Effi Briest - ReadingSample...Effi Briest Roman Bearbeitet von Theodor Fontane Sonderausgabe 2008....

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insel taschenbuch 3374 Effi Briest Roman Bearbeitet von Theodor Fontane Sonderausgabe 2008. Taschenbuch. 364 S. Paperback ISBN 978 3 458 35074 3 Format (B x L): 12 x 18,9 cm Gewicht: 378 g Weitere Fachgebiete > Literatur, Sprache > Deutsche Literatur schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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insel taschenbuch 3374

Effi Briest

Roman

Bearbeitet vonTheodor Fontane

Sonderausgabe 2008. Taschenbuch. 364 S. PaperbackISBN 978 3 458 35074 3

Format (B x L): 12 x 18,9 cmGewicht: 378 g

Weitere Fachgebiete > Literatur, Sprache > Deutsche Literatur

schnell und portofrei erhältlich bei

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Leseprobe

Fontane, Theodor

Effi Briest

© Insel Verlag

insel taschenbuch 3374

978-3-458-35074-3

Insel Verlag

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Effi Briest geht auf eine sogenannte wahre Geschichte zurück, eineDuellaffäre mit tödlichem Ausgang, die im Berliner Fin de siecle vielStaub aufwirbelte. »Ja, die arme Effi!« schreibt Fontane am 2. März1895, nachdem der letzte Teil des Romans in der Deutschen Rund-schau vorabgedruckt war, an den Verleger Hans Hertz, »vielleicht ist esmir so gelungen, weil ich das Ganze träumerisch und fast wie mit einemPsychographen geschrieben habe. Sonst kann ich mich immer der Ar-beit, ihrer Mühe, Sorgen und Etappen erinnern – in diesem Falle garnicht. Es ist so wie von selbst gekommen, ohne rechte Überlegung undohne alle Kritik. Meine Gönnerin L. erzählte mir auf meine Frage: ›Wasmachte denn der?‹ . . . die ganze Effi Briest-Geschichte, und als die Stellekam, zweites Kapitel, wo die spielenden Mädchen durchs Weinlaub inden Saal hineinrufen: ›Effi, komm‹, stand mir fest: ›Das mußt du schrei-ben.‹«

Für Thomas Mann war Effi Briest »der beste deutsche Roman seitden Wahlverwandtschaften«.

Theodor Fontane, geboren am 30.12.1819 in Neuruppin, ist am20.9.1898 in Berlin gestorben.

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insel taschenbuch 3374Theodor Fontane

Effi Briest

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Theodor FontaneEffi Briest

Roman

Insel Verlag

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insel taschenbuch 3374Erste Auflage 2008

Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig, Insel Verlag Frankfurt am Main 1976

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere dasdes öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Hinweise zu dieser Ausgabe am Schluß des BandesVertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Umschlag: Elke DörrSatz: Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

Druck: CPI – Ebner & Spiegel, UlmPrinted in Germany

ISBN 978-3-458-35074-3

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EFFI BRIEST

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ERSTES KAPITEL

In Front des schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von derFamilie von Briest bewohnten Herrenhauses zu Hohen-Cremmen fiel heller Sonnenschein auf die mittagsstille Dorf-straße, während nach der Park- und Gartenseite hin einrechtwinklig angebauter Seitenflügel einen breiten Schattenerst auf einen weiß und grün quadrierten Fliesengang unddann über diesen hinaus auf ein großes, in seiner Mittemit einer Sonnenuhr und an seinem Rande mit Canna in-dica und Rhabarberstauden besetztes Rondell warf. Einigezwanzig Schritte weiter, in Richtung und Lage genau demSeitenflügel entsprechend, lief eine, ganz in kleinblättrigemEfeu stehende, nur an einer Stelle von einer kleinen weiß-gestrichenen Eisentür unterbrochene Kirchhofsmauer, hin-ter der der Hohen-Cremmener Schindelturm mit seinemblitzenden, weil neuerdings erst wieder vergoldeten Wetter-hahn aufragte. Fronthaus, Seitenflügel und Kirchhofsmauerbildeten ein einen kleinen Ziergarten umschließendes Huf-eisen, an dessen offener Seite man eines Teiches mit Was-sersteg und angeketteltem Boot und dicht daneben einerSchaukel gewahr wurde, deren horizontal gelegtes Brett zuHäupten und Füßen an je zwei Stricken hing – die Pfostender Balkenlage schon etwas schief stehend. Zwischen Teichund Rondell aber und die Schaukel halb versteckend stan-den ein paar mächtige alte Platanen.

Auch die Front des Herrenhauses – eine mit Aloekübelnund ein paar Gartenstühlen besetzte Rampe – gewährte beibewölktem Himmel einen angenehmen und zugleich allerlei

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Zerstreuung bietenden Aufenthalt; an Tagen aber, wo dieSonne niederbrannte, wurde die Gartenseite ganz entschie-den bevorzugt, besonders von Frau und Tochter des Hauses,die denn auch heute wieder auf dem im vollen Schattenliegenden Fliesengange saßen, in ihrem Rücken ein paaroffene, von wildem Wein umrankte Fenster, neben sich einevorspringende kleine Treppe, deren vier Steinstufen vomGarten aus in das Hochparterre des Seitenflügels hinauf-führten. Beide, Mutter und Tochter, waren fleißig bei derArbeit, die der Herstellung eines aus Einzelquadraten zu-sammenzusetzenden Altarteppichs galt; ungezählte Woll-strähnen und Seidendocken lagen auf einem großen, rundenTisch bunt durcheinander, dazwischen, noch vom Lunchher, ein paar Dessertteller und eine mit großen, schönen Sta-chelbeeren gefüllte Majolikaschale. Rasch und sicher gingdie Wollnadel der Damen hin und her, aber während dieMutter kein Auge von der Arbeit ließ, legte die Tochter, dieden Rufnamen Effi führte, von Zeit zu Zeit die Nadel niederund erhob sich, um unter allerlei kunstgerechten Beugungenund Streckungen den ganzen Kursus der Heil- und Zimmer-gymnastik durchzumachen. Es war ersichtlich, daß sie sichdiesen absichtlich ein wenig ins Komische gezogenen Übun-gen mit ganz besonderer Liebe hingab, und wenn sie dann sodastand und, langsam die Arme hebend, die Handflächenhoch über dem Kopf zusammenlegte, so sah auch wohl dieMama von ihrer Handarbeit auf, aber immer nur flüchtigund verstohlen, weil sie nicht zeigen wollte, wie entzückendsie ihr eigenes Kind finde, zu welcher Regung mütterlichenStolzes sie vollberechtigt war. Effi trug ein blau- und weißge-streiftes, halb kittelartiges Leinwandkleid, dem erst ein festzusammengezogener, bronzefarbener Ledergürtel die Taillegab; der Hals war frei, und über Schulter und Nacken fiel ein

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breiter Matrosenkragen. In allem, was sie tat, paarte sichÜbermut und Grazie, während ihre lachenden braunenAugen eine große, natürliche Klugheit und viel Lebenslustund Herzensgüte verrieten. Man nannte sie die »Kleine«,was sie sich nur gefallen lassen mußte, weil die schöne,schlanke Mama noch um eine Handbreit höher war.

Eben hatte sich Effi wieder erhoben, um abwechselndnach links und rechts ihre turnerischen Drehungen zu ma-chen, als die von ihrer Stickerei gerade wieder aufblickendeMama ihr zurief: »Effi, eigentlich hättest du doch wohlKunstreiterin werden müssen. Immer am Trapez, immerTochter der Luft. Ich glaube beinah, daß du so was möch-test.«

»Vielleicht, Mama. Aber wenn es so wäre, wer wäreschuld? Von wem hab’ ich es? Doch nur von dir. Oder meinstdu von Papa? Da mußt du nun selber lachen. Und dann,warum steckst du mich in diesen Hänger, in diesen Jungens-kittel? Mitunter denk’ ich, ich komme noch wieder in kurzeKleider. Und wenn ich die erst wieder habe, dann knix’ ichauch wieder wie ein Backfisch, und wenn dann die Ratheno-wer herüberkommen, setze ich mich auf Oberst GoetzesSchoß und reite hopp, hopp. Warum auch nicht? Drei Vier-tel ist er Onkel und nur ein Viertel Courmacher. Du bistschuld. Warum kriege ich keine Staatskleider? Warummachst du keine Dame aus mir?«

»Möchtest du’s?«»Nein.« Und dabei lief sie auf die Mama zu und umarmte

sie stürmisch und küßte sie.»Nicht so wild, Effi, nicht so leidenschaftlich. Ich be-

unruhige mich immer, wenn ich dich so sehe . . .« Und dieMama schien ernstlich willens, in Äußerung ihrer Sorgenund Ängste fortzufahren. Aber sie kam nicht weit damit,

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weil in ebendiesem Augenblicke drei junge Mädchen aus derkleinen, in der Kirchhofsmauer angebrachten Eisentür inden Garten eintraten und einen Kiesweg entlang auf dasRondell und die Sonnenuhr zuschritten. Alle drei grüßtenmit ihren Sonnenschirmen zu Effi herüber und eilten dannauf Frau von Briest zu, um dieser die Hand zu küssen. Diesetat rasch ein paar Fragen und lud dann die Mädchen ein,ihnen oder doch wenigstens Effi auf eine halbe Stunde Ge-sellschaft zu leisten. »Ich habe ohnehin noch zu tun, undjunges Volk ist am liebsten unter sich. Gehabt euch wohl.«Und dabei stieg sie die vom Garten in den Seitenflügel füh-rende Steintreppe hinauf.

Und da war nun die Jugend wirklich allein.Zwei der jungen Mädchen – kleine, rundliche Persönchen,

zu deren krausem, rotblondem Haar ihre Sommersprossenund ihre gute Laune ganz vorzüglich paßten – waren Töchterdes auf Hansa, Skandinavien und Fritz Reuter eingeschwo-renen Kantors Jahnke, der denn auch, unter Anlehnung anseinen mecklenburgischen Landsmann und Lieblingsdichterund nach dem Vorbilde von Mining und Lining, seinen eige-nen Zwillingen die Namen Bertha und Hertha gegeben hatte.Die dritte junge Dame war Hulda Niemeyer, Pastor Nie-meyers einziges Kind; sie war damenhafter als die beiden an-deren, dafür aber langweilig und eingebildet, eine lymphati-sche Blondine, mit etwas vorspringenden, blöden Augen, dietrotzdem beständig nach was zu suchen schienen, weshalbdenn auch Klitzing von den Husaren gesagt hatte: »Sieht sienicht aus, als erwarte sie jeden Augenblick den Engel Ga-briel?« Effi fand, daß der etwas kritische Klitzing nur zu sehrrecht habe, vermied es aber trotzdem, einen Unterschiedzwischen den drei Freundinnen zu machen. Am wenigstenwar ihr in diesem Augenblicke danach zu Sinn, und während

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sie die Arme auf den Tisch stemmte, sagte sie: »Diese lang-weilige Stickerei. Gott sei Dank, daß ihr da seid.«

»Aber deine Mama haben wir vertrieben«, sagte Hulda.»Nicht doch. Wie sie euch schon sagte, sie wäre doch ge-

gangen; sie erwartet nämlich Besuch, einen alten Freund ausihren Mädchentagen her, von dem ich euch nachher erzäh-len muß, eine Liebesgeschichte mit Held und Heldin, undzuletzt mit Entsagung. Ihr werdet Augen machen und euchwundern. Übrigens habe ich Mamas alten Freund schondrüben in Schwantikow gesehen; er ist Landrat, gute Figurund sehr männlich.«

»Das ist die Hauptsache«, sagte Hertha.»Freilich ist das die Hauptsache, ›Weiber weiblich, Män-

ner männlich‹ – das ist, wie ihr wißt, einer von Papas Lieb-lingssätzen. Und nun helft mir erst Ordnung schaffen aufdem Tisch hier, sonst gibt es wieder eine Strafpredigt.«

Im Nu waren die Docken in den Korb gepackt, und alsalle wieder saßen, sagte Hulda: »Nun aber, Effi, nun ist esZeit, nun die Liebesgeschichte mit Entsagung. Oder ist esnicht so schlimm?«

»Eine Geschichte mit Entsagung ist nie schlimm. Aber eheHertha nicht von den Stachelbeeren genommen, eh kann ichnicht anfangen – sie läßt ja kein Auge davon. Übrigens nimmso viel du willst, wir können ja hinterher neue pflücken; nurwirf die Schalen weit weg oder noch besser, lege sie hier aufdie Zeitungsbeilage, wir machen dann eine Tüte daraus undschaffen alles beiseite. Mama kann es nicht leiden, wenndie Schlusen so überall umherliegen, und sagt immer, mankönne dabei ausgleiten und ein Bein brechen.«

»Glaub’ ich nicht«, sagte Hertha, während sie den Sta-chelbeeren fleißig zusprach.

»Ich auch nicht«, bestätigte Effi. »Denkt doch mal nach,

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ich falle jeden Tag wenigstens zwei-, dreimal, und noch istmir nichts gebrochen. Was ein richtiges Bein ist, das brichtnicht so leicht, meines gewiß nicht und deines auch nicht,Hertha. Was meinst du, Hulda?«

»Man soll sein Schicksal nicht versuchen; Hochmutkommt vor dem Fall.«

»Immer Gouvernante; du bist doch die geborene alteJungfer.«

»Und hoffe mich doch noch zu verheiraten. Und vielleichteher als du.«

»Meinetwegen. Denkst du, daß ich darauf warte? Dasfehlte noch. Übrigens, ich kriege schon einen, und vielleichtbald. Da ist mir nicht bange. Neulich erst hat mir der kleineVentivegni von drüben gesagt: ›Fräulein Effi, was gilt dieWette, wir sind hier noch in diesem Jahre zu Polterabendund Hochzeit‹.«

»Und was sagtest du da?«»›Wohl möglich‹, sagt’ ich, ›wohl möglich; Hulda ist die

älteste und kann sich jeden Tag verheiraten.‹ Aber er wolltedavon nichts wissen und sagte: ›Nein, bei einer anderenjungen Dame, die geradeso brünett ist, wie Fräulein Huldablond ist.‹ Und dabei sah er mich ganz ernsthaft an . . . Aberich komme vom Hundertsten aufs Tausendste und vergessedie Geschichte.«

»Ja, du brichst immer wieder ab; am Ende willst dunicht.«

»Oh, ich will schon, aber freilich, ich breche immer wie-der ab, weil es alles ein bißchen sonderbar ist, ja, beinahromantisch.«

»Aber du sagtest doch, er sei Landrat.«»Allerdings, Landrat. Und er heißt Geert von Innstetten,

Baron von Innstetten.«

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Alle drei lachten.»Warum lacht ihr?« sagte Effi pikiert. »Was soll das hei-

ßen?«»Ach, Effi, wir wollen dich ja nicht beleidigen, und auch

den Baron nicht. Innstetten sagtest du? Und Geert? So heißtdoch hier kein Mensch. Freilich, die adeligen Namen habenoft so was Komisches.«

»Ja, meine Liebe, das haben sie. Dafür sind es eben Ade-lige. Die dürfen sich das gönnen, und je weiter zurück, ichmeine der Zeit nach, desto mehr dürfen sie sich’s gönnen.Aber davon versteht ihr nichts, was ihr mir nicht übelneh-men dürft. Wir bleiben doch gute Freunde. Geert von Inn-stetten also und Baron. Er ist geradeso alt wie Mama, aufden Tag.«

»Und wie alt ist denn eigentlich deine Mama?«»Achtunddreißig.«»Ein schönes Alter.«»Ist es auch, namentlich wenn man noch so aussieht wie

die Mama. Sie ist doch eigentlich eine schöne Frau, findet ihrnicht auch? Und wie sie alles so weg hat, immer so sicher unddabei so fein und nie unpassend wie Papa. Wenn ich ein jun-ger Leutnant wäre, so würd’ ich mich in die Mama verlie-ben.«

»Aber Effi, wie kannst du nur so was sagen«, sagte Hulda.»Das ist ja gegen das vierte Gebot.«

»Unsinn. Wie kann das gegen das vierte Gebot sein? Ichglaube, Mama würde sich freuen, wenn sie wüßte, daß ichso was gesagt habe.«

»Kann schon sein«, unterbrach hierauf Hertha. »Abernun endlich die Geschichte.«

»Nun, gib dich zufrieden, ich fange schon an . . . Also Ba-ron Innstetten! Als er noch keine Zwanzig war, stand er

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drüben bei den Rathenowern und verkehrte viel auf denGütern hier herum, und am liebsten war er in Schwantikowdrüben bei meinem Großvater Belling. Natürlich war esnicht des Großvaters wegen, daß er so oft drüben war, undwenn die Mama davon erzählt, so kann jeder leicht sehen,um wen es eigentlich war. Und ich glaube, es war auch ge-genseitig.«

»Und wie kam es nachher?«»Nun, es kam, wie’s kommen mußte, wie’s immer

kommt. Er war ja noch viel zu jung, und als mein Papa sicheinfand, der schon Ritterschaftsrat war und Hohen-Crem-men hatte, da war kein langes Besinnen mehr, und sie nahmihn und wurde Frau von Briest . . . das andere, was sonstnoch kam, nun, das wißt ihr . . . das andere bin ich.«

»Ja, das andere bist du, Effi«, sagte Bertha. »Gott seiDank; wir hätten dich nicht, wenn es anders gekommenwäre. Und nun sage, was tat Innstetten, was wurde aus ihm?Das Leben hat er sich nicht genommen, sonst könntet ihr ihnheute nicht erwarten.«

»Nein, das Leben hat er sich nicht genommen. Aber einbißchen war es doch so was.«

»Hat er einen Versuch gemacht?«»Auch das nicht. Aber er mochte doch nicht länger hier in

der Nähe bleiben, und das ganze Soldatenleben überhauptmuß ihm damals wie verleidet gewesen sein. Es war ja auchFriedenszeit. Kurz und gut, er nahm den Abschied und fingan, Juristerei zu studieren, wie Papa sagt, mit einem ›wahrenBiereifer‹; nur als der Siebziger Krieg kam, trat er wieder ein,aber bei den Perlebergern statt bei seinem alten Regiment,und hat auch das Kreuz. Natürlich, denn er ist sehr schnei-dig. Und gleich nach dem Kriege saß er wieder bei seinenAkten, und es heißt, Bismarck halte große Stücke von ihm

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und auch der Kaiser, und so kam es denn, daß er Landratwurde, Landrat im Kessiner Kreise.«

»Was ist Kessin? Ich kenne hier kein Kessin.«»Nein, hier in unserer Gegend liegt es nicht; es liegt eine

hübsche Strecke von hier fort in Pommern, in Hinterpom-mern sogar, was aber nichts sagen will, weil es ein Badeortist (alles da herum ist Badeort), und die Ferienreise, die Ba-ron Innstetten jetzt macht, ist eigentlich eine Vetternreiseoder doch etwas Ähnliches. Er will hier alte Freundschaftund Verwandtschaft wiedersehen.«

»Hat er denn hier Verwandte?«»Ja und nein, wie man’s nehmen will. Innstettens gibt es

hier nicht, gibt es, glaub’ ich, überhaupt nicht mehr. Aber erhat hier entfernte Vettern von der Mutter Seite her, und vorallem hat er wohl Schwantikow und das Bellingsche Hauswiedersehen wollen, an das ihn so viel Erinnerungen knüp-fen. Da war er denn vorgestern drüben, und heute will erhier in Hohen-Cremmen sein.«

»Und was sagt dein Vater dazu?«»Gar nichts. Der ist nicht so. Und dann kennt er ja doch

die Mama. Er neckt sie bloß.«In diesem Augenblick schlug es Mittag, und ehe es noch

ausgeschlagen, erschien Wilke, das alte Briestsche Haus- undFamilienfaktotum, um an Fräulein Effi zu bestellen: »Diegnädige Frau ließe bitten, daß das gnädige Fräulein zu rech-ter Zeit auch Toilette mache; gleich nach eins würde der HerrBaron wohl vorfahren.« Und während Wilke dies noch ver-meldete, begann er auch schon auf dem Arbeitstisch derDamen abzuräumen und griff dabei zunächst nach dem Zei-tungsblatt, auf dem die Stachelbeerschalen lagen.

»Nein, Wilke, nicht so; das mit den Schlusen, das ist un-sere Sache . . . Hertha, du mußt nun die Tüte machen und

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einen Stein hineintun, daß alles besser versinken kann. Unddann wollen wir in einem langen Trauerzug aufbrechen unddie Tüte auf offener See begraben.«

Wilke schmunzelte.»Is doch ein Daus, unser Fräulein«, so etwa gingen seine

Gedanken; Effi aber, während sie die Tüte mitten auf dierasch zusammengeraffte Tischdecke legte, sagte: »Nun fas-sen wir alle vier an, jeder an einem Zipfel und singen wasTrauriges.«

»Ja, das sagst du wohl, Effi. Aber was sollen wir dennsingen?«

»Irgendwas; es ist ganz gleich, es muß nur einen Reim auf›u‹ haben; ›u‹ ist immer Trauervokal. Also singen wir:

Flut, FlutMach alles wieder gut . . .«,

und während Effi diese Litanei feierlich anstimmte, setztensich alle vier auf den Steg hin in Bewegung, stiegen in dasdort angekettelte Boot und ließen von diesem aus die miteinem Kiesel beschwerte Tüte langsam in den Teich nieder-gleiten.

»Hertha, nun ist deine Schuld versenkt«, sagte Effi, »wo-bei mir übrigens einfällt, so vom Boot aus sollen früher aucharme unglückliche Frauen versenkt worden sein, natürlichwegen Untreue.«

»Aber doch nicht hier.«»Nein, nicht hier«, lachte Effi, »hier kommt so was nicht

vor. Aber in Konstantinopel, und du mußt ja, wie mir ebeneinfällt, auch davon wissen, so gut wie ich, du bist ja mitdabei gewesen, als uns Kandidat Holzapfel in der Geogra-phiestunde davon erzählte.«

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»Ja«, sagte Hulda, »der erzählte immer so was. Aber sowas vergißt man doch wieder.«

»Ich nicht. Ich behalte so was.«

ZWEITES KAPITEL

Sie sprachen noch eine Weile so weiter, wobei sie sich ihrergemeinschaftlichen Schulstunden und einer ganzen ReiheHolzapfelscher Unpassendheiten mit Empörung und Beha-gen erinnerten. Ja, man konnte sich nicht genug tun damit,bis Hulda mit einem Male sagte: »Nun aber ist es höchsteZeit, Effi; du siehst ja aus, ja, wie sag’ ich nur, du siehst jaaus, wie wenn du vom Kirschenpflücken kämst, alles zer-knittert und zerknautscht; das Leinenzeug macht immerso viele Falten, und der große, weiße Klappkragen . . . ja,wahrhaftig, jetzt hab’ ich es, du siehst aus wie ein Schiffs-junge.«

»Midshipman, wenn ich bitten darf. Etwas muß ichdoch von meinem Adel haben. Übrigens Midshipman oderSchiffsjunge, Papa hat mir erst neulich wieder einen Mast-baum versprochen, hier dicht neben der Schaukel, mitRaaen und einer Strickleiter. Wahrhaftig, das sollte mir ge-fallen, und den Wimpel oben selbst anzumachen, das ließ’ich mir nicht nehmen. Und du, Hulda, du kämst dann vonder anderen Seite her herauf, und oben in der Luft wolltenwir Hurra rufen und uns einen Kuß geben. Alle Wetter, dassollte schmecken.«

»›Alle Wetter . . .‹, wie das nun wieder klingt . . . Dusprichst wirklich wie ein Midshipman. Ich werde michaber hüten, dir nachzuklettern, ich bin nicht so waghalsig.Jahnke hat ganz recht, wenn er immer sagt, du hättest zuviel

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von dem Bellingschen in dir, von deiner Mama her. Ich binbloß ein Pastorskind.«

»Ach, geh mir. Stille Wasser sind tief. Weißt du noch, wiedu damals, als Vetter Briest als Kadett hier war, aber dochschon groß genug, wie du damals auf dem Scheunendachentlangrutschtest. Und warum? Nun, ich will es nicht verra-ten. Aber kommt, wir wollen uns schaukeln, auf jeder Seitezwei; reißen wird es ja wohl nicht, oder wenn ihr nicht Lusthabt, denn ihr macht wieder lange Gesichter, dann wol-len wir Anschlag spielen. Eine Viertelstunde hab’ ich noch.Ich mag noch nicht hineingehen, und alles bloß, um einemLandrat guten Tag zu sagen, noch dazu einem Landrataus Hinterpommern. Ältlich ist er auch, er könnte ja bei-nah mein Vater sein, und wenn er wirklich in einer Seestadtwohnt, Kessin soll ja so was sein, nun, da muß ich ihm indiesem Matrosenkostüm eigentlich am besten gefallen undmuß ihm beinah wie eine große Aufmerksamkeit vorkom-men. Fürsten, wenn sie wen empfangen, soviel weiß ich vonmeinem Papa her, legen auch immer die Uniform aus derGegend des anderen an. Also nur nicht ängstlich . . . rasch,rasch, ich fliege aus, und neben der Bank hier ist frei.«

Hulda wollte noch ein paar Einschränkungen machen,aber Effi war schon den nächsten Kiesweg hinauf, links hin,rechts hin, bis sie mit einem Male verschwunden war. »Effi,das gilt nicht; wo bist du? Wir spielen nicht Versteck, wirspielen Anschlag«, unter diesen und ähnlichen Vorwürfeneilten die Freundinnen ihr nach, weit über das Rondell unddie beiden seitwärts stehenden Platanen hinaus, bis die Ver-schwundene mit einem Male aus ihrem Verstecke hervor-brach und mühelos, weil sie schon im Rücken ihrer Verfol-ger war, mit »eins, zwei, drei« den Freiplatz neben der Bankerreichte.

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