Editorial

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Editorial Wolfgang Greiner Universita ¨t Bielefeld, Fakulta ¨t fu ¨ r Gesundheitswissenschaften, AG5 - Gesundheitso ¨ konomie und Gesundheitsmanagement, Bielefeld, Deutschland Liebe Leserinnen und Leser, vor einigen Monaten hat der Herausgeberrat der deutschen Ausgabe von PharmacoEconomics beschlossen, von Zeit zu Zeit Schwerpunkthefte zu besonders kontrovers diskutierten aktuellen Themen herauszubringen. Ziel soll es dabei nicht sein, die vielen Diskussionsrunden auf Kongressen und Tagungen zu Modethemen um weitere Druckerzeugnisse zu erga¨ nzen, sondern the- menbezogen Schlaglichter auf die gesundheits- o¨ konomische Forschungslandschaft in Deutsch- land zu werfen. Auch die Leserschaft unseres Journals ist herzlich eingeladen, sich an dieser Diskussion und an der Vorbereitung weiterer Themenhefte zu beteiligen. Den Anfang dazu hat dankenswerterweise Prof. Dr. Steffen Fleba von der Universita¨ t Greifswald gemacht, der das vorliegende Themenheft zur ,,individualisierten Medizin’’ konzipiert und koordiniert hat. Das Thema eignet sich gerade deshalb als Auftakt fu¨r unsere Themenhefte, weil es ex- emplarisch die Verbindung von Medizin, Phar- makologie, Ethik und natu¨rlich O ¨ konomie deut- lich macht: Die wirtschaftlichen Potentiale von auf medizinisch definierten Patientensubgruppen basierten Therapiekonzepten stellen an die phar- makologische Forschung tendenziell ho¨here An- forderungen als dies bei den klassischen Block- bustern der 80er und 90er Jahre der Fall war. Es verbinden sich damit auch viele ethische Frage- stellungen, zum Beispiel wie es um die Rechte der Patienten auf Nichtwissen und das Ignorieren bestimmter genetischer Pra¨ dispositionen bestellt ist. Fragen dieser Art stellen sich, wenn es dazu kommen sollte, dass in Systemen kollektiver so- zialer Sicherung der Einzelne immer mehr unter Druck gera¨t, z. B. eine genetische Abkla¨rung durchfu¨hren zu lassen, um aufwa¨ndige Behand- lungen und damit verbundene Kosten fu¨r die Versichertengemeinschaft zu vermeiden. Allerdings geho¨rt zum vollsta¨ndigen Bild der in- dividualisierten Medizin auch, dass die Erwar- tungen an diesen Forschungszweig derzeit noch weit ho¨her sind als die bisher gezeigten Ergeb- nisse. Gerade aber die zu erwartenden immensen Kosten innovativer Krebsbehandlungsmedika- mente, die ha¨ufig gleichzeitig mit hohem Risiko unerwu¨nschter Arzneimittelwirkungen verbun- den sind, machen deutlich, dass annehmbare Kosteneffektivita¨ten vermutlich ohne eine sta¨r- kere Stratifizierung auf Patientengruppen, die von dem Therapieregime profitieren ko¨nnten, kaum noch erreichbar sein werden. In dem ersten Beitrag dieses Bandes von Fleba und Marschall wird es deshalb diskutiert, ob die individualisierte Medizin weiterhin lediglich ein Nischenpha¨ nomen bleibt oder einen echten Paradigmenwechsel einleitet. Der Beitrag nennt auch deutlich die Barrieren, die derzeit einer sta¨ rkeren Verbreitung individualisierter Medizin insbesondere in Deutschland entgegenstehen. Es folgen dann zwei Anwendungsbeispiele: Im ers- ten geht es um Einsparpotentiale individueller Pharmakotherapie durch Identifikation von Polymorphismen, welche Meier et al. auf mehrere 100 Millionen Euro allein fu¨ r die GKV scha¨ tzen. Das zweite Anwendungsbeispiel, Herceptin bei metastasierendem Brustkrebs, gilt quasi als Klassi- ker der personalisierten Krebstherapie. Siebert und Rochau arbeiten dabei in Ihrem Beitrag die besonderen Herausforderungen einer gesundheits- o¨konomischen Modellierung bei individualisierten Therapiekonzepten heraus. Schlieblich stellen EDITORIAL PharmacoEconomics German Research Articles 2012; 10 (2): 51-52 1612-3727/12/0002-0051/$49.95/0 ª 2012 Springer International Publishing AG. All rights reserved.

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EditorialWolfgang Greiner

Universitat Bielefeld, Fakultat fur Gesundheitswissenschaften, AG5 - Gesundheitsokonomie und

Gesundheitsmanagement, Bielefeld, Deutschland

Liebe Leserinnen und Leser,

vor einigen Monaten hat der Herausgeberratder deutschen Ausgabe von PharmacoEconomicsbeschlossen, von Zeit zu Zeit Schwerpunktheftezu besonders kontrovers diskutierten aktuellenThemen herauszubringen. Ziel soll es dabei nichtsein, die vielen Diskussionsrunden auf Kongressenund Tagungen zu Modethemen um weitereDruckerzeugnisse zu erganzen, sondern the-menbezogen Schlaglichter auf die gesundheits-okonomische Forschungslandschaft in Deutsch-land zu werfen. Auch die Leserschaft unseresJournals ist herzlich eingeladen, sich an dieserDiskussion und an der Vorbereitung weitererThemenhefte zu beteiligen. Den Anfang dazu hatdankenswerterweise Prof. Dr. Steffen Fleba vonder Universitat Greifswald gemacht, der dasvorliegende Themenheft zur ,,individualisiertenMedizin’’ konzipiert und koordiniert hat.

Das Thema eignet sich gerade deshalb alsAuftakt fur unsere Themenhefte, weil es ex-emplarisch die Verbindung von Medizin, Phar-makologie, Ethik und naturlich Okonomie deut-lich macht: Die wirtschaftlichen Potentiale vonauf medizinisch definierten Patientensubgruppenbasierten Therapiekonzepten stellen an die phar-makologische Forschung tendenziell hohere An-forderungen als dies bei den klassischen Block-bustern der 80er und 90er Jahre der Fall war. Esverbinden sich damit auch viele ethische Frage-stellungen, zum Beispiel wie es um die Rechte derPatienten auf Nichtwissen und das Ignorierenbestimmter genetischer Pradispositionen bestelltist. Fragen dieser Art stellen sich, wenn es dazukommen sollte, dass in Systemen kollektiver so-zialer Sicherung der Einzelne immer mehr unter

Druck gerat, z. B. eine genetische Abklarungdurchfuhren zu lassen, um aufwandige Behand-lungen und damit verbundene Kosten furdie Versichertengemeinschaft zu vermeiden.Allerdings gehort zum vollstandigen Bild der in-dividualisierten Medizin auch, dass die Erwar-tungen an diesen Forschungszweig derzeit nochweit hoher sind als die bisher gezeigten Ergeb-nisse. Gerade aber die zu erwartenden immensenKosten innovativer Krebsbehandlungsmedika-mente, die haufig gleichzeitig mit hohem Risikounerwunschter Arzneimittelwirkungen verbun-den sind, machen deutlich, dass annehmbareKosteneffektivitaten vermutlich ohne eine star-kere Stratifizierung auf Patientengruppen, dievon dem Therapieregime profitieren konnten,kaum noch erreichbar sein werden.

In dem ersten Beitrag dieses Bandes von Flebaund Marschall wird es deshalb diskutiert, ob dieindividualisierte Medizin weiterhin lediglich einNischenphanomen bleibt oder einen echtenParadigmenwechsel einleitet. Der Beitrag nenntauch deutlich die Barrieren, die derzeit einerstarkeren Verbreitung individualisierter Medizininsbesondere in Deutschland entgegenstehen. Esfolgen dann zwei Anwendungsbeispiele: Im ers-ten geht es um Einsparpotentiale individuellerPharmakotherapie durch Identifikation vonPolymorphismen, welcheMeier et al. auf mehrere100 Millionen Euro allein fur die GKV schatzen.Das zweite Anwendungsbeispiel, Herceptin beimetastasierendem Brustkrebs, gilt quasi als Klassi-ker der personalisierten Krebstherapie. Siebertund Rochau arbeiten dabei in Ihrem Beitrag diebesonderen Herausforderungen einer gesundheits-okonomischen Modellierung bei individualisiertenTherapiekonzepten heraus. Schlieblich stellen

EDITORIALPharmacoEconomics – German Research Articles 2012; 10 (2): 51-52

1612-3727/12/0002-0051/$49.95/0

ª 2012 Springer International Publishing AG. All rights reserved.

Langanke et al. den ,,Greifswald-Approach toIndividualized Medicine’’ (GANI_MED-Projekt)vor. Es handelt sich um ein laufendes Projekt, dassich als Ziel die Translation individualisierterMedizin in die klinische Praxis gesetzt hat und indem bislang bereits knapp 400 Patienten re-krutiert wurden. Der Beitrag zeigt auf, in welcherWeise die hier besonders kritischen Fragen desDatenschutzes und der Forschungsethik beant-wortet werden konnen und wie hoch die Be-reitschaft von Patienten ist, sich im Rahmenprospektiver Studien zur individualisiertenMedi-zin an erganzenden gesundheitsokonomischenDatenerhebungen zu beteiligen.

Der Herausgeberrat des Journals freut sich aufIhre kritische Ruckmeldung und Ideen fur wei-tere Themenhefte. Wie bei anderen Manu-skripten ist dabei unser Themenspektrum breitaufgestellt und reicht von klassischen Kosten-Nutzenbewertungen und Lebensqualitatsstudienbis zur Gesundheitssystemforschung und ande-ren okonomischen Aspekten des Gesundheitswe-sens. Wir freuen uns auf Ihre Beitrage und kon-nen Ihnen wie bisher eine Review-Zeit vonunter sechs Wochen, eine sofortige Zitierbarkeitmittels Online-First Publikation sowie die Ver-offentlichung in einer der beiden nachfolgendenPrintausgaben garantieren.

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ª 2012 Springer International Publishing AG. All rights reserved. PharmacoEconomics – German Research Articles 2012; 10 (2)