Ein Hauch von Ewi - natuerlich-online.ch · Kambrium Proterozoikum 2 Mio. 140 Mio. 65 Mio. 205 Mio....

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Ein Hauch von Ewi

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Ein Hauch von Ewi

gkeit

Spätestens seit «Jurassic Parc»

sind in Bernstein eingeschlossene

Insekten Gegenstand wilder

Spekulationen über die Wieder-

belebung von Sauriern. Doch das ist

Utopie. Bernsteineinschlüsse sind

für die Forscher von Heute vor

allem eins: Einzigartige Fenster in

die Vergangenheit unserer Erde.

Text und Fotos: Heinz Günter Beer

Vor etwa 30 Millionen Jahren tobte ein heftigerSturm an einer Küste der mittelamerikani-schen Landbrücke und zerstörte grosse Teileeines Waldgebietes. Nach dem Abklingen

dieser elementaren Gewalt waren die meisten Bäumegebrochen und zerborsten. Gelbes Harz floss ausihren Aststümpfen und abgeknickten Stämmen. EineVielzahl von kleinen Organismen blieb an der zähengoldgelben Flüssigkeit kleben oder wurde von ihrkomplett eingeschlossen.

Eingefangen beim letzten FlugDies geschah auch mit einer kleinen Eintagsfliege,die gerade zu einem Erkundungsflug durch ihr zer-störtes Revier aufbrechen wollte, als sie von einemzähen Tropfen Harz gänzlich eingeschlossen wurde.Nur wenige Zeit später war sie mit Terpenen undanderen Inhaltsstoffen durchsetzt, die das Wasserin ihrem Körper verdrängten und die Bakterien ab-töteten.

Umweltfaktoren wie Luft, Licht und Sonnen-wärme wirkten in erheblichem Masse auf das Harzein. Dadurch vereinigten sich die langen Faden-moleküle aus Kohlenstoffverbindungen immer inni-ger. Letztlich fiel der gehärtete Klumpen zusammenmit einer Vielzahl anderer zu Boden.

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Paläontologie NATUREintagsfliege

PaläontologieNATUR

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Viele Jahre später wurde sie von einerSturmflut mit den anderen verwitterndenStämmen ins Flachmeer gerissen, wo sieim Laufe der Zeit in einer Lagune unterSedimenten verschwand.

In Jahrmillionen verwandelte derDruck dieser Sedimentschichten den Waldin Kohle. Ebenso veränderten die äusserenBedingungen den weichen, duftenden Harzin eine harte und geruchslose Substanz.Lange Zeit danach hoben tektonischeKräfte diese Schichten langsam etwa 1000Meter nach oben. Nun befand sich auchunser Klumpen mit der eingeschlossenenEintagsfliege in einem der steilen Küsten-berge der Antilleninsel Hispaniola.

Fenster in die VergangenheitVor einigen Jahren suchte ein Bernstein-gräber in der Dominikanischen Republikneue Fundstellen und stiess auf eineKohleader, die ein Erdrutsch freigelegthatte. Nachdem er einige Stunden daringrub, fand er die erhofften, zunächst nochunansehnlichen Klumpen. Bei einem dieserRelikte aus der Vergangenheit schlug ergeschickt mit einer Machete einen Span derverunreinigten und korrodierten Aussen-schicht ab und wie durch ein Fenster zurVergangenheit erblickte er durch den gold-gelb schimmernden Bernstein die kleineEintagsfliege, deren Flug vor vielen Millio-nen Jahren so abrupt unterbrochen wurde.

So oder ähnlich haben sich viele Ge-schichten von Bernsteinfunden in derDominikanischen Republik, im Baltikumoder in anderen Regionen der Erde ab-gespielt und letztlich immer wieder Ver-wunderung und Faszination unter denPaläontologen hervorgerufen.

Bernstein-Eldorado für ForscherErkenntnisse über die biologische Evolu-tion aus erdgeschichtlich früheren Zeit-räumen gehörten zu den Hauptaufgabender Paläontologen. In Bernstein einge-schlossene Organismen und Pflanzenteileliefern eine Reihe von Informationenüber die Artenvielfalt und -zusammen-setzung aus erdgeschichtlich früherenEpochen. Dabei sind sowohl die Identifi-kation und die nachfolgende biologischeEinordnung von Bedeutung als auch dieArtenzusammensetzung, die innerhalbeines Bernsteinklumpens gefunden wer-den, interessante Forschungsziele.

Zwei Arten von Bernsteinen mit Er-folgsaussichten, darin eingeschlossene Or-ganismen zu finden, sind heute bekannt.Der eine ist der baltische Bernstein, der imgesamten Ostseeraum zu finden ist. Dane-ben gibt es den karibischen Bernstein, des-sen hauptsächliche Fundstellen in der Do-minikanischen Republik und einigen an-grenzenden Staaten liegen. Vor einiger Zeitresümierte Dieter Schlee vom paläontologi-schen Institut Stuttgart: «Dieser tropischeBernstein, der 20 bis 50 Millionen Jahrealt sein dürfte, ist viel fossilreicher als derbaltische und deshalb auch die ergiebigereInformationsquelle für Paläontologen.»

Auf den Baum kommt es anDas dominikanische Harz härtet offenbarschneller und klarer als der vermutlich40 bis 50 Millionen Jahre alte Bernstein ausdem Ostseeraum. Baltischer Bernstein istbeim Auffinden auch oft durch eine Viel-zahl eingeschlossener Wassertröpfchenmilchig trübe und kann dann erst durchtechnische Manipulation geklärt werden.

Ursprünglich floss aus den verwunde-ten Bäumen, zusammen mit der aus klein-sten Leitungsbahnen der Pflanze ent-

strömenden goldgelben Flüssigkeit, auchviel Wasser, welches sich chemisch mitdem Harz nicht verband.

Thermische Einwirkungen, wie etwadurch starke Sonnenbestrahlung, dürftenspeziell beim karibischen Bernstein dasWasser später ausgepresst haben undlassen ihn deshalb klarer und durchschei-nender aussehen.

Die auffallend vielen Einschlüsse deskaribischen Bernsteins sind sicherlich aufdie besonderen Klima- und Umwelt-bedingungen der tropischen Fauna zu-rückzuführen. Ein weiterer Grund fürdie optischen Besonderheiten des domini-kanischen Bernsteins könnte auch darinbegründet sein, dass die Harze der Laub-bäume, von dem dieser Bernstein vermut-lich stammte, andere Eigenschaften hatteals jener der Nadelbäume Südskandi-naviens.

Diese tropischen Bäume produzierenauch heute noch Harze, die an der Luftrasch erhärten. Schon nach wenigen Jahrenkann diese bernsteinähnlich aussehendeSubstanz als Kopal gewonnen werden. Al-lerdings fehlen ihr noch die besonderenchemischen Eigenschaften des Bernsteins,die er erst durch Fossilisation gewinnt.

Paläontologie NATUR

2,0 Milliarden

1,0Milliarden

3,0Milliarden

3,4 MilliardenErste Lebensspuren

4,0 MilliardenBildung derErdkruste

Vor 4,5 Milliarden Jahren:Entstehung der Erde

Erscheinendes Menschen

Quartär

TertiärKreideJura

Trias

Perm

Karbo

n

Devo

n

Silur

Ordo

vizium

Kam

briu

m

Prot

eroz

oikum

2 Mio.

65 Mio.140 Mio.

205 Mio.

250 Mio.

290 Mio.

355 Mio.

415 Mio.

445 Mio.

495 Mio.

Entfaltung der Blütenpflanzen,Säugetiere undVögel

Flugechsen,Dinosaurier

Flugsaurier

Erste Blütenpflanzen,Aussterben der Ammoniten

Palmfarne

Erste Vögel

Nadelbäume

Samen-farne

ErsteSäuge-

tiereSäuger-

ähnlicheReptilien

Schuppen-undSiegelbäume

Erste ReptilienFrühesteLurche

ErsteLandpflanzen

Erste Fische

MarineWirbellose

MarinePflanzen

545 Millionen

Würmer

Algen

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Zu spät abgehoben: Die Flügel erst halbentfaltet, erwischte ein Harztropfen diesenSandlaufkäfer vor etwa 30 Millionen Jahren (Kleines Bild = Originalgrösse)

Gra

fik: s

auti

.de

Heute lagert an den paläontologi-

schen Instituten und erdgeschichtli-

chen Museen eine Vielzahl noch nicht

untersuchter Bernsteineinschlüsse.

Laufend kommen weitere Funde hinzu.

Durch die Verfeinerung der bestehen-

den Untersuchungstechniken und

-geräte können diese Zeugen der Ver-

gangenheit immer genauer untersucht

und klassifiziert werden. Dadurch

wächst das Verständnis für die evo-

lutionsbiologischen Vorgänge aus

früheren Epochen der Erde ständig an.

EEiinnee FFeeddeerr aauuss ddeerr SSaauurriieerrzzeeiitt

Besonders interessiert derzeit Bern-

stein aus der Kreidezeit von vor 140

bis vor rund 65 Millionen Jahren, an

deren Ende die letzten Dinosaurier

ausstarben. In dieser Ära erschienen

viele der auch heute noch existieren-

den Blütenpflanzen und der jetzigen

Insektenordnungen, wie Ameisen,

Termiten, Bienen, Schmetterlinge oder

Käfer, die sich parallel zu dieser Pflan-

zenwelt entwickelt haben.

Ein bedeutender Fundort für äusserst

alten Bernstein in Amerika wurde erst

vor einigen Jahren in New Jersey ent-

deckt. Dieser enthält einige Fossilien

aus der erdgeschichtlichen Epoche der

Oberkreide, die in der Zeitspanne von

vor 94 bis 90 Millionen Jahren lag.

So stiess man auf eine Vogelfeder, die

das früheste Zeugnis für Vögel auf

dem amerikanischen Kontinent ist.

AAuuff ddeerr SSuucchhee nnaacchh SSaauurriieerr--DDNNAA

Natürlich hat hier die Frage nach dem

Wiedererwecken ausgestorbener

Lebewesen durch die Methoden der

modernen Molekularbiologie seinen

ganz besonderen Reiz. Nachdem

schon vielfach Erbgut von in Bernstein

eingeschlossenen Insekten isoliert

und auch sequenziert wurde, wäre es

durchaus auch möglich, DNA-Sequen-

zen von Organismen höherer Ordnung

zu entdecken, womöglich sogar das

genetische Material von Dinosauriern.

Voraussetzung für Klon-Experimente

mit «Dino-DNA» wäre das vollständig

erhaltene Erbgut eines Dinosauriers.

Bisher konnte dieses Ausgangsmate-

rial für weitere Versuche allerdings

noch nicht gefunden werden. Der

bislang älteste Fund mit komplett

erhaltenem Erbgut war der eines in

Sibirien eingefrorenen Mammuts.

Der überwiegende Teil der bislang

gefundenen Bernsteine stammt aus

der Zeitepoche des Tertiärs, vor etwa

20 bis 50 Millionen Jahren. Die letzten

Dinosaurier starben in der Kreidezeit

aus, also vor etwa 70 Millionen Jahren.

Es wäre schon ein ausgesprochener

Glückstreffer, wenn sich in der ohne-

hin geringen Anzahl an Bernsteinein-

schlüssen aus der Kreidezeit noch

«Dino-DNA» isolieren lassen sollte.

DDiiee GGrreennzzeenn ddeess MMöögglliicchheenn

Falls wirklich eines Tages eine original

Dinosaurier-DNA gefunden würde und

das extrahierte Material auch noch

vollständig erhalten wäre, ergäbe sich

ein weiteres Problem. Einen Dinosau-

rier aus eben diesem Erbmaterial mit

den derzeit zur Verfügung stehenden

molekularbiologischen Methoden

zu reproduzieren, ist die weitaus grös-

sere Herausforderung. Natürlich

erzeugt der Gedanke des «Wieder-

erweckens» einer ausgestorbenen

Tierart bei Paläontologen ein gewisses

Kribbeln, dennoch hat ein Szenario,

wie es in den Filmen «Jurassic Parc»

gezeigt wurde, derzeit noch mehr mit

Science-Fiction als mit Realität zu tun.

Für Paläontologen und Molekular-

genetiker bieten die Bernstein-

einschlüsse dennoch unvergleichliche

Einblicke in das Tertiär und sogar in

die Kreidezeit. Dank des wohl besten

aller natürlichen Konservierungsmittel

geben sie Zeugnis von entscheiden-

den Epochen der biologischen Evolu-

tion.

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Überlebenskünstleraus früheren EpochenDer Beginn allen biologischen Lebens fandvor 3,5 Milliarden Jahren in den Urozea-nen mit dem Erscheinen der ersten pro-teinartigen Strukturen statt. Aus diesenprimitiven Vorläufern allen Lebens ent-wickelte sich im Laufe von Jahrmillionendiese Artenvielfalt, die wir heute kennen.

In der allgemein gültigen Vorstellungüber die Entstehung des Lebens werdendie Vorläufer der lebenden Zellen Proto-bionten genannt. Diese bildeten sichdurch den Zusammenschluss von abio-tisch entstandenen grösseren Molekül-verbänden. Die ersten differenziert struk-turierten Kleinstlebewesen, die sich auseiner Vielzahl von bakterienähnlichenVorfahren vor etwa 1,5 Milliarden Jahrenentwickelten, waren vermutlich einzellig.Diese niederen Organismen sind so gese-hen die Vorläufer von Pflanzen, Pilzenund Tieren, also jener vielzelligen Orga-

PaläontologieNATUR Unlösbar verbunden:Eine Milbe hat sich

im Rücken einer Langbeinfliegefestgebissen

«Jurassic Parc» – Traum oder bald Realität

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nismen, die uns heute vertraut sind. DieGeschichte des Lebens ist untrennbar mitder Entstehung der ersten strukturiertenZellen mit Zellkern und Organellen undder darauf folgenden Weiterentwicklungzu den ersten vielzelligen Lebensformenverbunden.

Die Welt vor 400 Millionen JahrenDie in Bernstein eingeschlossenen und imLaufe von vielen Millionen Jahren kon-servierten Lebewesen sind zum überwie-genden Anteil Insekten. Die ältesten ge-fundenen fossilen Insekten datieren indie erdgeschichtliche Epoche des Devonszurück, das vor 400 Millionen Jahren be-gann. An Artenvielfalt übertreffen die In-sekten alle übrigen Lebensformen zusam-men. Sie sind in beinahe jedem terres-trischen Lebensraum anzutreffen, undfinden sowohl im Süsswasser als auch

auf dem Boden oder in der Luft geeigneteÜberlebensbedingungen. Dies lässt er-kennen, wie ausgefeilt ihr Bauplan ausevolutionsbiologischer Sicht bereits war,als sie vor 400 Millionen Jahren erstmalsauf unseren Planeten erschienen.

Ihre Artenvielfalt hat sich seitdemweiter vergrössert und auf alle Konti-nente ausgedehnt. Wolfgang Weitschatvon paläontologischen Institut Hamburg:«Besonders interessant ist die strukturelleBeständigkeit vieler Arten, die bis heuteunverändert geblieben sind.»

Sowohl die Eintagsfliege als auch dieLangbeinfliege sind in ihrer äusseren Ge-stalt über die vielen Jahrmillionen bisheute nahezu identisch geblieben. Darauslässt sich erkennen, dass die Klasse der«Insecta» nicht nur im Allgemeinen, son-dern auch im Speziellen einen sehr über-lebensfähigen Bauplan besitzt. Wie langewir Menschen in unserer Art gleich blei-ben werden und wann und in welcher

Form der Evolutionsdruck uns verän-dern wird, werden erst zukünftige erd-geschichtliche Epochen zeigen. ■

INFOB OX

Literatur• Krumbiegel/Krumbiegel: «Bernstein –

Fossile Harze aus aller Welt», Verlag Quelle + Meyer 2005, ISBN 3-494-01400-5, Fr. 34.90

• Wichard/Weitschat: «Im Bernsteinwald»,Verlag Gerstenberg 2004, ISBN 3-8067-2551-3, Fr. 60.50

• Reinicke: «Bernstein – Gold des Meeres»,Verlag Hinstorff 2000, ISBN 3-356-00642-1, Fr. 14.–

Internet• www.inklusen.de• www.paleontology.uni-bonn.de/

bernstein.htm• www.dmoz.ch/online-lexikon/Fossilisation• www.planet-wissen.de (Suchbegriff Bern-

stein eingeben)

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