Eine Reise in den Süden Russlands Rostow am Don, Asow und ... · historischen Kosaken-Club...

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Die Stadt entwickelte sich dadurch weltoffen und zog viele Baumeister und Künstler an. In Taganrog wurde Anton Tsche- chow geboren. Peter Tschaikowsky wählte die Stadt als Erholungsort. Auch Deutschstämmige waren in Tag- anrog aktiv, zum Beispiel im 19. Jahrhundert der Bürgermeister Balthasar Camphausen, ferner Alex Lieves und Otto Frank. In jüngster Vergangenheit wurde David Riegert Olympiasieger in der Schwerathletik. Heute lebt Taganrog weitgehend von Eisenhütten- und Stahlwer- ken sowie von der Automobil- und Flugzeugproduktion. Inter- national ist die Stadt verbunden mit den Partnerstädten Lüden- scheid und Badenweiler. Als erste Stadt Russlands, die sich aufgrund der alten Festungs- struktur nach einem städtebaulichen Plan entwickelte, muss sich Taganrog heute mit Problemen der Anpassung alter Bausubstanz an eine moderne Stadtarchitektur auseinandersetzen. Die kultu- rell geprägte Vergangenheit zeigt sich in einer Vielfalt von Museen, Theatern, Konzerthäusern sowie Hochschulen – aus- nahmslos Einrichtungen, die sich besonders um den Empfang der FORUM-Reisegruppe bemühten. Die ausgezeichnete nächtliche Ruhe im Hotel Bristol wurde ergänzt durch eine liebevolle Gastfreundschaft im Café „Freken Bok“. Dieser nicht gerade russisch klingende Name bezieht sich auf eine Figur der in Russland sehr populären schwedischen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren. 1992 gab die Russische 2008 gab es den ersten Kontakt zwischen Natalia Petrovskaja aus Taganrog und Franz Kiesl, 1. Vorsitzender des „Forum Rus- sische Kultur Gütersloh“. Schon im folgenden Mai besuchte eine Reisegruppe des Vereins die Stadt Taganrog. Die 24 Teil- nehmer erlebten ein großartiges Programm, dessen besonderer Wert in den vielen Begegnungen mit den russischen Menschen lag, die alle Freunde oder sehr gute Bekannte von Natalia Petrovskaja sind. Die Nachhaltigkeit dieser Begegnungen drückt sich auch darin aus, dass es inzwischen im Süden Russ- lands sechs Forum-Mitglieder gibt. 2011 und 2012 reisten wei- tere Gruppen nach Taganrog mit einem jeweils eintägigen Aus- flug in die Hauptstadt des Gebiets, Rostow am Don, mit 1,2 Millionen Einwohnern. Im Mai 2015 gab es nun eine weitere Reise in die kulturell und wirtschaftlich aufstrebende Stadt am Asowschen Meer. Dieses Mal sah das Programm an zwei Tagen einen Besuch in Rostow vor mit vielen Begegnungen. Neu war ein Besuch der Stadt Asow. Airbus-A-320-Maschinen der Aeroflot brachten die Reiseteil- nehmer am 14. Mai, dem Himmelfahrtstag, in fünf Stunden mit einem Umsteigestopp in Moskau-Scheremetjewo nach Rostow. Dort stand ein von der Stadt Taganrog organisierter Kleinbus bereit für die Fahrt ins rund 80 km südwestlich gelegene Tagan- rog. In der Hauptstraße „Uliza Petrovskaya“ waren im privat geführten Hotel Bristol historisch eingerichtete Zimmer mit allem Komfort reserviert. Die Stadt mit ihren 258 000 Einwohnern blickt auf eine lange Geschichte zurück. Erste Siedlungen gab es im 7. vorchristli- chen Jahrhundert, von denen die so genannten Skyten-Hügel zeugen. Grabungsfunde schmücken die vielen Museen der Gegend. Am Ende des 17. Jahrhunderts lebte die alte Siedlung durch die Initiative Peters des Großen wieder auf. Dieser berühmte und in Russland hochverehrte Zar hatte ursprünglich die Absicht, Taganrog zur Hauptstadt des Russischen Reiches zu machen. Der günstig gelegene Hafen ermöglichte wirtschaftli- che und kulturelle Beziehungen über das Schwarze Meer zum Osmanischen Reich nach Griechenland und Italien. 1 Hotel Bristol an der Uliza Petrovskaya. Südliches Stadtviertel mit Hafen. Eine Reise in den Süden Russlands Rostow am Don, Asow und Taganrog -- Perlen der russischen Kultur Tschechow-Büste vor dem Geburtshaus.

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Die Stadt entwickelte sichdadurch weltoffen und zog vieleBaumeister und Künstler an. InTaganrog wurde Anton Tsche-chow geboren.

Peter Tschaikowsky wählte dieStadt als Erholungsort. AuchDeutschstämmige waren in Tag-anrog aktiv, zum Beispiel im 19.Jahrhundert der BürgermeisterBalthasar Camphausen, fernerAlex Lieves und Otto Frank. Injüngster Vergangenheit wurdeDavid Riegert Olympiasieger inder Schwerathletik.

Heute lebt Taganrog weitgehendvon Eisenhütten- und Stahlwer-ken sowie von der Automobil-und Flugzeugproduktion. Inter-national ist die Stadt verbundenmit den Partnerstädten Lüden-scheid und Badenweiler.

Als erste Stadt Russlands, die sich aufgrund der alten Festungs-struktur nach einem städtebaulichen Plan entwickelte, muss sichTaganrog heute mit Problemen der Anpassung alter Bausubstanzan eine moderne Stadtarchitektur auseinandersetzen. Die kultu-rell geprägte Vergangenheit zeigt sich in einer Vielfalt vonMuseen, Theatern, Konzerthäusern sowie Hochschulen – aus-nahmslos Einrichtungen, die sich besonders um den Empfangder FORUM-Reisegruppe bemühten.

Die ausgezeichnete nächtliche Ruhe im Hotel Bristol wurdeergänzt durch eine liebevolle Gastfreundschaft im Café „FrekenBok“. Dieser nicht gerade russisch klingende Name bezieht sichauf eine Figur der in Russland sehr populären schwedischenKinderbuchautorin Astrid Lindgren. 1992 gab die Russische

2008 gab es den ersten Kontakt zwischen Natalia Petrovskajaaus Taganrog und Franz Kiesl, 1. Vorsitzender des „Forum Rus-sische Kultur Gütersloh“. Schon im folgenden Mai besuchteeine Reisegruppe des Vereins die Stadt Taganrog. Die 24 Teil-nehmer erlebten ein großartiges Programm, dessen besondererWert in den vielen Begegnungen mit den russischen Menschenlag, die alle Freunde oder sehr gute Bekannte von NataliaPetrovskaja sind. Die Nachhaltigkeit dieser Begegnungendrückt sich auch darin aus, dass es inzwischen im Süden Russ-lands sechs Forum-Mitglieder gibt. 2011 und 2012 reisten wei-tere Gruppen nach Taganrog mit einem jeweils eintägigen Aus-flug in die Hauptstadt des Gebiets, Rostow am Don, mit 1,2Millionen Einwohnern.

Im Mai 2015 gab es nun eine weitere Reise in die kulturell undwirtschaftlich aufstrebende Stadt am Asowschen Meer. DiesesMal sah das Programm an zwei Tagen einen Besuch in Rostowvor mit vielen Begegnungen. Neu war ein Besuch der StadtAsow.

Airbus-A-320-Maschinen der Aeroflot brachten die Reiseteil-nehmer am 14. Mai, dem Himmelfahrtstag, in fünf Stunden miteinem Umsteigestopp in Moskau-Scheremetjewo nach Rostow.Dort stand ein von der Stadt Taganrog organisierter Kleinbusbereit für die Fahrt ins rund 80 km südwestlich gelegene Tagan-rog. In der Hauptstraße „Uliza Petrovskaya“ waren im privatgeführten Hotel Bristol historisch eingerichtete Zimmer mitallem Komfort reserviert.

Die Stadt mit ihren 258 000 Einwohnern blickt auf eine langeGeschichte zurück. Erste Siedlungen gab es im 7. vorchristli-chen Jahrhundert, von denen die so genannten Skyten-Hügelzeugen. Grabungsfunde schmücken die vielen Museen derGegend. Am Ende des 17. Jahrhunderts lebte die alte Siedlungdurch die Initiative Peters des Großen wieder auf. Dieserberühmte und in Russland hochverehrte Zar hatte ursprünglichdie Absicht, Taganrog zur Hauptstadt des Russischen Reiches zumachen. Der günstig gelegene Hafen ermöglichte wirtschaftli-che und kulturelle Beziehungen über das Schwarze Meer zumOsmanischen Reich nach Griechenland und Italien.

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Hotel Bristol an der Uliza Petrovskaya.

Südliches Stadtviertel mit Hafen.

Eine Reise in den Süden Russlands

Rostow am Don, Asow undTaganrog ---

Perlen der russischen Kultur

Tschechow-Büstevor dem Geburtshaus.

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Post eine Sonderbriefmarke mit dem Titel „Karlsson auf demDach“ heraus. Der Titelheld lebte mit seinem Freund Lilibror beieiner Haushälterin namens „Freken vom Bok“, und diese„Dame“ war bevorzugtes Ziel der Lindgrenschen Karlsson-Streiche.

Anders als Karlsson hatten die Reiseteilnehmer jedoch keinePropeller auf dem Rücken, um durch die Straßen der Stadt zufliegen. Sie waren auf ihre Füße und den stets bereitstehendenKleinbus angewiesen. So begann der erste Tag mit einer Stadt-rundfahrt. Ein bemerkenswerter Stopp war die über dem Hafen-gelände liegende Terrasse, auf der das historische Denkmal vonPeter dem Großen auf das Meer blickt.

Am Weg lag weiter dasälteste russisch-ortho-doxe Gotteshaus, die St.Nikolaus-Kirche von1778. Heute kommenviele Russen hierher,um die sterblichenÜberreste des 1999 vonder Orthodoxen Kirchehei l iggesprochenenPawel zu verehren. Inder Taganroger Turgen-jewski-Straße besuchtedie FORUM-Gruppespäter die frühereWohnzelle des HeiligenPawel und zündete inder dort eingerichtetenKapelle Gedenkkerzenan.

Die Rundfahrt ging wei-ter zum Puschkin-Kaimit der am Fuße derimposanten SteinernenTreppe stehenden Sie-gesfigur, die von einerSchülerin mit der Berli-ner Siegessäule vergli-chen wurde.

Am Tschechow-Denk-mal gab es erste Infor-mationen über den

berühmten russischen Schriftsteller und Dramatiker. Sein winzi-ges Geburtshaus in der heutigen Tschechow-Straße war dasnächste Ziel. Die museal eingerichteten Zimmerchen geben Ein-blick in das einfache Leben der damaligen Zeit. Der Vater desdamals 9 Jahre alten Anton mietete in der Nähe einen Kaufladen.Das Gebäude mit der Reklameschrift „Tee, Zucker, Kaffee undandere Kolonialwaren“ war im Laufe der Woche nochmals Zieleinzelner Reisenden. Anton Tschechow vertrat dort als Kindmanchmal den Vater, und hier schrieb der künftige Dramatikerseine ersten Theaterstücke, die er dort mit Freunden und Kindernamateurhaft aufführte.

Am Besichtigungsweg in der Uliza Petrovskaya war auch Gele-genheit, eine der vielen Tschechow-Erinnerungsskulpturen zubesichtigen. So erinnert „Kaschtanka“ an eine Figur aus demTschechow-Kinderbuch „Ein kleiner Hund und eine ägyptischePyramide“. Die Bronze-Plastik ist besonders bei Kindern beliebtund verführt sie zum Klettern. Eine Taganroger Schülerin ver-glich später in einem Vortrag vor den FORUM-Gästen die Figu-rengruppe mit den Bremer Stadtmusikanten.

Der späte Nachmittag des ersten Tages endete mit einer Boots-fahrt in der Taganroger Bucht. Die als saisonal erste deklarierteYacht-Ausfahrt gab der Forum-Gruppe Gelegenheit, das aufeinem Kap höher gelegene Stadtzentrum vom Wasser aus beiuntergehender Sonne zu sehen. Zunächst war die See ruhig, spä-ter forderte aufkommender starker Wind den Steuermann, dervorübergehend vom Gütersloher Stefan Bierfischer vertretenwurde. Die FORUM-Gruppe erreichte schließlich erfrischt undberuhigt den Hafen.

Am zweiten Tag stand eine längere Fahrt mit dem Kleinbus aufdem Plan. Zunächst ging es auf einer autobahnähnlichen Straßenach Rostow. Nachdem der immense Autoverkehr bewältigt

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Die Reisegruppe vor dem Café Freken Bok.

Steinerne Treppe mit 199 Stufen.

Denkmal Peter der Große.

Kaschtanka-Plastik

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war, führte eine schon für die in 2018 geplante Fußball-WM gutausgebauten Strecke weiter südlich nach Asow. Die für dasAsowsche Meer namensgebende Stadt ist eine archäologischund historisch bedeutsame Siedlung mit mittelalterlichemFestungscharakter. Im „Historisch-Archäologisch-Paläontologi-schen-Museum“ wurde die FORUM-Gruppe durch die Frühge-schichte der Erde geführt.

Eine bleibende Erinnerung an Asow war der Besuch bei demhistorischen Kosaken-Club „Kosaken-Ruhm“. Bei reichlichenSpeisen und Getränken führten die in traditioneller Trachtgekleideten „Don-Kosaken“ die FORUM-Gruppe in ihre Gesän-ge und Bräuche ein. Die deutschen Gäste fielen schnell in diebegeisterten „Ljuba“-Rufe ein. Das gefiel auch den Kosaken. Ineiner Dank-Mail aus Asow schrieben sie „Wir sind sehr froh dar-über, dass Sie unseren Standpunkt teilen – Freundschaft und Ver-ständnis zwischen den Völkern ist das Wichtigste in der Welt.“Und sie ergänzten diese Grüße mit dem Vers „Wir sind dafür,dass in jedem Haus Kinderlachen zu hören ist, und dafür, dassauf jeden Tisch gutes Brot kommt.“

Singend und musizierend begleiteten die Kosaken die FORUM-Gruppe durch die Stadt zum Rathaus. Dort – und das darf nichtvergessen werden – wurden die Besucher offiziell vom Bürger-meister und seinen engsten Mitarbeitern empfangen. Bürgermei-ster Igor Schtschipelew unterstrich in seiner Begrüßung dieBedeutung des kulturellen Austauschs und war sichtlich erfreutüber den Besuch aus Deutschland. Die Begegnung wurde vonInterviews mit den örtlichen Medien begleitet. Anschließendging es zu den Festungsanlagen mit Pulverkeller und zumFestungswall aus dem 18. Jahrhundert. Die kriegerischen Remi-niszenzen an die Eroberungsfeldzüge des späten Mittelalterswurden erfreulicherweise durch eine strahlende Mai-Sonne

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Sonnenuntergang in der Taganroger Bucht.

Bewirtung im „Krepostnoj-Wal” in Asow.

Beim Club „Kosaken-Ruhm“.

Im Hist.-Archäo-logisch-Paläon-tologischen-Museum in Asow.

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gemildert. Und ein opulentes Mittagsmahl im schmuckenRestaurant „Krepostnoj Wal“ (Wall der Leibeigenen) bildete denAbschluss der bemerkenswerten Tour.

Den Abend verbrachte die FORUM-Gruppe wieder in Taganrog,und zwar im Café „Schokolade“ bei Samowar und Gebäck.Schauspieler und Solisten des Tschechow-Theaters unterhieltendie Gäste mit Zitaten und Musik von und über Tschaikowsky,sowie von Mozart und Salieri.

Der Vormittag des dritten Tages wurden von Schülerinnen undSchülern mehrerer Taganroger Schulen gestaltet. „Deutsch“steht bei allen Schulen hoch im Kurs. Im historischen Tschai-kowsky-Haus begrüßten die Schülerinnen und Schüler unterLeitung von Albina Ishenko die FORUM-Gruppe zunächstmusikalisch.

Danach trugen mehrere Mädchen und Jungen, von Bildernunterstützt, ihre Arbeiten über Vergleiche zwischen Deutschlandund Russland (speziell Taganrog) vor. Beispielsweise wurdenArchitektur und Denkmale anhand von Sehenswürdigkeiten ver-glichen, deutsche Automarken vorgestellt und im russischenStraßenverkehr gezeigt, sowie bedeutsame Personen und Fami-lien verglichen. Die FORUM-Gruppe zeigte nur eine Schwäche:Auf die Frage nach der im Vergleich zu russischen Pop-Gruppenbeliebtesten Pop-Gruppe in Deutschland mussten die deutschenGäste, wohl altersbedingt, passen. Die bemerkenswert herzlicheGastfreundschaft endete mit Geschenken an die deutschen Gästein Form eines Birkenbäumchens, einem der Symbole Russlands.Der Tag endete mit einem Theaterbesuch. Im Tschechow-Drama-Theater gegenüber des Taganroger Rathauses stand dieKomödie „Reine Familiensache“ auf dem Programm. Die Insze-nierung des im englischen Ärztemilieu spielenden Stückes vom

britischen Autor Ray Cooney war nach dem im Stil der Mailän-der Scala dekorierten Theatersaal lustig-anregend. Der mit vie-len Jugendlichen gefüllte Saal applaudierte kräftig. Und diedeutschen Zuschauer hatten trotz fehlender sprachlicher Kennt-nisse auch ihren Spaß an den komödiantischen Details um dieHauptfigur.

Am vierten Tag ging es noch einmal nach Rostow. Jury Dudnik,der Rostower „Kontaktmann“ des FORUM, empfing die Grup-pe und führte zunächst in die Jugend-Musikschule „MeinSchicksal“. Der dortige Direktor Radukowskow gab zunächsteinen Überblick über die Tätigkeiten der Schule. Neben derBeherrschung russischer Volksinstrumente steht aktuell dasAkkordeon im Mittelpunkt der Lehrtätigkeiten. Im diesjährigenRostower Festival „Akkordeon PLUS“ war die Schule sehrerfolgreich. Besonders hervorgehoben wurde Alexander Poelu-ev, der den deutschen Gästen nach den Auftritten junger Akkor-deon-Solisten und eines Volksmusik-Ensembles mit einembewundernswerten Vortrag auf seinem Akkordeon brillierte, ein-

fach Weltklasse! Wie in Russland schon gewohnt, endete derBesuch nicht nur mit einem herzlichen Händeschütteln, sondernmit einem reichlichen Imbiss.

Danach kam der theologische Höhepunkt der Reise. Der Rektordes Don-Priesterseminars, Vater Timofej Fetisov, ist demFORUM schon seit Längerem verbunden. Er führte zunächstdurch die dem Seminar angeschlossene „Kirche des HeiligenSeraphim von Sarow“. Dort erläuterte er besonders die Bedeu-tung der Ikonenmalerei im orthodoxen Kirchenraum.

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Schülergruppe im Tschaikowsky-Haus.

Blick ins Parkett des Tschechow-Drama-Theaters. Timofej Fetisow in der Seminar-Kirche.

Volksmusik-Ensemble in der Rostower Jugend-Musikschule.

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Daran schloss sich ein Gang durch dieWohn- und Ausbildungsstätten des Seminarsan, die neben einer klassischen Bibliothekauch gut mit moderner Technik ausgerüstetsind. Auch Vater Timofej ließ es sich nichtnehmen, die deutschen Gäste in seinem Rek-torenzimmer ausgiebig mit diesseitiger Stär-kung zu versorgen. Gegenseitige Gastge-schenke vertieften die inzwischen sehrpersönlichen Beziehungen.

Zwei Details sollen an dieser Stelle vermerktwerden: Da ist zunächst die emotionaleBetroffenheit einer Reiseteilnehmerin zuerwähnen. Frau Erna Falk aus Ahlen hattenach langen Nachforschungen erfahren, dassihr Vater in den letzten Kriegswochen 1945im Gefangenenlager in Taganrog gestorbensei. Das DRK sowie örtliche Stellen in Tag-anrog konnten Todestag und –ursache, sowiedie mutmaßliche Begräbnisstätte ermitteln.So konnte Frau Falk dank tatkräftiger Unter-stützung der Taganroger jetzt an der Begräb-nisstätte ein Gedenkkreuz für ihren Vater aufstellen. Für sieendete damit eine lebenslange Ungewissheit, wie sie dem Prie-ster in bemerkenswerten Worten schilderte.

Eine zweite Erkenntnis ergab sich für die mit den russischenGebräuchen nicht immer vertrauten Deutschen. Den Damen fielauf, dass bei der Begrüßung der Gäste durch den Priester nur dieHerren mit Handschlag und /oder Umarmung bedacht wurden.Auf die Frage, ob man daraus auf die mindere Bedeutung derFrau schließen könne, gab der Priester den Hinweis, dass es inRussland grundsätzlich nicht üblich sei, dass ein Mann der Frauals Erster die Hand zum Gruß reicht. Er tue das erst dann, wenndie Frau als Erste die Hand anbiete. Alles andere könne als Auf-dringlichkeit des Mannes gedeutet werde. So lernt man immeretwas Neues und vermeidet Missverständnisse. Wie man über-haupt Russland fühlen lernen muss; um das Land richtig zu ver-stehen.

Bevor die FORUM-Gruppe noch am beginnenden orthodoxenGottesdienst in der Seraphim-von- Sarow-Kirche teilnehmenkonnte, kam es zu einer besonderen Aktivität, die von den örtli-chen Presse- und TV-Medien begleitet wurde. Jeder der deut-schen Reisenden durfte in der Allee vor der Kirche ein Bäum-chen pflanzen. Mögen diese bemerkenswerten Symbole fürFrieden und Freundschaft kräftig Wurzeln schlagen und auchkünftige Besucher an die Reise von 2015 erinnern.

Der vorletzte Tag wurde im Wesentlichen von der TaganrogerAdministration gestaltet. Oberbürgermeister Wladimir Prasolovlud zum Empfang in seine Amtsräume. Er gab einen Überblicküber die Taganroger Aktivitäten im Rahmen der vielfältigeninternationalen Beziehungen.

Franz Kiesl hatte Gelegenheit, eine persönliche Grußadresse derGütersloher Bürgermeisterin Maria Unger zusammen mit demBildband „Gütersloh von oben“ zu überreichen. Sein Dankschloss besonders die Unterstützung durch die städtische „Fach-abteilung für Auswärtige Beziehungen“ ein.

Anschließend ging es in das Taganroger Kunstmuseum. EineFührung durch die Gemäldesammlung widmete sich Werken derklassischen Periode. Besonders eindrucksvoll war der Auftritt

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Dem neuen Baum wird erste Nahrung gegeben.

Vor dem Blonskoy-Gemälde „Mädchen am Palmsonntag“.

Beim Oberbürgermeister der Stadt Taganrog.

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kerzengeschmückter Mädchen vor dem Gemälde „Mädchen amPalmsonntag“ von S.I. Blonskoy.

Danach kam es zu einem Treffen mit Swetlana Sergeewa, die inTaganrog die Malschule „Die Erscheinung“ leitet. Bilder dieserMalschule wurden Anfang Mai 2015 auch in der GütersloherMalschule „ARTige Kinder“ von Frau Samsonow gezeigt undausgezeichnet. Die Urkunden von der Gütersloher Ausstellungkonnten von Franz Kiesl an die jungen russischen Künstlerinnenüberreicht werden.

Der Nachmittag wurde individuell verbracht. Einige Studentin-nen der Pädagogischen Hochschule nahmen sich Zeit, um diedeutschen Gäste nach individuellen Wünschen durch ihre Stadtzu führen. Das war für die Gäste angenehm, da sie sprachge-wandte Führer hatten. Und für die Studentinnen war es eine guteGelegenheit, im unmittelbaren Kontakt mit Deutschen nicht nurSprache, sondern auch Interessen und Wesen der Deutschen ken-nenzulernen.

Nach einem freien Vormittag am letzten Tag in Taganrog standein Besuch der Fremdsprachlichen Fakultät an der Pädagogi-schen Hochschule auf dem Programm. Die Leiterin, Frau Prof.Dr. Galina Polenova, und ihre Mitarbeiterinnen hatten dafürgesorgt, dass die Studentinnen und Studenten ein unterhaltsamesProgramm musikalischer und tänzerischer Darbietungen sowiefröhlicher Sketche darbieten konnten.

Und dann kam am Abend der Höhepunkt im Alferaki-Palast. Dasklassizistische Gebäude aus dem 19. Jahrhundert. ist nach einemrussischen Komponisten und Politiker mit griechischen Wurzelnbenannt. Es beherbergt unter anderem ein historisches Museum,welches zunächst im Rahmen einer Führung besichtigt wurde.Die Direktorin, Frau Krupnitzkaja, hatte mit dem Leiter des Tag-

anroger Kammerorchesters Alexander Gurewitsch ein beachtli-ches Konzertprogramm organisiert. Im gut besuchten Festsaalboten Orchester und Solisten einen echten Musikgenuss.

Besonders beachtlich waren die Auftritte der Moskauer Sänge-rin Uljana Karda sowie eines jungen blinden Pianisten. Das„Highlight“ des Abends war schließlich eine Überraschung desDirigenten Gurewitsch. Er lud die FORUM-Gruppe ohne Vor-warnung in sein Orchester ein und stattete sie mit Wasserflötenaus. Das um die ungeübten „Bläser“ erweiterte Orchester into-nierte dann eine meisterliche Frühlingssonate. Da waren selbstdie FORUM-Bläser überrascht, und es gab stürmischenApplaus. Das war die richtige Ausgangs-Stimmung für dasanschließend im Palast-Park vorbereitete „Bierfest“, zu dem dasCatering wieder vom Café Freken Bok kam.

Nach kurzer Nacht endete die Reise zu einer „Perle der russi-schen Kultur“, und auf dem Weg nach Hause lagen wieder rund200 km Erd- und 3000 km Luftweg vor der an Erinnerungen rei-chen Heimkehr. Ein besonderer Dank für alles gebührt an dieserStelle Natalia Petrovskaja als gute Seele und Managerin, sowieDimitrij Kulitschow und Vitalij Lapschitschov, als geduldigeDolmetscher und Führer. Sie alle und die weiteren Freunde imSüden Russlands warten nun auf ein Wiedersehen vom 18. bis25. Mai 2016.

Eine Reiseteilnehmerin schrieb einige Tage nach der Rückkehr:"Mit meinen Gedanken und Gefühlen bin ich immer noch inTaganrog. Alles war für mich ein einmaliges Erlebnis. DieFreundlichkeit, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft der Men-schen, die ich kennenlernen durfte, war unbeschreiblich. Soetwas habe ich in keinem anderen Land erfahren."

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Das Taganroger Kammerorchester unter Alexander Gurewitsch.