Ein Sonntagnachmittag Auf Der Insel La Grande Jatte

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Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte Einleitung 1886 stellte ein siebenundzwanzigjähriger junger Maler namens Georges Pierre Seurat ein gewaltiges (über 2 x 3 Meter großes) in einer bisher noch nicht gesehenen Art und Weise gestaltetes Gemälde auf der letzten Impressionistenausstellung in der Maison Dorée aus. Die Stilrichtung, die mit dem Bild Ein Sonntagnachmittag auf der Insel la Grande Jatte wie ein „Skandalerfolg“ sofort berühmt wurde, wurde und wird gleichzeitig mit drei verschiedenen Namen bezeichnet, die auf die drei wichtigsten Ansatzpunkte der Malerei Seurats hinweisen. Nach seiner künstlerischen Zielsetzung nennt man den neuen Stil Neo-Impressionismus, denn Seurat wollte die Ziele des Impressionismus (besonders die Betonung der Farben) auf einem neuen (wissenschaftlich begründeten) Weg verwirklichen. Aufgrund der Theorie, durch die Seurat diesen Weg gefunden zu haben glaubte, spricht man über den Divisionismus 1 . Die Zerlegung der Farben auf ihre elementare Teile, Pigmente demonstrierte den eigentlichen Vorgang des Sehens. Drittens entstand nach der Maltechnik, wie die Zielsetzung und Theorie ausgeführt wurde, der Begriff des Pointillismus, die Bezeichnung für das Malen in Punktmanier. 1 Lajos Németh, Seurat: 1859-1891, Budapest 1966. 1

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Kunst; Pointillismus; Georges Pierre Seurat;Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte; Neo-Impressionismus; Divisionismus; Kunstgeschichte; Hausarbeit;

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Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte

Einleitung

1886 stellte ein siebenundzwanzigjähriger junger Maler namens Georges Pierre Seurat ein

gewaltiges (über 2 x 3 Meter großes) in einer bisher noch nicht gesehenen Art und Weise

gestaltetes Gemälde auf der letzten Impressionistenausstellung in der Maison Dorée aus.

Die Stilrichtung, die mit dem Bild Ein Sonntagnachmittag auf der Insel la Grande Jatte wie

ein „Skandalerfolg“ sofort berühmt wurde, wurde und wird gleichzeitig mit drei

verschiedenen Namen bezeichnet, die auf die drei wichtigsten Ansatzpunkte der Malerei

Seurats hinweisen.

Nach seiner künstlerischen Zielsetzung nennt man den neuen Stil Neo-Impressionismus, denn

Seurat wollte die Ziele des Impressionismus (besonders die Betonung der Farben) auf einem

neuen (wissenschaftlich begründeten) Weg verwirklichen.

Aufgrund der Theorie, durch die Seurat diesen Weg gefunden zu haben glaubte, spricht man

über den Divisionismus1. Die Zerlegung der Farben auf ihre elementare Teile, Pigmente

demonstrierte den eigentlichen Vorgang des Sehens.

Drittens entstand nach der Maltechnik, wie die Zielsetzung und Theorie ausgeführt wurde, der

Begriff des Pointillismus, die Bezeichnung für das Malen in Punktmanier.

Georges Pierre Seurat

Seurat wurde als Sohn einer wohlhabenden bürgerlichen Familie 1859 in Paris geboren, was

ihm eine gewisse, wenn auch nicht große finanzielle Sicherheit in seinem ganzen Leben

ermöglichte. Als Kind wurde er von seinem Onkel, einem Amatuermaler, in die Malerei

eingeführt. Während seiner Gymnasiumjahre besuchte eine städtische Zeichnerschule, danach

wurde er in die École des Beaux-Arts aufgenommen. 1879 verließ die École des Beaux-Arts

und mietet zusammen mit zwei Studienkollegen ein Atelier, und die Bilder der vierten

Ausstellung der Impressionisten befreiten Seurat von den bis dahin gelernten starren

akademischen Regeln. Später mietete er allein ein kleines Atelier.

1Lajos Németh, Seurat: 1859-1891, Budapest 1966.

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„Seurat war einer jener friedfertigen Dickschädel, die so aussehen, als hätten sie vor allem

Angst, jedoch im Grunde vor nichts zurückschrecken. Er arbeitete mit großer Verbissenheit

und lebte völlig zurückgezogen wie ein Mönch in einem kleinen Atelier“ –beschrieb der

zeitgenössische Schriftsteller Arséne Alexandre ihn.2

Seurat starb 1891 nur 31 Jahre alt an einer Infektion.

Der Weg zum Pointillismus

Seurat bildete sich autodidaktisch weiter. Er kopierte Jean Auguste Dominique Ingres, Hans

Holbein den Jüngeren, Raffael und Poussin.

Als Leitbild für ihn diente einerseits Ingres, der größte französische Maler der Form, wie das

auch die folgenden Wörter Edmond-Francois Aman-Jeans bestätigen: „Ingres war lange Zeit

der Abgott Seurats.“ 3

Andererseits kopierte er hauptsächlich von Poussin. Für das Werk Nicolas Poussin war die

Betonung der Linie charakteristisch. Bei ihm entdeckte er „die genauste Organisation des

Bildplans, ein System des Räumlichen“4, das er nachzuahmen versuchte, so lernte er

disziplienierte, flächige Schichten im Bild konstruieren.

Sein weiteres Vorbild war Eugéne Delacroix, der große Kolorist. Wie Félix Fénéon schrieb:

„So beharrlich interessierte sich Seurat wohl für niemandes anderen Werk. Ganz gewiss trug

Delacroix zu seiner Ausbildung bei.“5 In der Kirche St. Sulpice studierte er Delacroixs

Wandmalereien und bewunderte die Starke Farbigkeit der „Frauen von Algier“. Bei seinen

Werken bemerkte Seurat, dass die Farbtupfen von größerer Entfernung verschmelzen und

wirksamer werden.

Bald darauf begann er sich mit farbwissenschaftlichen Untersuchungen zu beschäftigen. Er

befasste sich mit den Theorien von Charles Blanc, Chevreul, Dove, Hemholtz, Maxwell,

Rood und Sutter. Von Chevreul und Rood lernte Seurat, dass die Farben erst im Auge

2 Zitat aus Hajo Düchting, Seurat 1859 – 1891. Malerei auf den Punkt gebracht, Köln (u. a.) 1999.

3 Zitat aus Michael F. Zimmermann [Hrsg.], Seurat, sein Werk und die kunsttheoretische Debatte seiner Zeit, Weinheim 1991.

4 „Seurat, Georges” in: Wolf Stadler [Hrsg.], Lexikon der Kunst. Malerei, Architektur, Bildhauerkunst, Bd. 11, Freiburg [u.a.] 1990, S.19-24.

5 Zitat aus Michael F. Zimmermann [Hrsg.], a.a.O.

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gemischt werden. Dies sollte Seurat inspiriert haben, die Pigmente als Grundfarben Punkt für

Punkt verwenden. Rood ermittelte genau die zusammenstimmenden Komplementärfarben,

sein Farbkreis mit einander gegenüberliegenden Komplementärfarben war für Seurat sehr

nützlich. Der Gedanke von Blanc, dass „die Farbe festen Regeln unterworfen ist und wie die

Musik gelehrt werden könne“6, bestimmte seine weitere Entwicklung. Blancs Buch hat

Seurat zuerst als Schüler gelesen, dann hat er es in der École des Beaux-Arts wiederentdeckt.

Seine Entwicklung zeigt auch , dass erden Schatten zuerst durch kleine parallele Striche

zeichnete, diese wurden dann gegen 1880 zu samtartigen Schatten. 1882/1883 hat er in

seinen Flächenzeichnungen die Linien geometrisch streng gestaltet, er benutzte noch

gemischte Farben auch, aber die Farbtupfen waren schon getrennt. Signac beschrieb diese:

„Ganz einfache Skizzen, aber in den Kontrasten und Abstufungen so genau studiert, dass man

nach ihnen malen könnte, ohne einen Blick auf das Modell selbst zu werfen.“7

Seinem ersten großen Gemälde Ein Badestelle bei Asniéres folgte das Bild

Sonntagnachmittag auf der Insel la Grande Jatte, das schon im neuen Stil des Pointillismus

(Neoimpressionismus/Divisionismus) fertig gestellt wurde. (1885 vereinfachte er seine

Pinselductus so weit, dass er kleine, der Kreisform angenäherten Punkte nebeneinander

setzte.)

Die Technik und Prinzipien des Pointillismus

Optische Mischung

„Auf Seurats Palette herrschte immer Ordnung: drei Stränge Weiß neben dem Daumen, jeder

für die Mischung mit einer der drei Primärfarben Rot, Gelb, Blau bestimmt.“8- berichtete

Charles Angrand, der Seurat bei der Arbeit an der Grande Jatte zusah.

Der Grund dafür war, dass er jede einzelne Farbe analysierte, sie auf ihre elementaren Teile,

reine Pigmente des Spektrums zerlegte und diese als unzählige kleine Punkte nebeneinander

setzte. So erfolgte die Entstehung von Mischfarben erst im Auge des Betrachters und nicht auf

der Bildfläche. So wurden auch die Licht- und Raumverhältnisse im Bild von der Farbe

abhängig gemacht.

6,7 Zitat aus „Seurat, Georges” in: Germain Bazin [Hrsg.], Kindlers Malerei-Lexikon in sechs Bänden, Bd. 5, Zürich 1968.7

8 Zitat aus Pierre Courthion: „Georges Seurat“. Köln DuMont, 1991.

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Gleichzeitig versuchte er den Aufbau des Bildes so zu gestalten, dass die Farben, Formen,

Linien die in ihnen angelegten Gegensätze auflösen. Denn er glaubte:

„Kunst, das ist Harmonie. Harmonie, das ist die Analogie der Gegensätze, Analogie des

Ähnlichen; Analogie von Ton, Farbe, Linie, begriffen durch das Überwiegen unter dem

Einfluss eines Farblichts aus heiteren, traurigen oder ruhigen Kombinationen… Heiterkeit:

=Dominante des Lichtes, der warmen Farben, die Horizontale; Trauer: =Dominante des

Dunklen, der kalten Farben, die sinkende Linie.“9

Der Bildaufbau sollte gleichzeitig das Dargestellte räumlich eng in die Bildfläche einbinden.

Deshalb hat er die Farbzonen ein kaum sichtbares geometrisches Gerüst bestehend aus

Waagerechten und Vertikalen gegeben.

Ein Sonntagnachmittag auf der Insel la Grande Jatte

1884-1886, Öl auf Leinwand, 207,6 x 308 cm

Art Institute of Chicago

„An einem Nachmittag unter flimmerndem Sommerhimmel sehen wir die in vollem

Tageslicht glitzernde Seine, vornehme Villen am gegenüberliegenden Ufer, kleine, auf dem

Fluss dahingleitende Dampfschiffe, Segelboote und ein Ruderboot. Unter den Bäumen, nahe

vor uns, gehen Leute spazieren, einige angeln, andere sitzen auf der Wiese oder strecken sich

träge im zyanblauen Gras aus. Wir sehen junge Mädchen, ein Kinderfräulein, eine alte

Großmutter unter einem Sonnenschirm, die mit ihrer Kopfbedeckung danteske Würde

ausstrahlt. Faul im Grase liegt ein Pfeife rauchender Ruderer, dessen helle Hosenbeine unten

vollständig von einem Lichtfleck überstrahlt werden. Ein dunkelvioletter Mops schnuppert im

Gras, ein fuchsroter Schmetterling fliegt umher, eine junge Mutter führt ihre kleine Tochter

im weißen Kleid mit lachsfarbenem Gürtel an der Hand. Zwei Soldaten der Militärakademie

von Saint-Cyr stehen nahe am Wasser, ein junges Mädchen bindet einen Blumenstrauß, ein

rothaariges Kind in blauem Kleid sitzt im Gras. Wir sehen ein Ehepaar mit Kleinkind an der

äußersten Rechten des Bildes, das hieratische und skandalöse Paar, ein junger Stutzer, der

9 „Seurat, Georges” in: Wolf Stadler [Hrsg.], a. a. O.

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seiner geckenhaftigen Begleiterin den Arm reicht , während sie an der gelben Leine einen

purpur-ultramarinfarbenen Affen führt.”10

Diese Beschreibung des Bildes von dem Kunsthistoriker Jules Christophe erschien im Jahr

1890 in der Nummer 368 der Zeitschrift Les Hommes d`aujourd`hui (deutsch: Die Menschen

von heute), die Seurat gewidmet war. Die wichtigsten Sätze stammten aber von Seurat selbst.

Schon das zeigt, dass Seurat bewusst ein Stück zeitgenössisches Paris zeigen wollte.

Ein Sonntagnachmittag

Wie die Beschreibung glauben lässt, ist das Thema für sich impressionistisch. In Seurats Bild

herrscht aber strenge Ordnung. Die Figuren sind so angeordnet, dass sie fast nirgendwo

miteinander überschneiden, dadurch erreichte Seurat eine „silhouettenartige Klarheit“11.

So betonte er auch die Bildfläche wie in einer friesartigen Komposition. Die Figuren sind fast

unbewegt dargestellt, eine Ausnahme bildet ein Mädchen auf der rechten Seite, das

seilspringt, was die einzige sichtbare dynamische Bewegung ist. (Die Rudernde im

Hintergrund sind zu weit beziehungsweise zu klein.) Nach Thema und Titel sollte es eine

Momentaufnahme eines Sonntagnachmittags sein, die zwar eine alltägliche besser gesagt

allsonntägliche Szene ist, jedoch vergänglich. Durch die klare Bildordnung wird aber das

Dargestellte der Zeit enthoben.12

Auf der Insel la Grande Jatte

Die Insel la Grande Jatte war ein beliebter Erholungsort der Pariser. Die Insel mit

Bierschenken und Waffelbäckereien diente sowohl als Badeinssel, als auch als Liebesinsel.

Auf dem Bild aber badet niemand, weder Flaschen, noch Picknick sieht man, die Gebäude

fehlen auch. Die Pariser Bürger sind hier auch dem Raum enthoben. So wirken die Figuren

wie die des Bildes Der heilige Hain der Künste und der Musen von Puvis de Chavannes, das

Seurat verehrte. Sonst ist der Landschaft aus einzelnen Elementen fast zusammenmontiert,

was einige Skizzen und Studien belegen. Der Landschafthintergrund war relativ früh

festgelegt.

Die zeit- und raumenthobenen Figuren haben kein Gesicht und bewegen sich nicht, so haben

sie keine Individualität. Sie werden nur durch typische zeitgenössische Attribute wie

Kleidungsstücke und Accessoires charakterisiert. Durch diese wird auch auf die Funktion der

10 11 Zitat aus Hajo Düchting, a.a.O.

12 Hajo Düchting, a.a.O.

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Insel verwiesen. Das Paar des Pariser Bürgers und der Kokotte, die einen Affen an der Leine

führt steht für die „Liebesinsel“. Auch die Anglerin steht im Zusammenhang damit, denn

damals galt eine allein angelnde Frau als frivol. Als Gegensatz steht in der Bildmitte ein

Mädchen im weißen Kleid mit seiner Mutter, die frontal ausgerichtet sind. Die dreifache

Hervorhebung des Mädchens (sie ist im Mittelpunkt, in Weiß und frontal zum Beobachter)

könnte eine symbolische Bedeutung haben: das Kind als Hoffnung in einer erstarrten Welt.

Die Komposition wurde in 34 gemalten und 28 gezeichneten Studien im Laufe von zwei

Jahren vorbereitet, diese sind skizzenhafte Croquetons, Zeichnungen zu einzelnen Figuren

oder Gesamtstudien und können nicht in chronologischer Ordnung gebracht werden.

In einer letzten Studie wurden alle Einzelstudien zusammengefasst. Die Farbigkeit dieser

Studie ist lebendiger, denn die starken Hell-Dunkel-Kontraste hier wurden in der Endfassung

zu einer hellfarbigeren Harmonie gedämpft. Die komplementären Kontraste sind aber im

großen Gemälde viel differenzierter (die rubinrote Jacke-blaue Jacke).13

Zeitgenössische Beurteilung

Das Bild erregte die unterschiedlichsten Reaktionen.

„Beim ersten Anblick erschraken die Betrachter. Alles war neu an diesem riesigen Bild: die

kühne Konzeption und die Technik, von der bisher niemand eine Vorstellung hatte. Das also

war der berühmte Pointillismus.“14 - berichtete Arséne Alexandre.

Ein häufig wiederholter Vorwurf war, dass die Figuren wie Holzpuppen wirken.

Die Naturalisten sahen im Bild „das Sonntagstreiben von Ladenschwengeln, Metzgergesellen

und Frauen, die ein Abenteuer suchen.“15 Die Symbolisten entdeckten in ihm ein

Pharaonengefolge oder eine Panathenäen-Prozession.

Als einziger Kritiker würdigte der Journalist Félix Fénéon die neue Maltechnik und das Bild:

13 Hajo Düchting, a.a.O.

14 Zitat aus Pierre Courthion: a. a. O.

15Hajo Düchting, a.a.O.

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„Das Werk Seurats vermittelt einen ähnlichen Reiz wie das Anhören einer Symphonie.

Während man die volle Synthese der Töne aufnimmt, erfasst man zugleich den Wert jedes

einzelnen orchestralen Elementes als einzigartige, vibrierende Kraft.“ 16

Bedeutung des Werkes Seurats für die Moderne

Seurat hat im Vergleich zu seinem jungen Alter (mit fünfundzwanzig Jahren malte er das Bild

Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte) viel geschaffen, über sein komplexes

Werk hinaus ist auch dessen historische Bedeutung besonders.

In 1870-er Jahren war der Impressionismus der Ausgangspunkt für die Malerei. Die

Bestrebungen des Impressionismus setzten Künstler fort und entwickelten weiter. Zugleich

aber genügten dessen Ergebnisse besser gesagt die dahinführenden Wege nicht mehr. In den

letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts herrschte die Meinung, dass die Erfahrungen

des Impressionismus auf eine wissenschaftliche Basis gestellt werden müssen. Als Ziel

schwebte auch eine „totale Verschmelzung der Künste, sowohl untereinander, als auch mit

anderen Disziplinen wie Wissenschaft, Technik, Dichtung und Philosophie“17.

Einem solchen Weg folgte Seurat auch. Mit dem Pointillismus fand er eine entsprechende

Lösung und in den späten achtziger Jahren übte er den bedeutendsten Einfluss auf die Kunst

in Paris. So wurden unter anderen van Gogh, Gaugain, Lautrec von ihm beeinflusst.

Wenn man auch die Ansätze und verschiedenen Aspekte der Malerei Seurats für sich

betrachtet, entdeckt man, dass auch einzelne Elemente seines Gesamtwerkes von anderen

aufgenommen werden. „Der unbedingte Wille zur Stilisierung und die Rhytmik der

Gegendstandsformen (…) machen ihn zum Vorläufer von Jugendstil und Art deco. Die aus

der extremen Naturbeobachtung wie aus theoretischer Beschäftigung gewonnene Autonomie

der bildnerischen Mittel ist allerdings noch folgenreicher. Sie führt über Matisse und den

Fauvismus zum Futurismus und Kubismus und in letzter Konsequenz zur Abstraktion.“ 18

16 Zitat aus Hajo Düchting, a.a.O.

17Giulio Carlo Argan, Die Kunst des 20. Jahrhunderts, 1880 – 1940, Propyläen Kunstgeschichte Bd.12, Berlin 1977.

18 Hajo Düchting, a.a.O.

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Der Surrealismus und Seurat19

Schon André Breton nannte den „nicht einzuordnenden Seurat" im ersten Manifest als

Vorläufer des Surrealismus und sagte: mit ihm „nähern wir uns der Trennungslinie zwischen

Kunst und Nichtkunst.“ Seurat bearbeitet in seinem Hauptwerk Ein Sonntagnachmittag auf

der Insel La Grande Jatte ein impressionistisches Thema. Er stellt aber im Gegenteil der

Impressionisten die Figuren fast parallel oder rechtwinklig zur Bildfläche. So betont er den

architektonischen Charakter der Komposition, zugleich erreicht er eine erstarrte Wirkung wie

eine Traumerscheinungen“, eine „hieratische Regungslosigkeit“, die die negative Kritik als

Holzpuppenartigkeit der Figuren erklärte.

Diese Anordnung der Figuren ist eine Verleugnung der systematischen Zentralperspektive.

Jede Gestalt wurde zunächst für sich in selbständigen Studien gezeichnet, erst dann wurde aus

den verschiedenen Figuren ein Bild komponiert. Von Meyer Schapiro wurde dieses Verfahren

als „ kollektive Perspektive“ genannt und gilt zugleich als „ ein Schritt auf dem Wege zur

Umkehrung der Rolle und Bedeutung der Perspektive.“ Die neue Perspektive begleitet bei

Seurat das Phänomen des unzusammenhängenden Lichtes, das von Breton bewundert als

„Magie der widersprüchlichen Lichtführung genannt wurde.

Die Entwicklung dieser freieren Anwendung von Perspektive erreicht ihren Höhepunkt in den

Werken der von de Chirico inspirierten Surrealisten. Giorgio de Chirico, der am stärksten den

Surrealismus beeinflusste und oft selbst als Surrealist bezeichnet wurde, übermittelte Seurats

Werk an die Surrealisten.

Schluss

Georges Seurat war eine außergewöhnliche Gestalt der zweiten Hälfte des neunzehnten

Jahrhunderts. Trotz seines kurzen Lebens brachte er ein enormes Werk voll.

Er hinterließ aber nicht nur 420 Zeichnungen, 6 Skizzenbücher und 230 Ölbilder, als

Begründer und wichtigster Vertreter des Pointillismus zeigte er sowohl seinen Zeitgenossen,

als auch den kommenden Generationen neue Wege in der modernen Malerei.

19 William Stanley Rubin, Dada und Surrealismus, Stuttgart 1972.

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