Eine Minute Unsinn

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Anthony de Mello

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- 1 - - 2 - HERDER Spektrum Band 5161 Das Buch Kannetwaswirklichwahrsein,wennniemanddarberlacht?"- DaTiefsinnnichtmithumorlosemErnstundschwererBedeutsam- keitgleichgesetztwerdenmu,daWahrheitalsschwerelos-ein- drcklicher,witziger,irritierenderUn-Sinndaherkommenkann:das istdieerleichterndeErkenntnisbeiderLektrediesesBuches.ber- raschendeEinsichten,verblffendePointen,paradoxeAntworten erhellendieSituation-unddenLeser.NichtFeierlichkeit,sondern dieLeichtigkeitdesSeinsindeMellosSkizzenistes,dieeinldt,fas- ziniertundberzeugt.SeineSammlungkurzerGeschichtenbringt diespirituelleWeisheitunddasLebenswisseneinestaoistischen Gelehrten,einesjdischenRabbisodereineschristlichenMnchs zueinander-undzusammen.WiedenMeistern,vondenener erzhlt,gehtesdeMellonichtdarum,moralischzubelehren,son- dernwachzurttelnfrdieWirklichkeit,aufmerksamzumachenfr dasLeben.IndiesenGeschichtenwirdesmglich,Widersprche auszuhaltenunddabeinichtzynischzuwerden;Schwchen,Fehler undUngeschicklichkeitenzuverstehenunddochwahrhaftigzu bleiben.DeMelloselbstistdabeieinMeister:Meistereiner erzhlendenSpiritualitt",inderWitzzurErkenntnisgehrt,Weis- heit zur Lust, Ungereimtheit zum Leben, Schnheit zum Denken. Der Autor AnthonydeMello,geboren1931inBombay,studiertenachseinem EintrittindenJesuitenordenPhilosophie,TheologieundPsycholo- gieinBarcelona,Poona,ChicagoundRom.BiszuseinemTod1987 leiteteereinBeratungs-undAusbildungszentruminLonavlain Indien.AlsExerzitienmeisterverbanderdieWeisheitdesOstens, desZen-Buddhismus,mitwestlichenWeisheitstraditionen.BeiHer- derSpektrum:WerbringtdasPferdzumFliegen?;WarumderVo- gelsingt;ZeitendesGlcks;WieeinFischimWasser.Anleitung zumGlcklichsein;EineMinuteWeisheit;WarumderSchferjedes Wetter liebt; Mit Leib und Seele meditieren; Gib deiner Seele Zeit. - 3 - Anthony de Mello Eine Minute UnsinnWeisheitsgeschichten Aus dem Englischen von Robert J ohna Illustrationen von J ules Stauber HERDER FREIBURGBASEL WIEN - 4 - DieBchervonPaterAnthonydeMellowurdenineinem multireligisenKontextverfatundsolltenAnhngernan- dererReligionen,AgnostikernundAtheisteneineHilfebei ihrer geistlichen Suche sein. Sie sind entsprechend dieser In- tention des Autors nicht als Darstellungen des christlichen Glaubens oder Interpretationen katholischer Dogmen zu ver- stehen. Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier 8. Auflage Alle Rechte vorbehalten - Printed in Germany Verlag Herder Freiburg im Breisgau 1993 www.herder.de Herstellung: fgb freiburger graphische betriebe 2003 www.fgb.de Umschlaggestaltung und Konzeption: R-M-E Mnchen / Roland Eschlbeck, Liana Tuchel ISBN 3-451-05161-3 - 5 - Der Mann redet Unsinn", sagte ein Besucher, nach- dem er dem Meister zugehrt hatte. Sagte ein Schler: Du wrdest nicht weniger Un- sinnreden,wolltestduversuchen,dasUnsagbare auszusprechen." AlsderBesucherdarbermitdemMeisterselbst sprach, erhielt er von ihm die Antwort: Niemand ist davonausgenommen,Unsinnzureden.Das Schlimme dabei aber ist, es feierlich zu tun." - 6 - Zur Einfhrung Der Meister in den Geschichten dieses Buches ist nichteinunddieselbePerson.Einmalisterein Hindu-Guru, ein Zen-Roshi, ein taoistischer Weiser, einandermaleinjdischerRabbi,einchristlicher Mnch oder ein Sufi-Mystiker. Er ist ebenso Laotse und Sokrates, Buddha und J esus wie Zarathustra und Mohammed. Seine Lehre findet man im 7. Jahr- hundert vor Christus wie im 20. Jahrhundert nach Christus.SeineWeisheitgehrtOstundWest. Doch, ist seine historische Herleitung wirklich von Bedeutung? Geschichte ist letzten Endes das Auf- zeichnen dessen, was wahrnehmbar ist, und nicht die Wirklichkeit; sie berliefert Lehrmeinungen und nicht Ungesagtes. Kaum mehr als eine Minute wird ntig sein, um eine der hier gesammelten Geschichten zu lesen. Mag sein, da die Worte des Meisters oft rtselhaft, rgernis erregend, wenn nicht gar sinnlos erschei- nen. Es ist eben kein bequemes Buch und wurde nicht geschrieben, um zu belehren, sondern um auf- zuwecken. Zwischen seinen Seiten (nicht in den ge- drucktenWrternundebensowenigindenGe- schichtenselbst,sonderninihremGeist,ihrer Stimmung und ihrer Atmosphre) verbirgt sich eine Weisheit, die mit menschlicher Sprache nicht zu ver- mitteln ist. Doch liest man Seite fr Seite und lt - 7 - sich auf die manchmal schwer zu deutenden Worte des Meisters ein, kann es geschehen, da man un- verhofft auf eine verborgene Lehre ohne Worte" stt und wachgerttelt, ja umgewandelt wird. Denn das bedeutet Weisheit: verndert zu werden - man magesglaubenodernicht-ohnediegeringste eigene Anstrengung, einzig durch Wachwerden fr die Wirklichkeit, die sich nicht in Worte fassen lt, sondern jenseits des mit Worten Sagbaren liegt. Wer das Glck hat, auf diese Weise erwacht zu sein, wird erkennen, da das zarteste Wort das nicht gesagte ist, da die reinste Tat die ist, auf die man verzichtet hat, und die schnste Vernderung die, zu der man nicht gedrngt hat. Vorsicht! Man lese die Geschichten in kleinen Dosen - nur eine oder zwei auf einmal. Eine berdosis wrde ihre Wirkkraft verringern. Anthony de Mello - 8 - Gleichnisse und Geschichten DerMeisterlehrtemeistensinGleichnissenund Geschichten.J emandfragteeinenseinerSchler, woher er sie habe. VonGott",erwiderteer.WennGottdichzum Heiler bestimmt, schickt er dir Patienten; wenner dich zum Lehrer macht, schickt er dir Schler, wenn er dich zum Meister beruft, gibt er dir Geschichten." Die richtige Disposition SagteeinSchlerzueinemNeuankmmlingim Kloster: Ich mu dich warnen: du wirst kein Wort verstehen, das der Meister sagt, wenn du nicht die richtige Disposition hast." Was ist die richtige Disposition?" Wer eine fremde Sprache lernt, nimmt vertraute Bedeutungenauf.DieWorte,diederMeister spricht, klingen vertraut, aber fall nicht drauf herein: sie haben eine vllig fremde Bedeutung." - 9 - - 10 - Der Ton macht's Der Meister konnte sehr kritisch sein, wenn er glaubte, da Kritik angebracht war. DochzumErstaunenallernahmihmniemand seine Rgen bel. Als er einmal darauf angespro- chen wurde, sagte er: Es hngt davon ab, wie man es macht. Menschliche WesensindBlten: offen und empfnglich fr sanft fallenden Tau, verschlossen fr krftigen Regen." Zurckgestohlen Ein guter Weg, Ihre eigenen Fehler und Unzulng- lichkeiten zu erkennen", sagte der Meister, besteht darin, zu beobachten, was Sie bei anderen strt." Er erzhlte einmal, wie seine Frau eine Dose mit SchokoladenbonbonsindenKchenschrankge- stellt hatte, um schon nach einer Stunde, als sie die Dose wieder in die Hand nahm, festzustellen, da sie bis auf den Boden leer war. Die Bonbons waren sorgfltigStckfrStckineinePapierttege- packt,diebeidenpersnlichenSachenderneuen Kchinlag.DiegutmtigeFrauwolltedeswegen keinAufhebensmachen.SieflltedieBonbons wiederindieDoseumundstelltesieaneinen Platz auer Reichweite. Nach dem Essen teilte die Kchin dem Hausherrn - 11 - mit, da sie ihre Stelle noch am selben Abend verlas- sen werde. Warum denn? Was ist los?" fragte der Meister. Ich mchte nicht fr Leute arbeiten, die zurck- stehlen", antwortete sie erbost. Vertrauen Bald danach setzte der Meister dieses Thema fort mit der Geschichte von dem Einbrecher, der an der Tr des Geldschranks, den er gerade knacken wollte, folgenden Hinweis fand: Bitte verwenden Sie kein Dynamit!DieserSafeistnichtverschlossen,Sie brauchen nur den Griff zu drcken!" In dem Augenblick, da er den Griff bettigte, fiel einSandsackvonderDeckeaufihnherunter, Scheinwerfer leuchteten drauen auf, und eine Si- rene alarmierte die ganze Nachbarschaft. Als der Meister den Einbrecher spter im Gefng- nisbesuchte,traferdort einenverbittertenMann: Wie konnte ich blo wieder einem anderen mensch- lichen Wesen trauen?" Geschirr splen Als ein Gast sich freiwillig meldete, das Geschirr nach dem Essen zu splen, sagte der Meister: Sind - 12 - Siesicher,daSiewissen,wiemanGeschirr splt?" Der Mann versicherte dem Meister, da er es sein ganzes Leben lang gemacht htte. Sagte der Meister: Oh, ich zweifle nicht an Ihrer Fhigkeit, das Ge- schirr sauber zu machen, ich bezweifle nur, ob Sie es wirklich waschen knnen." Seinen Schlern sagte er daraufhin zur Erklrung: Es gibt zwei Mglichkeiten, Geschirr zu splen: die eine, es zu waschen, um es sauber zu machen; die andere, es zu waschen, um es zu waschen." Das war weit davon entfernt, den Schlern nun einzuleuchten!DeshalbfgtederMeisterhinzu: Das erste ist ein totes Tun, denn whrend euer Kr- per Geschirr splt, ist euer Geist auf den Zweck fi- xiert,essauberzumachen;daszweiteistein lebendiges Tun, weil dabei nmlich euer Geist dort ist, wo euer Krper ist." Standortbestimmung Erleuchtung", sagte der Meister, heit, genau zu wissen, wo du dich in jedem Moment befindest - eine keineswegs leichte Aufgabe." Undererzhltevoneinemallseitsgeliebten Freund, der noch in seinen hohen achtziger Jahren Einladungen zu Dutzenden von Feiern erhielt. Ein- mal wurde er auf einer Party entdeckt und gefragt, - 13 - wievielenerandiesemAbendseineAufwartung machte. Sechs", sagte der ltere Herr, ohne den Blick von seinem kleinen Notizbuch zu heben. Was machen Sie da? Sehen Sie nach, zu wem Sie als nchstem gehen mssen?" fragte ihn jemand. Nein", antwortete der dynamische Bursche. Ich stelle fest, wo ich gerade bin." Ruchlos Der Meister reagierte auf Ideologien allergisch. In einem Krieg der Ideen", sagte er, ist das Volk das Opfer." Spter legte er genauer dar: Das Volk ttet fr Geld oder fr Macht. Doch die ruchlosesten Mrder sind diejenigen, die fr ihre Ideen tten." Wie dann? Es war Vorlesungszeit, als der Meister ausfhrte: Der Genius eines Komponisten findet sich in den Noten seiner Musik, doch eine Analyse der Noten wirdseinenGeniusnichterkennbarmachen.Die GreeinesDichtersliegtinseinenWorten,den- noch wird eine Untersuchung der einzelnen Worte seine Inspiration nicht hervortreten lassen. Gott of- - 14 - fenbartsichinderSchpfung,docherforschedie Schpfung so genau, wie du nur kannst, du wirst Gottnichtfinden,ebensowenigwiedudieSeele durch eine grndliche Untersuchung deines Krpers entdecken wirst." Bei der anschlieenden Diskussion war die erste FrageeinesSchlers:WieknnenwirdannGott finden?" Dadurch, da wir die Schpfung betrachten, und nicht, indem wir sie analysieren." Und wie betrachtet man sie?" DieSchnheitdesSonnenuntergangsbegreift man nicht, solange man die Sonne und die Wolken, denHimmelunddenHorizontbegutachtet.Denn Schnheitistkein,Ding',sonderneinebesondere Weise des Sehens, hnlich der kleiner Kinder, deren Sicht nicht von vorgefertigten Lehren und berzeu- gungen verstellt ist." Die Lektion DerVatereinerSchlerinstrmteaufgebrachtin den Vortragssaal, in dem der Meister gerade sprach. OhneRcksichtaufdieAnwesendenschrieer seine Tochter an: Du hast dein Universittsstudium abgebrochen,umdichzuFendiesesNarrenzu setzen! Was hat er dich gelehrt?" Siestandauf,nahmihrenVaterruhigbeider Hand und ging mit ihm aus dem Saal. Dann sagte - 15 - sie: Bei ihm zu sein hat mich gelehrt, was an keiner Universitt gelehrt wird: dich nicht zu frchten und mich ber dein schndliches Benehmen nicht aufzu- regen." Was ist das? Was mu man tun, um erleuchtet zu werden?" frag- ten die Schler. Der Meister antwortete: Ihr mt herausfinden, was das ist: Es fllt ins Wasser und schlgt keine Wellen, huscht durch die Zweige und gibt keinen Laut, betritt Wiese und Feld und berhrt keinen Halm." Nach wochenlangem, fruchtlosem berlegen sagten die Schler: Was ist das fr ein Ding?" Ding", sagte der Meister, es ist keineswegs ein Ding." Dann ist es nichts?" Man knnte so sagen." Wie sollen wir dann danach suchen?" Sagte ich, da ihr danach suchen sollt? Es lt sichfinden,kannaberniemalsgesuchtwerden. Sucht, und ihr werdet fehlgehen." - 16 - An alles ein bichen Der Meister hrte einer Schauspielerin zu, die sich bei Tisch ber Horoskope unterhielt. Er beugte sich zu ihr hinber und sagte: Sie glau- ben nicht an Astrologie, nicht wahr?" O doch", antwortete sie, ich glaube an alles ein bichen." Glck J emand fragte den Meister: Glauben Sie an Glck?" Durchaus", erwiderte er mit einem Aufblitzen in seinen Augen. Wie sonst liee sich der Erfolg von Leuten erklren, die man nicht mag." Selbstmitleid Der Meister schonte niemanden, der in Selbstmit- leid und Groll schwelgte. Unrecht erlitten zu haben", sagte er, ist nichts, es sei denn, du bist erpicht, dich daran zu erinnern." - 17 - Beleidigen DerMeister erzhlte einmal von einer Frau, die zur Polizei ging und Anzeige erstattete, sie sei beraubt worden. Beschreiben Sie den Mann", sagte der Beamte. Also, um damit anzufangen, er war ein Idiot!" Was sagen Sie da, ein Idiot?" J a! Er wute berhaupt nicht Bescheid. Ich mute ihm helfen!" WasderMeisterdaraufhinsagte,hrtesichnicht mehr so lustig an: Immer wenn du beleidigt bist, findeheraus,wiedudemBeleidigergeholfen hast." DaraufsetzteeinProteststurmein,sodader Meisterhinzufgte:Kann dich jemand beleidigen, wenn du dich weigerst, beleidigt zu sein?" Einfallsreich Als der Meister gefragt wurde, wie die Schrift zu le- sen sei, erzhlte er aus der Zeit, da er Lehrer war und den Studenten diese Frage stellte: Wie lt sich die Hhe eines Gebudes mit Hilfe eines Aneroid-Baro- meters bestimmen?" Ein eifriger junger Mann antwortete: Ich wrde das Barometer an einer Schnur herunterlassen und dann die Schnur abmessen." - 18 - - 19 - InseinerUnkenntnissehreinfallsreich",kom- mentierte der Meister. Und dann fgte er hinzu: Nicht anders verhlt es sichmitdemEinfallsreichtumunddemUnwissen derjenigen, die ihren Verstand gebrauchen, um die Schriftzuverstehen,diegenausowenigmitdem Kopf/verstanden'werdenkannwieeinSonnenun- tergang, die Wellen des Meeres oder das Rauschen des Nachtwindes in den Zweigen." Fast immer DieMenschenwollensichnichtvondenBe- frchtungenundngsten,ihremGrollundihrem Schuldgefhl trennen, weil diese negativen Empfin- dungen fr sie ein Ansto sind und ihnen das Ge- fhlverschaffen,amLebenzusein",erklrteder Meister. UndmitdieserGeschichtemachteerseineEin- sicht den Schlern deutlich: DerDorfpostbotenahmmitseinemFahrradeine kleine Abkrzung ber eine Wiese, auf der Rinder weideten. Auf halbemWeg ersphte ihn ein Bulle und ging auf ihn los. Mit Mhe und Not konnte der arme Kerl ber den Weidezaun entkommen. Fast htte er Sie erwischt, nicht wahr?" sagte der Meister, der die Szene aus sicherem Abstand beob- achtet hatte. J a", keuchte der alte Mann, fast erwischt es mich immer." - 20 - Wissen Ein Wissenschaftler besuchte den Meister, um da- gegenzuprotestieren,daseineGeringschtzung derbegrifflichenDenkweise,dieimWiderspruch zumbegriffsfreienWissen"stnde,derWissen- schaft gegenber unfair sei. Der Meister bemhte sich, deutlich zu machen, daerdurchauseinFreundderWissenschaftsei. Aber", bemerkte er, das Wissen, das Sie ber Ihre Frau haben, sollte doch besser ber die begrifflichen Feststellungen der Wissenschaft hinausgehen!" Als er spter zu seinen Schlern sprach, wurde er noch deutlicher: Begriffe definieren", sagte er, defi- nieren heitzerstren.Begriffezerlegen die Wirk- lichkeit. Und was man zerlegt, ttet man." SindBegriffedannganznutzlos?"wolltendie Schler wissen. Nein! Zerlege eine Rose, und du wirst wertvolle Informationen ber sie erhalten, doch keinerlei Wis- sen von ihr besitzen. Werde ein Gelehrter, und du wirst von der Wirklichkeit vieleKenntnisse erwer- ben, doch keinerlei Wissen." - 21 - Was siehst du? Der Meister hob hervor, da die Welt, wie sie die meisten Leute sehen, nicht die Welt der Wirklichkeit ist, sondern eine Welt, die ihr Kopf hervorgebracht hat. Als ein Schler das in Frage stellen wollte, nahm der Meister zwei Stcke und legte sie in Form eines T auf den Boden. Dann fragte er den Schler: Was siehst du hier?" Den Buchstaben T", antwortete er. Genauso habe ich es mir vorgestellt", sagte der Meister. Es gibt von sich aus keinen Buchstaben T; das T ist die Bedeutung, die du ihm gibst. Was du vor dir siehst, sind zwei abgebrochene ste in Form von Stcken." Miverstanden Wenn du ber die Wirklichkeit sprichst", sagte der Meister,bistduversucht,dasNichtsagbarein Worte zu fassen, die mit Sicherheit miverstanden werden. Daher werden Leute, die diesen Ausdruck der Wirklichkeit, welche ,die Schriften' genannt wer- den, lesen, tricht und grausam, wenn sie nicht mehr ihremgesundenMenschenverstandfolgen,sondern sichandashalten,wasihnenihreSchriftenver- meintlich sagen." Der Meister hatte ein perfektes - 22 - Beispiel bei der Hand, mit dem er dies verdeutlichen konnte. Ein Dorfschmied fand einen Lehrling, der bereit war, hart zu arbeiten bei geringer Bezahlung. Ohne lange Umschweife ging der Schmied mit dem jungen Burschen an die Arbeit und erklrte ihm: ,Wenn ich das Eisen aus dem Feuer nehme, werde ich es auf denAmbolegen,undsobaldichmitdemKopf nicke,schlgstdumitdemHammerdrauf.'Der Lehrling tat genau, was er meinte, da ihm gesagt wor- densei.UndamnchstenTagwarerderDorf- schmied." Fehler Einem Schler, der sich schrecklich frchtete, Fehler zu machen, sagte der Meister: Diejenigen, die keine Fehler machen, machen den grten aller Fehler: sie versuchen nichts Neues." Nicht zu beantworten Sag mir", wandte sich der Atheist an den Meister, gibt es wirklich einen Gott?" Sagte der Meister: Wenn du willst, da ich voll- kommen ehrlich zu dir bin, mchte ich nicht antwor- ten." - 23 - Daraufhin fragten die Schler den Meister, warum er keine Antwort geben wollte. Weil seine Frage nicht zu beantworten ist", erwi- derte er. Also bist du ein Atheist?" Ganz bestimmt nicht. Der Atheist macht den Feh- ler,daszuleugnen,wovonnichtsgesagtwerden kann." UndnacheinerPause,inderseineWortesich gleichsamsetzenkonnten,fuhrderMeisterfort: Und der Theist macht den Fehler, es zu behaupten." Man kann es nie wissen Der Meister und ein Schler begegneten unterwegs einem Blinden, der am Straenrand sa und bettelte. Sagte der Meister: Gib dem Mann ein Almosen!" Der Schler warf eine Mnze in den Hut des Bett- lers. Sagte der Meister: Du httest deinen Hut ziehen sollen als Zeichen des Respekts." Warum?" wollte der Schler wissen. Man sollte es immer tun, wenn man ein Almosen gibt." Aber der Mann war doch blind!" Man kann es nie wissen", erwiderte der Meister, vielleicht war er ein Schwindler." - 24 - Kooperation Was ist das Geheimnis deiner Ruhe und Gelassen- heit?" fragten die Schler. Sagte der Meister: Aus dem Herzen kommendes, uneingeschrnktesKooperierenmitdemUnver- meidlichen." - 25 - Dankbar DasKlosterwarenggeworden,eingreresGe- budewurdegebraucht.SostellteeinKaufmann einen Scheck ber eine Million Dollar aus und legte ihn dem Meister vor. Er hob ihn auf und sagte: Aus- gezeichnet, ich nehme ihn an." Der Kaufmann war damit nicht zufrieden. Solch einegroeSummeGeld,undderMeisterdankte ihm nicht einmal! Dieser Scheck ist eine Million Dollar wert", sagte er. J a, ich hab's gesehen." Wenn ich auch ein wohlhabender Mann bin, eine Million Dollar sind eine Menge Geld." Mchten Sie, da ich Ihnen dafr danke?" Sie sollten es tun." Warum ich? Der Geber sollte dankbar sein", sagte der Meister. Rtselhaft DieEinstellungdesMeisterszuSozialeinrichtun- gen war irritierend. Das eine Mal war er ganz dafr, ein andermal schienen sie ihm gleichgltig zu sein. DieErklrungen,dieergelegentlichfrdiese Wechselhaftigkeitgab,warennichtwenigerrtsel- haft. Er sagte: - 26 - Derjenige, der Gutes tun mchte, mu an die Tr klopfen. Fr denjenigen, der liebt, ist die Tr immer offen." Zeitlos Sagte der Tourist: Die Leute in Ihrem Land sind arm. Doch sie scheinen sich nie Sorgen im voraus zu machen." Sagte der Meister: Das liegt daran, da sie nie auf die Uhr schauen." Leichter gemacht Ein Schler mute rasch wieder heim, als ihn die Nachricht erreichte, da sein Haus abgebrannt war. Er war ein alter Mann, und alle bedauerten ihn. Alles, was der Meister ihm sagte, war: Es wird das Sterben leichter machen." Vollkommen Erleuchtet ist, sagte der Meister, wer erkennt, da alles in der Welt, so wie es ist, vollkommen ist. Wie verhlt es sich mit dem Grtner?" fragte je- mand. Ist er auch vollkommen?" - 27 - Der Klostergrtner war ein buckeliger Mann. Fr das, was ihm im Leben bestimmt ist", erwi- derte der Meister, ist der Grtner ein vollkommener buckeliger Mann." Wie man es ansieht Der Gedanke, da alles in der Welt vollkommen ist, berstieg das Ma dessen, womit die Schler einver- standen sein konnten. So fate es der Meister in Be- griffe,dieihremVerstndnisbesserentsprachen. Gott webt vollkommene Muster mit den Fden un- seres Lebens", sagte er, sogar mit unseren Snden. DerGrund,warumwirdiesnichterkennen,liegt darin, da wir die Rckseite des Teppichs betrach- ten." Undnochprgnanter:WasmancheLeutefr einen glnzenden Stein halten, erkennt der J uwelier als einen Diamanten." Wirklich wahr? Die Schler waren betroffen, die Lehren des Mei- sters in einem Magazin ins Lcherliche gezogen zu sehen. Der Meister blieb gelassen: Kann etwas wirklich wahr sein", sagte er, wenn niemand darber lacht?" - 28 - Wahrhaftig In seiner Jugend war der Meister politisch engagiert und hatte einmal einen Protestmarsch gegen die Re- gierung angefhrt. Tausende hatten ihre Huser und ihre Arbeitspltze verlassen, um sich der Demon- stration anzuschlieen. Der Zug war kaum in Gang gekommen, als er alles wieder abblies. Daskannstdudochsoeinfachnichtmachen! Dieser Marsch ist seit Monaten geplant und hat die Leute einiges gekostet. Sie werden dir vorwerfen, in- konsequent zu sein", sagte einer seiner Gefolgsleute. Der Meister blieb unbewegt: Meine Verpflich- tung besteht nicht darin, konsequent zu sein", sagte er, sondern wahrhaftig". Ein besseres Programm Der Meister lehrte: Ein Grund dafr, warum viele so unglcklich sind, ist in deren Meinung zu suchen, da es nichts gebe, was sie nicht ndern knnten. UndererzhltegerndieGeschichtevondem Mann, der zu dem Radiohndler sagte: Dieser Tran- sistor, den Sie mir verkauft haben, hat zwar eine aus- gezeichnete Tonqualitt, doch mchte ich ihn gegen einen anderen tauschen, der ein besseres Programm bietet." - 29 - Unruhe Was ist das Ziel deiner Suche?" Frieden", sagte der Gast. Denjenigen, die suchen, ihr eigenes Ich zu scht- zen, bringt Frieden nur Unruhe." Und zu einer Gruppe frommer Leute, die zu ihm kamen, um ihn anzugaffen und um einen Segen zu bitten, sagte der Meister: Mge der Friede Gottes euch stets beunruhigen." Genieen VoneinerReisezurckgekehrt,erzhltederMei- ster von einer Begebenheit, die er fr ein Gleichnis des Lebens hielt. WhrendeineskurzenAufenthaltsgingeran einen einladend aussehenden Essensstand, an dem kstliche Suppen, heier Curry und alle mglichen verlockenden Gerichte angeboten wurden. Er bestellte eine Suppe. Gehren Sie zu dem Bus?" fragte frsorgend die Bedienung. Der Meister nickte. Es gibt keine Suppe." Heien Curry mit gedmpftem Reis?" fragte der Meister irritiert. Nein, wenn Sie zum Bus gehren. Sie knnen be- legte Brote haben. Ich habe den ganzen Morgen ge- braucht, um diese Speisen zuzubereiten, und Sie - 30 - habenkaumzehnMinutenZeitzumEssen.Ich mchte Sie kein Gericht verzehren lassen, fr das Sie nicht die Zeit haben, es zu genieen." Ein Clown Es gab kein wichtigtuerisches Gehabe um den Mei- ster. Wildes, ausgelassenes Gelchter brach jedes- mal los, wenn er sprach, zum Entsetzen derer, die es mit ihrer Spiritualitt - und mit sich selbst feierlich hielten. Sagte ein enttuschter Besucher: Der Mann ist ein Clown." Nein, nein", sagte ein Schler. Du bersiehst den entscheidenden Punkt: ein Clown bringt dich ber ihn zum Lachen, ein Meister bringt dich ber dich selbst zum Lachen." Eine Perle Wie lernt man, auf die Vorsehung zu vertrauen?" Auf die Vorsehung vertrauen", sagte der Meister, ist, wie in ein teures Restaurant zu gehen ohne einen Cent in der Tasche und dutzendweise Austern zu essen in der Hoffnung, eine Perle zu finden, um damit die Rechnung zu bezahlen." - 31 - Einfach essen Die Schler nahmen daran Ansto, da der Meister fr Personenkult nichts brig hatte. Finde fr dich selbst einen Gegenstand der Ver- ehrung", pflegte er zu sagen, und du wirst dich vor lauter Ehrfurcht ablenken lassen von dem, was we- sentlich ist: Bewutheit, die zur Liebe fhrt." Und zur Selbstverteidigung fhrte er die Verach- tung Jesu gegenber denen an, die 'Herr, Herr' rie- fen und dabei das Bse vllig bersahen, das sie taten. Einmal reichte der Meister einem von Ehrfurcht ergriffenen Besucher eine Banane, der die Gabe so sehr bewunderte, da er kaum mehr wute, was er mit ihr anfangen sollte. Als dem Meister dies berichtet wurde, meinte er dazu nur: Sag dem Dummkopf, da er sie essen soll." Der Gewinn Sagte ein vor kurzem hinzugekommener Schler zu einem schon erfahreneren: Warum ziehe ich aus dem Leben mit dem Meister anscheinend so wenig Gewinn?" Knnte es daran liegen, da du hergekommen bist, um von ihm geistliches Leben zu erlernen?" Darf ich fragen, weshalb du gekommen bist?" Um zu sehen, wie er seine Sandalen schnrt." - 32 - Anmutig Es war eine Freude, den Meister die einfachsten T- tigkeiten ausfhren zu sehen: ob er sa oder ging, eine Tasse Tee trank oder eine Fliege verscheuchte. Alles, was er tat, hatte Anmut und lie ihn in Harmo- niemitderNaturerscheinen,soalswrdenseine Handlungennichtvonihm,sondernvomUniver- sum hervorgebracht. Als er einmal ein Paket erhielt, beobachteten ihn dieSchlergebanntundehrfrchtig,wieerdie Schnurlste,dasPapierentfernteunddenInhalt herausnahm,soalswredasPaketeinlebendiges Geschpf. Unvergelich Line fromme Frau erzhlte dem Meister, da sie am Morgen beim Beichten gewesen sei. Ichkannmirnichtvorstellen,daSieeine schwere Snde begehen knnen", sagte der Meister. Was haben Sie denn gebeichtet?" Nun, da ich zu faul war, am Sonntag zur Messe zu gehen, da ich einmal dem Grtner geschworen habe und da ich einmal meine Schwiegermutter fr eine ganze Woche aus dem Haus gejagt habe." AberdasistdochschonfnfJ ahreher,nicht wahr? Seitdem haben Sie doch sicherlich schon ge- beichtet?" - 33 - J a, das habe ich. Aber ich beichte es jedes Mal. Ich erinnere mich halt so gern daran." Von selbst Eines Tages wirst du begreifen, da du nach dem suchst, was du schon hast", sagte der Meister zu einem eifrigen Schler. Warum sehe ich es dann nicht jetzt?" Weil du dich darum bemhst." Mu ich mich also nicht anstrengen?" Wenn du dich entspannst und ihm Zeit lt, wird es sich selbst zu erkennen geben." Einen Cadillac Leuten, die Tugend bten, um Gott zu gefallen und seine Freundschaft zu erlangen, hatte der Meister dies zu sagen: Eine Seifenfirma veranstaltete ein Werbequiz, bei dem ein Cadillac zu gewinnen war. Die Teilnehmer, dieinScharengekommenwaren,wurdengefragt: Warum mgen Sie unsere ,Himmelsduft-Seife'?" DaraufantworteteeineFrauprompt:Weilich einen Cadillac haben mchte." - 34 - Die Falle Ich habe vier Monate bei dir verbracht, und noch im- mer hast du mir keine Methode oder Technik gege- ben." Eine Methode?", fragte der Meister. Wozu in al- ler Welt brauchst du eine Methode?" Um den inneren Frieden zu erlangen." Der Meister brach in schallendes Gelchter aus. Du brauchst tatschlich groes Knnen, um dich selbst aus der Falle zu befreien, die Methode heit", antwortete der Meister. - 35 - Nichts dazugekommen Als ein Schler anmahnte, die geistliche Lehre des MeistersmsseaufdenheutigenStandgebracht werden, lachte der Meister laut auf. Dann erzhlte er die Geschichte von einem Studenten, der sich in einer Buchhandlung beschwerte: Haben Sie keine neueren Bcher ber Anatomie? Diese hier sind doch mindestens zehn J ahre alt." Sagte der Buchhndler: In den letzten zehn Jahren kamen zum menschli- chen Skelett keine neuen Knochen hinzu, mein Lie- ber." Und der Meister ergnzte: Ebensowenig gab es irgendeinen Zusatz zu der NaturdesMenschenindenletztenzehntausend Jahren." Die feinste Sprache Einmal stellte der Meister eine Rtselfrage: Was haben Knstler und Musiker mit dem Mystiker ge- meinsam?" Niemand wute eine Antwort. Die Einsicht, da die feinste Sprache nicht von der Zunge kommt", sagte der Meister. - 36 - Wer von beiden ? Der Meister ging die Strae entlang, als ein Mann aus einem Hauseingang strzte, so da beide heftig zusammenprallten. Der Mann war auer sich. Er tobte und warf mit beleidigenden Worten um sich. Der Meister machte einekleineVerbeugung,lcheltefreundlichund sagte: Mein Freund, ich wei nicht, wer von uns beiden an diesem Zusammensto schuld ist, doch bin ich nicht geneigt, Zeit zu vertun, um dies heraus- zufinden. Sollte ich an Sie gerannt sein, bitte ich um Entschuldigung; sollten Sie an mich gerannt sein, so knnen Sie es vergessen." Nach erneutem Lcheln und kurzer Verbeugung ging er weiter. Ein Meisterwerk Zu einem Maler sagte der Meister: Um Erfolg zu haben, mu jeder Maler viele Stunden in beharr- liches Mhen und Streben investieren. Manchemistesgegeben,daseigeneIchbeim Zeichnen loszulassen. Wenn dies geschieht, wird ein Meisterwerk geboren." Daraufhin fragte ein Schler: Wer ist ein Mei- ster?" Der Meister antwortete: Jeder, dem es gegeben ist,daseigeneIchloszulassen.DasLebendieses Menschen ist dann ein Meisterwerk." - 37 - Gipfelblick Der Meister lehrte immer, da die Wahrheit wahr istschonvorunseremErkennen,undderGrund, warum wir sie nicht sahen, an unserem Mangel an Einsicht liegt. Einmal nahm er einen Schler auf eine Bergwan- derung mit. Als sie auf halber Hhe angelangt wa- ren,starrtederMannaufdasUnterholzund beklagte sich: Wo ist die schne Landschaft, von der du immer erzhlt hast?" Der Meister lchelte verschmitzt: Du stehst oben drauf, wie du sehen wirst, wenn wir den Gipfel er- reicht haben." Der Meister in allem WowerdeicheinenwrdigenMeisterfinden, wenn ich in meine Heimat zurckkehre?" Es gibt keinen einzigen Augenblick, in dem du ohne einen bist." Der Schler war irritiert. BeobachteeinfachdeineReaktionaufalles- einen Vogel, ein Blatt, eine Trne, ein Lcheln -, und du wirst in allen Dingen deinen Meister finden." - 38 - Heie Luft Der Meister nahm es mit der Etikette und gepfleg- ten Manieren gewi nicht bertrieben genau, doch seinen Umgang mit anderen kennzeichneten immer eine natrliche Hflichkeit und Takt. Einmal fuhr ein junger Schler einen Verkehrs- polizistensehrgroban,alserdenMeistereines Abends heimfuhr. Zu seiner Rechtfertigung sagte er: Ich mchte lieber ehrlich sein und den Leuten ge- nau zu verstehen geben, was ich meine. Hflichkeit ist nichts als eine Menge heier Luft." Ganz recht", sagte der Meister freundlich, doch eben die haben wir in unseren Autoreifen, und se- hen Sie, wie sie die Ste dmpft." Worte Selten gingen dem Meister die Worte so ber die Lippen, als wenn er vor der betrenden Macht der Worte warnte: Nimm dich vor Wrtern in acht", sagte er. Sobald du wegschaust, werden sie ihr eigenes Leben fhren, werden sie dich blenden, hypnotisieren, terrorisieren, - dich von der Wirklichkeit, fr die sie stehen, fort in die Irre fhren -, dich dazu verleiten, sie fr wahr zu halten. - 39 - Die Welt, die du siehst, ist nicht das Knigreich, das Kinder schauen, sondern eine zerstckelte Welt, die durch Wrter in Tausende einzelner Teile zerlegt ist ... Es ist, als sehe man jede Meereswelle einzeln und abgesondert vom Ozean. Sobald Wrter und Gedanken zum Schweigen gebracht sind, erblht das Universum fort - wirklich, ganz und eins -, und Wrter werden das, was sie immer bedeuten sollten: die Partitur, nicht die Musik, das Men, nicht das Essen, der Wegweiser, nicht das Reiseziel." Ein einziges Wort Als der Meister eines Tages von der hypnotischen KraftderWortesprach,riefjemandvomhinteren Ende des Saales laut dazwischen: Sie erzhlen Un- sinn! Wenn ich Gott, Gott, Gott sage, wird mich das dann gttlich machen? Und wenn ich Snde, Snde, Snde sage, wird es mich bse machen?" Setz dich hin, du Hundesohn", sagte der Meister. DerMannwurdekreidebleichvorZornund brachteeineWeilekeinWortheraus.Dochbald berschttete er den Meister mit wsten Beschimp- fungen. - 40 - - 41 - MitzerknirschtemGesichtsagtederMeister: Entschuldigen Sie, mein Herr, ich lie mich hinrei- en. Ich bedauere meine unverzeihliche Entgleisung aufrichtig." Der Mann beruhigte sich sofort. Der Meister sagte: Sehen Sie, da haben Sie Ihre Antwort:alles,wasesbrauchte,wareineinziges Wort, um Sie zu einem Wutanfall zu bringen, und ein anderes Wort, um Sie zu beruhigen." In Weisheit Der Gouverneur legte sein hohes Amt nieder und ging zum Meister. Er begehrte, von ihm unterrichtet zu werden. Worin wnschen Sie von mir unterrichtet zu wer- den?" fragte der Meister. In Weisheit", war die Antwort. Ach, mein Freund, wie gern wrde ich das tun, gbe es da nicht ein greres Hindernis." Was denn?" Weisheit kann nicht unterrichtet werden." Also gibt es nichts, was ich hier lernen kann." Weisheit kann erlernt, aber sie kann nicht unter- richtet werden." - 42 - Der Klang der Galaxien Einige Schler hatten bei einem Ausflug den Gipfel einesschneebedecktenBergeserreicht.Weitund breit herrschte kosmische Stille. Es reizte sie zu wis- sen, ob vielleicht des Nachts irgendwelche Geru- sche zu hren seien. So schalteten sie ein Tonband- gert ein, stellten es vor den Eingang ihres Zeltes und legten sich zur Ruhe. NachdemdieSchlerwiederinihrKlosterzu- rckgekehrtwaren,spieltensiedasTonbandab. Doch kein Ton, kein Laut, vollstndige, makellose Stille. Der Meister, der das Tonband mit abhrte, platzte heraus: Hrt ihr es nicht?" Was hren?" Den Klang der Galaxien in Bewegung", sagte der Meister. Die Schler schauten einander verwundert an. Anhnglichkeit Anhnglichkeit verzerrt unsere Wahrnehmung - ein Thema, dem sich der Meister in seinen Vortrgen immerwiederwidmete.EinesTageserhieltendie SchlerdarbereineneinleuchtendenAnschau- ungsunterricht, als sie zuhrten, wie der Meister eine Mutter fragte: Wie geht es deiner Tochter?" - 43 - Ach, meine liebe Tochter! Sie hat wirklich Glck! IhrMannistwunderbar.ErhatihreinAutoge- schenkt, jeden Schmuck, den sie sich wnscht, auch mehrere Dienstmdchen angestellt. Er bringt ihr das Frhstck ans Bett, und sie steht nicht vor Mittag auf. Ein wirklicher Prinz von einem Mann!" Und wie geht's deinem Sohn?" Der arme J unge! Was fr eine Plage von Frau hat ergeheiratet.ErhatihreingroesAutogekauft, jedenSchmuck,densiesichwnscht,undoben- drein ein Heer von Dienstmdchen angestellt. Und sie wei nichts anderes zu tun, als bis Mittag im Bett zuliegen.NichteinmaldasFrhstckrichtetsie ihm!" Greren Mut Alle Leute sprachen von dem frommen Mnch, der sein Leben durch Selbstmord verloren hatte. Whrend niemand im Kloster die Tat des Mannes gutheienkonnte,sagtenmanche,siebewunderten seinen Glauben. Glauben?" sagte der Meister. J a, er hatte den Mut seiner berzeugungen, nicht wahr?" DaswarFanatismus,nichtGlaube.Glaubefor- derteinennochgrerenMut:seineberzeugun- genzuberprfenundsieaufzugeben,wennsie sich nicht mit der Wirklichkeit decken." - 44 - Ich erinnere mich genau Als der Meister ein Schuljunge war, qulte ihn an- dauernd ein Klassenkamerad. lter geworden und reumtig, besuchte dieser das Kloster und wurde mit offenen Armen empfan- gen. Eines Tages kam er auf das Thema seiner frheren Qulsuchtzusprechen,dochderMeisterschien nichts mehr davon zu wissen. Sagte der Besucher: Erinnerst du dich nicht?" Sagte der Meister: Ich erinnere mich genau, da ich es vergessen habe." Und beide schttelten sich vor Lachen. Zu spt Eine Mutter wollte wissen, wann sie mit der Erzie- hung ihres Kindes beginnen sollte. Wie alt ist Ihre Tochter?" fragte der Meister. Sie ist fnf." Fnf! Lauf schnell nach Hause! Denn du bist schon fnf J ahre zu spt dran." - 45 - Keine Minute verlieren Als der Meister hrte, da ein Wald in der Nachbar- schaftdurchFeuervernichtetwordenwar,mobili- sierte er alle seine Schler. WirmssendieZedernwiederanpflanzen", sagte er. Die Zedern", rief ein Schler unglubig aus, die brauchen doch 2000 J ahre zum Wachsen." In diesem Fall", sagte der Meister, gilt es, keine Minute zu verlieren. Wir mssen sofort damit anfan- gen." Warum kommst du zum Meister? EinFreundsagtezueinemUniversittsstudenten: Warum kommst du zum Meister? Wird er dir hel- fen, deinen Lebensunterhalt zu verdienen?" Nein, aber dank seiner Hilfe werde ich wissen, was mit dem Lebensunterhalt anzufangen ist, wenn ich einen verdiene", antwortete er. - 46 - Her mit dem Geld! DeinereligisenLehrersindgenausoblindund konfus wie du", sagte der Meister. Werden sie mit Problemen des Lebens konfrontiert, begegnen sie ih- nen mit Antworten aus einem Buch. Das Leben ist aber zu gro, um in ein Buch zu passen." Um dies zu erklren, erzhlte er die Geschichte von einem Rowdy, der sagte: Halt, berfall! Her mit dem Geld oder etwas anderem!" Oder was anderem?" Bringen Sie mich nicht durcheinander, he! Das ist mein erstes Ding, das ich drehe." Keine Erklrung Wie erklrt der Meister die Existenz des Bsen in der Welt?" fragte ein Besucher. Ein Schler erwiderte: Er erklrt es nicht. Er ist zu beschftigt, um sich damit aufzuhalten." Undeinanderersagte:DieMenschenliegen stndig im Kampf mit der Welt oder langweilen sich mit ihr. Der Meister ist entzckt von dem, was er an Staunenswertem,ErhabenemundUnfabarem sieht." - 47 - Zweierlei Wirkung Der Prediger erntete fr seine Beredsamkeit allge- meinen Beifall. Doch seinen Freunden gestand er, dakeinenochsowohlgesetzteRedevonihmje ganzdieWirkungdereinfachen,ungeschminkten uerungen des Meisters erzielen wrde. Nachdem er mit dem Meister eine Woche zusam- men verbracht hatte, kannte er den genauen Grund dafr. Wennerspricht",sagtederPrediger,schliet seineRedeSchweigenmitein,meineRedeleider Nachdenken." Ein irdenes Gef Der Meister besa das, was unter den Begriff Ehr- furchtvordemmenschlichenLeib"fllt.Alsein Schler den Leib als ein irdenes Gef" einstufte, zi- tierte der Meister begeistert den Dichter Kabir: Im Innern dieses irdenen Gefes sind tiefe Schluchten und Himalaya-Berge, die sieben Meere sind da und tausend Millionen Milchstraen, die Musik der Sphren und die Quelle von Wasserfllen und Flssen." - 48 - Ein schner Tag Als der Meister mit einer Gruppe von Lehrern zu- sammentraf, unterhielt er sich lange und angeregt mit ihnen, denn er war selbst einmal Lehrer gewe- sen. Das Schlimme bei den Lehrern ist", sagte er, da sie immer wieder vergessen, was das Ziel der Erziehung ist, nmlich nicht das Lernen, sondern das Leben." Und er erzhlte, wie er einmal einen J ungen, der eigentlich in der Schule sein sollte, beim Fischen er- wischte. Hallo, ein schner Tag zum Fischen!" sagte er zu dem Kerl. J a", kam es kurz und bndig zurck. Nach einer Weile fragte der Meister: Warum bist du heute nicht in der Schule?" Nun, wie Sie ja eben selbst gesagt haben - es ist ein schner Tag zum Fischen." Dann erzhlte der Meister vom Schulzeugnis seiner kleinenTochter,indemalsBemerkungstand: Meena ist eine gute Schlerin. Sie knnte noch bes- sere Noten erreichen, wenn ihre pure Lebensfreude nicht ihren Lernerfolg behindern wrde." - 49 - Wie der Vogel Der Meister sprach gern darber, wie Natur und Heiligkeit ineinander verwoben sind. Er sa einmal im Garten, als er ausrief: Sieh nur diesen frhlichen blauen Vogel dort auf dem Ast, wie er hin und her hpft, sein Lied in die Welt schmettert und sich uneingeschrnkter Freude berlt, weil er nichts von morgen wei!" Das Gesetz Das Gesetz ist ein Ausdruck von Gottes heiligem Willen und mu als solches in Ehren gehalten und geliebt werden", fhrte der Prediger gottesfrchtig aus. Bldsinn", sagte der Meister. Das Gesetz ist ein notwendiges bel und mu als solches auf das Min- destma beschrnkt werden. Zeige mir einen Geset- zesliebhaber, dann zeige ich dir einen schafskpfi- gen Tyrannen." Er erzhlte einmal von seiner Schwester, die das SchiebendesKinderwagens,indemihrekleine Tochter lag, ermdend fand und deshalb einen Mo- tor daran anbringen lie. Daraufhin schritt die Po- lizeiein.Alsersteswurdeeingewendet,dader motorgetriebeneKinderwagendreiMeileninder Stunde zurcklegen knnte und deshalb als Kraft- - 50 - fahrzeug" einzustufen sei, weshalb die Mutter fr Nummernschilder,BeleuchtungundBremsensor- gen mte und, als Krnung des Ganzen, einen Fh- rerschein brauchte. Vllig erschpft Und weiter erzhlte der Meister von dem Astronau- ten, der von einer Weltraumfahrt mit fnfhundert Erdumkreisungen zurckgekehrt war. Als man ihn fragte, wie er sich fhle, sagte er: Vllig erschpft! Stellen Sie sich vor, wie oft ich das Morgen-, Mit- tags-, Abend- und Nachtgebet sprechen mute, das meine Religion vorschreibt." Alt genug Fr den Meister hatten alle Normen und Regeln, auch wenn sie als heilig galten, einen rein funktiona- len Wert und muten der Wirklichkeit entsprechen, die allein das hchste Gesetz darstellte. Als seine Tochter im Teenageralter modebewut ein schulterfreies Kleid tragen wollte, meinte ihre Mutter, sie wre fr diese Art von Kleidung noch zu jung. Eine hitzige, tagelange Debatte entspann sich. Als man sich schlielich an den Meister wandte, - 51 - sagte er: Lat sie eins anprobieren. Wenn es ihr steht, ist sie alt genug, es zu tragen." Arten, zu schreiben Ein Mann, der sich als religiser Schriftsteller bet- tigte, bat um ein Wort der Weisheit. Sagte der Mei- ster: Manche Leute schreiben, um damit ihren Lebens- unterhalt zu verdienen; andere, um die Leser an ih- renEinsichtenundFragestellungenteilnehmenzu lassenundsiedamitzuplagen.Wiederandere schreiben,umsichberihrInnerstesKlarheitzu verschaffen. Keiner von ihnen wird berdauern. Dieser Vorzug gebhrt denjenigen, die nur deshalb schreiben, weil sie sonst bersten wrden." UndalsnachtrglichenGedankenfgteeran: Diese Schriftsteller verleihen dem Gttlichen Aus- druck - ganz egal, worber sie schreiben." Wie in eine Wildnis Auf die Frage, mit welchem Gefhl Erleuchtung zu vergleichen ist, sagte der Meister: Es ist, wie in eine Wildnis einzudringen und pltzlich zu fhlen, da du beobachtet wirst." - 52 - Von wem?" Von Felsen, Bumen und Bergen." Ein unheimliches Gefhl!" Nein, ein durchaus wohltuendes. Weil es aber ein ungewohntesGefhlist,siehtmansichgetrieben, Hals ber Kopf in die Alltagswelt der Menschen zu- rckzukehren - in ihren Lrm, ihren Wortschwall, ihr Gelchter -, in eine Welt, die uns von der Natur und Wirklichkeit abgeschnitten hat." Bis ich oben bin ... Als der Meister gefragt wurde, ob es ihn denn nicht entmutige,daallseineMheanscheinendkaum Frchtetrug,erzhlteerdieGeschichtevoneiner Schnecke, die an einem kalten, strmischen Tag im sptenFrhjahraufbrach,umdenStammeines Kirschbaums emporzuklettern. Die Spatzen auf dem Nachbarbaum lachten ber ihr Unterfangen. Da flog ein Spatz auf die Schnecke zu und piepste sie an: He, du Dummkopf, siehst du nicht, da auf dem Baum keine Kirschen sind?" Der Winzlig lie sich nicht aufhalten und sagte: Macht nichts, bis ich oben bin, sind welche dran." - 53 - Die Erklrung Ein Klosterbesucher war von der Eigenschaft des Meisters besonders beeindruckt, die er Ausstrah- lung nannte. Als er eines Tages zufllig einem alten Freund des Meisters begegnete, fragte er ihn, ob er dafr irgendeine Erklrung habe: Sagte der Freund: Ich mchte es so ausdrcken: Das Leben ist ein Geheimnis. Der Tod ist der Schls- sel, der es aufschliet. In dem Augenblick, in dem du den Schlssel umdrehst, versinkst du fr immer in das Geheimnis." Mssen wir auf den Tod warten, bevor wir den Schlssel umdrehen?" fragte der Besucher. Nein! Du knntest ihn jetzt umdrehen - durch Schweigen-undimGeheimnisaufgehen.Dann wrdest auch du Ausstrahlung haben - wie der Mei- ster." Was lieber? Ein Schler neigte zu lnger anhaltenden Depres- sionen. Mein Arzt verlangt, da ich Medikamente einnehme, um mir die Depressionen vom Leibe zu halten", sagte er. Warum nimmst du sie dann nicht?" fragte der Meister. - 54 - - 55 - Weil sie meiner Leber schaden und mein Leben verkrzen knnten." SagtederMeister:Mchtestduliebereinege- sunde Leber als eine gute Laune? Ein J ahr Leben ist mehr wert als zwanzig J ahre Winterschlaf." Und spter sagte er zu seinen Schlern: Mit dem Leben ist es wie mit einem Mrchen: nicht die Lnge zhlt, sondern die Qualitt." Das Fingerspiel EinmalsagtederMeister:GuteTaten,dieunbe- wut getan werden, sind grer als gewollte." Darauf brach ein Sturm von Fragen los, denen der Meister flink aus dem Wege ging, wie er es immer tat, wenn er glaubte, da die Zeit fr eine Antwort darauf noch nicht reif sei. Eines Tages besuchten alle das Konzert einer welt- berhmtenPianistin.FlstertederMeisterseinem Nachbarnzu:DasFingerspieldieserFrauaufden Tasten ist keine Sache bloen Willens. Eine solche Leistung bleibt dem Unbewuten berlassen." - 56 - Reisen Jemand fragte den Meister nach dem Sinn eines Sat- zes, den er gehrt hatte: Der erleuchtete Mensch reist, ohne sich fortzubewegen." Sagte der Meister: Setz dich jeden Tag an dein Fenster und beobachte, wie die Szene im Garten hin- ter deinem Haus stndig wechselt, whrend die Erde dich auf ihrer Jahresreise rund um die Sonne trgt." Nicht Sanskrit Als der Meister mit wohlklingender Stimme Sans- kritverse sang, hrte ihm ein Schler wie gebannt zu und sagte: Ich habe immer gewut, da es keine Sprache auf der Welt gibt, die gttliche Dinge so zum Ausdruck bringt wie das Sanskrit." Mach dich nicht lcherlich", sagte der Meister. Die Sprache des Gttlichen ist nicht Sanskrit, son- dern Schweigen." Ein Nichts Der Meister amsierte sich ber jene Art falscher Selbstverachtung, die fr Demut ausgegeben wird. Und dies ist die Geschichte, die er dazu seinen Sch- lern erzhlte: - 57 - Zwei Mnner, ein Priester und ein Kster, gingen in eine Kirche, um zu beten. Der Priester begann sich an die Brust zu klopfen und rief hingerissen aus: Ich binderniedrigsteMensch,Herr,unwrdigdeiner Gnade. Ich bin ein Niemand, ein Nichts - hab Erbar- men mit mir!" Nicht weit vom Priester stand der Kster, der in einem Ausbruch von Inbrunst sich ebenfalls an die Brust schlug und ausrief: Hab Erbarmen, Herr! Ich bin ein Snder, ein Nichts!" DerPriesterwandtesichhochmtigum.Ha", sagte er, sieh mal an, das nennt sich ein Nichts!" Unerreichbar Nenn mir einen praktischen, hier auf Erden greifba- ren Nutzen der Spiritualitt", sagte der Skeptiker, der Lust auf einen Disput hatte. Zum Beispiel diesen", sagte der Meister. Wenn dich jemand beleidigt, kannst du deinen Geist in H- henerheben,wohinBeleidigungennichtgelangen knnen." Geh, trink! Dag mir warum", bedrngte der Schler erstaunt den Meister, als dieser ihn aufforderte, das Kloster zu - 58 - verlassen, in das er vor kaum vierundzwanzig Stun- den aufgenommen worden war. Weil du keinen Meister brauchst. Ich kann dir den Weg zeigen, aber nur du kannst ihn gehen. Ich kann auf das Wasser hinweisen, doch du allein kannst trinken. Warum verschwendest du deine Zeit damit, mich gebannt anzuschauen? Du weit den Weg, Geh ihn! Das Wasser ist genau vor dir. Trink!" Er tut nur so Eine Gruppe von Pilgern beschlo, einen Besuch beim Meister in ihr Reiseprogramm aufzunehmen. Als sie bei ihm waren, baten sie ihn um ein wegwei- sendes geistliches Wort. Der Meister, der Menschen in religisen Dingen rasch einordnen konnte, sagte: Ihr solltet euch klar- machen, da ihr in Wirklichkeit gar nicht religis seid." Keiner war ber diese beleidigende Einschtzung ihres Selbstverstndnisses erfreut, und sie verlang- ten eine Erklrung. Sagte der Meister: Ein Kaninchen und ein Lwe gingen einmal in ein Restaurant. Alle Gste zuckten zusammen und trau- ten ihren Augen nicht. Sagte das Kaninchen zum Kellner: ,Eine Schssel Salat, bitte, ohne Essig und l.' - 59 - ,Und was ist mit deinem Freund?' fragte der Kell- ner, ,was soll ich ihm bringen?' .Nchte.' ,Glaubst du, der Lwe hat keinen Hunger?' Das Kaninchen schaute den Kellner vorwurfsvoll an und sagte: ,Meinst du, da er hier sitzen wrde, wenn er ein Lwe wre? Er tut nur so!'" Villkommen! WasPredigerundPriesteranging,schrfteder Meister den Leuten ein, auf Kompetenz zu achten und nicht auf Ansprche. ZweiTouristen,erzhlteer,warenimAnflugauf Honoluluunddiskutiertendarber,wieHawaii" richtigauszusprechensei.Dereinesagte,man msse es mehr mit einem w aussprechen, der andere mehr mit einem v; wie Havaii. Gleich nachdem sie gelandet waren, wandten sie sich an einen Einheimischen. Aloha! Wie sprechen hier die Leute den Namen der Insel aus: Hawaii oder Havaii?" Havaii", sagte der Einheimische. Vielen Dank fr Ihre Auskunft!" Vunderbar,villkommenaufunsererInsel,ihr beide", sagte der Einheimische. - 60 - Die Aufgabe Was ist die Aufgabe eines Meisters?" fragte ein Be- sucher mit feierlicher Miene. Die Leute lachen zu lehren", erwiderte der Mei- ster ernst. Macht Ein andermal erklrte er: Wenn du imstande bist, dem Leben ins Gesicht zu lachen, erhltst du Macht ber die Welt - genau wie derjenige, der darauf vorbereitet ist zu sterben." Der Preis Woran ist Erleuchtetsein zu erkennen?" Daran, da der Erleuchtete, sobald er das Bse er- kannt hat, es nicht mehr tun kann", sagte der Mei- ster. Und er fgte hinzu: Und er kann auch nicht mehr in Versuchung gefhrt werden. Alle anderen sind Betrger." DaraufhinerzhlteerdieGeschichtevoneinem Schmuggler, der aus Furcht vor einer Polizeistreife zu einem heiligmigen Mnch ging und ihn bat, ir- gendwelche Schmuggelware in seinem Kloster zu - 61 - verstecken, da ihn niemand wegen seiner allgemein bekannten Heiligkeit verdchtigen wrde. Der Mnch zeigte sich emprt und verlangte, da der Mann das Kloster sofort verlassen sollte. IchwerdedirhunderttausendDollarfrdeine Freundlichkeit geben", sagte der Schmuggler. DerMnchzgerteeinwenig,bevorernein sagte. Zweihunderttausend."DerMnchweigertesich beharrlich. Fnfhunderttausend."DerMnchhieltsichan seinemStabfestundschrieheraus:Verschwinde sofort! Du bist zu nahe an meinen Preis gekommen." Die Weigerung J NureinDummkopfwirdzgern,dasLetzteim Tausch fr die Wahrheit herzugeben", sagte der Mei- ster. Und er erzhlte ihnen folgendes Gleichnis: Whrend eines lbooms in einer kleinen Stadt auf dem Lande gaben Grundbesitzer gierig jeden Qua- dratmeter Land an die Olgesellschaften her und er- hielten dafr ein Vermgen. Eine alte Dame war nicht zum Verkauf zum gebo- tenen Preis zu bewegen. Die Angebote stiegen ins Astronomische, bis eine Olgesellschaft erklrte, sie wre bereit, jeden gefor- derten Preis zu zahlen. Doch die alte Dame blieb - 62 - fest, worauf ein Freund sie erregt nach dem Grund ihrer Weigerung fragte. Siehst du nicht, da ich meine einzige Einkom- mensquelle verliere, wenn ich verkaufe?" Ohne Stecker Als der Meister eines Tages auf die moderne Tech- nik zu sprechen kam, erzhlte er von einem Freund, der seine Kinder zum Musizieren bringen wollte. Also kaufte er ihnen ein Klavier. Als er am Abend nach Hause kam, sah er, wie die Kinder ratlos um das Klavier standen. Wo ist der Stecker?" fragten sie. Handeln und feilschen Als junger Mann kam der Meister viel in der Welt herum. So hrte er einmal im Hafen von Shanghai lautes Schreien nicht weit von seinem Schiff ent- fernt. Er schaute sich um und sah einen Mann, der sich ber die Bordwand einer in der Nhe liegenden Dschunke beugte und dabei einen anderen Mann am Zopf im Wasser hin und her zog. Der Mann in der Dschunke tauchte immer wieder den anderen Mann ins Wasser, um ihn sogleich wie- der herauszuziehen. Daraufhin stritten die beiden - 63 - eine Weile miteinander, bis der eine den anderen aufs neue untertauchte. Der Meister lutete dem Schiffsjungen und fragte ihn, was denn der Streit bedeute. Der Junge lauschte einen Augenblick, lachte und sagte: Nichts, Herr. Mann im Boot will sechzig Yen, dann anderen Mann nicht ertrnken. Mann im Wasser sagt nein, nur vier- zig Yen." Die Schler lachten ber die Geschichte, Darauf sagte der Meister: Gibt es einen unter euch, der nicht um das ein- zigeLeben,daserhat,handelnundfeilschen wrde?" Und alle schwiegen. Lauwarme Suppe Der Meister lie nie eine Aussage ber Gott unwi- dersprochen.AlleGottesaussagensindpoetische oder symbolische Bezeichnungen fr den Unbegreif- lichen.DochdieMenschennehmensietrichter- weise als wrtliche Beschreibungen des Gttlichen. Als der Prediger sagte: Soviel ich von Gott wei, ist er allwissend und gut", hielt der Meister dem ent- gegen: Warum steht er dann dem Bsen so hilflos gegenber?" Sagte der Prediger: Wie soll ich das wissen? Wo- fr hltst du mich, bin ich denn ein Mystiker?" - 64 - Spter beschenkte der Meister seine Schler mit die- ser jdischen Erzhlung: Zwei Mnner saen schweigend beisammen und schlrften eine Schale Tee. Nach einer Weile sagte der eine: ,Das Leben ist wie ein Teller lauwarme Suppe.' ,Wie ein Teller lauwarme Suppe?' fragte der an- dere. ,Warum das?' ,Wie soll ich das wissen, bin ich denn ein Philo- soph?'" Ein Spiel Einmal bezog sich der Meister auf die hinduistische Auffassung, wonach die ganze Schpfung leela", ein Spiel Gottes sei und das Universum sein Spiel- platz. Das Ziel der Spiritualitt bestehe darin, so be- hauptete er, alles Leben zu einem Spiel zu machen. Dies erschien einem strengen Besucher zu frivol. Ist denn kein Raum zum Arbeiten da?" fragte er. Selbstverstndlich ist einer da. Aber Arbeit wird nur dann spirituell, wenn sie sich in Spiel verwan- delt." - 65 - - 66 - Spne mssen fliegen J emandfragtedenMeister,wasuneigenntziges Handeln" heie. Der Meister antwortete: Handeln, das gern und um seiner selbst willen geschieht, und nicht,umdafreineAnerkennung,einenNutzen oder eine Belohnung zu erhalten." Dann erzhlte er von einem Mann, der von einem Forscher angeheuert und in einen Hinterhof gefhrt wurde, wo er ihm eine Axt in die Hand drckte. Siehst du den Baumstamm hier auf dem Boden? Ich mchte, da du ihn mit dieser Axt durchhaust - aber nur mit der stumpfen Kante der Axt und nicht mit der scharfen Schneide. Du bekommst dafr hun- dert Dollar pro Stunde." Der Mann dachte, der Forscher sei verrckt, aber der Lohn war so verlockend, da er zusagte und mit der Arbeit anfing. Nach zwei Stunden warf er die Axt hin und sagte: Herr, ich hr' auf." Was ist los? Bist du mit dem, was ich dir gebe, nicht zufrieden? Du sollst das Doppelte haben!" Nein, danke", sagte der Mann. Der Lohn ist gut. Aber wenn ich Holz haue, mu ich die Spne fliegen sehen." - 67 - Begrenzung Einem Elternpaar, das sich ber die Erziehung sei- ner Kinder Sorgen machte, gab der Meister ein rab- binisches Sprichwort zu bedenken: Begrenze deine Kinder nicht durch dein eigenes Wissen, denn sie sind in einer anderen Zeit gebo- ren." Durstig DerHauptgrund,warumvieleLeuteunglcklich sind, ist darin zu suchen, da sie eine verkehrte Be- friedigungausihrenLeidengewinnen",sagteder Meister. Dann erzhlte er, wie er einmal auf einer Bahnfahrt imoberenBetteinesLiegewagensdieNachtver- brachte. Es war ihm unmglich einzuschlafen, da vonuntenherstndigeinSthnenzuhrenwar: Ach, bin ich durstig ... ach, bin ich durstig ...!" Das Sthnen wollte kein Ende nehmen. Da klet- terte der Meister schlielich die Leiter hinunter, ging durchdenganzenZugzumSpeisewagen,kaufte zwei Becher Bier, ging den langen Weg zu seinem Abteil zurck und reichte die beiden Becher dem ge- plagten Mitreisenden. Hier ist etwas zu trinken!" Wunderbar, Gott sei Dank!" - 68 - Der Meister stieg die Leiter hoch und streckte sich wieder aus. Kaum hatte er die Augen geschlossen, hrte er es von unten her sthnen: Ach Gott, war ich durstig ... oh, war ich durstig!" Folgerichtig EineSozialarbeiterinschttetedemMeisterihren Kummer aus. Was knnte sie nicht noch alles fr die Armen tun, wenn sie nicht so viel Zeit und Energie dafr verwenden mte, sich selbst und ihre Arbeit zu schtzen und Verleumdungen und Miverstnd- nissen vorzubeugen. Der Meister hrte aufmerksam zu und antwortete dann mit einem einzigen Satz: Auf ste, die nichts tragen, wirft niemand einen Stein." Zu frh gejubelt .Kann Handeln zu Erleuchtung fhren?" wurde der Meister gefragt. Handeln einzig und allein fhrt zu Erleuchtung", gab er zur Antwort, doch mu es uneigenntziges Handeln sein, Handeln, das um seiner selbst willen geschieht." Und er fhrte weiter aus, wie er einmal mit dem kleinen Sohn eines Fuballstars whrend eines Trai- - 69 - ningsspiels auf der Tribne sa. Als der Fuballer ein herrliches Tor scho, jubelten alle. Nur das Kind blieb unbeeindruckt. Es sa da und schaute gelang- weilt. Was ist mit dir los?" fragte der Meister. Hast du nicht gesehen, da dein Vater ein Tor geschossen hat?" J a,schon,erhateinsgeschossen-heute,am Dienstag. Das Match ist am Freitag - dann mssen Tore fallen." Und der Meister schlo: Handeln hat einen Wert, wenn es dir hilft, gewinnbringende Tore zu schieen - nicht um seiner selbst willen, schade!" Im Verhltnis gesehen Dem Meister war es nicht gegeben, Ehrerbietung zu ben. Als er darauf angesprochen wurde, sagte er: Eine Lampe verliert ihre Strahlen, wenn sie neben dieSonnegestelltwird;selbstdergrteTempel siehtamFudesHimalaja-Gebirgessehrwinzig aus." Kompetente Auskunft MeinTempelpriestersagtmir,daderTempelfr mich der einzige Ort ist, um zu Gott zu beten. Was sagst du dazu?" - 70 - Dein Tempelpriester ist nicht die richtige Person, dieduhierumRatfragensolltest",erwiderteder Meister. Aber er ist doch Experte, oder nicht?" Darauf erzhlte der Meister von einem Erlebnis, das er auf einer Reise im Ausland hatte: Als er in seinen zwei von zu Hause mitgebrachten Reisefhrern blt- terte, musterte sie sein Fremdenfhrer mit finsterer Miene und deutete dann auf das eine Buch: Das da sehr schlechter Reisefhrer, anderes Buch besser." Warum? Enthlt dieses mehr Informationen?" Der Fremdenfhrer schttelte den Kopf: Dieses Buch sagt, Fremdenfhrer fnf Dollar geben, ande- res sagt fnfzig Cent." Viele Wege DerMeistersprachkaumeinmalbergeistliche Themen. Lieber a, arbeitete und spielte er mit sei- nen Schlern - und verbrachte mit ihnen die Zeit im Gesprch ber tausendDinge,angefangen von der politischenSituationimLandebiszumletzten Stammtisch-Witz. Erstaunt fragte einmal ein Besucher: Wie wollt ihr bei dem Mann etwas lernen, wenn er viel lieber einen Witz erzhlt als von Gott zu sprechen?" Sagte ein Schler: Es gibt auch andere Wege des Lehrens als durch lehrhafte Worte." - 71 - Ohne die Last Ein Grund, sich einer religisen Organisation anzu- schlieen, liegt darin, die Chance zu haben, der Reli- gion ohne Schuldgefhle aus dem Wege zu gehen", sagte der Meister. Dann erzhlte er, wie er sich einmal mit einer Frau aus seinem Schlerkreis, die mit einem Reisevertre- ter frisch verlobt war, unterhalten hatte: Sieht er gut aus?" fragte der Meister. Ach ja, er sticht nicht gerade unter anderen her- vor." Hat er Geld?" Wenn er welches htte, wrde er es nicht ausge- geben." Hat er schlechte Angewohnheiten?" Er raucht jedenfalls und trinkt mehr, als ihm gut- tut." Ichverstehedichnicht.WenndunichtsGutes berihnzusagenweit,warumheiratestduihn dann?" Ach,eristmeistensaufderReiseundvonzu Hause fort. So habe ich die Beruhigung, verheiratet zu sein, ohne die Last, einen Ehemann zu haben." - 72 - - 73 - Neu austeilen DerMeisterspieltegerneKartenundverbrachte einmalmiteinigenseinerSchlerwhrendeines Luftangriffs die ganze Nacht beim Pokern. Als sie eine Pause einlegten, um etwas zu trinken, kamen sie auf den Tod zu sprechen. WennichmittenindiesemSpieltotumfallen wrde, was wrdet ihr dann tun?" fragte der Meister. Was mchtest du, da wir tun sollten?" Zwei Dinge. Zuerst die Leiche fortschaffen." Und dann?" Die Karten neu austeilen", sagte der Meister. Nirgendwohin Warum bist du zum Meister gekommen?" WeilmeinLebennirgendwohinverliefundmir nichts gab." Und wohin verluft es jetzt?" Nirgendwohin." Und was gibt es dir jetzt?" Nichts." Was ist dann der Unterschied?" J etzt gehe ich nirgendwohin, weil nirgendwo hin- zugehen ist. Ich erhalte nichts, weil nichts zu begeh- ren ist." - 74 - Die Lsung Einem Mann, der J ahre damit verbrachte, das Ge- setz seiner Religion zu studieren, sagte der Meister: Der Schlssel zu einem rechtschaffenen Leben ist Liebe, nicht Religion oder das Gesetz." Dann erzhlte er die Geschichte von zwei J ungen, die zur Sonntagsschule gingen und schlielich vom Religionsunterricht genug hatten, weshalb einer den Vorschlag machte, einfach wegzulaufen. Weglaufen?...UnsereVterwerdenunsaber einholen und verprgeln." Wir werden sie versohlen." Was?DenVaterversohlen?Dubistwohlver- rckt. Hast du vergessen, da Gott uns befohlen hat, unseren Vater und unsere Mutter zu ehren?" J a,stimmt!DuversohlstmeinenVaterundich deinen." Ohne Etikett Der Meister behauptete, da es letzten Endes kei- nen Sinn habe, sich selbst als Inder, Chinese, Afrika- ner,Amerikaner,Hindu,ChristoderMuslimzu bezeichnen,dadiesnurSchubladenundEtiketten seien. Einem Schler, der darauf beharrte, zuerst, zuletzt und vor allemJ udezusein,sagtederMeister - 75 - freundlich: Deine Erziehung ist jdisch, aber nicht deine Identitt." Was ist meine Identitt?" Nichts", sagte der Meister. Du glaubst, ich bin ein Nichts und eine Leere?" fragte unglubig der Schler. Nichts, was mit einem Etikett versehen werden kann", sagte der Meister. Nachhilfe AufderGeburtstagsfeierdesMeisterslehnteein Schler ein bichen spitz ein Glas Wein ab. Auf seinem Rundgang durch den Saal lief er dem Meister in die Arme. Der Meister zwinkerte mit den Augen und flsterte ihm zu: DumutnochmanchesInteressantelernen, mein Freund." Was, zum Beispiel?" ZumBeispieldas:Dukannst'deinenGebets- teppich mit Wein trnken, und er wird sich mit Gott vollsaugen." - 76 - Zuviel DerMeisterfordertenichtzurStrenge,sondern zumMahaltenauf.Wennwirwirklichanetwas Freude empfinden, halten wir von selbst Ma. Auf die Frage, warum er asketischen bungen so ablehnend gegenberstehe, antwortete der Meister: WeilsieFreuden-Verchterschaffen,diestetszu Menschen-Verchtern werden - streng und gewalt- ttig." Aber viele der Freude und Vergngen Suchenden sind streng und gewaltttig." So nicht. Sie lieben nicht das Vergngen, denn sie stopfensichvolldamit.Wassielieben,ist,ihren KrperdurcheinZuvielanVergngenzubestra- fen." Reizende Kinder AlsderMeistereinmalberdieproblematischen BindungenzwischenElternundKindernbefragt wurde, erzhlte er, wie er einmal in einem Einkaufs- markt einer Frau begegnete, die einen Kinderwagen schob, in dem zwei kleine J ungen saen. Was fr zwei reizende Kinder Sie haben", sagte der Meister. Wie alt sind sie denn?" Der Arzt", sagte die Frau, ist drei J ahre und der Rechtsanwalt zwei." - 77 - Keine Anstrengung DenjenigenSchlern,dienaivdaraufvertrauten, da sich nichts erreichen lt ohne den entschiede- nen Willen dazu, konnte der Meister sagen: Die be- sten Dinge im Leben knnen nicht durch Willens- kraft Wirklichkeit werden." DukannstmitWillenskraftEssenindeinen Mundstecken,abernichtmitWillenskraftAppetit bekommen. Du kannst dich mit Willenskraft ins Bett legen,abernichtmitWillenskrafteinschlafen.Du kannst mit Willenskraft jemandem ein Kompliment machen,abernichtmitWillenskraftBewunderung wecken. Du kannst mit Willenskraft ein Geheimnis mitteilen,abernichtmitWillenskraftVertrauen schaffen.DukannstmitWillenskrafteinenDienst erweisen,abernichtmitWillenskraftLiebeschen- ken." Ungestrt Immer,wenn dujemandanders zuverndern suchst", sagte der Meister, stell dir diese Frage: ,WemwirddieseVernderungntzen:meinem Stolz, meinem Vergngen oder meinem Vorteil?'" Dann erzhlte er die folgende Geschichte: Ein Mann wollte gerade von einer Brcke in einen Flu springen, als ein Polizist auf ihn zustrmte und - 78 - rief: Nein, nein! Bitte, machen Sie das nicht! Warum sollte ein junger Mann wie Sie, der noch kaum ge- lebt hat, ins Wasser springen?" Weil ich das Leben satt habe." Hren Sie doch, bittel Wenn Sie in den Flu sprin- gen, werde ich Ihnen nachspringen mssen, um Sie zu retten. Klar? Sehen Sie's doch ein, das Wasser ist eiskalt, und ich habe mich gerade erst von einer dop- pelseitigenLungenentzndungerholt.WissenSie, was das heit? Ich werde sterben. Ich habe eine Frau und vier Kinder. Mchten Sie das auf Ihrem Gewis- sen haben? Nein, natrlich nicht. So hren Sieauf mich! Seien Sie vernnftig! Bereuen Sie, und Gott wirdIhnenverzeihen.GehenSiewiederheim,zu Hause sind Sie allein und ungestrt, da knnen Sie sich aufhngen." stlich von Suez VerrgertberdiesichwidersprechendenWorte des Meisters, schimpfte ein Philosoph aus Europa: Ich habe gehrt, da stlich des Suezkanals zwei sichwidersprechendeAussagengleichzeitigwahr sein knnen." Der Meister amsierte sich darber. stlich von Suez", sagte er, und einen Zoll tiefer in die Wirk- lichkeit. Das ist der Grund, warum die Wirklichkeit ein unbegreifliches Geheimnis ist." - 79 - Gesichtspunkte ImKlostergabeskeineUhren.AlssicheinGe- schftsmannbermangelndePnktlichkeitbe- klagte,sagtederMeister:Beiunsherrschteine kosmischePnktlichkeitundkeinegeschftliche Pnktlichkeit." Der Geschftsmann sah darin keinen Sinn. Und so fgte der Meister hinzu:Alles hngt vom Ge- sichtspunktab.WasbedeutetausderSichtdes Waldes der Verlust eines Blattes? Was bedeutet aus der Sicht des Kosmos der Verlust deines Terminka- lenders?" Der Zauberkasten Warum sind viele Leute nicht erleuchtet?" Weil sie nicht die Wahrheit suchen, sondern das, was ihnen pat", sagte der Meister. Und er machte das an einer Sufi-Geschichte deut- lich: Ein Mann, der in Geldnot war, versuchte einen rau- hen Teppich auf der Strae zu verkaufen. Der erste Passant, dem er ihn anbot, sagte: Das ist ein grober Teppich und sehr abgenutzt." Und er kaufte ihn zu einem billigen Preis. Eine Minute spter sagte dieser Kufer zu einem anderen Mann, der gerade vorbeikam: Hier ist ein - 80 - Teppich, weich wie Seide, Herr; keiner kommt ihm gleich." Sagte ein Sufi, der alles beobachtet hatte: Bitte, lieber Teppichverkufer, stecke mich in deinen Zau- berkasten, der einen rauhen Teppich in einen glatten verwandelnkannundeinenKieselineinenEdel- stein." DerZauberkasten",fgtederMeisterhinzu, heitnatrlichEigennutz:daswirksamsteInstru- ment der Welt, um die Wahrheit in einen Betrug um- zukehren." Keine Vorstellung Ich dachte, da Spiritualitt nichts mit Politik zu tun hat", sagte etwas entrstet eine Frau aus dem Sch- lerkreis des Meisters, als sie zum ersten Mal von den politischen Aktivitten des Meisters erfuhr. Der Grund fr deine Annahme ist, da du keine Vorstellung hast, was Spiritualitt eigentlich ist", er- widerte darauf der Meister. Am anderen Tag rief er sie zu sich und sagte: Du hast auch keine Vorstellung, was Politik eigentlich ist." - 81 - Die Eintrittskarte Gibt es so etwas wie selbstloseLiebe!"fragte jemand den Meister. Als Antwort erzhlte er diese Geschichte: Mister Tugut sah mit Bangen, wie die Engel im Him- melseinSndenregisterberprften.Endlichsah der Protokollengel auf und rief aus: Das ist ja fabel- haft! Das ist unerhrt! In deinem ganzen Leben hast du nicht die geringste Snde begangen, nicht einmal die kleinste lliche Snde whrend deiner ganzen Lebenszeit!Alles,wasduvollbrachthast,waren Werke der Nchstenliebe. Unter welcher Zuordnung sollen wir dich nun in den Himmel lassen? Nicht als Engel,denneinEngelbistdunicht.Nichtals menschlichesWesen,dennduhastkeineeinzige Schwche. Deshalb mssen wir dich fr einen Tag wieder auf die Erde schicken, damit du wenigstens eineSndebegehenundalsmenschlichesWesen wieder zu uns zurckkommen kannst." So fand sich der arme sndenlose Mr. Tugut bald an einer Straenecke seiner Heimatstadt wieder, un- glcklich und verdattert, doch entschlossen, wenig- stens einen kleinen Fehltritt zu tun. Es verging eine Stunde, dann zwei, dann drei. Mr. Tugut stand im- mer noch ratlos da und fragte sich, was er tun sollte. Alsihmschlielicheinegrogewachsene,krftige Frau zuwinkte, ging er bereitwillig zu ihr. Die Dame war weit davon entfernt, jung oder hbsch zu sein, doch sie war fr ihn die Eintrittskarte in den Hirn- - 82 - mel. Und so ging er mit ihr fort und verbrachte mit ihr die Nacht. Als der Morgen dmmerte, warf Mr. Tugut rasch einen Blick auf die Uhr. Er mute sich beeilen. Eine halbe Stunde noch, bis er wieder in den Himmel getragen werden sollte. Als er seine Sachen anlegte, erstarrte er, denn die alte Dame rief ihm aus dem Bett zu: Oh, lieber Mr. Tugut, was fr ein groes Werk der Nchstenliebe haben Sie heute nacht vollbracht!" - 83 - Frei zu haben Ein Kunstkritiker hielt im Kloster einen Vortrag. Kunst", sagte er, findet man in einem Museum. Aber Schnheit gibt es berall: in der Luft, auf der Erde, an allen Orten, sie ist frei zu haben - mit kei- nem Namensschild markiert." EbensowieSpiritualitt",sagtederMeisteram nchsten Tag, als er mit seinen Schlern allein war. Ihre Symbole findet man im Museum, der Tempel heit, doch sie selbst ist berall da und frei zu haben; unerkannt, mit keinem Namensschild markiert." Zivilisiert AlseinmaldasGesprchaufdenmodernenFort- schritt kam, erzhlte der Meister von zwei Gsten aus einem Entwicklungsland, die er nach dem Stand der Wirtschaft in ihrem Land gefragt hatte. Einer der BesuchernahmdaranAnsto:WasdenkenSie", sagte er, wir sind ein zivilisiertes Land; wir haben sogar mehrere Munitionsfabriken!" - 84 - Zwei Forderungen ZueinemSozialarbeitersagtederMeister:Ich frchte, du richtest mehr Schaden an, als du Gutes tust." Warum das?" Weil du dich nur fr eine der beiden Forderun- gen der Gerechtigkeit einsetzt." Nmlich?" Der Arme hat ein Recht auf Brot." Und was ist die andere Forderung?" Der Arme hat ein Recht auf Schnheit!" Etwas bequemer Was der Meister bei den meisten der Sozial-Aktivi- sten zu beanstanden hatte, war dies: sie suchten zu reformieren und nicht zu revolutionieren. Es war einmal ein sehr weiser und guter Knig", sagte er, dem zu Ohren gekommen war, da in sei- nem Staatsgefngnis eine Anzahl Unschuldiger ein- gesperrtwaren.Daraufhinbefahler,einanderes, bequemeres Gefngnis fr Unschuldige zu bauen." - 85 - Klare Auskunft In seiner Verehrung fr den Meister betrachtete ihn ein Schler wie eine inkarnierte Gottheit. Sagmir,oMeister,warumkamstduindiese Welt?" wollte er wissen. Um Narren wie dich zu lehren, ihre Zeit nicht mit der Anbetung von Meistern zu verschwenden", gab er zur Auskunft. Mit Messer und Gabel AlsjemandvollerStolzvondenwirtschaftlichen undkulturellenErrungenschafteninseinemLand sprach, zeigte sich der Meister davon vllig unbeein- druckt. Haben alle diese Errungenschaften die leise- steVernderungindenHerzendeinerLandsleute bewirkt?" fragte er. Darauf erzhlte er von dem weien Mann, der von Kannibalengefangengenommenundzuihrem Oberhuptling gebracht worden war, um spter le- bendiggebratenzuwerden.Erstauntenicht schlecht, als er den Huptling ein perfektes Englisch mit Harvard-Akzent sprechen hrte. HabenIhreJ ahreanderHarvard-Universitt nichts an Ihren Gewohnheiten gendert?" fragte ihn der weie Mann. Selbstverstndlich haben sie das. Sie haben mir - 86 - Kultur beigebracht. Wenn Sie gebraten sind, werde ich zur Tafel den Abendanzug anziehen und Sie mit Messer und Gabel verspeisen." Wo suchen? Dein I rrtum ist, da du Gott auerhalb von dir suchst", sagte der Meister. Soll ich ihn denn in meinem Inneren suchen?" Siehst du nicht, da dein Inneres auerhalb von dir ist?" erwiderte der Meister. Programmiert Der Meister hielt den Menschen immer wieder ihre roboterhafte Lebensweise vor Augen: Wie kannst du dich Mensch nennen, wenn jedes Denken, jedes Fhlen und Handeln mechanisch vor sich geht und nichtausdirselbstkommt,sonderndeinerBeein- flussungoderdeinemProgrammiert-Seinent- springt?" Kann etwas dieses Programmiert-Sein durchbre- chen und uns davon loslsen?" fragte ein Schler. J a, Bewutheit." UndnachkurzemNachdenkenfgteerhinzu: Und eine Katastrophe." Eine Katastrophe?" - 87 - J a. Ein sehr englischer Englnder erzhlte mir ein- mal, da er nach einem Schiffbruch mitten im Ozean miteinemanderenEnglndereineganzeStunde lang im Meer geschwommen war, bis es ihm endlich gelang, sich von seinem Programmiert-Sein zu be- freien und zu sprechen, ohne vorgestellt zu sein!" Was sagte er?" Er sagte: Entschuldigen Sie, da ich Sie so an- spreche, ohne vorgestellt worden zu sein, aber ist das die Richtung nach Southampton?'" Ohne Begriff Der Meister warnte beharrlich vor dem Versuch, die Wirklichkeit in einen Begriff oder in einen Na- men zu fassen. Ein StudentderMystikstellte einmal die Frage: Wenn Sie vom Sein sprechen, Sir, meinen Sie damit das ewige, transzendente Sein oder das transiente, kontingente Sein?" Der Meister schlo seine Augen und dachte nach. Dannffneteersie,setzteseineentwaffnendste Miene auf und sagte: J a!" Sptersagteer:SobalddueinenNamenfrdie Wirklichkeit nimmst, hrt sie auf, die Wirklichkeit zu sein." Auchdann,wennduesWirklichkeitnennst?" fragte schelmisch ein Schler. Selbst dann, wenn du es ,es' nennst." - 88 - Hinweise Der Meister sah es als seine Aufgabe an, jedes Lehr- oder Glaubenssystem, jeden Begriff vom Gttlichen zu zerstren, da diese ursprnglich als Hinweise ge- dachtenDingeimmeralsBeschreibungengenom- men werden. ErzitiertedabeimitVorliebedasorientalische Wort: Wenn der Weise auf den Mond zeigt, sieht der Idiot nur den Finger." Die falsche Seite DerMeisterdisputiertemitniemandem,wenner merkte,daseinGegenbernureineBesttigung seinereigenenAuffassungsuchteundnichtdie Wahrheit. Einmal fhrte er den Schlern den Wert eines Ar- gumentes vor Augen: Fllt eine bestrichene Scheibe Brot mit der Butter- seite nach unten oder nach oben?" Natrlich mit der Butterseite nach unten." Nein, mit der Butterseite nach oben." Probieren wir's doch aus!" Also nahm er eine Scheibe Brot, bestrich sie mit Butter und warf sie hoch. Sie fiel - mit der Butter- seite nach oben! - 89 - Ich habe gewonnen!" Aber nur, weil ich einen Fehler gemacht habe." Was fr einen Fehler?" Ich habe offensichtlich die falsche Seite bestri- chen." Ein Finger Einereligiseberzeugung",sagtederMeister,ist keine Aussage ber die Wirklichkeit, sondern nur ein Hinweis, ein Fingerzeig auf etwas, das ein Ge- heimnis darstellt und jenseits des dem menschlichen Verstand Zugnglichen liegt. Kurz gesagt, eine reli- gise berzeugung ist nur ein Finger, der auf den Mond zeigt. Manche Leute kommen ber das Studium des Fin- gers nicht hinaus. Andere sind damit beschftigt, an ihm zu lutschen. Wieder andere gebrauchen den Fin- ger, um sich damit die Augen zuzudrcken. Das sind die frommen Eiferer, die die Religion blind gemacht hat. Tatschlich sind diejenigen selten, die den Finger weit genug von sich halten, um zu sehen, worauf er hinweist - es sind jene, die der Blasphemie bezich- tigt werden, weil sie ber Glaubensberzeugungen hinausgegangen sind." - 90 - Begriffen Eines Nachts fhrte der Meister seine Schler auf dasfreieFelduntereinemsternenberstenHim- mel. Whrend er dann zu den Sternen zeigte und da- bei die Schler ansah, sagte er: J etzt konzentriere sich jeder auf meinen Finger." Sie begriffen den Punkt. Flgelschlagen BeunruhigtberdieNeigungdesMeisters,jede Glaubensaussage ber Gott zunichte zu machen, rief ein Schler aus: Mir bleibt nichts mehr, woran ich mich halten kann!" DassagtderflggegewordeneGrnschnabel, wenn er aus seinem Nest gestoen wird." SptersagtederMeisternoch:Meinstdu,du wrdestfliegen,wenndusicherimNestdeiner Glaubensberzeugungen sitzt? Das ist kein Fliegen. Das ist nur dein Flgelschlagen!" - 91 - Vernderung DemutistkeinealberneSelbstverachtung",sagte derMeister.DemutentspringtdemVerstndnis, da alles, was dir durch eigene Anstrengung gelingt, VernderungdeinesVerhaltensist-nichtdeiner selbst." DemnachgeschiehtwahreVernderungohne eine Anstrengung?" So ist es", sagte der Meister. Und wie tritt sie ein?" Durch Bewutheit", sagte der Meister. Und was mu man tun, um Bewutheit zu erlan- gen?" Wastutman,umaufzuwachen,wennman schlft?" sagte der Meister. So gibt es nichts wirklich Gutes, auf das man stolz sein knnte?" Als Antwort darauf erzhlte der Meister von einer Unterhaltung, der er zufllig gelauscht hatte: Welch eine Stimme hat unser Meister, wie gtt- lich er singt!" Ach, wenn ich seine Stimme htte, wrde ich ge- nauso gut singen!" - 92 - Verzicht Als der Herrscher eines benachbarten Knigreiches seine Absicht kundtat, er wolle das Kloster besu- chen, gerieten alle in Aufregung. Nur der Meister blieb, wie er immer war. Der Knig wurde zum Meister geleitet. Er ver- neigte sich tief zur Begrung und sagte: Es ist meineberzeugung,dadumystischeVollkom- menheit erlangt hast, deshalb bin ich gekommen, um von dir Auskunft ber das Wesen des Mystischen zu erhalten." Warum?" wollte der Meister wissen. Es ist mein Wunsch, die Natur des Seins zu er- kunden, um dadurch imstande zu sein, mein eigenes Sein und das meiner Untertanen zu kontrollieren und mein Volk in Harmonie zu bringen." Gut", sagte der Meister, aber ich mu dich war- nen: wenn du bei deiner Erkundung weit genug ge- gangen bist, wirst du entdecken, da die Harmonie, die du suchst, nicht durch Kontrolle, sondern durch Verzicht erlangt wird." Die grte Snde Sagte der selbstgerechte Prediger: Welches ist deiner Einschtzung nach die grte Snde der Welt?" - 93 - Der Meister antwortete: Wenn jemand andere Menschen als Snder an- sieht." Klassifizieren Es gibt tatschlich zwei Arten von Menschen: die Phariser und die Zllner", sagte der Meister, nach- dem er das Gleichnis J esu gelesen hatte. Wie erkennt man die Phariser?" Einfach daran, da sie klassifizieren", antwortete der Meister. Gleiche Entfernung AlleMenschensindnahezugleichgutoder schlecht", sagte der Meister, der solche Etikettierun- gen verabscheute. Wie kannst du einen Heiligen und einen Snder auf die gleiche Ebene stellen?" protestierte ein Sch- ler. Weil jeder von beiden von der Sonne gleich weit entfernt ist. Verringert sich wirklich die Entfernung, wenn du auf der Spitze eines Wolkenkratzers lebst?" - 94 - Der Preis Der Meister behauptete, da das, was alle Welt fr wahr hlt, falsch ist. So steht der Pionier immer al- lein. Er sagte: Du denkst ber die Wahrheit, als wre sie eine Formel, die du aus einem Buch herauspicken kannst. Wahrheit kostet den Preis der Einsamkeit. Wenn du der Wahrheit folgen willst, mut du lernen, allein zu gehen." Vor der Nase Ich bin bereit, auf der Suche nach Wahrheit berall hinzugehen", rief der Schler begeistert aus. DerMeisteramsiertesich.Wannbrichstdu auf?" fragte er. Sobald du mir sagst, wohin ich gehen soll." Ich schlage dir vor, in die Richtung zu wandern, in die deine Nase zeigt." J a, aber wo mache ich halt?" berall, wo du willst." Und wird die Wahrheit dort sein?" J a. Gerade vor deiner Nase, in deine Augen star- rend, die sie nicht sehen." - 95 - Ein neues Kleid? Ist Erleuchtetsein einfach oder schwierig?" Es ist so einfach und so schwierig wie: zu sehen, was gerade vor deinen Augen ist." Wie kann es schwierig sein, zu sehen, was gerade vor meinen Augen steht?" Darauf antwortete der Meister mit der folgenden Anekdote: Ein Mdchen empfing seinen Freund mit den Wor- ten: Fllt dir etwas an mir auf?" Ein neues Kleid?" Nein!" Neue Schuhe?" Nein. Etwas anderes." Ich gebe auf." Ich trage eine Gasmaske." Der geheime Akt Der Schler war ein Buddhist. Was ist der Geist des Buddha?" fragte er. Warumfragstdunichtnachdeinemeigenen Geist oder eigenen Ich statt nach demeines ande- ren?" fragte der Meister. Was ist denn mein Ich, o Meister?" Dazu mut du lernen, was als ,der geheime Akt' bekannt ist." - 96 - Was ist der geheime Akt?" Dies", sagte der Meister, whrend er seine Augen schlo und wieder ffnete. Ernsthaft erkrankt Der Meister legte seinen Schlern dar, da Erleuch- tung dann eintritt, wenn sie das nicht-deutende Sehen erlangt htten. Die Schler wollten nun wissen, was deutendes Se- hen sei. Der Meister erklrte es ihnen so: Ein paar katholische Straenarbeiter waren an einer Baustelle nicht weit weg von einem Bordell beschf- tigt, als sie einen Rabbi in dem nicht gerade angese- henen Haus verschwinden sahen. Na ja, was kann man schon erwarten?" tuschelten sie einander zu. Nach einer Weile schlpfte ein Pastor durch die Tr. Nichts berraschendes. Was kann man schon erwarten?" DaraufhinkamderkatholischePfarrer,dersein Gesicht mit dem Mantel bedeckte, bevor er in dem Haus verschwand. Ist das nicht schrecklich? Eines dieser Mdchen mu ernsthaft erkrankt sein." - 97 - Mutterglck Der Meister erzhlte gern diese Geschichte aus sei- ner Familie: NachderGeburtseineserstenSohnesbetratder Meister einmal das Kinderzimmer und sah seine Frau ber die Wiege mit dem Baby gebeugt. Ohne sich zu rhren, schaute er zu, wie sie das Neugebo- rene in seinem Schlaf betrachtete. Aus ihrem Gesicht sprach unglubiges Staunen, Freude und Entzcken. Auf Zehenspitzen nherte er sich gerhrt der Mut- ter, legte einen Arm um ihre Taille und flsterte ihr zu: Meine Liebe, ich kann mir genau vorstellen, was du jetzt fhlst." ErschrockenindieWirklichkeitzurckversetzt, platzte seine Frau heraus: Ja. Ich wte fr mein Le- ben gern, wie man solch eine Wiege fr nur zwanzig Dollar herstellen kann." Nicht an die erste Stelle Jedesmal, wenn das Thema Gott zur Sprache kam, bestand der Meister darauf, da Gott im Wesentli- chen jenseits der Reichweite menschlichen Denkens - ein Geheimnis - ist und somit jede Aussage ber Gott wahr ist, nicht ihn, sondern unseren Begriff von ihm betreffend. Die Schler zogen nie die Folgerungen daraus, bis der Meister sie ihnen eines Tages aufzeigte. - 98 - Es ist nicht ganz richtig zu sagen, da Gott die Welt erschuf oder da Gott uns liebt oder Gott gro ist, denn von Gott lt sich nichts aussagen. Deshalb sollte man um der Genauigkeit willen sagen: unser Gottes-Begriff erschuf die Welt, unser Gottes-Be- griff liebt uns, unser Gottes-Begriff ist gro." Wenn dies wahr ist, sollten wir dann nicht jeden Begriff, den wir vom Gttlichen haben, aufgeben?" Es .bestnde keine Notwendigkeit, auf deine Gt- zen zu verzichten, wenn du sie nicht an die erste Stelle setzen wrdest." Gott stirbt nicht Es beunruhigte einige Schler, da der Meister sich kaum darber Sorgen machte, ob Leute an einen per- sonalen Gott glaubten oder nicht. Er zitierte ihnen einmal einen Satz, fr den er eine besondere Vorliebe hatte; er entstammt dem Tage- buch Dag Hammarskjlds, dem 1961 in Afrika ums Leben gekommenen Generalsekretr der Vereinten Nationen: Gott stirbt nicht an dem Tag, an dem wir nicht mehr an eine personale Gottheit glauben. Vielmehr sterben wir an dem Tag, an dem unser Leben nicht mehr vom bestndigen Glanz der tglich erneuerten Wundererhelltwird,derenQuellenjenseitsaller Vernunft liegen" (Wegzeichen"). - 99 - Das Problem Einmal beobachtete der Meister, wie sich eine groe MenschenmengevorderKlosterpforteversam- melte. Sie sangen Lobeshymnen auf ihn und entfal- teten ein Transparent mit der Aufschrift Christus ist die Antwort". Er ging zu dem streng dreinschauenden Mann, der das Spruchband trug, undsagte:J a, aberwie lautet die Frage?" DerMannwarmomentansprachlos,fingsich aber bald wieder und erwiderte: Christus ist nicht die Antwort auf eine Frage, sondern die Antwort auf unsere Probleme." Was ist in diesem Fall das Problem?" SptersagtederMeisterzudenSchlern:Wenn Christus tatschlich die Antwort ist, dann bedeutet Christus: die klare Erkenntnis darber, werdasPro- blem schafft und wie." Eine Gabe Was mu ich tun, um erleuchtet zu sein?" fragte der wibegierige Schler. Die Wirklichkeit so sehen, wie sie ist", erwiderte der Meister. Gut, und was mu ich tun, um die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist?" - 100 - DerMeisterlchelteundsagte:Ichhabegute NachrichtundschlechteNachrichtfrdich,mein Freund." Was ist die schlechte Nachricht?" Es gibt nichts, was du tun kannst, um zu sehen - es ist eine Gabe." Und was ist die gute Nachricht?" Es gibt nichts, was du tun kannst, um zu sehen - es ist eine Gabe." Glaubst du DerPrediger war fest entschlossen, dem Meister eineunzweideutigeGlaubensaussageberGottzu entlocken. Glaubst du, da es einen Gott gibt?" Natrlichglaubeichdas",antwortetederMei- ster. Und da er alles geschaffen hat, glaubst du das?" J a, ja", sagte der Meister, bestimmt glaube ich das." Und wer hat Gott geschaffen?" Du", erwiderte der Meister. Der Prediger schaute ihn entgeistert an. Willst du mirimErnsterzhlen,daichGottgeschaffen habe?" Den, ber den du stndig nachdenkst und sprichst - ja!" sagte der Meister ruhig. - 101 - Mit Teelffeln .MenschlicheProblemewiderstehenhartnckig ideologischenLsungen,stelltederFachmannfr effektivereArbeitsvorgngeauseigenerErfahrung fest,alserdemMeistervorfhrte,wiemanheute einenGrabennachmodernenMethodenaushebt. Diese Maschine", sagte er, hat Scharen von Mn- nerndieArbeitweggenommen.Mansolltesieei- gentlichzerstrenunddafrhundertMnnermit Hacke und Schaufel in diesen Graben stellen." Richtig", sagte der Meister, oder noch besser tausend Mnner mit Teelffeln." Auf Kredit DerMeisterlehnteIdeologienausdemeinfachen Grund ab, da sich ihre Theorien zwar einsichtig an- hren,abermitderWirklichkeitniebereinstim- men. ErerzhltevoneinemIdeologen,dereinmal sagte: Das ist doch eine verrckte Welt! Die Rei- chen kaufen auf Kredit, obwohl sie im Geld schwim- men,aberdieArmen,diekeinenPfennighaben, mssen in bar zahlen." Was schlgst du also vor?" fragte jemand. Das Ganze umkehren. La die Reichen bar zahlen und gib den Armen Kredit." - 102 - - 103 - Aber wenn ein Kaufmann den Armen Kredit gibt, wird er bald selbst arm enden." Groartig!"sagtederIdeologe,dannkanner auch auf Kredit kaufen." Die Rollden Der Meister fand es ermdend, mit Leuten zu spre- chen, die stndig darauf erpicht waren, die Existenz Gottes zu verteidigen oder ber sein Wesen zu dis- kutieren, whrend sie die hchst wichtige Aufgabe dereigenenBewutseinsfindung,diealleinihnen LiebeundBefreiunggebenknnte,vernachlssig- ten. Einer Gruppe von Leuten, die den Meister baten, zu ihnen von Gott zu sprechen, sagte er: Worum es euch leider geht, ist, von Gott zu sprechen, lieber als ihn zu sehen. Und ihr seht ihn so, wie ihr denkt, da er ist, und nicht, wie er wirklich ist. Denn Gott tut sich kund,eristnichtverborgen.Warumsprechen? Macht eure Augen auf und seht." Spter fgte er noch hinzu: Sehen ist die einfach- ste Sache der Welt. Alles, was man dazu tun mu, ist, die Rollden von den Gottesgedanken hochzu- ziehen." - 104 - Nicht bei Sinnen Sagte ein Schler: Wir haben anzuziehen und zu essen - wie kommen wir von all dem weg?" Wir essen und wir trinken", sagte der Meister. Ich verstehe nicht." Wenn du nicht verstehst, dann kleide dich an und i dein Mahl." Spter sagte er: Du erhebst dich ber etwas, dem du aus dem Wege gehst!" Und noch spter: Leute, die sich ber ein gut zu- bereitetes Mahl und ein gut geschnittenes Gewand erheben wollen, sind spirituell nicht bei Sinnen." Die Freiheit des Adlers Was bedeutet es, erleuchtet zu sein?" Zu sehen." Was?" Die Hohlheit von Erfolg, die Leerheit von Errun- genschaften,dieNichtigkeitmenschlichenStre- bens", sagte der Meister. Der Schler war entsetzt: Aber das ist doch Pessi- mismus und Verzweiflung?" Nein! Das ist die Erregung und Freiheit des Ad- lers,derbereineabgrundtiefeSchluchtdahin- schwebt." - 105 - Miserabel DerhufigsteGrunddesUnglcklichseins",er- klrtederMeister,istdergefateEntschlu,un- glcklichzusein.Daherkommtes,davonzwei Personen in genau derselben Situation sich die eine glcklich und die andere miserabel fhlt." Er erzhlte, wie sich seine kleine Tochter gestrubt hatte, in ein Ferienlager zu gehen. In seinem Bem- hen, ihr die Bedenken zu zerstreuen, adressierte der Meister einige Postkarten an sich selbst und gab sie dem Kind. Schreib blo drauf ,Es geht mir gut', sagte er, und steck jeden Tag eine Karte in den Briefkasten." DasMdchenberlegtekurzundfragte:Wie schreibt man ,miserabel'?" Abstraktionen und Marionetten Der Meister war ein groer Freund der Geschichts- forschung. Was er jedoch bei Geschichtsstudenten zu beklagen hatte, war, da sie die wertvollsten Leh- ren,diedieGeschichtezubietenhat,meistber- sehen. Welche, zum Beispiel?" wollte ein Student wis- sen. Zum Beispiel die Sicht der Probleme, die einmal so konkret und lebendig waren und nun nichts wei- ter sind als kalte Abstraktionen in einem Buch. Die - 106 - Gestalten im Drama der Geschichte, die einst fr so mchtig galten, doch in Wirklichkeit blo Marionet- ten waren, an Fden gezogen, die so offensichtlich fr uns sind und von denen die rmsten keine Ah- nung hatten." Gibst du mir ... Sagte der Meister: Was du Freundschaft nennst, ist in WirklichkeiteinGeschft:EntsprichmeinenEr- wartungen, gibt mir, was ich mchte, und ich werde dich lieben; weise mich ab, und meine Liebe schlgt in Groll und Gleichgltigkeit um." Er erzhlte von dem Familienvater, der nach einem anstrengenden Arbeitstag zu seiner Frau und seinem niedlichen, drei J ahre alten Tchterchen nach Hause kam. Bekommt Daddy einen Ku?" Nein!" Schm dich! Dein Daddy mu den ganzen Tag hart arbeiten, um etwas Geld nach Hause zu bringen, und du behandelst ihn so! Wo ist der Ku?" Das niedliche, drei J ahre alte Tchterchen schaute ihm in die Augen: Und wo ist das Geld?" Sagte ein Schler: Ich gebe meine Liebe nicht fr Geld." Sagte der Meister: Ist es nicht ebenso schlecht - oder gar schlimmer -, wenn du Liebe fr Liebe ver- langst?" - 107 - Reichlich bezahlt Ein verzweifelter Schler beklagte sich wegen sei- nerBehinderungen,daervomLebenbetrogen worden sei. Betrogen?" rief der Meister aus, betrogen? Schau umdich,Mensch!MitjedemAugenblickBe- wutsein bist du reichlich berbezahlt!" Unzufrieden DerMeistersetztedasThemafortmitderGe- schichte von dem Hotelbesitzer, der sich bitter ber die Folgen beklagte, die der Bau einer neuen Schnell- strae fr sein Geschft mit sich gebracht hatte. Hr mal zu", sagte ihm ein Freund. Ich kann dich einfachnichtverstehen.J edenAbendseheichdas Schild ,Besetzt' vor deinem Hotel." Danach kannst du nicht gehen. Bevor die Schnell- strae gebaut wurde, mute ich jeden Tag dreiig bis vierzig Leute fortschicken. J etzt schicke ich nie mehr als fnfundzwanzig weg." Fgte der Meister hinzu: Wenn du entschlossen bist, negativ zu empfinden, sind sogar nicht existie- rende Kunden wirkliche Kunden." - 108 - Wer hat schon das Glck? Diese Geschichte erinnerte die Schler an den Pes- simisten, der sagte: Das Leben ist schrecklich, es wrebessergewesen,nichtgeborenwordenzu sein." Ja", erwiderte der Meister mit einem Funkeln in seinen Augen, aber wie viele haben diese Art von Glck? Einer unter zehntausend vielleicht." Ein Erstrahlen der Ewigkeit Der Meister mu gewut haben, da seine Worte oft ber das Verstndnis seiner Schler hinausgin- gen. Er sagte sie trotzdem im Wissen darum, da der Tag sicherlich einmal kommen wrde, an dem seine Worte in den Herzen derer, die ihn hren, Wurzeln schlagen und erblhen wrden. Eines Tages sagte er: Die Zeit erscheint dir immer sehr lang, wenn du wartest - auf Ferien, auf eine Prfung, auf etwas, wonach du dich sehnst oder wovor du in der Zukunft Angst hast. Doch denen, die es wagen, sich der Erfahrung des gegenwrtigen Augenblicks auszusetzen - mit kei- nem Gedanken an die Erfahrung, keinem Verlangen, da sie wiederkehre oder dich verschone -, wird die Zeit zum Erstrahlen der Ewigkeit." - 109 - Spannkraft Dich macht die Gemchlichkeit des Lebens kaputt", sagte der Meister zu einem Schler, der es von der lockeren Seite nahm. Nur eine Katastrophe kann dich retten." Und so machte er seine Feststellung deutlich: Wirf einen Frosch in eine Wanne heies Wasser, underwirdinSekundenschnelleherausspringen. Setz ihn in eine Wanne Wasser, das ganz allmhlich erwrmtwird,underwirddieSpannkraftzum Springen verlieren, wenn der Moment zum Hpfen gekommen ist." Lerne Befehle erteilen Fragte der Herrscher: Has