauen 35 Prozent aller Babys geboren.

Verliefe die Entwicklung so weiter, werden dies inrund 15 Jahren 65 Prozent aller Neugeborenensein.

Auf die Gesamtbevölkerung bezogen, nehmenderzeit die Mädchengeburten innerhalb eines Ge-nerationenzeitraumes um rund 30 Prozent ab.

Politische Konsequenzen

Es ist zu begrüßen, dass sich die Politik zu einerintensiveren kinder- und familienfreundlichenGestaltung unserer Gesellschaft durchgerungenhat. Für die, die dies schon seit vielen Jahren ge-fordert haben, ist es eine Genugtuung. Dies reichtjedoch nicht aus, sondern notwendig ist auch einekinderfreundlichere Infrastruktur auf regionalerEbene wie beispielsweise• wirtschaftliche Sicherung der Familien,• Verbesserung der Kinderbetreuungsangebote,• Weiterentwicklung schulischer Bildungsange-

bote (inklusive räumlicher Verbesserungen),• Zukunftssicherung für Jugendliche durch ad-

äquate Arbeits- und Ausbildungsangebote,• Unterstützung der Familien durch präventive

Beratung.

Die Bevölkerungsentwicklung lässt sich damitaber nicht so schnell umkehren, wie es uns mitstatistischen Durchschnittswerten anders ver-kauft wird.

Neben den abnehmenden Geburtenzahlen undden zunehmenden Sterbeziffern gibt es die Aus-wanderung als weiteren Faktor in dieser Entwick-lung. Jährlich wandern 150 000 Menschen ausder Bundesrepublik aus. Auch wenn sich Fernseh-sendungen in der vergangenen Zeit zunehmendmit diesem Thema befassen und die Schwierigkei-ten, die mit Auswanderung verbunden sind,deutlich darstellen.

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Auswirkungen des Bevölkerungsrückganges auf Jugendhilfeleistungen

Wolf OOnnnnaasscchh, Leer

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Um ein Absinken der Bevölkerungszahl von 69Millionen auf 50 Millionen bis zum Jahr 2050 zuverhindern, müssten jetzt schon jährlich 100 000Menschen einwandern und gleichzeitig 140 000Menschen am Auswandern gehindert werden.

Auch andere Länder – vor allem Industrienationen– sind mit einigen Ausnahmen wie Afrika, Chinaund den USA von dieser Entwicklung betroffen.2050 werden in den europäischen Industrienatio-nen 40 Millionen Menschen weniger leben als2008.

Bedeutung für die Jugendhilfe

Jugendhilfe spiegelt von je her gesellschaftlicheEntwicklungen wider. Die Frage ist, wie sich dieoben beschriebene Entwicklung auf die Notwen-digkeit der Dienste und Einrichtungen auswirkt.Können Jugendhilfeleistungen abgebaut werden,weil weniger Kinder geboren werden? Eine Vorher-sage bis zum Jahre 2050 wie bei der Bevölke-rungsentwicklung ist nicht möglich. Ulrich Bürgerverweist darauf, dass die Auswirkungen der de-mografischen Entwicklung bezogen auf die Inan-spruchnahme erzieherischer Hilfen nur bis zumJahr 2020 vorausgeschätzt werden können (»Fo-rum Erziehungshilfen«, Nr.5/2007, S. 262). Die In-anspruchnahme von Jugendhilfeleistungen ist vonanderen Faktoren als der Bevölkerungsentwick-lung abhängig. Diese sind:• Wandel soziostruktureller Bedingungen und fa-

milialer Strukturen• Arbeitsbedingungen, Arbeitsweisen und Res-

sourcen der Jugendämter und die Wirksamkeitihrer Steuerungsmodelle

• Politische Vorgaben für die Jugendhilfe ein-schließlich der Veränderungen der Rechts-grundlagen

• Entwicklung der Regionen zur familien- undkinderfreundlichen Kommune

• Entwicklung von Armut und Bildungschancen.

Die Momentaufnahme der Inanspruchnahme vonJugendhilfeleistungen zeigt einen Anstieg derFallzahlen. Der Anstieg wirkt sich insbesondere

bei teilstationären und ambulanten Erziehungs-hilfen aus. Für die stationären Hilfen bleiben dieFallzahlen konstant. Allerdings ist in der Praxisfestzustellen, dass das Aufnahmealter von Kin-dern in Heimen deutlich niedriger wird. Kollegenberichten von Aufnahmeanfragen von untersechsjährigen Kindern. Offensichtlich eine Reak-tion auf die skandalöse Situation unversorgterund misshandelter Kinder.

Die Massenarbeitslosigkeit in der Bundesrepublikbegann in einigen Regionen unseres Landesschon vor 30 Jahren. Eine ganze Generation istvon dieser sozialen Katastrophe betroffen. DieFolge ist eine zunehmende Armut und insbeson-dere Kinderarmut in unserem Land. 2007 galtenlaut Kinderreport des Kinderhilfswerkes 14 Pro-zent aller jungen Menschen als arm. Seit Einfüh-rung von Hartz IV hat sich die Anzahl der Kinderfür die Sozialhilfe gezahlt wird fast verdoppelt.Derzeit leben 2,5 Millionen Kinder von Sozialhil-fe. 1965 war jedes 75. Kind und 2007 schon jedessiebte Kind auf Sozialhilfe angewiesen. BesondersKinder von Migrantenfamilien sind betroffen. EineFolge dieser Armut ist ein eklatanter Bildungs-mangel.

Jedes dritte von Armut betroffene Kind war 2004bei der Einschulung förder- beziehungsweise the-rapiebedürftig. Jedes vierte Kind hat die Haupt-schule ohne Beherrschung des Mindestmaßes anKulturtechniken verlassen. Jährlich 80.000 Ju-gendliche werden ohne Hauptschulabschluss ausder Schule entlassen. Diese jungen Menschen sindaufgrund ihrer Benachteiligungen künftig undwohl sehr lange auf staatliche Hilfe angewiesen.Für sie wird es keine Arbeitsstelle geben.

Die Ausführungen verdeutlichen, dass die demo-grafische Entwicklung in unserem Land ein Redu-zieren sozialer Leistungen so lange nicht zur Fol-ge haben kann, wie sich die sozioökonomischenBedingungen nicht zum Positiven ändern.

Im kommunalen Bereich gibt es eine interessan-te Entwicklung, über die sich die Dienste und

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Auswirkungen des Bevölkerungsrückganges auf Jugendhilfeleistungen

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Einrichtungen informieren müssen. Jugendhilfearbeitet zunehmend regionalspezifisch. In Zu-sammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung ar-beiten Kommunen an der Entwicklung der Kin-der-, Jugend- und Familienpolitik. Der demogra-phische Wandel wird als Herausforderung undChance gesehen. Mir ist bekannt, dass die StadtBielefeld und der Landkreis Leer über Demogra-phiebeauftragte verfügen, die als Bindegliedzwischen ihrer Kommune und der Bertelsmann-Stiftung fungieren und darüber hinaus für dieKooperation verschiedener Bereiche in ihrerKommune sorgen, die mit dem demographischenWandel zu tun haben.

So entwickelt beispielsweise der Landkreis LeerHandlungsansätze zur Gestaltung des Hand-lungsfeldes Kinder-, Jugend- und Familienpolitik.Es geht dabei um Folgendes:

• Bündelung der Angebote im Jugendhilfebereich• Transparenz der Angebotsstrukturen (beispiels-

weise eine Kinderbetreuungsbörse)• Probleme des grenznahen Zuzuges (hier: Nie-

derlande – Landkreis Leer)• Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Flexible

Kinderbetreuung und deren Qualitätssteige-rung)

• Förderung von sozial benachteiligten Familien• Beobachtungen der kleinräumlichen Bevölke-

rungsentwicklung und Schlussfolgerung fürdie Jugendhilfe

• Aufbau von Betriebskindertagesstätten• Austausch der Kommunen innerhalb des Land-

kreises.

Verbunden ist damit sicher ein weiterer Ausbaupräventiver Arbeit. Hier müssen sich freie Trägereinbringen. Wobei präventive Arbeit nicht nur ei-ner Erziehungshilfenotwendigkeit vorbeugt, son-dern auch Hilfenotwendigkeiten aufdeckt.

Über zwei Internetadressen gibt es hierzu Infor-mationen:• www.bertelsmann-stiftung.de• www.wegweiserdemographie.de

Eine weitere Folge der Bevölkerungsentwicklungist der Fachkräftemangel auch im pädagogischenBereich. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissen-schaft (GEW) hat berechnet, dass bei 500.000einzurichtenden Krippenplätzen rund 100.000 Er-zieherinnen und Erzieher eingestellt werden müs-sen. Der Fachkräftemangel für Jugendhilfeeinrich-tungen wird sehr kurzfristig ein ziemlich großesProblem.

Das heißt, es wird ein Kampf um gute Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter entbrennen. Die künftigenMitarbeitenden haben die Auswahl. Folgende Kri-terien könnten die Auswahl bestimmen:

• Mitarbeiterfreundliches Klima. (Die Begriffe»Personal«, »Personalbüro«, »Personalservice«sollte es in der Diakonie nicht mehr geben. Dieswäre ein erster wertschätzender Schritt.)

• Aufgeschlossenheit gegenüber Auszubilden-den, Praktikantinnen und Praktikanten. Anbie-ten von bezahlten Volontariatsstellen.

• Überprüfen der Arbeitsbedingungen. Im Rah-men eigenverantwortlicher Arbeit haben vieleMitarbeitende Aufgaben mit hoher Verantwor-tung übernommen, die sich in der Bezahlungwiderspiegeln müssen.

Die Einrichtungen und Dienste müssen sich stär-ker auf Mitarbeitende mit Migrationshintergrundeinstellen. Dies erfordert von Einrichtungen derDiakonie und Kirche einen anderen, flexiblerenUmgang mit nicht christlich geprägten Mitarbei-tenden. Ob bei dieser Entwicklung die »ACK-Klau-sel« noch eine Berechtigung hat, darf bezweifeltwerden.

Die demographische Entwicklung ist zu lange nurals ein Problem der Zukunftssicherung im versi-cherungstechnischen Sinne gesehen und disku-tiert worden. Erinnert sei an die Äußerung des da-maligen Arbeitsministers Norbert Blüm: »DieRente ist sicher«. Die Bevölkerungsentwicklungwirkt sich aber auf alle Lebensbereiche zum Teilmit negativen aber auch positiven Folgen aus. Ju-gendhilfeeinrichtungen sind gut beraten, sich um

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Auswirkungen des Bevölkerungsrückganges auf Jugendhilfeleistungen

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die verschiedenen Facetten dieser Entwicklungbesonders im regionalen Bereich zu kümmern,sich zu informieren und sich an der Diskussionund der Entwicklung kinder- und familienfreund-licher Konzepte zu beteiligen.

Literatur

»Der Spiegel«, Heft 18, 2008, Seite 30

Schneider, Stefan (Hrsg.): »Die demografische Herausforde-rung« Frankfurt/Main 2002

Bürger, Ulrich: »Demografischer Wandel und Hilfen zur Er-ziehung«, in Forum Erziehungshilfen Nr. 5/2007 Weinheim

Freigang, Werner u. Schone, Reinhold: »Ja, mach nur einenPlan ...«, in Forum Erziehungshilfen« Nr. 5/2007 Weinheim

Koch, Josef u. Peters, Friedhelm: »Kinder- und Jugendhilfe inden neuen Bundesländern vor dem Hintergrund der Demo-grafie und Abwanderung« Ein Interview mit Kerstin Delle-mann, in: Forum Erziehungshilfen Nr. 5/2007 Weinheim

Pavkovic, Gari: »Demografie und Migration: Anforderungen,Erwartungen und Chancen für die Jugendhilfe«, in: ForumErziehungshilfen Nr. 5/2007 Weinheim

Fendrich, Sandra u. Pothmann, Jens: »Rückgang der öffentli-chen Ersatzerziehung«, in: »Datenanalysen der Dortmunder

Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik«. Bereich: Hil-fen zur Erziehung, o. Datum

ders.: »Ambulante Hilfen sind wichtiger werdende Ergän-zungs- und Unterstützungsleistungen für Familien« veröf-fentl. s.o. o. Datum

Heinsohn, Gunnar: »Die demografische Kapitulation«, in: Ci-cero 6/2007

Riemann, Katja: »Warum wir zu viele Kinder haben«, in: Ci-cero 4/2006

Hondrich, Karl Otto: »Die Bevölkerung schrumpft? Wunder-bar!«, in: Cicero 8/2005

Schornstheimer, Michael: »Kinderlosigkeit in Deutschland-Was die Forschung darüber weiß«

Sendemanuskript Deutschlandradio Kultur o. Datum

Große Starmann, Carsten u. Schmidt, Kerstin: »Demographi-scher Wandel-Herausforderung und Chance«

Demographiebericht Teil 1 – Darstellung der Datenbasis

Landkreis Leer und Bertelsmann-Stiftung 8/2007 Gütersloh

Wolf OnnaschDipl. Rel. Päd. (FH)Dipl. Soz. arb.(FH)

Heisfelder Str. 135 A26789 Leer

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Auswirkungen des Bevölkerungsrückganges auf Jugendhilfeleistungen

Impressionen aus dem EREV-Fachausschuss »Jugendhilfepolitik«

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Verschärfungen der Erwerbsobliegenheit trotzBetreuung von Kindern im Rahmen des nach-ehelichen Unterhalts1

Urteil des OLG Hamm vom 6.3.2008 – NJW 2008, 2049 –Sachverhalt und Entscheidungsgründe (stark ge-kürzt)Die Klägerin ist die geschiedene Ehefrau des Be-klagten und nimmt diesen nach Ehescheidungund Wegfall des Bezuges von Arbeitslosengeld imWege der Abänderungsklage auf höheren Betreu-ungsunterhalt gemäß Paragraph 1570 GBG we-gen der Betreuung des gemeinsamen, im Jahre2002 geborenen Sohnes K in Anspruch. Sie ist ge-lernte Bäckereifachverkäuferin und bezieht für K,der seit 2006 mindestens an vier Tagen in der Wo-che regelmäßig von 8.15 Uhr bis mindestens 12Uhr (montags und dienstags bis 14.45 Uhr) einenheilpädagogischen Kindergarten besucht, Pflege-geld der Pflegestufe 1 in Höhe von monatlich 205Euro. Der Beklagte, der erneut geheiratet hat undaus dessen Ehe ein Kind hervorgegangen ist, ver-tritt unter Umständen die Ansicht, seine geschie-dene Ehefrau müsse einer halbschichtigen Tätig-keit nachgehen.

Das OLG hat der Klage für die Zeit bis zum31.12.2007 weitestgehend stattgegeben und dieKlage für die Zeit ab 1.1.2008 mit der Begründungabgewiesen, der Klägerin sei ab Januar 2008 einfiktives Einkommen von rund 300 Euro monatlichzuzurechnen. Durch das Unterhaltsrechtsände-rungsgesetz vom 9.11.2007 bestehe gemäß Para-graph 1570 BGB neue Fassung bei Betreuung vonKindern über drei Jahren nur dann ein Unterhalts-anspruch, solange und soweit dies unter Berück-sichtigung der Belange des Kindes, der bestehen-den Möglichkeiten der Kinderbetreuung sowie derGestaltung von Kinderbetreuung und Erwerbstä-

tigkeit in der Ehe und der Dauer der Ehe der Bil-ligkeit entspreche. Eine umfassende Gesamtab-wägung ergäbe im vorliegenden Fall, dass sich dieKlägerin um eine Beschäftigung im Geringver-dienerbereich hätte bemühen müssen, zumal sichK. mittlerweile in den Kindergarten eingelebthabe und nur noch in Ausnahmefällen vorzeitigwegen gesundheitlicher Probleme aus dem Kin-dergarten abgeholt werden müsse.

StellungnahmeDie Entscheidung des OLG Hamm2 ist eine der er-sten Entscheidungen zu Paragraph 1570 BGB inder ab 1.1.2008 geltenden Fassung. Sie zeigt, dassdas bisherige »Altersphasenmodell« (Obliegenheitzur halbschichtigen Erwerbstätigkeit in der Regelerst ab dem achten beziehungsweise zehnten Le-bensjahr des Kindes und Zumutbarkeit einer voll-schichtigen Erwerbstätigkeit in der Regel ab dem15. beziehungsweise 16. Lebensjahr des Kindes)keinen Bestand mehr haben kann und dass dentatsächlich vorhandenen (zumutbaren) Betreu-ungsmöglichkeiten3 in Zukunft vermehrt Bedeu-tung zukommen wird. Ob sich das vom OLG Hammin seinen Leitlinien4 enthaltene »neue« Alterspha-senmodell (teilschichtige Tätigkeit nach Ablaufdes Basiszeit von drei Jahren, halbschichtige Tätig-keit nach Ende des ersten Grundschuljahres; voll-schichtige Tätigkeit nach Endes des ersten Schul-jahres auf der weiterführenden Schule) durchset-zen wird, bleibt allerdings abzuarten, obwohl dieHinweise in dem Urteil des BGH vom 17.7.2008hierfür sprechen könnten.5 Zwar besteht der Vor-teil eines solchen Altersphasenmodells darin, dassder Ausgang von Unterhaltverfahren leichter kal-kulierbar ist. Andererseits kann die Fixierung aufein neues Altersphasenmodell jedoch den Blick fürbesondere Billigkeitsgründe trüben. So ist in die-sem Zusammenhang zumindest erwähnenswert,dass das OLG Hamm den durch Fachärzte beschei-

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Gesetze und Gerichte

Christian MMüülllleerr, Hannover

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Gesetze und Gerichte

nigten Befunden, wonach K. an einer allgemeinenEntwicklungsstörung verbunden mit Intelligenz-minderung, Sprachentwicklungsverzögerungenund leichten autistischen Zügen leide und deswe-gen einen erhöhten Förderungs- und Betreuungs-bedarf habe, keine Bedeutung beigemessen hat.Ob an eine Mutter, die, wie im vorliegenden Fall,ein pflegebedürftiges Kind betreut, bei teilweiserFremdbetreuung die gleichen Anforderungen be-züglich der Zumutbarkeit einer teilschichtigen Er-werbstätigkeit gestellt werden können, wie aneine Mutter, die kein Problemkind zu betreuen hat,erscheint zumindest fraglich.

Grundsätzlich keine zwangsweise Durchset-zung der Umgangspflicht gegenüber dem um-gangsunwilligen Elternteil

Urteil des BVG vom 1.4.2008 – NJW 2008, 845 ff-Sachverhalt und Entscheidungsgründe (stark ge-kürzt)Der verheiratete Beschwerdeführer ist Vater vonzwei aus seiner Ehe hervor gegangenen Kindernund eines im Jahre 1999 geborenen nichteheli-chen Sohnes, für welchen er regelmäßig Unterhaltzahlt. Im Rahmen eines von der Kindesmutter an-gestrengten Umgangsverfahrens hatte das OLGBrandenburg einen zeitlich begrenzten Umgangdes Beschwerdeführers mit seinem Kind (alle dreiMonate zwei Stunden) angeordnet und für denFall der Weigerung, seiner Umgangsverpflichtungnachzukommen, ein Zwangsgeld angedroht. Diehiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde desVaters hatte Erfolg.

Das Bundesverfassungsgericht sieht zwar in der inParagraph 1684 BGB seit 1998 normierten Um-gangspflicht eine zulässige Konkretisierung derden Eltern vom Grundgesetz zugewiesenen El-ternverantwortung. Auch verfolge der Gesetzge-ber mit der in Paragraph 33 Absatz 1 Satz 1 inVerbindung mit 3 FGG für die Gerichte eröffnetenMöglichkeit zur Durchsetzung der Umgangs-pflicht ein Zwangsgeld anzudrohen, einen legiti-men Zweck.

Wenn ein Elternteil sich jedoch auch nach Verur-teilung zum Umgang mit seinem Kind beharrlichweigere, seiner Verpflichtung nachzukommen, seider erzwungene Umgang mit dem Kind dem Kin-deswohl in der Regel nicht dienlich6, so dass dermit der Zwangsgeldandrohung verbundene Ein-griff in das Persönlichkeitsrecht des sich weigern-den Elternteils nicht gerechtfertigt sei. Die frag-liche Bestimmung des FGG sei von daher verfas-sungskonform dahingehend auszulegen, dass einezwangsweise Durchsetzung der Umgangspflichteines umgangsunwilligen Elternteils zu unterblei-ben habe, sofern nicht konkrete Anhaltspunktedafür vorhanden seien, dass die zwangsweiseDurchsetzung dem Kindeswohl diene. Dies könnebeispielsweise dann der Fall sein, wenn insbeson-dere ältere Kinder7 nachdrücklich den Wunschäußern, Kontakt zu dem Elternteil aufzunehmen,und sich dabei bewusst seien, dass die erzwunge-ne Kontaktaufnahme auch mit dem Frustrations-erlebnis verbunden sein könne, erfahren zu müs-sen, nicht erwünscht zu sein und sogar abgelehntzu werden.

StellungnahmeAuch wenn die bis dato herrschende Rechtspre-chung8 und die meisten im Rahmen des Verfahrensvor dem Bundesverfassungsgericht um Stellung-nahmen gebetenen Organisationen und Verbändedie Vollstreckbarkeit gerichtlich angeordneter Um-gangsverpflichtungen gegenüber dem umgang-sunwilligen Elternteil für verfassungskonform ge-halten haben, hat sich das Bundesverfassungsge-richt meines Erachtens zu Recht9 dafür ausgespro-chen, dass eine zwangsweise Durchsetzunggrundsätzlich nicht dem Kindeswohl dient und vondaher in der Regel zu unterbleiben habe.10 Denschon in EJ 2003, 121 f. enthaltenen Ausführun-gen ist nichts hinzuzufügen: »In den Fällen, in de-nen sich ein Elternteil trotz vorangegangenerÜberzeugungsarbeit durch das Gericht und ggf.das Jugendamt beharrlich weigert, Umgangster-mine mit seinem Kind wahrzunehmen, sollte vonZwangsmaßnahmen abgesehen werden, da feh-lende elterliche Gesinnung und Fürsorge nicht perDekret ersetzt und erzwungen werden kann und

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Gesetze und Gerichte

mit Zwangsmitteln durchgesetzte Umgangskon-takte für das Kind voraussichtlich belastender seindürften als das Unterbleiben solcher Begegnungen(so auch: OLG Nürnberg, a.a.O.).«

Kosten für ganztägigen Kindergartenbesuchals Unterhaltsbedarf des Kindes

Urteil des BGH vom 5.3.2008 ( XII ZR 150/05)- FamRZ 2008, 1152 ff, -Sachverhalt und Entscheidungsgründe (stark ge-kürzt)Der Beklagte ist Vater der im Jahre 2001 geborenennichtehelichen Klägerin und verheiratet. Aus sei-ner Ehe sind drei Kinder hervorgegangen. Der Be-klagte verpflichtete sich in einer Jugendamtsur-kunde zu monatlichen Unterhaltszahlungen von100 Prozent des Regelbetrages der jeweiligen Al-terstufe. Die Klägerin besucht ganztags einen Kin-dergarten. Die Kosten hierfür werden von der er-werbstätigen Mutter der Klägerin getragen. DieKlägerin nimmt den Beklagten für die Zeit ab April2004 auf Mehrbedarf in Höhe von monatlich 90Euro (ohne Essensgeld) in Anspruch. Das Amtsge-richt und das Oberlandesgericht haben die Klagemit der Begründung abgewiesen, die Kosten fürden halbtägigen Besuch des Kindergartens seiendurch den vom Beklagten gezahlten Unterhalt ge-deckt und die darüber hinaus anfallenden Kostenfür den Kindergartenbesuch seien allenfalls als be-rufsbedingte Aufwendungen des das Kind betreu-enden Elternteils zu berücksichtigen. Demgegen-über hat der BGH als Revisionsinstanz entschieden,dass die für den Besuch eines Kindergartens anfal-lenden Kosten zum Bedarf eines Kindes zu rechnensind und grundsätzlich keine berufsbedingten Auf-wendungen des betreuenden Elternteils darstellen.Die Kosten für einen halbtägigen Kindergartenbe-such seien grundsätzlich im laufenden Unterhaltenthalten, sofern das Existenzminimum des Kindesnicht unterschritten sei. Die Kosten die den Auf-wand für einen halbtägigen Kindergartenbesuchübersteigen, stellten hingegen einen Mehrbedarfdes Kindes dar, für den beide Elternteile anteilignach ihren Einkommens- und Vermögensverhält-nissen aufkommen müssten.

StellungnahmeMit der Grundsatzentscheidung hat der BGHeine alte Streitfrage entschieden, die nicht nurwegen der beträchtlichen Zunahme von aushäu-siger Ganztagsbetreuung der Kinder unter sechsJahren11 sondern auch im Hinblick auf das zum1.1.2008 in Kraft getretene Unterhaltsrecht vonBedeutung ist. Da der das Kind betreuende El-ternteil seit 1.1.2008 im Unterhaltsrang denminderjährigen Kindern und den ihnen gleichge-stellten privilegierten Volljährigen nachgeht,werden insbesondere für Frauen die durch dieUnterhaltsrechtsreform wegen der erhöhten Er-werbsobliegenheit und der Erleichterungen be-züglich der zeitlichen und höhenmäßigen Be-grenzung des Betreuungsunterhalts zu verzeich-nenden Verschlechterungen zumindest teilweisekompensiert.12 Nicht nur vor diesem Hintergrundist die Entscheidung zu begrüßen, sondern auchim Hinblick darauf, dass ihr ein adäquates Ver-ständnis der Funktion eines Kindergartenbesuchszu Grunde liegt. Kindergärten sind keine Aufbe-wahrungsanstalten von Kindern zur Ermögli-chung einer Erwerbstätigkeit ihrer Eltern, son-dern ein Kindergartenbesuch erfolgt, worauf derBGH zu Recht hinweist, in erster Linie zu erzie-herischen Zwecken, weshalb die Kosten hierfürauch zum Lebensbedarf eines Kinder zu rechnensind, der auch die Kosten der Erziehung umfasst.

Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen bei Zusammenleben mit neuem Lebensgefährten

Urteil des BGH vom 9.1.2008 – XII ZR 170/205 – NJW 2008, 1373Der Bundesgerichtshof hat in einer Grundsatzent-scheidung, bei der es um Kindesunterhalt ging,entschieden, dass der Selbstbehalt des Unterhalts-pflichtigen, der mit einer neuen Lebensgefährtinund deren beiden Kindern (unverheiratet) zusam-menlebt, wegen Ersparung der durch die neue Le-bensgemeinschaft zu verzeichnenden Haushalts-kosten gekürzt wegen kann. Voraussetzung hierfürist allerdings, dass der neue Partner sich angesichtsseiner eigenen finanziellen Situation (im vorlie-genden Fall verdiente die Lebensgefährtin monat-

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lich rund 1.200 – 1.400 Euro netto) an den Lebens-haltungskosten beteiligen kann. Die Herabsetzungdes Selbstbehalts, der sich derzeit für nicht er-werbstätige Unterhaltsschuldner auf 770 Euro be-läuft, ist bis auf das Existenzminimum nach sozial-hilferechtlichen Kriterien (= 347 Euro Regelsatz +Anteil an den tatsächlichen Unterkunftskosten)möglich, wodurch mitunter höhere Unterhaltszah-lungen durchgesetzt werden können.

Die Entscheidung des BGH stützt sich unter ande-rem auf die neue Rangfolge des Paragraph 1609BGB, wonach Unterhaltsansprüche minderjährigerKinder gegenüber allen anderen Unterhaltsan-sprüchen vorrangig sind. Mit der Entscheidung istein alter Streit ausgeräumt13, sodass die Entschei-dung für mehr Rechtssicherheit sorgt. Der Hin-weis des BGH, wonach beim Unterhalt minderjäh-riger Kinder der Unterhaltspflichtige gemäß Para-graph 1603 Absatz 2 BGB gehalten ist, alle ver-fügbaren Mittel zu seinem und der minderjähri-gen Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden,dürfte allerdings dafür sprechen, dass eine Herab-setzung des Selbstbehalts wegen der durch diegemeinsame Haushaltsführung mit dem Lebens-partner zu verzeichnenden Kostenersparnis beimEhegattenunterhalt und beim Elternunterhaltnicht in Betracht kommt.

Prof. Dr. Christian MüllerFachhochschule Hannover

Fakultät V – Diakonie, Gesundheit und Soziales Blumhardtstr. 2, 30625 Hannover

[email protected]

1 Inzwischen hat der Bundesgerichtshof am 16.7.2008 eineGrundsatzentscheidung zum neuen Unterhaltsrecht gefällt(XII ZR 109/05). Die Urteilsgründe lagen bei Redaktions-schluss jedoch noch nicht vor. Nach einer Mitteilung derPressestelle des Bundesgerichtshofs vom 17.7.2008 hat derBGH jedoch in seiner Entscheidung u. a. zum Ausdruck ge-bracht, dass selbst dann, wenn ein Kind im Kindergartenganztags betreut wird, dies nicht notwendig zu einer voll-schichtigen Erwerbspflicht des betreuenden Elternteils führeund dass das Berufungsgericht werde prüfen müssen, ob un-geachtet des gesetzlichen Regelfalls eines dreijährigen Be-treuungsunterhalts Fallgruppen gebildet werden könnten,die einer gewissen Pauschalierung zugänglich sind.

2 Die Entscheidung setzt sich u. a. mit zahlreichen weiterendurch das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz aufgetretenenProblemen, auf die hier nicht näher eingegangen werdenkann, sorgfältig auseinander (beispielsweise Vorwegabzugdes Zahlbetrages beim Ehegattenunterhalt; Berechnungs-modalitäten bei Konkurrenz zwischen der Kinder betreuen-den geschiedenen und neuen Ehefrau). 3 Und auch den Kosten institutioneller Kinderbetreuung (sie-he hierzu die unten besprochene Entscheidung des BGH vom5.3.2008).4 Und offensichtlich auch bei der vorliegenden Entscheidungzu Grunde gelegte »neue« Altersphasenmodell. 5 Siehe hierzu Fußn. 1. 6 Das Bundesverfassungsgericht stellt somit – anders als dasOLG Brandenburg – nicht maßgeblich darauf ab, ob ein er-zwungenen Umgangskontakt dem Kindeswohl schadet undführt in diesem Zusammenhang aus, dass hierfür ausrei-chende sozialwissenschaftliche Erkenntnisse nicht vorliegen. 7 In diesem Zusammenhang erscheint es interessant, dassauch während des Gesetzgebungsverfahrens zum Kind-schaftsrechtsreformgesetz vom 16.12.1997 (BGBl. I, 2942)der Bundesrat vorgeschlagen hatte, dass einem Kind erst abVollendung des 14. Lebensjahres ein Umgangsrecht einge-räumt werden solle, das dieses nur höchstpersönlich sollegeltend machen können ( BT-Drucks. 13/4899, S. 153,161 f.) 8 Siehe hierzu: BVerfG, NJW 2008, 845 (846). 9 So wohl auch die Einschätzung von Luthin (NJW 2008,853) in seiner Anmerkung zur Entscheidung des Bundesver-fassungsgerichts, wonach die tragende Begründung des Ge-richts »praktikabel« sei. 10 Ob das Bundesverfassungsgericht durch die vorliegendeEntscheidung allerdings ein »Kindergrundrecht« geschaffenhat, wie Adelmann in JAmt 2008, 289 ff. ausführt, sei da-hingestellt. 11 Nach Mitteilung des Statistischen Bundesamtes haben imJahr 2007 bundesweit Eltern von rund 681.000 Kindern un-ter sechs Jahre ganztägige Betreuungsangebote wahrge-nommen, was allein gegenüber dem Vorjahr einen Zuwachsvon rund acht Prozent bedeutet.12 So wohl auch Born (Anmerkung zum Urteil des BGH inFamRZ 2008, 1155, 1156), wonach die Fälle ohne Unter-haltsanspruch des betreuenden Elternteils zunehmen wer-den und der vom Gesetzgeber geforderte angemessene Be-rücksichtigung der Kinderbetreuungskosten ( BT-Drucks.16/1830, S. 17 ) durch die Zurechnung der Kindergartenko-sten zum Bedarf des Kindes Rechnung getragen wird. 13 Für die Berücksichtigung des Zusammenlebens mit einemneuen Partner beim Selbstbehalt siehe unter anderem OLGHamm, FamRZ 2005, 53, OLG München, FamRZ 2004, 485;dagegen u. a.: OLG Oldenburg, FamRZ 2004, 1669.

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Gesetze und Gerichte

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In der Sozialen Arbeit gibt es ein bemerkenswertambivalentes Verhältnis zum Schwein. Für mich inmeinen ganz jungen Jahren, als ich auf dem Dorfmit Pumpe, Plumpsklo und ungeheizten Schlaf-räumen aufwuchs, war es eindeutig etwas Tolles,wenn morgens der Hirte durch die Dorfstraßeging, sein Kuhhorn blies, wenn sich dann dieStalltore öffneten und wenn er dann die Säuedurchs Dorf trieb. Das stand für Wohlstand, ver-lässlichen Tagesablauf und – wie ich das spätereinordnen konnte – auch für einen Arbeitsplatzund biologische, naturnahe Tierhaltung.

Also was ist denn so schlimm daran, wenn abund zu ein Schwein die Dorfstraße entlang trot-tet? Ich höre diese Redensart immer einmal wie-der, wenn einige Kollegen etwas Neues auspro-bieren und diejenigen, die am Straßenrand derSozialen Arbeit stehen, höhnisch bis genervt ru-fen: »Das ist auch nur wieder so eine Sau, diedurchs Dorf getrieben wird!« Was heißt da »nureine Sau«? Das Schwein gilt als klug, ist ein Al-lesfresser wie der Mensch und hat fast die glei-chen inneren Organe. In Marzipan wird es alsGlückbringer verschenkt. Und es bereichert un-sere bildhafte Sprache mit Wendungen wie»Schwein gehabt«, »das stört doch keinSchwein«, natürlich auch weniger positiv»schweineteuer« und »kein Schwein ruft michan, keine Sau interessiert sich für mich«.

Ich glaube auch gar nicht, dass es die Leute wirk-lich stört, dass eine Sau durchs Dorf getriebenwird, sondern dass man später nichts mehr vonihr sieht. Wir hatten damals im Dorf wenigstensdie Sicherheit, dass jeden Abend die Herde ausdem Eichenwald wieder zurückkam. Im Winterwar dann auf den Höfen Schlachtfest, mit kleinenLeberwürsten als Geschenk für uns Kinder. Washat man eigentlichen von den Säuen, die heute

durch die Landschaft der Organisationen und derSozialen Arbeit getrieben werden? Die werdenfett und sind dann weg. Nein, wir wissen nochnicht einmal, ob das Schwein fett wird. Wir sehennur, dass der Schweinehirte fett geworden ist.

Also ihr Stadtmenschen! Sorgt dafür, dass die Saudie Straße nicht nur ´rauf-, sondern auch ´runterläuft. Mehrmals. Bis zum Festessen.

Aber dass der moderne Mensch eigentlich nichtsmehr von Schweinen versteht, sieht man auch ander klug-kritisch gemeinten Feststellung »vomWiegen wird das Schwein nicht fett«. Das richtetsich vor allem gegen jene in der Zunft, die be-haupten, man könne den Erfolg einer Hilfe mes-sen.

In meinem Dorf hatte jedenfalls jeder Bauer eineWaage, so mit Gewichten zum Dranhängen. Andenen habe ich schon vor der Einschulung die He-belgesetze gelernt. Ich glaube auch, dass heutenoch jeder moderne Schweinezuchtbetrieb eineWaage hat und regelmäßig das Gewicht derSchweine kontrolliert. Ob sie nicht vielleicht ab-nehmen, weil sie krank sind. Oder ob sich das teu-re Kraftfutter tatsächlich lohnt. Und von diesemWiegen werden die Schweine auch fett. Also, wersein Schwein liebt, wiegt es manchmal. Und werseinen Nutzen von der Schweinezucht haben will,wiegt es auch deswegen regelmäßig. Das gehörtzur Professionalität der Bauern.

Dr. Harald Tornowe/l/s-Institut für Qualitätsentwicklung

Diakonissenweg 4442489 Wülfrath

[email protected]

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DDiiee GGlloosssseeSchwein muss man haben.

Harald TToorrnnooww, Wülfrath

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In der Fortsetzung der Gesprächsreihe des Fach-ausschusses Jugendhilfepolitik des EvangelischenErziehungsverbandes (EREV) führten die Mitglie-der einen Austausch mit Antje Tillmann, Mitgliedim Finanzausschuss des Deutschen Bundestages.Der Arbeitsbereich des Finanzausschusses decktsich im Wesentlichen mit den Zuständigkeiten desBundesministeriums der Finanzen (mit Ausnahmeder Haushaltspolitik). Aufgabe des Ausschusses istes, Gesetzesentwürfe, Anträge, Berichte, Ent-schließungen sowie Vorlagen der EuropäischenUnion insbesondere aus dem Bereich der Steuer-politik federführend zu beraten. Die Abgeordnetendiskutieren im Ausschuss zudem Vorlagen aus denBereichen Geld, Kredit-, Finanz- und Kapitalmarktsowie Versicherungen.

Im Rahmen der Erörterung der zunehmenden Fi-nanzeinnahmen des Bundes ist oftmals die An-nahme verbunden, dass ausreichende Finanzmit-tel zur Verfügung stehen. Antje Tillmann stellte imEREV-Fachausschuss klar, dass für 2009 eineNeuverschuldung des Bundes von neun MilliardenEuro geplant ist. Angesichts dieser Situation kannnicht davon gesprochen werden, dass die Finanz-situation sich entspannt hätte. Nach ihrer Ein-schätzung können bei einer Fortführung derHaushaltspolitik die Bedingungen des Sozialstaa-tes 2030 nicht mehr aufrechterhalten werdenkönnen. Die aktuellen Rahmenbedingungen führ-ten dazu, dass die Länder anerkanntermaßen imVerhältnis zu ihren Aufgaben aktuell über mehrFinanzmittel verfügen als der Bund. Es besteht einWiderspruch zwischen den Forderungen der Län-der, finanzielle Mittel zu erhalten und den gleich-zeitigen Wunsch, die Aufgaben vom Bund immerweiter in die Regionen zu verlagern. Dies ist lautFrau Tillmann ein entscheidender Problempunktim föderalen System und führt zu einer Verschul-dungsspirale.

Im Rahmen der Föderalismusreform muss auchim Kontext der Novellierung von Gesetzen wiebeispielsweise des Kinderschutzes (Paragraph 8aSGB VIII) nach Einschätzung der Bundestagsab-geordneten darauf geachtet werden, dass dieKommunen ihren Aufgaben nachkommen. »Solange die Kämmerer mit den Einsparungen oft-mals die inhaltliche Ausgestaltung der Gesetzebestimmen, helfen auch keine Gesetzesänderun-gen«. Im Rahmen der Berichterstattung zur Ju-gendhilfe spielt oftmals das »Bildzeitungsniveau«eine entscheidende Rolle, beispielsweise unterdem Stichwort »Jugendliche gehen segeln«. Einedifferenzierte Sichtweise ist für fachfremde Bür-ger, Politikerinnen und Politiker laut Einschät-

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EREV: Dialog-PolitikGespräch mit Antje Tillmann (MdB), CDU-Finanzexpertin

Björn HHaaggeenn, Hannover

Antje Tillmann (MdB), CDU-Finanzexpertin

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zung von Antje Tillmann schwierig. Ihrer Mei-nung nach ist es Aufgabe der Fachverbände fürTransparenz und Klarheit über die Leistungenund den Wert der Kinder- und Jugendhilfe zusorgen.

Ein weiterer Themenschwerpunkt war der Bereich»Kinderrechte«. Antje Tillmann sieht hier die Ge-fahr, dass »die Familien entmündigt« werden. Esgibt ihrer Meinung nach keine Entschuldigungdafür, warum ein Kind armer Eltern morgens ohneBrot zur Schule geht. Hier muss die Verantwort-lichkeit bei den Familien gesehen werden und derBund kann nicht die Ersatzaufgaben übernehmen.Grundsätzlich sind wir aktuell in der Situation,dass die Sozialleistungen ein Niveau erreicht ha-ben, das einfache Arbeitsverhältnisse, beispiels-weise von Verkäuferinnen, übersteigt. Die Diskus-sion im Fachausschuss Jugendhilfepolitik desEREV hat gezeigt, dass Antje Tillmann sich grund-sätzlich gegen die pauschalisierten Äußerungenund Forderungen von mehr Ganztagsangebotenund dem »Wegorganisieren der Kinder« aus-spricht.

Im Rahmen der zukünftigen Besteuerung vonTagesmüttern führt die Abgeordnete aus, dassdieses eine Frage der Gerechtigkeit zu anderenpädagogischen Arbeitsfeldern darstellt. Wennbeispielsweise Erzieherinnen in Kindertagesstät-ten entsprechend einer Besteuerung unterliegen,muss dieses auch für den zunehmenden Ausbaudes Feldes von Tagesmüttern geschehen.

Die EREV-Forderung nach dem weiteren Verfol-gen der Zielsetzung von gleichwertigen Lebens-verhältnissen unterstützt Antje Tillmann. GleicheRahmenbedingungen für Kinder, Jugendliche undFamilien wird es aufgrund der divergierendenföderalen Rahmenbedingungen jedoch nicht ge-ben.

Dr. Björn HagenGeschäftsführer, EREV

Flüggestr. 2130161 Hannover

[email protected]

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EREV: Dialog-Politik, Gespräch mit Antje Tillmann (MdB), CDU-Finanzexpertin

Impressionen aus dem EREV-Fachausschuss »Jugendhilfepolitik«

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VVeerräännddeerrttee LLeebbeennssbbeeddiinngguunnggeenn jjuunnggeerr MMeennsscchheennuunndd FFaammiilliieenn eerrffoorrddeerrnn ppaasssseennddee HHiillffeekkoonnzzeepptteeuunndd eeiinnee RReefflleekkttiioonn ddeerr SSoozziiaallaarrbbeeiitt.. DDaaffüürr iisstt eeiinneeJJuuggeennddhhiillffee,, ddiiee ssiicchh aannaalloogg zzuu ddeenn ggeesseellllsscchhaaffttllii--cchheenn VVeerräännddeerruunnggeenn iinn eeiinneemm sstteettiiggeenn LLeerrnnpprroo--zzeessss bbeeffiinnddeett,, uunnaabbddiinnggbbaarr.. ZZiieell ddeess WWoorrkksshhooppsswwaarr eess,, ddeenn FFoorrsscchhuunnggssbblliicckk ddeerr EEiinnrriicchhttuunnggeenn zzuuööffffnneenn uunndd ddaass vvoorrhhaannddeennee iimmpplliizziittee WWiisssseenn zzuuTTaaggee zzuu bbrriinnggeenn.. DDeerr IImmppuullss,, ddiiee FFaacchhhhoocchhsscchhuulleennuunndd PPrraaxxiissvveerrttrreetteerr eeiinnzzuullaaddeenn,, ggiinngg vvoomm FFaacchh--aauusssscchhuussss »»PPeerrssoonnaall-- uunndd OOrrggaanniissaattiioonnsseennttwwiicckk--lluunngg«« ddeess EEvvaannggeelliisscchheenn EErrzziieehhuunnggssvveerrbbaannddeess aauuss..VVeerrttrreetteenn wwaarreenn ddiiee EEvvaannggeelliisscchheenn HHoocchhsscchhuulleennaauuss HHaannnnoovveerr,, FFrreeiibbuurrgg uunndd NNüürrnnbbeerrgg.. WWeeiitteerree IImm--ppuullssee ggiinnggeenn vvoomm IInnssttiittuutt ee//ll//ss,, WWüüllffrraatthh uunndd ddeerrDDiiaakkoonniisscchheenn JJuuggeennddhhiillffeerreeggiioonn HHeeiillbbrroonnnn aauuss..DDiiee MMooddeerraattiioonn ddeess WWoorrkksshhooppss hhaattttee HHaarraalldd MMeeiißßaallss VVoorrssiittzzeennddeerr ddeess FFaacchhaauusssscchhuusssseess üübbeerrnnoomm--mmeenn..

Die Ausgangssituation der Arbeit in den Erzie-hungshilfen ist durch Veränderungen in den Lei-stungsgebieten, der Entsäulung der Hilfen und derVeränderungen der Schullandschaft gekennzeich-net. Klaus Fröhlich-Gildhoff, Evangelische Fach-hochschule Freiburg, ging darauf ein, dass diePraxis sich weitgehend aus sich selber generiertoder auf Moden zurückgreift. Seiner Ansicht nachfehlen Kenntnisse über die Effekte des eigenenHandelns. Der Gegenstand der Forschung isthochkomplex und es ist schwer, ihm gerecht zuwerden. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dassEvaluationsstudien mit Kontroll-/Vergleichsgrup-pen, wie beispielsweise der pharmakologischenForschung, schwer zu realisieren sind. Wichtig istbei der Forschung, die Güte-Kriterien der Transpa-renz über die Theorie und das eigene Vorgeheneinzuhalten sowie die Dokumentation zu beach-ten. Es kommt darauf an, dass Design und Metho-

den des Gegenstandes angemessen zu wählenund hierbei sowohl die Ergebnisse als auch dieProzessevaluation zu beurteilen. Als Leitkriterienbezeichnet Fröhlich-Gildhoff die Merkmale Re-präsentanz und Repräsentativität im Rahmen derEvaluationsstudien. Die Ergebnisse müssen nach-vollziehbar sein und die Multiperspektivität be-rücksichtigen. Es sind also beispielsweise sowohlKinder, Jugendliche als auch Familien sowie dieöffentlichen und freien Träger mit einzubeziehen.Hierbei gilt es immer, die eigenen Grenzen zu be-nennen und zu erkennen.

Am Beispiel der Erneuerung von Praxiskonzeptenim Kontext der Jugendpflege stellte Achim Romp-pel von der Fachhochschule Hannover das Zusam-menwirken von Verwaltung, Politik und Vereinengemeinsam mit Kindern, Jugendlichen und derPolizei dar. Er bezeichnet das Forschungsteam alsSchnittmenge zwischen diesen unterschiedlichenKonstellationen. Es kommt darauf an, sich nichtim Geflecht der Beziehungsebenen zu verlieren,sondern die Objektivität zu wahren. Insbesonde-re durch Videodokumentationen und aufgezeich-nete Interviews können die Beteiligten auf diewesentlichen Kerninhalte der Forschungsvorha-ben hingewiesen werden. Hierbei gilt es, die Inter-essen zu berücksichtigen und Fragen zu beant-worten wie beispielsweise: • Welche Interessen/Erwartungen gibt es? • Wie kann Verständigung und Aushandlung ge-

fördert werden? • Wie sieht das Forschungsdesign aus und wie

wird der Erkenntnis- und Umsetzungsprozessgestaltet?

Joachim König von der Evangelischen Fachhoch-schule Nürnberg stellte am Beispiel der Selbsteva-luationsprojekte dar, dass »vom Wiegen allein die

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Rückschau: EREV-Praxisforschungsworkshop »Erziehungshilfen« am 3. Juli 2008 in Hannover- Vom Wiegen allein wird die Sau nicht fett -

Björn HHaaggeenn, Hannover

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Sau nicht fett wird«. Selbstevaluation meint indiesem Zusammenhang die Beschreibung/Be-wertung von Ausschnitten des eigenen alltägli-chen beruflichen Handelns und/oder seine Aus-wirkungen. Selbstevaluation muss zu Veränderun-gen führen. Es kommt darauf an, konzeptionellesDenken und Handeln mit empirischem Denkenund Handeln zu verknüpfen. Hierzu gehören dieFragen, Warum tue ich etwas? Mit wem, wie undwas ist wesentlich bei meinem Handeln?

Harald Tornow, e/l/s-Institut Wülfrath, ging aufdie Wissenschaftlichkeit von Wirkungsevaluationein. Insbesondere wurde die Frage erörtert, ob tat-sächlich ein Effekt zu beobachten ist oder die Ver-änderungen auf einem Zufall beruhen. In einer Si-mulation wurde auf die Frage eingegangen, wiegroß eine Stichprobe von Beobachtungen seinmuss, damit die Chance einer wahren Aussageoder einer richtigen Entscheidung verbessertwird. Zu kleine Stichproben können ebenso zu ei-ner hohen Unsicherheit der Aussagen und Ent-scheidungen führen, wie zu große Stichprobendarauf hinweisen können, dass sehr kleine undunbedeutende Effekte überbewertet werden. Eskommt von daher darauf an, nicht nur auf Signi-fikanz zu testen, sondern auch auf die Effektstär-ke zu achten. Es gilt, die Fragen zu stellen: Mes-sen wir die richtigen Dinge, wenn Aussagen überdie Effektivität von Hilfen zur Erziehung gestelltwerden? Ist der Test gegen null richtig oder wärebereits das Ergebnis »keine Veränderungen« posi-tiv, weil im Fall »keine Heimerziehung« eine Ver-schlechterung eingetreten wäre?

Im Rahmen der Darstellung von Forschungs-schwerpunkten ging Fröhlich-Gildhoff auf dieUntersuchung im Bereich der ambulanten Erzie-hungshilfen ein. Wesentlich hat sich hier he-rauskristallisiert, dass es auf eine Passung zwi-schen der Familienhelferin und der Familie an-kommt, beziehungsweise auf die Zusammenar-beit zwischen Familienhelferin, ASD-Mitarbeite-rin und Familie. Die Motivation der Familien istteilweise zu Beginn der Hilfen gering und mussim Prozess erst hergestellt werden. Zur Qualifi-

zierung der SPFH muss ein besonderes Augen-merk auf die Planungs- und Einstiegsphase ge-richtet werden. Bei der Bedeutung der Zielekommt es darauf an, dass das Abstraktionsniveauim Hilfeplan nicht zu hoch ist, da die Familienansonsten nicht erreicht werden. Die vereinbar-ten Ziele werden häufig durch den Alltag überla-gert und treten kurz vor beziehungsweise nachdem Hilfeplangespräch stärker in den Hinter-grund. Die inhaltliche Orientierung in der Arbeiterfolgt eher pragmatisch situationsorientiert.Eine systematische Planungs- und Prozesssteue-rung auf der Grundlage operationalisierter Zielemit entsprechender Auftragsklärung ist eher dieAusnahme. Der Zugang zu den Kindern erfolgt imRahmen der SPFH meistens über Freizeitaktivitä-ten und zu den Erwachsenen über konkrete All-tagssituationen. Für den Einstieg ist es positiv,wenn eine Krise gut bewältigt werden kann. ZurQualitätssicherung von SPFH ist ein kontinuierli-cher Reflektionsrahmen unerlässlich.

Eva-Maria Engel, Freiburg, führte die Ergebnissezum SPFH-Forschungsprojekt weiter aus. Im Rah-men von strukturierten Leitfadeninterviews wur-den Familien, Familienhelferinnen und ASD-Mit-arbeiterinnen befragt. Insgesamt konnten 71komplette Hilfeverläufe aus vier Perspektiven aus-gewertet werden. Im Mittelpunkt standen hierbeidie Ziele der SPFH, die Veränderungen und Er-folgskriterien. Bei den Kategorien des Leitfadensspielten beispielsweise folgende Bereiche eineRolle: Trennung/Scheidung, Familienbeziehung,Erziehung, Ämter/Einrichtungen, Gesundheit, Fi-nanzen und alltagspraktische Hilfe. Für alle Betei-ligten wurde derselbe Leitfaden eingesetzt, umdie unterschiedlichen Bereiche zu erfassen. AlsZielbereiche der SPFH zu Beginn wurden unteranderem am häufigsten genannt: angemessen aufdas Kind eingehen, Konfliktlösefähigkeit der El-tern, Regeln aufstellen und Grenzen setzen.

Der Unterstützungsbedarf im Kontext der Erzie-hung wird beispielsweise vom ASD am höchsteneingeschätzt, gefolgt von der Familienhelferinund von der Familie deutlich geringer.

242 EJ 4/2008

Rückschau: EREV-Praxisforschungsworkshop »Erziehungshilfen«

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Es erfolgt während der Hilfe kaum ein Austauschüber diese unterschiedliche »Problembewertung«.

Die Evaluation der Arbeit in Erziehungsstellenstand bei der Darstellung von Siegfried Gruhler,Diakonische Jugendhilfe Region Heilbronn, imMittelpunkt. Am Beispiel der Einrichtung wirddie Veränderung in der Erziehungshilfeland-schaft deutlich. Das Betreuungsangebot bestandbis 1981 zu hundert Prozent aus stationärenWohngruppen. Bis zum Mai 2008 wird dieseswesentlich weiter differenziert und reicht voneiner Schule für Erziehungshilfe über die Erzie-hungsstellen stationärer Krisenintervention zusozialen Trainingskursen und Erziehungsbei-standschaften. Evaluation wird in der diakoni-schen Jugendhilfe als Instrument verstanden, umden Arbeitsprozess zu qualifizieren. Die Erzie-hungsstellen sollten in einem reflexiven Prozesshinsichtlich ihrer Methoden, Ziele und Wirkun-gen untersucht werden. Themen waren hierbei:Autonomes Handeln, räumliche Vereinzelung,Entscheidungskompetenzen, Identifikation/Ver-hältnis von professioneller und privater Rolle.Ein Ergebnis ist unter anderem hinsichtlich derBedeutung des autonomen Handelns, dass alsFolge der hohen positiven Bewertung Unterstüt-zungsleistungen budgetiert wurden und Verwal-tungsvorgaben hinsichtlich der Ermöglichungvon autonomem Handeln vereinfacht wordensind. Die räumliche Vereinzelung führt zu einemunzureichenden kollegialen Austausch, sodasskollegiale Partnerschaften aufgebaut wurden,um die Vernetzung zu ermöglichen. Der regel-mäßige Austausch mit externen Kollegen unddie persönlichen Personalentwicklungspläne sol-len zu einer Identifikation, respektive Reflektiondes Verhältnisses zwischen professionellen undprivaten Kontext führen.

In der Auswertung des Praxis-Forschungswork-shops wurde deutlich, dass es darauf ankommt,die Bereiche weiter miteinander zu vernetzen. Eskommt darauf an, Einrichtungen der Erziehungs-hilfen miteinander in Kontakt zu bringen, dieForschungsbedarf in der Praxis sehen, und so

eine gemeinsame Plattform aufzubauen. Hierbeikönnen kleinere Projekte gebündelt werden, umdie Forschungsmittel effizient einzusetzen. Esbesteht ein hohes Interesse an einer Konzeptbe-gleitung und Projektentwicklung. Die Forschungsollte sich hierbei an der Alltagspraxis orientie-ren. Wesentlich ist es, dass die Evaluation diePraxis qualifizieren kann aber nicht ausschließ-lich zur Legitimierung der Arbeit herangezogenwerden darf.

Dr. Björn HagenGeschäftsführer, EREV

Flüggestr. 2130161 Hannover

[email protected]

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Rückschau: EREV-Praxisforschungsworkshop »Erziehungshilfen«

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BBuunnddeessggeessuunnddhheeiittssmmiinniisstteerriinn UUllllaa SScchhmmiiddtt ((SSPPDD))hhaatt iimm JJuunnii BBeerrlliinneerr SScchhüülleerriinnnneenn uunndd SScchhüülleerr zzuueeiinneerr DDiiaallooggvveerraannssttaallttuunngg üübbeerr ddaass TThheemmaa »»EEssss--ssttöörruunnggeenn«« eeiinnggeellaaddeenn.. AAnnsscchhlliieeßßeenndd ssttaanndd ssiiee JJuu--ggeennddlliicchheenn uunndd ddeenn MMeeddiieenn zzuu eeiinneemm IInntteerrvviieewwzzuurr VVeerrffüügguunngg..

180 Jungen und Mädchen folgten der Einladungder Ministerin. Unter dem Motto »Euer Leben hatGewicht« diskutierten sie in zwei Gesprächsrun-den zusammen mit Ulla Schmidt und prominen-ten Gästen wie Jeannette Biedermann und derbritischen Boy Group »Lexington Bridge« sowieFachleuten über die Themen »Essstörungen«,»Schönheitsideale« und »positives Selbstwertge-fühl«. Dabei setzte sich die Bundesgesundheitsmi-nisterin gegen den Schlankheitswahn und für einebewusste und gesunde Ernährung ein.

»Evangelische Jugendhilfe«: Was hat Sie zu die-ser Veranstaltung bewogen?

Ulla Schmidt: »Essstörungen sind keine Bagatelle,sondern ein unterschätztes gesellschaftliches Pro-blem. Daher ist Aufklärungsarbeit sehr wichtig.«

1,4 Millionen und damit mehr als ein Fünftel derKinder und Jugendlichen zwischen elf und 17Jahren leiden in Deutschland unter Essstörungenoder zeigen erste Symptome von Magersucht,Ess-Brech-Sucht oder Fettsucht. Laut einer Studieder Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklä-rung wollen 56 Prozent der 13- bis 14-Jährigendünner sein, knapp ein Drittel würde gern besser aussehen und knüpft diese Bedingung an das Ge-wicht.

Ulla Schmidt: »Wir wollen mit denjenigen disku-tieren, die vom Alter her am ehesten gefährdetsein können. Die Initiative dient dazu, darauf auf-

merksam zu machen und im Dialog mit der Öf-fentlichkeit sowohl das Umfeld als auch die Be-troffenen zu sensibilisieren.«

Auf einer Podiumsdiskussion, an der neben Jean-ette Biedermann und der Sängerin Jessica Wahls(No Angels) der Psychologe Hannes Niggenaber,Ratgeber bei der Jugendzeitschrift »Popcorn«, so-wie Dr. med. Lisa Pecho, ärztliche Leiterin des Ver-eins ANAD, einer therapeutischen Einrichtung fürMenschen mit Essstörungen, teilnahmen, beton-te Pecho: »Es ist längst überfällig, dass sich auchdie Politik engagiert, um langfristig das herr-schende Schönheitsideal zu verändern. Die Glei-chung: Wer dünn ist, ist schön, fit und erfolgreich,muss endlich ihre Gültigkeit verlieren.«

Hannes Niggenaber ergänzte: »Das Problem hatsich verschärft, denn Mädchen scheitern heuteam eigenen Perfektionsdenken«. Schönheitswahndürfe allerdings nicht zum Schlankheitswahn füh-ren.

Aus dem Publikum äußerten sich zahlreiche Ju-gendliche zu dem Thema und fragten beispiels-weise, was sie tun können, wenn eine Freundinstark abnimmt oder plädierten dafür, Modefotosnicht zu retuschieren. Besonders die Äußerung ei-nes Jungen »Da wird einer Person nachgeeifert,die es gar nicht gibt, das will man doch nicht«,erntete kräftigen Applaus unter den vielen Ju-gendlichen und wenigen Erwachsenen.

»Evangelische Jugendhilfe«: Liegen die Gründefür eine Essstörung nicht tiefer, als dem gängigenSchönheitsideal nacheifern zu wollen?

Ulla Schmidt: »Das Problem einer Essstörungfängt früher an, und die Familienmitgliedermüssten es getrennt voneinander bearbeiten.«

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Dialogveranstaltung »Euer Leben hat Gewicht«: Bundesgesundheitsministerium lud zum Thema »Essstörungen« ein

Annette BBrreemmeeyyeerr, Hannover

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Sie sprach sich des Weiteren für einen stärkerenSchutz von Kindern und Jugendlichen im Internetaus und begrüßte ein Vorgehen gegen unzulässi-ge Angebote, das von der Internetplattformwww.jugendschutz.net initiiert wurde. Mittelfri-stig sollen Internetanbieter in die Initiative einbe-zogen werden.

Magersucht als Lebensstil

Beispielweise gibt es Internetseiten, auf denensich die zehn Gebote der Magersüchtigen mit einpaar Klicks im Internet finden lassen. Unter demverniedlichenden Schlagwort Pro-Ana – für Ano-rexia nervosa, die Magersucht – präsentieren Be-troffene im Netz stolz ihre vermeintlichen Erfol-ge im Kampf gegen das Fett, stacheln andere Ma-gersüchtige zu immer neuen Negativrekorden an– und dokumentieren ihre Leidensgeschichte, imZweifel bis in den Tod. »Die Krankheit Magersuchtwird zu einem attraktiven Lifestyle verherrlicht«,erklärt Katja Rauchfuß von der Initiative jugend-schutz.net, die seit Ende 2005 mehr als 300 Pro-Ana-Internetseiten untersucht hat. 80 Prozentdavon »haben einen destruktiven Inhalt«, soRauchfuß.

Ulla Schmidt ermutigte in der Veranstaltung dieJugendlichen, »aufeinander zu achten und es an-zusprechen, wenn sie Veränderungen im Essver-halten der Freundin oder des Freundes feststel-len«, und eine ehemals von Magersucht betroffe-ne Frau ergänzte: »Die Krankheit war für michauch Ausdruck eines Leistungsdrucks. Ich dachteimmer, nicht auszureichen.«

Die Nationale Charta der Textil- und Modebranche

Neben der Sensibilisierung der Öffentlichkeit undverschiedenen Präventionsmaßnahmen setzt dieInitiative »Leben hat Gewicht« auf freiwilligeSelbstverpflichtungen. Ein Ergebnis dessen ist es,dass das Bundesgesundheitsministerium im Juli inZusammenarbeit mit Vertretern der deutschenTextil- und Modebranche eine Nationale Charta

erarbeitet hat, in der sie sich verpflichten, die Öf-fentlichkeit für ein gesundes Körperbild zu sensi-bilisieren und einem extremen Schlankheitsidealentgegenzutreten.

In der Charta heißt es unter anderem: Die deutsche Textil- und Modebranche ist über-zeugt von der Wichtigkeit eines branchenüber-greifenden Engagements für freie und vielfältigeKörperbilder. Gemeinsam mit weiteren Branchenwird sie Botschaften entwickeln und Aktionen in-itiieren, die einen Beitrag zur Prävention von Ess-störungen leisten.

Zeitgleich zur Dialogveranstaltung wurde dieneue Internetseite www.leben-hat-gewicht.defreigeschaltet. Die Plattform bündelt konkreteMaßnahmen sowie Informations-, Hilfs- und Be-ratungsangebote.

Annette BremeyerReferentin, EREV

Flüggestr. 2130161 Hannover

[email protected]

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Dialogveranstaltung »Euer Leben hat Gewicht«:

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Das Eylarduswerk in Bad Bentheim veranstaltetseit über zehn Jahren Fachtage, zu denen nebenMitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Eylardus-werkes auch externe Kooperationspartner einge-laden werden. Der diesjährige Fachtag war mit350 TeilnehmerInnen sehr gut besucht.

Wie schon in den vergangenen Jahren fanden dieHauptvorträge aufgrund der großen Teilnehmer-zahl in der reformierten Kirche im Stadtteil Gilde-haus statt. Der pädagogische Vorstand des Eylar-duswerkes, Detlev Krause, begrüßte die 350 Teil-nehmerInnen. Der therapeutische Leiter des Eylar-duswerkes Klaus ter Horst führte in die Thematikein und moderierte den Fachtag.

Die wichtigste Frage des Fachtages lautete:»GGeehhtt ddeennnn ddaa üübbeerrhhaauupptt nnoocchh wwaass??«« Schädigen-de frühkindliche Entwicklungsbedingungen, gene-tische Defekte, psychiatrische Erkrankungen undderen Folgen für die Kinder und Jugendlichen so-wie für die Fachkräfte standen im Mittelpunkt derVorträge und Workshops.

Die Referentinnen und Referenten nahmen unteranderem Stellung zu nachfolgenden Themen:

• Wie stark schädigt Alkohol in der Schwanger-schaft das heranwachsende Baby?

• Wie wirken sich Misshandlung und Vernachläs-sigung auf die Hirnentwicklung aus?

• Welche Hilfen gibt es für schwer traumatisiertekleine Kinder?

• Wie erkennen wir Grenzbereiche von geneti-schen Defekten, geistiger Behinderung und psy-chischer Erkrankung?

• Wo führen diese Störungsbilder die Pädagogikan Grenzen, welche Perspektiven haben diesejungen Menschen?

Diesen Fragen liegt die Erfahrung zugrunde, dasswir bei unserer Arbeit auch an Grenzen stoßen –trotz allem Bemühen, unseren Kindern und Ju-gendlichen positive Lebensperspektiven zu er-möglichen. Grenzen von Sozialarbeit, Pädagogikund Psychologie werden dort aufgezeigt, wo Kin-der schon krank auf die Welt kommen, wo Ver-nachlässigung und Misshandlung sich so schädi-gend auf die psychische und körperliche Entwick-lung von Kindern auswirken, dass wir nur nochgeringe Einflussmöglichkeiten haben.

Grenzen werden auch da erreicht, wo hilfebedürf-tige Jugendliche oder junge Erwachsene die Ju-gendhilfe verlassen: Wenn kein familiärer Rahmensie fördert und stützt, keine angemessene Wohn-und Lebenssituation vorhanden ist und keine ge-sellschaftliche Institution diesen jungen Men-schen Unterstützung, Begleitung und Schutz an-bietet.

Mit Albert Storcks, dem Neuropädiater und lei-tendem Fachbereichsarzt des St. Marienhospitalsin Vechta, referierte ein ausgewiesener Fachmannzu der Frage »Wie wirken sich Vernachlässigungenund Misshandlungen auf die Hirnentwicklungaus?«.

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»Geht denn da überhaupt noch was?«Information zum Fachtag des Eylarduswerkes am 28. Mai 2008

Klaus tteerr HHoorrsstt,, Bad Bentheim

Dr. Reinhold Feldmann, Universität Münster

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Dr. Reinhold Feldmann von der Universitätsklinikfür Kinder- und Jugendmedizin in Münster refe-rierte zum Thema »Das Problem, das man oft nichtsieht« über die Diagnostik und Auswirkung desFetalen Alkoholsyndroms (FAS) auf die kindlicheEntwicklung. Diese Behinderung ist eine Folge vonstarkem Alkoholkonsum während der Schwanger-schaft und spielt in der Jugendhilfe eine zuneh-mend größere Rolle.

Mit der Diplompsychologin Dagmar Eckers vomTraumaforum in Berlin ist es gelungen, eine Ex-pertin für die Behandlung und Therapie von früh–und wiederholt traumatisierten kleinen Kindernfür den Fachtag zu gewinnen.

Nachmittags fanden elf Workshops statt. In denWorkshops wurden weitere Beiträge zum ThemaGrenzen der Pädagogik bearbeitet. So berichteteder Diplompsychologe Dr. Stephan Theiling vomKinderhospital Osnabrück über die lebensbe-drohlichen Auswirkungen bei der Unterschätzungvon körperlichen Erkrankungen und der niederge-lassene Kinder- und Jugendpsychiater Dr. ZoranBabic zeigte die Möglichkeiten – aber vor allemauch die Grenzen – der medikamentösen Behand-lungen aus kinderpsychiatrischer Sicht auf.

Mit der Diplompsychologin Monika Biener undder Video-Home-Trainerin Marita Brümmer be-richteten zwei Mitarbeiterinnen des Eylarduswer-kes aus ihrem Alltag in der Arbeit mit kleinen Kin-dern. Beim Thema »Das unsichtbare Band sichtbarmachen« ging es um das videounterstützte Erken-nen und Behandeln von Bindungsstörungen (»Vi-deo-Interaktions-Diagnostik«)

Gudrun Holl, Diplompsychologin und langjährigeMitarbeiterin des Therapiezentrums für autistischeKinder, Jugendliche und Erwachsene in Meppen,behandelte im Workshop die Thematik des Asper-ger-Syndroms und gab Hinweise für den pädago-gischen Umgang mit diesen jungen Menschen.

Monika Lammers und Sigrid Stegemann vom Päd-agogischen Fachdienst des Stift Tilbeck in Havix-

beck zeigten anhand von Fallbeispielen Lebens-perspektiven für Menschen auf, deren Störung imGrenzbereich zwischen Jugendhilfe und dem Be-hindertenbereich liegen.

Die vielen Anmeldungen zum diesjährigen Fach-tag sind ein Beleg dafür, dass das Thema desFachtages für MitarbeiterInnen in Jugendhilfeein-richtungen und in Jugendämtern, für Kinderärzteund Kinderpsychiater, in Schulen und Kindergär-ten praxisrelevant war.

Die persönlichen Rückmeldungen zum Fachtagund die Auswertung der Evaluationsbögen erga-ben ein positives Bild von der Veranstaltung.

Die Beiträge der ReferentInnen und Workshoplei-terInnen sind auf der Homepage des Eylarduswer-kes einzusehen: www.eylarduswerk.de.

Klaus ter HorstTherapeutischer Leiter

Eylarduswerk e.V.Teichkamp 34

48455 Bad [email protected]

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»Geht denn da überhaupt noch was?« Information zum Fachtag des Eylarduswerkes

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Fachtagung zur Zukunft der Familienhilfe

Das Neukirchener Jugendhilfeinstitut veranstaltetin Verbindung mit der evangelischen Fachhoch-schule Rheinland-Westfalen-Lippe am 17. Okto-ber 2008 in Bochum eine Fachtagung zur Zukunftder Familienhilfe. Hintergrund sind neben demunscharf gewordenen Bezugsrahmen »Familie«die starken Veränderungen im Familienverständ-nis und in den Familienstrukturen, welche Rück-wirkungen auf unsere Gesellschaft haben. DieFachtagung möchte auf »Spurensuche« gehenund lädt Fachkräfte der Kinder-, Jugend- und Fa-milienhilfe freier und öffentlicher Träger zur Teil-nahme ein. Neben Professor Benjamin Benz wirdOberkirchenrat Klaus Eberl sowie Ulrike Bavendiekzum Thema referieren, Arbeitsgruppen zum The-ma und eine Podiumsdiskussion schließen dieseFachtagung ab. Die Tagung findet im Audimax derEvangelischen Fachhochschule Rheinland-West-falen-Lippe statt. Die Gesamtleitung hat der wis-senschaftliche Leiter des Neukirchener Jugend-hilfeinstituts, Prof. Dr. Ulrich Huster. Weitere In-formationen sowie den Programmfalter erhaltenSie unter [email protected] oder telefo-nisch unter 02845 / 392-570.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft EvangelischeJugendsozialarbeit (BAG EJSA) legt Praxisleitfaden zu Freiwilligendienste vor

Die BAG EJSA gibt zum Abschluss eines dreijähri-gen Modellprojekts zum Thema »Freiwilligendien-ste von jungen Menschen mit Migrationshinter-grund in den Jugendmigrationsdiensten« eineHandreichung heraus. Unter dem Titel »freiwillig?– na klar! – Freiwilligendienste von jungen Men-schen mit Migrationshintergrund in den Jugend-migrationdiensten« informiert der Praxisleitfadenüber Informationen zu den wichtigsten Aspekten

und Erfahrungen aus dem Modellprojekt. Er wur-de von der Bundeskoordinatorin Kira Funke undden ProjektleiterInnen der zehn Standorte ge-meinsam erstellt. Er steht als PDF-Datei zumDownload unter www.jmd-portal.de bei »freiwil-lig? – na klar!« zur Verfügung.

Tagung: Psychotische Welten verstehen

Die »Gesellschaft zur Förderung empirisch be-gründeter Therapieansätze bei schizophrenenMenschen« (GFTS) veranstaltet am 16./17.Oktober2008 in Stuttgart eine Fachtagung zum Thema»Psychotische Welten verstehen«. Themen der Re-ferate sind unter anderem »Need Adapted Treat-ment – verstehende Zugänge in der Behandlung«sowie »Die psychotische Ersterkrankung – subjek-tives Erleben und therapeutische Aufforderun-gen«. Nähere Informationen finden Sie unterwww.gfts.de.

Neuer Praxisleitfaden für betriebliche Kinderbetreuung

Das Bundesfamilienministerium gibt eine Bro-schüre über Kinderbetreuung im Betrieb heraus,die sich an Unternehmen aller Branchen und Grö-ßen richtet, die entsprechende Angebote für ihreBelegschaft schaffen wollen. Der neue Leitfadenfasst die verschiedenen Möglichkeiten betrieblichunterstützter Kinderbetreuung zusammen und er-gänzt diese durch anschauliche Praxisbeispiele.Die Broschüre erläutert in zehn Schritten, wie Un-ternehmen in die betrieblich unterstützte Kinder-betreuung einsteigen können – angefangen mitkompetenten Ansprechpartnern über die Ermitt-lung des Betreuungsbedarfs bis hin zur Entschei-dung für eine individuell passende Lösung der be-trieblichen Kinderbetreuung.

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Hinweise

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Der Leitfaden steht unter www.erfolgsfaktor-fa-milie.de zum Download bereit. Außerdem ist erbeim Publikationsversand der Bundesregierung,Postfach 481009, 18132 Rostock, Telefon 0180 /577 80 90 kostenlos erhältlich.

Fachtagung zur Vielfalt systemischer Sozialarbeit

An der Hochschule Merseburg (Sachsen-Anhalt)findet am 14. und 15. November 2008 die Fach-tagung »Mindestens sieben Möglichkeiten – dieVielfalt systemischer Sozialarbeit« statt. Rund 25ReferentInnen aus Praxis und Wissenschaft stel-len in Workshops und Vorträgen praktische undtheoretische Konzepte zur systemischen Sozialar-beit vor. Daneben kommen auch die Ressourcender TeilnehmerInnen zur Geltung. Am Freitag-abend liest die Berliner Autorin Felicia Zeller ausihrem Stück »Kaspar Häuser Meer«, das die Situa-tion von Mitarbeiterinnen in Jugendämtern aufeindrückliche Weise darstellt. Veranstalter derFachtagung sind Johannes Herwig-Lempp, Hoch-schule Merseburg, in Kooperation mit dem Fach-bereich Soziale Arbeit der Hochschule Merseburg(FH), der Deutschen Gesellschaft für systemischeTherapie und Familientherapie (DGSF), der Deut-schen Gesellschaft für systemische Soziale Arbeit(DSSA), der Fakultät für Soziale Arbeit und Ge-sundheit der Hochschule Coburg (FH) und demFachbereich Soziale Arbeit der Uni Bamberg. DieFachtagung richtet sich an Sozialarbeiterinnenund Sozialarbeiter aller Arbeitsbereiche. WeitereInformationen sowie die Möglichkeit zur Anmel-dung finden Sie unter www.systemische-sozialar-beit.de/fachtagung.htm.

Unternehmensvergleich »Top 100« startet ineine neue Runde

Mittelständler können sich ab sofort wieder umdie Aufnahme in die Riege der 100 innovativstenUnternehmen bewerben. Bundesweit und bran-chenübergreifend vergleicht Prof. Dr. NikolausFranke von der Wirtschaftsuniversität Wien dasInnovationsmanagement der Teilnehmer und er-

mittelt die »Top 100«. Außerdem wird der Titel»Innovator des Jahres« verliehen. Angesprochensind auch beim 17. Durchgang des renommiertenUnternehmensvergleichs Produktionsbetriebe undDienstleister gleichermaßen. Untersucht wirdinsbesondere, wie innovationsförderlich dieStrukturen sind und wie erfolgreich das innovati-ve Engagement ist. Entscheidend für die Aufnah-me des Teilnehmers in den Kreis der 100 Bestenist das Ergebnis der wissenschaftlichen Analyse inden Kategorien »Innovationsförderndes Top-Ma-nagement«, »Innovationsklima«, »Innovative Pro-zesse und Organisation«, »Innovationsmarketing«sowie »Innovationserfolg«. Startberechtigt sindUnternehmen aller Branchen mit bis zu 5.000Mitarbeitern. Die Kosten für die Bewerbung be-tragen 600 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer. Inter-essenten bewerben sich direkt online unterwww.top100.de. Bewerbungsschluss ist am 31.Oktober 2008.

EKD veröffentlicht Handreichung zu Schulenin evangelischer Trägerschaft

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) gibteine Handreichung zu Schulen in evangelischerTrägerschaft heraus. Darin geht es um eine Be-standsaufnahme zum evangelischen Schulwesenund um Perspektiven der Weiterentwicklung.Darin wird insbesondere der Frage nachgegangen,was heute die Qualität einer guten Schule aus-macht. Einerseits wird gezeigt, was evangelischeSchulen als besonderes Profil in das Bildungswe-sen einbringen können und wollen, andererseitsbeschreibt sie einen allgemeinen Anspruch, dersich an alle Schulen richtet und an dem sich des-halb auch Schulen in evangelischer Trägerschaftmessen lassen müssen. Ausgehend von zehn The-sen zur Bedeutung, den Entwicklungsaufgabenund Zukunftsperspektiven evangelischer Schulenwerden Fragen von Profil und Anspruch, Strukturund Leistung, Qualität und Ethos sowie der kirch-lichen und staatlichen Bildungsverantwortung inBezug auf evangelische Schulen behandelt.Adressaten der Handreichung sind einerseits dieBeteiligten im evangelischen Schulwesen, Mitar-

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Hinweise

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beitende an den Schulen, Schulträger wie Schul-gründungsinitiativen, aber auch die bildungspoli-tische Öffentlichkeit. Das entspricht dem Selbst-verständnis evangelischer Schulen, die sich durchihre Beteiligung an der gesellschaftlichen Ge-samtverantwortung für Kinder und Jugendlicheauch als Teil des öffentlichen Schulwesens sehen.Die Handreichung wurde erarbeitet von der Kam-mer der EKD für Bildung und Erziehung, Kinderund Jugend in Zusammenarbeit mit einer Exper-tengruppe. Sie ist erschienen im Gütersloher Ver-lagshaus und kann über den Buchhandel bezogenwerden. Nähere Informationen gibt es unterwww.ekd.de oder www.evangelische-schulen-in-deutschland.de.

Neue Fortbildungen des Burckhardthauses

Das Burckhardthaus in Gelnhausen bietet in derzweiten Jahreshälfte neben einer zweijährigenFortbildung zum Thema »Professionelle Gruppen-leitung in sozialen und pädagogischen Arbeitsfel-dern« die Fortbildungen »Struktur und Kreativitätin individuellem und Team-Denken«, »Leben Sieschon – oder organisieren Sie noch?« sowie»Case-Management im Sozial- und Gesundheits-wesen« an. Nähere Informationen finden Sie un-ter www.burckhardthaus.de.

Fördermöglichkeiten: Neue Rubrik im Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe

Ab sofort können sich Fachkräfte der Kinder- undJugendhilfe unter www.jugendhilfeportal.de ge-zielt über Fördermöglichkeiten und Wege zur Fi-nanzierung von Projektideen informieren. Sie ha-ben eine spannende Idee für eine Kampagne zurGesundheitsförderung, möchten ein multilatera-les Projekt zum Thema Antisemitismus oder einenFachkräfteaustausch im Bereich Hilfen zur Erzie-hung durchführen? Aber Sie wissen nicht, wie Siean das Geld dafür kommen können? Die neue Ru-brik »Förderinformationen« bietet nun die Mög-lichkeit, sich detailliert über Finanzierungsmög-lichkeiten für Projekte, Aktionen und Maßnahmenzu informieren. In der Infobox »Förderung durch

Bund, Länder und Kommunen« finden Sie eine systematische Auflistung der Zuständigkeitenauf den jeweiligen Ebenen mit Erläuterungen undLinks zu Antragsformularen, Antragsfristen undweiterführenden Informationen. In einer weiterenInfobox werden europäische Fördermöglichkeitenund Programme zur Förderung der Internationa-len Jugendarbeit gebündelt und Links zu Finanzie-rungsmöglichkeiten für bi- und multilateraleProjekte gesammelt.

Unter »Förderung durch Stiftungen, Tipps zuFundraising und Sponsoring« gibt es Anregungenund Hinweise zur Akquise von Stiftungsmittelnund anderen Geldern. Alle Infoboxen werdendurch Verlinkungen zu entsprechenden Förder-datenbanken und zum Quellenpool des Fach-kräfteportals ergänzt, wo Sie einschlägige Lite-ratur zum Thema finden.

Zusätzlich finden Sie in der neuen Rubrik Hinwei-se auf aktuelle Ausschreibungen und Wettbewer-be, die der Finanzierung Ihrer Projekte und Aktio-nen dienen könnten. Unser Kooperationspartner,das europäische Informationsnetzwerk Eurodesk,ergänzt das Angebot schließlich um eine monat-liche Zusammenstellung von Ausschreibungen imBereich Internationale Jugendarbeit und Europa.Das Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhil-fe ist eine Informations-, Kommunikations- undKooperationsplattform und richtet sich an alle,die aus beruflichem oder ehrenamtlichem Interes-se, Presseinformation ausbildungsbezogen mitwissenschaftlichem Hintergrund oder auch ganzallgemein zum Thema Kinder- und Jugendhilfe imInternet recherchieren.

Träger des Gemeinschaftsprojektes sind die Ar-beitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe –AGJ sowie die IJAB-Fachstelle für InternationaleJugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V.Gefördert wird das Fachkräfteportal vom Bundes-ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend (BMFSFJ) sowie von der Arbeitsgemein-schaft der Obersten Landesjugend- und Familien-behörden (AGJF). Nähere Informationen geben

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Hinweise

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Antje Klemm, [email protected] oder Dr. Anne-li Starzinger, [email protected].

ConSozial 2008: Programm liegt vor

Unter dem Motto »Zukunft: Wertschöpfung durchWertschätzung« feiert die ConSozial vom 5. bis 6.November 2008 mit Besuchern und Ausstellernihr zehnjähriges Bestehen. Zu den Jubiläumshö-hepunkten zählen ein Festabend im Messezen-trum, der Auftritt des Autors und Zeichners Wer-ner Tiki Küstenmacher sowie eine Podiumsdiskus-sion aller Präsidenten und Vorstände der FreienWohlfahrtspflege in Deutschland.

Denkanstöße zum Motto gibt Bischöfin Dr. Mar-got Käßmann im Rahmen der Eröffnung. Der Ge-neraldirektor der EU, Nikolaus G. van der Pas, be-leuchtet am zweiten Tag die europäischen Her-ausforderungen für die Sozialwirtschaft. In weite-ren rund 40 Vorträgen, Podien und Workshopsgeht es um aktuelle Fragen wie die Neuorganisa-tion im Bereich des SGB II, Jugendhilfe und Ju-gendkriminalität, Fachkräftegewinnung oder dieErschließung neuer Finanzquellen. Nähere Infor-mationen finden Sie unter www.consozial.de.

Neuveröffentlichung zum Thema »Streetwork«

In einer neuen Veröffentlichung zum ThemaHandlungsmöglichkeiten und Wirkungen vonStreetwork stellt der Autor Stefan Gillich den ak-tuellen Diskussionsstand sowie die zugrunde lie-genden Standards von Streetwork und MobilerJugendarbeit dar. Das Buch soll Anregungen zurWeiterentwicklung der Arbeitsfelder bieten undzeigen, dass Streetwork und Mobile Jugendarbeitsich den Herausforderungen stellen müssen, wiezu Menschen in ausgrenzenden oder ausgegrenz-ten Lebenssituationen Kontakte geknüpft werdenkönnen oder wie die konkreten Herausforderun-gen aussehen. Es informiert darüber, welche Er-fahrungen hilfreich sind und welche Handlungs-alternativen sich daraus ergeben. Nähere Infor-mationen erhalten Sie unter www.burckhardt-haus.de/neuebuecher.asp. ab

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Hinweise

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Kompliziert können Gedanken, Redeweisen,schriftliche Darstellungen, also geistige Produkte,aber auch die sozialen und technischen Artefak-te sein (das, was Menschen herstellen).

Menschen sind bemüht, unkomplizierte Modelleund Redeweisen und einfache (das ist das Gegen-teil von kompliziert) Technologie und Organisatio-nen herzustellen. Das hat mehrere Gründe.• Einfache Theorien: Sie gelten als eleganter und

auch irgendwie als wahrer. Vor Galileo Galileiund vor Johannes Kepler war Astronomie einehochkomplizierte Angelegenheit. Schauen Siesich mal ein mittelalterliches Astrolabium oderdie Aufzeichnung der Planetenbahnen an. Miteinem einfachen Modell (dem heliozentrischenWeltbild) und einfachen mathematischen For-meln wurde alles viel einfacher. Leider wird imdeutschen Wissenschaftsbetrieb Kompliziert-heit als Ausweis von Gelehrtheit angesehen.Vergleichen Sie mal ein amerikanisches Fach-lehrbuch mit einem deutschen.

• Einfache Technologie: Bill Gates hat sein milli-ardenschweres Microsoft-Imperium aufbauenkönnen, weil er die komplizierten Sprachen zurSteuerung von Computern in eine einfacheBildsprache übersetzt hat, die schon Vorschul-kinder verstehen können.

• Einfache Rede: Sie verbraucht beim Sender undbeim Empfänger weniger Energie und ist weni-ger fehleranfällig.

• Einfache soziale Regeln: Sie lassen sich leichtermerken und sie bieten schnellere Orientierungin unklaren Situationen.

Man kann die Welt kompliziert beschreiben. Dasmacht man am besten so, dass alles, was direktoder mit Instrumenten wahrgenommen wird, un-tereinander in Beziehung gesetzt wird und dannnoch der Wandel über die Zeit berücksichtigtwird. Das Ergebnis gäbe ein Buch, das in unserUniversum nicht hineingeht und bei dem jeder auf

der ersten Seite schon aussteigen müsste. Bereitsbei dem Zusammenhang zwischen mehr als dreiDingen gerät unser Gehirn in Verwirrung.

Eine einfachere Art, Wahrgenommenes zu be-schreiben, ist das Aufdecken von Regeln, nach de-nen sich Dinge ereignen und entwickeln. EinigeDinge funktionieren nach trivialen (das ist das Ge-genteil von komplex) Regeln: je mehr das eine,desto mehr das andere. Und umgekehrt. Und im-mer. Bis ins 19. Jahrhundert meinten Naturwis-senschaftler, es sei nur eine Frage der Zeit undman werde die ganze Welt nach solchen Regelnerklären können.

Aber in der Welt gelten überwiegend komplexeRegeln. Damit sind wir bei dem zweiten Begriff.Komplexität liegt immer dann vor, wenn das Er-gebnis einer Veränderung die Ursache einernächsten Veränderung ist. Das ist so beim Wetter,den Bewegungen der Wellen und in Populationender Biosphäre. Ein weiteres Merkmal von Komple-xität ist die Unbestimmtheit der Zusammenhän-ge (Chaos): Kleine Ursachen haben große Wirkun-gen. Diese kann man aber nicht vorhersehen. Diedritte Bedingung für Komplexität ist die Vernetzt-heit. Wenn nur hundert Dinge miteinander zu-sammenhängen, gibt es bereits mehrere Trilliar-den Kombinationsmöglichkeiten.

Komplexe Systeme lassen sich nicht steuern. Dasliegt zum einen daran, dass alle Computer derWelt nicht die Informationen verarbeiten können,die in den Zusammenhängen stecken, in denensich ein System im Inneren und zu seiner Umweltbefindet. Zusätzlich stehen lebendige komplexeSysteme einer Steuerung noch durch eine weite-re Eigenart entgegen: Sie bauen sich selber regel-mäßig um. Selbst wenn ein Supercomputer einenSteuerungsansatz finden könnte, sein Wissenwäre schon in der nächsten Runde überholt.

252 EJ 4/2008

Glossar: Komplex – kompliziert

Harald TToorrnnooww,, Wülfrath

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Angewandt auf die Sozialpädagogik bedeutet das:• Eine Theorie, ein Bericht und die Verfahrensvor-

schriften der Einrichtung können kompliziertoder einfach sein. Besser, sie wären einfach,dann käme es zu weniger Missverständnissenund das Reden und Denken wären nicht so an-strengend.

• Ein junger Mensch, seine Familie, das Team unddie Beziehungen zu Schule und Jugendamt sindimmer komplex. Trivial geht nicht, weil es hier

um das Leben selbst geht und nicht um dieTheorie des Lebens.

War das jetzt zu kompliziert?

Dr. Harald Tornowe/l/s-Institut für Qualitätsentwicklung

Diakonissenweg 4442489 Wülfrath

[email protected]

253EJ 4/2008

Glossar: Komplex – kompliziert

Nr.: 50/2008EREV – FREIE SEMINARPLÄTZE– FREIE SEMINARPLÄTZE

»Man muss sich selbst verstehen, wenn man andere verstehen will«Einführung in die Typenlehre des ENNEAGRAMMS

Inhalt und ZielsetzungIn diesem Seminar wird in die Typenlehre des Enneagramms, ein Persönlichkeitsmodell, das Sie so-wohl in Ihrem persönlichen als auch beruflichen Handeln weiterführt, eingeführt. Das Enneagrammbeschreibt neun Persönlichkeitsmuster, die sich im Denken, Fühlen und Handeln grundlegend unter-scheiden und dazu führen, dass Interpretationen von Lebenssituationen, Beziehungen und Lebens-welten völlig unterschiedlich ausfallen.Es soll darum gehen, sich und andere besser zu verstehen, warum man in bestimmten Situationen soreagiert, wie man reagiert, und auch zu verstehen, warum Menschen in bestimmten Situationen ganzanders reagieren. Wir wollen nach Wegen mit Hilfe des ENNEAGRAMMS suchen, die zur eigenen »ge-sunden« Persönlichkeitsentwicklung dienen.Spielerisch und mit heiterem Ernst werden wir uns an die neun Grundmuster, die neun Vermeidun-gen und die neun Idealisierungen annähern, wobei zwei Typentests (schriftlich und online) zur Selbst-erforschung angeboten werden.MethodikVortrag, Teilnehmer- und Teilnehmerinnenberichte, ÜbungenZielgruppeMitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die die ENNEAGRAMM-Arbeit kennen lernen möchten.Leitung Wilfried Knorr, PeitingTermin/Ort 01. – 03.12.2008, AugsburgTeilnahmebeitrag 249,- € für Mitglieder / 289,- € für Nichtmitglieder inkl. Unterbringung und

Verpflegung Teilnehmerzahl 15

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254 EJ 4/2008

Anzeige

Die EJF-Lazarus gAG ist als diakonischer Träger von Einrichtungen der Al-ten-, Jugend- und Behindertenhilfe in mehreren Bundesländern tätig. Ein Schwer-punkt in der Jugendhilfe ist die Arbeit mit delinquenten und sozial auffälligen Ju-gendlichen. Für die Erweiterung unseres stationären Angebots in Selb/Bayern su-chen wir ab sofort

pädagogische Fachkräfte

Sie wollen einen aktiven Beitrag dazu leisten, die neuen Strukturen mit Lebenzu füllen und weiter zu entwickeln. Die Arbeit mit schwierigen Jugendlichensehen Sie als Herausforderung, Sie verfügen über fachlich fundiertes pädago-gisches Wissen und setzen dieses in der Alltagsstruktur einer Wohngruppe mitsechs bis acht Jugendlichen professionell um. Sie schätzen die innovativenIdeen eines jungen Teams und bringen mit Begeisterung Ihre eigene Kreativi-tät und Ihre Fähigkeiten ein.

Wir erwarten:• eine qualifizierte pädagogische Ausbildung (Sozialpädagoge/in, Erzieher/in)• mehrjährige Berufserfahrung im Jugendhilfebereich• Selbständigkeit, Eigenverantwortung und Kommunikationsfähigkeit• Engagement, Zuverlässigkeit und Flexibilität• Entscheidungs- und Konfliktfähigkeit• EDV-Kenntnisse, Führerschein

Wir bieten eine verantwortungsvolle Position mit Zukunftsperspektive. Die Vergü-tung erfolgt nach AVR-DWBO mit zusätzlichen Sozialleistungen. Die Stellen sindvorerst für zwei Jahre befristet.

Ihre aussagekräftige Bewerbung senden Sie bitte mit frankierten Rück-umschlag an: EJF-Lazarus gAG, Frau Krauss-Ranzinger, Franken 24, 95163 Weißen-stadt, [email protected]

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255EJ 4/2008

Nr.: 52/2008EREV – FREIE SEMINARPLÄTZE– FREIE SEMINARPLÄTZE

»Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne …« PraktikantInnen anleiten, begleiten und beraten

Für die Berufsqualifizierung von pädagogischen Fachkräften ist der Verlauf praktischer Ausbildungs-abschnitte (Praktika) von großer Bedeutung. Für einen erfolgreichen Verlauf brauchen Auszubilden-de Anleitung, Begleitung und Beratung. Die Anleitung von PraktikantInnen ist aber kein Bestandteil der grundständigen Ausbildung von Fach-kräften in der Sozialen Arbeit, obwohl diese Ausbildungsaufgabe fast jede/n Pädagoge/-in trifft.

Die Einführung neuer (späterer) BerufskollegInnen in das eigene Arbeitsfeld nimmt eine Schlüssel-position in der Personalentwicklung ein. Methodisches Wissen wird vermittelt und erfahrbar gemacht.Aber auch Grundhaltungen, Werte und Normen, ethische Orientierungen und die Motivationsgrund-lage werden geprägt. Anleiter/-innen brauchen personale Kompetenz, Selbstevaluation, Feldkompetenz und didaktischeKompetenz. Die dreitägige Fortbildung ist als praxisorientierter Lehr- und Lernprozess konzipiert undsetzt die aktive Beteiligung der TeilnehmerInnen voraus. Das Angebot soll die Anleitungstätigkeit optimieren und unterstützen.

Inhalte• Rollen, Selbstverständnis und Haltungen von PraktikantInnen • Chancen und Grenzen von PraktikantInnen • das Praktikum als Entwicklungsprozess (Ausbildungsplan) • Phasenorientierung im Praktikum • Praxisanleitung im Spannungsfeld unterschiedlicher Erwartungen • Umgang mit Krisen und Zweifeln von und an PraktikantInnen • Reflexionsgespräche und Feedback • Beurteilungen und Zeugnisse • Funktion und Rollenverständnis von Anleitung • eigenes Mentoren-Konzept

MethodikTheoretische Impulse und Diskussion im Plenum, Kleingruppenarbeit, Übungen, Fallbesprechungen,Rollenspiele.

ZielgruppeErfahrene und unerfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Sozialen Arbeit, die Praktikan-tInnen anleiten (möchten).

Leitung Sandra Grundmann, Bad Bentheim; Gertrud Meinzer, OsnabrückTermin/Ort 03. – 05.12.2008 in Lage Teilnahmebeitrag 249,- € für Mitglieder / 289,- € für Nichtmitglieder inkl. Unterbringung und

Verpflegung Teilnehmerzahl 20

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256 EJ 4/2008

Nr.: 54/2008EREV – FREIE SEMINARPLÄTZE– FREIE SEMINARPLÄTZE

Selbstsicherheitstraining»Bullying, ›Abziehen‹, Erpressung, Drangsalierungen,

Beleidigungen und Bedrohungen ...«Wissen und Fertigkeiten im Umgang mit Konflikten und Angriffen

durch Kinder und Jugendliche

Inhalt und ZielsetzungIn den vergangenen Jahren hat sich der »soziale Raum Schule« ebenso wie die Bedingungen im Be-reich der pädagogisch-erzieherischen Aufgaben in Erziehungseinrichtungen für alle Beteiligten ver-ändert. Als ein Teil dieses Wandels dürfte das Phänomen des massiv grenzverletzenden Verhaltens vonKindern und Jugendlichen gewertet werden. Dabei variieren die einzelnen störenden Verhaltenswei-sen und Ausprägungsgrade, fast immer jedoch können aggressive Formen wie Bullying, ›Abziehen‹,Erpressung, Drangsalierungen, Beleidigungen und Bedrohungen sowie tätliche Attacken festgestelltwerden. Solche Übergriffe beeinträchtigen nachhaltig eine förderliche Lernatmosphäre, gleichsam istder erzieherische Umgang mit deutlich aggressiv auffälligen Betreuten für Pädagogen und Erziehererheblich erschwert. So geraten immer öfter Lehrer und Lehrerinnen oder erzieherisch tätige Mitar-beiter/-innen in den Fokus von verbalen und körperlichen Attacken, die von Kindern und Jugendli-chen ausgehen.

Der Schwerpunkt der Trainerausbildung liegt darauf, Wissen und Fertigkeiten vermitteln zu können,sodass Betroffene sich im Vorfeld von Konflikten und Angriffen kompetent verhalten können undTechniken und Strategien zur Deeskalation von beginnenden Konflikten erlernen. Ferner werden Mög-lichkeiten zur Abwehr von akuten Attacken dargestellt, sodass konkrete Verteidigungstechniken er-lernt werden, um sich ggf. kompetent zur Wehr setzen zu können.

MethodikImpulsreferate, Rollenspiele, psychomotorische Übungselemente zum Körpergefühl, Spiele zur Persön-lichkeitsförderung, Aufmerksamkeitsschulung, Abwehrtechniken

ZielgruppeLehrer und Lehrerinnen, pädagogische Fachkräfte, die ihr Wissen und ihre Fähigkeiten im Umgang mitaggressiven Kindern und Jugendlichen verbessern möchten.

Leitung Dirk Baasch, RendsburgTermin/Ort 08. – 12.12.2008 in VlothoTeilnahmebeitrag 425,- € für Mitglieder / 475,- € für Nichtmitglieder inkl. Unterbringung und

Verpflegung Teilnehmerzahl 18