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Eine vergleichende biomechanische Analyse zwischen dem leichtathletischen und dem fußballspezifischen Sprint. Mit ent- sprechenden trainingswissenschaftlichen Empfehlungen für (jugendliche) Fußballspieler. BAUDISCH, PHILLIPP B.o.A. Bewegungswissenschaften / Chemie Auftraggeber : Hamburger Sport Verein e.V., Nachwuchsleistungszentrum

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Eine vergleichende biomechanische Analyse zwischen dem

leichtathletischen und dem fußballspezifischen Sprint. Mit ent-

sprechenden trainingswissenschaftlichen Empfehlungen für

(jugendliche) Fußballspieler.

BAUDISCH, PHILLIPP

B.o.A. Bewegungswissenschaften / Chemie

Auftraggeber:

Hamburger Sport Verein e.V., Nachwuchsleistungszentrum

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Baudisch (2011) Biomechanik & Training des fußballspezifischen Sprints

© PhilCorpEx – Sportagentur Baudisch 2

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ............................................................................................................ 3

2 Allgemeines zur Biomechanik ............................................................................ 4

2.1 Grundlagen der Physik: Die Mechanik .......................................................... 4

2.2 Geometrie und Massen des menschlichen Körpers ..................................... 4

2.3 Anatomie des Fußes und Unterschenkel ...................................................... 4

2.4 Physikalische (kinematische & dynamische) Grundlagen bezüglich

sprintanalytischer Vorgänge .................................................................................. 5

3 Der leichtathletische Sprint ................................................................................ 8

3.1 Allgemeine Kinematik und Dynamik: Die Schritt-Phasen des Sprints ........... 8

3.2 Spezielle Kinematik und Dynamik in der Beschleunigungsphase ............... 12

3.3 Spezielle Kinematik und Dynamik der Höchstgeschwindigkeitsphase ....... 14

3.3.1 Besondere dynamische Merkmale ........................................................ 14

3.3.2 Besondere kinematische Merkmale ...................................................... 16

3.4 Aus der Biomechanik resultierende(s) Technikleitbild(er) ........................... 18

4 Der fußballspezifische Sprint im Vergleich mit dem leichtathletischen Sprint .. 20

4.1.1 Aus der Biomechanik resultierende(s) Technikleitbild(er) ..................... 26

5 Diagnostik der Sprint-Technik .......................................................................... 28

6 Steuerung: Trainingswissenschaftlicher Aufbau zur Entwicklung optimaler

Sprinttechnik für (jugendlicher) Fußballspieler ........................................................ 29

6.1 Langfristiges Aufbauprogramm zur Entwicklung biomechanischer

Technikoptimierungen für Fußballer .................................................................... 31

6.1.1 Übungsauswahl: Das Sprint-ABC ......................................................... 31

6.1.2 Allgemeines zu Belastungskennziffern & Ontogenese ......................... 33

6.1.3 Kennwerte der Belastungskennziffern .................................................. 34

6.1.4 Periodisierung ....................................................................................... 36

6.1.5 Konditionelle „Nebeneffekte” des biomechanischen Techniktraining ... 36

7 Diskussion ........................................................................................................ 37

8 Literatur ............................................................................................................ 39

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1 Einleitung

Die Relevanz der Schnelligkeit im Spitzenfußball ist ohne Frage sehr hoch.

Welche Relationen zwischen den Funktionsebenen der 1. Psychomotorik, 2. Sen-

somotorik und 3. Bioenergetik bestehen ist natürlich generell, erst recht aber indivi-

duell, schwer zu sagen. Manche Spieler / Athleten nehmen schnell wahr, reagieren

schnell und handeln auch motorisch schnell. Andere haben Stärken konditionelle

Vorteile im Bereich der Schnellkraft. Manche sind in allen drei Bereichen – psy-

chisch, sensorisch und bioenergetisch - schnell. Zu diesen Faktoren drei genannten

Faktoren, die alle eher im Bereich der Innenansicht motorische Bewegungen anzu-

siedeln sind,1 kommt aber noch ein Vierter: der biomechanische Aspekt, d.h.: u.a.

die technische Ausführung von Bewegungen. Auch sie beeinflusst die Leistung des

Sprintens:

„eine wesentliche Voraussetzung für eine maximale Laufgeschwindigkeit stellt eine perfekte

Lauftechnik dar“ (Weineck, 2007, S. 630)

Die Biomechanik ist Haupt-Gegenstand dieser Untersuchung. Es geht um die

Merkmale fußballspezifischen Sprintens und dem entsprechenden Training dessen.

Somit werden in erster Linie die Außenaspekte der Bewegung analysiert.

Es sollen folgende Fragen geklärt werden:

Welche Unterschiede bestehen zwischen dem leichtathletischen und dem

fußballspezifischen Sprint?

Sind diese Unterschiede aus Sicht des Fußballers von Vorteil oder von Nach-

teil? Sollen die Unterschiede belassen ggf. sogar gefördert werden oder sol-

len sie durch leichtathletisches Training eliminiert werden?

Welche Trainingsempfehlungen leiten sich daraus ab?

Wie lässt sich der Trainingserfolg diagnostizieren?

Welchen Stellenwert hat das Training der biomechanischen Aspekte? Ist der

für Verbesserungen notwendige zeitliche Aufwand in angemessener Relation

zu der generellen Bedeutsamkeit während des Spiels?

„As with other activities, soccer is not a science, but science may help improve performance.“

(Stolen, Chamari, Castagna, & Wisloff, 2005)

„When you can measure what you are speaking about, and express it in numbers, you know

something about it.“ (Kelvin, 2004)

1 Entsprechende Wissenschaftsdisziplinen hierfür sind die Sportpsychologie, die Sportmotorik und die Sportmedizin.

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2 Allgemeines zur Biomechanik

2.1 Grundlagen der Physik: Die Mechanik

Kinematik = Lehre der Bewegungen in Bewegungssystemen, Bewegungsar-

ten, Weg-Zeit-Charakteristika.

Dynamik (bzw. Statik) = Lehre der Kräfte

Dynamik, Kinematik (Statik+Dynamik)

Kraft

Impuls

Vektorenrechnungen

2.2 Geometrie und Massen des menschlichen Körpers

VL 3_1 Mattes

KSP und Schwerelot

Massenverteilung

KSP-Bestimmung

z.B. 53% Rumpf Rumpf-Stabilität wg Massenträgheitsmomenten

2.3 Anatomie des Fußes und Unterschenkel

Wie wir später sehen werden, nimmt die Stützphase eine Schlüsselrolle im Laufen

ein. In der Stützphase ist der Fuß wiederum das zentrale Kontaktelement.

Zink 2007

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2.4 Physikalische (kinematische & dynamische) Grundlagen bezüglich

sprintanalytischer Vorgänge

Da jeder Schritt seine Bedeutung im Gesamtlauf hat, müsste eigentlich jeder Schritt

biomechanisch untersucht werden. Es liegt jedoch auf der Hand, dass dieses ein

enormer Zeitaufwand wäre. Zur Vereinfachung wird der Lauf deswegen in Phasen

aufgeteilt, die sich in ihren kinematischen Merkmalen (Geschwindigkeiten, Fre-

quenzen, Teilzeiten, usw.) unterscheiden. Eine Technikbeurteilung bzw. -

empfehlung muss außerdem immer im Kontext des Individuums gesehen vorge-

nommen werden (Baumann, Schwirtz, & Groß, 1986).

Es gibt im Allgemeinen mehrere Möglichkeiten den Geschwindigkeitsverlauf zu

messen. Erstens über den KPS des Läufers in Laufrichtung, was einem „unvertret-

bar“ hohen Aufwand darstellt (Baumann, Schwirtz, & Groß, 1986).2 Zweitens mittels

der über den Schritt gemittelten Schrittgeschwindigkeiten (=Produkt aus Schrittlän-

ge und –frequenz), was aus Videobeobachtungen möglich ist. Zweckmäßiger ist

die Verwendung von Lichtschranken (z.B. Opto-Jump-System).

Ohne auf alle Autoren mit ihren jeweiligen Vorschlägen zur Laufphaseneinteilung

des 100m-Sprints einzugehen, lässt sich der 100m-Sprint allgemein nach

(Baumann, Schwirtz, & Groß, 1986) in 3 Phasen einteilen: Beschleunigungsphase

(weitere Unterteilungen nötig), Phase maximaler Geschwindigkeit und Phase ab-

sinkender Geschwindigkeit.

Der Laufschritt selbst setzt sich aus Flug- und Stützphase zusammen. Folgende

Merkmale charakterisieren ihn:

Die Stützzeit tSt ist die Dauer des Kontaktes zwischen Boden und Fuß.

Die Flugzeit tFl ist die Dauer der Flugphase des Körpers, beginnend mit dem

Kontaktverlust des einen Beines und endend mit dem Kontaktbeginn des an-

deren Beindes.

Die Schrittdauer: ts= tSt + tFl.

Schrittfrequenz fs = 1/ts [1/sec]

Flugzeit-/Stützzeit-Verhältnis: Quotient tFl / tSt

Schrittlänge lS Distanz der Schuhspitzen in Laufrichtung

Schrittgeschwindigkeit VS=lS x fS [m/s] (gemittelte horizontale Geschwindigkeit

der Fußspitze).

Zur Frage nach dem optimalen Verhältnis von Schrittlänge und Schrittfrequenz

kann trotz zahlreicher Untersuchungen keine allgemeine, individuell übergreifende,

2 Um Technikaspekte zu analysieren, ist dieser Vorgang jedoch unumgänglich (Baumann, Schwirtz, & Groß, 1986)

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Aussage getroffen werden. Wahrscheinlich gibt es in diesem Produkt aber ein indi-

viduelles Optimum (Baumann, Schwirtz, & Groß, 1986)

Insbesondere während der Stützphase lassen sich des Weiteren folgende wesent-

liche Komponenten definieren:

φKSP = Winkel der Verbindungslinie des Körperschwerpunktes und des Fuß-

aufsatzpunktes mit der Vertikalen (i.a. negativ bei Körperrücklage, positiv bei

Körpervorlage)

φK = Kniegelenkwinkel

VFX = horizontale Aufsetzgeschwindigkeit des Fußes

VFY = vertikal Aufsetzgeschwindigkeit des Fußes

Abbildung 1: Komponenten während der Stützphase (Baumann, Schwirtz, & Groß, 1986, S. 9)

Physikalisch logisch weitergedacht resultieren daraus die folgenden Größen:

Px+ = horizontaler Beschleunigungsimpuls

Px- = horizontaler Bremsimpuls

tSt = Stützdauer

tx- = Dauer der Bremsphase

tx+ = Dauer der Beschleunigungsphase

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Abbildung 2: Komponenten während der Stützphase (Baumann, Schwirtz, & Groß, 1986, S. 10)

Die Komponenten während der Schwungphase werden an dieser Stelle vernach-

lässigt, weil die Stützphase und das Training der Stützphase für die Leistung we-

sentlich gewichtiger ist: Die Stützphasen sind „Schlüsselemente des Sprints“, da

nur in ihnen Kräfte für den Vortrieb entwickelt werden können. Deswegen stellt sich

hier die Frage nach technisch optimaler Realisierung. Daran schließt sich die Frage

an, wie die Schwungphasen als „Vorbereitungselemente einer optimalen Stützpha-

se“ dienen können (Joch, 1992)?

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3 Der leichtathletische Sprint

„running occurs on the ground – sprinting occurs over it” (Francis, 1992)

Sprinting means “learn to wait for it” (Francis, 1992)

Was der bekannte Weltrekordtrainer hiermit meinte, soll nun aus wissenschaftlicher

Sicht geklärt werden.

3.1 Allgemeine Kinematik und Dynamik: Die Schritt-Phasen des Sprints

Die Lauftechnik des Sprints unterscheidet sich von der beim langsameren Laufen

deutlich:

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Abbildung 3: Phasen des Sprints mod. nach Bauersfeld/Schröter (Joch, 1992)

Die Bremskräfte können nur minimiert werden, wenn sowohl die Fußaufsatzge-

schwindigkeit als auch die Fußaufsatzrichtung mit der des Bodens synchronisiert

werden.

Abbildung 4: Fußaufsatzrichtung und Fußverlaufskurve mit Schwungamplitude (Joch, 1992, S. 161;

Weineck, 2007, S. 631)

Abbildung 5: Beckenstabilität (Joch, 1992, S. 162)

Wie Abbildung 4 und Abbildung 5 zeigen, ist die Fähigkeit ein stabiles Becken und

einen stabilen Rumpf bilden zu können von überaus großer Bedeutsamkeit. Es ist

ein extrem hoher Zusammenhang zwischen der Beckenposition und der Fußver-

laufskurve und der Fußaufsatzrichtung vorhanden.

Bei EMG-Untersuchungen wird deutlich, welche Rolle die verschiedenen Muskeln

spielen:

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Abbildung 6 „Einsatz der Muskulatur bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ (Weineck, 2007, S. 627)

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Die Stütz- und Schwungphasen beeinflussen sich gegenseitig erheblich: Die Stütz-

phasen ist von der Schwungamplitude abhängig, welche wiederum von der Be-

ckenposition abhängig ist.

Wenn ein Athlet ein stabiles Becken realisieren kann, kann er nun die Bewegungs-

steuerung aus der Hüfte und aus dem Kniegelenk vornehmen. Das Fußgelenk

kann entspannt bleiben (kein sprungbetontes Sprinten).

Der Schritt lässt sich – wie oben bereits erwähnt - also grundlegend in Phasen un-

terscheiden. Der Lauf lässt sich ebenfalls in verschiedene Phasen (nach der Ge-

schwindigkeit differenziert) einteilen: Grundlegend (und für die späteren Fragen im

Bereich des Fußballs relevant) 3 ist folgende Einteilung sinnvoll: 4

Beschleunigungsphase a1 (1. Stütz)

Beschleunigungsphase a2 (2. Stütz)

Beschleunigungsphase a3 (3. Stütz)

Beschleunigungsphase a>4 (> 4.- Stütz) = intensive Beschleunigungsphase

Beschleunigungsphase a>15 (> 15.- Stütz) = pick-up-Phase

Höchstgeschwindigkeitsphase Vmax ~15-25. Stütz

Theoretisch lässt sich nun in jeder Laufphase jede Schrittphase analysieren. Viele

Merkmale würden sich wiederholen bzw. nur in Nuancen unterscheiden. Deswegen

werden die Merkmale nur für die Beschleunigungsphase und die Höchstgeschwin-

digkeitsphase unterschieden (siehe Kapitel 3.2 und 3.3). In der späteren Trainings-

empfehlung sollte jedoch deutlich werden, dass die hier genannten Laufphasen

durchaus eigen Shwerpunkte bzw. Zielstellungen sein können und somit auch ge-

sondert trainiert werden können.

3 Die Phase negativer Beschleunigung spielt in dieser Arbeit keine Rolle. Außerdem der Vollständigkeit halber bemerkt: Der leichtathletische Tiefstart soll eine schnelle Reaktion und eine maximale Beschleuni-gung des Körperschwerpunkts in Laufrichtung ermöglichen. Die Startposition ist durch viele geometrische Merkmale gekennzeichnet, die für diese Arbeit allerdings irrelevant sind. Es sei nur so viel gesagt: Schnelle-re Starter können horizontale Impulse maximieren und vertikale minimieren, was ein Hinweis auf langsame-res Aufrichten des Oberkörpers ist (Baumann, Schwirtz, & Groß, 1986). 4 Andere Autoren unterscheiden zwischen „intensiver Beschleunigung“ und extensiver „pick-up-Beschleunigung“. Die pick-up-Beschleunigung oder transition dient dem Gewinn der Schrittlänge und ist als Übergang von Beschleunigungs- zu Höchstgeschwindigkeitsphase zu sehen.

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3.2 Spezielle Kinematik und Dynamik in der Beschleunigungsphase

Besondere Merkmale, die diese Phase charakterisieren:

Schnell zunehmende Schrittlänge

Oberkörpervorlage (d.h. φKSP) nimmt kontinuierlich ab.5

Kürzer werdende Kontaktzeiten bei gleichzeitiger Zunahme der vertikalen

Kräfte

Geringfügige horizontale Bremsimpulse

Die ersten beiden Stützphasen sind inter- und interindividuell unterschiedlich.

Erst ab dem 3. Stütz kommt es i.d.R. zu einer Reproduktion der Bewegungs-

ausführung Deswegen die Unterteilung a1, a2, a3, a>4

Nahezu volle Kniestreckung

Die Fußverlaufskurve in der Schwungzugphase hat ein wesentliches Charak-

teristikum: Die vordere Schleife ist relativ groß, die hintere Schleife relativ

klein (Weineck, 2007, S. 630)

Abbildung 7: Kinematische und dynamische Merkmale einer A-Kader-Athletin beim 3. Stütz (Baumann,

Schwirtz, & Groß, 1986, S. 10)

5 Top-Athleten beginnen mit 11° beim ersten Schritt und sind beim 3. Schritt bei 7° (Baumann, Schwirtz, & Groß, 1986, S. 10)

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Abbildung 8: Kinematik und Dynamik der ersten 3 Stützphasen nach dem Start (Baumann, Schwirtz, & Groß,

1986, S. 11)

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3.3 Spezielle Kinematik und Dynamik der Höchstgeschwindigkeitspha-

se

„I know I am not working having an optimal race when I can feel my quadriceps working. During

an optimal run I do not feel my quadriceps. I feel my hamstrings as my legs are flying under-

neath me. Then I know I am holding the sprint position.” – Desai Williams (Francis, 1992, S. 22)

Wenn man sich die Frage nach einer guten Sprint-Technik stellt, würde einem zu-

erst die Phase der Höchstgeschwindigkeit als Untersuchungsgegenstand einfallen.

Das hat guten Grund, denn genau in dieser Phase wird am deutlichsten der Unter-

schied zwischen dem langsamen und dem schnellen Laufen (Sprinten) deutlich.

Abbildung 9: Schematische Darstellung der Stützphase bei gleichförmiger Geschwindigkeit (Baumann,

Schwirtz, & Groß, 1986, S. 12)

3.3.1 Besondere dynamische Merkmale

Auftreten positiver und negativer Beschleunigungen in der Stützphase. In der

Gesamtbilanz überwiegt positiver Horizontalimpuls

Die horizontale Kraft ist zunächst als Bremskraft entegen der Laufrichtung

gerichtet mit einem zweigipfligen Verlauf. Der zweite Gipel variiert i.d.R. in

seiner Größe stärker, ist aber meist kleiner als der erste. Die sich daran an-

schließende beschleunigende horizontale Kraft ist vom Verlauf her gleichmä-

ßiger

Die Maxima der horizontalen Kräfte liegne im Bereich der Körpergewichts-

kraft

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Die maximalen vertikalen Kräfte Fy betragen das 3-3,5fache des Körperge-

wichts. Dies sollte im Bereich der Verletzungshistorie bzw. –prophylaxe eines

Athleten Beachtung finden

Ein parabelförmiger Kurvenverlauf der vertikalen Kraft ohne Einbrüche und

ohne Abflachungen im Maximum ist ein Kennzeichen der zweckmäßigen

Ausführung. So entspricht die Kraft einem Abprallen eines Balles vom Boden

mit nahezu symmetrischem Stoßkraftverlauf.

Das Verhältnis von horizontalem Bremsimpuls zu Beschleunigungsimpuls

(Px- / Px+ x 100)

Der relative Anteil der Bremsdauer (~ 45%) wird mit zunehmender Laufge-

schwindigkeit kleiner, was sich besonders bemerkbar macht, da die gesamte

Stützdauer geringer wird

Mit zunehmender Laufgeschwindigkeit nehmen alle Kräfte zu!

Eine gute Lauftechnik würde „die Verminderung des Bremsimpulses bei Ver-

größerung der horizontalen Bremskraft auf Kosten der Bremsdauer“ bedeu-

ten (Baumann, Schwirtz, & Groß, 1986, S. 14). D.h.: ein Athlet muss sehr

kräftig sein und diese Kraft in kurzer Zeit realisieren können.

Stützphase tSt ~ 100ms nur relativ kurze Zeit zur Übertragung maximaler

vertikaler Kräfte. Das Boden-Schuh-Bein-System muss daher ziemlich steif

sein.6

Entscheidend ist die Fußaufsatzgeschwindigkeit relativ zum Boden eine

negative Geschwindigkeit (in Laufrichtung) des Fußaufsatzes (durch aktives

Zurückführen, „greifen“, „aktiven Fußaufsatz“) begünstigt somit schon beim

ersten Bodenkontakt die summierte horizontale Geschwindigkeit des KSP in

Laufrichtung

Die Aufsetzgeschwindigkeit des Fußes ist in horizontaler Richtung relativ

zum KSP nach hinten gerichtet (8-9 m/s), relativ zum Boden in Laufrichtung

zeigend

Die vertikale Komponente VyFuß ist ein Maß für das aktive Fußaufsetzen

Wesentlich ist die Übertragung der horizontalen Kräfte zwischen Fuß (Schuh)

und Boden. 7 Wesentlich ist hier die Vorspannung der Streckmuskulatur

von Fuß, Knie und Hüfte. Je gestreckter das Kniegelenk, desto steifer kann

das Bein sein.

Je größer die Körperrücklage, desto höher die Bremskräfte. KSP zu Beginn

der Stützphase leicht in Rücklage, nach ~ 25% tSt passiert der KSP das Lot

Rumpf-, Schulter und Halsmuskulatur sind antagonistisch entspannt

6 Deswegen sind härtere Laufbahnen günstiger für gute Sprintleistungen 7 Die Verwendung von Spikes eliminiert Reibungsprobleme und ermöglicht eine bessere Übertragung der horizontalen Kräfte

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Abbildung 10: Kraftzeitverläufe in horizontaler und vertikaler Richtung von Stützphasen bei hoher Laufge-

schwindigkeit (Baumann, Schwirtz, & Groß, 1986, S. 14)

3.3.2 Besondere kinematische Merkmale

Wie oben zitiert sind die Schwungphasen „Vorbereitungselemente einer optimalen

Stützphase“ (Joch, 1992). Doch welche kinematischen Verläufe machen biome-

chanisch Sinn?

In der hinteren Schwungphase ist es wichtig, dass 1. eine Relaxation des

Antagonisten stattfindet und 2. durch ein korrektes und effektives Anfersen

ein optimaler Kniehub vorbereitet wird. Aus kinematischer Sicht ist hier be-

sonders die Fußverlaufskurve entscheidend: eine zu große „Schleife“ ist in al-

ler Regel kontraproduktiv. Durch ein maximales Anfersen (in exakt dem Mo-

ment, wenn das Schwungbeinknie das Stützbein überholt) wird die

Schwungmasse verlagert, was für eine begünstigte Massenträgheit zur Folge

hat. Das Massenträgheitsmoment wird durch einen spitzen Kniewinkel in der

Schwungphase verbessert und der Winkel sollte erst spät geöffnet werden

(Weineck, 2007, S. 632).

Der Fuß sollte locker und entspannt auspendeln.

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Die vordere Schwungphase (beginnend ab dem Vertikalmoment des KSP,

d.h.: φKSP = 0) sichert die Schrittlänge, bereitet die aktive Landung vor und

dient dem Aufbau der oben bereits mehrfach erwähnten wichtigen Vorspan-

nung der ischiocruralen Muskulatur. Wirkungsvoll wird diese Phase, wenn

der Kniehub aktiv und schnell mit spitzem Kniewinkel unterhalb der Waage-

rechten ist. Der Unterschenkel pendelt weit nach vorne und wird aktiv zu-

rückgeführt („greifen“).

Die Füße setzen nur auf dem Vorfuß, meist im Bereich der Zehengrundge-

lenke auf der lateralen Seite mit dem Fuß in Supinationsstellung auf. Nur so

kann die vertikale Kraft optimal entfaltet werden. So treten auch keine Kraft-

spitzen auf. Außerdem zeigen die Füße nach vorne.

Kniewinkelstreckung geringer als in Beschleunigungsphase (ca. 155-160°)8

Kniewinkel beim Aufsatz leicht gebeugt (~17°)

Kniewinkel unterliegen allerdings erheblicher individueller Unterschiede, ob-

wohl die Laufgeschwindigkeiten gleich sind (Baumann, Schwirtz, & Groß,

1986, S. 13)

Über den ganzen Laufschritt (einschließlich Flugphase) gemittelt, gleichen

die vertikalen Kräfte die Gewichtskraft des Körpers aus KSP verändert

seine vertikale Lage nicht (!). d.h.: nicht in Hüfte abknicken

Die Hüfte wird schnell über den Fußaufsatzpunkt gebracht

Wechselseitige Armarbeit in Laufrichtung bei ca. 90°- Ellenbogenwinkel

Die Schultern sind entspannt

Die Arme gelangen etwa in Höhe des Gesichts

8 Laut Letzelter (2004, 27,29) strecken schnellere Sprinter das hintere Bein in geringerem Maße (Werte über 160° gelten als ungünstig und haben eine geringere Kniewinkeländerung während der Stützphase als Schwächere, was dem Zeitgewinn dienst (Weineck, 2007, S. 632)

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Abbildung 11: Kinematische und dynamische Merkmale der Stützphase bei gleichförmiger Geschwindigkeit

(n=8: 7 Männer, 1 Frau, Nationale Spitzenklasse, Analyse nach 40m) (Baumann, Schwirtz, & Groß, 1986, S.

12)

3.4 Aus der Biomechanik resultierende(s) Technikleitbild(er)

Trotz homogener anthropometrischer Merkmale und homogenen Leistungen der

VP in der Untersuchung von Baumann et al. (1986), sind dennoch große Variatio-

nen der kinematischen Merkmale festzustellen. Somit dienen diese Werte gewis-

sermaßen als „Orientierungsdaten“.

Für einen optimalen Schritt in der Höchstgeschwindigkeitsphase sind bislang zu

wenige Zusammenhänge entscheidender Kenngrößen (u.a. muscle stiffness, elas-

tische Eigenschaften des Muskel-Sehnen-Komplexes, Speicherung der Energie)

bekannt, um eine optimale Technik beschreiben zu können (Baumann, Schwirtz, &

Groß, 1986, S. 12).

Es gibt also bislang keine perfekte Lauftechnik, aufgrund der Berechnung kinemati-

scher Merkmale. Wohl gibt es aber allgemein gültige konditionelle und koordinative

Leistungsparameter, die es zu trainieren gilt. Dazu zählen z.B. Beckenstabilität,

Kraftparameter der leistungsrelevanten Muskelgruppen oder die koordinative Fein-

motorik.

Deswegen werden speziell neue Weltrekordler gerne als Versuchspersonen analy-

siert. Die Gemeinsamkeiten in der Dynamik und Kinematik bestätigt trainingswis-

senschaftliches Vorgehen, die Unterschiede lassen dagegen vornehmlich Biome-

chaniker gewissermaßen verzweifeln, Trainingswissenschaftler hingegen sich als

bestätigt sehend.

Im Bereich der Dynamik sind hingegen sprinttypische Verläufe feststellbar, die inso-

fern geeigneter für trainingswissenschaftliche Fragestellungen sind. Somit ist die

Dynamik ein geeignetes diagnostisches Feld. Die Möglichkeiten hierzu werden in

Kapitel 5 dargestellt.

Weineck beschreibt diesen Umstand auch in neuerer Zeit:

„Spitzenleistungen sind im Sprint trotz großer Unterschiede in der Lauftechnik möglich. Es gibt

demnach kein Idealbild, das für alle Sprinter gleichermaßen gelten würde. Dennoch bewegt sich

die Idealtechnik in Korridoren, deren Überschreitung als Fehler zu werten wäre“ (Weineck,

2007, S. 632)

Die „Korridore“ gilt es also zu kennen, um weder durch Coaching-Anweisungen

über- oder unterzusteuern. Hier kommt dem Trainer eine große Bedeutung zu.

„Ben Johnsons‟s left knee carries out to the side when he runs. So what?...that is not a limiting

factor – for him!” (Francis, 1992, S. 14) 9

9 Charlie Francis trainierte Ben Johnson und andere Weltrekordler

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Speziell bei dem Lauftraining von Fußballern, gilt es nicht überzusteuern, sondern

lediglich im Gesamtkontext nutzbringende Dinge zu korrigieren.

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4 Der fußballspezifische Sprint im Vergleich mit dem leicht-

athletischen Sprint

„Beachten Sie: Der Sprintlaufstil der Spielsportler unterscheidet sich aufgrund der unterschiedli-

chen Zielstellung in einigen Punkten wesentlich von dem eines leichtathletischen Sprinters. Der

Spieler ist ein Kurzbeschleuniger, der in Abhängigkeit von der Spielentwicklung (Ballbesitz,

Ballverlust, Ballgewinn) stets mit gegnerbedingten Richtungswechseln rechnen muss. Seine

Schrittlänge – und damit verbunden seine Flugphase – muss demnach stets relativ kurz sein,

um zu jedem Zeitpunkt eine Kehrtwende zu ermöglichen!“ (Weineck, 2007, S. 631)

„Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem leichtathletischen Sprint und dem Sprintverhalten

im Fußball bzw. vergleichbaren Teamsportarten (Rugby, Football) liegt in den Unterschieden im

Laufstil bzw. in der Körperpositionierung bei den fußballtypischen Bewegungsaktivitäten. Cha-

rakteristisch für das Bewegungs- und Sprintverhalten von Athleten aus Teamsportarten (Fuß-

ball, Rugby etc.) sind vor allem der relativ niedrigere Körperschwerpunkt und der geringere

Kniehub. Der niedrigere Körperschwerpunkt und die damit einhergehende vorgeneigte Rumpf-

positionierung scheint für den Fußballspieler Vorteile im Hinblick auf die ständige Bereitschaft

zur schnellen Änderung der aktuellen Aktion (z.B. Balleroberung vom Gegner, Lauftempovaria-

tion, Richtungsänderung, Tackling) zu haben.“ (Schlumberger, 2006)

Diese Zitate beschreiben, warum die Unterschiede bestehen. Interessant ist es

nun, zu ergründen, welche Punkte zu den „einigen Punkten“ zählen, die sich unter-

scheiden. Ob der Schritt „stets relativ kurz“ sein soll ist eine noch zu klärende Fra-

ge. Wie Schlumberger (2006) schreibt „scheint“ es Vorteile zu haben.

Ich plädiere an dieser Stelle für eine spielsituative Unterscheidung zwischen a) ei-

ner Situation mit wahrscheinlichem Überraschungsmoment und b) einer Situation

mit eher unwahrscheinlichem Überraschungsmoment (z.B. ein Laufduell oder ein

Freilaufen). Die Situationen der ersten Kategorie kommen im Fußball sicher häufi-

ger vor. Die zweite Kategorie ist aber in meinen Augen nicht weniger entscheidend.

Auch die Spielposition sollte in dieser Frage nicht unbeachtet gelassen werden.

Die Henne-Ei-Frage ist an dieser Stelle auch nicht unerheblich – was ist zuerst da?

Denn um eine korrekte Sprint-Position erreichen zu können, braucht der Athlet eine

gute Kraftausprägung der dafür entscheidenden Muskulatur. Da Fußballer diesen

Athletik-Aspekt i.d.R. im Jugendtraining nicht beachten, ist es nur folgerichtig, dass

ein Fußballer die Sprintposition gar nicht halten kann – mal unabhängig von der

Frage, ob das überhaupt Sinn macht. Auf der anderen Seite bewirkt das korrekte

Laufen selbst eine entsprechende Ausprägung der Muskulatur (besonders auffällig

im Beriech der hamstrings). Diese Fußballer-Athletik ist meiner Meinung nach eher

eine durch einen Trainingsmangel bedingte Schwäche, als eine sportartspezifische

Stärke, wie das Weinecks Aussage impliziert (vorausgesetzt man teilt meine grund-

legende Aufteilung von Spielsituationsmomenten).

Neben der augenscheinlichen Tatsache, dass im Fußball nicht nur geradeaus ge-

laufen wird, gibt es einige biomechanische – ich nenne sie – Auffälligkeiten, die den

Begriff „fußballspezifisches Sprinten“ begründen. Ob diese Auffälligkeiten nun für

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Fußballer ein Vorteil sind oder aber ein eklatantes Problem darstellen, soll nun er-

örtert werden. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit – wie gewöhnlich – in der Mitte…

Die nun dargestellten Auffälligkeiten beziehen sich auf das Geradeauslaufen:

Niedriger KSP, niedrige Beckenposition

Vorgeneigte Rumpfpositionierung

Geringer Kniehub

Keine „ziehendes Laufen“

Keine schnelle Hüftstreckung bzw. oft nur mangelhafte Hüftstreckung. Meis-

tens sogar aufgrund verkürzter Muskeln gar nicht realisierbar. 10 Somit „fällt“

der Läufer auf den Schritt und wird langsamer

Füße rotieren oft, zeigen nicht gerade nach vorne

Wie oben erwähnt sind „die Beschleunigungsphase[n] [in der Leichtathletik] dem-

entsprechend ein ‚Mittel zum Zweck„ [=dem Erreichen der Höchstgeschwindigkeit]“.

Nach dieser Definition bewegen sich Fußballer allerdings nahezu nie im Sprint – sie

bewegen sich vornehmlich in der Beschleunigungsphase. Das ist so, weil der

„Zweck“ nicht das Erreichen maximaler Geschwindigkeiten ist, sondern das Errei-

chen des Balles bzw. der gewünschten Position im Raum. Wer das außer Acht

lässt, läuft Gefahr aus Fußballern Leichtathleten machen zu wollen. Es stellt sich

also die Frage nach sinnvollem Schnelligkeitstraining im Fußball umso mehr. Aller-

dings gilt diese Aussage für das statistische Mittel. „Statistische Extreme“ auf dem

Fußballplatz, d.h.: längere Sprints und Sprints im Höchstgeschwindigkeitsbereich

(auch nach Steigerungen und Re-Akzelerationen), sind zwar seltener (Flügelspie-

ler), aber dafür vielleicht spielentscheidend. Ein positionsbezogenes Schnelligkeits-

training könnte (bzw. sollte im Herrenbereich) somit evtl. eine Überlegung sein.

Leider fehlt in der aktuellen wissenschaftlichen Literatur eine spezielle, d.h. eigens

für diese Fragestellung designierte, Studie darüber, wie oft Sprints aus Steige-

rungsläufen bzw. aus dem schnellen Lauf heraus erfolgen. Natürlich sprintet ein

Fußballer zu 96% im Streckenbereich unter 30m (Stolen, Chamari, Castagna, &

Wisloff, 2005), doch wird bei solchen Werten nicht erfasst, was der Spieler vorher

tat. Bei einem Konter mag es durchaus vorkommen, dass eine Spieler eine längere

Distanz im schnellen Lauf zurücklegt und für kurze Zeit in den Sprint geht. Dann

würde er sogar im Höchstgeschwindigkeitsbereich laufen. Für gewisse Spieler-

Typen und Spielpositionen lässt sich das vermuten und beobachten.

In einer Untersuchung von Broich (2009) an Profi-Spielern wird zwischen 6

Geschwindigkeitsintervallen unterschieden:

Intervall 1 „Traben“: 0-11,0 km/h

Intervall 2 „Joggen“: 11,1-14,0 km/h

Intervall 3 „Moderates Laufen“: 14,1-17,0 km/h

10 Auch Sprinter haben tendenziell verkürzte Hüftbeuger. Das führt zu Problemen im Bereich der Beckenkippung. Somit besteht hier ein ähnliches Problem in beiden Sportarten. Nur dass im Fußball i.d.r. nicht daran gearbeitet wird.

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Intervall 4 „Schnelles Laufen“: 17,1-21,0 km/h

Intervall 5 „Rennen“: 21,1-24,0 km/h

Intervall 6 „Sprinten“: >24,0 km/h

Die Frage ist an dieser Stelle: Aus welchem Intervall geht der Spieler in den Sprint.

Es ist natürlich ein entscheidender Unterschied, ob der Spieler aus dem Stand

(0km/h) oder aus dem schnellen Lauf (z.B. 20 km/h) heraus einen 20m Sprint ab-

solviert. Einmal reden wir über eine intensive Beschleunigung, einmal reden wir

über einen Steigerungslauf mit anschließender Höchstgeschwindigkeitsphase.

An 17 Lizenzspielern einer Bundesligamannschaft ermittelte Broich (2009) die Zu-

sammenhänge und ihre Korrelationen. Dabei stellte er fest, dass „die mittleren

Laufdistanzen untereinander jeweils signifikant mit dem nächst höheren Geschwin-

digkeitsintervall [korrelieren]“:

Abbildung 12 „Korrelationskoeffizienten r zwischen den mittleren Laufdistanzen pro Spielminute in sechs

Geschwindigkeitsintervallen. Mit Stern markierte Koeffizienten sind statistisch signifikant (p < 0,05).“ (Broich,

2009, S. 33)

Das belegt, dass Spieler also sehr wohl aus dem schnellen Lauf häufiger in den

Höchstgeschwindigkeitsbereich kommen:

Allerdings gilt es zu erwähnen, dass die Dimension zwischen Fußball und Leicht-

athletik im Maximalgeschwindigkeitsbereich völlig andere sind.

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Abbildung 13: Beziehung der mittleren Laufdistanzen zwischen Intervall 4 (17,1-21,0 km/h) und Intervall 6

(>24,0 km/h). Die Abbildung stellt eine positive Korrelation mit r = 0,49 und p < 0,05 dar. (Broich, 2009, S.

34)

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Abbildung 14: Zusammenhang der mittleren Laufdistanzen zwischen Intervall 5 (11,1-14,0 km/h) und Inter-

vall 6 (14,1-17,0 km/h). Der Korrelationskoeffizient ist mit r = 0,86 positiv und p < 0,01 signifikant. (Broich,

2009, S. 34)

Top-Sprinter bewegen sich maximal mit nahezu 46km/h. Das wäre natürlich für ei-

nen Fußballer nicht verwerflich, aber ist weder Ziel, noch realistisch…Die Differen-

zierung in Broichs Studie ist meiner Meinung nach aber nicht optimal für die Be-

antwortung der oben aufgeworfene Fragestellung: >24km/h (=>6,67m/s) sind zwar

im Fußball durchaus als „Sprint-Bereich“ klassifizierbar. Allerdings erreichen

schnelle Fußballer auch Werte über 10m/s (=36km/h). Deswegen fehlen an dieser

Stelle meiner Ansicht nach entsprechende Detailwerte und Studien.11 Allerdings

lässt sich durch diese Korrelationen (speziell zwischen dem Intervall 5 und 6)

vermuten, dass Steigerungsläufe und Tempowechselläufe durchaus vor-

kommende Elemente im Fußball sind.

Auch quantitativ bewegen sich Fußballer bei Gesamtumfängen von 8-12km pro

Spiel (Reinhold, 2008, S. 22) relativ häufig im Bereich des „schnellen Laufens“ (14-

23km/h), was zu dieser Vermutung passt:

11 Deswegen stellt Broich auch keine Unterschiede im Laufprofil zwischen den verschiedenen Spielpositio-nen fest.

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Abbildung 15: „Mittlere Laufdistanzen ± Standardabweichung in verschiedenen Geschwindigkeitsintervallen

in Fußballspielen in der Primera División und 1. Fußball-Bundesliga. Die abgebildeten Werte basieren auf

dem Spielanalysesystem „Amisco Pro“ und beziehen sich auf die Untersuchung von di Salvo et al. (2007)

(hellgrau) und der eigenen Untersuchung (dunkelgrau). Die mit Stern markierten Werte stellen die Ergebnis-

se in identischen Geschwindigkeitsintervallen in beiden Untersuchungen dar.“ (Broich, 2009, S. 36)

Aber wie gesagt: „Es sind jedoch weitere umfangreiche Datensätze vorhanden, die

angesichts der hier geschilderten ersten Tendenzen intensivere Auswertungen als

sinnvoll erscheinen lassen“ (Broich, 2009, S. 36). Eventuell kann dadurch die Be-

deutsamkeit von Maximalgeschwindigkeitsläufen besser eingeschätzt werden.

Seit Saison 2011/12 gibt es differenziertere Auswertungsmöglichkeiten. Die Bun-

desliga nutzt GPS-Technik der Firma Impire AG.12.13 Vielleicht bringen diese Da-

ten genau die erhofften Ergebnisse. Die Datenbank ist somit sicherlich vorhanden –

sie müsste nur entsprechend ausgewertet werden.

„Die positiven Korrelationen zwischen den Geschwindigkeitsintervallen 2 (11,1–14,0 km/h) und

3 (14,1–17,0 km/h), 3 (14,1-17,0 km/h) und 4 (17,1-21,0 km/h), 4 (17,1-21,0 km/h) und 5 (21,1-

24,0 km/h) sowie 5 (21,1-24,0 km/h) und 6 (>24,0 km/h) verdeutlichen, dass Spieler, die sich

vorwiegend im niedrigeren der beiden Geschwindigkeitsbereiche bewegen, auch den nächst

höheren Bereich bevorzugen. Darüber hinaus zeigt die positive Korrelation zwischen dem 4.

(17,1-21,0 km/h) und 6. (>24,0 km/h) Geschwindigkeitsintervall, dass auch Spieler, die sich

überwiegend im Geschwindigkeitsbereich zwischen 17,1-21,0 km/h aufhalten, besonders auch

im Bereich > 24km/h zu finden sind. Hingegen zeigt die negative Korrelation zwischen den Ge-

schwindigkeitsintervallen 1 (0-11,0 km/h) und 6 (>24,0 km/h), dass Spieler, die sich vornehmlich

im Bereich zwischen 0-11,0 km/h bewegen, sich selten in dem Höchstgeschwindigkeitsbereich

aufhalten und umgekehrt. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass einzelne Spieler be-

stimmte Geschwindigkeitszonen (hoch-mittel-niedrig) mit den verbundenen Laufstrecken bevor-

zugen. Auf diese Weise sind individuelle Charakterisierungen möglich, die bis dato mit anderen

Spielbeobachtungssystemen nicht erstellt werden konnten. Daraus lassen sich unmittelbar

12 http://www.bundesliga-datenbank.de/index.php?topic=Unternehmen 13 Abrufbar unter: www.bundesliga.de. Allerdings wird dort momentan nur zwischen „Sprint“ und „intensiven Läufen“ unterschieden. Aber durch die GPS-Technik müssten entsprechende Auswertungen genauer Bezie-hungen möglich sein.

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Konsequenzen für die bessere Beurteilung der Spielerleistung und das Training ableiten.“

(Broich, 2009, S. 37)

Die ableitbaren Konsequenzen betreffen natürlich das Schnelligkeitstraining mit

u.a. auch der Frage ob und in welchem Umfang Maximalgeschwindigkeitstraining

durchgeführt werden sollte und natürlich das fußballspezifische Ausdauertraining.

Im Rahmen der Fragestellung dieser Arbeit sind das in jedem Fall interessante

Hinweise, um sich zu überlegen, ob bzw. in welchem Umfang man im Jugendalter

auch die biomechanischen Aspekte des Laufens schult.

4.1.1 Aus der Biomechanik resultierende(s) Technikleitbild(er)

Wie in Kapitel 3.4 festgestellt, gibt es selbst in der Leichtathletik lediglich „Korrido-

re“ einer perfekten Lauftechnik. Dementsprechend wäre es umso mühsamer versu-

chen zu wollen, das viel komplexere Laufverhalten eines Fußballer mit einer theo-

retischen Optimaltechnik zu versehen. Schon der Versuch dessen, kann eigentlich

nur als Opportunismus gewertet werden.

Ich möchte an dieser Stelle auf die fußballspezifischen Auffälligkeiten beim Lauf

eingehen:

Der niedrige KSP: Man könnte diesen als einen Kompromiss zwischen schnellem

Geradeauslaufen und der Bereitschaft eines unerwarteten Richtungswechsels be-

schreiben.

Die vorgeneigte Rumpfposition: Sie ist dadurch bedingt, dass der Fußballer fast

ausschließlich in der intensiven Beschleunigungsphase agiert. Durch jahrelange

Gewöhnungseffekte, kann diese Position natürlich nicht urplötzlich aufgelöst wer-

den, weil der Spieler „zur Abwechslung“ mal im Höchstgeschwindigkeitsbereich

läuft. Für diesen ist diese Position zwar ungünstig. Es stellt sich hier die generelle

Kosten-Nutzen-Frage in der Überlegung, wie viel Trainingszeit man dafür investiert

und welchen Nutzen es dem Spieler (in den wenigen (?) Situationen) bringt.

Der geringe Kniehub: Verkürzte Muskeln und mangelndes Training sind hier zu

nennen. Fakt ist, dass ein hoher Kniehub immer einen Schrittlängengewinn zur

Folge hat. Das ist auch in der Beschleunigungsphase wichtig und sollte trainiert

werden. Die Frequenz ist davon nicht negativ betroffen, wenn sie trainiert wird.

Durch die vielen Drehungen in nicht maximalen Amplitudenbereichen ist wahr-

scheinlich der Grund für diese Auffälligkeit zu finden, u.a. durch verkürzte Muskula-

tur.

Kein ziehendes Laufen: Das aktive Zurückführen und die Sprintposition zu halten,

ist eine der größten Schwierigkeiten beim Erlernen einer sauberen Sprinttechnik.

Fußballer haben an dieser Stelle überhaupt keine Ambitionen. Es würde aus mus-

kulären Gründen natürlich nicht schaden, die ischiocrurale Muskulatur zu schulen,

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doch steht der Zeitaufwand hier nicht zum Nutzen in Relation. Ich würde diesem

Aspekt keinen Schwerpunkt beimessen.

Die mangelnde Hüftstreckung ist Ähnlich zu bewerten, wie der geringe Kniehub.

Eine gute Hüftstreckung hilft extrem bei der Beschleunigung und sollte auch ein

Trainingsziel für Fußballer sein.

Die Fußrotation: Fußballer setzen in den meisten Fällten nicht mit gerade Füßen

auf und auch nicht mit dem Vorfuß in Supinationsstellung. Das ist auch überhaupt

nicht möglich, da es dafür im Fußball schon von den Untergrundverhältnissen und

dem Schuhwerk her nicht möglich ist. Dementsprechend sollte darauf auch kein

Fokus gelegt werden. Allerdings hat dieser Umstand das Problem zur Folge, dass

die Fußgelenkmuskulatur (Streckung und Beugung) mangelhaft ausgebildet ist.

Dieses durch vertikale Sprünge zu schulen, könnte dennoch nicht unbedeutend

sein, weil vertikale Sprünge (z.B. Kopfball) natürlich dennoch vorkommen. Da aber

diese Sprünge überwiegend aus der gesamten Beinstreckkette realisiert werden,

stellt sich auch hier die Kosten-Nutzen-Frage.

Warum der Fußballer so läuft wie er läuft lässt sich aus meiner Sicht nicht mit abso-

luter Sicherheit sagen. Es könnte sich im laufästhetischen Sinne um eine „Krank-

heit handeln“ oder aber eine nutzbringende Modifikationen der leichtathletischen

Technik. Oder eben ein Mischung aus beidem…

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5 Diagnostik der Sprint-Technik

„Die Aussgekraft der Dynamik ist höher zu bewerten, als die der Kinematik“ (Baumann,

Schwirtz, & Groß, 1986, S. 15)

Berechnung der Schrittgeschwindigkeit möglich: Schrittlänge x Frequenz t= s/v

Gutes Auge kann das sehen!

Kinematikanalysen = KINEMETRIE.

Problem: Es gibt kein interindividuelles Leitbild. Dynamische Merkmale sind für

eine größere Gruppe von Athleten sinnvoller und praktikabler.

Top-Spieler mit gesonderter LD?!

KINEMETRIE –

Kinemetrie mit Highspeed-Kamera-system

KIMEMATOGRAFIE (via Filmkamera=Videografie)

Zeichenkinegramme

Der Trainer

Auge des Trainers

Ohren des Trainers

Kinemtrie: Chronometrie (parallel)

Dynamometrie: EMG

Technikanalyse: Bestimmung KSP (für Vertikalmoment)

VL 6 Spomo Bewegungsbeobachtung Mattes

Testverfahren der Biomechanik

Folien Mattes VL Untersuchungsmethoden + VL

Optische Verfahren

Chronometrie (Trennschärfe zur Technik problem)

Ein entscheidender Faktor ist somit ein gutes Auge des Trainers in Bezug auf das

Individuum, das er trainiert. Daran gekoppelt sollte eine bestätigende Leistungsdi-

agnostik (vornehmlich im Bereich der Dynamik) vollzogen werden.

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6 Steuerung: Trainingswissenschaftlicher Aufbau zur Ent-

wicklung optimaler Sprinttechnik für (jugendlicher) Fußball-

spieler

Es ist an dieser Stelle wichtig eine zwingende Unterscheidung zwischen 1. Agility,

2. Repeated sprint ability (RSA) und 3. dem Linearsprint zu erwähnen.

Dass eine Unterscheidung nötig ist, zeigen mehrere Befunde an englischen Profi-

Spielern, bei denen nicht einmal eine Korrelation zwischen dem linearen Sprint und

Sprints mit Richtungswechseln nachweisbar ist (Schlumberger, 2006; Wisloff,

Castagna, Helgerud, Jones, & Hoff, 2004). Auch konnte durch ein Training im linea-

ren Sprint kein Verbesserung der agility erzielt werden und umgekehrt

(Schlumberger, 2006; Young, McDowell, & Scarlett, 2001; Little, 2005)

Das Training von Richtungswechseln (Agility) ist meiner Meinung nach nicht

zwingend notwendig, da die agility-Fähigkeit durch das Spielen selbst wahr-

scheinlich am effektivsten trainiert wird.

Die Fähigkeit der repeated sprint ability (RSA) liegt im Grenzbereich zwischen der

Schnelligkeit und der fußballspezifischen Ausdauer. Inwieweit man diese als Trai-

ningsschwerpunkt trainieren möchte, ist eine Frage der Trainingswissenschaft.

Wichtig ist an dieser Stelle zu verstehen, dass es unterschiedliche Bereiche sind

und der Trainer sich entscheiden muss, was er eigentlich trainieren möchte.

In den nachfolgenden Empfehlungen geht es nur um den langfristigen Aufbau

eines Techniktrainings (Fertigkeitsentwicklung), um die biomechanischen

Qualitätsmerkmale im Linearsprint - mit speziellem Fokus auf die Beschleu-

nigungsfähigkeit - zu verbessern. Es werden anschließend in Kapitel 7 Vor-

und Nachteile dessen (Berechtigung) diskutiert. Es geht also nicht primär um

das Training der konditionellen bioenergetischen Schnelligkeitsaspekte (ob-

wohl dieses ein Nebeneffekt ist), sondern eben um ein Training aus biome-

chanischer Betrachtungsweise heraus.

Wie in Kapitel 4 erläutert, gibt es wesentliche Unterschiede und Gemeinsamkeit

zwischen der Leichtathletik und dem fußballspezifischen Sprinten. An dieser Stelle

soll nun aufgelistet werden, welche Bereiche sinnvollerweise im Fußball trai-

niert/kompensiert werden und welche eher Zeit kosten und dem Fußballer nur we-

nig bringt.

Es muss außerdem beachten werden, dass trainingsmethodisch klar zwischen den

verschiedenen Phasen des Laufs (intensive, extensive Beschleunigungsphase,

Höchstgeschwindigkeitsphase) unterschieden werden muss (Schlumberger, 2006).

So wurden bei Trainingsprogrammen für die Höchstgeschwindigkeit keine Verbes-

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serung des Antritts gefunden (Zafeiridis, Saraslanidis, Manou, Ioakimidis, Dipla, &

Kellis, 2005; Little, 2005).

Somit sind maximalgeschwindigkeitsfördernde Trainingsprogramme von beschleu-

nigungsfördernden Programmen abzugrenzen. Für die bei dieser Arbeit zugrunde-

liegende Frage nach der Schulung von Lauftechnikaspekten im Fußball, ist es so-

mit sinnvoll den Schwerpunkt auf die Technikverbesserung in der Beschleuni-

gungsphase hinzuarbeiten. Nur mit einzelnen Spielern kann zusätzlich im

Höchstgeschwindigkeitsbereich gearbeitet werden, wenn dieses vom Spieltyp her

Sinn macht. Interessant ist, dass in der Leichtathletik ebenfalls diese Trennung

vorgenommen wird. Besonders der Technikaspekt „to wait for it“ (d.h. das Abwarten

voller Streckung im Hüft-, Knie- und Fußgelenk) ist in der Beschleunigungsphase

von elementarer Bedeutung. Es geht also darum, nicht einfach möglichst schnell

„drauf los zu treten“, sondern technisch sauber zu beschleunigen. Hierzu sind na-

türlich bestimmte Konditionen Voraussetzung: u.a. Beweglichkeits- und Kraftaspek-

te. Diese durch ein fußballspezifisches Sprinttraining zu schulen muss das Ziel

sein.

Ein weiterer Grund (neben der quantitativ untergeordneten Rolle), warum man das

separate Maximalgeschwindigkeitstraining im Fußball eher vernachlässigen kann,

ist, dass das Sprungkrafttraining einen positiven Einfluss auf die Maximalge-

schwindigkeit für fußballrelevante Strecken hat. Besonders die Kombinationen von

horizontalen (hohe kinematische Nähe zum Sprint) und vertikalen Sprüngen (u.a.

verbesserte Stiffness) brachte gute Ergebnisse (Schlumberger, 2006; Delecluse,

van Coppenolle, Willems, van Leemputte, Diels, & Goris, 1995). Das Sprungkraft-

training wird im Fußball i.d.R. sowieso separat trainiert, denn das Springen ist im

Fußball häufig vorkommend. Es kann aber durch das in Kapitel 6.1 dargestellte

Trainingsprogramm optimal abgedeckt werden. Besonders effektiv ist zusätzlich

eine Kombination des Sprungkrafttrainings mit einem Schnellkrafttraining der

Beinstreckerkette durch Techniken des olympischen Gewichthebens. Da ein sol-

ches Schnellkrafttraining aber nicht für Kinder empfehlenswert ist, bekommen das

sogenannte Sprint-ABC, sowie Übungen mit dem eigenem Körpergewicht, beson-

dere Bedeutung.

Nachfolgend wird ein langfristiges Aufbauprogramm vorgeschlagen.

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6.1 Langfristiges Aufbauprogramm zur Entwicklung biomechanischer

Technikoptimierungen für Fußballer

„correct technique is the neccersary prerequisite for an athlete…the neural motor patterns of

correct technique must be wired in place at as young an age as possible.” (Francis, 1992, S. 14)

“sprinting is controlled from the arms” (Francis, 1992, S. 21)

“The level of flexibility…is important in determining running speed.

6.1.1 Übungsauswahl: Das Sprint-ABC

Basisübung Variationsmöglichkeiten ID Trainingsziel Coaching Points

Hüftmobilität Kinematisch/dynamische Vorgaben. 0a Beweglichkeit. Verletzungsprophylaxe.

Lockerheit.

Ausfallschritte Kinematisch/dynamische Vorgaben. vorwärts/rückwärts.

0b Beweglichkeit. Kraft. Gleichgewicht.

Füße auf einer Linie. Becken kippt nicht weg. Armarbeit. stabiler Rumpf.

Stehen Kinematisch/dynamische Vorgaben: z.B. Fußstreckungen, Kniehub

1 Gleichgewicht. Tiefensensibilität.

Stabiles Stehen. Streckungen.

Gehen Kinematisch/dynamische Vorgaben: z.B. auf der Hacke, auf dem Ballen, auf Außenriss, etc

2 Gleichgewicht. Tiefensensibilität.

korrekte Umsetzung der Be-wegungsaufgabe.

Federnder Lauf auf dem Ballen

Laufgeschwindigkeit. 3a warm-up. reaktive Fußstreckung. Sprungkraft der Fußgelenke.

Fußspitzen angezogen. Reaktives Aufsetzen. Kein Vorschlagen des Unter-schenkels.

Fußgelenksarbeit

Kinematisch/dynamische Vorgaben. vorwärts/rückwärts/seitwärts. rechts/links-Trennungen. Verbindung elementarer Übungen. Koordinative Trennungen der Armarbeit.

3b warm-up. reaktive Fußstreckung. Beweglichkeit.

Fußspitzen angezogen. Reaktives Aufsetzen. Kein Vorschlagen des Unter-schenkels.

beidbeinige Fußge-lenkssprünge

Höhenvorgabe. 3c reaktive Fußstreckung. Sprungkraft der Fußgelenke. Plyometrie.

Fußspitzen angezogen. Reaktives Aufsetzen. Kein Vorschlagen des Unter-schenkels.

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einbeinige Fußgelenks-sprünge

Höhenvorgabe. 3d reaktive Fußstreckung. Sprungkraft der Fußgelenke. Plyometrie.

Fußspitzen angezogen. Reaktives Aufsetzen. Kein Vorschlagen des Unter-schenkels.

Anfersen

Kinematisch/dynamische Vorgaben. vorwärts/rückwärts/seitwärts. rechts/links-Trennungen. Verbindung elementarer Übungen. Koordinative Trennungen der Armarbeit.

4a

ischiocrurale Muskulatur. Kniehub. Schwungmassenverlagerung. Schrittlänge.

Fuß direkt vom Boden zum Gesäß. Aktives Aufsetzen im Vorder-stütz. Arme koordinativ führend.

Stechschritte vorwärts/rückwärts. Koordinative Trennung der Armarbeit.

4b ischiocrurale Muskulatur. gestreckte Knie.

A-Skips

Frequenz.Kinematisch/dynamische Vorga-ben.vorwärts/rückwärts/seitwärts.rechts/links-Trennungen.Verbindung elementarer Übungen; Übergang in den LaufKoordinative Trennungen der Armarbeit.

5a Kniehub und Rückfüh-rung.Hüftbeuge/-streckmuskulatur.

mangelnde Streckung.Keine Veränderung der Haltung beim Übergang in den Lauf.

Running-A-Skips

Frequenz. Kinematisch/dynamische Vorgaben. vorwärts/rückwärts/seitwärts. rechts/links-Trennungen. Verbindung elementarer Übungen; Übergang in den Lauf Koordinative Trennungen der Armarbeit.

5b Kniehub und Rückführung. Hüftbeuge/-streckmuskulatur.

mangelnde Streckung. Keine Veränderung der Hal-tung beim Übergang in den Lauf.

B-Skips

Frequenz. Kinematisch/dynamische Vorgaben. vorwärts/rückwärts/seitwärts. rechts/links-Trennungen. Verbindung elementarer Übungen; Übergang in den Lauf Koordinative Trennungen der Armarbeit.

5c

Kniehub und Rückführung. Hüftbeuge/-streckmuskulatur. Aktives Zurückführen (ISC).

mangelnde Streckung. Keine Veränderung der Hal-tung beim Übergang in den Lauf.

Running-B-Skips

Frequenz. Kinematisch/dynamische Vorgaben. vorwärts/rückwärts/seitwärts. rechts/links-Trennungen. Verbindung elementarer Übungen; Übergang in den Lauf Koordinative Trennungen der Armarbeit.

5d

Kniehub und Rückführung. Hüftbeuge/-streckmuskulatur. Aktives Zurückführen (ISC).

mangelnde Streckung. Keine Veränderung der Hal-tung beim Übergang in den Lauf.

Skippings aus dem Stand

Frequenz. Kinematisch/dynamische Vorgaben. vorwärts/rückwärts/seitwärts. rechts/links-Trennungen. Verbindung elementarer Übungen; Übergang in den Lauf Koordinative Trennungen der Armarbeit.

5e

max. Kontraktions-Geschwindigkeit: Kniehub und Rückführung (ISC) mit max. Geschwindig-keit trainieren.

volle Streckung. Erst korrekt ausführen, dann Geschwin-digkeit bewerten. Schneller Kniehub und schnelle Rückführung. Bedeutung der Armarbeit demonstrierbar!

Knieheblauf

Frequenz. Kinematisch/dynamische Vorgaben. vorwärts/rückwärts/seitwärts. rechts/links-Trennungen. Verbindung elementarer Übungen; Übergang in den Lauf Koordinative Trennungen der Armarbeit.

5f Kniehub und Rückführung. Hüftbeuge/-streckmuskulatur.

mangelnde Streckung. Keine Veränderung der Hal-tung beim Übergang in den Lauf.

vertikale Wechsel-sprünge

Frequenz. Kinematisch/dynamische Vorgaben. vorwärts/rückwärts/seitwärts. rechts/links-Trennungen. Verbindung elementarer Übungen; Übergang in den Lauf Koordinative Trennungen der Armarbeit.

6a Plyometrie

Füße kommen parallel zur gleichen Zeit am Boden auf. Ansonsten Beobachtungs-punkte wie bei Skippings.

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horizontale Wechsel-sprünge

Frequenz. Kinematisch/dynamische Vorgaben. vorwärts/rückwärts/seitwärts. rechts/links-Trennungen. Verbindung elementarer Übungen; Übergang in den Lauf Koordinative Trennungen der Armarbeit.

6b Plyometrie

Füße kommen parallel zur gleichen Zeit am Boden auf. Ansonsten Beobachtungs-punkte wie bei Skippings.

Hopserlauf

Frequenz. Kinematisch/dynamische Vorgaben. vorwärts/rückwärts/seitwärts. rechts/links-Trennungen. Verbindung elementarer Übungen; Übergang in den Lauf Koordinative Trennungen der Armarbeit.

7 Plyometrie

volle Streckung. In der Luft verweilen; dabei korrekte Sprint-Position (Arme, Knie-hub, etc)

Laufsprünge

Frequenz. Kinematisch/dynamische Vorgaben. vorwärts/rückwärts/seitwärts. rechts/links-Trennungen. Verbindung elementarer Übungen; Übergang in den Lauf Koordinative Trennungen der Armarbeit.

8 Plyometrie

volle Streckung. In der Luft verweilen; dabei korrekte Sprint-Position (Arme, Knie-hub, etc)

Sprint-Lauf Verbindung mit elementarer Übungen: Übergang in den Lauf.Tempowechselläufe.Bergläufe. Zugwider-standsläufe.Wettkämpfe

9 Transfer / Sybthese Synthese aller Einzelübun-gen.Fließende Übergän-ge"wait for it"

Sprint-Lauf: Beschleu-nigung aus fußballspe-zifischen Bewegungen

aus dem vertikalen Sprung. aus dem horizontalen Sprung. Aus Richtungswechseln. Mit / ohne Ball: Nach Passen o.ä. Wettkämpfe

10 Transfer in die Fußballspezi-fik

Automatischer Transfer? z.B. "wait for it"

Abbildung 16: Übungs-Pool des biomechanischen Techniktrainings für Fußballer. Die rot markierten Übun-

gen sind aufgrund der fußballspezifik Schwerpunktübungen – allerdings gilt diese Schwerpunktsetzung nur,

wenn die darauffolgenden Übungen technisch sauber beherrscht werden! Die Variationshinweise geben

dem Katalog ein breites und abwechslungsreiches Spektrum und fördern auch die allgemeinen

koordinativen Fähigkeiten durch das permanente Schaffen neuer Bewegungsaufgaben.

6.1.2 Allgemeines zu Belastungskennziffern & Ontogenese

Häufigkeit: 1-2 TE (~20-30min) pro Woche

Intensität: Standard Körpergewicht: Impulse steigen automatisch mit steigen-

dem Körpergewicht und mit qualitativ steigender (explosiverer) Ausführung.

Ab U17 mit Zusatzgewichten (idealerweise Gewichtswesten) arbeiten.

Umfänge: Die Umfänge (Anzahl Sprünge) werden linear zum biologischen Al-

ter gesteigert.

Reizdichte: Die Dichte nimmt mit steigendem Alter zu. Je geringer die Dichte,

desto mehr Wert wird auf koordinativ korrektes Ausführen Wert gelegt. Trai-

ningsältere Athleten können durch reduzierte Pausenzeiten vermehrt kondi-

tionelle Effekte anstreben.

Übungen unter ontogenetisch notwendiger Begrenzung in den entsprechen-

den Altersstufen einführen.

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6.1.3 Kennwerte der Belastungskennziffern

ID

Intensität absolut [100% KG] Umfang [Anzahl Bodenkontakte] pro Übung

U10-U16

U17 U18/19 U10 U11 U12 U13 U14 U15 U16 U17 U18/19

3c 100% 105-110%

110-115%

30 45 60 60 75 75 75 50 50

3d 100% 105% 110% 0 0 0 30 30 45 45 35 40

4a 100% 110-115%

115-125%

60 75 100 100 150 150 150 100 100

4b 100% 100% 100% 30 45 60 60 75 75 75 100 100

5a 100% 110-115%

115-125%

60 75 100 100 150 150 150 100 100

5b 100% 110-115%

115-125%

60 75 100 100 150 150 150 100 100

5c 100% 110-115%

115-125%

60 75 100 100 150 150 150 100 100

5d 100% 110-115%

115-125%

60 75 100 100 150 150 150 100 100

5e 100% 100% 100% 30 30 30 30 30 30 30 30 30

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5f 100% 110-115%

115-125%

60 75 100 100 150 150 150 100 100

6a 100% 110-115%

115-125%

25 40 50 50 60 60 60 45 45

6b 100% 105% 110% 0 0 0 30 45 60 60 45 45

7 100% 110-115%

115-125%

12 21 30 30 45 45 45 30 45

8 100% 105% 110% 0 0 0 9 15 25 30 30 45

9 100% 100% 100% 40 60 80 100 100 100 150 150 150

10 100% 100% 100% 40 60 80 100 100 100 150 150 150

max. Umfang Kniehebe-Aktionen [Anzahl Bodenkon-

takte] pro TE 480 600 800 800 1200 1200 1200 800 800

TE-Schwerpunkt 1

max. Umfang vertikaler klei-nen Sprünge [Anzahl Boden-

kontakte] pro TE 30 45 60 90 105 120 120 85 90

TE-Schwerpunkt 2

max. Umfang vertikal-horizontaler Sprünge [Anzahl

Bodenkontakte] pro TE 37 61 80 110 150 165 165 120 135

TE-Schwerpunkt 3

max. Umfang horizontaler Sprünge [Anzahl Bodenkon-

takte] pro TE 0 0 0 9 15 25 30 30 45

TE-Schwerpunkt 4

max. Umfang Sprint-Bereich [Anzahl Bodenkontakte] pro

TE 80 120 160 200 200 200 300 300 300

TE-Schwerpunkt 5

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Empfehlenswert ist es pro TE einen Schwerpunkt auszuwählen und die 4 verbliebenen Schwerpunkte in ihren Umfängen zu halbieren.

6.1.4 Periodisierung

6.1.5 Konditionelle „Nebeneffekte” des biomechanischen Techniktraining

Koordination: Zusammenspiel des Nerv-Muskel-Systems

Konditionelles Training der lauf- und sprungrelevanten Muskulatur

Anaerobe alaktazide und laktazide Ausdauer

Muskelkraft

Muskelviskosität/Dehnbarkeit

Kontraktionsschnelligkeit

Beweglichkeitstraining, insbesondere der Hüftmuskulatur und der Hüftmobili-

tät

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7 Diskussion

Der allgemeine Unterscheid zwischen intuitiver Bewegungsausführung und techni-

scher Perfektion ist allgemein betrachtet relativ gering. Daraus folgt, dass im Ver-

gleich mit anderen Sportarten – ein relativ kleiner Spielraum in der leistungsstei-

gernden Wirkung besteht (Baumann, Schwirtz, & Groß, 1986). Daher stellt sich

umso mehr die Frage, wann und in welchem Umfang eine Verbesserung im Fuß-

ball Sinn macht. Es ist also ein Abwägen zwischen Aufwand und Nutzen. Das Trai-

ning ist einerseits mühsam und nur langfristig mit sichtbaren Fortschritten verse-

hen. Demgegenüber steht jedoch die Tatsache, dass Hundertstel im Sprint bei

Spielentscheidenden Aktionen den Ausschlag geben können. Dazu passend sind

die Sprintwerte umso besser, je höher die Spielklasse ist (Oberhammer, 2008;

Schlumberger, 2006).

Diskutiert wird an dieser Stelle die Frage, inwieweit eine solches integratives Er-

gänzungstraining zur Verbesserung der Lauftechnik überhaupt sinnvoll ist:

Vorteile:

Auch der Fußballer hat Vorteile im Linearsprint, wenn er Automatismen der

leichtathletischen Elemente in seiner Bewegungsausführung entwickelt. Und

dieser Vorteil geht nicht auf Kosten der fußballspezifisch wichtigen Agility-

Fähigkeiten

Verletzungsprophylaxe durch die Verminderung fußballtypischer muskulärer

Dysbalancen

Allgemeine koordinative Bewegungsmuster im Bereich Lauf werden erlernt.

Der Trainingsreiz ist auch im Bereich der plyometrischen Kraftfähigkeiten an-

gesiedelt. Die Laufrelevanten Muskelgruppen für Sprint und Sprung werden

in ihrer Original-Funktion trainiert. Besonders bedeutsam ist dieses im Be-

reich der U10-U14, in der noch kein Krafttraining mit Zusatzgewichten durch-

geführt wird. Und selbst für U15-U19 nimmt die einwirkende Kraft deutlich zu,

da sich das Körpergewicht erhöht und die Bewegungen schneller, d.h. inten-

siver werden. Man könnte also von einem stets verträglichem plyometrischen

Krafttraining zur Entwicklung von Muskeln sprechen, die gewöhnlich gar nicht

im Rahmen des Krafttrainings mit Zusatzgewichten trainiert werden (z.B. die

reaktive Arbeit der Fußgelenke im DVZ; Waden und Schienbeinmuskulatur)

Ein solches Training kann im Rahmen der allgemeinen Erwärmung durchge-

führt werden.

Es sind keine Zusatzgeräte notwendig

Die Schritt-Frequenz kann (ebenso wie die Schrittlänge) verbessert werden

(Francis, 1992, S. 15), was im Fußball in jedem Fall von Bedeutung ist.

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Die durchaus vorkommenden Höchstgeschwindigkeitsbereiche (siehe Kap.

4) werden zumindest durch biomechanisches Training nicht vernachlässigt,

auch wenn das Maximalgeschwindigkeitstraining kein Schwerpunkt ist.

Nachteile:

Es muss eine Regelmäßigkeit gewährleistet sein. Als integratives Training

von ca. 2x 20-30 min pro Woche sollte ausgegangen werden. Das erfordert

Zeitkapazitäten und (vor allem im Winter) Raumkapazitäten. 14

Es geht um ein Langzeitprojekte, d.h.: die kontinuierliche Durchführung über

Jahre erfüllt die Zwecke. Daraus resultieren Kosten und es müssen eine Pla-

nungsstabilitäten geschaffen werden.

Es besteht die Gefahr, dass ein solches Training zu leichtathletisch durchge-

führt wird, wenn die in dieser Arbeit genannten Schwerpunkte nicht berück-

sichtigt werden. Fachpersonal ist somit zwingend notwendig. Das schwierige

ist an dieser Stelle, dass die Übungen an sich sowohl in der Leichtathletik,

als auch im Fußball oder anderen Sportarten durchgeführt werden. Es ist

entscheidende Aufgabe des Trainers, die Coaching Punkte entsprechend für

Fußballer zu gewichten.

Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass es eine Grundsatzentscheidung ist,

ob man ein solches Training in einem Verein integrieren möchte.

14 Gleiches gilt auch für das Schnellkraft- und Sprungkrafttraining, das idealerweise mit dem Sprint-ABC kombiniert werden sollte. „Anhaltspunkte für den effektiven Einsatz sprint- und sprungkraftfördernder Maßahmen sind den Befunden von Gorostiaga et al. (10) zu entnehmen. Diese Gruppe fand heraus, dass ein niedrigvolumiges Schnellkraftprogramm (Kombination von Langhantelübungen [Squats, Power Cleans] Vertikalsprungtechniken, Sprintläufe) zu einer Verbesserung des Sprungkraftverhaltens führt. Eine aktive Kontrollgruppe, die nur fußballspezifisch trainierte, erzielte diese Verbesserungen nicht. Es kann daher ge-schlussfolgert werden, dass relativ niedrigvolumige Schnellkraft- und Schnelligkeitsprogramme für Fußballer bei einer Trainingshäufigkeit von 2-3x/Woche im Rahmen der Gesamttrainingsbelastung als adäquat be-zeichnet werden können (vgl. auch 21)…. Im Hinblick auf die Optimierung des Schnellkraftniveaus innerhalb einer Trainingswoche zeigen die Ergebnisse von Schmidtbleicher/Frick (24), dass ein neuronal-aktivierendes Krafttraining mit maximalen Lasten 48-72 Stunden nach einer singulären Trainingseinheit leichte Potenzie-rungseffekte der Schnellkraftleistungsfähigkeit auslösen kann. Möglicherweise kann dieser Effekt auch für die Optimierung der neuromuskulären Leistungsbereitschaft für ein Spiel am Wochenende gezielt genutzt werden.“ (Schlumberger, 2006)

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8 Literatur

Baumann, W., Schwirtz, A., & Groß, V. (1986). Biomechanik des Kurzstreckenlaufs. In R. Ballreich, A. Kuhlow, R. Ballreich, & A. Kuhlow (Hrsg.), Biomechanik der Sportarten. Band 1: Biomechanik der Leichtathletik (S. 1-15). Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag.

Broich, H. (2009). Quantitative Verfahren zur Leistungsdiagnostik im Leistungsfußball, Diss. Köln: DSHS Köln.

Delecluse, C., van Coppenolle, H., Willems, E., van Leemputte, M., Diels, R., & Goris, M. (1995). Influence of high-resistance and high-velocity training on sprint performance. Med Sci Sports Exerc 27 , S. 1203-1209.

Francis, C. (1992). The Charlie Francis Training System. TBLI Publications. Joch, W. (Hrsg.). (1992). Rahmentrainingsplan für das Aufbautraining Sprint (2 Ausg.). Aachen:

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Diagnostik im Spitzenfußball. Saarbrücken: VDM Verlag. Schlumberger, A. (2006). Sprint- und Sprungkrafttraining bei Fußballspielern. Deutsche Zeitschrift

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