Eine Bildbetrachtung mit Anke Repp-Eckert...Arnold Böcklin – Schloss am Meer (Mord im Schloss) 1...

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1 Arnold Böcklin – Schloss am Meer (Mord im Schloss) Arnold Böcklin (1827 Basel–1901 San Domenico bei Fiesole) Schloss am Meer (Mord im Schloss), 1859 Öl auf Leinwand, 112 × 177,3 cm Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland seit 1966 © Museum Folkwang, Essen Foto: Museum Folkwang Schloss am Meer lautet der schlichte Bildtitel, unter dem Arnold Böcklin sein 1859 in München gemaltes Landschaſtsgemälde 1860 in den Züricher und Berliner Künstlervereinen ausgestellt hatte. In dieser Zeit hatte er einen ersten Erfolg mit dem Verkauf des Gemäldes Pan im Schilf an den bayerischen König Ludwig I. und seinen wichtigen Mäzen Graf von Schack kennen gelernt. Trotz der zeitgenössischen Kritik an den dunklen, skizzenhaſt ausge- führten Staffagefiguren fand das Gemälde nach der Berliner Aus- stellung in dem Großherzog von Oldenburg einen adeligen Käu- fer. Vermutlich hatte die romantisch-melancholische Stimmung der italienisch anmutenden Küstenlandschaſt, im Detail natura- listisch gemalt und im Gesamten ideal komponiert, den Käufer fasziniert und die an ein Opernlibretto erinnernde Mord- und Entführungsgeschichte im verschatteten Vordergrund nebensäch- lich werden lassen. Die großartig feinmalerische Darstellung des leicht bewölkten Himmels mit kühlen Pastellfarben lässt eine zeit- liche Bestimmung als Morgendämmerung zu. Mit dieser effekt- vollen Lichtdarstellung, die die felsige Küstenszenerie mit dem Renaissance-Portikus zwischen Laubbäumen und Zypressen thea- tralisch ins Gegen- und Zwielicht taucht, steht Böcklin noch ganz in der Tradition der romantischen Landschaſtsmalerei der Düssel- dorfer Kunstakademie, die er als junger Mann in der 1829 einge- richteten Landschaſtsklasse von Johann Wilhelm Schirmer stu- diert hatte. Prägendes Vorbild waren für ihn zudem die historischen Stimmungslandschaſten von Carl Friedrich Lessing gewesen. Deren phantasievolle Verschmelzung von detaillierter, auf Freilicht- studien basierender Naturdarstellung mit einer fiktiven, emotio- nal aufgeladenen Erzählung ist auch für Arnold Böcklins Land- schaſtsmalerei charakteristisch. Von 1850 bis 1857 war der Künstler erstmals in Rom gewesen und hatte dort Anschluss an den Kreis der letzten „Deutsch-Römer“ mit Anselm Feuerbach, Adolf von Hildebrand und Hans von Marées gefunden. Ihr wesentliches künstlerisches Ziel war die Wiederbelebung klassischer Bildthe- Arnold Böcklin Eine Bildbetrachtung mit Anke Repp-Eckert men in moderner Form ohne von dem gleichzeitig in Frankreich entstehenden Realismus Notiz zu nehmen (siehe die Bildbetrach- tung zu Courbets Oraguay-Felsen von 1860). Komposition und ema „Böcklin ist ein ausgezeichneter Landschaſtsmaler, aber die Land- schaſt genügt ihm nicht […] Er ist ein Dichter, er will erzählen, diese zwei Kräſte sucht er so zu vereinen, dass er die Stimmung der Land- schaſt in Gestalt und Handlung ausdrücklich hervorstellt. Nun ent- steht ein zwischen Landschaſt und zwischen menschlichem oder mythischem Lebensbild schwankenden Ganzes: es ist sowohl dies als jenes, ebendarum aber weder dies noch jenes.“ Friedrich eodor Vischer 18601 Böcklins in Italien zu verortende Küstenlandschaſt wirſt Fragen nach dem Sujet und der Topografie auf. Weil die Farben des Gemäl- des stark nachgedunkelt sind, möchte ich Ihnen das Bild und die Figurenstaffage beschreiben: Ein Meeresufer mit Sandstrand, sich anschließenden hohen Felsen und üppigem Busch- und Baumbe- wuchs beherrscht das Bildformat zu Dreiviertel in der Breite. Im rechten Viertel ist der Blick auf das offene Meer bis zum Horizont mit der hellen Silhouette eines Segelschiffs freigegeben. Leuchtend blaues Meereswasser rollt in gegenläufiger Richtung mit schäumen- den Wellen auf den flachen Strand im Vordergrund. Nahe dem linken Bildrand führen Treppenstufen zu dem Eingang eines hoch auf den Felsen liegenden Anwesens, von dem wir allerdings nur eine antikisierende Säulenhalle zu sehen bekommen. Die Figuren im Vordergrund sind mit lockeren, dünnflüssigen Pinselstrichen mehr skizziert als gemalt: In Leserichtung von links nach rechts entwickelt sich eine dramatische Räubergeschichte, die von dem tragischen Ende einer herrschaſtlichen Familie, den Bewohnern

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  • 1Arnold Böcklin – Schloss am Meer (Mord im Schloss)

    Arnold Böcklin (1827 Basel–1901 San Domenico bei Fiesole)Schloss am Meer (Mord im Schloss), 1859Öl auf Leinwand, 112 × 177,3 cmDauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland seit 1966© Museum Folkwang, EssenFoto: Museum Folkwang

    Schloss am Meer lautet der schlichte Bildtitel, unter dem Arnold Böcklin sein 1859 in München gemaltes Landschaft sgemälde 1860 in den Züricher und Berliner Künstlervereinen ausgestellt hatte. In dieser Zeit hatte er einen ersten Erfolg mit dem Verkauf des Gemäldes Pan im Schilf an den bayerischen König Ludwig I. und seinen wichtigen Mäzen Graf von Schack kennen gelernt. Trotz der zeitgenössischen Kritik an den dunklen, skizzenhaft ausge-führten Staff agefi guren fand das Gemälde nach der Berliner Aus-stellung in dem Großherzog von Oldenburg einen adeligen Käu-fer. Vermutlich hatte die romantisch-melancholische Stimmung der italienisch anmutenden Küstenlandschaft , im Detail natura-listisch gemalt und im Gesamten ideal komponiert, den Käufer fasziniert und die an ein Opernlibretto erinnernde Mord- und Entführungsgeschichte im verschatteten Vordergrund nebensäch-lich werden lassen. Die großartig feinmalerische Darstellung des leicht bewölkten Himmels mit kühlen Pastellfarben lässt eine zeit-liche Bestimmung als Morgendämmerung zu. Mit dieser eff ekt-vollen Lichtdarstellung, die die felsige Küstenszenerie mit dem Renaissance-Portikus zwischen Laubbäumen und Zypressen thea-tralisch ins Gegen- und Zwielicht taucht, steht Böcklin noch ganz in der Tradition der romantischen Landschaft smalerei der Düssel-dorfer Kunstakademie, die er als junger Mann in der 1829 einge-richteten Landschaft sklasse von Johann Wilhelm Schirmer stu-diert hatte. Prägendes Vorbild waren für ihn zudem die historischen Stimmungslandschaft en von Carl Friedrich Lessing gewesen. Deren phantasievolle Verschmelzung von detaillierter, auf Freilicht-studien basierender Naturdarstellung mit einer fi ktiven, emotio-nal aufgeladenen Erzählung ist auch für Arnold Böcklins Land-schaft smalerei charakteristisch. Von 1850 bis 1857 war der Künstler erstmals in Rom gewesen und hatte dort Anschluss an den Kreis der letzten „Deutsch-Römer“ mit Anselm Feuerbach,  Adolf von Hildebrand  und  Hans von Marées gefunden. Ihr wesentliches künstlerisches Ziel war die Wiederbelebung klassischer Bildthe-

    Arnold BöcklinEine Bildbetrachtung mit Anke Repp-Eckert

    men in moderner Form ohne von dem gleichzeitig in Frankreich entstehenden Realismus Notiz zu nehmen (siehe die Bildbetrach-tung zu Courbets Oraguay-Felsen von 1860).

    Komposition und Th ema

    „Böcklin ist ein ausgezeichneter Landschaft smaler, aber die Land-schaft genügt ihm nicht […] Er ist ein Dichter, er will erzählen, diese zwei Kräft e sucht er so zu vereinen, dass er die Stimmung der Land-schaft in Gestalt und Handlung ausdrücklich hervorstellt. Nun ent-steht ein zwischen Landschaft und zwischen menschlichem oder mythischem Lebensbild schwankenden Ganzes: es ist sowohl dies als jenes, ebendarum aber weder dies noch jenes.“Friedrich Th eodor Vischer 18601

    Böcklins in Italien zu verortende Küstenlandschaft wirft Fragen nach dem Sujet und der Topografi e auf. Weil die Farben des Gemäl-des stark nachgedunkelt sind, möchte ich Ihnen das Bild und die Figurenstaff age beschreiben: Ein Meeresufer mit Sandstrand, sich anschließenden hohen Felsen und üppigem Busch- und Baumbe-wuchs beherrscht das Bildformat zu Dreiviertel in der Breite. Im rechten Viertel ist der Blick auf das off ene Meer bis zum Horizont mit der hellen Silhouette eines Segelschiff s freigegeben. Leuchtend blaues Meereswasser rollt in gegenläufi ger Richtung mit schäumen-den Wellen auf den fl achen Strand im Vordergrund. Nahe dem linken Bildrand führen Treppenstufen zu dem Eingang eines hoch auf den Felsen liegenden Anwesens, von dem wir allerdings nur eine antikisierende Säulenhalle zu sehen bekommen. Die Figuren im Vordergrund sind mit lockeren, dünnfl üssigen Pinselstrichen mehr skizziert als gemalt: In Leserichtung von links nach rechts entwickelt sich eine dramatische Räubergeschichte, die von dem tragischen Ende einer herrschaft lichen Familie, den Bewohnern

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    des Schlosses, erzählt: Ein getöteter Mann liegt Kopf über auf den Treppenstufen vor einer Nische mit einem Marienbild. Auf dem Strand schleppt ein bärtiger Mann eine Frau durch das fl ache Wasser zu einem Ruderboot, das zwei Piraten für ihn bereithalten. In dessen Rumpf soll laut einer zeitgenössischen Bildbeschreibung „ein geknebeltes Mädchen“ liegen. Das ferne Segelboot wird das Schiff sein, mit dem der Mörder und Menschenräuber mit seinen beiden Helfern fl iehen wird. Böcklin liebte das Geheimnisvolle und Vage, als Bild-Erzähler arbeitete er gerne mit Andeutungen, was uns als Bildbetrachter herausfordert, seine Geschichten zu deuten und ihren Ausgang in unserer Phantasie zu vollenden.

    Piraten- und Räubergeschichten waren seit dem 18. Jahrhundert ein beliebtes literarisches Genre. Böcklins schaurige Räuberhand-lung hatte im 19. Jahrhundert durchaus reale Bezüge: Nach der Res-titution des Kirchenstaates auf dem Wiener Kongress 1815 gehörten gewalttätige Übergriff e von „Briganti“ (Räuberbanden aus verarm-ten Bauern und Tagelöhnern) auf Reisende und reiche Groß-grundbesitzer in Italien zur Realität und ab der Mitte des 19. Jahr-hunderts unterstützten „Briganti“ mit politisch motivierten, anarchistischen Straft aten die italienische Einheitsbewegung des „Risorgimento“ unter der Führung von Giuseppe Garibaldi.

    Das Lateinische Ufer

    Der Philosoph Friedrich Th eodor Vischer hat in seiner Beschreibung des Bildes 1859 darauf hingewiesen, dass Böcklin Schwierigkeiten hatte, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der „bedeutenden Landschaft “ und der fi gürlichen Erzählung zu fi nden. Vermutlich hatte sich der Maler deshalb in einer kleinformatigen Ölskizze desselben Motivs (1859, 43 × 75 cm, Düsseldorf, Kunstpalast) um eine Vereinfachung und Klärung der Komposition bemüht, ohne sie jedoch in ein Gemälde umzusetzen. Offensichtlich war die felsige Küstenlandschaft für Böcklin ein wichtiges Motiv, weil er sie für die berühmte Villa am Meer2 als Schauplatz wieder aufge-griff en und die Räuberszene am Strand durch eine melancholisch-sehnsüchtig auf das Meer blickende Frau in schwarzem Gewand ersetzt hatte. Diese Änderung macht aus der Landschaft , deutlicher als beim Essener Gemälde, ein Sinnbild der Vergänglichkeit alles Irdischen.

    Golo Maurer hat überzeugend dargelegt, dass der Strand von Latium nahe des Küstenortes Anzio mit seinen Tuff steinfelsen und Relikten antiker Sommerpaläste Arnold Böcklin und Anselm Feu-erbach Anregung für ihre Landschaft skompositionen war. Seit der Antike war Anzio ein beliebter Badeort der römischen Oberschicht gewesen. Ferdinand Gregorovius (1821–1891) wird die Wiederent-deckung dieser geschichtsträchtigen Gegend zwischen Ostia und Monte Circeo zugeschrieben, die Mitte des 19. Jahrhunderts von Rom in wenigen Stunden erreichbar war. Mit seiner Schrift Idyllen vom Lateinischen Ufer (1854)3 hatte der deutsche Journalist und Privatgelehrte sie als „melancholisches Gestade“ vergangener Herrschaft en in das Bewusstsein von Italienreisenden und Künstler

    1 zitiert nach Ausst. Kat.: Arnold Böcklin. Eine Retrospektive, Heidelberg 2001, S. 20.2 fünf Versionen: 1864 u. 1865, München, Neue Pinakothek, Sammlung Schack; 1871–74, Frankfurt, Städel Museum; 1877, Stuttgart, Staatsgalerie; 1878, Winterthur, Kunstmuseum.3 1854 für die Königsberger Zeitung geschrieben, als eigenständiges Kapitel in die Wanderjahre in Italien, 1856, eingefügt4 Gregorovius 1925, S. 591, 595.

    Literaturtipps:

    Ausst. Kat.: Arnold Böcklin. Eine Retrospektive, Öff entliche Kunstsammlung, Basel / Musée d’Orsay, Paris / Neue Pinakothek, München 2001/2002, Buchausgabe Heidelberg 2001.

    Rolf Andree, Arnold Böcklin. Die Gemälde, München 1998, S. 250 f., Kat. Nr. 127, 128.

    Golo Maurer, Italien als Erlebnis und Vorstellung. Landschaft swahr-nehmung deutscher Künstler und Reisender 1760–1870, S. 323 ff .; zu Böcklins Villa am Meer S. 336–343; zu Feuerbach S. 344–360.

    Zu Böcklins Villa am Meer:siehe auch die Website der Neuen Pinakothek München.

    Ausst. Kat.: „In uns selbst liegt Italien“. Die Kunst der Deutsch-Römer, Haus der Kunst, München 1987/1988, München 1987.

    Zu Idyllen vom Lateinischen Ufer:Ferdinand Gregorovius, Wanderjahre in Italien, 1856, Dresden 1925.

    http://www.goethezeitportal.de/wissen/projektepool/goethe-italien/rom/rom-in-alten-ansichten /ferdinand-gregorovius-idyllen-vom-lateinischen-ufer.html –

    gerückt: „Auch früher schon war Antium der beliebte Lustort der Römer; Atticus, Lucullus, Cicero, Mäcenas und Augustus hatten hier ihre Villen. … in Italien kann man sich in keine, noch so stille Einsiedelei der Natur fl üchten, ohne dass nicht der ernste Geist klas-sischer Vergangenheit vor die Seele träte und sie zum Nachdenken über das große Menschenleben auff orderte.“4

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