Edmund Hans Braun · 2017. 11. 6. · Edmund Braun Hans ì I vERLAG STYRIA GRAZ wIEN KöLN 1978...

3
Edmund Braun Hans ì I vERLAG STYRIA GRAZ wIEN KöLN 1978 Verlag Styria Graz Vy'ien Köln Alle Rechte vorbehalten Printed in Austria Umschlaggestaltung : H. Paar, Graz Satz und Druck: Druck- und Verlagshaus Styria, Graz Bindung: Wiener Verlag, Himberg bei Wien ISBN 3-222-10953_2 VORWORT Wissenschaft wird heute für den Nichtfachmann immer schwerer verständlich. Ja selbst Vertreter verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen haben nicht selten große Schwie- rigkeiten, sich miteinander zu verständigen. Dem sucht die moderne Wissenschaftstheorie abzuhelfen, indem sie die gemeinsamen Strukturen und Argumentationsformen der einzelnen Disziplinen darstellt. Zum andern ist sie bemüht, die Grundlagen heutiger Wissenschaft zu reflektieren und deren Methoden und Forschungsziele zu präzisieren. Insgesamt arbeitet die Wissenschaftstheorie mit den Methoden der modernen Logik, der Sprachtheorie und der Erkenntnistheorie. In diesem Sinne sind die Herausgeber davon ausgegangen, daß der Begriff der Wissenschaftstheorie heute eine notwendige Erweite- rung erfahren hat. Das hatte für die Abfassung des Lexikons zur Folge, daß die Kriterien der Titelauswahl durch folgende Rahmenbedingungen bestimmt gewesen sind: So mußten einmal die wichtigsten Begriffe aufgenommen werden, die im Zusammenhang mit dem zweiten Positivismusstreit eine Rolle gespielt haben, zum andern waren auch die Termini zu berücksichtigen, die in der gegenwärtigen, freilich nicht abgeschlossenen, Forschungs- situation relevant sind. Was die Erweiterung des Begriffes Wissenschaftstheorie angeht, so ist zu berücksichtigen, daß die Wissenschaftstheorie von unterschiedlichen Richtungen wie kritischem Rationa- lismus, analytischer Philosophie, pragmatischer Hermeneutik und sprachanalytischer Psychoanalyse, der Erlanger bzw. der Frankfurter Schule u.a. bestimmt wird. Aus diesem Umstand ergaben sich gewisse Schwierigkeiten bei der Aufnahme von Artikeln und deren Abfassung. Manche Artikel konnten im Sinne eines Referates angelegt werden, zuweilen bedeutete bereits die Nennung eines Stichworts die Zugehörigkeit zu einer Schule; für andere Stichworte galt, daß sie von verschiedenen Schulen unterschiedlich angegangen werden konnten. Zudem war es erforderlich, den Aspektreichtum einzelner wissenschafts- theoretischer Begriffe deutlich werden zu lassen; die Literaturhinweise haben z. T. die Funktion, auf weitergehende Explikationen hinzuweisen. Die Herausgeber sind der Auffassung, daß die Lösung der damit verbundenen Schwierigkeiten für den Leser einen hohen Grad von Akzeptabilität erreicht hat. Das mag auch gelten für die unterschiedliche Anzahljener Artikel, die den einzelnen Schulrichtungen unmittelbar zugeordnet sind. Der Vielfalt der zu berücksichtigenden Aspekte wurde auch durch die Tatsache Rechnung getragen, daß bei dem vorliegenden Lexikon über achtzigAutoren mitgearbeitet haben. Abgesehen vom persönlichen Stil haben sich dabei auch von der Sache her bedingte Unterschiede in der Abfassung ergeben: Die mathematisch/logischen Artikel konnten naturgemäß nicht alle Formalismen im Detail vorführen, um den Verständnisgrad nicht unnötig zu belasten; andererseits mußten die Rolle und Relevanz jener Formalismen deutlich herausgestellt werden. Die Länge der hermeneutischen Artikel ergab sich durch die mit der Hermeneutik verbundene immanente Thematik einer Selbstkonstitution von Begrifflichkeit. 5 a

Transcript of Edmund Hans Braun · 2017. 11. 6. · Edmund Braun Hans ì I vERLAG STYRIA GRAZ wIEN KöLN 1978...

Page 1: Edmund Hans Braun · 2017. 11. 6. · Edmund Braun Hans ì I vERLAG STYRIA GRAZ wIEN KöLN 1978 Verlag Styria Graz Vy'ien Köln Alle Rechte vorbehalten Printed in Austria Umschlaggestaltung

     

 

   

EdmundBraun Hans

ì

I

vERLAG STYRIA GRAZ wIEN KöLN

1978 Verlag Styria Graz Vy'ien KölnAlle Rechte vorbehalten

Printed in AustriaUmschlaggestaltung : H. Paar, Graz

Satz und Druck:Druck- und Verlagshaus Styria, Graz

Bindung:Wiener Verlag, Himberg bei Wien

ISBN 3-222-10953_2

VORWORT

Wissenschaft wird heute für den Nichtfachmann immer schwerer verständlich. Ja selbstVertreter verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen haben nicht selten große Schwie-rigkeiten, sich miteinander zu verständigen. Dem sucht die moderne Wissenschaftstheorieabzuhelfen, indem sie die gemeinsamen Strukturen und Argumentationsformen dereinzelnen Disziplinen darstellt. Zum andern ist sie bemüht, die Grundlagen heutigerWissenschaft zu reflektieren und deren Methoden und Forschungsziele zu präzisieren.Insgesamt arbeitet die Wissenschaftstheorie mit den Methoden der modernen Logik, derSprachtheorie und der Erkenntnistheorie. In diesem Sinne sind die Herausgeber davonausgegangen, daß der Begriff der Wissenschaftstheorie heute eine notwendige Erweite-rung erfahren hat.

Das hatte für die Abfassung des Lexikons zur Folge, daß die Kriterien der Titelauswahldurch folgende Rahmenbedingungen bestimmt gewesen sind: So mußten einmal diewichtigsten Begriffe aufgenommen werden, die im Zusammenhang mit dem zweitenPositivismusstreit eine Rolle gespielt haben, zum andern waren auch die Termini zuberücksichtigen, die in der gegenwärtigen, freilich nicht abgeschlossenen, Forschungs-situation relevant sind.

Was die Erweiterung des Begriffes Wissenschaftstheorie angeht, so ist zu berücksichtigen,daß die Wissenschaftstheorie von unterschiedlichen Richtungen wie kritischem Rationa-lismus, analytischer Philosophie, pragmatischer Hermeneutik und sprachanalytischerPsychoanalyse, der Erlanger bzw. der Frankfurter Schule u.a. bestimmt wird. Aus diesemUmstand ergaben sich gewisse Schwierigkeiten bei der Aufnahme von Artikeln und derenAbfassung. Manche Artikel konnten im Sinne eines Referates angelegt werden, zuweilenbedeutete bereits die Nennung eines Stichworts die Zugehörigkeit zu einer Schule; fürandere Stichworte galt, daß sie von verschiedenen Schulen unterschiedlich angegangenwerden konnten. Zudem war es erforderlich, den Aspektreichtum einzelner wissenschafts-theoretischer Begriffe deutlich werden zu lassen; die Literaturhinweise haben z. T. dieFunktion, auf weitergehende Explikationen hinzuweisen. Die Herausgeber sind derAuffassung, daß die Lösung der damit verbundenen Schwierigkeiten für den Leser einenhohen Grad von Akzeptabilität erreicht hat. Das mag auch gelten für die unterschiedlicheAnzahljener Artikel, die den einzelnen Schulrichtungen unmittelbar zugeordnet sind.

Der Vielfalt der zu berücksichtigenden Aspekte wurde auch durch die Tatsache Rechnunggetragen, daß bei dem vorliegenden Lexikon über achtzigAutoren mitgearbeitet haben.Abgesehen vom persönlichen Stil haben sich dabei auch von der Sache her bedingteUnterschiede in der Abfassung ergeben: Die mathematisch/logischen Artikel konntennaturgemäß nicht alle Formalismen im Detail vorführen, um den Verständnisgrad nichtunnötig zu belasten; andererseits mußten die Rolle und Relevanz jener Formalismendeutlich herausgestellt werden. Die Länge der hermeneutischen Artikel ergab sich durchdie mit der Hermeneutik verbundene immanente Thematik einer Selbstkonstitution vonBegrifflichkeit.

5

a

Page 2: Edmund Hans Braun · 2017. 11. 6. · Edmund Braun Hans ì I vERLAG STYRIA GRAZ wIEN KöLN 1978 Verlag Styria Graz Vy'ien Köln Alle Rechte vorbehalten Printed in Austria Umschlaggestaltung

         

 

   

 

Die Struktur des Lexikons besteht ausl. Basisartikeln, in denen die einzelnen Disziplinen und Schlüsselbegriffe im Überblick,

aber auch dem evtl. historischen Abriß nach dargestellt sind (die Titel der Basisartikelsind unterstrichen),

2. den übrigen Artikeln mit deren weiterführenden Informationen,3. Literaturverzeichnissen zujedem einzelnen Artikel, die weiterführende Informationen

ermöglichen sollen,4. einem Sachregister, das sämtliche im Lexikon verwandte Termini einschließlich der

Titel der Artikel enthält,5. einem Personenregister,6. einem Verzeichnis, das eine Synopse der gängigen thematischen Zeichensprache sowie

deren Erklärung enthält.Das vorliegende Lexikon dient dem Wissenschaftstheoretiker als Nachschlagewerk. Seineinführender Charakter gestattet sodannjedem in der Forschung und Lehre Tätigen, esals Informationsquelle zu benutzen, nicht zuletzt dient das Lexikon demjenigen, der sicheine wissenschaftliche Disziplin erarbeiten möchte, also dem Studenten und demRezipienten von wissenschaftlicher Forschung. Allerdings ist vor dem Mißverständnis zuwarnen, das in der Meinun$besteht, die Position der Wissenschaftstheorie könne auf dieunmittelbare Forschungspraxis der Einzelwissenschaften einwirken.Die Herausgeber danken den mit der Redaktion bsfaßten wissenschaftlichen Mitarbei-tern: Frau R. Michel, Frau G. Schreiber, den Herren Dr. H. Fackeldey und Dr. U.Pardey, ohne deren intensive Mitarbeit das vorliegende Lexikon unmöglich gewesenwäre. Unser Dank gilt aber auch unserer Sekretärin Frau U. Risse für ihre unentbehrlicheHilfe.

STICHWORTVERZEICHNIS

AbduktionAbstraktionAbwehrAquivalenzAußerungAggressionAnalyse, logischeAnalytische EthikAnthropologieAntinomieApparaturApplikationA priori/a posterioriArbeitArgumentationAufklãrungAussagenlogikAußenweltAutomatentheorieAutoritätAxiomatik

ErwartungErziehungswissenschaftEvidenzExaktheitExistenzExperimentExplanatioExtension/Intension

Forschung/ErfindungForschungsprogrammFunktionFunktionalismus

GebrauchGegenstandsbereichGeistGenerative GrammatikGeschichtlichkeit/GeschichteGesetzGrammatikGrundlagen der Mathematik

HandlungstheorieHermeneutikHermeneutischer ZirkelHerrschaftHeuristikHistorismusHorizontHypothese

IntuitionIsomorphie

KalkülKategorieKausalitätKennzeichnungKlischeeKodeKommunikation (sprachlich)Kommunikative KompetenzKonfliktKonsensKonsistenzKonstruktionKonventionalismusKriteriumKybernetik

LegitimationLernenLinguistikLogikLogik der Forschung

ManipulationMarxismus (Wissenschaftstheorie)MatrixMengeMetaphysikMethodeMetrisierung/MetrikModallogikModellMoralMorphologieMotiv

NarratioNeuroseNorm

ObjektivierungObj ektsprache/MetaspracheOffentlichkeitOperationalisierungOptimierungOrientierung

ParadigmaParadoxParameter

BasissätzeBedürfnisBegriffBegründungBeobachtungsspracheBeschreibungBesetzungBestätigung/BewährungBeweisBewertungBewußtseinBildtheorie

DeduktionDefinitionDeontische LogikDialektikDispositionsprädikate

EmarrzipzttonEmpirismus, logischerEntfremdungEntscheidbarkeitEntscheidungslogikEpistemologieErfahrungErhebungsverfahrenErinnerungErkenntnistheorieErklärung

IchgeneseIdealisierungIdentifikationIdentitätIdeologieImperativImplikationInduktionInformationstheorieInnovationInstanzInstitutionIntegrationIntentionInteraktionInteresseInternalisierungInterpolationInterpretationIntersubjektivität

76

v. in der Behauptung ihrer Sinnlosigkeit. Sieibt sich auch aus dem sog. empiristischennkriterium oder dem Verifikationsprinzip,;h welchem der Sinn eines (nicht tautologi-en) Satzes in der Methode seiner (empiri-en) Verifikation besteht. Da nichtempirischenthetische) Sätze durch keine denkbare em-Lsche Methode verifizierbar sind, fehlt ihnen:h iliesem Kriterium jeglicher Sinn. Die Ent-rung der metaphysischen Probleme, etwa deseits des Idealismus und des Realismus (inklu-l des metaphysischen Materialismus) überRealität der Außenwelt und des Fremdpsy-lchen, als Scheinprobleme besteht einfach inn Hinweis darauf, daß beide Gegner etwasLaupten, was jenseits der Erfahrung liegt, daßLlso keinen empirischen Satz gibt, durch denEntscheidung dieses Streits herbeigeführt

:den könnte. Die Überwindung der M. durchische Analyse der Sprache und Anwendungempiristischen Sinnkriteriums fùhrt zu der

:enntnis, daß diese vermeintliclt Wissen-aft ,,Lyrik in der Verkleidung einer:orie. . . bloßer Gefühlsausdruck" (Carnap,75) ist. Obwohl das empiristische Sinnkrite-n im Verlauf der folgenden Jahrzehnte meh-: Modifikationen und Relativierungen er-r, hat Carnap immer daran festgehalten, daßtaphysische Sätze sinnlose Scheinsätze sind.Auch Popper bestreitet, daß es synthetischeze gibt, deren Wahrheit a priori eingesehen'den kann. Also gibt es für ihn kein metaphy-:hes Wissen. Aber auch empirisch begründetethetische Erkenntnisse, die mit dem An-uch auftreten, Wissen zu sein, sind nur'mutungen und unterscheiden sich darinht von metaphysischen Aussagen. Die Auf-,e besteht für Popper darin, die empirischenr den metaphysischen Aussagen abzugren-, statt die M. dadurch zu überwinden, daßn sie für sinnlos erklârt. Gegen den Positivis-s erklärt Popper, daß er durch das empiristi-e Sinnkriterium zusammen mit der M. dieturwissenschaft vernichte, deren Aufgabein bestehe, Naturgesetze aufzusuchen. Ña-lesetze sind aber ebensowenig wie metaphy-;he Sätze logisch (durch Induktion) auf Er-rungssätze zurückführbar. Beide müßten al-für die Positivisten gleich sinnlos sein. Diegrenzung der M. von der empirischen Wis-schaft geschieht bei Popper durch das Krite-m der Falsifizierbarkeit. Da alle Theorien,allgemeine Sätze enthalten, niemals durch

en Schluß aus empirisch verifizierten beson-

deren Sätzen begnindet werden können, sindsolche Theorien auch niemals empirisch verifi-zierbar. Sollen allgemeine, nicht verifizierbareSät4e dennoch als empirisch anerkannt werden,so schlägt Popper vor, ihre Nachprüfbarkeitdurch die Erfahrung und damit die Fähigkeit,an der Erfahrung zu scheitern, zum Kriteriumder Abgrenzung (nicht zum Sinnkriterium)einer empirischen von einer metaphysischenTheorie zu machen, wobei beide Arten vonSätzen als sinnvoll anerkannt werden. Denndurch besondere empirische Sätze können allge-meine Sätze zwar nicht induktiv gerechtfertigt,wohl aber deduktiv widerlegt werden. SinnvolleSätze, die nicht (empirisch) falsifìziert werdenkönnen, sind demnach ,,metaphysisch", unddas heißt, nicht wissenschaftlich. Popper selbstbekennt sich zu einem metaphysischen Glaubenan das Bestehen von Gesetzmäßigkeiten in derWelt, der unwiderlegbar, aber rational kritisier-bar und in der Geschichte der Naturwissen-schaft sehr einflußreich und fruchtbar bei derLösung wissenschaftlicher Probleme gewesenist. Ebenso ist der Darwinismus ein für diebiologische Forschung sehr förderliches meta-physisches Forschungsprogramm. Die meta-physischen Theorien des Detèrminismus, Idea-lismus, Irrationalismus, Voluntarismus und Ni-hilismus hält Popper andererseits zwar fürfalsch, dennoch sind sie, weil metaphysisch,unwiderlegbar. Es gibt geschichtlich tJbergängezwischen M. und Wissenschaft. Was (wie derAtomismus) gestern eine metaphysische Ideewar, kann morgen eine überprüfbare wissen-schaftliche Theorie werden. Der Marxismusdagegen ist nach Popper aus einer wissenschaft-lichen zu einer metaphysischen Theorie gewor-den. Beide Fälle zeigen, daß metaphysischeSätze nicht eo ipso sinnlos sind. Aber, wie diePsychoanalyse zeigt, die Popper für eine interes-sante psychologische M. hält, ist eine Unter-scheidung von M. und Wissenschaft dennocheindeutig möglich, weil diese Theorie mit jederbesonderen Verhaltensweise eines Menschenvereinbar ist, also nicht, wie etwa Newtons undEinsteins Theorien, potentielle Falsifikatorenangeben kann, durch die sie widerlegt würde.Beispiele dafür, daß die M. trotz der Angriffedes Positivismus nicht aus der Philosophie undWissenschaftstheorie nach Frege, Russell und\Vittgenstein verschwunden ist, sind HeinrichScholz' Versuch einer ,,M. als strenge Wissen-schaft" (Köln 19al), deren Sätze in allen mögli-chen Welten gelten müssen, und Quines Rede

376

vom ,,ontological commitment" einer Theoriesowie die daran anschließenden Erörterungendes Universalienproblems (,zUniversalien ; vgl.9), durch die auf die ontologischen Vorausset-zungen in den philosophischen Grundlagenauch der Logik und Mathematik hingewiesenwird. Daß es metaphysische Voraussetzungen inden Erfahrungswissenschaften nicht nur gibt,sondern daß ihnen eine positive Rolle in derKonstitution von Wissenschaft und Erfahrungzukommt, wird von so unterschiedlichen Au-toren wie P. Feyerabend (der metaphysischeSysteme nicht bloß als Vorläufer der'Wissen-schaften, sondern als die höchst willkommeneneinzigen Mittel der Kritik der als direkt empi-risch geltenden Teile unseres gegenwärtigen'Wissens akzeptiert) und P. F. Strawson (der inseinem ,,Versuch einer deskriptiven M." eine anAristoteles und vor allem an Kant anknüpfendeAnalyse der unveränderlichen Kategorien undBegriffe und damit der wirklichen Struktur desmenschlichen Denkens über die Welt vorlegt)hervorgehoben.Likrarur: (l) R. Carnap, Scheinprobleme in der Philosophie(1928), Frankfut 1966: (2)P. Feyerabend, Wie wird man einbraver Empirist? Ejn Aufrufzur Toleranz in der Erkenntnis-theorie, in: L. Krüger (Hrsg), Erkenntnisprobleme derNatu¡wissenschaften, Köln 1970, 302-353; (3) I. Kant,Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die alsWissenschaft wird auftreten können (1783); (4) K. R. Popper,Logik der Forschung (1935), Tübingen 196tr; (5) ders.,Conjectures and Refutations, London 1963; (6) W. V. OQuine, From a logical point of view, New York l96y ; (7)HSchleichert (Hrsg.), Logischer Empirismus - Der 'WienerKreis, München 1975; (8) M. Schlick, Gesammelte Aufsätze1926-1936 (1938), Hildesheim 1969; (9) W. Stegmüller, DasUniversalienproblem einst md jetzt, Darmstadt 1965; (10)ders., Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft, Berlin 1969; (l l)P. F Strawson, Individuals, An Essay in Descriptive Meta-physics, London 1959. M. BAUM

METHODEMit M. bezeichnet man im allgemeinen einzielgerichtetes Vorgehen, bei dem durch Einsatzbestimmter Mittel bestimmte Zwecke erreichtwerden sollen. Im engeren wissenschaftstheore-tischen Sinne bezeichnet man mit M. jeneRegeln und Kriterien, nach denen wissenschaft-liches Vy'issen erzeugt werden soll und denendieses Wissen genügen muß. In verschiedenenHinsichten und aufverschiedenen Ebenen sindM.nkontroversen entstanden. Ein erster Streitbetrifft dert Status der M. bzw. Methodologieselber. Kontrovers ist nâmlich, ob die Methodo-logie als die die wissenschaftliche(n) M.(n)zusammenstellende Theorie selber normativoder deskriptiv ist. Nach der Auffassung des

377

Konstruktivismus und des kritischen Rationa-lismus ist die Methodologie der Wissenschaftennormativ, d.h. sie normiert die in den Einzelwis-senschaften zulässigen Verfahrensweisen, Sätzeusw. Von seiten des logischen Empirismus istdemgegenüber die Möglichkeit einer normati-ven Methodologie bestritten worden; an dieStelle einer normativen Methodologie tritt einedes k rip tiv e Wis s ens chaft s theorie, die das einzel-wissenschaftliche Vorgehen nicht anleitet, son-dern beschreibt. Zweitens ist kontrovers, ob esdi¿ wissenschaftliche M. gibt oder aber verschie-deneWissenschaften nachjeweils verschiedenenM.n zu verfahren haben. Hier stehen sich gegen-über die Auffassung, daß Natur-, Sozial- undGeisteswissenschaften gleichermaßen als zu-nächst Gesetze aufsuchende und dann erklciren-de Wissenschaften durchzlführen sind, oderaber die sog. Geisteswissenschaften über einefür sie charakteristische M. verfügen, nämlichdie Hermeneutik, und als verstehende Wissen-schaften durchzuführen sind (bzw. die Sozial-wissenschaftert als deut ende Wissenschaften).Drittens existieren M.nkontroversen hin-sichtlich spezifischer einzelwissenschaftlicherTheorienbildungen, so z.B. die Kontroversenaxiomatischer versus konstruktiver Aufbau vonLogik und Mathematik oder etwa die ûberAufbau der Handlungswissenschaften auf Basisdes methodischen Individualismus versus Auf-bau auf Basis des methodischen Holismus.Literatur : (l)P. Lorenzen, Methodisches Denken, Frankfurt1968; Q) E. Nagel, The Structure of Science, London l96l;(3) K. R. Popper, Logik der Forschung, Tübingen 196tr; (4)K. Lorev, Methode, in: J Mittelst¡aß (Hrsg ), Lexikon derPhilosophie und wissenschaft',n"".t", üî"åiîrlí/ir*METRISIERI-ING/METRIKMetrisierung ist zu unterscheiden von Messung.Metrisierung ist die Einführung eines metri-schen Begriffs, Messung dagegen die Anwen-dung eines metrischen Begriffs auf einen vorge-legten Gegenstand. Die Wissenschaft enthält imwesentlichen drei Arten von Begriffen. Miteinem qualitativen Begriff spricht man einemGegenstand eine Eigenschaft zu oder ab (lang,kurz). Mit einem komparativen Begriff setztman Gegenstände unter einem bestimmten Ge-sichtspunkt in eine geordnete Beziehung zuein-ander (länger als). Die Ordnungsbeziehung zu-sammen mit der Gleichheit machen den kompa-rativen Begriffseiner logischen Struktur nach zueiner Quasiordnung. Diese erfüllt bestimmtelogische Bedingungen : Sie ist Äquivalenz-Rela-

378

Page 3: Edmund Hans Braun · 2017. 11. 6. · Edmund Braun Hans ì I vERLAG STYRIA GRAZ wIEN KöLN 1978 Verlag Styria Graz Vy'ien Köln Alle Rechte vorbehalten Printed in Austria Umschlaggestaltung

 

tion bez. der Gleichheit, transitiv und konnexbez. der Ordnungsbeziehung. Die Konstruktioneines metrischen Begriffs im Ausgang von einemkomparativen Begriff heißt Metrisierung. De1metrische oder quantitative Begriff ist logischbetrachtet eine Funktion, Metrik genannt. Die-se ordnet jedem zu messenden Gegenstand eineZahl ztt. Dabei werden erstens zwei ordnungs-gleiche Gegenstände mit derselben Zahlbewer-tet, und zweitens wird die Ordnungsbeziehungder Gegenstände auf die der Zahlen übertragen.Beide Momente der Metrik faßt man unter demBegriff der Ordnungsfteue z,rsalrrmen. Ohne'weitere Forderung an die Funktion kann manim strengen Sinne noch nicht von Metrisierungsprechen, weil dadurch eine bloß komparativeOrdinalskala bestimmt wird. Es muß eineweitere Isomorphie-Eigenschaft verlangt wer-den, z.B. die Operationstreue. Eirrige metrischeBegriffe, die sog. extensiven Größen (Länge),betreffen Gegenstände, die sich aus ,,Einheits-gegenständen" konstruktiv alfbauen lassen. Sieerfüllen die Bedingung, daß die Maßzahl ihresoperativen Konstrukts gleich der Summe derMaßzahlen ihrer Bausteine ist. Ihre Maßskalaist eine Verhältnisskala. Intensive Größen wieTemperatur sind auch ordnungstreue Funktio-nen, deren Gegenstände sich jedoch durch Gra-de unterscheiden und nicht durch ihre operativeZusammensetzung. Statt der Operationstreuemuß hier die Abstandstreue nrr vollständigenMetrisierung verlangt werden, d.h. gleiche Grad-unterschiede sollen gleiche Maßunterschiedehaben. Die Gleichheit von Gradunterschiedenmuß hierfür eigens operationalisiert sein. Metri-sierung kann als Mathematisierung wissen-schaftlicher Begriffe verstanden werden. Da-durch ist es möglich, mathematische Methodenzur Lösung empirisch-wissenschaftlicher Pro-bleme heranzuziehen. Dies führt einerseits zueiner Steigerung der Präzision wissenschaftli-cher Aussagen. Andererseits erhöht sich da-durch die Fähigkeit zur Speicherung empiri-scher Daten.Literatur: (1) F. v. Kutschera, Wissenschaftstheorie l, Mün-chen 1972', (2) W. Stegmüller, Probìeme und Resultate derWissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Bd. Ilil.Berlin 1970. R. HA[IN/N. MEDER

MODAILOGIKI. MEHRWERTIGE LOGIKDie M. behandelt die logischen Aspekte dereinzelnen Modalstufen : Möglichkeit, Wirklich-

379

keit, Notwendigkeit (modus: Art und Weise,wie etwas ist oder zusammenhängt). In dertraditionellen Logik versteht man unter derModalität die Art und Weise, wie das Urteils-subjekt mit dem Urteilsprädikat zu verknüpfenist, z.B. ob es möglich oder wirklich odernotwendig ist, daß dem Subjekt S das PrädikatP zugesprochen wird. So kann man unter M.schließlich jene Disziplin verstehen, die dieModalitäten Notwendigkeit, Wirklichkeit,Möglichkeit (abgek. n, w, m) und deren Nega-tionen: Nichtnotwendigkeit (: Zufülligkeit,abgek. r n) usw. in ihrer gegenseitigen Abhän-gigkeit studiert und insbesondere Zeichenreihenuntersucht, die beispielsweise in ihrer einfach-sten Gestalt von der Form m-rn sind; inWorten: Es ist möglich, daß ein Sachverhaltnicht notwendig, d.h. zufållig ist. Die Theorieder Gruppen, Halbgruppen und Verbánde istdabei ein wichtiges Untersuchungsinstrumenta-rium. Eine andere Forschungsrichtung geht vondem Ansatz aus, neben den klassischen Wahr-heitswerten ,,wahr" (:w) und ,,falsch" (:f;noch andere Wahrheitswerte, z.B. ,,möglich"(:m), in Betracht zl ziehen und diese soerweiterte Logik als KalküI, als Formalismus zubehandeln. So hat Lukasiewrcz gerade aus die-sen drei Wahrheitswerten eine dreiwertige Lo-gik entwickelt. Der dritte Wert wird mitunteranders als ,,möglich" interpretiert. Heyting be-stimmt ihn als ,,nicht falsch, aber nicht bewie-sen"; andere wiederum interpretieren ihn als,,absurd". Mit der Dreiwertigkeit ist somit dieAufhebung des Satzes vom ausgeschlossenenDritten durch eine methodologische Festset-zung vollzogen, wobei aber die Frage nach derHintergehbarkeit der klassischen zweiwertigenLogik offen bleibt. Der Ansatz einer dreiwerti-gen Logik erfordert es, anzugeben, was dasDritte, abgek. t, eines jeden der drei Wahrheits-werte ist, so wie in der klassischen zweiwertigenLogik zu einem der beiden Wahrheitswerte das,,zweite", das Andere existierte, was dort ein-fach durch die Negation zu gewinnen ist. DasZweite und die logische Funktion der Negationsind dort identisch. In der von Lukasiewiczaufgestellten Logik hingegen fällt das Drittenicht mit der Negation zusammen. Vielmehrgilt: tw:m, tf:m, tm:m, während die Nega-tion -r a eines Wahrheitswertes a, d.h. der Wertder logischen Funktion der Negation für dasArgument a folgendermaßen bestimmt ist:--1 v: f,--r f: w, -r m: m. Der Werteverlauf derNegation als logische Funktion verstanden mag

380

zunâchst etwas befremden, weil -r m: m geltensoll. Es ist aber einmal zu beachten, daß nicht,,möglich", sondern der Sachverhalt negiert ist,der als möglich angenommen wird. Hinsichtlicheines unvollständigen Wissens kann natürlichdie Negation ebenso möglich sein. Aber selbstwenn man solche Erklärungen nicht heranzìeht,überlegt man sich leicht, daß aus Gründen derWiderspruchslosigkeit -rm nur m sein kann,denn wegen der Dreiwertigkeit kann dieserWert nur selbst wieder w, f oder m sein, er kannjedoch nicht w oder f sein. Die Werteverläufeder Disjunktion und der Konjunktion sind ausder nachstehenden Tabelle zu ersehen. Sie zeigt,wie die logischen Partikel n bzw. v in dieserdreiwertigen Logik zu verwenden sind:

a b a¡b a b avb

Die Anwendungsmöglichkeiten einer solchendreiwertigen Logik liegen auf dem Gebiete dermodernen Physik (Quantentheorie). Eine un-endlichwertige Logik ist die Wahrscheinlich-keitslogik, die jede reelle Zahl als Wahrschein-lichkeitswert zuläßt, die größer oder gleich 0und kleiner oder gleich I ist.Literatur: (l) O. Becker, Zur Logik der Modalitäten, in:Jahrb. f. Philos. u. phänomenolog. Forschung 1930; (2)ders ,Untersuchungen über den ModalkalküI, Meisenheim 1952;(3) C. Lewis, A survey ofsymbolic logic, Berkeley I 9l 8; (4) P.Lorenzen, Zur Begründung der Modallogik, in: Archiv f.math. Logik und Grundlagmforscbung, 2,

'rtt Or_Oa",

MODALLOGIKtr. INTENSIONALE SEMANTIK1. Die Modalbegriffe der Notwendigkeit undder Möglichkeit (sowie die Begriffe der UnrÀög-lichkeit und der Kontingenz, auf die hier nichteingegangen wird) beziehen sich auf Sachver-halte: Der Sachverhalt, daß 3 größer ist als 2, istmöglich, und er ist notwendig - kurz: M(3 > 2)und N(3>2). Aus einem Satz ,,p" erhält manmit den Modaloperatoren ,,M" und ,,N" dieneuen Sätze,,M(p)" und,,Nþ)", gelesen als ,,esist möglich, daß p" und ,,es ist notwendig, daß

381

p". Möglichkeit und Notwendigkeit lassensich aufeinander zurückführen, denn es istN(p)er M(-r p) und Mþ)*--r N(--r p).2. Im Unterschied zu den aussagenlogischenOperatoren ,,--r" (,,nicht"), ,, n " (,,und"), . . .

stellen die Modaloperatoren keine Wahrheits-funktionen dar, d.h. der Wah¡heitswert derSätze ,,Mþ)" und ,,Nþ)" hängt nicht aus-schließlich ab vom Wahrheitswert (der Exten-sion) des Satzes ,,p", sondern vor allem vonseiner Intension. Die Intension eines Satzes gibtan, unter welchen Umständen (,,in welchenWelten") er welchen Wahrheitswert hat; daherläßt sich die Intension eines Satzes explizierenals eine Funktion von einer Menge von Weltenin die Menge der Wahrheitswerte. - Genauerläßt sich der Begriff einer Iùy'elt folgendermaßenbeschreiben: M sei eine Menge von wahrenSätzen; M' sei eine beliebige konsisternte Satz-menge, die für jeden Satz ,,p" aus M entweder,,p" oder,,r p" enthält;die Menge der Sachver-halte, die von den Sätzen in M' ausgedrücktwerden, ist dann eine Welt.3. Bezüglich einer Menge I von Welten läßt sichder Begriff der Möglichkeit auf verschiedeneArt explizieren. Hierzu erweist sich die folgendeRedeweise als zweckmäßig: ,,Der Sachverhalt pgehört zu der in bezug auf die Welt i möglichenWelt j" heißt dasselbe wie ,,der Sachverhalt p istin der Welt i möglich". Es sollen nun verschiede-ne Anforderungen, die man an die Relation ,jist eine mögliche Welt für i" (kurz: ,,iRj")gestellt werden können, genannt werden: a) Rist reflexiv (ede Welt ist in bezug auf sich selbsteine mögliche Welt); d.h. was in i wirklich ist, istauch in i möglich. b) R ist transitiv (wenn j einemögliche Welt für i ist und k eine mögliche Weltfür j, so ist auch k eine mögliche Vy'elt für i); d.h.alles, was in einer für i möglichen Welt j möglichist, ist auch in i möglich - oder anders: Alles,was möglicherweise in i möglich ist, ist in imöglich. c) R ist symmetrisch; d.h. in allenWelten j, in denen wirklich ist, was in i möglichist, ist umgekehrt möglich, was in i wirklich ist.Während die Anforderung a) von jeder adäqua-ten Explikation des Möglichkeitsbegriffs erfülltsein muß, ist dies bei den Anforderungen b) undc) nicht der Fall; die verschiedenen Systeme derM. unterscheiden sich darin, daß sie die Punkteb) und c) unterschiedlich berücksichtigen.In bezug auf eine Menge I von Welten und eineaufl dehnierte reflexive Relation R (die zusätz-lich symmetrisch und/oder transitiv sein kann)lassen sich nun die Wahrheitsbedingungen eines

382

wwwwmwwfwwwwmmmmfmfwwfmmfff

wwwwmmwffmwmmmmmfffwffmffff