Eine Kuh für Marx

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Das Magazin zur Russlandhilfe des Caritasverbandes für die Diözese Osnabrück e.V. Nr. 46 Mai 2015 Alt werden in Russland Alt werden in Russland

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Titelthema: Alt werden in RusslandMehr: http://www.eine-kuh-fuer-marx.dehttp://blog.eine-kuh-fuer-marx.de

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  • Das Magazin zur Russlandhilfe des Caritasverbandes fr die Dizese Osnabrck e.V.

    Nr. 46 Mai 2015

    Alt werden in RusslandAlt werden in Russland

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 3

    Editorial

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 3

    Liebe Leserinnen und Leser! Nach einem erfllten Leben wnscht sich jede/r einen ru-higen und angenehmen Le-bensabend bei guter Ge-sundheit mit vielen sozialen Kontakten, Zufriedenheit und ausreichend materieller Ab-sicherung. Viele dieser Wnsche erfl-len sich fr die meisten alten Menschen in Russland nicht. Die krgliche Rente reicht oft nicht einmal fr das Ntigste frs Essen oder fr eine warme Stube. Wer erkrankt, leidet zustzlich an dem am Boden liegenden Gesund-heitswesen in Russland, denn die Menschen knnen kaum mehr ihre Medikamen-te bezahlen. Arzt oder Kran-kenhausbesuche sind ledig-lich offiziell kostenfrei. Auf dem Land gibt es kaum noch medizinische Versorgung. Wenn im Dorf noch eine Krankenschwester wohnt, knnen sich die Bewohner glcklich schtzen. Wer auf sich alleine gestellt ist, kann kaum auf Sozialsta-tionen, sehr selten auf Alten-pflegeheime zurckgreifen es gibt sie zumeist nicht. Verwertbare Zahlen zur Ar-mutssituation in Russland sind rar. Schtzungen gehen davon aus, dass etwa 30-40 Prozent der Bevlkerung an oder unter der Armutsgrenze leben. Fast jeder zweite Haushalt in Russland verfgt bis heute ber einen Nutz-garten. Dieser ist neben dem Vieh in lndlichen Gebieten notwendig, um das berle-ben bis ins hohe Alter zu ge-whrleisten.

    Wer ernten kann, der hungert nicht. Wer eine Kuh besitzt, kann sich glcklich schtzen. Die Portrts in dieser Kuh fr Marx lassen die Lebens-umstnde lterer Menschen in Russland erahnen.

    Auf meinen vielen Reisen in den letzten 20 Jahren habe ich mir sehr oft die Frage ge-stellt, wie die Menschen berleben, die ich besucht habe. Darunter waren viele alte Menschen, die in bitterer Armut ihre Rentenjahre fris-ten, deren Hauptnahrung aus Brot, Kartoffeln und Kraut besteht. Bei der Caritas oder in den katholischen Gemein-den bitten sie verschmt um Finanzierung ihrer Medika-mente und um Untersttzung fr die Heizung im strengen russischen Winter. Sie leben und berleben sehr beschei-den und zurckgezogen und hadern nicht mit ihrem Schicksal. Diese Menschen trifft die wirtschaftliche Krise in Russland nun besonders hart. Der fallende Rubelkurs treibt die Preise in die Hhe, die Renten werden nicht ent-sprechend angepasst. Des-halb bentigen diese Men-schen unsere Hilfe.

    Ich wnsche Ihnen interes-sante Einblicke in die Le-benssituation alter Menschen in Russland beim Lesen un-serer neuen Ausgabe von Eine Kuh fr Marx! Ihr Ottmar Steffan

    Bischof Pickel besucht Osnabrck! Am Montag, den 9. November 2015, laden wir ab 15.30 Uhr alle Freunde, Untersttzer und Spender unserer Russlandhilfe herzlich zu einer Begegnung bei Kaffee und Kuchen mit Bi-schof Pickel in die Katholische Familienbildungssttte Osnab-rck ein. Anschlieend feiern wir um 19 Uhr mit Bischof Pi-ckel und Weihbischof Johannes Wbbe eine Heilige Messe, in der Kapelle des Marienhospi-tals. Bitte merken Sie sich diesen Termin schon einmal vor! Auerdem feiert Bischof Pickel einen Tag (8.11.2015) zuvor die Sonntagabend-Messe um 18.00 Uhr in der Katholischen Kir-chengemeinde Peter und Paul in Georgsmarienhtte/Oese-de. Auch hier sind Gste herz-lich willkommen.

    Foto: Jannis Steffan.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/20154

    Inhaltsverzeichnis

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 4

    Editorial .................................................................................................................................................... 3

    Alt werden in Russland

    Von Babuschkas und Djeduschkas .......................................................................................................... 5

    Arbeit tut Not, um leben zu knnen ........................................................................................................... 9

    Eine alte Frau braucht nicht so viel! ..................................................................................................... 11

    Eine christliche Wohngemeinschaft fr ltere Menschen in Serebropolje ............................................... 15

    Einsamen und verlassenen Menschen eine Familie schenken ............................................................... 17

    Caritas als Pflegepionierin in Russland................................................................................................... 19

    Plakat "Alt werden in Russland".............................................................................................................. 22

    Gemeinsam knnen wir es schaffen, das Leben von alten Menschen zu verbessern. ......................... 24

    Bewusstsein fr Menschenwrde in der letzten irdischen Lebensphase schrfen ................................. 26

    Meine Grotante Maria und die Frage nach dem Was wre, wenn?................................................. 27

    Knigsberghilfe

    Ehrenamtliches Engagement auf hchstem Niveau die Knigsberghilfe .............................................. 30

    Die Wirtschaftskrise und ihre Folgen

    Die Wirtschaftskrise trifft die einfachen Russen mitten ins Herz ............................................................. 34

    Spendenstatistik

    Kinder- und Familienprojekte liegen vorn ................................................................................................ 36

    Auch kleine Spenden haben groe Wirkung ........................................................................................... 38

    Freiwillig in Russland

    Blick zurck und Blick nach vorn ............................................................................................................ 39

    Nachruf

    Wir trauern um unsere Kollegin Lena ..................................................................................................... 40

    Kurznachrichten Augenblick mal ....41

    Impressum - Spendenformular

    Wir ber uns ........................................................................................................................................... 42

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 5

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 5

    Von Babuschkas und Djeduschkas Wann gehen Menschen in Russland in den wohlverdienten Ruhestand? Wie hoch ist ihre Rente? Wie verbringen sie ihre Zeit? Wie steht es um die pflegerische Be-treuung? - Einblicke in die Lebenswelten alter Menschen im heutigen Russland

    von Benjamin Schwarze und Ottmar Steffan

    Alte Menschen leben im heu-tigen Russland unter schwie-rigen Bedingungen. Armut, Einsamkeit und Vernachlssi-gung sind fr einen Groteil von ihnen unausweichliche Realitt. Generationen, die den schrecklichen Krieg ber-standen, mehrere Wirt-

    schaftskrisen durchlebt ha-ben, bekommen im Alter nur selten die Mglichkeit, ihren wohlverdienten Ruhestand zu genieen. Bei einer Mindestrente von ge-genwrtig umgerechnet 107 Eu-ro bleibt die groe Frage, wie Menschen jenseits der 60 von

    diesem Geld Wohnung, Le-bensmittel, Heizung, Strom, Wasser, Medikamente und Kleidung bezahlen sollen. Es ist kaum mglich: Die wirtschaftli-che Situation zwingt alte Men-schen in Russland in eine derart prekre Situation, dass wrde-volles Altern kaum mglich ist.

    Foto: Ottmar Steffan.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/20156

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 6

    In ihrem gerade erschienenen Buch Russland verstehen be-schreibt die ehemalige ARD-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz, wie sich in den letzten 25 Jahren das Leben rus-sischer Menschen drastisch ver-ndert hat. Den Russen seien drei Revolutionen gleichzeitig zugemutet worden, die sich Menschen in westlichen Gesell-schaften in all ihrer Dramatik kaum vorstellen knnten, so Krone-Schmalz. Die erste: von der Planwirtschaft zur Markt-wirtschaft Die zweite: von der Diktatur der Kommunisti-schen Partei zu rechtsstaatlichen Strukturen. Eine solche Proze-dur gelingt nicht auf Knopf-druck. Schon gar nicht in einem

    Land, das sich ber elf Zeitzo-nen erstreckt Die dritte: von der Sowjetunion zum National-staat Groeltern haben eine tra-gende Rolle in der Familie In den meisten Familien, vor al-lem im lndlichen Russland, ist Kindererziehung ohne Einbe-ziehung der Groeltern undenk-bar. Nicht nur die wirtschaftli-che Situation der Familien auf dem Land oder die fehlenden Betreuungseinrichtungen fhren zu diesem Umstand. Auch sind die Gromutter und der Grova-ter traditionell eine wichtige Fi-gur in der Sozialisation. Alte Menschen bernehmen wesent-

    liche erzieherische und organi-satorische Aufgaben, wie z.B. Behrdengnge und Arztbesu-che mit den Enkeln. Nicht we-nige Familien sind auf die fi-nanzielle Untersttzung der Groeltern angewiesen. Sogar die sprliche Rente dient als zustzliches Zubrot, von der Lebensmittel fr die Familie eingekauft werden. So werden Senioren in Russland stark in die junge Familie integriert: Ei-nerseits aus der wirtschaftlichen und strukturellen Notwendigkeit heraus, andererseits aufgrund ihrer Tradition und dem damit einhergehenden Verstndnis von Familie. Die Babuschkas und Djeduschkas werden nicht selten als Hter der Traditionen

    Soziale Kontakte schtzen vor Einsamkeit. Foto: Ottmar Steffan.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 7

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 7

    und Bruche angesehen und in den Familien dafr respektiert. Die Bedeutung von Groeltern, vor allem der Gromtter, ist fr den gesellschaftlichen Kon-text und die Stabilitt von Fami-lien nicht gro genug einzu-schtzen. Alte Menschen nehmen ver-schiedene Aufgaben in der Gesellschaft wahr Gesellschaftspolitisch ist der hohe Stellenwert lterer Men-schen eher ambivalent. Das Rentenalter der Frauen liegt bei 55 Jahren, das der Mnner bei 60 Jahren. Aufgrund der nied-rigen Rentenbezge sind Senio-ren nach dem Berufsleben da-rauf angewiesen, nach neuen Verdienstmglichkeiten zu su-chen. Es gibt zahlreiche Berufe, die vornehmlich von lteren Frauen und Mnnern bekleidet werden, die zwar finanziell schlecht vergtet werden, aber gesellschaftlich nicht irrelevant sind. Alte Menschen arbeiten zum Beispiel hufig als Kiosk-verkufer oder als Wachperso-nal in Wohnheimen oder Schu-len. So knnen sie eine Ttig-keit ausben, die fr das Alter noch zu bewltigen ist, gleich-zeitig agieren sie in diesen Be-rufen oftmals als wertvolle Ge-sprchspartner und Ratgeber. Selbst sprachlich haben sich diese Rollen im Russischen etabliert. Der Ausdruck Ba-buschka (dt.: Oma, Gromut-ter) ist zu einer Berufs- oder Rollenbezeichnung geworden. Viele Kinder und Jugendliche sagen z.B. Meine Mutter arbei-tet als Babuschka im Kiosk ne-benan. Ebenfalls gebruchlich ist es, eine Frau mittleren Al-

    ters, welche als besonders ver-trauenswrdig und verantwor-tungsvoll gilt, als Babuschka zu bezeichnen, selbst wenn sie noch keine Gromutter ist. Das mnnliche quivalent dazu, Djeduschka (dt.: Opa, Grova-ter), erfllt eine hnliche Funk-tion. Im klaren Gegensatz zu diesen geschtzten Rollen in der russi-schen Gesellschaft steht der so-zialpolitische Umgang mit alten Menschen. Die Renten sind ver-schwindend gering: die Min-destrente liegt aktuell bei 7710 Rubel. Vor der aktuellen politi-schen Krise in Russland und den Sanktionen hatte dies noch einen Gegenwert von ca. 171 Euro (bei einem Kurs von 1:45). Aktuell sind es lediglich etwa 107 Euro. Obst und Gemse aus dem ei-genen Garten unverzichtbar Der Erhalt des Lebensstandards

    nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben, ist oft nicht mehr mglich, die monatlichen Renten gewhrleisten nur das pure berleben der alten Men-schen unter den einfachsten Be-dingungen. Der hohe Anteil an Beschftigungen ohne soziale Absicherung und damit ohne Rentenansprche verschrft die Situation. Altersarmut ist damit ein zentra-les Problem im postsowjeti-schen Russland. Dabei muss man bedenken, dass ein groer Teil der Bevlkerung diejeni-gen, die vor und whrend des 2. Weltkrieges bzw. am Anfang der Sowjetzeit geboren wurden auch schon vor dem Eintritt ins Rentenalter schweren Le-bensbedingungen ausgesetzt waren: Der Staat organisierte das wirtschaftliche und soziale Leben der Bevlkerung. Die Mglichkeit, Privatvermgen oder eine Altersvorsorge in Form von Rcklagen zu bilden,

    Die aktuelle Lebenserwartung in Russland: Mnner werden durchschnittlich 64, Frauen 76 Jahre alt. Schaubild: Schroedel Schulbuchverlag.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/20158

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 8

    war berhaupt nicht vorgesehen. Schon zu diesen Zeiten war es lebensnotwendig, mit Obst und Gemse aus dem eigenen Gar-ten den tglichen Bedarf an Nahrungsmitteln aufzubessern. Schtzungen gehen davon aus, dass bis zur Hlfte der russi-schen Nahrungsmittel in eige-nen Grten angebaut wird. So stellen fr viele Senioren die Selbstversorgung und der Tauschhandel die einzige Mg-lichkeit dar, ihren kargen Spei-seplan zu erweitern. Krankheit und Pflegebedrftigkeit bedeu-ten den Wegfall des Zuverdiens-tes. Funktionieren die Familien-bande nicht, geraten alte Men-schen in groe Not. Kostenfreie Hilfs- und Pflegeangebote sind

    nur partiell zu finden. Sie ver-einsamen in ihren eigenen vier Wnden whrend sich der Ge-sundheitszustand stetig ver-schlechtert. Ein wrdevolles Al-tern ist kaum mglich. Alt werden und alt sein in Russ-land heit fr viele Menschen immer noch, in tiefer Armut le-ben zu mssen und kaum aus-reichende medizinische Versor-gung zu erhalten. In den russi-schen Drfern ist dies besonders prekr. Wer ohne Familie und ohne Nachbarschaftshilfe zu-rechtkommen muss, alt und krank ist, stirbt langsam und einsam. Damit es nicht so weit kommen muss, untersttzt Eine Kuh fr

    Marx die Caritas in Russlandmit der sogenannten Notfallhil-fe, damit auch alte Menschen Nahrungsmittel, Medikamente und Heizkostenzuschsse erhal-ten. Auch Pflegeleistungen durch das mittlerweile russ-landweite Hauskrankenpflege-projekt (Seite 19f.) und die bei-den Altenhilfe-Einrichtungen in St. Petersburg (Seite 17f.) und Serebropolje (Seite 15f.) helfen, die Not zu lindern. Fast alle unsere katholischen Kirchengemeinden unterhalten darber hinaus Besuchsdienste fr ltere Menschen, um ihnen das Leben im Alltag zu erleich-tern.

    Ein Plausch auf der Bank vorm Haus - eine gute Nachbarschaft ist auf den russischen Drfern die halbe Miete. Foto: Ottmar Steffan.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 9

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 8

    war berhaupt nicht vorgesehen. Schon zu diesen Zeiten war es lebensnotwendig, mit Obst und Gemse aus dem eigenen Gar-ten den tglichen Bedarf an Nahrungsmitteln aufzubessern. Schtzungen gehen davon aus, dass bis zur Hlfte der russi-schen Nahrungsmittel in eige-nen Grten angebaut wird. So stellen fr viele Senioren die Selbstversorgung und der Tauschhandel die einzige Mg-lichkeit dar, ihren kargen Spei-seplan zu erweitern. Krankheit und Pflegebedrftigkeit bedeu-ten den Wegfall des Zuverdiens-tes. Funktionieren die Familien-bande nicht, geraten alte Men-schen in groe Not. Kostenfreie Hilfs- und Pflegeangebote sind

    nur partiell zu finden. Sie ver-einsamen in ihren eigenen vier Wnden whrend sich der Ge-sundheitszustand stetig ver-schlechtert. Ein wrdevolles Al-tern ist kaum mglich. Alt werden und alt sein in Russ-land heit fr viele Menschen immer noch, in tiefer Armut le-ben zu mssen und kaum aus-reichende medizinische Versor-gung zu erhalten. In den russi-schen Drfern ist dies besonders prekr. Wer ohne Familie und ohne Nachbarschaftshilfe zu-rechtkommen muss, alt und krank ist, stirbt langsam und einsam. Damit es nicht so weit kommen muss, untersttzt Eine Kuh fr

    Marx die Caritas in Russlandmit der sogenannten Notfallhil-fe, damit auch alte Menschen Nahrungsmittel, Medikamente und Heizkostenzuschsse erhal-ten. Auch Pflegeleistungen durch das mittlerweile russ-landweite Hauskrankenpflege-projekt (Seite 19f.) und die bei-den Altenhilfe-Einrichtungen in St. Petersburg (Seite 17f.) und Serebropolje (Seite 15f.) helfen, die Not zu lindern. Fast alle unsere katholischen Kirchengemeinden unterhalten darber hinaus Besuchsdienste fr ltere Menschen, um ihnen das Leben im Alltag zu erleich-tern.

    Ein Plausch auf der Bank vorm Haus - eine gute Nachbarschaft ist auf den russischen Drfern die halbe Miete. Foto: Ottmar Steffan.

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 9

    Arbeit tut Not, um leben zu knnen Zahlen, Daten, Fakten zur Situation alter Menschen am Beispiel der sibirischen Stadt Omsk

    von Tatjana Trofimova, Direktorin der Caritas Omsk

    Das Existenzminimum ist in der Stadt Omsk fr Rentner auf 5.933 Rubel festgesetzt, das sind umgerechnet 82,20 Euro. Die Mindestrente fr Senioren betrgt 7.710 Rubel, das sind circa 107 Euro. So liegt die Rente oftmals knapp ber dem Existenzmi-nium. Damit fallen die Zu-schsse von den Sozialmtern weg.

    Es ist sehr schwer, mit der Mindestrente zu leben. Allein die Nebenkosten fr eine Ein-Raum-Wohnung betragen durchschnittlich 3.000 Rubel (41,60 Euro)Damit bleiben zum Leben noch 4.700 Rubel (65,40 Euro) im Monat. Das sind pro Tag etwa 150 Rubel, also 2,10 Euro, mit denen Lebensmittel, Medika-mente, Fahrtkosten, Kleidung,

    Schuhe etc. finanziert werden mssen. Es gibt eine kostenlose rztliche Beratung. Um sie zu bekommen, muss man jedoch in den Polikliniken endlose Warte-schlangen berstehen bei Fach-rzten und fr Untersuchungen. Wer schnelle Hilfe braucht, muss sich an private Arztpraxen wenden und fr einen Besuch beim Arzt mindestens 500 Ru-bel (7 Euro) bezahlen. Etwa 70

    Bis ins hohe Alter arbeiten zu mssen, ist fr viele Menschen in Russland selbstverstndlich. Foto: Ottmar Steffan.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201510

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 10

    Prozent der Rentner sind darauf angewiesen weiterzuarbeiten. Die Situation von Invaliden-Rentnern verschlechtert sich zu-sehends, weil Vergnstigungen fr Fahrten mit ffentlichen Verkehrsmitteln und Wohnne-benkosten in den vergangenen Jahren immer mehr abgebaut wurden. Die Lebensbedingun-gen von alten Menschen auf den Drfern sind meist noch be-scheidener als die von Senioren in der Stadt. Sie leben jedoch meist in der Familie oder haben Angehrige in der Nhe. Sie haben Landwirtschaft und damit Hhner, Schweine, Schafe, K-he, die zum Lebensunterhalt beitragen. Armut ist der Hauptgrund, wa-rum sich Menschen in der Stadt Omsk an die Caritas wenden. Im Jahr 2014 wandten sich hu-fig Pensionre an die Caritas in Omsk, die durch Wohnungs-brand ihr Hab und Gut verloren hatten. Sie erhielten Lebensmit-tel, Kleidung, Bettzeug und

    Mbel. Die zweitgrte Gruppe sind ltere Menschen, die ihre Enkelkinder groziehen. Die drittgrte Gruppe sind Rentner, die nach lngeren Haftstrafen Hilfe bei der Beantragung ihrer Rente bentigen. Im Hauskrankenpflegezentrum der Caritas sind Rentner mit 80 Prozent die grte Gruppe unter den Besuchern, denen Pflege-hilfsmittel ausgeliehen werden. Regelmig besuchen Caritas-mitarbeiter in den katholischen Gemeinden die lteren Gemein-demitglieder, besonders wenn ihre Verwandten weit entfernt leben. Es ist gut, dass sich die Senioren in den Gemeinden auch gegenseitig aktiv unter-sttzen. Im Omsker Gebiet leben fast 570.000 Rentner, sie machen 26 Prozent der Bevlkerung aus. Davon leben 320.000 in der Stadt Omsk. Zwei Drittel der Rentner sind Frauen, ein Drittel Mnner. 84 Prozent aller Rent-ner (circa 473.000 Personen)

    bekommen eine Altersrente. Sie beginnt fr Frauen mit 55 Jah-ren, fr Mnner mit 60 Jahren. Das Durchschnittsalter fr Pen-sionre, die sich ihre Rente im Berufsleben hart erarbeitet ha-ben, betrgt 65 Jahre bei Mn-nern und 66 Jahre bei Frauen. 57.000 Rentner sind lter als 80 Jahre. Viele von ihnen knnen es sich nicht leisten, den wohl-verdienten Ruhestand zu genie-en und sind weiterhin berufst-tig. Rentenniveau in Omsk: Durchschnittsrente in Omsk: 10.313 Rubel 143 Durchschnitts-Altersrente: 10.839 Rubel Mindest-Altersrente: 3.971 Rubel 55 Sozialzuschlag fr Mindestrentner: 5.933 Rubel 82 Hchste Altersrente fr Berufsttige: 35.233 Rubel 481

    Marktfrauen verkaufen ihre Waren ob alt oder jung bei jedem Wetter sind sie drauen. Foto: Ottmar Steffan.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 11

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 11

    Eine alte Frau braucht nicht so viel!Alte Menschen erzhlen aus ihrem Leben in Novovsibirsk

    von Pjotr Sokolov, Leiter der Regionalcaritas in Nowosibirsk

    Ljubov Minus 5 Dioptrien ist zu viel! Obwohl ich eine gute Brille ha-be, hilft sie mir nicht. Ich kann nicht gut lesen, was da ge-schrieben steht! Ljubov legt einen Umschlag mit einer bun-ten Glckwunschkarte zum 70. Jahrestag des Sieges beiseite. Die rtliche Stadtverwaltung dankt der 87-jhrigen auf diese Weise fr die von ihr geleistete Arbeit hinter der Front. Sie ver-brachte ihr ganzes Leben in der Siedlung Schelesnodoroschny (Eisenbahnstation), 30 km von Nowosibirsk entfernt. Whrend des Krieges half sie als magere Jugendliche den rtlichen Ei-senbahnern. Dann ist sie in der Siedlung geblieben. Sie heirate-te, bekam einen Sohn. Sie hatte ein ruhiges Arbeitsleben. Ihr Mann Nikolaj ist vor 15 Jahren verstorben. Noch eher verun-glckte ihr Sohn tdlich. Ljubov ist ganz allein. Sie rumt Schnee in ihrem Hof, holt das Wasser mit einem kleinen Blecheimer aus der Wasserzapf-stelle. In ihrem Haus gibt es kein Wasser. Sie heizt einen al-ten Ziegelofen, damit es zu Hause mindestens 20 Grad warm ist. Es knnte aber wr-mer sein, Ljubov spart lieber das Brennmaterial. Holz und Kohle sind jetzt teuer. Manch-

    mal mag sie sich beim Teetrin-ken an das alte Leben erinnern: Damals war ihre kleine Sied-lung eine lebhafte Arbeitsstati-on. Diese Station passierten

    Dutzende Zge, die ihre Gter ber das ganze Land transpor-tierten. Und so viel Jugend gab es damals! Jetzt fahren nur noch langweilige Pendlerzge zwei-

    Ljubov, sie hat ihr Dorf nie verlassen. Foto: Caritas Novisibirsk.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201512

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 12

    mal am Tag vorbei. Dann bleibt von ihnen nur eine Menge Mll wie z.B. leere Verpackungen von Kartoffelchips, bunte Ziga-rettenschachteln und Plastik-bierflaschen zurck. Das alles wird mit dem Wind zum Haus der einsamen alten Frau geweht. Einmal in der Woche geht es ans groe Reinemachen. Die gefundenen Geschenke legt Ljubov in einen Sack und nutzt sie zur Beheizung. Nach ihren Worten erhlt sie ei-ne gute Rente. Ich fhle mich vom Staat nicht beleidigt! Mo-natlich erhalte ich etwa 15.000 Rubel (ca. 208 Euro). Aus mei-ner Sicht ist es nicht wenig. Am Tag, wenn Ljubov ihre Rente bekommt, geht sie immer zu ihrem Nachbar Michail, gibt ihm 3.000 Rubel und eine Le-bensmittelliste. Sie behlt 4.000 Rubel fr Medikamente und gibt Michail noch 1.000 Rubel fr Benzin. Der solide Michail fhrt zweimal in der Woche in die Stadt mit seinem Auto und untersttzt so die Verbindung der ganzen Siedlung mit der Grostadt. Mit der Ernhrung habe ich keine Probleme. Eine alte Frau braucht nicht so viel. Mit Medi-kamenten ist es schon schwieri-ger. Sie werden mit jedem Mo-nat teurer. Einige Tabletten kann ich mir schon nicht mehr leisten. Deswegen muss ich manchmal meine Krankheiten einfach aushalten. Wenn ich Rckenschmerzen habe, rolle ich mich ein und liege. Dann kann ich den Ofen nicht heizen und es ist kalt zu Hause. So ist unser Leben. Im Fernsehen sagt man, dass Menschen noch schlimmer leben. Ich muss also nicht beleidigt sein! Auf die Frage, ob sie irgendwann mal

    ihre Siedlung verlassen habe, antwortet sie: Nein, nie. Ein-mal Anfang der 70er erhielt mein Mann einen kostenlosen Urlaubsscheck zum Schwarzen Meer. Seine Brigade hat aber den Arbeitsplan nicht erfllt. Dann wurde uns der Urlaubs-scheck entzogen. Auf eigene Kosten zu reisen, war zu teuer fr uns. So verlief mein ganzes Leben neben der Eisenbahn, ich bin nirgendwo gewesen. Ich ha-be nur fremde Reisende beo-bachtet. Im vorigen Jahr be-suchte mich eine auslndische Freiwillige der Caritas und half mit der Reinigung des Hauses. Sie ist nach Sibirien gekommen, um den armen Leuten zu helfen. So flink war sie! Ich sah sie an, sie unterscheidet sich von uns gar nicht. Sie friert genauso und

    vermisst ebenso ihre Familie. Ja Alle einfachen Leute sind tatschlich sehr hnlich Evgenij 1986 war ich in Tschernobyl. Ich geriet gerade in die schreck-liche Mitte, ins Zentrum der Ka-tastrophe. Da blieben Menschen nicht am Leben. Ich habe ber-lebt. Es ist schwierig, sich vor-zustellen, dass ich 67 Jahre alt bin und keine groen Gesund-heitsprobleme bis vor kurzem hatte. Und dann pltzlich kam der Schlaganfall. Die Hlfte des Krpers ist betroffen. Ich bin jetzt wie eine Puppe. Nina! Ewgenij ruft nach seiner Frau und beginnt mit seinem Geh-stock aufzuklopfen. Sie betreut Evgenij Tag und Nacht. Sie

    Evgenij lernt mit Hilfe der Caritas wieder gehen. Foto: Caritas Nowosibirsk.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 13

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 13

    sieht sehr mde aus. Ihre dunklen Schatten unter den Au-gen sagen viel. Manchmal kommen ihre Tochter Alina und die Enkelkinder zu Besuch. Er ist es gewhnt, selbststndig zu sein. Jetzt kann er aber noch nicht einmal selbststndig auf die Toilette gehen. Er ist nervs und rgerlich geworden. Nina unterbricht sich fr eine Minute, um ihrem Mann notwendige Medikamente zu holen. Er nimmt sie genau nach Plan ein. Wenn sie sich versptet, nimmt er die Medikamente nicht mehr ein. Es ist gut, dass er die Tab-letten einnimmt. Am Anfang hat er nur vom Tod gesprochen. Jetzt ist es besser. Im Kran-kenhaus hat man Mutter und Tochter empfohlen, sich an die Hauskrankenpflege der Caritas zu wenden. Wir haben angeru-fen und die Mitarbeiterin zu uns eingeladen. Aber als er davon erfahren hat Mein Gott, was hat er nicht alles gesagt! Er meinte, dass es bldsinnig ist, einen fremden Menschen nach Hause einzuladen. Als die Krankenschwester Olga kam, machte er einen Skandal. Er wollte nicht mit ihr sprechen. Sie war aber gutmtig, ver-brachte eine Stunde neben sei-nem Bett und berredete ihn. Dann hat es doch geklappt. Jetzt wartet er auf sie und macht bungen. In der vorigen Woche hat er begonnen, mit der Gehhil-fe zu laufen. Es ist schwierig, ganz alleine meinen Mann zu betreuen. Niemand leistet Hilfe, niemand rt. rzte zucken nur mit den Schultern und sagen: Was wollen Sie von uns? Er ist behindert Wir haben eine klei-ne Rente, aber immer mehr Kosten. Ich selbst habe Herz-probleme. So traurig ist unser

    Leben. Es wre besser, Sie wr-den mit jungen Menschen spre-chen. Sie knnen Ihnen viel er-zhlen. Wir haben ein uninte-ressantes Leben Irina Ich habe in Lettland 35 Jahre gelebt. Ich habe als Lehrerin in Riga gearbeitet. 1990 bin ich nach Russland umgezogen, weil ich nicht die lettische Staatsbr-gerschaft erhalten wollte. Ich kaufte eine Wohnung in Nowo-sibirsk, in der mein Sohn und

    ich wohnten. Mein Mann ist in Lettland geblieben, weil Europa ihm am besten gefiel. Fr mich war es das aber nicht. Auch jetzt beteilige ich mich an Massen-demonstrationen zur Unterstt-zung von Kommunisten und der UdSSR. Denken Sie bitte nicht, dass eine ltere Frau nur krank zu Hause liegen kann. Nein! Ich bin aktiv und fachkundig. Ich habe meine eigene Meinung. Irina schiebt dabei nervs ihre weie Haarstrhnen zurecht. Ihr russischer Pass ist sorgfltig in das Zeitungspapier geschlagen.

    Irina ist mit Leib und Seele Kommunistin und dankt der Caritas fr ihre Unter-sttzung. Foto: Caritas Nowosibirsk.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201514

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 14

    Als sie ihn holt, ist sie ganz konzentriert. Irina war Lehrerin, bekommt jetzt eine kleine Rente 8.000 Rubel (zurzeit sind dies ca. 111 Euro). 3.000 Rubel be-zahlt sie fr die Kommunal-dienstleistungen. Mit 5.000 Ru-bel versucht Irina zu berleben. Ungefhr einmal in 2 Monaten geht sie in die Caritas, um ein Lebensmittelpaket zu bekom-men. Das ermglicht ihr, ihre persnliche finanzielle Krise zu berwinden. Ihr Sohn wohnt schon lange in einer anderen Stadt. Er hilft Irina, aber nicht so oft: Das ist schon klar! Er hat eine Tochter, die Studentin ist. Es gibt so viele Kosten! War es frher in der Zeit der Sowjet-

    union hnlich? Irina beginnt wieder ber die Politik zu spre-chen. Ihr Kredo ist der globale Weg des Kommunismus, nichts Anderes. Sie erzhlt ber ver-schiedene Theorien, es bleibt nur schweigend zuzunicken. Das ist bitter! Verstehen Sie? Das ist bitter! Zuerst hat man uns in einem Geist erzogen, man gab uns den Glauben in die glckliche Zukunft, dann entzog man uns diesen Glauben. Woran mssen wir jetzt glauben? Wo-hin mssen wir gehen? Ich antworte, die Kirchen seien jetzt offen. Oh nein. Was wird da versprochen? Ein gutes Le-ben nach dem Tod? Ich will jetzt gut leben. Nicht berleben,

    sondern leben! Vielen Dank fr Ihre Hilfe. Sie machen es wirk-lich wie Kommunisten und hel-fen den armen Menschen. Ich erwidere: Irina, Sie haben uns zum Lachen gebracht welche Kommunisten sind wir? Wir sind eine religise Organisati-on. Ich wei das. Sie sind aber ehrlich. Es gibt nicht so viel Menschen wie Sie. Kom-men Sie vielleicht zur Demonst-ration? Vielen Dank fr die Einladung. Sie wissen doch, dass wir nicht kommen. Es ist aber schade. Irina hat das letzte Wort: Im Fall unseres Sieges vergisst aber die Heimat sie nicht. Auf Wiedersehen, Genos-sen! Kopf hoch!

    Eine Aufnahme mit Seltenheitswert fr Russland: ltere Mnner scheinen ihren Lebensabend zu genieen - oder mssen auch sie als Rentner noch weiter arbeiten? Foto: Sabine Hahn.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 15

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 15

    Eine christliche Wohngemeinschaft fr lte-re Menschen in Serebropolje von Regina Gnther, Leiterin des Hauses Simeon und Hanna

    Vor einigen Jahren entstand auf einer Konferenz lterer Gemeindemitglieder in Nowo-sibirsk die Idee einer Lebens-Wohn-Gemeinschaft. Die Teil-nehmer meinten, es wre doch ein Segen, wenn wir (die lteren Glubigen) den Le-bensabend gemeinsam ver-bringen knnten. Besonders war ihnen das Miteinander-Beten ein Anliegen. Gerade sie haben ja in jungen Jahren die Unfreiheit des Glau-bens erlebt. Sie erinnern sich noch gut, wie viele ngste und Nachteile sie wegen ihres Glau-bensbekenntnisses ausstehen mussten, bis hin zu Verfolgun-gen und Verhaftungen. Ihre Treue im Glauben ist beeindru-

    ckend. Dies war ein ausschlag-gebender Beweggrund fr Bi-schof Werth diesen Gedanken aufzunehmen und in die Realitt umzusetzen. Es wurde nochmals eine Umfrage im Bistum gestar-tet, die die Vorstellungen zu solch einem Haus konkretisie-ren sollten. Daraus ergaben sich die ersten Fakten Grenord-nung des Hauses, Standort, die finanzielle Seite. Doch erst durch die selbstlose Bereitschaft einer einzelnen Frau Ella Kunkel kam die Initiative ins Rollen. Sie bergab ihr Grund-stck mit Haus und Hof der Di-zese der Verklrung (Nowosi-birsk). Und genauso selbstlos waren Menschen aus Deutsch-land und Sdtirol (wie das ka-

    tholische Hilfswerk Renovabis, Anmerkung der Redaktion) be-reit, das Projekt finanziell zu untersttzen. Nun konnte der - anfangs ganz ungewhnliche - Gedanke in die Tat umgesetzt werden. Acht Senioren knnen hier in Einzelzimmern wohnen. Gegenwrtig sind drei Zimmer belegt die ortsansssige Ella Kunkel, Alina Haas aus Pawlo-dar, Kasachstan, und Anatoly Wassilew aus Nowosibirsk. Je-der bringt seine eigene Lebens- und Glaubensgeschichte mit. Das gemeinsame Beten am Morgen und am Abend verbin-det und trgt durch den Alltag. Fr die Bewohner ist die Kapel-le das Herzstck des Hauses. Zweimal im Monat hlt der

    Anatoly, Ella und Alina beim Mittagessen. Sie wohnen in der ersten katholischen Wohngemeinschaft Sibiriens. Foto: Regina Gnther.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201516

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 16

    Gemeindepfarrer Georgie Fedo-sejew aus Omsk die Heilige Messe. An den brigen Sonn- und Feiertagen werden Wort-gottesdienste gehalten. Den Bewohnern ist bewusst, dass sie gegenber anderen al-ten Menschen im Dorf im Vor-teil sind Heizung und Wasser-anschluss sowie sanitre Anla-gen sind im Haus, was keine Selbstverstndlichkeit in russi-schen Drfern ist. Betriebs- und Unterhaltskosten werden aus ei-ner gemeinsamen Hauskasse, in die jeder Bewohner einen be-stimmten Satz einzahlt, begli-chen, somit bleibt genug Geld fr den eigenen Bedarf. Wichtig und vielleicht auch ungewhnlich in diesem Haus ist, dass jeder gebraucht wird, entweder im Haushalt oder drauen auf dem Gelnde oder im Stall. Gemseanbau und Vieh ermglichen, dass nur ein geringer Teil an Lebensmitteln zugekauft werden muss. So gibt es fr jeden etwas zu tun, je nach Gesundheitszustand und Alter. Niemand fhlt sich ber-flssig und die Lebensfreude ist eine Grundstimmung im Haus. Die medizinische Versorgung ist die gleiche, die den Dorfbe-wohnern zusteht. Eine Sanitte-rin ist im Ort die Ansprechpart-nerin, die rztin befindet sich im Nachbarort in der Poliklinik (10 km entfernt) und das nchs-te Krankenhaus in der Kreis-stadt Asowo (45 km entfernt). Das ganze Jahr ber kommen Gste aus nah und fern zu uns. Das Haus und seine Bewohner geben den Besuchern eine ruhi-ge, stressfreie Atmosphre, in der sich an Leib und Seele gut erholen lsst. So konnten da das Haus noch nicht voll belegt ist drei Exerzitienkurse (mit

    dem Gemeindepfarrer aus Omsk) gehalten werden. Ein be-scheidener Dienst, den die Be-wohner gerne fr andere tun.

    Ella und Alina (von Lisa Thomas) In dem kleinen Haus Simeon und Hanna auerhalb der Stadt kann man wirklich von Le-bensmut und Willenskraft spre-chen: Ella ist 73 Jahre und war die erste Bewohnerin des Hau-ses. Sie lebt schon seit 1969 in dem Dorf. Die anderen Mitglie-der ihrer russlanddeutschen Fa-milie leben in Deutschland, weshalb sie ohne die Wohnge-meinschaft in Silberfeld (wie Serebropolje frher einmal hie) ganz allein wre. Und al-leine alt werden, das konnte sich die warmherzige und lebensfro-he Frau nicht vorstellen. Und so schtzt sie an ihrem Leben im Haus Simeon und Anna auch vor allem die Gemeinschaft mit den anderen Bewohnern. Eine weitere Bewohnerin ist die 68-jhrige Alina aus Kasachs-tan. Sie ist bis heute ohne russi-sche Papiere in dem Haus un-tergebracht und das macht ihre Situation dort nicht immer leicht. Sie wre ohne Regina Gnther, die Leiterin des Wohnheims, und ihre Freundin Ella ganz allein.

    Fr Ella bedeuten die Men-schen um sie herum etwas ganz Besonderes. Sie sagt, dass diese tollen Menschen vom lieben Gott geschickt wurden. In ihrer Gemeinschaft nimmt, neben gu-ten Gesprchen und dem ge-meinsamen Lachen, das Beten eine groe Rolle ein. Durch das Beten finden Ella und Alina Kraft und Mut zum Altwerden. In der Wohngemeinschaft hat jeder noch seine Aufgaben zu erledigen: im Haus, in der K-che oder im Stall bei den Tie-ren. Diese Aufgaben werden mit Leidenschaft bernommen und geben den beiden Frauen das Gefhl, immer noch selbststn-dig ihren eigenen Weg zu ge-hen, auf dem sie von Gott be-gleitet werden. Die Sorgen, die man von lteren Menschen auf einem sibirischen Dorf erwarten knnte, finden in Ellas und Ali-nas Kopf keinen Platz. Medizi-nische Versorgung gibt es durch einen Arzt auf dem Dorf und mehr als die Gemeinschaft brauchen die beiden nicht. Alt werden in Russland also be-deutet fr Ella und Alina vor al-lem Gemeinschaft und Lebens-mut, beides haben sie durch den Glauben an Gott in diesem klei-nen Haus auerhalb der Stadt gefunden. Niemals htten sie sich vorstel-len knnen, so alt zu werden, ndern wollen sie daran rein gar nichts. Auf die Frage, was sie sich fr die Zukunft wnschen, musste nicht lange berlegt werden: Gar nichts, es ist alles gut. Da einzige, was wir brau-chen, ist Seligkeit.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 17

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 17

    Einsamen und verlassenen Menschen eine Familie schenken

    Der Wunsch von Pater Kania wird in St. Petersburg Wirklichkeit

    von Schwester Adriana

    Ein groes Problem fr ltere Menschen in Russland ist es, dass sie oftmals komplett auf sich allein gestellt sind. Sie sind isoliert von der Umge-bung und auf die Hilfe von Angehrigen oder Nachbarn angewiesen. Sie sind nicht in der Lage, Le-bensmittel einzukaufen, sich zu pflegen, den Haushalt zu erledigen und sich medizi-

    nisch angemessen zu versor-gen. Im Jahre 2001 wurde auf Initiative von Pater Hartmut Kania Grnder der Caritas Sankt Petersburg ein Pro-jekt fr ltere und alleinste-hende Menschen erffnet. Ziel und Wunsch von Pater Hart-mut Kania war es, den Men-schen eine Familie zu geben unabhngig von Religion, so-zialen Verhltnissen, Erkran-

    kungen und krperlichen Ge-brechen. Die Bewohner des Kania-Hauses kommen aus sehr schwierigen Verhltnissen. Wir versuchen, ihnen Wrme und Geborgenheit zu schenken, re-gelmige Tagesablufe helfen ihnen im Alltag. Bei uns erfah-ren sie Gemeinschaft. Wir sor-gen fr die medizinische Ver-

    Wrme und Geborgenheit sind selbstverstndlich im Kania-Haus, doch lngst nicht in jedem staatlichen Altenheim in Russland. Foto: Ottmar Steffan.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201518

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 18

    sorgung, regelmige Medika-menteneinnahme und Arztbesu-che. Wir geben ihnen die Mg-lichkeit zu Gebeten und dem Besuch von Gottesdiensten. Zurzeit leben bei uns 18 Men-schen mit schwerer Demenz, Alzheimer und Alkoholsyn-drom. Sie haben vorher vllig allein gelebt und kommen meist aus sehr schwierigen Familien-situationen. Im Projekt arbeiten und leben zwei Ordensschwestern von der heiligen Katharina, Kongregati-on aus Polen, drei Sozialmitar-beiterinnen, ein Arzt, eine K-chin und ein Priester fr Seel-sorge und Gottesdienste (Kon-gregation der Dominikaner). Und zwischenzeitlich kommen auch Freiwillige aus Deutsch-land und Polen und untersttzen uns.

    Lusia Sie lebt seit acht Jahren bei uns. Sie kommt aus einer Grofami-lie. Ihre Mutter war Hausfrau und der Vater war Vertreter in einer groen Fabrik. Whrend des Krieges und der ,,Leningrader Blockade wurde sie evakuiert. Nach der Schule hat sie 7 Jahre bei ihrem Vater in der Fabrik gearbeitet. Nach dem Tod ihres Ehemanns ist sie zu ihrem Bruder und sei-

    ner Familie gezogen. Sie hatte kein Geld und musste in der Kche wohnen. Sie lebte in stndiger Angst, geschlagen zu werden, wenn die Familienmit-glieder alkoholisiert waren. Sie wurde an den Haaren gezogen und mit dem Kopf auf den Fu-boden geschlagen, dabei war ihr Mund mit Klebeband verschlos-sen, sodass die Nachbarn ihre Hilferufe nicht hren konnten. Zufllig hat sie Ordensschwes-ter Franzseska von der Mutter-Teresia-Kongregation kennen-gelernt und sich entschieden, in ein Haus fr Obdachlose zu ge-hen. Dort ist sie nicht lange ge-blieben, sie ist zurck in die Familie ihres Bruders gegangen. Ihr Leben hat sich nicht verbes-sert; alles wiederholte sich. Sie musste leere Flaschen sammeln und verkaufen und volle Fla-schen nach Hause bringen. Ei-nes Nachts ist sie weggelaufen nur mit einer kleinen Handta-sche mit dem Foto der Eltern

    und ihrer Geburtsurkunde, im Bademantel und Hausschuhen. Einige Tage ist sie in der Stadt umhergelaufen. Sie war in ei-nem Schockzustand und konnte Obdachlosenhaus nicht wieder-finden. Durch Zufall hat sie die Kirche Mutter Gottes aus Lourdes gefunden und hat im Gottesdienst Schwester Franz-seska gesehen. Lusia fiel ein Stein vom Herzen! Schwester Franzseska kmmer-te sich zunchst um sie, erneuer-te ihre Dokumente und organi-sierte medizinische Untersu-chungen fr sie. Dann bat sie uns, Lusia bei uns im Kania-Haus aufzunehmen.Lusia ist ein frhlicher Mensch und obwohl sie unter Alzheimer leidet, verliert sie ihren Mut nicht. Sie kann weinen und trau-rig sein, aber auch lachen und dies geschieht in einem ge-schtzten Rahmen.

    Lusia hat endlich einen ruhigen Lebensabend. Foto: Ottmar Steffan.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 19

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 19

    Caritas als Pflegepionierin in Russland von Ingeburg Barden

    Pflege ist in Osteuropa ein wenig beachtetes Thema. In der medizinisch-pflegerischen Ausbildung werden pflegeri-sche Aspekte kaum oder aus-schlielich theoretisch gelehrt. Praktische Ausbildung im Pflegehandeln und der Ein-bung pflegerischer Fertigkei-ten sucht man vergeblich in den Lehrplnen fr Kranken-schwestern, die medizinische Schwestern genannt werden. Damit fehlt auch die wissen-schaftliche Basis und Fachli-

    teratur zur Entwicklung einer fachlich begrndeten Pflege. Pflege gehrt nicht zum Auf-gabenbereich der Kranken-schwestern, sondern wird von den Angehrigen geleistet. In Krankenhusern oder Pflege-einrichtungen - sofern es sol-che gibt - werden Pflegeleis-tungen durch ungelernte Mit-arbeiter (Sanitarki) erbracht. Zu Hause sind es neben den Angehrigen, Nachbarn und Freunden die Angestellten der

    staatlichen Sozialzentren, die al-leinlebende ltere und pflegebe-drftige Menschen untersttzen. Weder den Angehrigen noch den Mitarbeiterinnen der Sozi-alzentren sind adquate Infor-mationen, Anleitung und Bera-tung zur Pflege zugnglich. Auch in Russland erleben insbe-sondere ltere Menschen Krankheit und Pflegebedrftig-keit als unberwindliches sozia-les Schicksal. Dienstleistungs-angebote der organisierten Krankenpflege und Betreuung

    Das Einben pflegerischer Fertigkeiten ist wichtiger Bestandteil des Caritas-Hauskrankenpflegeprogramms. Foto: Caritas Saratow.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201520

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 20

    zu Hause stehen noch in der An-fangsphase. Erste positive Ent-wicklungen im Aufbau von ent-sprechenden Versorgungsstruk-turen sind zwar erkennbar, den-noch bestehen neben quantitati-ven Defiziten in lndlich ge-prgten Regionen auch groe qualitative Mngel in der Pflege und im Zusammenwirken von Gesundheits- und Sozialsystem. Seit 2005 engagiert sich die Caritas in Russland mit deut-scher Untersttzung in der hus-lichen Pflege und legt den Schwerpunkt auf Qualifizie-rung. Dabei gab es einige Hr-den zu berwinden. Zunchst mussten Krankenschwestern mit Interesse an Pflege und Be-reitschaft zu einem vernderten Berufsverstndnis gefunden werden. Interessierten Kranken-

    schwestern fehlte es dann an praktischen Modellen, notwen-dige Fertigkeiten im Praxisall-tag zu erlernen. Da Pflege im gesellschaftlichen Bewusstsein eher Alltagshilfe ist, lie sich das Interesse der pflegenden Angehrigen an Qualifizierung kaum einschtzen. Und eine weitere Hrde war die Kontakt-aufnahme zu den staatlichen In-stitutionen im Gesundheits- und Sozialsystem, die als Koopera-tionspartner in der Projektarbeit unverzichtbar sind. Nach zehn Jahren Projektarbeit sind die Ergebnisse sehr ermuti-gend. Die Caritas hat motivierte und durch Fortbildung qualifi-zierte Krankenschwestern, die als Multiplikatorinnen pflege-bedrftige Menschen und deren Angehrige individuell in der

    Pflege sowie im Gebrauch von technischen Rehabilitationshil-fen und Pflegehilfsmittel bera-ten und anleiten. Innerhalb des Projekts wurde Pflegeliteratur bersetzt, Informationsbrosch-ren zu vielen Themen im Be-reich der Pflege erarbeitet und interessierten Personen zur Ver-fgung gestellt. Durch kontinuierliche Fortbil-dung und Fachberatung von Krankenschwestern zu Multi-plikatorinnen hat die Caritas vor Ort Ausbildungskapazitten ge-schaffen, die von den staatli-chen Sozialdiensten und den Gesundheitsinstitutionen nach-gefragt werden und eine hohe Wertschtzung erfahren. Mit Lob und Anerkennung fr die durch die Caritas vor Ort geleis-tete Arbeit sparen sie nicht.

    Natalja Scherbakova, Leiterin der Hauskrankenpflege Saratow, unterrichtet staatliche Krankenschwestern in der Pflege so-wie im Gebrauch von technischen Pflegehilfsmitteln. Foto: Caritas Saratow.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 21

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 21

    Die Zahl der erreichten Klienten ist in diesem Projekt beachtlich. Durch die Ausrichtung auf die Vermittlung von Kenntnissen in der Pflege bringt das Projekt vielen Menschen einen hohen Nutzen. Nicht nur die pflegebe-drftigen Menschen profitieren, sondern auch die pflegenden Angehrigen erfahren Unter-sttzung in ihrer Pflegettigkeit. Fr die Haushaltshelferinnen der Sozialzentren erhht sich die berufliche Zufriedenheit. Das Bewusstsein fr Pflege be-ginnt sich in den staatlichen So-zialzentren und in Gesundheits-einrichtungen zu Gunsten der Patienten zu verndern. Die ge-sellschaftliche sowie die ge-sundheits- und sozialpolitische Aufmerksamkeit fr die Be-drfnisse pflegebedrftiger Menschen ist gewachsen und

    nicht nur als mediales Thema der ffentlichkeit. Damit wird durch das Qualifi-zierungsprogramm der Haus-krankenpflege eine Professiona-lisierung in der Pflege erreicht, die nicht auf die Hauskranken-pflege begrenzt bleibt, sondern ausstrahlt in die Gesellschaft und das Gesundheitssystem. Qualifizierung in der Pflege, Vermeidung von Pflegefehlern, Frderung der Selbsthilfe, Er-haltung und Strkung familirer und nachbarschaftlicher Hilfest-rukturen und ein vernetztes Zu-sammenwirken mit interdiszip-linren Akteuren sind nachge-wiesene Projektergebnisse. Das Sozialministerium im Ob-last Saratow hat das Konzept der Caritas zur Qualifizierung in der Pflege bernommen und durch die Caritas eigene Kran-

    kenschwestern zu Multiplikato-rinnen ausbilden lassen, die auch in lndlichen Regionen die Mitarbeiterinnen der Sozialzen-tren in Pflege qualifizieren. Ein erster wichtiger Schritt im staat-lichen System ein Angebot der Gesundheitsberatung, der In-formation im Hinblick auf den Umgang mit Pflegebedrftigkeit sowie der Anleitung von Ange-hrigen und Helfern in der Pfle-ge zugnglich zu machen. Ingeburg Barden, Dipl.-Pflegepdagogin, ist seit 2005 fr den Deutschen Caritasver-band in Russland ttig. Dort gab sie ber mehrere Jahre Kurse in Pdagogik und Di-daktik der Pflege, in weiteren Nachschulungen wurden be-sonderes die Kompetenzen in der Pflegeberatung geschult.

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    Alt werden in Russland

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  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201524

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 24

    Gemeinsam knnen wir es schaffen, das Leben von alten Menschen zu verbessern. Staatliche Einrichtungen legen immer greren Wert auf die Zusammenarbeit mit der Caritas-Hauskrankenpflege

    von Sabine Hahn

    Eine Abteilung der Haus-krankenpflege der Dizesan-caritas Saratow befindet sich in dem staatlichen Zentrum fr Soziale Dienste der Stadt Engels. Engels liegt auf der anderen Seite der Wolga. Um dorthin zu kommen, ber-quert man von Saratow nur eine der beiden 3 km langen Wolgabrcken.

    Das staatliche Zentrum fr soziale Dienste bietet fr lte-re Menschen Reha-Aufenthalte im Rahmen einer Tagespflege. Sie knnen sich dort entspannen, erhalten Massagen, Trainingseinheiten an Rehagerten, knnen sich knstlerisch bettigen und pflegen Kontakte zu anderen lteren Menschen.

    Dort befindet sich auch das Sprechzimmer der Caritas-Hauskrankenpflege. In einem kleinen zustzlichen Klassen-raum findet der Unterricht fr die husliche Pflege statt. Der Unterricht umfasst den pflegeri-schen Umgang mit den Patien-ten, den richtigen Gebrauch der Rehagerte und des Materials fr die Hygiene. Geschult wer-den Mitarbeiter sozialer Dienste

    Schwester Olga pflegt eine Patientin in ihrer huslichen Umgebung nach einem Krankenhausaufenthalt. Foto: Caritas-Pflegedienst Marx.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 25

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 25

    und Angehrige lterer Men-schen, die am Anschluss an ei-nen Krankenhausaufenthalt pflegerische Hilfe bentigen. Nach den neuesten gesetzlichen Bestimmungen, mssen sich Mitarbeiter sozialer Dienste in Russland regelmig weiter qualifizieren. Dies knnen sie hier im Bereich der Pflege fr Schwerstkranke tun. Vor einigen Jahren war das Thema Hauskrankenpflege in Saratow noch vllig neu und fremd. Mittlerweile sind die Zu-sammenarbeit und der Aus-tausch von Mitarbeitern des so-zialen Zentrums mit den Ange-hrigen zur Gewohnheit gewor-den. Das Sozialzentrum der Stadt Engels hat nur wenige Pltze und kann die Nachfrage bei weitem nicht befriedigen, auch knnen dort keine Liegendpati-enten aufgenommen werden, denn es gibt weder Rumlich-keiten noch Hilfsmittel oder Personal, um liegende Patienten zu versorgen. Umso wichtiger ist die Schu-lung der Mitarbeiter und der Angehrigen, damit sie Patien-ten auch zu Hause versorgen und pflegen knnen. Es kommt nicht selten vor, dass die pfle-genden Angehrigen bis an ihre eigenen Grenzen gehen und sel-ber schwer erkranken oder sogar versterben. Dann kommt der zu pflegende Mensch in die Wohnung von fremden Leuten, etwa Nachbarn, in ein Wohn-heim oder zu weit entfernten Verwandten, die nur auf seinen Tod warten, berichtete Natalja Scherbakowa, Leiterin der Hauskrankenpflege in Saratow. Die Mitarbeiter der Caritas ver-suchen die Situation in vielflti-ger Weise zu verbessern. Vor

    allem durch die Grndung von Selbsthilfegruppen soll ein im-mer grerer Kreis bedrftiger Menschen und pflegender An-gehriger untersttzt werden. Die Bedeutung der Zusammen-arbeit der Caritas-Hauskran-kenpflege mit der staatlichen Sozialeinrichtung in Engels zeigt sich in dem wachsenden Interesse anderer staatlicher Stellen an der Arbeit der Caritas im Allgemeinen und an der Hauskrankenpflege im Beson-deren. Ende letzten Jahres besuchte der Direktor des staatlichen russischen Pensionsfonds, Ale-xander Romanov, mit einer De-legation von 13 Vertretern des Sozialministeriums das Sozial-zentrum in Engels. Die vielfl-tigen Mglichkeiten, lteren und kranken Menschen mehr Mobi-litt einzurumen und ihnen die Teilhabe am ffentlichen Leben zu ermglichen, beeindruckten die Gste. Romanov zeigte sich sehr angetan von der Kooperati-onsarbeit. Dies sei zurzeit die einzige Ein-richtung dieser Art in ganz En-gels, betonte die stellvertretende Direktorin des Sozialzentrums Larisa Klepak. Die Dizesancaritas in Saratow hofft auf weitere Partnerschaf-ten mit staatlichen Einrichtun-gen: Gemeinsam knnen wir es schaffen, das Leben von alten Menschen, Menschen mit Be-hinderung und Kranken durch die Pflege zu verbessern. Wir sind stolz auf unsere Arbeit, die oft so schwer ist, aber auch so bitter ntig, erklrt Natalja.

    Anna und Valentina Anna und Valentina sind ber 70 Jahre alt, ihre Mnner sind verstorben, ihre Kinder woh-nen weit weg und haben ihre ei-genen Probleme. Die beiden Frauen wohnen seit vielen Jah-ren in demselben Wohnblock in einem alten Stadtteil in Engels. Nach einem Infarkt hat sich Anna nur sehr langsam erholt. Sie bekam lange Zeit keine Reha-Manahmen und wurde bettlgerig. Valentina hat sie durch die Zeit der Krankheit begleitet, war aber zu schwach, um die pflegerischen Manah-men auszufhren. Nachbarn hatten von der Caritas gehrt und baten um Hilfe. Als Natalja die beiden zum ersten Mal besuchte, stellte sie fest, dass die beiden aus der Not eine Tugend gemacht hatten: Anna lag im Bett und erinnerte Valen-tina daran, was sie machen soll-te. Wie sich bald herausstellte, leidet Valentina an fortschrei-tender Demenz. Der Einsatz der Hauskranken-pflege kam zur rechten Zeit: Anna hatte sich schon wund ge-legen. Eine weitere Nachbarin wurde angelernt, das Notwen-digste fr die beiden zu tun. Zu-stzlich wurde Untersttzung vom Sozialamt frs Einkaufen und Putzen organisiert. Mittler-weile sind die beiden gut ver-sorgt.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201526

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 26

    Bewusstsein fr Menschenwrde in der letzten irdischen Lebensphase schrfen In Marx steht die individuelle Pflege im Vordergrund

    von Sabine Hahn

    Wir mchten helfen, dass das Bewusstsein fr Menschen-wrde in der letzten irdischen Lebensphase nicht verloren geht, erklrte Bischof Pickel bei der Erffnung der katholi-schen Pflegestation in Marx an der Wolga. In der 30.000 Einwohner zh-lenden Stadt Marx gibt es kein Alten- oder Pflegeheim. Der Bedarf, ltere Menschen professionell zu Hause zu be-treuen, die Angehrigen zu untersttzen und zu beraten, ist immens gro. Im Sommer 2012 startete in Marx das Caritas-Hauskran-kenpflegeprojekt mit einer Krankenschwester und einem Krankenpfleger. Nach Fortbil-dungskursen in Russland und einer Weiterbildung auf der Pal-liativstation des St. Raphael Krankenhauses in Ostercappeln bei Osnabrck, konnte mit der Betreuung und Pflege von lte-ren pflegebedrftigen Menschen im Rahmen von Hausbesuchen begonnen werden. Innerhalb der Hauskrankenpfle-gezentren in Russland nimmt das Caritas-Pflegezentrum in Marx an der Wolga eine beson-dere Stellung ein: Der Schwer-punkt liegt nicht auf den Schu-lungen von staatlichen Kran-

    kenschwestern und -pflegern, sondern in der Pflege selbst. Tatjana Zernova ist ausgebildete Krankenschwester und hat an den Fortbildungskursen fr Hauskrankenpflege teilgenom-men. Sie leitet seit Sommer 2014 den katholischen Pflege-dienst. Tglich machen sie und ihre Mitarbeiter Hausbesuche, um alte und kranke Menschen zu pflegen. An oberster Stelle stehen Wundversorgung, Kr-perpflege, Hilfe beim Essen und Gesundheitskontrolle. Intensive Betreuung gilt auch den Angehrigen durch Bera-tung im Umgang mit den Pati-

    enten in der huslichen Umge-bung, durch Schulungen und die Bereitstellung von Reha-Gerten. Aufmerksam auf die Pflege-dienstleistungen werden Interes-sierte durch die neue Homepage des Pflegedienstes in Marx. Dort weisen die Pflegekrfte in einer langen Liste detailliert auf die von ihnen angebotenen Pflegeleistungen hin. Darber hinaus werden zurzeit viele Selbsthilfegruppen gegrndet. Ein weiteres Augenmerk gilt der Einbindung ehrenamtlicher Hel-fer.

    Tgliche Hausbesuche des katholischen Pflegedienstes in Marx: an erster Stelle stehen Wundversorgung, Krperpflege und Hilfe beim Essen. Foto: Caritas-Pflegedienst Marx.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 27

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 27

    Meine Grotante Maria und die Frage nach dem Was wre, wenn? von Viktoria Zumbrgel

    Als das Treffen mit meiner Grotante Maria bevorstand, konnte ich mich, wenn auch nur vage, an sie erinnern. Vielleicht nicht mehr genau aus eigenen Erinnerungen, wahrscheinlich mehr von Fo-tos und Erzhlungen meiner Familie. Ich war aufgeregt und habe mich natrlich auch gefreut, vor allem da wir uns ber 20 Jahre nicht gesehen haben. Wrden wir uns ver-stehen, eine Beziehung zu ei-nander aufbauen, die wir vor-her nicht hatten? Ich war

    schlielich 3-4 Jahre alt und sie um die 60 Jahre, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Whrend meines Freiwilligen-dienstes in Nowosibirsk habe ich den Entschluss gefasst, mei-ne Tante zu suchen. Laut meiner Verwandten wrde sie in Nowosibirsk wohnen, ich erhielt sogar eine Telefonnummer. Es hat Wochen gedauert, bis ich genug Mut gesammelt hatte, um sie anzurufen. Sie ging auch di-rekt ran. Ich habe ihr erzhlt, wer ich bin. Sie war sehr herz-

    lich und wollte sofort, dass ich sie besuchen komme, da sie selbst nicht mehr weit fahren wrde. Mit Erleichterung habe ich fest-gestellt, dass meine Befrchtun-gen sich nicht besttigt haben. Ich war so fasziniert von ihrem groen Herzen, und dass ich ihr berhaupt nicht fremd war. Ich gehrte zu ihrer Familie und das hat sie mich spren lassen. Ein typisches altes Mtterchen. Das haben nur die Russen! Wir ha-ben uns hufig ber die Ver-

    Tante Maria erwartet ihre Viktoria. Foto: privat. .

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201528

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 28

    gangenheit unterhalten und ihr jetziges Leben, wenn ich sie be-sucht habe. Sie hatte ein eher armes, bewegendes Leben vol-ler trauriger Schicksalsschlge, von dem ich gerne erzhlen mchte. Bewegende Lebensgeschichte Ich muss etwas ausholen, um verstndlich zu machen, in wel-cher Verwandtschaftsbeziehung ich zu meiner Tante stehe. Ich glaube, dass selbst die Bezeich-nung Tante fr Deutsche nicht mehr korrekt ist. Meine Tante kommt gebrtig aus Russland. Sie lebte dort in meiner Ge-burtsstadt Usunagatsch in einem kleinen Huschen und war mit dem Halbbruder meines Opas verheiratet. Dieser hat Maria in Russland kennengelernt und nach Kasachstan mitgenommen. Die beiden hatten eine Tochter, die Margarita hie. Zu dem Huschen gehrte ein kleiner Garten fr den Eigenanbau, der fr die Leute vom Land unab-dingbar war, da der Lohn allein nicht ausreichte, um eine Fami-lie satt zu bekommen. In dem Haushalt wohnte noch die Mutter meiner Tante. Sie war bereits damals sehr alt. Ich hatte immer etwas Angst vor ihr, weil sie etwas furchteinfl-end aussah, wenn sie in der Sommerkche sa und vor sich hin gestarrt hat. Sie war nmlich schon damals fast blind und taub. Meine Tante Maria ist 1930 geboren, sie hat sehr spt geheiratet. Deshalb hat sie Mar-garita auch erst 1971 geboren, da war sie bereits 41 Jahre alt. Mein Groonkel Roman war be-reits verheiratet und hatte schon 2 Kinder aus der ersten Ehe. Zu

    den Kindern gab es aber kaum Kontakt. Die Eheleute waren einfache Arbeiter. Maria arbeitete in ei-ner Hhnerfabrik und Roman war LKW-Fahrer. Sie sind mit 50 Jahren in Rente gegangen. Damals konnte man das noch, erzhlt meine Mutter heute. Roman war sehr krank, da er sich nach dem Zweiten Welt-krieg als Deutscher im russi-schen Arbeitslager eine Tuber-kulose eingefangen hatte. Mei-nem eigenen Opa war dieses Schicksal erspart geblieben,

    weil er zu dem Zeitpunkt noch zu klein gewesen war um, ein-gezogen zu werden. Mein Ur-Opa ist in diesem Arbeitslager an Hunger verstorben. Das La-ger war bei Nowosibirsk statio-niert. Da es dort im Winter kaum etwas fr normale Brger zu essen gab, gab es fr Gefan-gene erst recht fast nichts. Mein Ur-Opa Franz hat sein Essen an seinen Stiefsohn, meinen Groonkel Roman abgege-ben. Dieser hat die Gefangen-schaft berlebt.

    Tante Maria und Viktoria - Wiedersehen nach ber 20 Jahren. Foto: privat.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 29

    Alt werden in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 29

    Die Rente der beiden fiel fr die damalige Zeit gro aus. Meine Mutter erzhlte mir, dass sie als Buchhalterin in Vollzeit ca. 80-90 Rubel pro Monat verdient hatte, wie meine Tante als Rentnerin. Mein Onkel starb 1989 an den Folgen der Tuber-kulose und seiner Nikotin- und Alkoholabhngigkeit. Da meine Tante weder Witwenrente noch ihre Mutter Rente bezogen hat-te, war das Geld fr drei Men-schen sehr knapp. Meine Tante hatte sehr viel gespart, um ihrer Tochter eine gute Ausbildung zu ermglichen. Nach Romans Tod war die Umstrukturierung (Perestroika) durch Gor-batschow im vollen Gange, so-dass das Geld kaum noch etwas wert war. Fr die 80-90 Rubel bekam man gerade mal zwei Laib Brot. Meine Tante brach deshalb die Zelte in Kasachstan ab und zog mit Margarita und ihrer Mutter nach Nowosibirsk zu ihrer Schwester. Sie konnten sich dort keine eigene Wohnung mieten, da das Geld nicht reich-te. So zogen sie zu ihrer Schwester in die Wohnung. Ma-ria hatte dann die Mglichkeit, ihre Tochter in der Ausbildung zu untersttzen. Harte Schicksalsschlge 1995-1996 war Margarita fertig mit ihrem Studium zur Lehr-kraft und hat angefangen zu ar-beiten, als sie bei einem Auto-unfall ums Leben kam. Ein schrecklicher Schicksalsschlag fr meine Tante, der noch heute die Trnen kommen lsst, wenn sie darber spricht. Wenige Jah-re spter verstarben auch ihre Mutter mit fast 100 Jahren an Altersschwche und dann auch ihre Schwester an Krebs Anfang

    2000. Sie alle wurden auf einem groen russisch-orthodoxen Friedhof am Stadtrand in der Nhe meiner Tante beerdigt. Sie lebt seitdem allein in dieser Wohnung, die ihr ihre Schwes-ter hinterlassen hatte. Ihre Rente ist klein (ca. 6000-8000 Rubel). Lange Wartezeiten beim Post-amt zur Aushndigung der Ren-te erschweren den alten Men-schen zustzlich das Leben. Manchmal wird nicht einmal der volle Betrag ausgezahlt, da nicht gengend Geld auf dem Amt bereitliegt. Ungefhr 5000 Rubel gibt sie monatlich fr Medikamente aus, der Rest bleibt fr Lebensmittel, Telefon, Strom, Gas und was sonst noch anfllt. Mit 85 Jahren hat man ein langes Leben gelebt, hart gearbeitet und einige Schick-salsschlge auf sich nehmen mssen. Meine Tante ist herz-krank und muss deshalb regel-mig Medikamente einneh-men, natrlich hat sie in diesem Alter noch andere gesundheitli-che Probleme. Als ich sie in Nowosibirsk be-suchte, war der Tisch stets ge-deckt, obwohl der Khlschrank fast leer war. Doch wollte sie nie Geld von mir annehmen und war sehr rgerlich und be-schmt, wenn ich etwas einge-kauft und mitgebracht hatte. Ihr Zufluchtsort in den warmen Monaten des Jahres ist ihre Dat-scha, welche ihre Schwester ihr und dem einzigen Sohn Alexan-der hinterlie. Sie knnen dort Obst und Gemse anbauen und sich an den Wochenenden erho-len. Dies wird meiner Tante langsam zu anstrengend. Das Laufen und das Fahren zu Be-hrden und Arztterminen wer-den immer schwerer. Zum Glck hilft ihr Neffe hufig. Ich

    bin sehr froh, dass es ihn und seine Frau gibt. Es sind die letz-ten lebenden Verwandten, die sie in Nowosibirsk hat. Die Kirche und die Grabpflege der Verstorbenen geben ihrem Leben einen Sinn, sagt sie selbst. Sie hatte hufig Trnen in den Augen, wenn sie sich an die vergangenen Tage erinnert. Es tut mir sehr leid, zu sehen, wie einsam sie ist und dass sie sich in ihrem Alter noch so sehr um Geld sorgen machen muss. Das ist nicht fair. Trotz allem bewundere ich ihre Strke, all das, was sie im Leben ertragen musste, hat sie nicht aufgeben lassen. So viele Menschen kn-nen von meiner Tante lernen, auch ich. Alte Menschen sind eine Be-reicherung fr uns alle Es muss mehr fr die alten Menschen in Russland getan werden. Wenn jngere Angeh-rige die Pflege der Alten nicht bernehmen, dann wssten die meisten von ihnen nicht, wohin. Viele alte Menschen leben in Russland sogar auf der Strae. Keiner sollte seinen Lebens-abend auf der Strae bestreiten mssen. Manchmal frage ich mich, was wre wenn der Neffe meiner Tante nicht da wre. Ein schrecklicher Gedanke, den ich versuche schnell wieder zu ver-gessen. Alte Menschen werden hufig als Last empfunden, vielleicht sollte der eine oder andere sich bewusst machen, dass alte Men-schen eine Bereicherung fr uns alle sind, denn sie haben die Grundlage dafr gelegt, wer wir sind, was wir erreicht haben und was wir noch erreichen knnen.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201530

    Knigsberghilfe

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 30

    Ehrenamtliches Engagement auf hchstem Niveau die Knigsberghilfe Knigsberghilfe der Caritas seit ber 20 Jahren im Einsatz

    von Victoria Krasina und Ottmar Steffan

    Theodor Groe-Starmann kann die vielen tausend Stun-den seiner ehrenamtlichen Arbeit fr die Knigsberghilfe nicht mehr zhlen. Seit 1992 organisiert der 73-jhrige fast tglich Hilfe fr die notlei-dende Bevlkerung im Raum Kaliningrad (ehemals Knigs-berg).

    Seit vielen Jahren steht ihm Helmut Buschmeyer, ebenfalls 73, zur Seite. Gemeinsam lei-ten sie den Thuiner Kreis und koordinieren so das groe Netzwerk ihrer ehrenamtli-chen Arbeit zugunsten der armen Bevlkerung in der russischen Enklave an der Ostsee.

    Die Knigsberghilfe unterhlt eine Kindertagessttte fr etwa 25 Klein- und Vorschulkinder aus benachteiligten Familien in Kosmodijansk am Rande der Stadt. In Rasdolnje gibt es eine Sozialstation mit einer kleinen Nhstube und einem groen La-ger fr die ankommenden Hilfs-transporte aus Osnabrck Am 25. Mrz 2015 machte sich der

    Die Wunden, die in der Ambulanz zu pflegen sind, sind manchmal so offen und entzndet, dass man um die Heilung bangen muss. Foto: Pfarrcaritas Heilige Familie, Kaliningrad.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 31

    Knigsberghilfe

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 31

    700. LKW mit Hilfsgtern auf den Weg. Darber hinaus unter-sttzt die Knigsberghilfe in der Katholischen Kirchengemeinde Heilige Familie in Kaliningrad eine Suppenkche und eine Ambulanz. Von 1992 bis 2011 arbeitete die Knigsberghilfe unter dem Dach des Malteser Hilfsdienstes Osnabrck. 2012 begab sich die Knigsberghilfe unter das Dach der Caritas Osnabrck. Seit die-ser Zeit gibt es eine enge Ko-operation und Zusammenarbeit mit der Russlandhilfe. Seit Be-ginn dieses Jahres untersttzt Eine Kuh fr Marx auch die Suppenkche und die Ambulanz in der Katholischen Kirchenge-meinde Heilige Familie. Im nachfolgenden Beitrag be-schreibt die Leiterin der Pfarr-caritas Victoria Krasina die Hil-fe, die vor Ort in Kaliningrad dank der Knigsberghilfe ge-leistet werden kann: Suppenkche Die Armut ist gro im russi-schen Bezirk Kaliningrad/K-nigsberg. Deshalb haben viele Menschen vor 20 Jahren mit gu-tem Herzen und Seele in der Stadt auf einem Gelnde der Katholischen Kirchengemeinde Heilige Familie diese Suppen-kche eingerichtet, die erste in der Stadt. Noch heute gibt sie unter der Woche tglich Mahl-zeiten an etwa 100 Menschen aus. Viele nehmen noch etwas mit fr Kranke zu Hause oder fr ihre Nachbarn, die nicht kommen knnen. Familien, Rentner, behinderte Menschen sowie Bedrftige mit sehr geringem Einkommen knnen 5 Mal wchentlich in

    der Suppenkche ein warmes Mittagessen bekommen. Zwischen April und Dezember 2014 wurden insgesamt 18.735 Portionen warmes Essen ausge-geben. Durch das Embargo brachen fr uns schwere Zeiten an. Viele Produkte, die qualittsmig gut und kostengnstig waren, fallen jetzt weg. Die Kosten fr die laufenden Lebensmittel wie Reis, Nudeln, Buchweizen, Graupen, Fleisch sind drastisch gestiegen. Wir haben durch un-sere Gemeindebeziehungen im Kaliningrader Gebiet einige be-kannte Kleinbauern, bei denen wir unser Gemse beziehen. So sind wir uns wenigstens der Qualitt der Produkte sicher. Durch die freundschaftliche Be-ziehung bezahlen wir ein paar Rubel wenige als auf dem offi-ziellen Markt. Kleiderkammer In der Kleiderkammer bekom-men bedrftige Menschen Hilfe in Form von Kleidung, Schu-

    hen, Bettwsche und Decken. Die Kleidung wird berwiegend von der deutschen Bevlkerung gespendet, aber auch von den Bewohnern der Stadt Knigs-berg, besonders von Pfarrge-meindemitgliedern. In diesem Winter war es sehr kalt und die Schnstattschwestern und die Gemeinde haben geftterte Ar-beitsschuhe fr Obdachlose ge-kauft. Im letzten Jahr erhielten inner-halb von 9 Monaten 851 Ob-dachlose, 156 Sozialbedrftige, 5 Organisationen (Sozialamt, Verein fr kinderreiche Fami-lien, Reha-Zentrum fr Drogen-und Alkoholabhngige und Al-tersheim) und 7 Drfer Klei-dung, Schuhe, Bettwsche und Decken. Insgesamt 2.650 kg. Ambulanz fr Obdachlose Obdachlose Menschen sind auch in Knigsberg eine Rand-gruppe, der die russische Ge-sellschaft mit offener Verach-tung begegnet. Gewaltttige bergriffe durch die Bevlke-

    Theodor Groe-Starmann (rechts) und Helmut Buschmeyer sind die Motoren der Knigsberghilfe der Caritas Osnabrck. Foto: Roland Knillmann.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201532

    Knigsberghilfe

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 32

    rung und die Polizei, einherge-hend mit Krperverletzung bis hin zu Totschlag, sind keine Seltenheit und werden im All-gemeinen nicht geahndet. Das Leben der Obdachlosen ist im ostpreuischen Winter sehr gefhrdet. Ihre Lebenserwar-tung ist sehr gering. Obdachlose leben in den Schchten der Fernheizung, auen auf den warmen Rohren, auf den D-chern von den Hochhusern, in Kellern und in den Festungsrui-nen. Von Obdachlosigkeit be-

    troffen sind Mnner und Frauen, junge und alte Menschen, Ge-sunde und Kranke, Doktoren und Menschen ohne Ausbil-dung. Sie erhalten eine qualifizierte medizinische Hilfe, ein warmes Mittagessen, Kleidung und Be-ratung und erfahren Achtung und menschliche Zuwendung. In unserer Ambulanz knnen die Obdachlosen duschen und saubere Kleidung bekommen. Im Allgemeinen kann ein Ob-dachloser 3-5 Mal in der Woche

    diese Hilfe in Anspruch neh-men. Zwischen April 2014 und De-zember 2014 wurden 851 ob-dachlose Menschen in der Am-bulanz versorgt. 421 von ihnen erhielten medizinische Hilfe, 60 Personen wurden entlaust, 733 Menschen wurden mit Kleidung und Schuhen, Rasierklingen und Seifen versorgt, 390 Mal wurde geduscht, 74 Wschen wurden gewaschen.

    Viele Hungrige warten schon - Essenausgabe in der Suppenkche der Heiligen Familie. Foto: Pfarrcaritas Heilige Familie, Kaliningrad.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 33

    Knigsberghilfe

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 33

    Oma Bin (von Schwester Gisela) Frau K. kam mit ihrer Familie aus Kasachstan nach Kali-ningrad. Als gelernte Kranken-schwester arbeitete sie in Ka-sachstan als Kranfahrerin und Kchin. Als die Situation fr Russen in Kasachstan immer schwieriger wurde, beschloss sie, mit ihrer Familie nach Kaliningrad zu ziehen. Sie waren zu viert: Die 80-jhrige Uroma, Frau K., die spter immer nur noch Oma Bin genannt wurde, ihre Tochter und der dreijhrige Enkelsohn. Alle Russen, die in den Lndern der ehemaligen Sowjetunion wohnten, hatten in der Zwi-schenzeit ihre russische Staats-angehrigkeit verloren, so auch Frau K. und ihre Familie. Be-hrdengang auf Behrdengang folgte: Antrag auf Staatsangeh-rigkeit, Rentenantrge fr Frau K. und die Uroma, Arbeitssuche fr die Tochter. Bald nach ihrer Ankunft kamen sie zu uns in die Kirche und so schlossen wir Bekanntschaft. In unserer Sozialstation herrschte zu dieser Zeit eine echte Um-bruchsituation und wir suchten jemanden fr die Betreuung der Obdachlosen in der Ambulanz. Wir schlugen Frau K. diesen Arbeitsplatz als Kranken-schwester vor. Die Tochter von Frau K. suchte weiter nach Ar-beit. Heute eineinhalb Jahre

    spter sagt Frau K., die von allen nur noch Oma Bin genannt wird: Sie haben uns damals so sehr geholfen. Als wir nach Ka-liningrad kamen, dachte ich, mich braucht gar keiner mehr und ich hatte groe Angst da-vor, nutzlos zu sein. Durch ihr Arbeitsangebot haben sie uns nicht nur finanziell geholfen, sondern mir neue Lebensfreude gegeben. Jetzt habe ich so eine groe Familie, fr die ich sor-

    gen kann. Mit Familie meint Frau K. alle Obdachlosen, die sie behandelt und fr die sie sorgt. Im Winter nahm die Fa-milie einen Obdachlosen sogar bei sich zu Hause auf, sie halfen ihm wieder auf die Beine, so dass er jetzt wieder fr sich selbst sorgen kann. Frau K.s Tochter hat mittlerwei-le Arbeit gefunden und Oma Bin bekommt seit einiger Zeit nun auch eine kleine Rente.

    Oma Bin bei der Arbeit - die Hilfe fr Obdachlose ist zu ihrem Lebensinhalt geworden. Foto: Pfarrcaritas Heilige Familie, Kaliningrad.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201534

    Die Wirtschaftskrise und ihre Folgen

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 34

    Die Wirtschaftskrise trifft die einfachen Russen mitten ins Herz Brief der Caritasdirektorin aus St. Petersburg

    von Natalia Pewzowa

    Liebe Freunde, sehr geehrte Partner der Caritas Sankt Pe-tersburg, wir danken Ihnen fr Ihre Hilfen, Ihre Sorgen und fr die groe Solidaritt mit uns. Danke fr Ihr Interesse an unserer Arbeit und fr Ihr Vertrauen.

    Heute mchte ich Ihnen die soziale Situation darstellen, wie sie in St. Petersburg und in der Region Leningrad ge-genwrtig herrscht. Dass sich Russland in einer tie-fen Wirtschaftskrise befindet, ist eine Tatsache, die keine der staatlichen Instanzen widerlegt. Diese Krise liegt nicht nur an

    den wirtschaftlichen Sanktio-nen, die durch die EU gegen Russland verhngt wurden, son-dern vor allen Dingen an der Senkung der lpreise. Russland ist ein Land, das Rohstoffe aus-fhrt und fast alles andere ein-fhrt, von Nahrungsmitteln bis zu den Ausrstungen fr die Rohstoffgewinnung.

    Armut und Schicksalsschlge treiben die Menschen auf die Strae - wie diesen Mann im Zentrum von St. Petersburg. Die aktuelle Krise in Russland verschrft die prekre Situation der Obdachlosen. Foto: Ottmar Steffan.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 35

    Die Wirtschaftskrise und ihre Folgen

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 35

    Diese zwei Faktoren zeigen nun deutliche Wirkungen: Kleinbe-triebe sterben, weil sie den kras-sen Preisanstieg aus eigener Kraft nicht bewltigen knnen, viele Betriebe mit auslndischer Beteiligung (joint ventures) schlieen, Menschen bleiben ohne Arbeit. Seit September 2014 wurden in 659 Betrieben in St. Petersburg etwa 10.000 Stellen abgebaut. Mit der Ge-schwindigkeit eines IC-Zugs steigen die Preise fr Lebens-mittel und Medikamente, der Eurokurs fiebert. Im Februar 2014 kostete ein Euro 47 Rubel, seither stieg der Eurokurs stark an; im Februar 2015 lag ein Eu-ro bereits bei 72 Rubel und klet-tert bisweilen bereits auf 78 Ru-bel. Die Sanktionen verfehlten ihr eigentliches Ziel, denn die politischen und finanziellen Eli-ten Russlands bleiben nach wie vor berreich und decken die eigenen Finanzverluste auf Kos-ten der russischen Staatsbrger ab. Die Krise traf die einfachen Russen mitten ins Herz. Es geht um unsere Familien und die am wenigsten geschtzten Men-schen: alte Leute, Kinder, kin-derreiche Familien, Menschen mit Behinderungen. Wir erwa-chen morgens mit der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes oder vor einer Krankheit. Man hat uns wieder einmal die Hoff-nung auf Stabilitt und eine ru-hige Zukunft genommen. Durch unsere Arbeit bei der Caritas werden wir immer wieder mit groem menschlichen Leid und viel Not konfrontiert und sehen die materielle und geistige Wir-kung der Armut: zerstrte Fami-lien, Obdachlosigkeit, Isolie-rung, Depressionen.

    Seit ber 20 Jahren kmpfen wir gegen die Armut. Wir verteilen Essen, helfen mit Kleidung, be-suchen, betreuen, leiten Men-schen an, damit sie zustzliche materielle, emotionale, soziale oder geistige Ressourcen und Informationen finden, die man fr die Stabilisierung der eige-nen Lebenssituation bentigt. Letztes Jahr setzten wir durch, dass der Staat uns als eine sozial bedeutsame Organisation aner-kannte und unsere wohlttigen Projekte zu frdern begann, obwohl wir nicht zur traditio-nellen Konfession gehren. Die Stimme der Caritas wurde gehrt, und man schtzte unsere Arbeit hoch ein. Wir schulen und vermitteln unser Wissen im Bereich der Sozialarbeit an inte-ressierte Mitarbeiter anderer NGOs und staatlicher Institutio-nen, nehmen sogar an der Ver-besserung der Sozialpolitik teil. Heute sehe ich ein, dass die Wirtschaftskrise uns wieder in die Neunziger zurckversetzt und dass wir wieder, bevor wir echte und wirksame Hilfe zur Selbsthilfe leisten knnen, die Bedrftigen lediglich mit dem Notwendigsten versorgen, Me-dikamente kaufen, Kranke und Einsame besuchen werden ms-sen.Wie sollen wir aber die ntigen Mittel dazu in Russland finden? Unsere Partner durchlaufen hier in St. Petersburg ebenfalls eine Krise. Die Suppenkche Tatja-na, wo bisher die von uns be-treuten alten Leute und kinder-reiche Familien mit Essen ver-sorgt wurden, ist fast pleite, Privatunternehmer und Kleinbe-triebe, die uns bisher mit Le-bensmitteln und Hygienearti-keln halfen, stellen ihre Arbeit ein, sozial verantwortliche Un-

    ternehmen verlassen Russland. Wegen der steigenden Preise fr lebenswichtige Gter wird der Staat unsere Ttigkeit im ge-ringstmglichen Ausma fr-dern, wenn die Regierung ber-haupt Mittel findet, um den so-genannten dritten Sektor, d.h. uns, die NGOs, zu untersttzen. Und trotzdem mchte ich und darf ich die Hoffnung nicht ver-lieren, dass es nie passieren wird, dass wir, die Mitarbeiter der Caritas St. Petersburg, nicht mehr im Stande sein werden, den Menschen zu helfen, oder dass diejenigen, die unsere Hnde und unsere Herzen brau-chen, auf unsere Hilfen verge-bens warten werden. Hoffnungsvoll schaue ich in die Zukunft, denn ich wei, dass wir nicht allein sind, dass wir Gleichgesinnte, Freunde und Partner in Deutschland haben, die uns trotz der politischen Si-tuation um Russland herum bei der Bekmpfung der Armut weiter helfen, mit uns solida-risch sind, uns Vertrauen entge-genbringen und uns auf dem Weg des Kampfes gegen das Bse und die Armut begleiten, die fr uns und die armen Men-schen in Russland beten und den Herrn um den Frieden bit-ten. Mit groem Dank fr Ihre bis-herige Treue, liebe Freunde, mit tiefer Verbeugung und mit der Hoffnung auf unsere weitere Freundschaft und Zusammenar-beit bleibe ich Ihre Natalia Pewzowa

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201536

    Spendenstatistik

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 36

    Projekte fr Familien und Kinder liegen vorn Stabile Spenderbilanz im Jahr 2014

    von Sabine Hahn

    Auf eine stabile Spenderbilanz konnte die Russlandhilfe auch im Jahr 2014 blicken: Vielen Menschen in besonderen Not-lagen konnte in vielfltiger Weise geholfen werden. Insge-samt konnten 836.499 Euro in den verschiedenen Projekten eingesetzt werden, das sind knapp 100.000 Euro mehr als 2013. Die Steigerung ist einem erhhten Anteil der Frde-rung durch Stiftungen zu verdanken. Ihr Anteil betrgt in 2014 693.815 Euro (im Vor-jahr waren es 590.851 Euro). Die Summe der privaten Spen-den, die fr Kinder, Familien und Menschen in verschiedens-ten Notlagen eingesetzt wurden, betrug in 2014 142.684 Euro. Der Bereich der Ausbildungs-untersttzung hat am meisten von der Erhhung der Stiftungs-spenden profitiert. Ein Groteil der Zuwendungen ging dabei an das Fortbildungszentrum Cari-tasschule fr Sozialarbeit in St. Petersburg zur Frderung der Netzwerkarbeit fr Menschen mit schweren und Mehrfachbe-hinderungen. Fachkrfte gibt es in diesem Bereich in Russland bislang nur sehr selten. Men-schen mit Behinderung leben zumeist in Heimen und erhalten dort wie auch zu Hause meis-tens nur eine Allgemein- oder Krankenpflege. Der Fokus der Caritasschule fr Sozialarbeit liegt neben der Fortbildung auf der Vernetzung von Fachkrften

    staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen, um eine effekti-ve Hilfe fr Menschen mit Be-hinderung in der russischen Ge-sellschaft zu schaffen. Projekte fr Kinder und Fami-lien erhielten ebenfalls mehr Geld. Mit knapp 300.000 Euro bildet dieser Bereich den Hauptanteil im Frderprogramm der Russlandhilfe. Mit 250.000 Euro durch Stiftungsfonds kann die Arbeit der Caritas Nowosi-birsk in den Kinderzentren, dem Kinderheim St. Nikolaus, dem Mutter-Kind-Heim St. Sophia, in dem obdachlose Schwangere und junge Mtter aus Risikofa-milien Aufnahme finden, auf-rechterhalten und fortentwickelt werden. Die Hilfe fr Menschen am Rande der Gesellschaft ist wei-terhin ein wichtiger Bestandteil der Russlandhilfe. Mit ber

    146.000 Euro konnten Obdach-losenprojekte in Sibirien und Sdrussland und ein neues Pro-jekt zur Gewaltprvention in St. Petersburg untersttzt werden. Die Obdachlosenprojekte bein-halten nicht nur die Versorgung obdachloser Menschen mit Nah-rung und medizinischer Erstbe-handlung. In Zusammenarbeit mit staatlichen Rehabilitations-zentren ist die psychosoziale und therapeutische Betreuung der Klienten ein wesentlicher Bestandteil des Projektes. Das Zentrum fr Gewaltprven-tion in St. Petersburg hat es sich zur Aufgabe gemacht, Hilfe fr Gewaltopfer anzubieten, Selbst-hilfegruppen einzurichten und Netzwerke mit anderen Organi-sationen zu bilden. Ein solches Hilfsangebot fr traumatisierte Gewaltopfer gibt es sonst weder in St. Petersburg noch in ande-ren Stdten Russlands.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 37

    Spendenstatistik

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 37

    Der Bereich Pastorale Aufga-ben, der hauptschlich Zuwen-dungen fr Priester und Schwes-tern umfasst, liegt konstant bei etwa 50.000 Euro. Feste Part-nerschaften und Spenderbin-dungen an Ordensleute in Russ-land bilden den Grundstock die-ser pastoralen Hilfe. Ohne die Arbeit der Priester, Schwestern und Caritas-Mitarbeiter in den Stdten und den weit verstreu-ten katholischen Kirchenge-meinden wre der Umfang der katholischen Sozialarbeit in Russland undenkbar. Viele Pro-jekte haben ihre Wurzeln in der seelsorgerischen Ttigkeit der Priester und Schwestern. Bei den Zuwendungen aus Ei-genmitteln der Russlandhilfe, der Frderung durch Spenden, stehen die Programme fr Kin-der und Familien an erster Stel-le. Private Spender untersttzen die Kinder- und Jugendprojekte

    in Russland ber einen lngeren Zeitraum als feste Partner. Dies gilt fr die Kinderzentren in Slavjanka, Omsk, Orsk und Ulan Ude und fr Sommerfrei-zeiten einiger Kinderzentren. Aus dem Projekt Wettbewerb der Kleinprojekte in der Dize-se St. Clemens konnten aus pri-vaten Spenden spezielle Thera-piegerte, Schulvorbereitungs-kurse, Exkursionen im Rahmen von Sozialprogrammen fr Kin-der und Jugendliche gefrdert werden. Insgesamt stammen 40.000 Eu-ro der knapp 300.000 Euro aus dem Bereich Untersttzung fr Kinder und Familien aus priva-ten Spenden. Als Namensgeber der Russ-landhilfe Eine Kuh fr Marx konnte auch das Kuhprojekt wieder erfolgreich umgesetzt werden: fr 26.050 Euro wur-den 32 Khe in das Omsker Ge-

    biet gespendet. Fr die Hilfe fr Menschen in besonderen Notlagen wurden im vergangenen Jahr 16.400 Eu-ro eingesetzt. Das Geld wird fr Notfallhilfen jeglicher Art fr Familien, Alleinerziehende und Jugendliche verwendet und dient dem Kauf von Lebensmit-teln, Kleidung, Medikamenten, medizinischer Hilfe bei Krank-heit und schulischer Unterstt-zung. Wir danken den privaten Spen-derinnen und Spendern sowie den Stiftungen fr ihr Vertrau-en. In der gegenwrtigen Krise in Russland ist es wichtig, zu den Menschen in Russland zu stehen, die gerade jetzt ihre Hil-fe so dringend brauchen.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201538

    Spendenstatistik

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 38

    Auch kleine Spenden haben groe Wirkung Vor einiger Zeit sah die 11jhrige Josefin in ihrem Haus eine Kuh-Zeitung lie-gen und bltterte sie durch. Sie kam mit ihren Eltern ber die Inhalte der Kuh ins Ge-sprch. Die schweren Lebens-bedingungen in Russland be-schftigten sie sehr und sie be-schloss, einen Teil ihres Ta-schengeldes zu spenden. Ott-mar Steffan nahm auf seiner letzten Russlandreise Josefins Taschengeld mit. Jonas Mei-ser, Freiwilliger in St. Peters-burg, setzte es gezielt ein und schrieb Josefin einen Brief. Hallo Josefin, vielen herzlichen Dank fr deine Spende! Ich ha-be lange berlegt, was ich von

    dem Geld kaufe, da es sehr viele Dinge gibt, die hier gebraucht werden. Mein Name ist Jonas, ich bin 20 Jahre alt und ich arbeite als Freiwilliger des Bistums Osnab-rck in einem staatlichen Heim fr schwerstbehinderte Kinder und Jugendliche in Sankt Pe-tersburg, Russland. Ich arbeite in der Gruppe 29, wo insgesamt neun Mdchen und Jungen zwi-schen acht und 17 Jahren leben. Viele dieser Kinder bentigen eigentlich eine tgliche Physio-therapie, die aber leider auf-grund mangelnder Therapeuten nicht mglich ist. Also versuche ich mein Bestes und mache tg-lich bungen mit ihnen und la-gere sie im Bett in verschiedene

    Positionen um. Dafr brauche ich je nach Kind verschiedene Kissen. Fr den Jungen Lescha war allerdings nie ein Kissen in der richtigen Gre vorhanden. Die Kissen waren entweder zu gro oder zu klein. Dadurch konnte er sich selbst nie lange in den unterschiedlichen Positio-nen halten, was gar nicht gut fr seine Krperhaltung war. Des-halb dachte ich mir, dass dies nun viel wichtiger ist als ein neues Spielzeug oder neue Kleidung. Ich lege dir ein Foto bei, auf dem du Lescha mit sei-nem neuen Kissen in einer fr ihn guten Position sehen kannst! Nochmals vielen Dank und lie-be Gre aus Sankt Petersburg Lescha und Jonas

    Lescha liebt sein neues Kissen. Foto: Jonas Meiser.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 39

    Freiwillig in Russland

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 39

    Blick zurck und Blick nach vorn Zwischenseminar der Russlandfreiwilligen des Programms Freiwillige Dienste im Ausland (FDA) des Bistums Osnabrck

    von Ottmar Steffan

    Leichter Frost, tiefer Schnee, strahlend blauer Himmel. Zwei Zugstunden sdwestlich von St. Petersburg liegt das kleine rtchen Elisawetino. Hier fand im Bildungshaus der Steyler Missionare das diesjhrige Zwischenseminar der fnf Russlandfreiwilligen des Bistums Osnabrck statt. Der verschlafene Ort bot ideale Bedingungen fr die Halbzeit-Reflexion des Dienstes unserer Freiwilligen Lucia und Jonas in St. Petersburg, Jakob in Wol-

    gograd, Lisa in Omsk und Pat-rick in Nowosibirsk, der mit seiner 58-stndigen Zugfahrt die lngste Anreise hatte. Bru-der Kasimir, Steyler Missionar aus Polen, war unser Gastgeber, der uns mit russischem Essen verwhnte. Eine Woche lang haben unsere Freiwilligen mit Laura, meiner Mit-Teamerin aus Berlin, und mir intensiv auf die erste Hlfte ihres Freiwilligendienstes zu-rckgeschaut, berlegt, an wel-chem Punkt sie gerade stehen, und Vorstze fr die zweite

    Hlfte des Jahres formuliert. Mit den Themen Zukunft nach der Rckkehr in Deutschland, russische Gesellschaft und Kirche/Glaube wurde die Wo-che abgerundet. Mitte der Wo-che fand ein langer Spaziergang durch die winterliche Land-schaft statt. Die unberhrte Schneelandschaft haben wir alle sehr genossen. Vier Freiwillige fuhren wieder zurck an ihren Einsatzort, wh-rend der fnfte von ihnen aus persnlichen Grnden vorzeitig nach Deutschland zurckkehrte.

    Ausgelassene Stimmung im Schnee - die Russlandfreiwilligen des Bistums Osnabrck. Foto: Ottmar Steffan.

    Augenblick mal...

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/201540

    Nachruf

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 40

    Wir trauern um unsere Kollegin Lena von Ottmar Steffan

    Wir trauern um unsere liebe Kollegin Elena (Lena) Shaba-nov, unsere langjhrigen Erzie-herin im Caritas Kinderzentrum Antoschka in Astrachan. Im Januar 2015 feierten wir noch das 10-jhrige Bestehen des ltesten Kinderzentrums in unserem Partnerbistum St. Cle-mens, in dem Lena fast von An-fang an zusammen mit ihrer Kollegin Schenja die pdagogi-sche Verantwortung fr die ihnen anvertrauten Kinder ber-nahm. Lena hat uns mit ihrer Ruhe, Gelassenheit und Nerven-strke schon immer begeistert.

    Sie hatte das Wohl der Kinder immer im Blick und hat die Kinder untersttzt, gefrdert und in Schutz genommen. Da-bei hat sie ber ein enormes Fachwissen verfgt und ihren Schtzlingen konsequent klare Grenzen gesteckt. Sie war bei den Jungs und Mdchen gleich-ermaen beliebt, oft so etwas wie ein Mutterersatz. Ihre be-scheidene Art hat sie ausge-macht. Oft genug stellte sie ihre Fhigkeiten hinten an, spielte sich nie in den Vordergrund. Sie selber hat es familir nicht leicht gehabt. Trotz der schwe-

    ren Lebensphase behielt sie ih-ren Lebensmut, den sie in ihrer besonderen Herzlichkeit den Antoschka-Kindern weiter-gab. Liebe Lena, mit groem Res-pekt danken wir Dir fr Deinen unerschtterlichen Einsatz im Antoschka. Du wirst Deinen Kindern, Kolleginnen, unseren Freiwilligen, die Dich erleben durften, und uns in bleibender Erinnerung sein. Du wirst uns allen vor allem den Kindern sehr fehlen. 53 Jahre bist Du alt geworden und viel zu frh von dieser Welt gegangen.

    Foto: Ottmar Steffan.

  • Eine Kuh fr Marx Nr. 46 5/2015 41

    Kurznachrichten

    Eine Kuh fr Marx Nr. 46 05/2015 41

    Osnabrcker Friedens-gesprche

    Veranstaltungshinweis:

    Druschba Welchen Weg nimmt das deutsch-russische Verhltnis? Statements und Diskussion mit Matthias Plat-zeck, dem Vorsitzenden des Deutsch-Russischen Forums e.V. und Dr. Irina Scherbakova, Germanistin und Kulturwissen-schaftlerin aus Moskau. Mittwoch, 21. Oktober, 19 Uhr, Aula der Universitt, Schloss Osnabrck.

    Caritas Sibirien hilft ukra-inischen Flchtlingen

    Das Familienzentrum der Cari-tas in Nowosibirsk betreut Flchtlinge aus der Ukraine. Begonnen hatte dieser Dienst damit, dass sich im Herbst 2014 Ehrenamtliche an die dortige Caritas wandten mit der Bitte, einer Flchtlingsfamilie mit Kindernahrung zu helfen. Bald baten auch andere Familien um Untersttzung. Viele hatten we-der warme Kleidung noch

    Schuhe, die fr den sibirischen Winter geeignet sind. Darber hinaus wurde den Familien mit Lebensmittelpakten und Kin- dernahrung geholfen. Im Kon-takt mit den Familien wurde deutlich, dass sie auch psycho-logische Hilfe bentigen, um die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Mittlerweile gibt es ein Angebot fr Einzel- und Gruppentherapie.

    Intensiver Aufenthalt im Wolgabistum

    Es war nach seiner Westsibiri-en-Dienstreise im Februar 2015 erst sein 2. Russland-Aufenthalt: Claudio Moser, Lei-ter des Referats Euro-pa/Lateinamerika bei Caritas international in Freiburg, beglei-tete Ottmar Steffan vom 15.-22. April 2015 durch das Partner-bistum St. Clemens. Wolgograd, Marx und Saratow waren die Ziele. Claudio Moser interes-sierte sich vor allem fr die vom Deutschen Caritasverband fi-nanzierten Projekte der

    Hauskrankenpflege, der Frie-densschule, der Kinderzentren und der Not- und Katastrophen-