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Fragilität Leben in Gewalt, Angst und Armut. Eine Reportage aus Honduras Myanmar: Boom und Ernüchterung Humanitäre Hilfe: Schwieriger Weg zu den Opfern Eine Welt NR. 3 / SEPTEMBER 2013 DAS DEZA-MAGAZIN FÜR ENTWICKLUNG UND ZUSAMMENARBEIT www.deza.admin.ch

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FragilitätLeben in Gewalt, Angst undArmut. Eine Reportage aus Honduras Myanmar: Boom und Ernüchterung

Humanitäre Hilfe: Schwieriger Wegzu den Opfern

Eine WeltNR. 3 / SEPTEMBER 2013DAS DEZA-MAGAZINFÜR ENTWICKLUNG UND ZUSAMMENARBEITwww.deza.admin.ch

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Eine Welt Nr.3 / September 20132

Inhalt

D E Z A

F O R U M

FRAGILITÄT6 Schule hinter Stacheldraht

Die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen in Honduras kennt seit Geburt vor allem Armut, Angst, Unsicherheit und Aussichtslosigkeit

11 «Viele Leute schweigen, weil sie Angst haben»Interview mit der Soziologin Julieta Castellanos

13 Bessere Polizei für mehr SicherheitMit der Stärkung staatlicher Institutionen in fragilen Staaten will auch die Schweiz bessere Lebensbedingungen schaffen

17 Facts & Figures

18 Die neue Freiheit boomt und ernüchtertMyanmar öffnet sich nach jahrzehntelanger Abschottung und Militärdiktatur in atemberaubendem Tempo

21 Aus dem Alltag von...Peter Tschumi, Direktor Kooperation und Stellvertretender Botschafter in Yangon

22 Home Sweet Home Nwet Kay Khine über das Leben in ihrem Heimatdorf

23 Umweltschutz in Mazedoniens SchulstubenUmwelterziehung wird mit Unterstützung der DEZA fester Bestandteil des Lehrplans

24 Strassen ebnen das Terrain für EntwicklungMit dem Bau von ländlichen Fahrpisten erhält die Bevölkerung im Osten von Burkina Faso einen besseren Zugang zu Märkten und Basisdienstleistungen

27 Was liegt drin, um zu den Opfern zu gelangen?Der Zugang zu den Opfern in Konfliktregionen wird für Organisationen wie das IKRK zunehmend schwieriger

30 Bonne Huka muss aussteigen Carte blanche: Der Äthiopier Getachew Gebru über die Hintergründe, warum immer mehr seiner Landsleute das Hirtenleben aufgeben

31 «Hutu und Tutsi gibt es in Ruanda keine mehr»Interview mit der ruandischen Schriftstellerin Scholastique Mukasonga

3 Editorial4 Periskop26 Einblick DEZA33 Service35 Fernsucht mit Sandro Lunin35 Impressum

H O R I Z O N T E

K U L T U R

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), dieAgentur der internationalen Zusammenarbeit im EidgenössischenDepartement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), ist Heraus-geberin von « Eine Welt ». Die Zeitschrift ist aber keine offiziellePublikation im engeren Sinn ; in ihr sollen auch andere Meinungen zu Wort kommen ; deshalb geben nicht alle Beiträge unbedingt den Standpunkt der DEZA und der Bundesbehörden wieder.

D O S S I E R

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Unbarmherzig weht der Wind durch das kleine Dorf im Hindukusch. Der Talboden ist zugedeckt mit Geröll,das Hochwasser hat die wenigen fruchtbaren Flächenzerstört. Obwohl noch Schneemaden in den schattigenWinkeln liegen, gehen die Leute in ihren ärmlichenLedersandalen. Ich bin im Swat-Tal. Vor wenigen Jah-ren hat die pakistanische Armee in diesem Tal Haus umHaus von den Taliban freigekämpft. Auch heute ist dieGegend noch unsicher.

Ciudad Bolívar, eine Vorstadt der kolumbianischenHauptstadt Bogotá. In Hütten und improvisierten Be-hausungen leben Menschen, die der Konflikt zwischenGuerilla, Paramilitärs und Armee über viele Etappenhierher vertrieben hat. Die meisten von ihnen sindUreinwohner und waren Kleinbauern. In der Stadt wirdder Wunsch nach Brot und Auskommen nur für wenigein Erfüllung gehen. Bevor die Dunkelheit einbricht, ver-lasse ich die unwirtliche Gegend. In der Nacht werdenbewaffnete Banden die Kontrolle übernehmen. AuchPolizei und Militär werden sich dann nicht mehr an diesen Ort wagen.

Es riecht nach schwerer tropischer Feuchtigkeit.Menschen hasten mit Motorrädern und Handkarrenüber kaputte Strassen an eingestürzten Häusern vor-bei. Die Erde hat gebebt. Schon beim Anflug auf Port-au-Prince waren die abgeholzten Wälder sichtbar – alsriesige Wunden in einer geschundenen Landschaft. AmStrassenrand sehe ich lange Menschenschlangen.UNO-Blauhelme verteilen Lebensmittel und Wasser.Plötzlich kommt mir ein Zitat von Cicero in den Sinn:Indem sie schweigen, schreien sie.

So oder ähnlich sehen fragile Kontexte aus. Wer dortlebt, hat wenig Freiheit. Weder leben sie frei von Furcht,noch frei von Mangel. Die Armut konnte in fragilenGebieten kaum zurückgedrängt werden, obwohl welt-weit grosse Fortschritte in der Armutsbekämpfung er-zielt worden sind. Die staatlichen Grundaufgaben wer-den kaum wahrgenommen, und es fehlt meistens an

den wichtigsten Dienstleistungen wie Schulen oder medizinischer Versorgung.

Die Schweiz wird sich in den nächsten Jahren stärker infragilen Kontexten engagieren. Nicht nur mit humanitä-rer Hilfe, sondern auch mit Programmen, die auf lang-fristige Verbesserungen der Lebensgrundlagen abzie-len. So haben es Bundesrat und Parlament in derStrategie der Internationalen Zusammenarbeit 2013-2016 beschlossen. Die Anstrengungen werden nichtdorthin gelenkt, wo die raschesten Erfolge möglichsind, sondern dorthin, wo die menschliche Not amgrössten ist.

Die DEZA hat einen guten Leistungsausweis, gerade infragilen Kontexten. Das war auch einer der Gründe fürdas verstärkte Engagement. Allerdings wird es nichtdarum gehen, fragile Gegenden mit Projekten zu über-säen. Es geht darum, die lokalen Anstrengungen zustützen. Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei spieltdie enge Zusammenarbeit mit anderen Geberländernund internationalen Organisationen gerade unter diesenschwierigen Verhältnissen eine immer wichtigere Rolle.Auch auf diesem Weg ist die DEZA bereits ein grossesStück gegangen.

Wer in fragilen Kontexten arbeitet, wird auch Rück-schläge und Misserfolge erleiden; wir werden Lehrenziehen müssen. Lehren, die uns weiter bringen – undmit ihnen die Leute im Swat-Tal, in Ciudad Bolívar oderin Port-au-Prince.

Martin DahindenDirektor der DEZA

Die Jahreskonferenz der Entwicklungszusammenarbeitfindet dieses Jahr am 27. September im Palazzo deiCongressi in Lugano statt und widmet sich dem Thema«Eine fragile Welt – Perspektiven junger Menschen». Nähere Informationen unter www.deza.admin.ch/jako_eza

Indem sie schweigen, schreien sie

Editorial

DEZA

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Patricio Crooker/Archivolatino/laif

Vishw

anath Srikantaiah

Drechsel vom InternationalenWater Management InstituteIWMI in Colombo überzeugt:«Statt unsere Probleme wegzu-spülen, müssen wir alles daransetzen, den Nahrungskreislauf zuschliessen.» Dies setze allerdingsvoraus, dass die Abwässer ent-sprechend aufbereitet werden,um Krankheitsrisiken auszu-schliessen. Pro Jahr scheidet einMensch durchschnittlich 500Liter Urin und 50 KilogrammFäkalien aus – hochgerechnetauf die Weltbevölkerung könn-ten damit 40 Prozent der che-mischen Düngemittel ersetztwerden.www.irc.nl/page/72840

Altersstruktur beeinflusstEntwicklung(bf ) Gemäss dem UNO-Berichtfür menschliche Entwicklung2013 hat weltweit kaum einLand so gute Fortschritte hinsichtlich Einkommen,Gesundheit und Bildung erzieltwie Bangladesch. Als direkteFolge dieser Entwicklung, hatsich das Verhältnis von Erwerbs-fähigen gegenüber Kindern imsüdasiatischen Land mit seinen149 Millionen Einwohnernmassiv erhöht. Durch diese «de-mografische Dividende» habensich auch die Voraussetzungenfür sozioökonomische Fort-schritte beträchtlich vergrössert.So lautet zumindest die Prognosedes Berlin-Instituts für Bevöl-kerung und Entwicklung, wel-

Das Jahr des «goldenen Korns»( jls) Seit Jahrtausenden wird in den Anden, auf über 4000Metern Höhe, das Getreide Quinoa als Grundnahrungs-mittel für die einheimische Bevölkerung angebaut. Seit einigen Jahren erfreut sich das «Gold der Inkas» nicht nur in Lateinamerika, sondern auch auf der nördlichenHalbkugel grosser Beliebtheit. Zu Ehren der Völker, die dieJahrtausende alte Kulturpflanze bewahrt haben, hat dieUNO 2013 zum «Jahr der Quinoa» erklärt. Damit soll einGewächs gefördert werden, das zur Nahrungsmittelsicher-heit beitragen könnte. Denn Quinoa hat einen hohenNährwert; alle essenziellen Aminosäuren sind darin enthal-ten, aber auch Spurenelemente und Vitamine. Ausserdemgedeiht das Andengewächs unter den unterschiedlichsten,sogar ungünstigen Bedingungen, bei Temperaturen zwi-schen minus 8 und plus 38 Grad. Es erträgt Trockenheitund wächst deshalb auch in semiariden Zonen. Besonders gut eignet sich der Anbau von Quinoa laut der UNO für den Sahel, wo Mangelernährung grassiert.www.fao.org/quinoa-2013

Internet per Sprachsteuerung(gn) Ein Handy, das Auskunftgibt zu allen Problemen undFragen, rückt auch für Menschen,die weder Lesen noch Schreibenkönnen und keinen Zugang zueinem Computer haben, ingreifbare Nähe. Voices – einProgramm, das über Sprach-steuerung funktioniert undInternet mit Mobiltelefonenverbindet, soll ihnen künftig dasSurfen auf dem Internet und so-gar das Twittern ermöglichen. InMali wird das System gegenwär-tig im Rahmen eines Informa-tionssystems für Bäuerinnen undBauern getestet. Gegenüber denbereits gängigen Internet-Informationen via SMS habe

Voices den Vorteil, dass es füralle Nutzer direkt zugänglichsein werde, sagt Mary Allen von der NGO Sahel Eco. DieHerausforderung dabei ist derAufbau einer Datenbasis in derlokalen Sprache: Das Such-system muss sowohl die münd-lich gestellten Anfragen erfassenkönnen, wie die gesuchten Ant-worten in Form von Audiofileszur Verfügung stellen. www.mvoices.eu

Wirtschaft leidet unterTrinkwasserknappheit(bf ) Afrika hat Asien als Wachs-tumslokomotive der Weltwirt-schaft abgelöst. Schon gehören350 Millionen Menschen demMittelstand an. Doch vielerorts

entpuppt sich die Knappheit ansauberem Trinkwasser als Wachs-tumskiller. Davon betroffen sindvor allem Metropolregionen.Keine andere Infrastruktur-Investition beeinflusst die Wirt-schaftsleistung in Afrika so starkwie jene in Wasserversorgungs-systeme, sind doch viele Unter-nehmen explizit auf Wasser an-gewiesen. Erst danach folgenInvestitionen in Bewässerungs-anlagen, Elektrizität sowie derAusbau von Strassen- undBahnnetzen. Ein Beispiel dafürist Ghana, wo gemäss Weltbank86 Prozent der Bevölkerungweder über Zugang zu Trink-wasser noch über adäquateSanitäreinrichtungen verfügenund die Wirtschaft in ersterLinie auf Gold, Kakao und Ölbasiert. Dieses Jahr wird mit einem Wirtschaftswachstum vonacht Prozent gerechnet. Dochohne eine Generalsanierung derWasserleitungen, sagen Experten,gehe das Land schwierigenZeiten entgegen. «Die Trink-wasserkrise wirkt sich bereits aufdie Wirtschaftsleistung Ghanasaus», sagt Robert Darko Oseivom Institut für Wirtschaft undStatistik der Universität Ghana. www.ug.edu.gh

Nährstoffreiche Abwässer(gn) In Indien heissen Lastwa-gen, die Jauchegruben undLatrinen entleeren, «Honey-suckers» – Honigfresser.Obschon von ihrer Fracht allesandere als süsser Honigduft ausgeht, findet sie reissendenAbsatz: Bauern greifen immeröfter auf menschliche Exkre-mente zurück, um ihre Felderzu düngen. In der Regel trock-nen sie die Abwässer zuerst inGruben, um mögliche Krank-heitskeime zu vernichten unddie Konzentration der Nähr-stoffe anzureichern. Künftigwerde man vermehrt Abwässerfür die Nahrungsmittel-produktion nutzen, ist Pay

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Periskop

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Sven Torfinn/laif

Red

ux/laif

ches seit Jahren die Auswirkun-gen der Bevölkerungzusammen-setzung auf das Entwicklungs-potenzial von Entwicklungs-ländern untersucht. Laut demInstitut hat Bangladesch recht-zeitig die Weichen gestellt, umdie demografische Dividendeüberdurchschnittlich gut auszu-

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schöpfen. Insbesondere früheInvestitionen in Bildung, einausgeklügeltes Familienpla-nungsprogramm sowie dieEinbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt hätten zu derguten Ausgangslage für künftigeEntwicklung beigetragen. www.berlin-institut.org(Demografische Dividende)

SMS statt Lohntüte( jls) Die Demokratische Repu-blik Kongo geht seit letztemJahr dazu über, den Lohn ihrerBeamten auf ein Bankkonto zuüberweisen. Bisher wurdenLehrer, Polizisten, Soldaten undandere Staatsangestellte vonihren Vorgesetzten in bar be-zahlt. Das zunächst in den grös-seren Städten eingeführteSystem soll dieses Jahr landes-weit umgesetzt werden. Mög-

lich gemacht hat diese kleineRevolution die rasante Entwick-lung des Mobile Banking. ImLandesinnern gibt es zwar kaumBankfilialen, doch umso mehrMobiltelefone. Sobald der Lohnauf dem Konto ist, erhält derKunde eine SMS-Nachricht miteinem Code. Damit kann er imGeschäft eines Telekomanbieterssein Geld abheben gehen. Der

Hauptvorteil für die Beamten:Endlich erhalten sie ihren vollenLohn. Bisher hielt nämlich jedeHierarchieebene einen Teil derGesamtsumme zurück: Nichtselten kamen bei einem für 60Dollar Monatslohn angestelltenSoldaten nur 5 Dollar an.

Zeichnung von Jean Aug

agneur

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Schule hinter StacheldrahtDie Mehrheit der honduranischen Bevölkerung zählt keine 30Jahre. Dies sei eine einmalige Chance für die Entwicklung ei-nes Landes, sagen Soziologen. Die Realität in Honduras siehtaber anders aus: Die überwiegende Mehrheit der Jugendlichenkennt seit Geburt vor allem ein Leben in fragilem Umfeld, bestehend aus Armut, Angst, Unsicherheit und Aussichtslo-sigkeit. Eine Reportage von Gabriela Neuhaus.

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DOSSIER

Im geschützten Inneren der Schule fühlen sich die Schülerinnen und Schüler sicher, dürfen sich spielerisch entfalten undarbeiten hart daran, einst ihre Träume verwirklichen zu können

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Gab

riela Neuhaus

Eros Hoa

gland Red

ux/laif

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Fragilität

Das Interview ist abgemacht, ein sicherer Ort ge-funden. Jovel Miranda, unser Gewährsmann in SanPedro Sula, der Stadt mit der höchsten Mordrateder Welt, hat alles mit Umsicht organisiert. Dochdas geplante Treffen mit ihm und zwei Mitgliedernder berüchtigten Maras-Jugendbanden wird niestattfinden. Wenige Stunden nachdem wir uns ver-abredet haben, ist der 31-jährige Familienvater tot.Erschossen, sagt die Frauenstimme am Telefon.Zwei Unbekannte haben ihn, den Ex-Pandillero(siehe Randspalte Seite 8) und engagierten Kämp-fer für die Rehabilitation jugendlicher Banden-mitglieder exekutiert, als er im Taxi seines Vaters unterwegs war.

Wie viele, die aus kriminellen Banden aussteigen,um ein neues Leben in der Legalität zu beginnen,sei Jovel Miranda ein Opfer interner Abrechnun-gen geworden, glaubt Monseñor Emiliani: «Von 200aussteigungswilligen Bandenmitgliedern, die ichbegleitet habe, wurden 66 getötet – mit Jovel sindes jetzt 67.» Der Kirchenmann setzt sich seit Jah-ren für Jugendliche in prekären Verhältnissen einund ist ein profunder Kenner der Maras-Szene. Es gibt aber auch andere Vermutungen über dieHintergründe der Tat: Der Mord an Jovel, der sichals Leiter einer Jugend-Hilfsorganisation immerwieder exponiert hat, könnte politisch motiviertgewesen sein. Eine dritte Quelle sagt, er habe mitJournalisten zusammengearbeitet und ihnen Infor-mationen über Verbrechen geliefert, bei denen diePolizei mit kriminellen Banden gemeinsame Sachemache.

Das Vorurteil: Jung und kriminellWie so oft in Honduras ist die Wahrscheinlichkeitgross, dass die Wahrheit nie ans Licht kommt. Zwarsind die Gewaltverbrechen, die das Land Tag für Tag erschüttern in aller Munde, doch aufgeklärtwerden sie selten. «Die Schlagzeilen in den Zei-tungen und die Statistiken über die Anzahl Tö-tungsdelikte führen zu einer Kultur von Terror undAngst, die vom Staat zusätzlich angeheizt wird»,klagt der Soziologiestudent Wilfredo SerranoMuñoz. Für junge Leute gebe es keine Zukunfts-perspektiven in diesem Land, sagt der 24-Jährige.Im Gegenteil: Wer jung ist, steht von vornherein unter Verdacht, kriminell zu sein. Ein Vorwurf, der nicht von der Hand zu weisen ist,

Panama

Nicaragua

Mexiko

San Salvador

Belize

Guatemala Honduras

Costa Rica

Pazifischer Ozean

Karibisches Meer

Zentralamerika

Wer jung ist, steht von vornherein unter Verdacht, kriminellzu sein

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Julien Chatelin/laif

Steph

en Ferry/Red

ux/laif

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wie Itsmania Pineda Platero bestätigt, die seit 20Jahren mit Jugendlichen in Armenvierteln arbeitet:«2004 verabschiedete die Regierung ein Anti-Ma-ras-Gesetz, wonach bereits die Zugehörigkeit zu ei-ner Jugendgruppe oder das Tragen einer Tätowie-rung strafbar waren.» Das Gesetz wurde 2007 wieder aufgehoben, die Po-litik der «harten Hand» gegenüber Jugendlichenaber fortgesetzt. Zahlreiche Fälle sind dokumen-tiert, in denen Ordnungskräfte und Gefängnisper-sonal Kinder und Jugendliche buchstäblich hinge-richtet haben. «Mit den Jugendlichen wurde gleich-zeitig auch die Armut kriminalisiert», fügt dieMenschenrechtsaktivistin an, «weil es heisst, dass diekriminellen Banden ihre Mitglieder in armen Bar-rios rekrutieren.»Der Generalverdacht gegenüber Jugendlichen ausarmen Quartieren führe in eine falsche Richtung,sagt auch Eugenio Sosa, Soziologieprofessor an derNationalen Autonomen Universität UNAH in Te-gucigalpa. Als Hauptgrund für die massive Zunah-me von Gewalt und Verbrechen nennt er die Tat-sache, dass sich die Bevölkerung des Landes in denletzten 30 Jahren verdoppelt hat, während die Wirt-schaft stagnierte. Statt dass das Potenzial der jungenBevölkerung in die Entwicklung des Landes flies-se, sehe sich diese mit lebensfeindlichen Rahmen-bedingungen konfrontiert, ohne Aussicht auf einegeregelte Arbeit. «Dies führte zu einer Ökonomieder Gewalt», sagt Sosa. «Manche delinquieren, umzu überleben, andere um reich und noch reicher zuwerden.» Die Täter stammen aus allen Gesell-

schaftsschichten und kommen sehr oft ungescho-ren davon, was die Gewaltentwicklung weiter vo-rantreibt und zu einem Klima der Angst und Un-sicherheit führt.

Emigration nicht jedermanns SacheDavon ist in San Lorenzo, einer ruhigen Grenzstadtim Süden, wenig zu spüren. Im Gespräch mit Ein-heimischen fällt auf, dass hier nicht dauernd vonMord und Totschlag die Rede ist. Das öffentlicheLeben im herausgeputzten Städtchen wirkt ent-spannt. Viele der farbigen Häuser sind neu, sie wur-den mit Hilfe von Rimessen gebaut, die hondura-nische Emigranten aus den USA und Europa nachHause schickten. Auch Judith Hernandez arbeitete sieben Jahre langals Hilfskraft in Spanien, nachdem sie ihr Studiumaus wirtschaftlichen Gründen abgebrochen hatte.Ihre beiden Kinder blieben bei Verwandten zurück.Die 300 Euro, die sie monatlich schickte, wurdenfür den Lebensunterhalt gebraucht und ins Haus in-vestiert. Im Frühjahr 2013 jedoch fand Judith we-gen der Krise in Spanien keine Arbeit mehr undkehrte zurück. Jetzt sucht sie einen Job in denUSA, wo ihr Bruder und der Vater ihrer Tochter im Strassenbau arbeiten. Fast jede Familie in San Lorenzo hat Verwandte imAusland. Trotzdem ist Emigration nicht jedermannsSache. Für den 23-jährigen Martin José und seineFischerkollegen ist klar, dass sie bleiben: «Hier ha-ben wir ein gesundes Leben und alles, was wir brau-chen.» Nachdem der morgendliche Fang verkauft

Maras und PandillasWie in Guatemala und ElSalvador gibt es auch inHonduras viele kriminelleBanden, die wesentlich zurGewalteskalation beitra-gen. Man unterscheidetzwischen den transnationalaktiven Maras und denPandillas, deren Aktions-radius sich auf ein Barriooder eine Region be-schränkt. UrsprünglichJugendgruppen, derenMitglieder ihre Bandenzu-gehörigkeit mit Tatoos ausdrückten, wurden dieGangs mit ihren Ritualenund strengen Gesetzen fürviele zu einer Art Ersatz-familie. Heute sind insbe-sondere die Maras keinereinen Jugendbandenmehr, sondern weisen ma-fiöse Strukturen auf. Siesind eng mit dem organi-sierten Verbrechen sowiedem internationalen Dro-gen- und Waffenhandelverbunden. Lokale Pandillasund Jugendliche werdendabei gerne als Helfer undHelfershelfer vor Ort rekru-tiert – für den Drogenklein-handel, das Eintreiben vonSchutzgeldern, aber auchfür Auftragsmorde.

Alltag in Honduras: Immer wieder kommt es zu Schiessereien auf offener Strasse

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Julien Chatelin/laif

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Fragilität

ist, hoffen sie nun, wie jedes Wochenende, auf Touristen, um mit einer Fahrt durch die Mangro-venwälder ein Zubrot zu verdienen.

Staat zahlt Löhne nichtAuch in der Hauptstadt Tegucigalpa kämpfen vie-le ums wirtschaftliche Überleben. Nicht einmalStaatsangestellte haben ein gesichertes Einkom-men. Die Lehrerin Suyapa Martínez erhält, wie vie-le ihrer Berufskollegen, seit fünf Monaten keineLohnzahlungen mehr, weil der Staat pleite sei. Siearbeite trotzdem weiter, um die Stelle nicht zu ver-lieren, sagt die alleinstehende Mutter. Am Morgen,bevor sie sich mit dem Bus auf den langen Ar-beitsweg macht, kocht sie eine einfache Suppe. IhrSohn Francisco wird sie im Lauf des Tages portio-nenweise im Quartier verkaufen.Geronimo, der 17-jährige Nachbarjunge bestreitetseinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von selbstgemachten Kartoffelchips, und die Familie der 12-jährigen Josselin lebt vom Tortillaverkauf. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner derColonia Las Torres halten sich mit solchen Mikro-unternehmen mehr schlecht als recht über Wasser.Dazu kommt die prekäre Sicherheitssituation: DasBarrio gleich hinter der City Mall, dem grösstenEinkaufszentrum Zentralamerikas, sei Hoheitsge-biet der Mara Salvatrucha, sagt Itsmania Pineda Pla-tero, die hier wohnt: «Nach 17 Uhr lassen die Ban-denmitglieder keine Fremden ins Barrio. Und wirtrauen uns oft nicht mehr hinaus und sitzen in un-seren Häusern, wie bei einer Belagerung.»

Unheimliche Turnschuhe Tegucigalpa gilt als besonders gefährliches Pflaster.Wer es sich leisten kann, bewegt sich auch auf Kür-zeststrecken im eigenen Auto oder mit einem Ta-xifahrer des Vertrauens und wohnt in geschlossenenAnlagen hinter hohen Mauern, Stacheldraht undElektrozäunen. Statt im öffentlichen Raum, ver-bringt der Mittelstand seine Freizeit in streng be-wachten Shopping Malls. Wer trotzdem einen Spaziergang durchs Stadtzen-trum wagt, staunt über die Normalität, die hierherrscht: Auf dem Platz vor der Kathedrale singtund tanzt eine christliche Jugendgruppe, Kinder jagen Tauben, ein Vater kauft seiner Tochter Eis. EinLiebespaar schlendert durch die Fussgängerzone, wo neue Läden locken und junge Bäume gepflanztworden sind. Beim Blick nach oben hingegen holt einen das un-bestimmte Gefühl der latenten Gefahr wieder ein:In den Stromleitungen hängt ein Paar Turnschuhe.Drogenhändler und kriminelle Banden würden soihr Territorium markieren, heisst es.«In meinem Barrio gehören Drogen zum Alltag»,erzählt der 16-jährige Jason. Schon früh hatte er sicheiner Clique angeschlossen, von da an lebte er meistauf der Strasse. Die Minderjährigen würden von äl-teren Bandenmitgliedern für den Verkauf von Dro-gen eingesetzt, damit verdienten sie sich das Geldfür den Eigenkonsum. Marihuana, Kokain, Crack– er habe alles genommen, was im Umlauf war, sagtJason. Bis zu dem Tag, als ein Unbekannter versuchthat, ihn umzubringen. Vermutlich ein Drogen-

Längst mutierten die einstigen Jugendgruppen mit ihren Tätowierungen zu Banden mit mafiösen Strukturen – rechts eingetötetes Mitglied der Mara Salvatrucha

Eskalierende GewaltNirgends auf der Welt istdie Mordrate so hoch wiein Honduras: Während man2004 noch 34 Tötungs-delikte pro 100000 Ein-wohner zählte, waren es2012 deren 85,5. LautStatistik wurden allein imletzten Jahr 7172 Men-schen umgebracht, diemeisten von ihnen mit ei-ner Schnellfeuerwaffe.Offizielle Schätzungen ge-hen davon aus, dass imacht Millionen Einwohnerzählenden Honduras rund800000 Waffen im Umlaufsind, 81 Prozent davon ille-gal. Vor allem in den städti-schen Zentren sowie imNorden des Landes ist dieGewalt in den letzten Jah-ren stark eskaliert. In SanPedro Sula zum Beispiel,werden pro Tag 3,3 Morderegistriert, die meisten inZusammenhang mit krimi-nellen Machenschaften.Unter den Opfern gibt esaber auch eine hohe Zahlvon Journalisten, Rechts-anwälten und Menschen-rechtsaktivisten.

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Gab

riela Neuhaus (3

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händler einer rivalisierenden Bande. Nur mit vielGlück überlebte der schmächtige Junge die Schuss-verletzungen, von denen er sich im Drogen-Reha-bilitationszentrum Proyecto Victoria nur allmählicherholt. «Die grössten Schwierigkeiten beginnen für diemeisten erst nach dem Entzug», sagt Mario Fume-ro, der das landesweit einzigartige Zentrum 1977gegründet hat. «Drogen, Gewalt und Banden – dashängt alles zusammen. Wer aussteigen will, kannnicht mehr zurück in seine alte Umgebung undmuss anderswo ein neues Leben anfangen.» AuchJasons Mutter ist in ein Quartier umgezogen, woniemand die Geschichte ihres Sohnes kennt. Trotz-dem fürchtet sich der 16-Jährige vor dem Tag, andem er den geschützten Rahmen des Proyectos Victoria verlassen muss.

Abendkurse gestrichenIm Armenviertel Los Pinos sind die holprigen Stras-sen wie leer gefegt. Das frisch renovierte Schulhausbefindet sich hinter hohen Mauern und Stachel-draht. Wegen der allgegenwärtigen Bedrohungdurch Diebe und Drogenhändler, sagen die Schü-lerinnen und Schüler. Im Schulhaus fühlen sie sichsicher, hier arbeiten sie hart, um ihre Träume zu verwirklichen: Die 14-jährige Sekundarschülerin

«Un poco complicado»Honduraner oderCatrachos, wie sie sichselber nennen, beantwor-ten die Frage nach ihrerSituation gerne mit einemeinfachen Satz: «Es unpoco complicado» – es ist ein wenig kompliziert.So fasst zum BeispielJonathan, der bei seinerGrossmutter lebt und kei-nen Job findet, seineGeschichte vom Schul-abbruch zusammen. Mitder gleichen Formel um-schreibt der Wächter dieTatsache, dass er in derDunkelheit zu Fuss querdurch die Stadt muss, umseinen Arbeitsplatz recht-zeitig zu erreichen. «Unpoco complicado» ist auchdas Leben des Professors,der seine Handy-Nummeraus Sicherheitsgründenlaufend wechselt oder dieSituation der alleinerzie-henden Mutter, die ihredrei Kinder ernähren muss,und gleichzeitig versucht,den Schulabschluss nach-zuholen.

Libni will Medizin studieren, um den Menschenzu helfen. Andere wollen Advokat, Veterinärin, Ar-chitekt, Ingenieurin, Psychiater oder Lehrerin wer-den. Die Jugendlichen wissen, wie schwierig es seinwird, diese Ziele zu erreichen. Sie alle leben inprekären Verhältnissen: Oft reicht das Geld wederfür sauberes Trinkwasser noch für genügend Nah-rung. «Wenn ich das Gymnasium und später die Univer-sität besuchen will, muss ich arbeiten, um meinenLebensunterhalt und die teure Ausbildung zu fi-nanzieren», sagt Libni. Die hohe Arbeitslosigkeit so-wie die Bedrohung durch Gewalt, Banden undDrogen verschärfen die ohnehin schwierige Situa-tion. So wurden zum Beispiel aus Sicherheitsgrün-den an zahlreichen Schulen die Abendkurse ge-strichen. Betroffen von dieser Massnahme sindHunderttausende, die tagsüber auf eine Erwerb-stätigkeit angewiesen sind, um sich überhaupt eineAus- und Weiterbildung leisten zu können. «Die Situation wird immer schlimmer», sagt Itsma-nia Pineda. Die Armut nehme zu, aber auch die Gewalt, und damit die Angst. Sie rechnet nicht damit, dass die Mörder von Jovel Miranda, den siegekannt und sehr geschätzt hat, je gefasst werden.Und meint dazu nur: «Er war einer der ganz Guten.» ■

Entspannte Atmosphäre in der Fussgängerzone von Tegucigalpa, wo Betsy mit ihrer Mutter geröstete Nüsse undSüssigkeiten verkauft. Die Kindheit der Armen ist geprägt vom Überlebenskampf.

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Gab

riela Neuhaus

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Fragilität

«Eine Welt»: Weshalb prägen Unsicherheitund Gewalt das Leben in Honduras viel stär-ker als in den umliegenden Ländern mitähnlichen Rahmenbedingungen?Julieta Castellanos: Als Wissenschaftlerin be-schäftige ich mich seit den 1990er Jahren mit die-sem Thema. Damals waren wir besorgt, weil wirGefahr liefen, in die Kriege der umliegenden Län-der hineingezogen zu werden. Als Folge dieser Situation, zirkulierten schon damals viele Waffenin unserem Land. Nach dem Ende ihrer Bürger-kriege erhielten Guatemala, El Salvador und Nicaragua Wiederaufbauhilfe aus dem Ausland.Honduras hingegen, das keinen inneren Konfliktzu beklagen hatte, blieb von diesem Prozess aus-geschlossen. Aber natürlich bekamen auch wir dieKonsequenzen dieser Kriege zu spüren.

Was hatte dies für Auswirkungen auf Hon-duras?Nachdem die Guerilla keine Waffen mehr be-nötigte, suchten die Händler nach neuen Abneh-mern. Es kam zu einem Überangebot. In Hon-duras wurden Waffen sogar in Gemischtwarenlä-den angeboten, eine Kalaschnikov konnte man für70 Dollar haben. Der Waffenhandel zog immerweitere Kreise: Die Guerilla in Kolumbien misch-te mit, das organisierte Verbrechen in Mexiko.Dann kamen Menschenhandel, kriminelle Banden

und vor allem der Drogenhandel hinzu. Über dieJugendbanden gelangten viele Jugendliche in denBesitz von Waffen. Niemand hatte mehr die Kon-trolle. Diese Situation, die sich vor zwanzig Jah-ren entwickelt hat, richtete grossen Schaden an.Die Verwüstung des Staates, die wir heute erleben,ist eine direkte Folge davon.

Was verstehen Sie unter Verwüstung desStaates?Die Schwäche des honduranischen Staates zeigtsich in drei Bereichen. In manchen Regionen, wiezum Beispiel im Osten des Landes, ist der Staatüberhaupt nicht mehr präsent. Andernorts ist erzwar noch vorhanden – dort gibt es Richter, Po-lizei und Staatsanwälte. Tatsache ist aber, dass viele dieser staatlichen Institutionen kriminell in-filtriert worden sind. Und das dritte Element sinddie strukturellen Schwächen und sozio-ökono-mischen Konflikte. Diese drei Elemente zusam-men führten dazu, dass Sicherheit in den letztenJahren zu einem derart zentralen Thema gewor-den ist.

Was sind die dringendsten Massnahmen, umeine weitere Verschärfung der Situation zuverhindern?In einem ersten Schritt muss der Staat zeigen, dasser in der Lage ist, seine Kontrollfunktion wahrzu-nehmen. Voraussetzung dafür sind die Säuberungvon Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Mischungaus Angst, Unfähigkeit und der Tatsache, dass Po-lizei und Verbrechen oft unter einer Deckestecken, ruft dringend nach Veränderungen. Mit-telfristig braucht es auch eine institutionelle Stär-kung von Ermittlungsdiensten, Polizei und Justiz.

Sie betonen immer wieder, dass der inter-nationalen Gemeinschaft in diesem Prozesseine wichtige Rolle zukommt.Das organisierte Verbrechen operiert auf einem

«Viele Leute schweigen, weil sie Angsthaben»Einst als Friedensinsel Zentralamerikas gepriesen, droht Hon-duras in Gewalt und Anarchie zu versinken. Die Menschen habenkein Vertrauen in den Staat, den sie als Bedrohung erleben. Gabriela Neuhaus sprach mit Julieta Castellanos über die Hin-tergründe der Fragilität und Möglichkeiten, sie zu überwinden.

Julieta Castellanos, seit 2009 Rektorin derNationalen AutonomenUniversität UNAH inTegucigalpa, gilt alsHoffnungsträgerin derZivilgesellschaft. DieSoziologin forscht und publiziert seit Jahren zuThemen wie Menschen-rechte und Gewalt. Seit ei-ner ihrer Söhne im Oktober2011 von der Polizei getö-tet wurde, engagiert sichCastellanos an vordersterFront für die Säuberungder Polizei und den Aufbaueiner funktionierendenJustiz. Als Rektorin leitetesie eine umfassendeReform der Universität ein.Diese ist heute eine derwenigen Institutionen, diesich der Korruption undZersetzung des Staatesaktiv und erfolgreich ent-gegen stellt. Für ihr Enga-gement wurde JulietaCastellanos 2013 mit dem US-amerikanischen«International Woman ofCourage Award» ausge-zeichnet.

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Niveau, dass es von einem einzelnen Land prak-tisch nicht bekämpft werden kann. Nicht einmalein mächtiger Staat wie Mexiko, der über sehr vielmehr Mittel verfügt als wir, schafft das. Hierbraucht es eine internationale Verfolgung der De-likte – eine schwierige, aber wichtige Herausfor-derung. Wir brauchen aber auch technische Un-terstützung, wie zum Beispiel eine wissenschaft-liche Ausbildung für Ermittler oder den Ge-heimdienst.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Unterstüt-zung?Heute hat die internationale Gemeinschaft be-griffen, was zu tun ist. Allerdings engagiert sichnach wie vor eine Mehrheit der Geber im Bereichder Prävention. Prävention ist wichtig und not-wendig. Im Moment kommt mir die Präventi-onsarbeit jedoch vor, als ob man Wasser aus hun-dert Kilometern Entfernung holen will, um einHaus zu löschen, das lichterloh brennt. Was wir imMoment vor allem brauchen, sind technische Hil-fe und eine Stärkung von Polizei, Untersu-chungsbehörde und Justiz, um die Kriminalitätunter Kontrolle zu bringen.

Obschon die Leute stark unter der prekärenSicherheitssituation leiden, verhalten sichdie meisten passiv. Weshalb?Aus Angst. Viele zahlen lieber Schutzgeld, als zur

Polizei zu gehen. Weil die Gefahr besteht, dass sieauf einen korrupten Polizisten stossen. Viele Leu-te werden zu Opfern oder Zeugen von Verbre-chen, aber sie schweigen, weil sie Angst haben.Kommt hinzu, dass die Bürgerinnen und Bürgerkeinen Bezug haben zum Staat. Wie sollten sie?Der Staat löst keine Probleme, bietet keinenSchutz. Die Menschen kämpfen Tag für Tag umsÜberleben und sind damit völlig allein.

Wie sehen Sie in diesem Kontext die Rolleder Universität und der Alianza por la Pazy la Justicia, die sie mitgegründet haben?Wir steuern einen klaren Kurs, in welche Rich-tung die Entwicklung gehen soll. Die Universitätspielt dabei eine wichtige Rolle. Wir erachten eszum Beispiel als unsere Aufgabe, Vorschläge für die künftige Entwicklung und Transformation unseres Landes zu erarbeiten. Eine riesige Ver-antwortung, von der wir überzeugt sind, dass wirsie tragen müssen. Ganz oben auf der Agendasteht dabei das Thema Sicherheit, das keinen Auf-schub erlaubt. Veränderungen sind dringend. ■

(Aus dem Spanischen)

Technische Massnahmen für mehr Sicherheit: Seit der Inbetriebnahme der Überwachungszentrale in Puerto Cortés sinddie Morde stark zurückgegangenArmut, Krieg und

DrogenEin Vergleich zwischenCosta Rica, Nicaragua, El Salvador, Guatemalaund Honduras zeigt grosseUnterschiede – trotz geo-grafischer Nähe und ähnli-cher Geschichte. CostaRica gilt als Musterland der Region. In Guatemala,El Salvador und Nicaraguaforderten BürgerkriegeEnde des 20. JahrhundertsHunderttausende vonToten. Honduras blieb da-mals von eigenen innerenGewaltkonflikten ver-schont, allerdings operier-ten die von den USA un-terstützten nicaraguensi-schen Contras von seinemTerritorium aus. Infolge der weitverbreiteten Armut,migrieren viele Zentral-amerikaner auf Arbeits-suche vor allem in dieUSA. Aufgrund der geo-grafischen Lage ist dieRegion in den letztenJahren stark in den Sogdes internationalenDrogenhandels geraten.Das gilt insbesondere fürHonduras. Laut Schätzun-gen werden 80 Prozentder Drogen für den US-amerikanischen Markt überHonduras transportiert.DasLand droht in die Fragilitätabzugleiten.

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Fragilität

(gn) Sorgfältig setzt José Arturo Hernandez Buch-staben neben Buchstaben. Mit Heft und Schreib-stift hat er sich in ein defektes Klo zurückgezo-gen, um sich besser konzentrieren zu können. We-der in den stickigen Schlafverschlägen noch imüberfüllten, lärmigen Innenhof ist Platz für Priva-tes: Im Gefängnis von Puerto Cortés, das für 40Insassen konzipiert ist, sind gegenwärtig 152 Häft-linge eingesperrt. Die meisten von ihnen sindjung, manche sehr jung. Sie verbüssen Strafen wegen Raub, Totschlag, häuslicher Gewalt oder Drogen.

Reintegration ist möglich«Wenn sie rauskommen, wollen sie in die Gesell-schaft zurück», sagt Amtsrichterin Jetty Estrada.«Damit sie eine Chance haben, müssen wir dieZeit im Strafvollzug sinnvoll nutzen und sie da-rauf vorbereiten.» Aus Erfahrung weiss sie: Rein-tegration ist möglich. Mit viel Engagement setztsich die junge Juristin deshalb für entsprechende

Angebote ein und erreichte unter anderem, dassin Puerto Cortés ein Teil der Strafen in Form vonSpital- oder Gemeindearbeit abgegolten werdenkann. Manche erhalten damit zum ersten Mal in ihremLeben die Möglichkeit, sich in einem Job zu be-währen. Auch das tägliche Unterrichtsangebot imGefängnis wird rege genutzt. Hier erst hat José Ar-turo lesen, schreiben und rechnen gelernt. AlsKind konnte er nicht in die Schule, seine Familiewar zu arm. Nun hofft er, dank der neuen Fähig-keiten nach der Entlassung eine Stelle als Hilfsar-beiter im Hafen zu finden.Die Unterstützung für straffällig gewordene Ju-gendliche und Erwachsene ist Teil eines umfas-senden Sicherheitskonzepts, mit dem Puerto Cor-tés in den letzten sechs Jahren beträchtliche Er-folge erzielt hat. Die 70000 Einwohner zählende Hafenstadt imNorden des Landes gilt als Musterbeispiel, wie dieGewaltspirale mit geeigneten Massnahmen und

Spezielle Strategie für fragile StaatenDas Regionalprogrammder DEZA für Zentralame-rika 2013-2017 unter-scheidet sich stärker alszuvor von den Program-men in Nicaragua undHonduras. Dies, weil dieGewalteskalation inHonduras spezifischeMassnahmen erfordert, um der fragilen Situationgerecht zu werden. Dazugehören gemäss demKonzept, welches speziellauf die Arbeit in fragilenStaaten ausgerichtet ist,vier Punkte:• Vierteljährliches Monito-ring der politischen Ent-wicklung.• Spezifische Programme,die auf die Ursachen derGewalt zielen. Dazu ge-hören in Honduras u.a.Projekte im Sicherheits-sektor wie die Polizeire-form oder die Unterstüt-zung von fünf «Municipiosmás seguros» sowie dieStärkung der Menschen-rechte.• Konfliktsensitives Projekt-management.• Die Ausrichtung traditio-neller Themen auf spezifi-sche Ziel- und Risikogrup-pen, wie z.B. im Bereichder Berufsbildung dieVerbesserung der TalleresPopulares.www.cooperacion-suiza.admin.ch

Bessere Polizei für mehr Sicherheit Wie in vielen fragilen Staaten verhindern auch in Honduras Un-sicherheit und Gewalt Fortschritte in der Entwicklung des Lan-des. Mit neuen Ansätzen, die direkt auf die Stärkung staatlicherInstitutionen wie Justiz und Polizei zielen, will die Staatenge-meinschaft – darunter auch die Schweiz – die notwendige Ba-sis für eine Verbesserung der Lebensbedingungen schaffen.

Nahkampftraining auf der Polizeiakademie in Tegucigalpa: Künftig sollen mehr Polizisten besser ausgebildet werden, umdie Gewaltspirale einzudämmen

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entschlossenem Durchgreifen gebremst werdenkann: Die Zahl der Gewaltdelikte ist zurückge-gangen, Jogger und Spaziergänger trauen sich auchabends wieder an den Strand, was lange nicht derFall war. Ein Sicherheitskomitee mit Vertretern aus Politik,Verwaltung, Privatwirtschaft, Kirche und weiterensozialen Organisationen beschloss 2006, denKampf gegen die zunehmende Gewalt in der Stadtaufzunehmen. Nebst Sozialprogrammen wurde,mit finanzieller Unterstützung der Weltbank, einevertrauenswürdige und zuverlässige Notrufzen-trale aufgebaut, welche rund um die Uhr in Be-trieb ist. An Schlüsselstellen in der Stadt hat man Überwa-chungskameras installiert, die Polizeipatrouillenmit GPS-Geräten ausgerüstet. «Damit können wirdie wenigen Patrouillenfahrzeuge, die uns zur Ver-fügung stehen, effizient einsetzen und gleichzei-tig die Tätigkeit der Polizei überwachen», sagtBürgermeister Allan David Ramos.

Attraktiv für DrogenhandelDas Misstrauen in die honduranische Polizei istweit verbreitet – und berechtigt: Untersuchungenhaben unzählige Fälle von Korruption, kriminel-len Verstrickungen sowie brutaler Gewaltaus-übung ans Tageslicht gebracht. Eine von der Regierung eingeleitete Säuberung des Korps hatbisher wenig Wirkung gezeigt. Hinzu kommt, dass

die Polizei zahlenmässig stark unterdotiert undschlecht ausgerüstet ist. «Die Schwäche des Staates, gepaart mit seiner An-fälligkeit für Korruption, macht Honduras zu ei-nem attraktiven Umschlagsplatz für den interna-tionalen Drogenhandel», sagt Kurt Ver Beek vonder Bürgerrechtsorganisation Alianza por la Paz yla Justicia. Dies sei der Grund, weshalb Hondurasseit ein paar Jahren eine derartige Gewalteskalati-on erlebe. Um das Ruder wieder herumzureissen,brauche es dringend Veränderungen in der politi-schen Kultur des Landes, Transparenz und guteRegierungsführung. Ver Beek ist überzeugt, dasssich der Drogenhandel neue Regionen und Rou-ten suchen wird, sobald ihm in Honduras zu gros-ser Widerstand erwächst.

DEZA mit neuer Strategie Die prekäre Sicherheitssituation hat verheerendeAuswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft:Während das Nachbarland Nicaragua beträchtli-che Fortschritte in der Armutsbekämpfung ver-zeichnet, stagniert Honduras. Deshalb versuchtdie internationale Gemeinschaft nun mit neuenAnsätzen, die auf eine Stärkung der staatlichen Si-cherheitsorgane und die Verbesserung der Men-schenrechtssituation zielen, die Rahmenbedin-gungen für Entwicklung zu verbessern. Auch die DEZA, die seit 1977 in Honduras en-gagiert ist, reagiert mit einer speziell auf die aktu-

Das Polizeikorps leidet unter prekären Arbeitsbedingungen und Unterkünften sowie an mangelhafter oder gar fehlenderInfrastruktur

Neue Töne bei der PolizeiAuf dem Vorplatz derPolizeiakademie probenKadetten für die nächsteParade, andere messensich im Nahkampf. Dieklassischen Disziplinenseien nur noch Teil einerviel umfassenderen Aus-bildung, betont LeonelSuaceda, Direktor der na-tionalen Polizeiakademie.Die Zeiten, da die Polizeimit harter Hand gegenJugendliche vorgegangenist, seien vorbei: «Die jungen Polizistinnen und Polizisten werden inEmpathie geschult. Künftigsollen sie in den Barriosauch Präventionsarbeit leis-ten und Vorbilder sein fürJugendliche in prekärenVerhältnissen.» Bei den 280 Aspirantinnen undAspiranten, die gegenwär-tig die Offiziersausbildungabsolvieren, kommt dieneue Ausrichtung gut an:«Ich komme selber aus einer zerrütteten Familie»,sagt die 21-jährige MarlenZelaya: «Mit dieser Ausbil-dung habe ich nicht nureine Stelle auf sicher, son-dern kann einen ehrenwer-ten Beruf ausüben und der Gesellschaft dienen.»

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Fragilität

elle Situation zugeschnittenen Strategie. «Wir ha-ben unsere Präsenz vor Ort verstärkt und fokus-sieren auf Themen wie Menschenrechte, Justizund Polizei. Damit setzen wir direkt beim Kern-problem an», sagt Jürg Benz, Leiter des DEZA-Ko-operationsbüros in Tegucigalpa. So beteiligt sichdie Schweiz unter anderem mit eigenen Mittelnund ergänzenden Projekten an der Polizeireform,die unter Federführung der InteramerikanischenEntwicklungsbank BID gemeinsam mit den hon-duranischen Behörden durchgeführt wird. Ziel des ehrgeizigen Projekts, für das insgesamt 66 Millionen Dollar an multi- und bilateralenEntwicklungsgeldern zur Verfügung stehen, sinddie Neuausrichtung und Stärkung des staatlichenSicherheitsapparats sowie die Unterstützung aus-gewählter Städte, die nach dem Vorbild von Puerto Cortés ihre Sicherheit verbessern wollen.

Schwache PolizeiSowohl die BID wie die DEZA begeben sich mitihrem Engagement im Polizeisektor auf entwick-lungspolitisches Neuland, was auch Risiken birgt.«Die politische Situation in Honduras ist mo-mentan so fragil, dass wir keine Garantie für dasGelingen des Projekts haben», räumt Thomas Jenatsch vom Zentralamerika-Desk der DEZAein. Man habe sich trotzdem für diesen Weg ent-schieden, weil mit der Reform, wenn sie gelingt,eine wichtige Basis für künftige Entwicklung geschaffen werde. Um zu verhindern, dass der Umbau der Polizeinach rein technokratischen Kriterien erfolgt odervon einer politischen Gruppe für ihre Interessenusurpiert wird, unterstützt die DEZA auch dieBürgerrechtsplattform Alianza por la Paz y la Ju-sticia und stärkt deren Kompetenzen sowohl bei

Die überfüllten Gefängnisse spotten jeglichen Menschenrechts-Normen. Ohne Geld geht hier nichts – mit einfachenHandarbeiten versuchen viele, ein paar Lempiras zu verdienen.

Vertrauen in AllianzIn der Alianza por la Paz y la Justicia haben sichNichtregierungsorganisa-tionen, Gewerkschaften,Kirchen, Privatunterneh-men, Universitäten undweitere Organisationen der Zivilgesellschaft zu-sammengeschlossen. Sieist im allgemeinen Klimavon Angst und Politik-verdrossenheit zu einerwichtigen Stimme im Landgeworden und setzt sichvor allem für die Säuberungund Reform des öffentli-chen Sicherheitssystemsund der Justiz ein.Prominenteste Vertreterinder Allianz ist JulietaCastellanos, Rektorin derNationalen AutonomenUniversität UNAH. ImGegensatz zu vielen Politi-kern geniessen die Vertre-terinnen und Vertreter der Alianza por la Paz y laJusticia das Vertrauen brei-ter Bevölkerungsschichtensowie der internationalenGebergemeinschaft. www.pazyjusticiahondu-ras.com

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der Einforderung als auch bei der Kontrolle derReform. Wie gross der Handlungsbedarf bei der Polizei ist– nicht nur bezüglich Verhinderung von Korrup-tion und kriminellen Machenschaften – zeigt einAugenschein in Comayagua: Der Polizeipräsidentdes Departements, Juan López Rochez, ist einVertreter der neuen Generation und plädiert an-lässlich eines Besuchs der DEZA-Delegation fürein Vertrauensverhältnis zwischen Polizei und Be-völkerung als Voraussetzung für eine erfolgreicheBekämpfung der Kriminalität. Gleichzeitig weist er auf drastische Mängel hin, dieeine effiziente Polizeiarbeit verunmöglichen: Fürdas gesamte Departement mit knapp einer halbenMillion Einwohnern stehen nur gerade 500 Poli-zisten zur Verfügung. Ihnen fehlt es an Fahrzeu-gen, Funkgeräten, ja sogar an Waffen. Es gibt kei-ne separaten Räume für delikate Verhöre, Proto-kolle werden mangels Computern von Handaufgezeichnet, und die Fahndungsabteilung ver-fügt weder über das notwendige Personal, nochüber technische Mittel, die heutigen Standardsentsprechen. Beim Besuch in der Kaserne fallenzudem die primitiven Einrichtungen der Polizei-unterkünfte auf.

Perspektiven dank AusbildungVerbesserte Ausrüstung und Ausbildung der Poli-zei sind jedoch nur ein Aspekt auf dem Weg zu

mehr Sicherheit. Nach dem Vorbild von PuertoCortés, haben weitere Gemeinden lokale Sicher-heitskonzepte erarbeitet, die unter anderem mitUnterstützung der DEZA im Rahmen des Pro-jekts «Municipios más seguros» umgesetzt werden.Dazu gehören insbesondere auch Angebote, vondenen man sich präventive Wirkung erhofft. So absolvierten in Puerto Cortés letztes Jahr erstmals31 Jugendliche aus prekären Verhältnissen eineeinjährige Ausbildung als Elektriker und Schweis-ser. Solche Talleres Populares, wie sie genannt werden,gibt es in zahlreichen Städten. Im Barrio Villa-nueva in Tegucigalpa etwa, erfreuen sich dieSchweisskurse von Julio Cesar Bautista besonde-rer Beliebtheit. Der Lehrmeister weiss seineSchützlinge zu begeistern und begleitet diese auch beim schwierigen Schritt in die Selbststän-digkeit. Der 21-jährige Kelvin hat es geschafft: Gemein-sam mit zwei Kollegen fabriziert er Metalltürenfür Kunden im ganzen Quartier. «Die Konkurrenzist gross», sagt der stolze Jungunternehmer. «Aberwir liefern gute Qualität, das wissen die Leute zuschätzen.» ■

Schweiss- oder Backkurse sollen Jugendlichen in armen Quartieren helfen, auch ohne Weiterbildung oder feste Anstellung,ihren Lebensunterhalt zu bestreiten

Chancen fürJugendlicheNirgends in Zentralamerikaist die Zahl der Jugend-lichen, die weder arbeiten,noch studieren so hoch,wie in Honduras: 24Prozent aller 12- bis 24-Jährigen gehören zu dieser«Risikogruppe». Mit geziel-ten Präventionsprojektensollen ihnen Alternativen zuden Versuchungen, die vonkriminellen Banden undDrogen ausgehen, ange-boten werden. Mit demvon der DEZA initiiertenProgramm «Projoven» willman die bestehendenTalleres Populares, die invielen Barrios im Rahmensozialer Projekte angebo-ten werden, verbessern.«Die niedrigschwelligenKurse sollen künftig auf dieBedürfnisse des Marktesabgestimmt werden», sagtRolf Kral, der das Projektim Auftrag der DEZA ent-wickelt hat. Aktuell werdenvor allem Coiffeur-, Näh-und Schweisskurse ange-boten. Als erstes Pilotpro-jekt wurde im Rahmen vonProjoven neu eine Lehr-bäckerei eröffnet, ange-dacht ist zudem ein Kursfür Motorradmechaniker.

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Facts & Figures

Fragilität

Fragilität und EntwicklungStaaten gelten als fragil, deren Regierung nicht willens oder in der Lage ist, staatliche Grundfunktionen im BereichSicherheit, Rechtsstaatlichkeit, soziale Grundversorgung undLegitimität zu erfüllen. In fragilen Ländern sind die staatlicheInstitutionen sehr schwach oder vom Zerfall bedroht; dieBevölkerung leidet unter extremer Armut, Gewalt, Korruptionund politischer Willkür.

Die 10 OECD-Prinzipien für die Arbeit in fragilen Staaten1. Den Kontext als Ausgangspunkt nehmen2. Schaden vermeiden 3. Die Staatsbildung als zentrales Ziel betrachten4. Der Prävention den Vorrang geben 5. Die Zusammenhänge von Politik-, Sicherheits- und Entwicklungszielen erkennen

6. Nichtdiskriminierung als Basis für inklusive und stabile Gesellschaften fördern

7. Die Massnahmen in verschiedenen Kontexten auf verschie-dene Weise auf lokale Prioritäten ausrichten

8. Praktische Koordinationsmechanismen zwischen interna-tionalen Akteuren vereinbaren

9. Schnell handeln – aber lange genug engagiert bleiben, damit sich Erfolge einstellen können

10. Ausgrenzung vermeidenwww.oecd.org/dac/incaf/39437107.pdf

Jugendliche in fragilen KontextenLaut Schätzungen des Kinderhilfswerks der Vereinten NationenUnicef leben rund eine Milliarde Kinder und Jugendliche inGebieten mit bewaffneten Konflikten – rund die Hälfte der welt-weit 34 Millionen Flüchtlinge sind Kinder.

Links«Eine Welt» 2/2012Das Dossier «Fragile Staaten» zeigt die Entwicklungszusammen-arbeit in fragilen und konfliktbeladenen Kontexten auf mitBeispielen aus Zentralasien, Sri Lanka, Nepal und Südsudan. Herunterladen oder bestellen unter www.deza.admin.ch (Eine Welt)

DEZA-Engagement in fragilen Staatenwww.deza.admin.ch (Fragile Staaten)

Studie über Gewalt in Honduraswww.hsfk.de (Honduras)

Global Peace IndexDie Friedfertigkeit weltweit von Nationen und Regionenwww.visionofhumanitary.org

Literatur«Zentralamerika. Politik, Wirtschaft, Kultur heute», S.Kurtenbach,W. Machenbach, G. Maihold, Volker Wünderich (Hrsg.), VervuertVerlag 2008 – www.ibero-americana.net

Mit 86 Morden pro 100 000 Einwohner und Jahr führt Honduras die von der UNO jährlich publizierte Statistik der Tötungsdelikte anQuelle: UNODC Homicide Statistics

Globale Statistik Tötungsdelikte

Tötungsdelikte

0,00 - 2,99

3,00 - 4,99

5,00 - 9,99

10,00 - 19,99

20,00 - 24,99

25,00 - 34,99

> = 35

Keine Angaben

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Claud

ius Schulze/laif

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Noch vor zwei Jahren wirkte Yangon wie ein ausder Zeit gefallenes Provinznest. Die historische In-nenstadt rottete vor sich hin, auf den Strassen wa-ren fast nur alte Autos aus den 1980er Jahren zu se-hen. Mittlerweile jedoch sind die Anzeichen desFortschritts in Myanmars alter Hauptstadt Yangonunübersehbar: Quälend lange Staus ziehen sichdurch die gesamte Stadt, überall wird gebaut,gehämmert, geschweisst und Asphalt aufgebrochen.Geschäftsleute aus aller Welt strömen nach Burma,dementsprechend sind die Hotelzimmerpreise indie Höhe geschossen. Hinzu kommen Heerscharen an Touristen, die indas Land drängen, seit Burma nicht mehr als Pa-riah-Staat gilt. Überall werden neue Geschäfte, Restaurants und Bars eröffnet.Der Boom ist einedirekte Folge der politischen Öffnung des Landes,die Myanmars Präsident Thein Sein vor zwei Jah-

ren eingeleitet hat. Der ehemalige General hat seitseinem Amtsantritt im März 2011 die Vorzensur fürdie Presse beendet und Hunderte politische Ge-fangene aus der Haft entlassen. Unterhändler derRegierung haben Waffenstillstandsabkommen mitbeinahe allen ethnischen Milizen des kriegsge-schüttelten Landes unterzeichnet. Demokratiefüh-rerin Aung San Suu Kyi, die für ihre Überzeugun-gen fast 15 Jahre in Hausarrest verbracht hat, sitztheute als Abgeordnete im Parlament in der neuenHauptstadt Naypyidaw.

Längst nicht überall FortschrittIn den riesigen Arbeitersiedlungen, die an das In-dustriegebiet Hlaing Thar Yar nordwestlich vonYangon grenzen, ist der Aufschwung jedoch nochnicht angekommen. Etwa eine Autostunde vonYangons Innenstadt entfernt leben hier Hundert-

HORIZONTE

Die neue Freiheit boomt undernüchtertNach jahrzehntelanger Abschottung und Militärdiktatur öffnetsich Myanmar seit zwei Jahren in atemberaubendem Tempo sowohl politisch wie wirtschaftlich. Fast scheint es, als könnendem Land Fortschritt und Demokratie nicht schnell genug kom-men. Doch längst nicht alle Bevölkerungskreise profitieren vonder Entwicklung, und es kommt regelmässig zu Übergriffen aufMinderheiten. Von Sascha Zastiral, Yangon*.

Die Aufbruchstimmung in Yangon ist bis weit in die Vorstädte hinaus spür- und sichtbar

Myanmar oder Burma?Nach 1988 hat das dama-lige Militärregime die engli-sche Schreibweise vielerOrtsnamen aus der Kolo-nialzeit geändert: So wurdeRangun zu Yangon undBurma zu Myanmar. BeimLandesnamen leiten sichbeide Begriffe von «Bamar»ab, dem Namen derHauptethnie des Landes.Aus der Namensänderungwurde schnell ein Politi-kum. Viele Demokratie-aktivisten lehnen die Be-zeichnung Myanmar bisheute ab. Sie sprechenweiterhin von Burma, u.a.weil Myanmar nicht ausrei-chend den multiethnischenCharakter des Landes wi-derspiegele und sie demeinstigen Regime dasRecht absprechen, denNamen zu ändern. VieleStaaten, darunter die USAund Grossbritannien, hal-ten ebenfalls an Burmafest. Doch auch Suu KyisUmgang mit dem Namenihres Landes ist in letzterZeit ambivalenter gewor-den. Auf Englisch sprichtsie bis heute von Burma.Doch in ihren Reden aufBurmesisch, nennt auchsie ihr Land inzwischenMyanmar.

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Bettina Flitner/laif

Julien Chatelin/laif

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tausende Arbeiter mit ihren Familien, die meistenvon ihnen in einfachen Holz- oder Bambushütten.Die Lebensbedingungen sind schwierig: Es gibt we-der fliessendes Wasser noch eine Kanalisation. Imnahe gelegenen staatlichen Gesundheitszentrumgäbe es häufig keine Medikamente, sagen die An-wohner. Hilfe suchen sie sich meist in einer Klinik,die das UNO-Kinderhilfswerk Unicef schon vorJahren hier eröffnet hat.Hla Nyunt und seine Frau leben seit mehr als 20Jahren hier. Der 56-Jährige arbeitet als Nacht-wächter in einer Fabrik und verdient damit etwas

Myanmar

Myanmar in Kürze

NameRepublik der UnionMyanmar

HauptstadtNaypyidaw

Fläche676 578 km2

Einwohner55 Millionen

Durchschnittsalter27 Jahre

EthnienBirmanen (Bamar) 68%Shan 9%Karen 7%Rakhine 4%Chinesen 3%Andere 9%

Bruttoinlandprodukt pro Kopf835 USD

ExportgüterErdgas, Holzprodukte,Hülsenfrüchte, Bohnen,Fisch, Reis, Textilien, Jadeund Edelsteine

MyanmarNaypyidaw

über 40 Franken im Monat. Das Haus der beidenist eine wackelige Bambuskonstruktion, in der aufzwei Stockwerken sieben Menschen leben. Meh-rere grosse Plakate mit Bildern von Aung San SuuKyi hängen im Wohnraum. Hla Nyunt ist Mitgliedihrer Partei, der Nationalen Liga für Demokratie(NLD). Auf einem Holztisch stehen ein kleinerFarbfernseher und ein DVD-Spieler.Hla Nyunts Frau sitzt in einer kleinen vorgelager-ten Hütte, die als Küche dient, und schält Zwie-beln und Knoblauch. Damit verdient sie knapp ei-nen Franken am Tag. Ihre sieben Kinder leben allein der Nähe und schlagen sich ebenfalls mit Gele-genheitsjobs durch. «Es hat schon Veränderungengegeben», sagt Hla Nyunt, «früher war es unmög-lich, sich politisch oder seine Wünsche zu äussern,das ist heute ganz anders. Auch können die Men-schen jetzt Kritik an der Regierung üben. Wirt-schaftlich hat sich jedoch nicht viel verbessert. Ganzim Gegenteil: Die Lebensmittel wurden in zweiJahren so teuer, dass viele Arbeiterfamilien Schwie-rigkeiten haben, jeden Tag für alle Familienmit-glieder genug Essen auf den Tisch zu stellen.»Trotz der politischen Öffnung finden viele Men-schen in Myanmar, dass es mit ihrem Land nichtwirklich vorangehe. Und sollte der herbeigesehn-te wirtschaftliche Aufschwung dennoch irgend-wann einsetzen, dann würden vor allem die alten

Eliten aus der Zeit der Militärdiktatur davon pro-fitieren.

Hetzkampagnen und AusschreitungenDie Frustration über den ausbleibenden wirt-schaftlichen Aufschwung dürfte eine der Ursachenfür die wohl gravierendste Negativentwicklung dervergangenen zwei Jahre sein: Immer öfter kommtes zu schweren, religiös motivierten Ausschreitun-gen. Der bislang schlimmste Vorfall hat sich ver-gangenes Jahr in der Rakhine-Provinz im Westendes Landes ereignet. Nach dem Mord an einer jun-

Malaysia

China

Thailand

Bangladesch

Indischer Ozean

Indien

gen Buddhistin, für den Mitglieder der überwie-gend muslimischen Rohingya-Ethnie verantwort-lich gemacht wurden, kam es zu Angriffen aufMuslime, die schnell zu regelrechten Pogromen an-wuchsen. In zwei Gewaltwellen kamen HunderteMenschen ums Leben, die meisten von ihnen Mus-lime. Die Angreifer zerstörten ganze Stadtteile undDörfer. Mehr als 120000 Rohingya sitzen heute inFlüchtlingslagern fest, die sie nicht verlassen dürfenund wo es am Nötigsten mangelt.In den vergangenen Monaten haben sich die Aus-schreitungen gegen Muslime, die rund fünf Prozentder Einwohner des Landes ausmachen, ausgewei-tet. Derzeit vergeht kaum eine Woche, in der esnicht neue Berichte über religiös motivierte Ge-waltakte gibt. Der Gewalt gehen häufig antimusli-mische Hetzkampagnen durch Anhänger radikalerbuddhistischer Gruppen voraus. Der prominenteste Fanatiker des Landes ist derbuddhistische Mönch Ashin Wirathu. Der heute 45-Jährige sass bis zum vergangenen Jahr im Gefäng-nis, weil er 2003 mit einer Hetzrede tödliche Über-griffe auf Muslime ausgelöst hatte. Im Zuge einerweltweit gefeierten Amnestie für politische Gefan-gene kam auch Wirathu frei – und setzte seine Hass-kampagne sofort wieder in Gang. Sie ist gespicktmit Beschimpfungen und rassistischen Beleidigun-gen gegenüber Muslimen. Er fordert seine Lands-

Während die Städte aus allen Nähten platzen, ist der Aufschwung in ländlichen Gegenden noch nicht angekommen

Laos

Yangon

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Ian Teh/VU/laif

Sascha Za

stiral

Eine Welt Nr.3 / September 201320

Verfolgte MinderheitGemäss den VereintenNationen sind die Rohingyaeine der am stärksten ver-folgten Minderheiten derWelt. Zur Volksgruppegehören rund 800000Menschen, die grösstenteilsim Westen von Myanmarleben. Mehrheitlich musli-mischen Glaubens, sind sie mit den Bengalis im be-nachbarten Bangladeschverwandt, besitzen jedocheine eigenständige Spracheund Kultur. Die Rohingyaleben vermutlich schon seitHunderten von Jahren inder Region. Trotzdem an-erkennt sie Myanmar nichtals Staatsbürger. VieleBurmesen betrachten sie denn auch als illegale Einwanderer aus dem heutigen Bangladesch.Aufgrund von Repressionund Verfolgung leben des-halb viele Rohingya alsFlüchtlinge in Bangladeschund anderen Ländern Süd-asiens.

Mit der Öffnung des Landes ist das Angebot auf breiter Ebene – so auch bei den Apotheken und den Medien – grössergeworden

leute dazu auf, sich von Muslimen zu distanzieren,nicht in ihren Geschäften einzukaufen, sie nicht zuheiraten und ihnen kein Land zu verkaufen. Auchsollen sie sich von der Demokratieführerin AungSan Suu Kyi abwenden. Denn ihre Partei sei, ge-nau wie alle übrigen grossen Parteien, von Musli-men unterwandert.

Fehlendes Vertrauen der MinderheitenSuu Kyis Ansehen hat infolge der immer wieder-kehrenden Gewalt in der Tat gelitten. Dies jedochvor allem im Ausland: Denn trotz der verheeren-den Ausschreitungen schweigt Suu Kyi weitge-hend zu dem Thema. Offenbar möchte die Politi-kerin es vermeiden, sich bei der buddhistischen Be-völkerungsmehrheit Sympathien zu verspielen.Kritiker bemängeln, dass die Friedensnobel-preisträgerin ihr hohes Ansehen und ihre grossemoralische Autorität dazu nutzen müsse, der Ge-walt Einhalt zu gebieten.Im ersten Stock des NLD-Hauptquartiers inYangons Stadtteil Bahan sitzt an einem SchreibtischTin Oo, der 85-jährige, vor Energie sprühendeVizevorsitzende von Suu Kyis Partei. Auf die anhal-tende antimuslimische Gewalt angesprochen erklärter, korrupte Beamte hätten während der Zeit derMilitärdiktatur viele Einwanderer aus Bangladeschund Indien ins Land gelassen, was nun zu den Pro-blemen beitrage: «Wir müssen bei denjenigen, diehier leben, prüfen, ob sie wirklich schon lange hiersind und ob deren Vorfahren schon hier gelebt ha-ben. Falls ja, haben sie ein Recht, hier zu leben undsind auch burmesische Staatsbürger.» Für alle an-deren gelte aber in jedem Fall «das Menschenrecht,in Frieden zu leben». Entwicklungspolitisch müs-se ein Klima des Vertrauens geschaffen werden, for-dert Tin Oo. «Die Menschen dürfen nicht in Sor-

ge sein, dass man sie für grosse Industrieprojekte –die zweifellos kommen werden – enteignet, ohnedafür angemessen entschädigt zu werden. Das giltinsbesondere für die ethnischen Minderheiten desLandes. Wir müssen unser Möglichstes tun, damitdiese uns vertrauen und dadurch auch Vertrauen indie nationale Einheit des Landes finden.»

Aufruf zu friedlichem ZusammenlebenVielen Menschen scheint jedoch das Vertrauen, zu-mindest dasjenige in ihre Polizei, abhandengekom-men zu sein. In vielen Stadtteilen Yangons, aber auchin vielen Dörfern und anderen Städten des Landeshaben sich Bürgerwehren gebildet, denen Mitglie-der aller Religionsgruppen angehören. Sie sindeine Reaktion auf die Zurückhaltung ihrer Vor-bildfiguren und auf die Untätigkeit der Behörden.Die Garden bewachen nachts die Zugänge zu ihrenVierteln und achten darauf, dass keine Fremden ein-dringen und Unfrieden stiften. Augenzeugen be-richteten nach den gewalttätigen Ausschreitungender jüngsten Zeit oft, dass viele der Angreifer vonauswärts in die betroffenen Gemeinden gekommenwaren.In Yangon verteilen derweil junge Aktivisten un-ter dem Motto «Beten für Myanmar» regelmässigFlugblätter, T-Shirts und Aufkleber, auf denen siezu einem friedlichen Zusammenleben aufrufen. 95 Prozent der Menschen, so einer der Initiantender Aktion, nehmen die Aufkleber und T-Shirtsgerne an. ■

*Sascha Zastiral ist freier Südasien-Korrespondent, u.a.für die «Neue Zürcher Zeitung» und deutsche Medien.

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Manche Wünsche gehen schneller in Erfüllung, alsman glaubt. Im Juli letzten Jahres lagen meine Frauund ich im Engadin auf einer Wiese und fanta-sierten ein wenig, wohin wir denn gerne reisenwürden, wenn ich von der DEZA nochmals insAusland geschickt würde. Eines der Länder, die wiraufzählten, war Myanmar. Zu diesem Zeitpunktrechnete ich überhaupt nicht damit, dass ich Mit-te September tatsächlich ein solches Angebot er-halten sollte. Doch dann ging alles Schlag aufSchlag. An einem Samstagmittag kam die Anfrage,am Montag fiel der Entscheid und einen Monatspäter reiste ich aus.

Dies erklärt, weshalb ich bisher kaum Myanmarischspreche. Normalerweise haben solche Aufenthalteeine längere Vorbereitungszeit, aber aufgrund dersich abzeichnenden demokratischen Öffnung vonMyanmar hatte der Bund rasch entschieden, seinEngagement hier stark auszubauen. Für meineFunktion suchte man jemanden mit viel Erfahrungund ich konnte sofort einsteigen. Meine Frau hatsich glücklicherweise entschieden nachzureisen,sobald sie in ihrem Job alles abgeschlossen hat. Un-sere Kinder studieren jedoch und bleiben in derSchweiz.

Während Einheimische kaum vor halb 9 Uhr amArbeitsplatz eintreffen, starte ich früh, denn späterverstopft der Verkehr alles. Yangon boomt seit derÖffnung extrem, jeden Tag hat es mehr Autos, mehrTouristen, mehr Geschäftsreisende. Die Infrastruk-tur jedoch kann nicht mithalten. Die Hotel- undWohnungspreise haben sich innerhalb eines Jahresverdoppelt. In der Stadt ist eine starke Aufbruch-stimmung spürbar, aber in fragileren Landesge-genden herrscht auch Skepsis vor. Derzeit laufenbeispielsweise mehr als ein Dutzend Waffenstill-stands-Verhandlungen mit Rebellengruppen ausethnischen Minderheiten, welche die Schweiz teil-weise beratend unterstützt.

In den letzten Monaten war ich in meiner Funk-tion als «Direktor Kooperation» und Stellvertreterdes Botschafters stark mit der Organisationsent-

Eine Welt Nr.3 / September 2013 21

Verstärktes EngagementMyanmar stand seit 1962unter Militärherrschaft, bisdiese am 4. Februar 2011einen zivilen Präsidentenals Staatsoberhaupt ein-setzte. Als Reaktion auf diePolitik der Öffnung wurdendie internationalen Sanktio-nen gegen das Land ge-lockert. Im Juni 2012 ent-schied die Schweiz, inMyanmar eine Botschaft zu eröffnen. Auch dieAktivitäten der DEZA undder Abteilung für Mensch-liche Sicherheit (AMS) desEidgenössischen Departe-ments für auswärtigeAngelegenheiten EDA wer-den verstärkt. Botschaft,DEZA und AMS sind imgleichen Büro unterge-bracht und verfolgen einegemeinsame, integrierteStrategie. Zu den Arbeits-schwerpunkten gehörenneben der üblichen diplo-matischen Arbeit: Einkom-mensförderung und Berufs-bildung; Landwirtschaftund Ernährungssicherheit;Gesundheit, soziale Dienst-leistungen und lokaleGouvernanz; Friedens-förderung, Demokratisie-rung und Schutz vonVerfolgten.www.deza.ch/mekongwww.swiss-cooperation.admin.ch/mekong

Aus dem Alltag von... Peter Tschumi, Direktor Kooperation und Stellvertretender Botschafter in Yangon

wicklung beschäftigt. Vor der Eröffnung der Bot-schaft im November 2012 waren wir hier inYangon nur mit einem Programm für humanitäreHilfe und rund 20 Personen präsent. Seither ha-ben wir kontinuierlich aufgestockt und werden bisEnde 2013 auf rund 40 Personen anwachsen. Hin-zu kommen die Teams in den zwei Feldbüros.Knapp ein Drittel des Teams in Yangon sindSchweizer, zwei Drittel Einheimische. Es brauchtnoch etwas Zeit, bis sich die Abläufe eingespielt ha-ben und das Team harmonieren wird.

Die Programmarbeit ist jedoch bereits in vollemGang. Dabei können wir unter anderem auf die so-lide Vorarbeit der Humanitären Hilfe aufbauen, dienach dem Zyklon Nargis von 2008 ein grossesWiederaufbauprogramm mit Schwerpunkt imSchulhausbau gestartet hat. Der Bau einer neuenSchule schafft nicht nur Vertrauen in die Leistun-gen der Schweiz, er kann auch bewusst als An-knüpfungspunkt für weitergehende Massnahmenzur Gemeindeentwicklung verwendet werden. Sokönnen im Idealfall zukünftig auch ehemals ver-feindete Parteien an einen Tisch geholt werden, umgemeinsam ein solches Projekt für ihre Region zuplanen. ■

(Aufgezeichnet von Mirella Wepf)

«In der Stadt herrschtAufbruchstimmung, in fragileren Landes-gegenden Skepsis.»

DEZA

Myanmar

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Martin Sasse/laif

Ich freue mich zum Water Festival, unserem Neu-jahrsfest, in mein Heimatdorf zu gehen, weil ich siedann wiedersehe. «Sie» sind meine Dorfmitbe-wohner, die vorübergehend in Thailand leben. Ur-sprünglich waren sie papierlose Gast-arbeiter, die in sogenannten 3D-Jobsarbeiten, das sind Jobs, die dreckig,schwierig und gefährlich sind (dirty,difficult and dangerous). Dank der neu-en thailändischen Politik haben sie nunPapiere und können öfter und gefahr-loser nach Hause kommen.

Die Massenmigration im Mon-Staatbegann Anfang 2000. Weil viele Anrei-ze bestehen, bringt sozusagen jedesHaus Arbeiter für den thailändischenArbeitsmarkt hervor. Das Migrantenle-ben birgt enorme menschliche Unsi-cherheiten, trotzdem verlassen die meis-ten jungen Leute ihr Dorf bereits alsTeenager. In ihren Augen lohnt sichBildung nicht, verglichen mit einemJob in Thailand. Für sie ist Bildung zuteuer für das, was zurückkommt. DieJobs im öffentlichen und im privatenSektor sind schlecht bezahlt, und dieMilitärregierung hat das Bildungssys-tem zerstört. «Wenn unsere Kindernach Schulabschluss nicht überlebenkönnen, warum sollen wir sie in dieSchule schicken?», fragen die Eltern.

Die Bereitschaft zur Migration ist gross,weil die Dorfbewohner alle respektie-ren, die Geld nach Hause überweisen.Die meisten Mädchen heiraten frühoder gehen weg. Wer reich heiratet oderGeld nach Hause schicken kann, ist ein Held. Ichwerde niemals eine Heldin sein und von Jugendli-chen benieden werden. Während meine Freunde

Eine Welt Nr.3 / September 201322

Home Sweet Home

Stimme aus ... Myanmar

ohne Schulabschluss nach Thailand gingen, war fürmich Bildung das Wertvollste. Unter dem Militär-regime ging es vielen normalen Bürgern ausserhalbder Wirtschaftszentren schlecht. So auch meinen El-

tern. Mein Studium zu beenden, warmühsam, weil die Uni oft geschlossenwurde. Weil mir Bildung wichtig war,stellten die Dorfbewohner immerwieder Fragen. Als ich 16 Jahre war,wollten sie wissen, ob ich auch insHochland (thailändische Grenze) gin-ge. Als ich mit 18 anfing, an der Uni-versität Yangon zu studieren, hiess es:«Warum machst du deinen Eltern soviele Probleme? Sei eine gute Tochter.Andere Eltern kriegen Geld von ihrenKindern.» Als ich 22 wurde: «Warumwillst du nicht heiraten? Noch mehrAbschlüsse! So ein Blödsinn!» Mit 25:«Wie viel verdienst du im Monat?» Alsich 30 wurde, gaben sie auf. Sie konn-ten ja nicht sehen, wie ich mich ver-ändert hatte. Ich gewann Stipendienfür Hochschulen im Ausland. Ich binleitende Redaktorin bei einer einfluss-reichen Zeitung sowie Vertreterin ei-ner europäischen NGO. Aber dieseVeränderungen bedeuten ihnen nichts.Für sie bin ich immer noch dieselbe –gleiche Kleidung, gleiche Frisur. Mei-ne Familie lebt in stabilen Verhältnis-sen, hat nicht viel mehr als vorher.

Dagegen ist ihr eigenes Leben insta-bil, das soziale Netz brüchiger gewor-den. Früher waren die Dorfbewohnerehrlicher und freundlicher. Ausserhalbder Dorfgemeinschaft muss das Leben

hart und der Kampf ums Geld unerbittlich sein.Unsere Toleranz und Solidarität leiden. Die Men-schen denken materialistischer. Nur eines hat sichnicht verändert: ihre Einstellung gegenüber derBildung. Myanmars Volkswirtschaft hat die Tore für fähige Arbeitskräfte geöffnet. Eine anständigeAusbildung ist wichtiger denn je. Wie sollen sie inZukunft überleben? Können sie sich für immer aufdie thailändische Wirtschaft verlassen? Nein. Sollmein Dorf weiterhin einfache Arbeiter für das mo-derne Myanmar hervorbringen? Das ist nicht dieZukunft, die ich mir für mein Dorf wünsche. Ichwill verändern. Aber wo fange ich an? Ich habeMitleid mit ihnen und sie mit mir. ■

(Aus dem Englischen)

Nwet Kay Khine, 34, ist

Journalistin und politische

Nachrichtenanalystin bei

der Mediengruppe «Living

Color Media» mit Sitz

in Yangon. Sie hat

Masterabschlüsse in

Internationale Beziehungen,

Internationalen Entwick-

lungsstudien sowie in

Journalismus, Medien und

Globalisierung. Nwet Kay

Khine unterrichtet ausser-

dem im informellen

Bildungssektor Fächer

im Bereich Medien und

Entwicklung. Sie lebt in

Yangon und schreibt

Kolumnen für das

Wochenmagazin «Voice

Weekly Newspaper», in

der sie Entwicklungs-

themen in Myanmar mit

anderen Ländern vergleicht.

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Eine Welt Nr.3 / September 2013 23

DEZA

den Betrieb der Schulhäuser und für die Betreu-ung der Lehrer liegt bei den einzelnen Gemeinden.Dort haben Umweltanliegen oft keine Priorität.»Mangels Vergleichszahlen habe man vielerorts nochnicht realisiert, dass sich Umweltmassnahmen, wiezum Beispiel Energie- und Wassersparen, positivaufs Gemeindebudget auswirken können. Deshalb hat die DEZA ihr Engagement um dreiweitere Jahre bis 2015 verlängert. Zusätzlich erge-ben sich dadurch Synergien für das neu lancierteNaturschutzprojekt im Tal der Bregalnica: Im Hin-blick auf die anstehende Diskussion um die künf-tige Balance zwischen Nutzung und Schutz in die-ser Region, hat Oxo neues Unterrichtsmaterial er-arbeitet, das sich praxisnah mit Themen wieBiodiversität und Naturschutz im ländlichen Raumbefasst. ■

Umweltschutz in Mazedoniens SchulstubenAngefangen hat alles mit der Initiative einer NGO an einzelnenSchulen – heute ist Umwelterziehung fester Bestandteil in Ma-zedoniens Lehrplan. Dies nicht zuletzt dank dem langjährigenEngagement der DEZA. Die Sensibilisierung für Umweltfragenebnet den Weg für weitere Fortschritte und Projekte in diesemBereich.

Öko-SchulenDie weltweite Bewegungder Öko-Schulen wurde1994 von einer dänischenNGO ins Leben gerufen.Die Idee dahinter: Kinderund Jugendliche erlebenund lernen in ihrem Schul-alltag den nachhaltigenUmgang mit Wasser,Energie oder Abfall. Indemsie das Gelernte zuhauseanwenden, werden sie zuVermittlern für eine ökolo-gischere Lebensweise.Öko-Schulen arbeiten miteinem Bonussystem: DieVerbesserungen werden in sieben Schritte unterteilt,bei denen jeweils spezifi-sche Zielsetzungen zu erreichen sind. In Mazedo-nien leistete die Umwelt-organisation Oxo 1998 mitder Lancierung der erstenÖko-Schulen Pionierarbeit.Heute wetteifern Schulenim ganzen Land um dieAnerkennungspreise, diees für besonderes Engage-ment im Umweltbereichgibt. Dabei reicht dasSpektrum vom Abfallsam-mel-Tag bis zu Solarpanelsauf dem Schulhausdach. www.eco-schools.org

(gn) Das Wassermanagement im idyllischen Tal desBregalnica-Flusses soll verbessert und an europäi-sche Standards herangeführt werden. Die Schweizunterstützt dabei sowohl Projekte für eine intensi-vere Nutzung der Ressourcen, wie Bestrebungenzum Schutz der einmaligen Naturlandschaft. Da-bei arbeitet sie eng mit der mazedonischen Um-weltorganisation Oxo zusammen, die seit den1990er Jahren Pionierarbeit im Bereich Umwelt-erziehung leistet. Angefangen hat sie mit der Erarbeitung von an-schaulichem Unterrichtsmaterial und der Zusam-menarbeit mit Schulen und Lehrpersonen, die sichfür die Thematik begeistern liessen. Unter demMotto «Wir haben keinen Ersatzplaneten» setzensie sich für die Verbesserung der Ökobilanz in denSchulhäusern sowie für die Sensibilisierung vonSchülerinnen und Schülern für Umweltfragen ein.Ihre Bestrebungen richten sie dabei nach denRichtlinien der internationalen Bewegung derÖko-Schulen.

Gemeindebudget profitiertDie DEZA unterstützt diese Kampagne in Maze-donien seit 2002. Angesichts der Bedeutung und desErfolgs des Projekts setzt sie sich seit 2010 dafür ein,dass die bis dahin freiwillige Umwelterziehung lan-desweit institutionalisiert und in die Lehrpläne auf-genommen wird. Wichtige Schritte in diese Rich-tung wurden mit der Schaffung einer Koordina-tionsstelle sowie der Integration des Themas Um-welt in den Schulstoff bereits vollzogen. Mit der Umsetzung allerdings ist man noch nichtüberall auf dem gewünschten Niveau, wie Roma-na Tedeschi, Programmbeauftragte für Mazedoni-en bei der DEZA, ausführt: «Die Verantwortung für

DEZA

(2)

Praxisorientierte Umwelterziehung mit einem Theater-stück oder einem Workshop, in dem ein Kleid aus Abfallhergestellt wird

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Helvetas Swiss Intercoo

peration

Eine Welt Nr.3 / September 201324

( jls) Obwohl Verkehrswege ein wesentlicher Fak-tor für die ländliche Entwicklung sind, fehlen inBurkina Faso immer noch dringend benötigte,ganzjährig befahrbare Strassen. Viele Dörfer aufdem Land sind nur durch Buschpfade mit der Aus-senwelt verbunden. Gesundheitseinrichtungen,Märkte und Schulen sind kilometerweit entferntund nur zu Fuss oder per Velo erreichbar. In derRegenzeit sind die Dorfbewohner manchmalmehrere Monate von der Aussenwelt abgeschlos-sen. Mit einer nationalen Strategie für ländlicheVerkehrswege bemüht sich die burkinische Re-

Strassen ebnen das Terrain für EntwicklungIm Osten von Burkina Faso unterstützt die DEZA den Bau vonländlichen Fahrpisten, um den Zugang zu Märkten und Basis-dienstleistungen zu verbessern. Die Arbeiten werden nach ei-ner speziellen Methode ausgeführt, bei der die Dorfbevölkerungselber Hand anlegt. Auf Geräte und Maschinen wird weitgehendverzichtet.

gierung nun seit Anfang 2000, die ländlichen Gebiete mit Strassen zu erschliessen.

Mensch ersetzt MaschineSeit 2002 unterstützt die DEZA diese Strategiemit einem Programm zum Bau von Naturstrassenim Osten des Landes. Bis heute hat sie bereits 300Kilometer Strasse und 126 Bauten zur Überque-rung von Wasserläufen oder Niederungen finan-ziert. Rund fünfzig Dörfer mit insgesamt mehr als500000 Einwohnern konnten damit aus ihrer Iso-lation befreit werden.

Für den Bau der Naturstrassen werden monatlich rund 900 Stellen für die Lokalbevölkerung geschaffen

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Helvetas Swiss Intercoo

peration

25Eine Welt Nr.3 / September 2013

HIMO einst und jetztDie HIMO-Methodewurde in den 1970erJahren von der Interna-tionalen Arbeiterorgani-sation als Mittel gegen diehohe Arbeitslosigkeit inden Entwicklungsländernausgearbeitet. EinzigesZiel war die Beschäftigungvon Arbeitern, entspre-chend mager fielen dietechnischen und wirt-schaftlichen Resultateaus. Inzwischen wurdedas Konzept weiterent-wickelt. Kosten, Rentabi-lität und Qualität spielennun ebenfalls eine Rolle.Ausserdem werden dieArbeiten an lokale Klein-unternehmen vergeben,was den privaten Sektorankurbelt. Mit dem Baueiner nachhaltigen Infra-struktur zu konkurrenz-fähigen Preisen, schafftHIMO regional zahlreicheArbeitsplätze. In Ländernmit tiefen Einkommen kos-ten die Baustellen 10 bis30 Prozent weniger alssolche, auf denen vieleGeräte und Maschineneingesetzt werden.

Die Politik der Dezentralisierung sieht vor, dass dieGemeinden selber als Auftraggeber fungieren. Sieplanen den Bau der Strassen, schreiben die Arbei-ten aus, beauftragen die Unternehmen und über-wachen die Ausführung. «Wir unterstützen dieGemeinden in dieser neuen Rolle und bei feh-lenden Kompetenzen. Nicht alle Beteiligten kön-nen beispielsweise lesen und schreiben», sagt Lio-nel Giron, Programmkoordinator für Westafrikabei Helvetas Swiss Intercooperation, welche dasStrassenbauprogramm umsetzt. Auf den Baustellen sieht man keine einzige Stras-senbaumaschine, dafür zahlreiche Arbeiterinnenund Arbeiter mit Schaufeln, Pickeln oder Schub-karren. Die HIMO-Methode (Haute Intensité deMain-d’œuvre) basiert nämlich auf der Idee, mög-lichst viele Arbeitskräfte aus der Region einzu-setzen. Lokale Kleinunternehmen rekrutieren diein grosser Zahl benötigten Maurer, welche eineKurzausbildung erhalten, und Hilfsarbeiter vorOrt. Gebaut wird während der Trockenzeit, wennauf den Feldern kaum Arbeit anfällt. Jeden Monatwerden so mehr als 900 Stellen angeboten, davon135 für Frauen. Strassenbauerinnen und -bauerverdienen je nach Tätigkeit zwischen 3.30 und5.65 Franken pro Tag.

Arbeit bringt konkreten NutzenDamit die Unternehmen auf regelmässig erschei-nende Arbeitsequipen zählen können, ist es wich-tig, dass die ausgewählten Gemeinden das Projektvoll unterstützen. Aus diesem Grund wird denDorfbewohnern im Vorfeld erklärt, welche Vor-teile ihnen die Erschliessung bringt. «Die Arbeit ist anstrengend. Man muss graben, schwere Steineherbeischaffen, Lateriterde mit der Schaufel ver-teilen, die Oberfläche feststampfen», erklärt Lio-nel Giron. «Die Leute wären sehr schnell entmu-tigt, wenn sie nicht wüssten, welchen Nutzen siedavon haben.»Eine 2011 durchgeführte Wirksamkeitsstudiemachte die Vorteile deutlich. Die Naturstrassen ha-ben zu einer markanten Verbesserung der Le-bensbedingungen in der Region beigetragen. DerZugang zu Gesundheitszentren, Schulen und an-deren Basisdienstleistungen ist besser geworden.Im Notfall kommt die Ambulanz direkt zu denKranken oder Hochschwangeren bis ins Dorf. Diegrössere Mobilität wirkt sich auch wirtschaftlichaus: Die Bauernfamilien können mehr anbauen,weil sie die Möglichkeit haben, ihre Waren auf demMarkt zu verkaufen. Händler kommen sogar in dieDörfer, um lokale Produkte einzukaufen. So steigtdie Kaufkraft zunächst durch die Arbeit auf denBaustellen und bleibt dann mit der wachsendenGeschäftstätigkeit erhalten.

Die neuen Fahrpisten haben die Lebensbedingungen inden Regionen erwiesenermassen deutlich verbessert

Wer zahlt für Unterhalt? Ein wichtiger Aspekt der HIMO-Methode ist derdauerhafte Unterhalt der Naturstrassen. Da dieDorfbevölkerung beim Bau selber Hand anlegt,weiss sie auch bestens, wie die Strassen zu repa-rieren sind. Allerdings bleibt nach wie vor unklar,welche Behörde den Unterhaltsauftrag vergibt.«Derzeit überlegen wir uns, wie wir den Ge-meinden mehr Verantwortung übertragen kön-nen», erklärt Max Streit, Programmverantwortli-cher bei der DEZA. «Auf jeden Fall braucht esnoch vor Abschluss des Programms im Juni 2015eine Entscheidung.»

Die burkinische Regierung ist von der HIMO-Methode so fest überzeugt, dass sie letztes Jahrentschieden hat, sie zu einem zentralen Elementihrer Erschliessungspolitik zu machen. «Eine sehrpositive Entwicklung», freut sich Lionel Giron.«Das bedeutet, dass unsere gemachten Erfahrun-gen auf nationaler Ebene angewendet werdenkönnen.» In Burkina Faso gibt es noch TausendeNaturstrassen, die zu bauen oder zu sanieren sind.Andere Geldgeber haben bereits ihr Interesse andiesen Projekten bekundet. ■

(Aus dem Französischen)

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Einblick DEZA

26 Eine Welt Nr.3 / September 2013

Benin: Arbeitsplätze aufdem Land(bm) Von den 140000 BeninerUnternehmen befinden sichgerade mal ein Drittel auf demLand. Die meisten sind kleineFamilienbetriebe ohne Ange-stellte. Um die wirtschaftlicheEntwicklung und die Arbeits-platzbeschaffung zu fördern,finanziert die DEZA ein Projektzur Stimulierung des Unter-nehmertums in ländlichenGegenden mit. Mit privat be-reitgestelltem Kapital sowieder Unterstützung bei Aus-bildung und Innovation sollenkleine und mittlere Unterneh-men gestärkt oder neu ge-schaffen werden. Anvisiertwerden Bereiche wie Produk-tion, Verarbeitung und Vertrieblandwirtschaftlicher Produktesowie die Energieproduktionvor Ort. Projektdauer: 2013 bis 2017Volumen: 3,7 Millionen CHF

Gegen den Hunger inRuanda und Burundi(bm) Mangelernährung ist inRuanda und Burundi weit ver-breitet. Die DEZA kofinanziertein von vier UNO-Agenturenumgesetztes Projekt zumEindämmen der Ursachen dieses Problems in denschwächsten Bevölkerungs-gruppen. Erwartet werden unter anderem eine Verbesse-rung der landwirtschaftlichenProduktion im Rahmen derHaushalte, die Förderung an-gereicherter Nahrungsmittelfür Kleinkinder und Frauen so-wie Sensibilisierungs- und

Informationskampagnen inden Bereichen Ernährung undHygieneregeln. Projektdauer: 2013 bis 2016Volumen: 5,8 Millionen CHF

Libanon: Aufnahme vonFlüchtlingen(ung) Der Libanon bekommtdie Auswirkungen des Kriegsin Syrien unmittelbar zuspüren – über 380000 syri-sche Flüchtlinge haben imLand Aufnahme gefunden.Viele von ihnen leben in Gast-familien. Doch diesen fällt esimmer schwerer, die zumUnterhalt benötigten Mittelaufzutreiben. Die HumanitäreHilfe der DEZA hat die zweitePhase eines Projekts in Angriffgenommen, das sich dieserNot annimmt. In Wadi Khaledund Akroum, zwei Städten ander syrischen Grenze, richtetsie den Gastfamilien direkte finanzielle Hilfe aus. DasProjekt soll über 1800 Fami-lien und 15000 syrischeFlüchtlinge erreichen. Projektdauer: 2013Volumen: 2,6 Millionen CHF

Gemüse geht zur Schule( jah) Genug essen bedeutetnicht immer, auch ausgegli-chen essen. Rund zweiMilliarden Menschen leidenunter einem Mangel anMikronährstoffen, bekannt als «stiller Hunger». Die DEZAunterstützt deshalb ein Schul-gartenprojekt in sechs Län-dern des Südens (BurkinaFaso, Tansania, Bhutan, Nepal,Indonesien, Philippinen).Damit soll die Ernährung derSchüler und ihrer Familien verbessert werden. Grossen Wert legt man dabeineben der Sensibilisierungs-arbeit vorab auf die Wahl vonFrucht- und Gemüsesorten

mit hohem Mikronährmittel-gehalt, welche an die klimati-schen Bedingungen ange-passt sind. Die Ernte ausdiesen Gärten wird in denSchulkantinen aufgetischt. Projektdauer: 2012 bis 2015Volumen: 3,7 Millionen CHF

Schutz der Andenwälder(jah) Bei der Finanzierung des Kampfs gegen den Klima-wandel werden die «an dennationalen Kontext angepass-ten Begrenzungsmassnah-men (NAMA: nationally appro-priate mitigation actions)»künftig zum Schlüsselelement.Damit sollen Treibhausgas-emissionen entwicklungsför-dernd reduziert werden. Chileerarbeitet mit Unterstützungder DEZA als eines der erstenLänder ein solches Instrumentfür den Forstbereich. Dabeigeht es nicht nur darum,Emissionen zu reduzieren,sondern auch Waldbesitzer an den chilenischen und deninternationalen CO2-Marktheranzuführen und eine bes-sere Verteilung der Erlöse zugewährleisten. Projektdauer: 2013 bis 2014Volumen: 1,6 Millionen CHF

Tadschikistan: Entwicklungdes Rascht-Tals(mpe) Im abgelegenen Rascht-Tal in Tadschikistan ist dasLeben hart. Die gebirgigeRegion ist die ärmste desLandes und leidet regelmässigunter verschiedensten Natur-katastrophen. Ausserdem istsie politisch chronisch instabil.In diesem besonders fragilenUmfeld stellt die DEZA inZusammenarbeit mit der AgaKhan Foundation den Über-gang humanitärer Aktivitätenin eine nachhaltigere Entwick-lung sicher. Das Programm

konzentriert sich auf Trink-wasser und Gesundheit, beinhaltet aber auch andereAspekte wie die Präventionvon Naturkatastrophen undeine bessere Ressourcenbe-wirtschaftung. Mit ihremEinsatz in dieser Region leistetdie DEZA Pionierarbeit undbereitet den Boden für andereGeldgeber. Projektdauer: 2013 bis 2017Volumen: 9,6 Millionen CHF

E-Government in derUkraine(mpe) Zur Verstärkung ihresEinsatzes im Bereich lokalerGouvernanz in der Ukraine hatdie DEZA ein E-Government-Projekt lanciert. Damit sollendie Bürger unterstützt werden,die sich mit einer komplizier-ten, ineffizienten und korrup-tionsanfälligen Bürokratie her-umschlagen müssen, indemmoderne, schnelle und trans-parente Dienstleistungen aufGemeindeebene gefördertwerden. Angestrebt wird nichteine Lösung, die gleich alleProbleme der Behörden vonheute auf morgen löst, son-dern vielmehr ein Initialschubfür die nötigen Reformen derLokalverwaltung, damit derBevölkerung qualitativ anspre-chende Dienstleistungen an-geboten werden können. Projektdauer: 2013 bis 2014Volumen: 300000 CHF

Adrien Michel/D

EZA

DEZA

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Daniel M

cCab

e/Red

ux/laif

Eine Welt Nr.3 / September 2013 27

FORUM

Der Anblick der sterbenden Kriegsverwundeten aufdem Schlachtfeld von Solferino schockierte Hen-ri Dunant dermassen, dass er eine revolutionäre Ideelancierte: Alle Kriegsopfer sind Menschen und ha-ben ohne jeden Unterschied Anspruch auf Hilfe.Nach diesem Prinzip wurden 1863 das IKRK unddie nationalen Rotkreuz-Organisationen gegrün-det und das Humanitäre Völkerrecht entwickelt.

Schwindende Akzeptanz für HelferBis Mitte des 20. Jahrhunderts war das IKRK dieeinzige internationale Organisation, die in Kon-fliktregionen zum Einsatz kam. Seither sind UN-und zahlreiche Nichtregierungsorganisationen(NGO) dazugekommen. Die meisten humanitärenAkteure respektieren heute vier grundlegendePrinzipien: Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neu-tralität und Unabhängigkeit.

Nach Humanitärem Völkerrecht dürfen Konflikt-parteien Hilfeleistungen nicht willkürlich ablehnen.Seit rund zehn Jahren jedoch bekunden humanitäreOrganisationen immer mehr Mühe, deren Einver-ständnis zu erhalten. Die kriegführenden Parteienerlauben ihnen den Zugang zu den Opfern nur un-gern, weil sie sie als Verbündete des Westens verste-hen, oder weil sie die auf ihrem Gebiet erbrachteHilfe strikt kontrollieren wollen. Manche autoritären Staaten und bewaffnetenGruppen widersetzen sich besonders hart. Undlehnen sie Hilfe nicht kategorisch ab, lassen sie die-se nur unter sehr restriktiven Bedingungen zu.«Um Leben zu retten, müssen humanitäre Helferbisweilen Kompromisse eingehen oder gar vonihren Prinzipien abrücken. Damit verbunden sind moralische Dilemmas, die sich langfristig kon-traproduktiv auswirken können», sagt Anne de

Was liegt drin, um zu denOpfern zu gelangen?Während das Internationale Komitee vom Roten Kreuz heuersein 150-Jahr-Jubiläum feiert, steht die Humanitäre Hilfe vorneuen Herausforderungen: Der Zugang zu den Opfern in Kon-fliktregionen wird für Organisationen wie das IKRK zunehmendschwieriger. Um überhaupt helfen zu können, müssen sie bis-weilen Kompromisse eingehen. Von Jane-Lise Schneeberger.

In manchen Gebieten der Demokratischen Republik Kongo gelangt humanitäre Hilfe nur unter dem Schutz von UNO-Blauhelmtruppen zur notleidenden Bevölkerung

Griffige InstrumenteEine von der Schweiz ein-berufene Expertenrundewidmete sich 2008 denSchwierigkeiten beimZugang zu den Opfern be-waffneter Konflikte. Sie hatzwei Schlüsse gezogen:Der anwendbare juristischeRahmen ist nicht klar ge-nug, und zur Verbesserungdes Zugangs braucht esgriffige Instrumente.Zusammen mit anderenAkteuren der humanitärenHilfe hat das EDA deshalbzwei Publikationen unterdem Titel «HumanitarianAccess in situations of ar-med conflict» erarbeitetund in die Vernehmlassunggegeben. Die eine fasst dieeinschlägigen Regeln desinternationalen Rechts zu-sammen, die andere bieteteine Methodik für huma-nitäre Helfer, die mit diesenFragen konfrontiert sind.Die Broschüren sind abSeptember verfügbar unter:www.eda.ch (Dokumenta-tion, Publikationen,Menschenrechte, huma-nitäre Politik und Migration)

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Jan Grarup/laif

Eine Welt Nr.3 / September 201328

Riedmatten, Projektleiterin bei der HumanitärenHilfe der DEZA.

Zugang zu allen oder nur zu einigen?Zu den häufigsten Restriktionen gehört der ver-weigerte Zugang in heikle Gebiete, während die-ser anderswo freigegeben wird. Das Dilemma: Darfeine unparteiliche Organisation nur einem Teil derOpfer zu Hilfe eilen? «Manchmal muss man sichpragmatisch geben», antwortet IKRK-Generaldi-rektor Yves Daccord. «Wir können eine solche Be-dingung vorübergehend akzeptieren, kommen aberdarauf zurück und fordern den uneingeschränktenZugang zu allen Notleidenden immer wieder ein.»Manche NGO setzen sich über Zutrittsbeschrän-kungen auch hinweg. «Wir arbeiten immer lieberim Einvernehmen mit dem Staat. Wenn aber dieVerhandlungen scheitern, ziehen wir in den vonden Behörden nicht kontrollierten Gebieten ande-re Lösungen in Betracht», sagt Bruno Jochum, Generaldirektor von Ärzte ohne Grenzen (MSF)Schweiz. Im Fall der seit zwei Jahren von der Re-gierung gesperrten sudanesischen Provinz Südkor-dofan hat sich MSF direkt Zugang zu den von denRebellen kontrollierten Gebieten verschafft, gibtden sudanesischen Behörden aber Auskunft überdie eigene Tätigkeit. UNO-Agenturen haben diesbezüglich nicht den-selben Spielraum und sind gehalten, die Souverä-nität der Staaten zu respektieren. «Verweigert unseine Regierung den Zutritt, erinnern wir sie an ihreVerpflichtungen gemäss Humanitärem Völkerrecht.

Das Resultat jedoch ist unterschiedlich», räumt Ge-neviève Boutin, Leiterin der Unicef-Abteilung Hu-manitäre Politik, ein. «Wir haben nicht dieselbenDruckmittel, wenn der Zutritt von einer bewaff-neten Gruppe verweigert wird, die keinerlei poli-tische Legitimation braucht und sich deshalb nichtans Humanitäre Völkerrecht gebunden sieht.»

Schweigen oder gehen Um Druck auf die Kriegstreibenden zu machen,können humanitäre Helfer die Medien einbezie-hen. Lässt sich eine Blockade im bilateralen Dialognicht lösen, geht fallweise auch das üblicherweisediskrete IKRK an die Öffentlichkeit. So hat es2009 darauf hingewiesen, dass palästinensische Ver-letzte in Gaza starben, bloss weil die Ambulanzennicht fahren durften. Allerdings führt auch öffentliches Anprangern in einDilemma, weil es Vergeltungsmassnahmen nach sichziehen kann. In der Endphase des Kriegs in Sri Lan-ka haben die meisten humanitären Organisationendas Ausmass der Massaker verschwiegen, was ihnenspäter vorgeworfen wurde. Dazu gehörte auchMSF: «Hätten wir uns öffentlich dazu geäussert,wären wir sofort ausgewiesen worden. Da unsereChirurgieteams Leben retten konnten, haben wiruns zugunsten der Hilfeleistung entschieden», er-innert sich Bruno Jochum. Die Regierung Sri Lan-kas verfolgte damals eine Einschüchterungsstrate-gie gegenüber den humanitären Akteuren, wie einUNO-Bericht 2012 festgehalten hat. Manchmal zieht ein Staat oder eine bewaffnete

Vor zwei Jahren vertrieben die Schabab-Milizen in Somalia 17 humanitäre Organisationen, welche der Bevölkerung helfen wollten

An allen FrontenDas IKRK beschäftigt rund13000 Personen. Es ist inüber 80 Ländern tätig, umden Opfern internationaleroder landesinterner Kon-flikte Schutz und Unter-stützung zu bieten. Diewichtigsten Einsatzgebietesind zurzeit Afghanistan,Irak, Somalia, DR Kongo,Südsudan und Syrien. Das IKRK bietet eine breitePalette humanitärer Dienste,von Gefangenenbesuchenüber die Lieferung vonProthesen, die Versorgungmit Trinkwasser, medizini-sche Dienste und wirt-schaftliche Unterstützungbis hin zur Suche nachVermissten. Finanziert wirddas IKRK im Wesentlichenvon westlichen Regierun-gen. Die Schweiz leistetnach den USA den zweit-grössten Beitrag. DiesesJahr beläuft er sich auf 119 Millionen Franken.

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James Hill/laif

29Eine Welt Nr.3 / September 2013

Gruppe das zuvor gewährte Zutrittsrecht zurück.2009 wies der Sudan zehn internationale NGOaus Darfur aus. Zwei Jahre später vertrieben dieSchabab-Kämpfer 17 humanitäre Organisationenaus Somalia.Eine Organisation kann sich auch von sich auszurückziehen, wenn sie den Eindruck hat, ihrenAuftrag nicht mehr erfüllen zu können. Die Kehr-seite dieses Entscheids: Für die Opfer hat er ein-schneidende Konsequenzen. «Der völlige Rückzugbleibt letztlich eine Ausnahme. Später erneut Zu-gang zu bekommen, ist in der Regel schwierig. Diebetroffene Organisation sistiert daher eher nur ei-nen Teil ihrer Aktivitäten», erklärt Anne de Ried-matten. So hat das IKRK beispielsweise im ver-gangenen April die Gefangenenbesuche in Usbe-kistan ausgesetzt, weil es seine Schutzfunktion fürdie Inhaftierten nicht mehr wahrnehmen konnte,und hat nurmehr eine reduzierte Präsenz im Landaufrecht erhalten.

Sicherheit auf Kosten der NeutralitätZugangsbeschränkungen können auch mit man-gelnder Sicherheit zusammenhängen. In einem sol-chen Umfeld stellen sich beim Schutz des Perso-nals heikle ethische Fragen. «Auf militärisches Ge-leit zurückzugreifen, gefährdet die Neutralität derhumanitären Helfer», sagt Ed Schenkenberg, Di-rektor der Dara International Foundation. «Leiderbekommt man manchmal nur so Zugang zu denOpfern. Was ist besser? Eskortiert hinausgehen odersich im Büro der Hauptstadt verschanzen?»

In Somalia werden zurzeit die meisten internatio-nalen Teams von bewaffneten Wachen beschützt.Für das IKRK und MSF bleibt dies eine Ausnah-me. Beide Organisationen haben eine starke Ab-neigung gegen militärischen Schutz. Lieber ver-handeln sie mit den kriegführenden Parteien umSicherheitsgarantien. Die UNO setzt Eskorten nurals letzte Massnahme ein, wenn es keinerlei zivileLösungen gibt, um humanitäre Bedürfnisse zu be-friedigen. In manchen Gebieten der Demokrati-schen Republik Kongo bewegen sich ihre Teamsheute unter dem Schutz von Blauhelmen. Der Risiken wegen vertrauen manche Organisa-tionen, besonders diejenigen der UNO, die kon-kreten Hilfeleistungen lokalen Vermittlern an undleiten die Einsätze aus Distanz. «Wenn unsere Teamsdirekt bedroht werden, arbeiten wir via Drittpar-tei. So bleiben wir sogar unter extrem unsicherenUmständen vor Ort», erklärt Geneviève Boutin.«Wir wählen in der Region gut verankerte Part-ner, die nicht im selben Mass Zielscheiben sind wiedas UNO-Personal.» Das IKRK dagegen setzt auf den direkten Zugangzu den Opfern, unterstreicht Yves Daccord: «Mit ei-genen Mitarbeitern vor Ort können wir die Be-dürfnisse besser abschätzen und verstehen genauer,worum es geht. Dies erleichtert auch den Dialogmit allen Beteiligten.» ■

(Aus dem Französischen)

In Usbekistan – hier eine Flüchtlingsgruppe an der Grenze zu Kirgistan – konnte das IKRK im Frühling dieses Jahres wegen der eingeschränkten Handlungsfreiheit nurmehr eine reduzierte Präsenz im Land aufrecht erhalten

Zwei Jubiläumsjahre2013 und 2014 werdenverschiedene Gedenk-feiern zum Thema «150Jahre Humanitäre Hilfe» organisiert. Gefeiert wirdnicht nur das 150-jährigeBestehen des IKRK, son-dern auch dasjenige derersten Genfer Konventionzum Humanitären Recht.Da das IKRK Hauptpartnerder Schweiz im huma-nitären Bereich ist, wirktsie bei den Feierlichkeitenmit. Die Schweiz nutzt die Gelegenheit dieserJubiläen, um ihr Engage-ment für das HumanitäreVölkerrecht und die Opferbewaffneter Konflikte sowieihre Rolle als Depositärinder Genfer Konventionenim Ausland bekannter zumachen.

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Getachew Geb

ru

Bonne Huka ist 52 und gehörtzum Volk der Boran. Sie lebt inder Peripherie von Yabello, ei-ner ländlichen Stadt, etwa 570Kilometer von Addis Abebaentfernt. Bonne ist Witwe undmuss eine neunköpfige Familieernähren. Als die Viehherden inihrem Dorf durch eine Epide-mie und eine Dürreperiode de-zimiert wurden, verlor sie alleihre 15 Rinder. Sie musste dasDorf verlassen und zog nachYabello. Derzeit verdient sieden Unterhalt für ihre Familieund das Schulgeld für ihreTochter mit einfachen Arbei-ten, unter anderem macht sieKohle und verkauft Feuerholz.Sie hofft, dass sie eines Tageswieder von der Viehzucht lebenkann.

Tausenden von Hirtinnen undHirten ergeht es wie Bonne.Interne und externe Faktoren,auf die sie keinen Einfluss ha-ben, zwingen sie, ihr bisherigesLeben hinter sich zu lassen.

Eine Welt Nr.3 / September 201330

Bonne Huka muss aussteigen

Getachew Gebru ist Mitbe-gründer und Geschäftsführerder privaten Forschungs- und Entwicklungsorganisation MARIL mit Sitz in Äthiopien. Er ist derzeit Präsident derÄthiopischen Viehzucht-Gesell-schaft (Ethiopian Society ofAnimal Production). Er beschäf-tigt sich seit Jahren mit For-schung und Sensibilisierungs-arbeit in den verschiedenenHirtengebieten Äthiopiens undNordkenias und ist ausgewie-sener Kenner des Risikomana-gements im Bereich Hirtentum.

Carte blanche

Jedes Jahr geben rund zehnProzent der Hirten auf,hauptsächlich weil sie ihreExistenzgrundlage verlieren.

Wer aus dem Hirtenleben aus-steigt, muss sich eine andereLebensgrundlage aufbauen. Für viele ehemalige Viehhirtenbedeutet das sesshafte Leben jedoch nicht zwangsläufig denBruch mit ihren Verwandtenund Nachbarn, die weiter alsHirten auf dem Land leben. Es ist vielmehr eine weitereMöglichkeit, in einem schwie-rigen materiellen und sozialenUmfeld zu überleben. Denn die Armen sind zunehmend benachteiligt und scheiden im-mer öfter aus dem System aus:Einerseits nehmen ihre Existenz-schwierigkeiten wegen den re-gelmässigen Dürreperioden,den Konflikten, der abnehmen-den Bodenqualität, der rückläu-figen Produktivität sowie derimmer schneller wachsendenBevölkerung zu. Anderseits

ziehen in Zeiten der Dürre dieBessergestellten auf der Suchenach Futter und Wasser weiterund lassen die Armen in ihrerNot zurück.

Der gegenwärtige Ausbau derSoforthilfe in den Hirtengebie-ten hat zwar Leben gerettet, än-dert aber nichts an der generellprekären Situation der Hirten-nomaden. Langfristiges Denkenist nicht nur gefragt, sonderneine humanitäre Notwendig-keit! Es braucht Massnahmen,die sowohl die Lebensgrund-lage der Wanderhirten stärken,als auch alternative Einkom-mensmöglichkeiten fördern. In den letzten Jahren habenverschiedene Geldgeber dennauch ein wachsendes Interessegezeigt, das Wanderhirtentumzu unterstützen.

Ausserdem fangen die Geld-geber an, ihre gemeinsamenInvestitionen in die Produktivi-tät sichernden Programme fürdie ländlichen Regionen inÄthiopien besser zu koordinie-ren. Dies wegen dem Klima-wandel, aber auch, damit dasHirtentum auf eine dringendbenötigte stabilere Basis gestelltwerden kann.

Es gibt eine Annäherung zwi-schen der neuen Sichtweise, das Hirtentum als rentablesUnternehmen wahrzunehmen,und der Notwendigkeit, dieLebensbedingungen zu verbes-sern sowie alternative Ein-kommensquellen zu fördern:Ansatzpunkte dabei sind derViehhandel entlang der Wert-schöpfungskette, das Manage-ment der natürlichen Ressour-cen, der Einbezug von Präven-tion, die Entschärfung undLösung von Konflikten, diebessere Anwendung von Früh-warninformationen, die ein ra-

sches Eingreifen ermöglichen,sowie politisches Engagement.

Die Hirtengebiete können undmüssen wieder eigenständigwerden und wirtschaftlichwachsen. Verstärktes wirtschaft-liches Handeln wird denHirtenfamilien nicht nur dieRückkehr erleichtern, sondernauch neue Jobs und Einkom-mensmöglichkeiten für diejeni-gen schaffen, die nicht mehrvon der Viehhaltung leben.Genau das ist es, worauf BonneHuka und die anderen warten! ■

(Aus dem Englischen)

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Tiane Doa

n na Champa

ssak

/VU/laif

fen sie in den Fluss. Der Anblickder Leichen, die dem See zu-trieben, hat mich als kleinesMädchen zutiefst geprägt. Was 1994 geschah, ist eineWiederholung im grossenMassstab der jenigen Blutspur,welche sich bereits seit 35Jahren durch das Land zog.

Sie lebten zur Zeit desGenozids bereits in Frank-reich. Was ist mit IhrerFamilie passiert? Ich habe meine Eltern, meinefünf im Land gebliebenenGeschwister sowie die meistenNichten und Neffen verloren.Nach langem Suchen sind wirauf drei Mädchen gestossen, diedem Tod wie durch ein Wunderentkommen sind. Insgesamt sind37 Mitglieder meiner Familie

massakriert worden. Wie vieleandere Opfer, sind sie nie be-stattet worden. Ich habe zuschreiben begonnen, um sie ausdem Massengrab zu holen undihre Leichen mit beschriebe-nem Papier zuzudecken.

Ihr erster Roman «Notre-Dame du Nil» spielt in ei-nem Mädchenpensionat, wosich der Rassenhass wider-spiegelt, der die ruandischeGesellschaft zerrüttet.Erzählt das Buch auch von Ihrer Geschichte?Wer schreibt, geht immer voneigenen Erfahrungen aus. DiePersonen meines Romans sindfiktiv, aber ich habe mich einStück weit mit Virginia identifi-ziert, einer der beiden Tutsi-Schülerinnen. Wie sie, habe ichvon der «ethnischen Quote»profitiert, die in den Gymnasienzehn Prozent Tutsi zuliess. DieHandlung habe ich nicht zufäl-ligerweise Anfang der 70er Jahreangesiedelt; ich war damalsselbst Gymnasiastin. Man fühlte,wie unerbittlich der Rassenhassund der Wille, die Tutsi auszu-rotten, zunahmen. Das habe ichin meinem Buch wiedergege-ben. Mit der Fiktion konnte ichallerdings auch Distanz zumErlebten schaffen. Ich wollte dietieferen Gründe des Genozidsverstehen und zeigen, wie es soweit kommen konnte. DieserRoman hat mir aufgezeigt, dasswir alle – Opfer wie Henker –manipuliert worden sind.

Worin bestand die Manipu-lation?

Eine Welt Nr.3 / September 2013 31

«Hutu und Tutsi gibt es in Ruanda keine mehr»

KULTUR

Schreiben ist für die Ruanderin Scholastique Mukasonga die Pflicht, sich zu er-innern. Ihre Bücher erzählen vom wuchernden Rassenhass und den folgendenMassakern als Vorboten des Genozids von 1994. Die Renaudot-Preisträgerin 2012lebt im Exil, ist aber überzeugt, dass der Weg zur Versöhnung in ihrer Heimat of-fen steht. Interview mit Jane-Lise Schneeberger.

«Eine Welt»: Ihr erstes, 2006erschienenes Buch «Inyenziou les Cafards» enthält auto-biografische Züge und er-zählt vom Leben der Tutsiin Ruanda. Was hat sie imAlter von 50 Jahren zurFeder greifen lassen?Scholastique Mukasonga:Das Manuskript bestand schonseit zehn Jahren. Mit Schreibenbegonnen habe ich unmittelbarnach dem Genozid im April1994, um die Erinnerung anmeine Familie zu bewahren.Meine Eltern hatten mir diesenAuftrag 21 Jahre vorher gege-ben, als einmal mehr eineGewaltwelle über die Tutsi he-reinbrach. Weil ich die Chancehatte, die Sekundarschule zubesuchen und Französisch zulernen, beschlossen sie, dass ich

als Zeugin leben sollte. Siebrachten mich aus Ruanda wegmit den Worten: «Kommt dasMassaker, wirst du unser Ge-dächtnis sein. Du bist unsereChance, dass wir nicht wieKakerlaken verschwinden.» So nannte man die Tutsi.

Befürchteten Ihre Elterndenn bereits solcheMassaker? Ab April 1973 waren sie daraufvorbereitet, früher oder späteran die Reihe zu kommen. Wieviele andere Tutsi, ahnten sieden Genozid. Wir waren anGewalt und Hass gewöhnt.Bereits 1959, 1963 und 1967kam es zu Massakern – jedesMal ein Mini-Genozid. DieHutu-Milizen erschlugen dieTutsi mit Nagelkeulen und war-

Gedenkstätte Murambi –1994 wurden hier Tausende von Tutsi massakriert

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Sven Torfinn/laif

Dirk Geb

hardt/laif

32 Eine Welt Nr.3 / September 2013

Die belgischen Kolonisatorenhaben die ethnischen Katego-rien erfunden und gar körperli-che Unterschiede zwischenHutu und Tutsi ausgemacht. Aufdieser Basis haben sie 1931 ei-nen Personalausweis mit Angabeder ethnischen Zugehörigkeiteingeführt. Dabei gibt es inRuanda gar keine Ethnien.Hutu und Tutsi lassen sich nachkeinerlei körperlichen Merk-malen unterscheiden. Wir spre-chen alle dieselbe Sprache,Kinyarwanda. Keine Regionwird mehr von der einen alsvon der andern Gruppe be-wohnt. Als erste Massnahmenach dem Genozid haben dieBehörden den verfluchten eth-nischen Personalausweis abge-

schafft. Heute gibt es in Ruandakeine Hutu und Tutsi mehr. Dasmacht uns stark.

Glauben Sie, dass ein dauer-hafter Frieden in Ruandamöglich ist? Ich bin zutiefst davon über-zeugt, dass wir uns in RichtungVersöhnung bewegen. Wir ge-ben uns die Mittel, den Hass zuüberwinden, der uns zerstörthat. Die neuen Behörden stehenin der Verantwortung, die natio-nale Einheit wiederherzustellenund ein Land zu schaffen, indem alle ihren Platz haben.Erste Resultate dieser Politiksind bereits ersichtlich. Ruandablüht auf. Das Land arbeitet undist auf Entwicklung eingestellt.

Was erwarten Sie von derinternationalen Gemein-schaft?Wir brauchen auf juristischerEbene Unterstützung. Der in-ternationale Gerichtshof inArusha hat seine Pforten ge-schlossen. Die herkömmlicheRechtsprechung in Ruanda, dieGacaca, tut alles in ihrer Machtstehende, um die Schuldigen zubestrafen. Leider verstecken sichdie meisten Verantwortlichendes Genozids immer noch inwestlichen Ländern. Sie haben

Scholastique Mukasonga ist1956 in der Provinz Gikongoroin Ruanda geboren. 1960gehört ihre Familie zu denjeni-gen Tutsi, welche in die unbe-wohnte und unwirtlicheRegion Nyamata deportiertwerden. Als junges Mädchenbesucht sie in Kigali dasGymnasium und flieht als 17-Jährige aus dem Land. AlsFlüchtling in Burundi lernt sieihren Mann, einen französi-schen Ethnologen, kennen.

Die Gacaca-Volksgerichte haben ihr möglichstes getan, um die Schul-digen zu bestrafen

Genozid-Memorial in Kigali mit Fotos von Vermissten

Seit 1992 lebt ScholastiqueMukasonga in der Normandie,wo sie als Sozialarbeiterin ar-beitet. Sie hat zwei autobiogra-fische Erzählungen publiziert,«Inyenzi ou les Cafards» (2006)und «La femme aux pieds nus»(2008), dann eine Sammlungvon Novellen, «L’Iguifou»(2010). «Notre-Dame du Nil»,ihr erster Roman, ist 2012 er-schienen und hat mehrereLiteraturpreise erhalten, darun-ter den Renaudot-Preis.

die Hutu angestachelt, mit denMacheten auf ihre Nachbarnund Freunde loszugehen. Siemüssen dafür geradestehen. Wirfordern die westlichen Länderdazu auf, diese Leute zu verhaf-ten und vor Gericht zu stellen.Die Schlächter sollen nicht un-behelligt weiterleben können. ■

(Aus dem Französischen)

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Service

Faszinierende Minimal-Musik(er) In der Karibik, an der nord-östlichen Panama-Küste, er-streckt sich das aus 365 Inselnbestehende San Blas Archipel(auch Guna Yala). Es wird vonden 32000 indigenen Kuna se-miautonom und naturverbun-den verwaltet. Hier nahm die

1973 gegründete Folklore-Gruppe «Gammibe Gun Galu»ihre erste CD auf; deren Erlöskommt dem Schutz der vomAussterben bedrohten Meeres-schildkröten zugute. Die einzel-nen Musikstücke sind jeweils einem Tier gewidmet undReminiszenzen an Tierlaute in Palmen, im Regenwald,Korallensand oder Ozean, anVogeltremoli oder Tapirtapsen.Dabei spielen die Musiker in jedem Track immer eine andereaus Schilfrohr, Krabbenschereoder Gürteltierschädel handge-fertigte Panflöte. Das Tempo geben die Musikerinnen mitKalebassen oder Maracas-

Rasseln vor. Zu hören ist pureMinimal-Musik à la SteveReich – nur noch ausgeprägter.Klangfarbe und -dichte verän-dern und verschieben sich wiedie Rhythmik sozusagen unhör-bar – es entsteht ein stets filigra-nes Musikkontinuum, das ein-hüllt und einlullt.«Gammibe Gun Galu» (YaukGalu/online, u. a. http://gammibe-gun-galu.bandcamp.com)

Algerischer Rock’n’Rai(er) Der algerischstämmigeSänger Rachid Taha infiltriertdie Ohren mit ausdrucksstarkerund kehlig dunkler Stimme.Spürbar ist immer noch die Wutüber die Ausländerfeindlichkeitund den Rassismus, die den 55-Jährigen vor mehr als 30 Jahrenzusammen mit seiner damaligenBand «Carte de Séjour» zumEnfant Terrible der französi-schen Musikszene machte.Davon zeugt im 9. Soloalbumdas vom ihm schon 1993 ver-kündete und nun neu arran-gierte «Voilà Voilà». Dabei ver-mählt er Okzident mit Orientund verwebt in seinemRock’n’Rai, unterstützt durchhervorragende Musiker, meister-haft punkige E-Gitarren-Riffsmit maghrebinischem Mandol-Lautenspiel, Elektro mitTradition. So beschwört Rachiddie Aura der legendären ägypti-schen Sängerin Oum Kalsoum –mit suggestivem Sprechgesangund ihrer gesampleten Stimme.Hohes Ohrwurm-Potenzial hatauch seine zusammen mitJeanne Added präsentierte ara-bisch-englische Duettfassung

Balkan-Festival(hel) Kultur ist ein Mittel zurFörderung von Demokratieund Konfliktlösung, birgt un-zählige Möglichkeiten, die so-ziale Entwicklung zu fördern,kann Einkommen generierenund Brücken zu benachteilig-ten Bevölkerungsgruppenschlagen. Das beweist dasSwiss Cultural ProgrammeSCP im Westbalkan: Während 14 Jahren unterstützte die

von «It’s Now Or Never», Elvis’Interpretation des neapolitani-schen Gassenhauers «O SoleMio».Rachid Taha: «Zoom»(Naïve/Musikvertrieb)

Zeitlos magisch(er) Der erst jetzt veröffentlichteSchwanengesang des Ende 2008verstorbenen französischenKlangtüftlers Hector Zazou hat es in sich. Vordergründig zu hören sind vier wunderbarbetörende Frauenstimmen, vonhellem Sopran bis zu schattigemAlt. Die glockenklaren Laute des Eva Quartet (Solistinnen des weltberühmten FrauenchorsLe Mystère des Voix Bulgares)schweben zauberhaft sanft imvielschichtigen Klangraum, geschaffen von einem breiten

Musik

Schweiz damit TausendeKulturschaffende – Einzel-personen, Gruppen undOrganisationen – bei derUmsetzung von Produktionenund Veranstaltungen, insbe-sondere auch Aktionen undProjekte, welche über Länder-und Bevölkerungsgruppenhinaus und langfristig ange-legt sind. Die Publikation«Cultural Encounters» ziehtdie Schlussfolgerung aus dieser Erfahrung. Dazu sind ab Oktober in der Schweiz an verschiedenen Orten amFestival Culturescapes di-verse von SCP unterstützteKunstprojekte zu sehen. Daslandesweite, interdisziplinäreFestival schafft einen Einblickin die heutige Balkan-Kultur-szene und trägt zur Debatteum die Wirkung von Kultur inder Entwicklungspolitik bei.

Instrumentarium. In die zwölfbrillant arrangierten Tracks set-zen mehr als 50 herausragendeMusikerinnen und Musiker ver-schiedenster Genres (Jazz, Rock,Pop, Folk, World, Electronics,Avantgarde) traumhafte Hör-punkte. So veredelt LaurieAnderson, die amerikanischeQueen der experimentellenMusik, mit behutsam vorgetra-genen Spoken Words die ortho-doxe Fürbitte der bulgarischenVokalkünstlerinnen – begleitetvom indischen BollywoodOrchestra. Auf diese zeitlos magische Weise schlägt dasposthume Opus von HectorZazou einen polyfonen Bogenzwischen archaischen und aktu-ellen Klangwelten.Eva Quartet & Hector Zazou:«The Arch» (Elen Music)

• Festival Culturescapes Balkan 2013 ab 19. Oktober bis Dezember; Programm unter www.culturescapes.ch

• «Cultural Encounters – Swiss Cultural Programme in South Eastern Europe 1999-2012» von François Matarasso; zum Herunterladen auf www.scp-ba.net

• «Kultur und... Entwicklung – Die Wirkungsdebatte am Beispieldes Swiss Cultural Programme Balkan SCP» am 6. Dezemberim Kornhausforum Bern www.kornhausforum.ch

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34 Eine Welt Nr.3 / September 2013

Widerstand mit Social Media(dg) Ihre Stimmen werden un-terdrückt, verboten und zensiert.Doch Yoani Sánchez, ZengJinyan und Farnaz Seifi lassensich nicht einschüchtern. Diefurchtlosen Frauen im mehrfachausgezeichneten Dokumentar-film «Forbidden Voices» reprä-sentieren eine neue, vernetzteGeneration moderner Wider-standskämpferinnen. In Kuba,Iran und China bringen diesePionierinnen mit ihren Blogsdas staatliche Informations-monopol ins Wanken. Der Film begleitet die modernenRebellinnen auf ihrer gefährli-chen Reise und zeigt, wie dieFrauen mit Hilfe sozialer Medienwie Facebook, Youtube undTwitter die Missstände in ihrenLändern anprangern. Sie bauendabei so viel politischen Druckauf, dass sie weltweit Resonanzauslösen. Das «Time Magazine»zählt sie zu den einflussreichstenpolitischen Stimmen der Welt.Basierend auf ihren bewegendenZeugnissen und klandestinenAufnahmen ist «ForbiddenVoices» eine Hommage an ihrenmutigen Kampf. «Forbidden Voices» von BarbaraMiller, Schweiz 2012; ab 16 Jahren. Information und Beratung: educa-tion21/Filme für eine Welt, Tel. 031 321 00 30, www.filmeeinewelt.ch

Überblick Arbeitsmarkt IZAIm Juni veröffentlichte Cinfo,spezialisierter Dienstleister undNetzwerkplattform für Akteureund Fachleute des Arbeitsmarktsder internationalen Zusammen-arbeit, den zweiten «Berichtzum Schweizer Arbeitsmarkt derIZA». Dieser informiert überArbeitgeber und Anbieterinnen

von Aus- und Weiterbildungen,gesuchte Profile, Einsatzgebieteund vieles mehr. Der Bericht ist Informationsquelle für IZA-Fachpersonen und interessierteBerufsleute sowie für Führungs-kräfte und HR-Fachleute. Kostenloser Download unterwww.cinfo.ch

Wasser verbindet(bf ) Wasser verbindet und istgleichzeitig konfliktträchtig. Inkaum einer Region der Weltmanifestiert sich dies so offen-sichtlich wie in Zentralasien.Kasachstan, Kirgistan, Turk-menistan und Usbekistan ver-binden aber nicht nur Wasser,sondern auch vielfältige Kultu-ren, reichhaltige natürlicheRessourcen, einzigartige Land-schaften und faszinierendeMenschen. Das Buch «WaterUnites» der beiden ForscherJenniver Sehring und AlfredDiebold bringt die VielfältigkeitZentralasiens ebenso wie dieAbhängigkeit der Region vomWasser unter einen Hut bzw.zwischen zwei Buchdeckel. Das Buch, eine Kombinationaus Wissenschaftsliteratur undBildband, besteht aus zweiTeilen: Der Einführungsteil ent-hält Hintergrundinformationen(in Englisch) zum Thema Wasserund zum grenzüberschreitendenWassermanagement. Die Fotosdes zweiten Teils – vom ausge-trockneten Aralsee bis hin zufaszinierenden Gletscherland-schaften und farbenfrohenMärkten – bringen einem Natur

und Menschen der Regionnäher. «Water Unites – From the Glaciersto the Aral Sea» von JenniverSehring und Alfred Diebold;Trescher Verlag, Berlin 2012

Volk auf dem Dach der Welt(bf ) Eingeschlossen in einemschmalen Korridor zwischenPakistan, China und Tadschi-kistan leben die Menschen imPamir ein von Traditionsbe-wusstsein und materieller Notgleichermassen geprägtes Leben.Auf 4000 Metern Höhe, umge-ben von den höchsten Gipfelndes Himalaya-Massivs, trotzendie Menschen schwierigstenBedingungen. Das Pamirgebirgeliegt im äussersten östlichstenZipfel Afghanistans und ist dieHeimat von Halbnomaden, die

ursprünglich nur im Sommerdort ihr Vieh weiden liessen. Biszur Grenzschliessung währenddes Kalten Krieges flüchteten siesich im Winter vor einer Kältevon bis zu minus 50 GradCelsius in die Täler des heutigenTadschikistans. Das Fotografen-paar Mareile und Matthieu Paleyhat sich auf humanitäre Themenspezialisiert und ist seit vielenJahren immer wieder im Pamirunterwegs. Zusammen mit dem Ethnologen und Autor TedCallahan, welcher als einer derwenigen Wissenschaftler zu denkirgisischen Völkern im Pamir-gebirge forscht, haben sie ihreEindrücke in ausdrucksstarkenBildern und authentischen Reise-berichten in ein Buch gepackt.«Pamir – Vergessenes Volk auf demDach der Welt» von Mareile undMatthieu Paley, Knesebeck Verlag2012

Haben Sie Kleingeld?(bf ) Warum soll Chinesisch anden albanischen Sekundarschu-len als Pflichtfach eingeführtwerden? Warum ist Wechselgeldin den Belgrader Geschäftennotorisch knapp? Und warumwirken Stempel auf dem Balkanmagisch? Antworten dazu gibtAndreas Ernst, der seit vielenJahren im Balkan lebt – zuerst in Skopje, dann in Belgrad – inseinen «Aufgefallen»-Kolumnen,die er als Korrespondent der«Neuen Zürcher Zeitung»schreibt. Nun sind seine Texteüber seine Wahlheimat inBuchform auf Deutsch undSerbisch herausgekommen.Gleichzeitig wurde der Autordafür mit dem Journalistenpreisder Südosteuropagesellschaft2013 ausgezeichnet. «Haben Sie Kleingeld?» vonAndreas Ernst, Hsg. BernardWaeber, Verlag Glosarijum, Belgrad2012

Iranischer Albtraum(bf ) Mana Neyestani ist einerder wichtigsten politischenKarikaturisten des Iran. Er warim Evin-Gefängnis inhaftiert,bevor ihm die Flucht nachMalaysia gelang. Angefangenhatte alles mit einer harmlosenZeichnung einer Kakerlake. Dass diese derart für Aufruhrund gar Tote sorgte, hätte sichder Cartoonist nie träumen las-sen. Er legte der Kakerlake einWort in den Mund, das in derSprache der aserbaidschanischenMinderheit im Iran gelesen werden kann. Als die Aseri sich empören, weil sie sich mitKakerlaken verglichen wähnen,steckt man den Zeichner kur-zerhand in das berüchtigteGefängnis. Und so begann dieOdyssee des 1973 in Teherangeborenen Mana Neyestani, der heute dank der Organisation«Reporter ohne Grenzen» inFrankreich lebt. Mit seinerGraphic Novel «Ein Iranischer

Filme/DVD

Bücher und Broschüren

Bericht

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Eine Welt Nr.3 / September 2013 35

E-Mail: [email protected]. 031 322 44 12Fax 031 324 90 47Internet : www.deza.admin.ch

860215346

Der Umwelt zuliebe gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier

Gesamtauflage: 52200

Umschlag: Schule im Armenviertel LosPinos, Tegucigalpa; Gabriela Neuhaus

ISSN 1661-1667

Impressum«Eine Welt» erscheint viermal jährlich in deutscher, französischer und italienischerSprache.

HerausgeberinDirektion für Entwicklung und Zusammen-arbeit (DEZA) des Eidgenössischen Departe-mentes für auswärtige Angelegenheiten (EDA)

RedaktionskomiteeMartin Dahinden (verantwortlich)Catherine Vuffray (Gesamtkoordination)Marie-Noëlle Bossel, Beat Felber, Patrick Kohler, André Marty, Pierre Maurer, Özgür Unal

RedaktionBeat Felber (bf – Produktion)

Gabriela Neuhaus (gn) Jane-LiseSchneeberger (jls) Mirella Wepf (mw) ErnstRieben (er) Luca Beti (italienische Version)

GestaltungLaurent Cocchi, Lausanne

Lithografie und Druck Vogt-Schild Druck AG, Derendingen

WiedergabeDer Nachdruck von Artikeln ist, nach Bewilli-gung durch die Redaktion, unter Quellenan-gabe gestattet. Belegexemplare erwünscht

Abonnemente und Adressänderungen«Eine Welt» ist gratis (nur in der Schweiz)erhältlich bei: EDA, Informationsdienst,Bundeshaus West, 3003 Bern

Fernsucht

Eigene Bühnensprachen

Sandro Lunin ist seit sechs Jahrenkünstlerischer Leiter des ZürcherTheater Spektakels und legt dabeispeziellen Wert auf Tanz- undTheaterproduktionen aus der süd-lichen Welt.

Reisen ist für mich eine grosseLeidenschaft, beruflich und privat.Seit über 30 Jahren arbeite ich imBereich Tanz und Theater, undegal wo ich bin, besuche ich stetsirgendeine Vorstellung oder treffejemanden aus meinem Netzwerk.In den Metropolen der südlichenWelt entstehen derzeit sehr span-nende Produktionen. Teils werdendabei ganz eigene Bühnenspra-chen entwickelt, und es sindhochprofessionelle Arbeiten, diesich mit den gesellschaftlichenProblemen vor Ort auseinander-setzen. Das gibt dem Publikum in der Schweiz die Gelegenheit,für einmal von innen auf Entwick-lungs- oder Schwellenländer zublicken. Seit 2012 setzen wir amTheater Spektakel mit «ShortPieces» auch auf Kurzformate.Damit bieten wir Talenten aus dem Süden, die oft nicht die Mittelhaben, um abendfüllende Pro-gramme zu entwickeln, einePlattform. Dieses Jahr freue ichmich besonders auf zwei neuekongolesische Produktionen undeine brasilianische Umsetzung vonStrindbergs «Fräulein Julie».

(Aufgezeichnet von Mirella Wepf)

Weiterbildung

Albtraum» dokumentiert ernicht nur seine eigene Ge-schichte, er kritisiert auch dasmenschenverachtende Regimeim Iran sowie das internationaleAsylwesen. «Ein Iranischer Albtraum» vonMana Neyestani, Edition ModerneZürich 2013

Zwischen Religion undEntwicklung( jls) Religiöser Enthusiasmus, gepaart mit Fundamentalismus,nimmt weltweit zu, was direkteAuswirkungen auf Entwick-lungspolitik und -praxis hat.Diesen Zusammenhängen widmet die «Revue internatio-nale de politique de dévelop-pement» ihre Ausgabe 2013. Ein gutes Dutzend Autoren analysieren die Vorbehalte derEntwicklungshelfer und derenSchwierigkeiten, Religion inihre Arbeit zu integrieren. Sienehmen neuere Zusammen-arbeitsinitiativen multilateralerund bilateraler Entwicklungs-

agenturen mit konfessionsge-bundenen Organisationen unterdie Lupe; diese sind zu unum-gänglichen Akteuren der Ent-wicklungszusammenarbeit geworden. Auch evaluiert dieRevue, inwiefern bestimmte religiöse Bewegungen – insbe-sondere in Südafrika, Brasilien,China und Sri Lanka – einenZugang zur Entwicklungszu-sammenarbeit über die neolibe-ralen und demokratischenNormen hinaus bieten. «Revue internationale de politiquede développement», 4/2013,Hochschulinstitut für internationaleStudien und Entwicklung, Genf,http://poldev.revues.org

EDA-Spezialisten kommenzu IhnenMöchten Sie sich aus ersterHand über die schweizerische

Aussenpolitik informieren?Referentinnen und Referentendes Eidgenössischen Departe-ments für auswärtige Angele-genheiten (EDA) stehenSchulklassen, Verbänden undInstitutionen für Vorträge undDiskussionen zu zahlreichenaussenpolitischen Themen zurVerfügung. Der Vortragsdienst ist kostenlos, kann seineDienstleistungen jedoch nur innerhalb der Schweiz anbieten,und es sollten mindestens 30Personen an der Veranstaltungteilnehmen. Informationen: VortragsserviceEDA, Informationsdienst,Bundeshaus West, 3003 Bern; Tel. 031 322 31 53 oder 031 322 44 12; Mail: [email protected]

Diverses

NachdiplomeDas NADEL (Nachdiplomstudium für Entwicklungsländer) derETH Zürich bietet im Herbstsemester 2013 folgendeWeiterbildungskurse an:Berufsbildung zwischen Armutsbekämpfung und wirtschaftlicherEntwicklung (17.-20.9.)Planung und Monitoring von Projekten (23.-27.9.)Erhebung und Auswertung qualitativer Daten (2.-4.10.)Landesprogramme gestalten und steuern (7.-11.10.)Evaluation von Projekten (22.-25.10.)Dezentralisierung und lokale Gouvernanz (30.10.-1.11.)Mikro- und Makroperspektiven in der Armutsbekämpfung (5.-8.11.)Wirkungsanalysen: Methoden und Anwendungen (12.-15.11.)Management von Kooperationssystemen und Netzwerken (19.-22.11.)Aktuelle strategische Fragen der Entwicklungszusammenarbeit (3.-6.12.)Auskunft und Anmeldung: www.nadel.ethz.ch

Page 36: Eine Welt 3/2013 - eda.admin.ch · Eine Welt Nr.3 /September 2013 3 Unbarmherzig weht der Wind durch das kleine Dorf im Hindukusch. Der Talboden ist zugedeckt mit Geröll, das Hochwasser

«Manche delinquieren, um zu über-leben, andere um reich und noch reicher zu werden.»Eugenio Sosa, Seite 8

«Im Moment kommt mir die Präven-tionsarbeit vor, als ob man Wasser aushundert Kilometern Entfernung holenwill, um ein Haus zu löschen, das lich-terloh brennt.»Julieta Castellanos, Seite 12

«Leider verstecken sich die meistenVerantwortlichen des Genozids immernoch in westlichen Ländern.»Scholastique Mukasonga, Seite 32