EDITORIAL 5 - shop.zeit.de · Europa eifert dem britischen Vorbild nach ... Ein Einblick in Marx’...

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3 Fundstück 6 Die Fabrik Bilder vom Aufbruch in eine neue Zeit 14 Volle Dampfkraft voraus! Erfindergeist und Kolonien: Wie England zur Lokomotive der Industriellen Revolution wird Von Ralf Zerback 20 Landkarte seines Lebens Eine Marx-Biografie nach Städten 22 Die Revolution füttert ihre Kinder Europa eifert dem britischen Vorbild nach – doch nur einzelne Regionen brechen ins Industrie-Zeitalter auf Von Toni Pierenkemper 28 Warten auf den Knall Erst setzt Marx auf proletarischen Kampfgeist, dann auf die große Krise Von Jan Gerber 34 Für einen Taler die Woche Der Kapitalismus lässt die alte Ordnung im Handwerk kollabieren Von Thomas Welskopp 40 »Das Kapital« Marx’ berühmtes Werk: Ein Wegweiser für Einsteiger Von Gero von Randow 42 Partei des Proletariats In der Folge der Industrialisierung entsteht die deutsche Arbeiterbewegung Von Stefan Berger 46 Das Gold der Grube Steinkohle wird zum Treibstoff des Fortschritts – und das Ruhrgebiet zum Maschinenraum Europas Von Franz-Josef Brüggemeier 54 Kein Plan Revolution, und dann? Marx’ Vorstellungen über die Zukunft bleiben vage Von Gerd Koenen 56 »Vom blinden Wurm zum sehenden Gott« Warum faszinierte dieser Denker so sehr? Ein Porträt der ersten Marxisten Von Christina Morina 60 Streit um das Erbe Eduard Bernstein bricht mit Marx und bringt die SPD auf neuen Kurs Von Maximilian Probst 64 Der Krise auf der Spur Sammeln, ausschneiden, auflisten: Ein Einblick in Marx’ Panini-Album 66 Ungeheure Apparate Sie revolutioniert Arbeit und Leben: Über die Macht der Maschine Von Martin Burckhardt 70 Die wahre Revolution Radikal neu im 19. Jahrhundert ist nicht die Industrialisierung, sondern ihre Überwindung Von Werner Abelshauser 78 Alle Welt als Ware Marx und Engels sehen bereits 1848 den globalen Kapitalismus voraus Von Werner Plumpe 80 Drei Brüder mit gutem Draht Werner, Carl und Wilhelm Siemens verwandeln ihre Telegrafenwerkstatt in eine Weltfirma Von Martin Lutz 86 »Ein Kübel Dreck« Wer sich Marx widersetzt, bekommt seinen Zorn zu spüren Von Alexander Cammann 92 Der große Sprung Im 18. Jahrhundert überholt Europas Wirtschaft den Rest der Welt. Die Forscher streiten, was dafür den Ausschlag gab Von Sven Beckert 98 Umkämpfte Kathedrale Die Marx-Engels-Gesamtausgabe ist ein Mammutwerk. Doch das Ende ist in Sicht Von Christoph Dieckmann 104 »Neue Regeln für den Markt« Was hat uns Marx heute noch zu sagen? Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Ökonom Hans-Werner Sinn im Streitgespräch 110 Bücher / Bildnachweise / Impressum 112 Zugabe 114 Vorschau INHALT 3 / 18 Gruben-Schätze Vier Relikte erzählen vom harten und gefährlichen Arbeitsalltag der Bergleute. Seite 33, 63, 77 und 91 Der unsterbliche Prophet An Karl Marx scheiden sich die Geister. Für die einen ist er ein Säulenheiliger, der die kapitalistische Logik messerscharf seziert; für die anderen ein rostiger Ideologe, schon zu Lebzeiten wider- legt. Der Streit um ihn, der einst die Arbeiterbewegung ent- zweite, währt bis heute, bis zu seinem 200. Geburtstag. Das »Gespenst des Kommunismus«, das Marx einst heraufbeschwor, ist er selbst: Wie ein Unsterblicher wandelt er unter uns, um die Krisen des 21. Jahrhunderts zu erklären. Kaum ein alter Denker wird so häufig in den Zeugenstand gerufen wie Marx. Und kaum einer wird so vergöttert und verteufelt. Dass der Altmeister des Klassenkampfes immer noch Gräben reißt, liegt nicht nur am ideologischen Ballast, der ihm aufgeladen wird – so als könne er für alle Regime haften, die sich auf ihn beriefen. Es liegt auch an Marx selbst. In seinen Werken sind Genialität und Großirrtum zwei Seiten derselben Theorie. So bestechend er den Code des Kapitalismus entschlüsselt, so ein- fältig erscheint seine Vorstellung, die Geschichte laufe wie auf Schienen der Weltrevolution entgegen. Verstehen kann man seinen resoluten Materialismus nur, wenn man ihn mit Blick auf seine Entstehungszeit im 19. Jahrhundert betrachtet, eine Epoche gewaltiger Umbrüche. Genau darum geht es in diesem Heft. Zeitlebens hat sich Marx abgearbeitet an den Folgen der In- dustriellen Revolution, die alte Gewissheiten zerstörte, Gesell- schaften umpflügte, Wohlstand und Elend neu verteilte. Erst diese sozialen Verwerfungen brachten eine Arbeiterklasse im Marxschen Sinne hervor – und einen Kapitalismus, der mächti- ger war als je zuvor. So weit sind sich die Wirtschaftshistoriker einig. Umstritten ist, ob sich die Wirtschaft tatsächlich in der Industrialisierung neu erfand oder erst durch deren Überwin- dung, im Übergang zu einer postindustriellen Ökonomie. Die Autoren dieses Heftes beantworten diese Frage unter- schiedlich. Das ist kein Manko; gerade die Widersprüche sind bereichernd. Sie hervorzuheben ist das Prinzip dieses Heftes. Ge- schichte lässt sich nur verstehen, wenn man sie von unterschied- lichen Standpunkten aus betrachtet. Das gilt für die Industrielle Revolution – und noch mehr für die Bewertung von Karl Marx. Das Feuer des industriellen Umbruchs ist in Deutschland längst erloschen. Der symbolische Schlussakt folgt Ende des Jahres, wenn die beiden letzten Steinkohle-Zechen schließen. Sollte damit nicht auch Marx, der ewige Wirtschaftsweise, in den Ruhestand treten? Seine hingebungsvolle Sterbebegleitung für den Kapitalismus erklärt nicht mehr viel; auch die globale und digitale Entfesselung kennt kein inneres Verfallsdatum. Und doch würde etwas fehlen ohne Marx. Sein Scharfsinn und vor allem: seine Moral. Der ungetrübte Blick dafür, dass ökonomischer Wandel Gewinner und Verlierer hinterlässt – er hilft uns auch heute, allzu träumerischen Glücksverheißungen zu misstrauen. FRANK WERNER Chefredakteur ROTE LEUCHTE: In seiner Heimatstadt Trier ist Marx allgegenwärtig. Zum 200. Geburtstag grüßt er sogar als Ampelmännchen TITEL: Karl-Marx-Porträtfoto von John Mayall (1875); Ölgemälde »Das Eisenwalz- werk« von Adolph von Menzel (um 1875) Weitere Texte im Internet: www.zeit.de/zeit-geschichte 5 4 EDITORIAL

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3 Fundstück

6 Die Fabrik Bilder vom Aufbruch in eine neue Zeit

14 Volle Dampfkraft voraus!Erfindergeist und Kolonien: Wie England zur Lokomotive der Industriellen Revolution wird Von Ralf Zerback

20 Landkarte seines LebensEine Marx-Biografie nach Städten

22 Die Revolution füttert ihre KinderEuropa eifert dem britischen Vorbild nach – doch nur einzelne Regionen brechen ins Industrie-Zeitalter auf Von Toni Pierenkemper

28 Warten auf den KnallErst setzt Marx auf proletarischen Kampfgeist, dann auf die große Krise Von Jan Gerber

34 Für einen Taler die WocheDer Kapitalismus lässt die alte Ordnung im Handwerk kollabieren Von Thomas Welskopp

40 »Das Kapital«Marx’ berühmtes Werk: Ein Wegweiser für Einsteiger Von Gero von Randow

42 Partei des ProletariatsIn der Folge der Industrialisierung entsteht die deutsche Arbeiterbewegung Von Stefan Berger

46 Das Gold der GrubeSteinkohle wird zum Treibstoff des Fortschritts – und das Ruhrgebiet zum Maschinenraum Europas Von Franz-Josef Brüggemeier

54 Kein PlanRevolution, und dann? Marx’ Vorstellungen über die Zukunft bleiben vage Von Gerd Koenen

56 »Vom blinden Wurm zum sehenden Gott«Warum faszinierte dieser Denker so sehr? Ein Porträt der ersten Marxisten Von Christina Morina

60 Streit um das ErbeEduard Bernstein bricht mit Marx und bringt die SPD auf neuen Kurs Von Maximilian Probst

64 Der Krise auf der SpurSammeln, ausschneiden, auflisten: Ein Einblick in Marx’ Panini-Album

66 Ungeheure ApparateSie revolutioniert Arbeit und Leben: Über die Macht der Maschine Von Martin Burckhardt

70 Die wahre RevolutionRadikal neu im 19. Jahrhundert ist nicht die Industrialisierung, sondern ihre Überwindung Von Werner Abelshauser

78 Alle Welt als WareMarx und Engels sehen bereits 1848 den globalen Kapitalismus voraus Von Werner Plumpe

80 Drei Brüder mit gutem DrahtWerner, Carl und Wilhelm Siemens verwandeln ihre Telegrafenwerkstatt in eine Weltfirma Von Martin Lutz

86 »Ein Kübel Dreck«Wer sich Marx widersetzt, bekommt seinen Zorn zu spüren Von Alexander Cammann

92 Der große SprungIm 18. Jahrhundert überholt Europas Wirtschaft den Rest der Welt. Die Forscher streiten, was dafür den Ausschlag gab Von Sven Beckert

98 Umkämpfte KathedraleDie Marx-Engels-Gesamtausgabe ist ein Mammutwerk. Doch das Ende ist in Sicht Von Christoph Dieckmann

104 »Neue Regeln für den Markt«Was hat uns Marx heute noch zu sagen? Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Ökonom Hans-Werner Sinn im Streitgespräch

110 Bücher / Bildnachweise / Impressum 112 Zugabe 114 Vorschau

I N H A LT3/ 18

Gruben-SchätzeVier Relikte erzählen vom harten und gefährlichen Arbeitsalltag der Bergleute. Seite 33, 63, 77 und 91

Der unsterbliche ProphetAn Karl Marx scheiden sich die Geister. Für die einen ist er ein Säulenheiliger, der die kapitalistische Logik messerscharf seziert; für die anderen ein rostiger Ideologe, schon zu Lebzeiten wider-legt. Der Streit um ihn, der einst die Arbeiterbewegung ent-zweite, währt bis heute, bis zu seinem 200. Geburtstag. Das »Gespenst des Kommunismus«, das Marx einst heraufbeschwor, ist er selbst: Wie ein Unsterblicher wandelt er unter uns, um die Krisen des 21. Jahrhunderts zu erklären. Kaum ein alter Denker wird so häufig in den Zeugenstand gerufen wie Marx. Und kaum einer wird so vergöttert und verteufelt.

Dass der Altmeister des Klassenkampfes immer noch Gräben reißt, liegt nicht nur am ideologischen Ballast, der ihm aufgeladen wird – so als könne er für alle Regime haften, die sich auf ihn beriefen. Es liegt auch an Marx selbst. In seinen Werken sind Genialität und Groß irrtum zwei Seiten derselben Theorie. So bestechend er den Code des Kapitalismus entschlüsselt, so ein-fältig erscheint seine Vorstellung, die Geschichte laufe wie auf Schienen der Welt revo lu tion entgegen. Verstehen kann man seinen resoluten Materialismus nur, wenn man ihn mit Blick auf seine Entstehungszeit im 19. Jahrhundert betrachtet, eine Epoche gewaltiger Umbrüche. Genau darum geht es in diesem Heft.

Zeitlebens hat sich Marx abgearbeitet an den Folgen der In-dustriellen Re vo lu tion, die alte Gewissheiten zerstörte, Gesell-schaften umpflügte, Wohlstand und Elend neu verteilte. Erst

diese sozialen Verwerfungen brachten eine Arbeiterklasse im Marxschen Sinne hervor – und einen Kapitalismus, der mächti-ger war als je zuvor. So weit sind sich die Wirtschaftshistoriker einig. Umstritten ist, ob sich die Wirtschaft tatsächlich in der Industrialisierung neu erfand oder erst durch deren Überwin-dung, im Übergang zu einer postindustriellen Ökonomie.

Die Autoren dieses Heftes beantworten diese Frage unter-schiedlich. Das ist kein Manko; gerade die Widersprüche sind bereichernd. Sie hervorzuheben ist das Prinzip dieses Heftes. Ge-schichte lässt sich nur verstehen, wenn man sie von unterschied-lichen Standpunkten aus betrachtet. Das gilt für die Industrielle Re vo lu tion – und noch mehr für die Bewertung von Karl Marx.

Das Feuer des industriellen Umbruchs ist in Deutschland längst erloschen. Der symbolische Schlussakt folgt Ende des Jahres, wenn die beiden letzten Steinkohle-Zechen schließen. Sollte damit nicht auch Marx, der ewige Wirtschaftsweise, in den Ruhestand treten? Seine hingebungsvolle Sterbebegleitung für den Kapitalismus erklärt nicht mehr viel; auch die globale und digitale Entfesselung kennt kein inneres Verfallsdatum.

Und doch würde etwas fehlen ohne Marx. Sein Scharfsinn und vor allem: seine Moral. Der ungetrübte Blick dafür, dass ökonomischer Wandel Gewinner und Verlierer hinterlässt – er hilft uns auch heute, allzu träumerischen Glücksverheißungen zu misstrauen.

FRANK WERNER

Chefredakteur

ROTE LEUCHTE: In seiner Heimatstadt Trier ist Marx allgegenwärtig. Zum 200. Geburtstag grüßt er sogar als Ampelmännchen

TITEL: Karl-Marx-Porträtfoto von John Mayall (1875); Ölgemälde »Das Eisenwalz-werk« von Adolph von Menzel (um 1875)

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