Ein Archiv, viele Gesichter und viele...

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12 MEMORIAV BULLETIN №25 Ein Archiv, viele Gesichter und viele Stimmen Das Audiovisuelle Archiv von Capriasca und Val Colla in Roveredo (Tessin) ist ein vom Kanton anerkanntes Regionalmuseum, das sich das Auffinden und Dokumentieren von Bildern in Dörfern der Region auf die Fahne geschrieben hat. Neben eigenen Beständen besteht ein grosser Teil seiner Sammlung aus digitalisierten Bildern vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum heutigen Tag. Entstehung und Anordnung Das 2007 gegründete Audiovisuelle Archiv von Ca- priasca und Val Colla (ACVC) sammelt, bewahrt und stellt der Bevölkerung sowie weiteren interessier- ten Kreisen Bilder und mündliche Überlieferungen zur Verfügung, die das kollektive Gedächtnis der Region ausmachen. Das gesammelte audiovisuelle Erbe stammt grösstenteils von Privatpersonen, die ihre Bilder, Erfahrungen und ihr Wissen darüber dem Archiv zur Verfügung stellen. Es sind oft wich- tige Sammlungen mit privatem und öffentlichem Charakter (Fotos von Veranstaltungen, Festen, Or- ten und Landschaften, Einweihungen, Handwerk, religiöse Praktiken, Momente in der Geschichte der Region wie Auswanderungen oder der Bau von Ge- bäuden und Strassen, Hochzeiten und Portraits). «I materiali raccolti non stanno là nelle scaffalature in un›interminabile attesa, diventando cioè sempre più archivio, secondo il vecchio vocabolario, ma Nicola Arigoni Präsident der Associazione memoria audiovisiva von Capriasca und Val Colla Foto: Gabriella Meyer (CDE) sono invece percorsi da una viva impazienza di entrare nella dialettica odierna di contribuire a cre- are una formazione più libera fin dalla sua radice». Dieses Zitat des italienischen Schriftstellers Cesare Zavattini eignet sich für die Definition der Absich- ten und der Strukturierung von ACVC. Es ist wichtig zu betonen, dass das von ACVC gesammelte foto- grafische Erbe sonst nicht sichtbar und verfügbar wäre, da die Bilder grösstenteils aus privaten Be- ständen stammen. Was die Bilder betrifft, besteht die Arbeit aus zwei Phasen: zum einen der Suche, dem Sammeln und Scannen dieser Bilder und zum anderen der Kata- logisierung, damit sie leichter gefunden werden können. Diese Arbeiten werden nach den Kriterien von Memoriav und der Schweizer Nationalphono- thek durchgeführt. Da das Archiv vom Kanton Tes- sin als Regionalmuseum anerkannt ist, werden auch die digitalen Daten auf den Servern des Kan-

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12 M E M O R I A V B U L L E T I N № 25

Ein Archiv, viele Gesichter und viele StimmenDas Audiovisuelle Archiv von Capriasca und Val Colla in Roveredo (Tessin) ist

ein vom Kanton anerkanntes Regionalmuseum, das sich das Auffinden und

Dokumentieren von Bildern in Dörfern der Region auf die Fahne geschrieben

hat. Neben eigenen Beständen besteht ein grosser Teil seiner Sammlung

aus digitalisierten Bildern vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum heutigen Tag.

Entstehung und AnordnungDas 2007 gegründete Audiovisuelle Archiv von Ca-priasca und Val Colla (ACVC) sammelt, bewahrt und stellt der Bevölkerung sowie weiteren interessier-ten Kreisen Bilder und mündliche Überlieferungen zur Verfügung, die das kollektive Gedächtnis der Region ausmachen. Das gesammelte audiovisuelle Erbe stammt grösstenteils von Privatpersonen, die ihre Bilder, Erfahrungen und ihr Wissen darüber dem Archiv zur Verfügung stellen. Es sind oft wich-tige Sammlungen mit privatem und öffentlichem Charakter (Fotos von Veranstaltungen, Festen, Or-ten und Landschaften, Einweihungen, Handwerk, religiöse Praktiken, Momente in der Geschichte der Region wie Auswanderungen oder der Bau von Ge-bäuden und Strassen, Hochzeiten und Portraits). «I materiali raccolti non stanno là nelle scaffalature in un›interminabile attesa, diventando cioè sempre più archivio, secondo il vecchio vocabolario, ma

Nicola ArigoniPräsident der Associazione memoria audiovisiva von Capriasca und Val CollaFoto: Gabriella Meyer (CDE)

sono invece percorsi da una viva impazienza di entrare nella dialettica odierna di contribuire a cre-are una formazione più libera fin dalla sua radice». Dieses Zitat des italienischen Schriftstellers Cesare Zavattini eignet sich für die Definition der Absich-ten und der Strukturierung von ACVC. Es ist wichtig zu betonen, dass das von ACVC gesammelte foto-grafische Erbe sonst nicht sichtbar und verfügbar wäre, da die Bilder grösstenteils aus privaten Be-ständen stammen.Was die Bilder betrifft, besteht die Arbeit aus zwei Phasen: zum einen der Suche, dem Sammeln und Scannen dieser Bilder und zum anderen der Kata-logisierung, damit sie leichter gefunden werden können. Diese Arbeiten werden nach den Kriterien von Memoriav und der Schweizer Nationalphono-thek durchgeführt. Da das Archiv vom Kanton Tes-sin als Regionalmuseum anerkannt ist, werden auch die digitalen Daten auf den Servern des Kan-

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PRIVATARCHIVE / ARCHIVES PRIVéESSchweizer Scharfschützen 50 Jahre Bankett in San Francisco, 28. 7. 1912 (29,5 × 18 cm). Foto: ACVC

tons und der Nationalphonothek gespeichert. Auch bei mündlichen Dokumenten, d. h. historisch-eth-nografischen Interviews, stützen wir uns auf die von Memoriav vorgegebenen technischen Parame-ter und katalogisieren dementsprechend in der Daten bank der Nationalphonothek.Sobald die Kuratorin des Archivs die Bilder in Emp-fang nimmt, beginnt die Arbeit der Selektion, da nur bestimmte Arten von Bildern ausgewählt wer-den: solche, die einen historisch-dokumentari-schen oder ästhetischen Wert haben oder für einen bestimmten Brauch oder ein bestimmtes Hand-werk repräsentativ sind sowie Bilder von Land-schaften. Oft wird die Auswahl zusammen mit dem Besitzer der Dokumente getroffen, der nützliche Informationen für die Auswahl bereitstellen kann. Der Besitzer ist auch zum Zeitpunkt der Rückgabe der Originale präsent, damit die Kuratorin so viele Informationen wie möglich über die ausgewählten Bilder erhält. Nachdem die Originale eingescannt und zurückgegeben wurden (und ein Leihvertrag unterzeichnet wurde), werden sie mit dem System der Schweizer Nationalphonothek katalogisiert.

Art der BeständeNeben den vielen Familienfonds sind in den letzten Jahren auch eine Reihe von Spezialfonds verzeich-net worden. Insbesondere folgende Bestände: die Fotosammlung des Bildhauers Mario Bernasconi und seiner Frau Irma Pannes, die von 1929 bis 1933 in Sala Capriasca lebten. Es handelt sich um 170 Bilder, zum grössten Teil von Capriasca, aber auch von Lugano, Morcote, Gandria; der Bestand Domenico Quirici Bidogno, der ca. 150 Fotoplatten umfasst, die zwischen 1880 und 1910 entstanden sind; der Fotobestand des Klosters Bigorio, von denen etwa 400 Bilder ausgewählt wurden, darunter Fotos von Innenräumen mit Mönchen bei der Arbeit und im Gebet, von Aussenräumen, von vielen religiö-sen Zeremonien, von Prozessionen, von Besuchen wichtiger Personen, von Landschaften, von Dokumenta-tionen über die Rekonstruktion des Kreuzwegs und vom Feuer von 1987; der Bestand Luigi-Rossi, wichtig für die Beziehung zwischen Fotografie und Malerei des grossen Tessiner Malers; der Bestand Ernest Bloch, etwa sechzig Fotografien, die der Schweizer Komponist während sei-nes Aufenthalts im Roveredo Anfang der dreissiger Jahre des zwanzigsten

Jahrhunderts aufgenommen hat. Neben digitalen Bildern ist ACVC auch Sammler von Originalbildern und speichert ebenso Papierdokumente (Briefe, Zeitschriften, Testamente) und Videodokumente.

Sichtbarkeit der gesammelten BeständeDie von ACVC katalogisierten Doku-mente umfassen ca. 7000 Bilder, die alle auf der Website des Archivs ein-gesehen werden können. Darüber hinaus ist die Website nützlich, um neue Akquisitionen zu fördern und einen direkten Kontakt zu Informan-ten oder Bildbesitzern zu haben. Zudem ermöglicht sie den Nutzern völlige Wahlfreiheit bei der Bildbe-trachtung. Die Originalität des ACVC-Ansatzes besteht darin, dass er das für die Bevölkerung interessante Bildmaterial ohne zeitliche und the-matische Einschränkungen zusam-menführt.

Archivio audiovisivo di Capriasca e Val CollaNucleo 5, 6957 [email protected] www.acvc.ch

Porträt des Auswanderers Angelo Rossini aus Insone in Fort Lewis (WA) 1943. Foto: ACVC

I materiali raccolti non stanno là nelle

scaffalature in un’interminabile

attesa, (...), ma sono invece percorsi da una

viva impazienza di entrare nella dialettica odierna di contribuire

a creare una forma­zione più libera

fin dalla sua radice.