Einf uhrung in die Volkswirtschaftslehre - makro.uni-jena.de · der Okonom macht darauf aufmerksam,...

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Einf¨ uhrung in die Volkswirtschaftslehre (Modul BW26.1) PD Dr. M. Pasche Friedrich-Schiller-Universit¨ at Jena Creative Commons 3.0 license – 2011/2018 (ausgenommen zitierte Quellen) Fehlermeldungen bitte an [email protected] S.1

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Einfuhrung in die Volkswirtschaftslehre

(Modul BW26.1)

PD Dr. M. Pasche

Friedrich-Schiller-Universitat Jena

Creative Commons 3.0 license – 2011/2018 (ausgenommen zitierte Quellen)

Fehlermeldungen bitte an [email protected]

S.1

Gliederung:

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

3. Konsum und Produktion

4. Markte und Preisbildung

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik

7. Grundbegriffe der Makrookonomik

8. Geld, Inflation und Geldpolitik

9. Okonomische Theorie der Politik

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel

12. Strategisches Verhalten

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung

S.2

I Es werden zu jedem Kapitel die Bezuge zur Basisliteratursowie ggf. weiterfuhrende Literaturquellen angegeben.

I Zu jedem Kapitel gibt es eine Reihe von Ubungsaufgaben, diein der begleitenden Ubung und in den Tutorien behandeltwerden.

I Die Klausur wird aufgrund der großen Teilnehmerzahl teilweiseaus Multiple-Choice-Fragen bestehen.

I In der Klausur wird es einen Pflichtteil geben, welcher sich aufdie Kapitel 1-10 bezieht, sowie einen Wahlteil mit Aufgabenaus den Kapiteln 11-13. In letzterem sind Fragen zu einemdieser Kapitel zu beantworten.

S.3

moodle.uni-jena.de

I Zu diesem Kurs gibt es einen Moodle-Raum, in dem alleMaterialien, alte Klausuren, interessante Links, kleineSelbsttests, Foren fur Fragen usw. zu finden sind (noch imAufbau begriffen!).

I Wer in Friedolin zu diesem Modul angemeldet ist, hatautomatisch auch Zugang zu diesem Moodle-Raum, d.h. Siemussen sich lediglich bei moodle mit dem URZ-Logineinloggen.

S.4

Basisliteratur:

I Bofinger, P. (2007), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, 2.Aufl., Munchen: Pearson

I Hanusch, H., Kuhn, T., Cantner, U. (2000),Volkswirtschaftslehre 1, 5. Aufl., Berlin: Springer

I Komlos, J. (2015), Okonomisches Denken nach dem Crash:Einfuhrung in eine realitatsbasierte Volkswirtschaftslehre,Marburg: Metropolis.

I Mankiw, N.G. (2012), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, 5.Auflage, Stuttgart: Schaffer-Poeschel [Vorbemerkungen und

Kapitel I + II mit kritischer Distanz lesen!]

Weitere Literaturhinweise sind in der Foliensammlung zu finden.

Die Foliensammlung selbst ist sehr ausfuhrlich um Mitschreiben zu

ersparen und das Nacharbeiten zu erleichtern.

S.5

Ablaufplan im Wintersemester 2018/2019:(Zahlen = Kapitel, U = Ubung)

KW Mi Do

42 1 1

43 2 –∗∗)

44 –∗) 345 3 4

46 4 U47 5 648 6 7

49 7 U50 7 U51 8 U02 8 9

03 10 U04 10 U05 11 12

06 13 U

I Der Kurs umfasst 4 LVS, davon 3 LVS Vorlesungund 1 LVS Ubung.

I Die Termine fur die Tutorien (freiwillig) finden Siein Friedolin.

*) Reformationstag**) Feierliche Immatrikulation (Dies Academicus)

S.6

No-screen-policy:

I Wenn der Besuch der Vorlesung etwas bringen soll, so ist einwichtiger Erfolgsfaktor die Aufmerksamkeit.

I Handys, Tablets, Notebooks sind ein Aufmerksamkeitskiller!Neurowissenschaftler und viele Didaktiker und Padagogenwarnen vor dem (ubermaßigen) Gebrauch dieser Gerate imUnterricht. Die aktive und aufmerksame Teilnahme undMitarbeit nimmt sonst stark ab; die eigenen“Multitasking-Fahigkeiten” werden stark uberschatzt.

I Die Nutzung dieser Gerate lenkt zudem auchKommiliton*inn*en ab (sog. “externer Effekt”, Kapitel 6).

⇒ Daher lassen Sie bitte all diese Gerate in Ihrer Tasche undschalten Sie diese stumm.

S.7

Eine allgemeine Bemerkung:

I Es gibt eine Menge – gerechtfertigte, aber auch wenigergerechtfertigte – Kritik an der Volkswirtschaftslehre alsFachdisziplin:

I Nur abstrakte Modelle, zu unrealistische Annahmen, zu wenigPraxisbezug, zu abgehoben von der Realitat (Finanzkrise 2008nicht vorhergesehen)

I Kein Pluralismus, nur “Mainstream”-Denken (“neoliberaleDoktrin”), keine Bezuge zu anderen Disziplinen

⇒ Auseinandersetzung mit diesen Vorwurfen und Begrundungder Vorgehensweise in diesem Einfuhrungskurs in einemgesonderten Dokument.

“Vertraue denen, die nach der Wahrheit suchen, undmisstraue denen, die sie gefunden haben.” (Andre Gide)

S.8

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation

Gliederung:

1.1 Knappheit und okonomisches Prinzip

1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

1.3 Allokationsmechanismen

1.4 Norm und Tausch – Gesellschaft und Individuum

1.5 Problembereiche der Volkswirtschaftslehre

Literatur:

* Weise, P. et al. (2005), Neue Mikrookonomie. 5. Aufl., Heidelberg:Physica [Kapitel 2]

I Hanusch, H., Kuhn, T., Cantner, U. (2000), Volkswirtschaftslehre 1, 5.Aufl., Berlin: Springer [Kapitel 1-2]

I Bofinger, P. (2007), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl.,Munchen: Pearson [Kapitel 3]

I Mankiw, N.G. (1999), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart:Schaffer-Poeschel [Kapitel 1-3]

S.9

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.1 Knappheit und okonomisches Prinzip

Ziele, Wunsche, Bedurfnisse

Bedurfnisbefriedigungsmoglichkeiten, Mittel, Guter

⇒ Knappheit ist stets relative Knappheit: Mittel sind insofernund in dem Maß knapp, als sie nicht alle Bedurfnissevollstandig befriedigen konnen.

Kernproblem:

Zwang zur Aufteilung der knappen Mittel,Zwang zur Wahl von Alternativen,Verwendungskonkurrenz knapper Guter

S.10

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.1 Knappheit und okonomisches Prinzip

Knappe Mittel = okonomische Guter:

Alles, was direkt oder indirekt der Bedurfnisbefriedigung dienen kann.

I Weit gefasster Guterbegriff:

Konsumprodukte, Kapitalguter, Arbeitskraft, Intelligenz, Zeit,saubere Umwelt, Reputation, Zuwendung, Posten, innereSicherheit etc.

I Knappe Mittel konnen vorhanden sein oder mussen erstproduziert werden.

I Knappheit kann sich auf die Quantitat, die Qualitat, den Ortund den Zeitpunkt beziehen, wo eine Differenz zwischenBedurfnis und Mittel festgestellt wird.

S.11

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.1 Knappheit und okonomisches Prinzip

Sind immaterielle Guter “frei” (nicht knapp)?

I Bei immateriellen Gutern liegt zwar keineVerwendungskonkurrenz vor (z.B. Musik, Ideen, Wissen).

I Jedoch mussen meistens Ressourcen eingesetzt werden, umdiese Guter zu erzeugen – die damit anderen Verwendungenentzogen werden.

S.12

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.1 Knappheit und okonomisches Prinzip

I Die Mehrzahl der Okonomen vertritt den methodologischenStandpunkt, dass es die Individuen sind, welche bewerten,was als “Gut” zu sehen ist und in welchem Maß diese dieeigenen Bedurfnisse befriedigen.

I Experimentelle Okomomik: Kennen Menschen uberhaupt ihreeigenen Praferenzen? Handeln sie gemaß ihrer Praferenzen?Sind Praferenzen “gegeben” oder bilden sie sich erst imZusammenhang mit dem Entscheidungsproblem?

I Umstritten ist die Auffassung, dass in bestimmten FallenIndividuen ihre eigenen Praferenzen oder Zielvorstellungennicht richtig einschatzen konnen, bzw. der Staat diePraferenzen “korrigieren” sollte.

Bsp.: Drogenkonsum, mangelnde Voraussicht bei derAltersvorsorge

⇒ meritorische Guter ⇒ PaternalismusS.13

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.1 Knappheit und okonomisches Prinzip

Okonomisches Problem

liegt vor, wenn Mittel knapp sind, d.h. auf unterschiedlicheVerwendungsmoglichkeiten aufgeteilt werden mussen.

Die Okonomik (Volkswirtschaftslehre) untersucht zum einen

a) wie Entscheidungstrager unter bestimmten institutionellenBedingungen okonomische Entscheidungen treffen, und wiediese Entscheidungen koordiniert werden (positive Theorie),

b) wie nach bestimmten Kriterien optimale okonomischeEntscheidungen aussehen bzw. wie die institutionellenBedingungen aussehen sollten, damit die koordiniertenEntscheidungen zu einem optimalen Ergebnis fuhren(normative Theorie).

S.14

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.1 Knappheit und okonomisches Prinzip

Okonomisches Prinzip: (normative Theorie)

I Maximalprinzip: Die gegebenen eingesetzten Mittel sollenzum hochstmoglichen Zielerreichungsgrad fuhren.

I Minimalprinzip: Ein vorgegebenes Zielniveau soll mitmoglichst geringem Mitteleinsatz erreicht werden.

Allgemein steht dahinter der Optimierungsgedanke: Maximiere(minimiere) eine Zielfunktion (Kostenfunktion) unterNebenbedingungen ⇒ mathematisches Kalkul!

Okonomik:

Denken in Alternativen! Abwagung samtlicher Konsequenzenalternativer Mittelverwendungen!

S.15

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.1 Knappheit und okonomisches Prinzip

Beispiel: Bildung als okonomisches Gut:

* Eingesetzte physische Ressourcen wie Gebaude, Bucher, Computer⇒ gehen anderen Verwendungsmoglichkeiten verloren.

* Eingesetzte Arbeitskraft und Humankapital (Dozenten)⇒ gehen anderen Verwendungsmoglichkeiten verloren.

* Verwendete Zeit zum Studieren

⇒ geht anderen Verwendungsmoglichkeiten verloren.

I Zwang zu gesellschaftlichen Entscheidungen uber Art undUmfang des Angebots des knappen Gutes “Bildungsleistung”.

I Zwang zur Entscheidung, wer unter welchen BedingungenZugang zu welchen Bildungsleistungen bekommt.

S.16

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.1 Knappheit und okonomisches Prinzip

Beispiel: Gesundheit als okonomisches Gut:

* Eingesetzte physische Ressourcen wie Krankenhauser, Medikamente⇒ gehen anderen Verwendungsmoglichkeiten verloren.

* Eingesetzte Arbeitskraft und Humankapital (Arzte, Pfleger), Zeit furArztbesuche, Kuren etc.

⇒ gehen anderen Verwendungsmoglichkeiten verloren.

I Sollen Gesundheitsleistungen auf einem freien Marktangeboten und nachgefragt werden?

I Umfassendes “Recht auf Gesundheitsleistungen” bedeutet,dass man bei knappen Ressourcen bereit sein muss, aufalternative Ressourcenverwendungen zu verzichten.

I Problem von Rationierungen: Wer erhalt z.B. knappeTransplantate?

S.17

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.1 Knappheit und okonomisches Prinzip

I Man kann sich ein “Recht auf Gesundheitsleistungen” odereinen “freien Zugang zu Bildung fur jedermann” wunschen –der Okonom macht darauf aufmerksam, dass dann aber unterKnappheitsbedingungen zwangslaufig geklart werden muss:Wem sollen welche Ressourcen weggenommen werden?

I Individuelle Wertentscheidungen ⇒ umsetzen in kollektiveEntscheidungen (z.B. mittels demokratischer Wahlen)

I Entscheidungen uber die Mechanismen, mit denenKnappheitsprobleme gelost werden konnen, z.B.:Pflicht-Krankenversicherung fur alle? Studiengebuhren?

I Kriterien wie Effizienz und Gerechtigkeit

S.18

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

I Knappheit bedeutet Zwang zur Abwagung zwischenAlternativen, d.h. die Verwendungsmoglichkeiten der Guterkonkurrieren miteinander!

Alternativkosten = Opportunitatskosten:

entgangener Nutzen der nachstbesten Alternative (Opportunitat).

I Wahl der besten Alternative = Wahl der Alternative mit dengeringsten Alternativkosten.

S.19

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

Opportunitatskosten (Beispiele):

I Sowohl bei der Urlaubsreise als auch beimGebrauchtwagenkauf ubersteigt der Nutzen die Kosten. DasBudget reicht aber nur fur eines von beiden. Die Familie fahrtin den Urlaub: Der Nettonutzen des Urlaubs ist hoher als derentgangene Nettonutzen des Autos.

I Die Zeit, die man fur das Lesen eines Kapitels einesVWL-Buches verbringt, geht fur den Spaziergang mit derFreundin verloren.

I Das Studium verursacht nicht nur direkte Kosten, sondernauch Opportunitatskosten entgangener Freizeit und/oderentgangenen Einkommens, wenn man stattdessen arbeitenwurde.

S.20

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

Ein Beispiel:

I Auf der einsamen Insel betreibt Robinson Ackerbau undFischfang. Er benotigt 5 Stunden um 1 kg Fisch zu fangen,und 20 Stunden um 1 kg Gemuse zu produzieren.

I Dies sind jeweils die Opportunitatskosten der entgangenenFreizeit, was wir aber nicht weiter problematisieren. Sein“Arbeitstag” betragt 16 Stunden (knappe Ressource), die erauf Fischfang und Gemuseanbau aufteilen kann.

I Um 1 kg mehr Gemuse erzeugen zu konnen, muss er also auf4 kg Fisch verzichten (Opportunitatskosten), da er dafur 20Stunden Arbeitszeit “umschichten” muss.

5[h/kg F ]

20[h/kg G ]=

1

4

[kg G ]

[kg F ]

I Grafisch: Transformationskurve.S.21

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

Zeit

Gemuse

Fisch

Zeit

16

16Zeitrestriktion

16/20

16/5

Transformationskurve

Steigung =Opportunitatskosten

S.22

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

I Fur viele technische Zusammenhange gibt es einenabnehmenden Grenzertrag, d.h. zunehmender Mitteleinsatzsteigert den Ertrag in abnehmendem Maße.

I Beispiel: Robinson benotigt 5 Stunden um 1 kg Fisch zufangen. Fur das nachste kg Fisch benotigt er aber schon 6Stunden, da die Fischdichte geringer geworden ist.

I Unterstellt man einen abnehmenden Grenzertrag, so verlauftdie Transformationskurve konkav zum Ursprung: Jedeszusatzliche kg an Fisch verursacht dann steigendeOpportunitatskosten, also einen anwachsenden Verzicht aufGemuse!

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1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

Zeit

Gemuse

Fisch

Zeit

Zeitrestriktion

Transformationskurve

unterschiedlicheOpportunitatskosten

S.24

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

Spezialisierung und Tausch:

I Leben mehrere Individuen zusammen, so ist es in der Regelsinnvoll, wenn sie ihre okonomischen Handlungenkoordinieren.

I Sie konnen nicht nur abwagen, wie sie ihre Arbeitszeiteinteilen um die Guter herzustellen, die sie selbst brauchen.Sie konnen sich spezialisieren und die Guter tauschen.

⇒ ermoglicht Spezialisierungs- und Tauschvorteile!

⇒ zentrales Thema in der Volkswirtschaftslehre

S.25

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

Beispiel (Zahlen aus Mankiw (1999), Kapitel 3):

Stunden pro 1 Pfund Pfund in 40 StundenFleisch Kartoffeln Fleisch Kartoffeln

Ackerbauer 20 10 2 4Viehzuchter 1 8 40 5

I Beachten Sie, dass der Viehzuchter in beiden Bereichenproduktiver ist!

I In der Ausgangssituation (Autarkie) produzieren beide jeweilsfur ihren eigenen Konsum und wahlen eine50:50-Zeiteinteilung (Annahme).

S.26

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

Autarkiefall:

Kartoffeln

Fleisch

4

2

Ackerbauer

Kartoffeln

Fleisch

5

40

Viehzuchter

2

1

Produktion = Konsum

2.5

20

Produktion = Konsum

S.27

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

Warum ist Arbeitsteilung vorteilhaft?

I Die Opportunitatskosten 1 Pfundes Kartoffeln sind beim Viehzuchter8 Pfund Fleisch, beim Ackerbauer betragen sie nur 1/2 Pfund. Beieiner Spezialisierung auf Kartoffeln entstehen dem Ackerbauern alsoweniger Einbußen (in Einheiten von Fleisch) als dem Viehzuchter.

⇒ Der Ackerbauer hat somit einen komparativen Vorteil beiKartoffeln, der Viehzuchter hat einen komparativen Vorteil bei derFleischproduktion.

I Beide spezialisieren sich auf das Gut, bei dem ihre Opportunitats-kosten geringer sind. Obwohl der Ackerbauer seine Produktion“nur” verdoppelt und davon 1 Pfund abgeben muss, ermoglicht diesdem Viehzuchter, seine erheblichen Produktivitatsvorteile bei derFleischproduktion auszunutzen.

⇒ Dadurch steigt die Gesamtmenge an Kartoffeln und Fleisch undes ist eine Frage von Praferenzen und Verhandlungsstarke, welchesAustauschverhaltnis sich einstellt (hier: 1 Pfund Kartoffeln gegen 3Pfund Fleisch)

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1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

Ohne Handel Mit HandelProd. = Konsum Produktion Handel Konsum Gewinn

Ackerbauer 1 F 0 F +3 F 3 F 2 F2 K 4 K -1 K 3 K 1 K

Viehzuchter 20 F 24 F -3 F 21 F 1 F2,5 K 2 K +1 K 3 K 0,5 K

(F=Fleisch, K=Kartoffeln in Pfund)

S.29

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

Kartoffeln

Fleisch

4

2

Ackerbauer

Kartoffeln

Fleisch

5

40

Viehzuchter

2

1

Produktion = Konsum

2.5

20

Produktion = Konsum

(schwarz = Autarkie)

(rot = Spezialisierung und Handel)

4Produktion

2

24

Produktion

3

3

Konsum3

21

Konsum

S.30

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

I Großeres Guterbundel durch Arbeitsteilung. KeineArbeitsteilung ⇒ Verstoß gegen das okonomische Prinzip!

I Wie es die Individuen schaffen, ihre Handlungen auf dieseWeise zu koordinieren, und zu welchem Austausch-verhaltnis sie kommen, ist noch nicht erklart.

I Das Beispiel macht deutlich, dass es bei der Okonomik umKonflikt, Kooperation und Koordination geht.

Menschen mussen kooperieren und ihre Entscheidungenkoordinieren, um zu einer kollektiv rationalen Losung desKnappheitsproblems zu kommen. Gleichzeitig herrscht aberauch ein Interessenkonflikt z.B. bei der Verteilung derHandelsgewinne.

S.31

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.2 Alternativkosten und komparative Vorteile

I Eine okonomisch rationale Losung des Knappheitsproblemssetzt Kenntnis der Opportunitatskosten voraus. Diese istbestimmt durch

I sich ggf. andernde Bedurfnisse (Praferenzen)I sich ggf. andernde Ressourcen und Technologien (Mittel)

I Zentrales Problem in einer Volkswirtschaft: Wie entsteht dasWissen um die sich andernden Knappheitsverhaltnisse, undwie gelangen die Individuen an dieses Wissen?

⇒ Informationsfunktion des Preissystems ⇒ Kapitel 2

S.32

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.3 Allokationsmechanismen

I Robinson auf seiner Insel kann allein uber die Verwendungseiner knappen Ressourcen und seiner Zeit entscheiden.

I In einer arbeitsteiligen Gesellschaft muss es jedochMechanismen geben, welche die knappen Ressourcen inverschiedene Verwendungsmoglichkeiten lenken, und die dieknappen Guter auf die Individuen aufteilen.

Allokation:

Aufteilung knapper Mittel auf alternative, miteinanderkonkurrierende Verwendungsmoglichkeiten.

Allokationsmechanismen

entscheiden nach bestimmten Kriterien, wer unter welchenBedingungen Zugang zu den Mitteln bekommt und wer nicht.

S.33

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.3 Allokationsmechanismen

Mogliche Allokationsmechanismen:

I Auktionen, Ausschreibungen, (Wettbewerbs-) Markte,Verhandlungen

I Abstimmungen, Wahlen

I Befehl, Burokratie, Zwang

I Gewalt, Plunderung, Raub

I Ethik, Fursorge, Fairness, Sitte, Ehre

I Clans, Cliquen, Kartelle, Vererbung

I Geschlecht, Nationalitat, soziale Klasse, Reihenfolge

I Los, Wurfel, Lotterie

Die Volkswirtschaftslehre interessiert sich fur die Funktionsweisevon Allokationsmechanismen, deren Anreizwirkung auf dasVerhalten, und deren Ergebnisse (z.B. Effizienz).

S.34

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.3 Allokationsmechanismen

I Da in Marktwirtschaften Markt und Wettbewerb einezentrale Rolle spielen, konzentrieren sich die Lehrbucher fastausschließlich auf deren Analyse.

I Markte funktionieren nicht voraussetzungslos! Sie hangenvom Rechtssystem, der Politik, den sozialen und kulturellenGegebenheiten ab (“Institutionen”).

I Die Gesellschaft insgesamt begegnet dem Knappheitsproblemmit einer spezifischen Mischung unterschiedlicherAllokationsmechanismen.

S.35

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.4 Norm und Tausch – Gesellschaft und Individuum

Stilisierte Grundformen von Allokationsmechanismen:Norm und Tausch

I Norm: Formelle und informelle Normen beschranken dieHandlungsmoglichkeiten. Okonomische Entscheidungenwerden durch sie koordiniert. In der Regel basiert dieKoordinationswirkung auf moglichen Sanktionen beiNormverletzung.

Beispiele: Rechtsnormen, moralische Fairnessnormen,Handelsbrauche, religiose Tabus.

I Tausch: Tauschhandlungen sind freiwillig und werden i.d.R.nur bei wechselseitigem Vorteil vollzogen, d.h. eine Leistungmuss durch eine Gegenleistung kompensiert werden.

S.36

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.4 Norm und Tausch – Gesellschaft und Individuum

I Zusammenspiel kollektiver Mechanismen (Normen bzw.Institutionen) und individueller freier Entscheidungen(Markt).

I Verschiedene Allokationsmechanismen fuhren zuunterschiedlichen Anreizwirkungen; jede Veranderung derAllokationsmechanismen verandert die Handlungsanreize.

I Beispiele aus sehr unterschiedlichen Bereichen:I Zugang zu DrogenI Ausschreibung offentlicher AuftrageI Eingriffe in die Preisbildung (z.B. Mietpreisbremse)I Einfuhrung von VolksentscheidenI Regulierung von Schattenbanken

S.37

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.4 Norm und Tausch – Gesellschaft und Individuum

Allokationsmechanismen und ihre Ergebnisse:

I Effizienz: Gibt es Allokationen, bei denen geringereOpportunitatskosten entstanden waren? Kann die Effizienzdurch Wahl anderer Normen oder durch die Wahl einesanderen Mischungsverhaltnisses von Norm- undTauschkoordination verbessert werden?

I Gerechtigkeit: Nach Ablauf aller wechselseitig vorteilhaftenTauschhandlungen liegt eine bestimmte Verteilung vor. Istdiese “gerecht”? Wonach bemisst sich das? KonnenGerechtigkeitsvorstellungen sinnvoll am Ergebnis anknupfen?

S.38

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.4 Norm und Tausch – Gesellschaft und Individuum

I Gesellschaften entscheiden uber die spezifische Mischungvon Allokationsregeln und konstituieren so eineWirtschaftsordnung (siehe Kapitel 2).

I Welche Dinge sollen individuell entschieden und uber Marktekoordiniert werden? Wo sollen kollektive Mechanismen dasMarktergebnis verandern? Welche Aktivitaten sollengrundsatzlich nicht privat koordiniert, sondern durch Normengesteuert werden?

I Kulturelle und moralische Normen beeinflussen ebenfallsHandlungen und deren Koordination.

S.39

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.5 Problembereiche der Volkswirtschaftslehre

Mikrookonomik (micros = klein):(Kapitel 1, 3, 4, 5, 6, 10, 12)

I Erklarung einzelwirtschaftlichen Verhaltens und dessenKoordination

I Theorie des Haushalts, Theorie der Unternehmung, Theorieder Markte

I Spezialfelder: Industrieokonomik, Arbeitsmarktokonomik,Versicherungsokonomik, Informationsokonomik, Umwelt- undRessourcenokonomik,.....

S.40

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.5 Problembereiche der Volkswirtschaftslehre

Makrookonomik (macros = groß):(Kapitel 7, 8, 11)

I Betrachtung von Aggregaten wie Konsum, Einkommen,Preisniveau, Beschaftigung, Zinsniveau, Geldmenge usw. undderen gesamtwirtschaftliche Zusammenhange

I Erklarung von Konjunktur, Wachstum, Inflation,Arbeitslosigkeit usw.

I Spezialfelder: Konjunkturtheorie, Wachstumstheorie,Geldtheorie,...

I “Mikrofundierung der Makrookonomik”?

S.41

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.5 Problembereiche der Volkswirtschaftslehre

Finanzwissenschaft und Theorie der Wirtschaftspolitik:(Kapitel 2, 5, 6, 8)

I Begrundung von Staatstatigkeit

I Gestaltung der Einnahmenseite des Budgets (Steuertheorie)

I Gestaltung der Ausgabenseite des Budgets (Fiskalpolitik)

I Soziale Sicherung

I Ordnungs- und Wettbewerbspolitik

I Geldpolitik

I Staatsverschuldung

I Weitere Politikfelder (Konjunktur-, Wachstums-,Arbeitsmarkt-, Umweltpolitik usw.)

S.42

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.5 Problembereiche der Volkswirtschaftslehre

Public Choice, Institutionenokonomik:(Kapitel 9)

I Einfluss des Designs institutioneller Regeln auf daseinzelwirtschaftliche Verhalten

I Theorie von Organisationen (z.B. Firmen)

I Theorie der Verfassung und des Rechts

I Theorie demokratischer Wahlen und des Politikerverhaltens

I Theorie wirtschaftlicher Interessengruppen (Lobbying)

I Theorie der Verwaltung/Burokratie

S.43

1. Knappheit, Alternativkosten und Allokation1.5 Problembereiche der Volkswirtschaftslehre

Okonometrie, experimentelle Wirtschaftsforschung:(Kapitel 13)

I Systematische Uberprufung von Theorien oder Hypothesenanhand statistischer Felddaten oder experimentell gewonnenerErgebnisse.

I Schatzung quantitativer Zusammenhange

I Induktive Gewinnung neuer Hypothesen.

S.44

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung

Gliederung:

2.1 Handlungsanreize von Individuen

2.2 Die Rolle von Wettbewerb und Markt

2.3 Institutionelle Rahmenbedingungen

2.4 Regulierende Eingriffe und Umverteilung

2.5 Wettbewerb und Demokratie

Literatur:I Donges, J.B., Freytag, A. (2004), Allgemeine Wirtschaftspolitik. 2. Aufl.

Stuttgart: Lucius & Lucius [Kapitel I.5]

I Mankiw, N.G. (1999), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart:Schaffer-Poeschel [Kapitel 1-3]

I Bofinger, P. (2007), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl.,Munchen: Pearson [Kapitel 4]

I Kurz, H.D. (Hrsg.) (2008), Klassiker des okonomischen Denkens Bd 1+2.C.H. Beck

S.45

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.1 Handlungsanreize von Individuen

Zentrale Annahme:

Okonomisches Handeln wird durch Anreize gesteuert

Bedurfnisse + knappe Mittel + Allokationsmechanismen⇒ Handlungsanreize

I Der Inhalt individueller Bedurfnisse ist zunachst unerheblich.Okonomen gehen oft davon aus, dass Individuen nur ameigenen Wohl interessiert sind (Egoismus).

I Experimentelle und empirische Forschung zeigen, dass diesnicht immer und nicht uneingeschrankt der Fall ist.

I Vom methodologischen Standpunkt aus ist nur wichtig, dasswir von individuellen Nutzenvorstellungen ausgehen, nichtwelche Vorstellungen dies sind.

S.46

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.1 Handlungsanreize von Individuen

Adam Smith (1723-1790) (“Wealth of Nations”, 1776):

I Menschen folgen weitgehend ihrenpersonlichen Eigeninteressen, sindaber durch moralische Normendiszipliniert (“The Theory of MoralSentiments”, 1759)

I Sie sind auf Kooperation angewiesen.Aber man kann nicht darauf setzen,dass sie nur aufgrund von Wohlwollenkooperieren.

I Kooperation findet statt, weil sie imEigeninteresse liegt!

S.47

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.1 Handlungsanreize von Individuen

I Durch Wettbewerb und Tausch auf Markten, bei denenjeder sein individuelles Interesse verfolgt, wird letztlich dasproduziert und angeboten, was dem Wohl jedes Einzelnendient und damit der Gesamtheit.

I Koordination erfordert keinen zentralen Planer!

I Schaffung eines Ordnungszustandes ohne obrigkeitlichePlanung und Anweisung nur durch individuelles Handelnaufgrund (moralisch disziplinierten) Eigennutz.

⇒ Wohlergehen und Fortschritt durch Abwesenheit von Zwangund durch individuelle freie Entscheidungen.

Klassischer Liberalismus

(Adam Smith, John Locke, Immanuel Kant, David Ricardo u.a.)

S.48

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.2 Die Rolle von Wettbewerb und Markt

Wettbewerb als Instrument zur Aufdeckungvon Knappheitsverhaltnissen:

I Nachfrager kennen ihre Bedurfnisse und somitZahlungsbereitschaft (Tauschbereitschaft - Wieviel bin ichbereit fur eine Einheit des Gutes herzugeben?)

I Anbieter kennen die Produktionskosten (Wieviel Mittelmussten eingesetzt werden um eine Einheit des Gutesherzustellen?)

I Freiwilliger Tausch kommt nur bei wechselseitigerVorteilhaftigkeit zustande.

I Bildung von (relativen) Tauschverhaltnissen oder inGeldwirtschaften von (relativen) Geldpreisen alsKnappheitsindikatoren.

I Relativpreise zeigen Gewinnmoglichkeiten auf. Die Ressourcenfließen dorthin, wo die hochsten Gewinnmoglichkeiten sind,d.h. wo die Knappheit am großten ist.

S.49

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.2 Die Rolle von Wettbewerb und Markt

F.A. von Hayek (1899-1992)

I “Wettbewerb als Entdeckungsverfahren”

I In komplexen großen Gesellschaften istdas Wissen uber Bedurfnisse undProduktionsmoglichkeiten uber Millionenvon Individuen verteilt.

c©Mises Institute

⇒ Es besteht somit ein zentrales Informationsproblemdaruber, was die okonomisch bestmogliche Verwendungknapper Mittel sein konnte. Es gibt keine Institution mituberlegenem Wissen.

⇒ Die massiven Probleme bzw. das Scheitern vonZentralverwaltungswirtschaften wird auf diesesInformationsproblem zuruckgefuhrt.

S.50

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.2 Die Rolle von Wettbewerb und Markt

(Fortsetzung:)

I System der relativen Preise auf Markten lost diesesInformationsproblem auf eine selbstorganisierende Art undWeise.

⇒ Es entsteht eine spontane Ordnung, d.h. einOrdnungszustand ohne zentralen Planer.

I Grundvoraussetzungen, die eine solche spontane Ordnungermoglichen, sind grundlegende Freiheitsrechte sowieVerfugungsrechte an Gutern und Produktionsmitteln.

I Dies ist an die Voraussetzung verknupft, dass jeder Akteur dieHandlungskonsequenzen verantwortet.

S.51

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.2 Die Rolle von Wettbewerb und Markt

I Wettbewerb hat eine disziplinierende Wirkung: Wird nichtproduziert, was gewunscht ist, sinken Preise undGewinnmoglichkeiten. Dies bewirkt eine Re-Allokation derknappen Mittel ⇒ setzt voraus, dass Nachfrager zwischenverschiedenen Anbietern frei wahlen konnen.

I Wettbewerb ermoglicht zwar vorubergehende Gewinne, aberjede Form ubermaßiger Gewinne und von Marktmachtunterliegen bei funktionierendem Wettbewerb einer Erosion.Markt als “Entmachtungsinstrument”.

I Die Funktionsfahigkeit des Marktes wird in der Praxis durchNeigung bedroht, sich dem Wettbewerbsdruck zu entziehen,z.B. durch Marktabschottung und Kartellbildung.

S.52

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.2 Die Rolle von Wettbewerb und Markt

I Es ist daher nach v. Hayek Aufgabe des Staates, allgemeineRegeln so festzulegen, dass der Wettbewerb funktionsfahigbleibt.

I Oft sind es aber gerade staatliche Eingriffe wieProtektionismus, Beeinflussung der Regeln durchLobbygruppen, kunstliche Markteintrittsbarrieren usw., die dieFunktionsfahigkeit des Wettbewerbs behindern und dauerhafteungerechtfertigte Gewinne moglich machen.

F.A. von Hayek (1976), Individualismus und wirtschaftliche Ordnung. 2.

Aufl., Salzburg.

S.53

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.2 Die Rolle von Wettbewerb und Markt

Einwande: (siehe ausfuhrlich Kapitel 6)

I Gerade v. Hayeks Arguments, dass Millionen vonInformationen uber die Individuen verstreut sind, fuhrt zuInformationsasymmetrien, die die Funktionsfahigkeit desMarktes eher in Frage stellen.

I Frehiet ⇒ Verantwortung der Entscheidungskonsequenzen ⇒setzt Kenntnis der Entscheidungskonsequenzen voraus ⇒diese sind hochst unvollstandig im Preissystem widergespiegelt⇒ Warum also sollte die spontane marktliche Ordnung derAusdruck hochster individueller Freiheit sein?

I Osterreichische Schule: Tendenz zur Immunisierung gegenuberempirischer Uberprufung.

S.54

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.2 Die Rolle von Wettbewerb und Markt

J.A. Schumpeter (1883-1950)

I “Wettbewerb als Prozess schopferischerZerstorung”

I Menschen sind nicht nur eigennutz-orientiert, sie sind auch neugierig undkreativ.

I Typus des “Unternehmers”: intrinsischesInteresse an innovativen Losungen undderen unternehmerischer Umsetzung.

c©Universitat Freiburg,

Volkswirtschaftliches Institut

⇒ Neue Ideen (neue oder bessere Produkte, neue oder bessereProduktionsverfahren) mussen sich im Wettbewerb bewahren.

⇒ Darin zeigt sich eine dynamische Funktion des Wettbewerbsals Entdeckungsverfahren: Suche nach neuen innovativenProdukten und Verfahren; Innovationsfunktion.

S.55

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.2 Die Rolle von Wettbewerb und Markt

I Bewahren sich Innovationen, so andern sie die relativenPreise, und bestehende Produkte und Verfahren werden vomMarkt verdrangt (Strukturwandel).

I Die Gewinne des Pionierunternehmens locken Nachahmer aufden Markt. Produktvarianten und inkrementelleVerbesserungen entstehen. Die Pioniergewinne desInnovators erodieren.

I Schumpeter dachte an den Pionierunternehmer, der neu inden Markt eintritt, und dem sein Unternehmen selbst gehort.

I Er erkannte aber, dass heute viele Innovationen durchetablierte (Groß-)Unternehmen erfolgen, bei denenEigentumer, Management und Entwickler getrennte Gruppensind.

Schumpeter, J.A. (1942), Kapitalismus, Sozialismus und

Demokratie. Munchen.

S.56

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.3 Institutionelle Rahmenbedingungen

Die Rolle von Institutionen:

I Institutionen: formelle und informelle Spielregeln, welche dieHandlungsmoglichkeiten definieren und somit auch dieHandlungsfreiheit begrenzen. Vor allem: Recht.

I Institutionen werden durch kollektive Mechanismen erzeugt(z.B. Gesetzgebung) und strukturieren die sozialeInteraktion der Individuen, machen diese voraussehbarer,verlasslicher.

I Sie sind damit auch Voraussetzung fur die Existenz privaterMarkte (z.B. Eigentums- und Vertragsrecht).

I Organisationen 6= Institutionen. Organisation (z.B.Parteien, Burokratien, Verbande) sind die “Spieler”,Institutionen die Spielregeln.

S.57

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.3 Institutionelle Rahmenbedingungen

I Staat soll auf Einhaltung der Regeln achten, staatlichesHandeln ist aber auch selbst an Regeln gebunden.

I Korruption, Rechtsbeugung, mangelnde Duchsetzbarkeit vonRecht, aber auch: Erosion informeller Normen fuhren zuschwachen Institutionen ⇒ Markt, aber auch Demokratie,werden als Allokationsmechanismen beeintrachtigt(Ineffizienz).

I Ahnliches gilt auch fur “rent seeking”, d.h. die Beeinflussungvon Spielregeln durch organisierte Interessengruppen zu derenGunsten.

I Einhaltung allgemeiner fairer Spielregeln und damitverbunden: Chancengleichheit wird als zentrales Kriterium vonGerechtigkeit verstanden.

S.58

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.3 Institutionelle Rahmenbedingungen

W. Eucken (1891-1950):

Eucken, W. (1949), Die Grundlagen derNationalokonomie, Springer: Berlin,

neu aufgelegt 1989)

Geboren in Jena; studierte u.a. an der FSU.

c©Walter Eucken Institut

I Die Politik soll darauf gerichtet sein, wirtschaftlicheMachtpositionen aufzulosen bzw. zu begrenzen (sofern derWettbewerb dieses nicht schon selbst tut; Wettbewerb alsEntmachtungsinstrument).

I Die Politik sollte auf die Gestaltung der Ordnungsformen derWirtschaft gerichtet sein, nicht auf die Lenkung desWirtschaftsprozesses.

I Liberalismus als anti-totalitares Programm, auchMachtanspruch der Politik ist zu begrenzen.

S.59

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.3 Institutionelle Rahmenbedingungen

Konstituierende Prinzipien einer Wettbewerbsordnung:

1. Wirtschaftsverfassungsrechtliches Grundprinzip:Schaffung eines funktionsfahigen Preissystems durchwettbewerbliche Markte (Preise als Knappheitsindikatoren)

2. Wahrungspolitische Stabilitat: Wahrungsverfassung, welcheGeldwertstabilitat sichert.

3. Prinzip der offenen Markte: Ermoglichung von freiemMarktein- und austritt (ansonsten entsteht Marktmacht)

4. Prinzip des Privateigentums (insbesondere auch anProduktionsmitteln): Tausch auf Markten ist im GrundeTausch von Verfugungsrechten am getauschten Gut. DieseRechte mussen definiert und den Individuen zugeordnet sein.

S.60

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.3 Institutionelle Rahmenbedingungen

5. Prinzip der Vertragsfreiheit: Grundvoraussetzung furTauschhandlungen. Jedoch darf die Freiheit nicht dazugenutzt werden, Vertrage zu schließen, welche dieVertragsfreiheit Dritter beschranken (z.B. Kartell).

6. Haftungsprinzip: Jede Nutzung knapper Ressourcen undTausch am Markt kann Gewinne bringen - oder aber auchVerluste. Okonomische Entscheidungen sind daher stetsrisikobehaftet. Derjenige, der profitiert, soll auch haften(Eigenverantwortung).

7. Konstanz der Wirtschaftspolitik: Politik soll berechenbarund glaubwurdig sein.

S.61

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.4 Regulierende Eingriffe und Umverteilung

I Konstituierende Prinzipien begrunden Wettbewerbsordnung,von der man “funktionierende Markte” erwartet.

I Bereiche, wo der Markt aus prinzipiellen Grunden Problemehat, zu einer optimalen Allokation der Ressourcen zu kommen(siehe Kapitel 6):

I Entstehung von Marktmacht (z.B. Monopolen)I Externe Effekte und offentliche GuterI Probleme aufgrund Informationsasymmetrien

I Hier sind neben den konstituierenden auch regulierendePrinzipien notwendig.

I Die Regulierungen sind so auszugestalten, dass sie moglichstwenig in die individuelle Freiheit eingreifen, sondern dieAnreizstruktur der Individuen in gewunschter Weise verandern.

S.62

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.4 Regulierende Eingriffe und Umverteilung

Problem der “sozialen Gerechtigkeit” – Position v. Hayeks:

I Akzeptiert man allgemeine faire Handlungsregeln, dann ist esproblematisch, wenn man das Ergebnis freiwilliger Handlungengemaß dieser Spielregeln nicht akzeptiert.

I Ungerecht und unfair kann nur das Verhalten einzelner Individuensein. Es charakterisiert nicht den erreichten Gesamtzustand.

I Fasst man das Ergebnis (z.B. Einkommensverteilung) als ungerechtund somit als korrekturbedurftig auf, muss man dafurobjektivierbare Kriterien angeben.

I Die Korrektur durch den Staat erfolgt durch Eingriffe in dieHandlungsfreiheit. Je starker die Details des Ergebnisses durchstaatliche Eingriffe determiniert werden, desto weniger entfaltet sichder Wettbewerb als Entdeckungsverfahren.

⇒ “Sozialismus” als Gegenmodell einer freiheitlichenWettbewerbsordnung.

S.63

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.4 Regulierende Eingriffe und Umverteilung

Einwand:

I Sofern Menschen Praferenzen bezuglich der Verteilung haben,kann man “Effizienz” und “Verteilung” nicht logischvoneinander trennen!

I Wechselseitig vorteilhafte Tauschakte und deren“Entdeckung” durch den Markt konnen zu Verteilung fuhren,die nicht praferiert wird.

I Eine allgemeine Regel der Umverteilung kann den individuellenPraferenzen entsprechen – selbst dann, wenn man im Einzelfalleinen materiellen Nachteil hat ⇒ Kapitel 6.5 (John Rawls)

S.64

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.4 Regulierende Eingriffe und Umverteilung

Divergierende Auffassungen:

I Wahrend liberale Okonomen der sog. “Chicagoer Schule”(z.B. M. Friedman) und der “Osterreichischen Schule”(z.B. F.A. von Hayek) jegliche staatliche Aktivitat jenseits derordnungsokonomischen Funktionen, also Interventionen in denWirtschaftsprozess, ablehnen....

I ... befurworten einige Vertreter der “Freiburger Schule”(z.B. W. Ropke, A. Muller-Armack) gewisse institutionalisierteEinkommensumverteilungen wie etwa die progressiveEinkommenssteuer und soziale Sicherungssysteme.

I Die “Freiburger Schule” wird auch mit dem Begriff des“Ordoliberalismus” verbunden. Alle drei Schulen,insbesondere die letztgenannte, werden theoriegeschichtlichwegen ihres Ruckgriffs auf den klassischen Liberalismus auchals “neoliberal” bezeichnet.

S.65

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.4 Regulierende Eingriffe und Umverteilung

Zusammenfassend kann man die wirtschaftspolitische Konzeptiondes Ordoliberalismus charakterisieren durch:

I die genannten konstituierenden Prinzipien, die einenleistungsfahigen Wettbewerb als soziales, dezentralesEntdeckungs- und Koordinationsverfahren gewahrleisten,

I die regulierenden Prinzipien fur staatliche Eingriffe dort, woder Markt Probleme hat, seine Funktionen zu erfullen,

I das regulierende Prinzip einer Umverteilung von Einkommenund Vermogen, die jedoch die Leistungsanreize aufrecht erhalt.

S.66

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.4 Regulierende Eingriffe und Umverteilung

I Uber Art und Ausmaß von Umverteilung entscheidengesellschaftliche Wertmaßstabe bezuglich “sozialerGerechtigkeit”, die sich verandern konnen, und derenAusformung sich in Form von demokratischen Wahlenniederschlagen.

I Da der Ordoliberalismus regulierende Prinzipien des Staatesinklusive bestimmter Formen der Umverteilung akzeptiert, ister Grundlage des Konzepts der “Sozialen Marktwirschaft”(A. Muller-Armack – war u.a. Berater L. Erhards).

⇒ Die Form des Wirtschaftssystems und die Form des politischenSystems sind nicht unabhangig voneinander.

S.67

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.5 Wettbewerb und Demokratie

I In einer Demokratie sind an Wiederwahl interessierte Politikerdurch die Praferenzen der Wahler diszipliniert.

I Ihre Macht wird durch die Moglichkeit der Abwahl begrenzt.

I Ahnlich der Informationsfunktion von Preisen werden dieVorstellungen von Burgern durch Mehrheiten ausgedruckt

⇒ politischer Wettbewerb (Kapitel 9)

S.68

2. Markt, Wettbewerb und Wirtschaftsordnung2.5 Wettbewerb und Demokratie

I Politischer Wettbewerb kann nur bei freien (gleichen,geheimen,...) Wahlen sowie freier Meinungsbildung (z.B.Presse) und Gleichbehandlung politischer Wettbewerberfunktionieren.

I Mangelnder politischer Wettbewerb sowie Korruptionschranken die Legitimitat und Steuerungsfahigkeitdemokratischer Systeme ein.

S.69

3. Konsum und Produktion

Gliederung:

3.1 Angebot und Nachfrage – Uberblick3.2 Produktion – die Unternehmung

3.2.1 Produktionstechnologie3.2.2 Kostenminimierung3.2.3 Gewinnmaximierung und Angebot3.2.4 Faktornachfrage

3.3 Konsum – der Haushalt3.3.1 Praferenzen und Nutzenfunktion3.3.2 Einkommensrestriktion und Nachfrage3.3.3 Arbeitsangebot3.3.4 Ersparnisbildung

Literatur:I Hanusch, H., Kuhn, T., Cantner, U. (2000), Volkswirtschaftslehre 1, 5.

Aufl., Berlin: Springer [Kapitel 3, 6, 7]

I Mankiw, N.G. (1999), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart:Schaffer-Poeschel [Kapitel 4, 13, 14, 21]

I Bofinger, P. (2007), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl.,Munchen: Pearson [Kapitel 6, 7]

S.70

3. Konsum und Produktion3.1 Angebot und Nachfrage – Uberblick

I Der “Markt” als (abstrakter) Ort des Zusammentreffens vonAngebot und Nachfrage zu Tauschzwecken

I Markte fur Konsumguter und DienstleistungenI Markte fur Kapitalguter und ZwischenprodukteI Markte fur den Faktor ArbeitI Markte fur finanzielle Ressourcen (Kredite, Aktien,

Schuldverschreibungen,...)

I Akteure: Unternehmen, private Haushalte, Staat

I Wir konzentrieren uns im folgenden auf– Gutermarkte (hier: Konsumguter) und– Faktormarkte (hier: Arbeit)

S.71

3. Konsum und Produktion3.1 Angebot und Nachfrage – Uberblick

Faktormarkt Gutermarkt

Anbieter Haushalt Unternehmen

Nachfrager Unternehmen Haushalt

I Wir gehen von dem “reprasentativen” Unternehmen bzw.Haushalt aus, d.h. wir vernachlassigen die Heterogenitat unddie Wechselwirkungen einzelner Haushalte untereinander, undbetrachten nur ein “durchschnittliches” Verhalten.

⇒ Problematische Fiktion, die es einem jedoch erlaubt, vomVerhalten eines einzelnen Haushalts (Unternehmens) auf dasAggregat des Haushaltssektors (Unternehmenssektors)schließen zu konnen.

S.72

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung

Guterpreise

Gewinnmaximierung

Minimalkosten

Technologie

Erlos Angebot

Faktornachfrage

Faktorpreise

Quelle: nach Hanusch, Kuhn, Cantner (2000)

Annahme: Unternehmen maximieren ihren Gewinn. Dies impliziert, das

Produkt technisch effizient und zu minimalen Kosten zu produzieren.

S.73

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.1 Produktionstechnologie

Produktion:

Transformation von Inputs (Arbeitsleistung, Kapitalguter,Vorprodukte) in einen Output (Endprodukt).

Produktionsfunktion:

Gibt an, welcher Output x bei gegebenen Inputleistungen (v1, v2)technisch effizient hergestellt werden kann (okonomischesMaximalprinzip):

x = f (v1, v2)

Typen von Produktionsfunktionen:

I limitational (Inputfaktoren mussen in einem bestimmten Verhaltniszueinander eingesetzt werden)

I substitutional (Inputfaktoren konnen sich gegenseitig ganz oderteilweise ersetzen)

S.74

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.1 Produktionstechnologie

Grafische Darstellung: “Ertragsgebirge”

1 2 3 4 5 0

1

2

0

2

v1

v2

x

24

0

1

20

2

v1v2

x

2

40

0.51

1.52

0

2

v1

v2

x

2

40 0.5 1 1.5 2

0

2

v1

v2

x

24 0 0.5 1 1.5 2

0

1

2

3

v1

v2

x

Beispiel:Cobb-Douglas-Funktion(substitutional)

x = va1 v

b2

mit 0 < a, b < 1

S.75

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.1 Produktionstechnologie

Partielle Faktorvariation:

(Variation eines Inputfaktors unter Konstanthaltung aller ubrigen)

I Grafisch: Schnitt durch das Ertragsgebirge

I bei limitationalen Produktionsfunktionen: Output andert sichnicht (⇒ Warum?).

I bei substitutionalen Produktionsfunktionen: Output andertsich; Annahme: sinkender Grenzertrag (“Ertragsgesetz”).

∂f (vi , vj )

∂vi> 0,

∂2f (vi , vj )

∂v2i

< 0, i , j = 1, 2, i 6= j

S.76

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.1 Produktionstechnologie

x

v1

x = f (v1, v2)

Partielle Produktionsfunktion

(Variation von v1 bei gegebenem v2)

Steigung = Grenzertrag an der Stelle v∗1

v∗1

S.77

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.1 Produktionstechnologie

Isoquantendarstellung:(iso = gleich, quantum = Menge)

I Alle Kombinationen von Inputfaktoren, die zu derselbenOutputmenge fuhren

I Formal: f (v1, v2) = x (implizite Funktion)

I Ertragsgebirge “von oben” betrachtet: Hohenlinien

I Je weiter entfernt vom Ursprung, desto hoher der Output

S.78

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.1 Produktionstechnologie

Isoquantendarstellung:

v2

v1

x = 10x = 12x = 14

substitutional

v2

v1

x = 10x = 12x = 14

limitational

S.79

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.1 Produktionstechnologie

Niveauvariation der Produktionsfaktoren:

I Wie verandert sich die Outputmenge, wenn alleProduktionsfaktoren gleichmaßig variiert werden?

I steigende Skalenertrage (Output steigt uberproportional)I konstante Skalenertrage (Output steigt proportional)I sinkende Skalenertrage (Output steigt unterproportional)

I Hat Einfluss auf den Verlauf der Kostenfunktion.

I Wird in BM Mikrookonomik vertieft.

S.80

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.2 Kostenminimierung

I Wir wissen jetzt, wie der Output mit unterschiedlichenInputfaktoren technisch effizient produziert werden kann.

I Aber welche Kombination von Inputfaktoren sollte gewahltwerden um einen bestimmten Output x zu erhalten?

I Wir unterstellen, dass die Preise q1, q2 der Inputfaktorengegeben sind, d.h. nicht vom Unternehmen bestimmt werden.

I Kosten:

C = v1q1 + v2q2

⇒ v1 =C

q1− q2

q1v2

S.81

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.2 Kostenminimierung

I Iso-Kostenfunktion mit C/q1 bzw. C/q2 als Achsen-abschnitten und dem Faktorpreisverhaltnis als Steigung.

I Je hoher die Kosten C , desto weiter weg vom Ursprung.v2

v1

Cq2

Cq1

Steigung: q1/q2

S.82

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.2 Kostenminimierung

I Wir wissen: Jeder Punkt auf einer gegebenen Isoquante(= jede Inputfaktorkombination) fuhrt zu unterschiedlichenKosten.

I Kalkul: Verschiebe die Iso-Kostenfunktion soweit in RichtungUrsprung, bis sie nur noch einen Tangentialpunkt mit dergewunschten Isoquante hat.

I Formal: Minimiere die Kosten unter der Nebenbedingung, dassdie durch die Isoquante gegebene Outputmenge x hergestelltwerden kann.

S.83

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.2 Kostenminimierung

v2

v1

x = 10

C/q2

Cq1

C/q2

Cq1

Cmin/q2

C min

q1

v∗2

v∗1

(v∗1 , v∗2 ) ist die

Minimalkostenkombination

S.84

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.2 Kostenminimierung

Kosten in Abhangigkeit von der gewahlten Outputmenge:

v2

v1

x = 5

C1v1

x = 7

C2v1

x = 9

C3v1

Expansionspfad

C

x5

C1

7

C2

9

C3

Kostenfunktion

S.85

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.2 Kostenminimierung

Kostenfunktion:

Die Kostenfunktion C (x) ordnet jedem gewunschten Outputniveaux die minimalen Kosten zu, die durch die optimale Wahl derInputfaktoren entstehen.

Verlauf der Kostenfunktion hangt von der Technologie ab, z.B.:

I Steigende Skalenertrage: unterproportionale Kostenzunahme

I Sinkende Skalenertrage: uberproportionale Kostenzunahme

I Konstante Skalenertrage: proportionale Kostenzunahme

S.86

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.2 Kostenminimierung

C(x)

x

Konstante SE C(x)

x

Steigende SE

C(x)

x

Sinkende SE C(x)

x

Variable SE

S.87

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.2 Kostenminimierung

Durchschnitts- und Grenzkosten in der langen Frist:

I Durchschnittskosten = Kosten pro Stuck:

AC (x) =C (x)

xI Grenzkosten = Kosten der letzten (marginalen) Einheit:

MC (x) = C ′(x) =dC (x)

dxI In der kurzen Frist geht man davon aus, dass einige

Inputfaktoren (z.B. Gebaude) unveranderbar sind, also bei der“Niveauvariation” und Berechnung der Minimalkosten-kombination herausgenommen werden mussen. Die Kostendieser Inputs sind dann Fixkosten F .

C (x) = Cv (x) + F

S.88

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.2 Kostenminimierung

Durchschnitts- und Grenzkostenverlaufe (lange Frist = ohne Fixkosten):

AC(x)MC(x)

x

AC = MC

Konstante SE AC(x)MC(x)

x

ACMC

Steigende SE

AC(x)MC(x)

x

ACMC

Sinkende SE AC(x)MC(x)

x

ACMC

Variable SE

S.89

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.3 Gewinnmaximierung und Angebot

I Wir wissen jetzt, wie das Unternehmen technisch effizient undunter minimalen Kosten produziert.

I Produzierte Angebotsmenge und der Verkaufspreis sollen sogestaltet werden, dass der Gewinn maximiert wird(Verhaltensannahme!).

I Das hangt von der Marktform ab (dazu Naheres in Kapitel 4).Wir gehen hier von vollkommener Konkurrenz aus, d.h. derMarktpreis p wird durch den Wettbewerb so bestimmt, dassein einzelnes Unternehmen darauf keinen Einfluss hat(“Preisnehmer”). Es muss folglich die Angebotsmengegewinnmaximierend anpassen.

S.90

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.3 Gewinnmaximierung und Angebot

I Gewinn = Erlos - Kosten

π(x) = p · x − C (x)

I Die Bedingung 1. Ordnung fur ein Gewinnmaximum ist, dassdie erste Ableitung Null wird:

π′(x) = p − C ′(x) = 0

⇒ p = C ′(x)

I Die Bedingung 2. Ordnung fur ein Maximum fordert:

d2π(x)

dx2< 0 ⇐⇒ d2C (x)

dx2> 0

d.h. das Gewinnmaximum muss im Bereich steigenderGrenzkosten liegen.

I Wird im BM Mikrookonomik ausfuhrlich diskutiert.S.91

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.3 Gewinnmaximierung und Angebot

I Die Angebotsfunktion xA = xA(p) hat einen steigendenVerlauf, d.h. das Angebot wachst mit steigendem Preis.

⇒ Preiselastizitat des Angebots.

p

xA(p)

“normaler” Verlauf

p

xA(p)

vollig preiselastisch

p

xA(p)

vollig preisunelastisch

S.92

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.4 Faktornachfrage

I Die Minimalkostenkombination entscheidet uber denoptimalen Faktoreinsatz bei gegebenen Faktorpreisen undgegebener Outputmenge.

I Das Gewinnmaximum entscheidet uber die optimaleOutputmenge (Angebotsmenge) bei gegebenem Guterpreis.

I Damit wird im Gewinnmaximum implizit auch uber denoptimalen Faktoreinsatz, d.h. die Faktornachfrageentschieden!

S.93

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.4 Faktornachfrage

I Vereinfachung: Kapital K und Arbeit L als Inputfaktoren mitden Faktorpreisen Zinssatz r und Lohnsatz w :

C = rK + wL

I Angenommen, der Kapitalstock sei kurzfristig gegeben:K = K . Entscheidung nur uber Arbeitseinsatz L.

I Gewinnmaximierung uber L:

π = p · f (K , L)− wL− r K

∂π

∂L= p · ∂f

∂L− w = 0

⇒ p · ∂f∂L

= w (Wertgrenzprodukt = Nominallohnsatz)

bzw.∂f

∂L=

w

p(Grenzprodukt = Reallohnsatz)

S.94

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.4 Faktornachfrage

Da wir typischerweise ein abnehmendes Grenzprodukt unterstellen(Ertragsgesetz), nimmt die Arbeitsnachfrage mit steigendemReallohnsatz ab.

wp = ∂f (L,K)

∂L

L

LD(w/p)

Arbeitsnachfrage

S.95

3. Konsum und Produktion3.2 Produktion – die Unternehmung3.2.4 Faktornachfrage

Problem:

I Die Idee, dass die Faktoren nach ihrem Wertgrenzproduktentlohnt werden, setzt eine substitutionaleProduktionsfunktion mit “schonen” Eigenschaften voraus. Beilimitationalen Produktionsfunktionen ist das Grenzproduktjedoch stets Null.

I Wahrend Arbeit physisch z.B. in Stunden gemessen wird,musseen Kapitalguter mit ihren Preisen bewertet werden umsie zu einem aggregierten Kapitalstock zusammenzufassen.Dann aber ist das “physische Grenzprodukt” stets vom Preisfur Kapital abhangig, der ja wiederum durch dieGrenzproduktivitat bestimmt werden soll (logisches Problem,sog. “Cambridge-Kontroverse”).

S.96

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt

Praaferenzen

Nutzenmaximierung

Freizeit

Faktorausstattung

Faktorangebot

Konsumnachfrage

Ersparis Einkommen

GuterpreiseFaktorpreise

Quelle: nach Hanusch, Kuhn, Cantner (2000)

Annahme: Haushalte maximieren ihren Nutzen

S.97

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.1 Praferenzen und Nutzenfunktion

I Haushalte bzw. die darin lebenden Individuen habenBedurfnisse und bewerten verschiedene Guterbundel gemaßihren eigenen Vorstellungen.

I Wir sprechen von Praferenzen (pra-ferre = vor-ziehen), daeine Wahlhandlung, bei der Guterbundel A dem GuterbundelB vorgezogen wird, die Nutzenbewertung des Individuumsdeutlich macht.

⇒ Wie kann man rationale Entscheidungen bei subjektivenPraferenzen theoretisch darstellen?

Zu beachten: Wir betrachten hier nur Konsumguter. Praferenzen konnen aberuber beliebige Zustande bzw. Handlungsfolgen definiert werden.

Frank, R.H., Cartwright, E. (2013), Microeconomics and Behaviour, New York:

McGraw-HillS.98

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.1 Praferenzen und Nutzenfunktion

I Praferenzen als sog. binare Relationen

I Seien zwei Guterbundel (Alternativen) A und B aus derAlternativenmenge M gegeben.

I A wird gegenuber B schwach praferiert: A � BI A wird gegenuber B streng praferiert: A � BI A und B werden gleich bewertet: A ∼ B

Gelegentlich wird auch “R” fur � und “P” fur � sowie “I” fur ∼ verwendet.

S.99

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.1 Praferenzen und Nutzenfunktion

Eine Praferenzordnung ist durch folgende Axiomegekennzeichnet:

I Vollstandigkeit

x � y ∨ y � x fur alle x , y ∈ M

I Transitivitat

x � y ∧ y � z ⇒ x � z fur alle x , y , z ∈ M

(Wenn x mind. so gut wie y und y mind. so gut wie z , dannist auch x mind. so gut wie z)

(ggf. noch weitere Axiome)

S.100

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.1 Praferenzen und Nutzenfunktion

I Diese Axiome erscheinen (auf den ersten Blick) intuitivplausibel.

I Sie sind wichtig fur eine normative Theorie rationalerEntscheidungen zwischen Alternativen.

I Fraglich ist, ob sich reale Individuen in ihrem Wahlverhaltentatsachlich dadurch charakterisieren lassen.

Wozu definiert man eine Praferenzordnung?

I Man kann zeigen, dass sich bei Gultigkeit der Axiome dasWahlverhalten durch die Maximierung einer Nutzenfunktionu charakterisieren lasst.

S.101

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.1 Praferenzen und Nutzenfunktion

I Existenz einer ordinalen Nutzenfunktion mit der Eigenschaft

u(x) ≥ u(y) ⇐⇒ x � y , x , y ∈ M

I Die Nutzenfunktion ist eindeutig definiert bis auf eineordnungserhaltende Transformation.

I Das bedeutet, dass der absolute Nutzenwert u(x) keineAussagekraft hat, er ist nur als Indexwert zu verstehen, dereinen Vergleich mit dem Nutzen von y ermoglicht.

I Wahl der besten Alternative = Maximierung des Nutzens

S.102

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.1 Praferenzen und Nutzenfunktion

I Okonomen treffen fur die Nutzenfunktion oft folgende(bequeme) Annahmen:

I Stetigkeit bzw. stetige Differenzierbarkeit (kardinaleNutzenfunktion).

I Nichtsattigung: Je mehr von etwas konsumiert wird, destobesser, d.h. positiver Grenznutzen.

I Abnehmender Grenznutzen: Der Nutzenzuwachs nimmt mitjeder weiteren Einheit ab.

I Guter sind teilweise substituierbar, d.h. quantitativunterschiedlich zusammengesetzte Guterbundel konnen als“gleichwertig” empfunden werden.

I Fur die grafische Darstellung einer Nutzenfunktion im2-Guter-Fall gilt dasselbe wie bei einer substitutionalenProduktionsfunktion.

S.103

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.1 Praferenzen und Nutzenfunktion

Nutzenfunktion und Indifferenzkurve:

2

40

0.51

1.52

0

2

x1 x2

u

x2

x1

u = u1

u = u2

u = u3

S.104

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.1 Praferenzen und Nutzenfunktion

Indifferenzkurve:

Menge aller Guterkombinationen, die denselben Nutzen stiften,d.h. zwischen denen der Haushalt indifferent ist, d.h. u = u(x1, x2).

Eigenschaften:

I Je weiter vom Ursprung entfernt, desto hoher dasNutzenniveau.

I Indifferenzkurven konnen sich nicht schneiden! (Warum?)

I Steigung = Grenzrate der Substitution gibtTauschbereitschaft an.

S.105

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.2 Einkommensrestriktion und Nachfrage

Einwande aus Experimenteller Okonomik (Beispiele):

I Verletzungen der Transitivitatsannahme:

Dann ist die Existenz einer Nutzenfunktion nichtgewahrleistet, und das Verhalten kann nicht alsNutzenmaximierung charakterisiert werden.

I Endowment-Effekt:

Indifferenzkurven sind nicht gegeben, sondern hangen von derAnfangsausstattung ab. Damit hangt die Tauschbereitschaftdavon ab, was man momentan besitzt.Beispiel: Wenn man 1 Einheit A besitzt, ist man bereit, diese gegen2 Einheiten B zu tauschen. Besitzt man 1 Einheit B, ist mandagegen bereit, diese gegen 2 Einheiten A zu tauschen

⇒ Indifferenzkurven schneiden sich.

S.106

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.2 Einkommensrestriktion und Nachfrage

Nutzenmaximierung des Haushalts:

I Knappheit druckt sich beim Haushalt durch ein begrenztesBudget E aus (= der Teil des Einkommens, der fur Konsumausgegeben werden soll).

I Die Guterpreise p1, p2 sind am Markt gegeben.

I Maximiere den Nutzen unter der gegebenenBudgetbeschrankung:

max u(x1, x2) unter N.B. p1x1 + p2x2 = E

S.107

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.2 Einkommensrestriktion und Nachfrage

I Die Budgetrestriktion lasst sich schreiben als

x1 =E

p1− p2

p1x2

I Kalkul: Wahle ein Guterbundel auf der Restriktion, bei demdie Indifferenzkurve maximal weit vom Ursprung entfernt ist!

I Die Losung des Nutzenmaximierungsproblems(“Haushaltsoptimum”) ist ganz analog zur Minimalkosten-kombination die Tangente von Indifferenzkurve undBudgetrestriktion (siehe Grafik).

S.108

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.2 Einkommensrestriktion und Nachfrage

x2

x1

Ep2

Ep1

umax

x∗2

x∗1

Haushaltsoptimum

S.109

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.2 Einkommensrestriktion und Nachfrage

Was passiert bei Einkommensanderungen?

I Budgetrestriktion verschiebt sich

⇒ neue Tangentiallosung bestimmen

⇒ Konsumexpansionspfad

I Tragt man die jeweiligen optimalen Nachfragemengen gegendas Budget ab, so erhalt man sog. Engel-Kurven.

S.110

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.2 Einkommensrestriktion und Nachfrage

x2

x1

E/p2

Ep1

E ′/p2

E ′

p1

E ′′/p2

E ′′

p1

Konsumexpansionspfad

x1

E

Engel-Kurve

S.111

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.2 Einkommensrestriktion und Nachfrage

Was passiert bei Variation eines Preises (p1)?

I Budgetgerade dreht sich

⇒ neue Tangentiallosung bestimmen

⇒ mehr oder weniger komplizierte Wirkung auf die Nachfragenach beiden Gutern

I Tragt man die optimale Nachfragemenge x1 gegen den Preisp1 ab, so erhalt man die Nachfragefunktion x1(p1).

I Diese ist im allgemeinen fallend! (math. jedoch nichtzwingend)

I Achtung: Es wird hier implizit vorausgesetzt, dass der Haushalt

davon ausgehen kann, bei den gegebenen Preisen seine optimale

Nachfrage auch realisieren, und uber das Budget im

Planungszeitraum tatsachlich verfugen zu konnen! Wie wurde er

sich verhalten, wenn er davon nicht ausgehen kann?

S.112

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.2 Einkommensrestriktion und Nachfrage

x2

x1

E/p2

Ep1

x1

E/p2

Ep′

1

x ′1

E/p2

Ep′′

1

x ′′1

x1

p1

x1

p1

x ′1

p′1

x ′′1

p′′1

Nachfragekurve

S.113

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.2 Einkommensrestriktion und Nachfrage

Substitutions- und Einkommenseffekt:

I Substitutionseffekt: Steigt Preis p1, so wird tendenziell dasrelativ teurer gewordene Gut x1 durch das relativ billigergewordene Gut x2 substituiert. Diese Wirkungsrichtung isteindeutig.

I Einkommenseffekt: Durch die Preissteigerung sinkt jedochinsgesamt die Kaufkraft des Budgets. Aufgrund diesesEinkommenseffektes andert sich die Nachfrage nach einemGut in nicht-eindeutiger Weise:

I Superiore Guter: geringeres (hoheres) Einkommen⇒ geringere (hohere) Nachfrage

I Absolut inferiore Guter: geringeres (hoheres) Einkommen⇒ hohere (geringere) Nachfrage

S.114

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.2 Einkommensrestriktion und Nachfrage

I Gesamteffekt: Durch das Zusammenspiel von Substitutions-und Einkommenseffekt ist der Gesamteffekt ebenfalls nichteindeutig.

I Wir unterstellen ein normales Gut: geringerer (hoherer) Preis⇒ hohere (geringere) Nachfrage = fallende Nachfragekurve

Was passiert mit der Nachfrage nach x1, wenn der Preis p2 desanderen Gutes steigt?

I Komplementarguter: die Nachfrage geht zuruck.

I Substitutionsguter: die Nachfrage steigt.

S.115

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.3 Arbeitsangebot

I Haushalte bieten den Faktor “Arbeit” an.

I Aufgrund unterschiedlicher Ausbildung und Fahigkeitsniveausist Arbeit ein inhomogenes Gut⇒ wird im folgenden vernachlassigt!

I Der einzelne Haushalt mag vor der Wahl stehen, nur eine volle(Vollzeit) oder eine halbe Stelle (Teilzeit) anzunehmen oderabzulehnen. Im Aggregat uber viele Haushalte stellen wir unsaber vor, dass man die Arbeitszeit stetig variieren kann.

I Wir vernachlassigen im Folgenden das Vermogen, und folglichauch Einkunfte aus Vermogen sowie das Sparen und“Entsparen” (dazu spater mehr).

S.116

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.3 Arbeitsangebot

I Arbeitsleidhypothese: Man arbeitet ausschließlich um einEinkommen zu erzielen, die Arbeit selbst hat keineneigenstandigen nutzenstiftenden Wert (kritische Annahme!)

I Der Nutzen des Haushaltes resultiert nicht nur aus demKonsum, sondern auch aus der Freizeit: u = u(x ,F ).

I Das Einkommen ist das Arbeitseinkommen: E = wLI Dieses Einkommen wird fur Konsum ausgegeben E = px

(hier: x = Guterbundel, p = Preisniveau)I Das Zeitbudget ist begrenzt: T = F + L

⇒ Kombination der Budget- und der Zeitrestriktion:

px = wL = w(T − F )

⇒ x =w

pT − w

pF

S.117

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.3 Arbeitsangebot

Konsum x

Freizeit F

wp T

T

Steigung wp

u(x ,F )

Freizeit F Arbeit L

S.118

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.3 Arbeitsangebot

I Das Maximierungsproblem:

maxx ,F

u(x ,F ) unter N.B. x =w

pT − w

pF

fuhrt wiederum zu einer Tangentiallosung (siehe Grafik).

I Bei einer Erhohung des Reallohnsatzes haben wir wieder einenSubstitutions- und einen Einkommenseffekt:Opportunitatskosten der Freizeit steigen (arbeite mehr!).Konsummoglichkeiten sind gestiegen (arbeite weniger!).Typischerweise wird unterstellt, dass der Substitutionseffektstarker ist ⇒ ansteigende Arbeitsangebotsfunktion.

S.119

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.3 Arbeitsangebot

wp

L

Arbeitsangebot

Zwischenfazit:

I Dieses sog. Arbeits-Freizeit-Kalkul bestimmt die Plane desHaushaltes zur Allokation der knappen Zeit auf Freizeit undKonsummoglichkeiten.

I Das Haushaltsoptimum bestimmt, wie das Einkommen aufunterschiedliche Guter aufgeteilt wird.

S.120

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.4 Ersparnisbildung

Warum gibt es uberhaupt Kapitalguter, die in der Produktioneingesetzt werden?

I Diese Guter mussten in der Vergangenheit unter Einsatz vonProduktionsfaktoren hergestellt werden.

I Das Gesamteinkommen in einer Periode entspricht dem Wertaller hergestellten Guter und Leistungen in dieser Periode.

I Wenn also Guter hergestellt wurden, die nicht dem Konsumdienen, deren Herstellung aber zu Einkommen gefuhrt hat,dann wird offenbar nicht das gesamte Einkommen fur Konsumausgegeben. Es gilt:

Einkommen = Konsum + Ersparnis

I Kapital entsteht bei Konsumverzicht!

S.121

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.4 Ersparnisbildung

Warum uberhaupt Konsumverzicht?

I Produktionsseite: Konsumverzicht heute= Akkumulation von Kapital= Erweiterung der Produktionsmoglichkeiten= hohere Konsummoglichkeiten morgen

I Konsumseite: Konsumverzicht heute= Zinseinkommen fur zusatzlichen Konsum morgen

I Aber: Nutzen aus Konsum morgen wird aufgrund einerangenommenen Gegenwartspraferenz abdiskontiert.Verhaltnis von Diskontfaktor und Zinssatz entscheidet uberdas Ausmaß der Ersparnisbildung.

⇒ Intertemporales Kalkul

S.122

3. Konsum und Produktion3.3 Konsum – der Haushalt3.3.4 Ersparnisbildung

Zusammenfassung:

Zeit

Einkommen Freizeit

Arbeits-Freizeit-Kalkul:

Konsum Sparen

Konsum-Spar-Entscheidung:

Gut 1 Gut 2... Gut n

Haushaltsoptimum:

S.123

4. Markte und Preisbildung

Gliederung:

4.1 Marktformen4.2 Vollkommene Konkurrenz

4.2.2 Angebot und Nachfrage4.2.3 Gleichgewicht und Parameteranderungen

4.3 Unvollkommene Konkurrenz4.3.1 Monopol4.3.2 Oligopol4.3.3 Monopolistische Konkurrenz

4.4 Arbeitsmarkt

4.5 Kapitalmarkte

Literatur:I Hanusch, H., Kuhn, T., Cantner, U. (2000), Volkswirtschaftslehre 1, 5.

Aufl., Berlin: Springer [Kapitel 3, 8, 9]

I Mankiw, N.G. (1999), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart:Schaffer-Poeschel [Kapitel 14-18]

I Bofinger, P. (2007), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl.,Munchen: Pearson [Kapitel 8, 9, 10]

S.124

4. Markte und Preisbildung4.1 Marktformen

Markte lassen sich (u.a.) nach zwei Merkmalen charakterisieren:

1) Anzahl der Anbieter und Nachfrager:

I Gibt es “sehr viele” Anbieter (Nachfrager), dann hat derEinzelne keinen signifikanten Einfluss auf das Marktergebnis.Er kann durch sein Verhalten nicht das Verhalten der anderenMarktteilnehmer beeinflussen, d.h. es gibt keine strategischeInterdependenz.

I Gibt es “wenige” Anbieter (Nachfrager), so liegt eine gewisseMarktmacht vor, und die Entscheidungen hangen auch davonab, was die anderen Marktteilnehmer tun.

I Bei einem Anbieter (Nachfrager) kann dieser allein einenPunkt auf der Nachfragekurve (Angebotskurve) bestimmen.

S.125

4. Markte und Preisbildung4.1 Marktformen

ein wenige vieleAnbieter Anbieter Anbieter

ein Nachfrager bilaterales Monopol beschranktes Monopson(Verhandlung) Monopson

wenige Nachfrager beschranktes bilaterales OligopsonMonopol Oligopol

viele Nachfrager Monopol Oligopol Polypol

S.126

4. Markte und Preisbildung4.1 Marktformen

2) Homogenitat oder Heterogenitat der Guter

I Homogene Guter: aus Sicht der Nachfrager volligaustauschbar, d.h. keine Praferenzen bezuglich Zeit, Ort,Anbieter usw.

⇒ einheitlicher Preis; Preis ist keine Strategievariable.

I Heterogene Guter: mindestens hinsichtlich eines Kriteriumswerden die Guter als unterschiedlich wahrgenommen (z.B.Qualitat, Design, Verfugbarkeit)

⇒ es werden sich unterschiedliche Preise etablieren; Preis alsStrategievariable.

S.127

4. Markte und Preisbildung4.1 Marktformen

Vollkommene Konkurrenz:I Polypol (oder auch: vollstandige Konkurrenz): viele

Nachfrager und viele Anbieter, d.h. keine strategischeInterdependenz, keine Marktmacht

I plus Homogenitat der Guter

I Weitere Annahmen: keine Externalitaten, keine

Informationsasymmetrien (siehe Kapitel 6)

I Idealtypischer fiktiver Referenzfall in der Lehrbuchliteratur

I (Fast) keine praktischen Beispiele! Aber: Implikationen vonAnnahmeverletzungen lassen sich besser verstehen, wenn manzunachst den Referenzfall kennt.

S.128

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

I Viele Nachfrager

I Das Verhalten eines Nachfragers ist durch eine fallendeNachfragekurve charakterisiert (siehe Abschnitt 3.3)

I Die Marktnachfrage ist die Summe der individuellnachgefragten Mengen (D = demand) zum jeweiligen Preis

xD(p) = xD1 (p) + xD

2 (p) + xD3 (p) + .....

I Grafisch: Nachfragekurven werden horizontal addiert.

I Die Marktnachfragekurve bleibt daher eine im Preis fallendeFunktion.

I Achtung: Hier wird implizit angenommen, dass Haushalte

unabhangig voneinander entscheiden. Ist das nicht der Fall (z.B.

Veblen-Effekt), so ist die Herleitung einer aggregierten

Marktnachfrage nicht ohne weiteres moglich!

S.129

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

I Viele Anbieter

I Das Verhalten eines Anbieters unter vollkommenerKonkurrenz ist durch eine steigende Angebotskurvecharakterisiert (siehe Abschnitt 3.2).

I Das Marktangebot ist die Summe der individuell angebotenenMengen (S = supply) zum jeweiligen Preis

xS (p) = xS1 (p) + xS

2 (p) + xS3 (p) + ....

I Grafisch: Angebotskurven werden horizontal addiert.

I Die Marktangebotskurve bleibt daher eine im Preis steigendeFunktion.

S.130

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

p

x

xS (p) (Angebot)

xD (p) (Nachfrage)

p∗

x∗

I Beide Kurven reprasentieren die optimalen geplanten Mengenbeider Marktseiten.

I Im Schnittpunkt beider Kurven liegt ein Marktpreis p∗ vor,bei dem die geplante Nachfrage dem geplanten Angebotentspricht. Wir sprechen von Marktgleichgewicht bzw. voneinem geraumten Markt. Die getauschte Menge betragt x∗.

S.131

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

p

x

xS (p) (Angebot)

xD (p) (Nachfrage)

p∗

x∗

p1

UA

x1

p2

UN

x2

S.132

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

I Fur p > p∗ liegt ein Uberschussangebot vor:xS (p) > xD(p).

I Fur p < p∗ liegt eine Uberschussnachfrage vor:xD(p) > xS (p).

I In diesen Ungleichgewichtssituationen konnen die optimalenPlane nicht realisiert werden.

I Da das Zustandekommen des Marktpreises bei vollkommenerKonkurrenz nicht erklart wird (!), behilft man sich mit dem“fiktiven Auktionator”: Der Preis wird entsprechend derUberschussnachfrage in Richtung Gleichgewicht angepasst(Walrasianisches Gleichgewicht). Erst zumGleichgewichtspreis wird tatsachlich getauscht.

S.133

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

Problem:

I Wenn Haushalte und Unternehmen vonUngleichgewichtspreisen ausgehen, sind die hergeleitetenAngebots- und Nachfragekurven hinfallig!

Das (neoklassische) Marktkonzept funktioniert nur unter derAnnahme, dass die Akteure vertrauen konnen, dass es sich umGleichgewichtspreise handelt, d.h. es findet kein Tausch imUngleichgewicht statt. Nur der Schnittpunkt von Angebot undNachfrage ist interpretierbar.

I Alternativ : Ungleichgewichts-Konzepte:I Bei rationaler Planung (kompliziert! Idee davon in Kapitel 5)I Verhaltensokonomische Konzepte (Problem der Beliebigkeit)

I Trotz methodologischer Schwachen kann man diese Form derMarktanalyse als “work horse” verwenden, da viele qualitativeImplikationen intuitiv und empirisch relevant sind.

S.134

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

Wie der Preismechanismus auf neue Informationen reagiert:

I Nachfrageerhohung von xD1 auf xD

2 z.B. aufgrundI gestiegener Wertschatzung (Praferenzen)I gestiegenen EinkommensI gestiegenen Preises von SubstitutionsguternI gesunkenen Preises von Komplementargutern

I Bei “altem” Preis p∗ herrscht nun Uberschussnachfrage.

I Es findet eine Preiserhohung in Richtung des neuenGleichgewichts p∗∗ statt.

I Die Gleichgewichtsmenge x∗∗ steigt.

S.135

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

p

x

xS (p)

xD1 (p)

p∗1

x∗1

xD2 (p)

p∗2

x∗2

S.136

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

I Angebotserhohung von xS1 auf xS

2 z.B. aufgrund vonI technischem Fortschritt, der zu sinkenden Kosten fuhrtI gesunkenen FaktorpreisenI Marktzutritt neuer Konkurrenten

I Bei “altem” Preis p∗ herrscht nun Uberschussangebot.

I Es findet eine Preissenkung in Richtung des neuenGleichgewichts p∗∗ statt.

I Die Gleichgewichtsmenge x∗∗ steigt.

S.137

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

p

x

xS1 (p)

xD (p)

p∗1

x∗1

xS2 (p)

p∗2

x∗2

S.138

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

Rolle der Elastizitat:

I Die Steigung der Kurven im Marktgleichgewicht zeigt an, wie“empfindlich” die Marktseite auf Preisanderungen reagiert.

I Preiselastizitat der Nachfrage: Um wieviel Prozent nimmtdie Nachfrage ab bei einer 1%-igen Preiserhohung?

I Preiselastizitat des Angebots: Um wieviel Prozent erhohtsich das Angebot bei einer 1%-igen Preiserhohung?

I Beispiel : Angebotskurve verschiebt sich nach rechts aufgrundgesunkener Kosten.

S.139

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

p

x

Preisunelastische Nachfrage

xS1 (p)

xD (p)

p∗1

x∗1

xS2 (p)

p∗2

x∗2

Preiselastische Nachfragep

x

xS1 (p)

xD (p)

p∗1

x∗1

xS2 (p)

p∗2

x∗2

S.140

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

Analog bei einer Kostenerhohung:

I Bei preiselastischer Nachfrage kommt es zu geringenPreiserhohungen, aber dafur zu einer deutlichenMengenreaktion. Die Fahigkeit der Anbieter, dieKostenerhohung auf die Nachfrager zu uberwalzen, ist gering.

I Bei preisunelastischer Nachfrage kommt es zu deutlichenPreis-, aber geringen Mengeneffekten. Da Nachfrager kaumausweichen konnen, gelingt den Anbietern eine fastvollstandige Uberwalzung der Kostenerhohung.

S.141

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

Preisregulierung:

I Festsetzung von Mindestpreisen oberhalb des Gleichgewichts

I Festsetzung von Hochstpreisen unterhalb des Gleichgewichts

⇒ Rationierung! Die “kurzere” Marktseite bestimmt dann diegetauschte Menge.

p

x

Mindestpreis

xS1 (p)

xD (p)

pmin

x

UA

p

x

Hochstpreis

xS1 (p)

xD (p)

pmax

x

UN

S.142

4. Markte und Preisbildung4.2 Vollkommene Konkurrenz

Grundsatzliche methodische Probleme:

I Es handelt sich um eine Partialanalyse nur eines Marktes. JedesUngleichgewicht auf irgendeinem Markt kann aber Auswirkungenauf alle anderen Markte haben, da die Marktteilnehmer gezwungensind, ihre Planungen zu revidieren. Die Idee des Marktgleichgewichtsist nur dann logisch schlussig, wenn auf samtlichen MarktenGleichgewicht herrscht.

I Frage: Existiert ein Preisvektor, der zu simultanem Gleichgewichtauf allen Markten fuhrt? (⇒ Allgemeine Gleichgewichtstheorie)

I In der Realitat existiert keine Institution, welche einenGleichgewichtspreisvektor ermitteln konnte. Wenn nun aberTauschhandlungen zu Ungleichgewichtspreisen vollzogen werden,dann gibt es Rationierungen. Wie aber reagieren rationaleIndividuen auf (erwartete) Rationierungen?

S.143

4. Markte und Preisbildung4.3 Unvollkommene Konkurrenz4.3.1 Monopol

I Da es nur einen Anbieter gibt, haben dessen Entscheidungenunmittelbaren Einfluss auf das Marktergebnis. Er kann nichtvon einem “gegebenen” Marktpreis ausgehen.

I Setzt er den Preis, so bestimmt er uber die Nachfragefunktionimplizit auch die abgesetzte Menge. Bestimmt er die Menge,so entscheidet er implizit auch uber den Preis, bei welchemdiese Menge abgesetzt wird.

⇒ Der Monopolist wahlt einen Punkt auf der Markt-nachfragekurve, bei dem sein Gewinn maximiert wird.Eine Angebotskurve existiert hier nicht.

S.144

4. Markte und Preisbildung4.3 Unvollkommene Konkurrenz4.3.1 Monopol

I Gewinngleichung:

π(x) = x · p(x)− C (x)

mit p(x) als inverser Nachfragefunktion.I Bedingung erster Ordnung fur ein Gewinnmaximum

(Produktregel!):

π′(x) = p(x) + x · p′(x)︸ ︷︷ ︸<0

−C ′(x) = 0

⇒ p(x) + x · p′(x) = C ′(x)

Grenzerlos = Grenzkosten

und somit p(x) > C ′(x)

I Im Vergleich zu vollkommener Konkurrenz:I hoherer GleichgewichtspreisI niedrigere Gleichgewichtsmenge

S.145

4. Markte und Preisbildung4.3 Unvollkommene Konkurrenz4.3.1 Monopol

Beispiel mit linearer Nachfragefunktion:

p

x

Grenzkosten

xD (p)Grenzerlos

pM

xM

Je preiselastischer die Nachfrage ist, desto weniger kann derMonopolist seine Marktmacht nutzen.

S.146

4. Markte und Preisbildung4.3 Unvollkommene Konkurrenz4.3.1 Monopol

Warum kommt es zu Monopolen?

I Alleineigentum an den Produktionsfaktoren (z.B. Olquelle)bzw. exklusive staatliche Lizenzen (z.B. Schurfrechte,Patente), die den Markteintritt von Wettbewerbernverhindern.

I Steigende Skalenertrage (Großenvorteile): sinkendeDurchschnittskosten bei Massenproduktion fuhren dazu, dasses technisch effizient ist, jede weitere Produktionseinheit vombereits bestehenden Unternehmen herstellen zu lassen (sog.“naturliches Monopol”).

I Netzwerkexternalitaten und strategische Markteintritts-barrieren (v.a. bei “Superstar-Unternehmen” wie Google,Facebook, Amazon etc.)

I Staatliche Vorgaben (z.B. Pflichtversicherungen)

S.147

4. Markte und Preisbildung4.3 Unvollkommene Konkurrenz4.3.1 Monopol

I Monopolkontrolle: Monopole fuhren i.d.R. zu einemineffizienten Markt, die Marktmacht wird nicht durchWettbewerb diszipliniert. Staatliche Aufsicht und Regulierungkonnen die Ineffizienzen reduzieren.

I Auch wenn mehrere Wettbewerber existieren, so konnen sichdiese durch Kartellbildung in einer Weise abgestimmtverhalten, als waren sie zusammen ein Monopolist (z.B.Preisabsprachen). Dieses wettbewerbsbeschrankendeVerhalten ist rechtswidrig.

I Das Verhalten eines Monopolisten kann evtl. allein durch dieMoglichkeit eines Markteintritts diszipliniert werden(“angreifbares Monopol”). Preispolitik und Innovations-verhalten werden so gestaltet, dass es sich fur potenzielleWettbewerber nicht lohnt in den Markt einzutreten.

S.148

4. Markte und Preisbildung4.3 Unvollkommene Konkurrenz4.3.2 Oligopol

I Wenige Anbieter: Jeder hat eine “gewisse” Marktmacht, sodass seine Entscheidungen Einfluss auf die Situation derKonkurrenten haben (abgesetzte Mengen, Gewinne) undumgekehrt.

⇒ Preis- oder Mengenentscheidungen werden daher instrategischer Wechselwirkung getroffen, d.h. inAbhangigkeit vom erwarteten Verhalten der Konkurrenten.

I Homogene Guter: einheitlicher Preis und strategischerMengenwettbewerb (Cournot)

I Heterogene Guter: unterschiedliche Preise und strategischerPreiswettbewerb (Bertrand)

⇒ Analyse mit Hilfe der Spieltheorie.

S.149

4. Markte und Preisbildung4.3 Unvollkommene Konkurrenz4.3.2 Oligopol

Skizze fur den Fall homogener Guter und zwei Anbieter (Duopol):

I Der einheitliche Marktpreis hangt von den Angebotsmengenbeider Duopolisten ab: p(x) = p(x1 + x2).

I Der Gewinn von Unternehmen 1 hangt somit von dessengewahlter Menge und von der Menge des Unternehmens 2 ab:

π1(x1, x2) = x1 · p(x1 + x2)− C (x1)

(analog fur Unternehmen 2.)

I Fur die gewinnmaximalen Mengen gilt dann x∗1 = x∗1 (x2) undx∗2 = x∗2 (x1). Das heißt, es gibt jeweils eine “beste Antwort”auf die Mengensetzung des Konkurrenten.

I Ein Gleichgewicht liegt vor, wenn die gewahlten Mengen eine“wechselseitig beste Antwort” darstellen.

S.150

4. Markte und Preisbildung4.3 Unvollkommene Konkurrenz4.3.3 Monopolistische Konkurrenz

I Vollstandige Konkurrenz, jedoch heterogene Guter.

I Sehr viele Anbieter, so dass das einzelne Unternehmen keinensignifikanten Einfluss auf andere Unternehmen hat (keinestrategische Wechselbeziehung).

I Da die Guter heterogen sind, hat jeder Anbieter eineMarktnische. In dieser Marktnische maximiert er seinenGewinn und verhalt sich wie ein Monopolist.

I Sofern positive Gewinne entstehen, kommt es zuMarkteintritten von Unternehmen mit weiterenProduktvarianten.

I Dadurch sinkt die Nachfrage nach bestehendenProduktvarianten und somit der Gewinn. Im langfristigenGleichgewicht nahert sich der Monopolpreis denDurchschnittskosten, so dass der Gewinn Null wird.

S.151

4. Markte und Preisbildung4.4 Arbeitsmarkt

I Haushalte sind Anbieter von Arbeit. Wir haben dasAngebot aus einem Arbeits-Freizeit-Kalkul hergeleitet und dieArbeitsangebotskurve als eine vom Reallohn abhangigeaufsteigende Funktion dargestellt (siehe Abschnitt 3.3).

I Unternehmen sind Nachfrager nach Arbeit. Die Nachfragehaben wir aus einem Gewinnmaximierungskalkul hergeleitetund die Arbeitsnachfragekurve als eine vom Reallohnabhangige fallende Funktion dargestellt (siehe Abschnitt 3.2).

I Im Schnittpunkt beider Kurven (gleichgewichtigerReallohnsatz) stimmen geplantes Angebot und geplanteNachfrage uberein.

S.152

4. Markte und Preisbildung4.4 Arbeitsmarkt

wp

L

LD (w/p)

LS (w/p)

(wp

)∗

L∗

Neoklassische Erklarung von Arbeitslosigkeit

AL

L

S.153

4. Markte und Preisbildung4.4 Arbeitsmarkt

I In dieser stark vereinfachten Sichtweise entstehtArbeitslosigkeit (Uberschussangebot) durch einen zu hohenReallohn (Grafik: AL).

I Da Arbeitskontrakte den Nominallohn w bestimmen, wahrenddas Preisniveau p durch Angebot und Nachfrage aufGutermarkten bestimmt wird, hangt es dann von derNominallohnflexibilitat ab, ob das Marktgleichgewichterreicht wird.

I Nach dieser Auffassung verhalt sich der Arbeitsmarkt wiejeder andere Markt auch, d.h. er reagiert auf Anderungen imAngebots- und Nachfrageverhalten durch Anderung desGleichgewichtslohnsatzes w .

S.154

4. Markte und Preisbildung4.4 Arbeitsmarkt

Beispiele:

I Links: Technischer Fortschritt senkt die Produktionskostenund erhoht so die Arbeitsnachfrage.

I Rechts: Durch Abwanderung sinkt das Arbeitsangebot.

wp

L

LD0 (w/p)

LS (w/p)

(w/p)∗

L∗

LD1 (w/p)

(w/p)∗∗

L∗

wp

L

LD (w/p)

LS0 (w/p)

(w/p)∗

L∗

LS1 (w/p)

(w/p)∗

L∗

S.155

4. Markte und Preisbildung4.4 Arbeitsmarkt

Besonderheiten des Arbeitsmarktes:

1) Arbeit ist heterogen:

I Unterschiedliche Qualifikationen, unterschiedlicheLeistungsfahigkeit bei gleicher formaler Qualifikation usw.

I Berucksichtigung durch Einbeziehung von “Humankapital”(z.B. vorangegangene Investitionen in Bildung). Erhoht dasHumankapital die Grenzproduktivitat, so lasst sich einerhohter Lohnsatz als “Rendite” des Humankapitals auffassen.

I Analyse unterschiedlicher Teil-Arbeitsmarkte, z.B. fur Hoch-und Geringqualifizierte.

S.156

4. Markte und Preisbildung4.4 Arbeitsmarkt

2) Probleme der Informationsasymmetrie:

I Grenzproduktivitat der Arbeit ist i.d.R. dem Unternehmennicht bekannt:

I Die Humankapitalausstattung bzw. Produktivitat ist evtl. demBetreffenden, aber nicht dem Unternehmen bekannt. Dieformale Qualifikation ist lediglich ein Signal.

I Ein hochproduktiver Arbeiter unterliegt dem Anreiz sichweniger anzustrengen (d.h. weniger produktiv zu sein), wenndas Unternehmen dies nicht prazise beobachten kann.

I Es lasst sich zeigen, dass ein erhohter Lohnsatz beideInformationsprobleme losen bzw. lindern helfen kann(Effizienzlohntheorie).

I Der Effizienzlohn liegt aber uber dem gleichgewichtigenLohnsatz und tragt so zur Arbeitslosigkeit bei! Es gibt hierkeine “Marktkrafte”, die zu einer Lohnsenkung fuhren.

S.157

4. Markte und Preisbildung4.4 Arbeitsmarkt

3) Lohnkontrakte werden ausgehandelt:

I Fur einen großen Teil von Arbeitern und Angestellten werdenLohne durch einen Verhandlungsmechanismus(Arbeitgeberverbande – Gewerkschaften) bestimmt, nichtdurch einen Wettbewerbsmarkt.

I Verhandlungen sind ein kostentrachtiger Mechanismus. Daherwerden Lohnkontrakte fur eine bestimmte Laufzeitabgeschlossen. Innerhalb der Laufzeit ist die Lohnflexibilitatnach unten sehr begrenzt.

I Hypothese: In Verhandlungen sind die Interessen derBeschaftigten starker reprasentiert als die der Arbeitslosen.

S.158

4. Markte und Preisbildung4.4 Arbeitsmarkt

4) Regulierende Eingriffe:

I In einer Sozialen Marktwirtschaft ist es unabdingbar, dass esfur den Fall der Arbeitslosigkeit eine Grundsicherung gibt,welche den Einkommensausfall teilweise kompensiert. Uber dieAusgestaltung dieses Sicherungssystems gibt es verschiedeneAuffassungen.

I Die Grundsicherung kann wie ein Mindestlohn wirken: Fur alleReallohne unterhalb der Mindestsicherung gibt es aus Sichtder Arbeitsleidhypothese keinen rationalen Grund einenArbeitskontrakt zu akzeptieren, d.h. das Arbeitsangebot istdort Null.

I Das andert sich, wenn bei Aufnahme von Arbeit dieUnterstutzungsleistung nicht sofort entsprechend gekurzt wirdund/oder wenn Arbeit einen Eigenwert hat und/oder wenn dieArbeitsaufnahme Signal- oder investiven Charakter hat.

S.159

4. Markte und Preisbildung4.5 Kapitalmarkte

I Wir haben schon gesehen, dass ein Zusammenhang vonSparen (Konsumverzicht) und Investieren existiert(in einer geschlossenen Volkswirtschaft gilt stetsSparen = Nettoinvestition).

I Akkumulierte Ersparnis = NettovermogenAkkumulierte Nettoinvestitionen = Kapirtalstock

I Vermogen kann in verschiedener Form gehalten werden: Geld,Aktien, Schuldverschreibungen (Bonds), ...

I Investitionen sowie auch laufende unternehmerischeAktivitaten konnen in verschiedener Form finanziert werden:Eigenfinanzierung durch einbehaltene Gewinne, Kredite,Ausgabe von Aktien oder Schuldverschreibungen....

S.160

4. Markte und Preisbildung4.5 Kapitalmarkte

1) Direkte Finanzierung (Primarmarkt):

I Ausgabe von Aktien: Durch den Verkauf einer Aktie fließendie finanziellen Mittel dem Unternehmen zu und derAktieninhaber wird Miteigentumer mit Anspruch aufMitbestimmung und Gewinnbeteiligung.

I Ausgabe von Schuldverschreibungen (Bonds): Durch denVerkauf von Bonds fließen die finanziellen Mittel demUnternehmen zu und der Bondsinhaber wird zum Glaubigermit Anspruch auf festgelegte Zinszahlungen.

I Aktien wie auch Bonds konnen auf Sekundarmarktengehandelt werden, es kommt dann zum Eigentums- bzw.Glaubigerwechsel, aber ohne unmittelbareFinanzierungswirkung auf das Unternehmen.

S.161

4. Markte und Preisbildung4.5 Kapitalmarkte

2) Indirekte Finanzierung durch Finanzintermediare:

I Investor nimmt einen Kredit bei einer Bank auf.

I Dadurch entsteht Sichtguthaben (Geld) (siehe Kapitel 8).

I Durch die Investition entsteht Einkommen, welches nichtkonsumiert werden kann, also gespart wird.

(D.h. in einer Geldwirtschaft ist Ersparnis keine Voraussetzungfur Investitionen!)

S.162

4. Markte und Preisbildung4.5 Kapitalmarkte

I Auch die Markte fur Aktien, Bonds und Kredite lassen sichwie jeder andere Markt auch durch Angebots- undNachfrageverhalten erklaren.

I Aktien: Kurs = Preis; wichtig ist die erwartete Rendite, d.h.erwartete Gewinnausschuttungen pro Aktie und erwarteteKursentwicklung.

I Bonds: Erwartete Rendite ergibt sich aus festen Zinszahlungenund erwarteten Kursanderungen.

I Kredite: Zinssatz.

I Besonderheiten bezuglich der Informationsasymmetrie undder Rolle der Erwartungsbildung (nicht Gegenstand diesesKurses).

S.163

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt

Gliederung:

5.1 Gleichgewicht

5.2 Effizienz

5.2.1 Effizienter Ressourceneinsatz5.2.2 Effizienter Tausch und Pareto-Kriterium

5.3 Wohlfahrt

5.3.1 Partialanalyse5.3.2 Totalanalyse5.3.3 Probleme der Aggregation

Literatur:I Hanusch, H., Kuhn, T., Cantner, U. (2000), Volkswirtschaftslehre 1, 5.

Aufl., Berlin: Springer [Kapitel 2, 10.1]

I Mankiw, N.G. (1999), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart:Schaffer-Poeschel [Kapitel 7, 8]

I Donges, J.B., Freytag, A. (2004), Allgemeine Wirtschaftspolitik. 2. Aufl.Stuttgart: Lucius & Lucius [Kapitel II.2 – II.4]

S.164

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.1 Gleichgewicht

Theoretisches Gleichgewicht:

Zustand, bei dem ein Markt (bzw. ein System von Markten)geraumt ist (Marktgleichgewicht).

Methodisches Gleichgewicht:

Zustand, bei dem kein Individuum einen Anreiz hat, seineEntscheidungen zu revidieren.

⇒ Da Entscheidungen auf Planungen beruhen, impliziert dies,dass geplante Großen nicht revidiert werden mussen, und allePlane folglich miteinander konsistent sind.

⇒ Da Planungen auf Erwartungen beruhen, impliziert dies, dassein Gleichgewichtszustand nicht auf systematischem Irrtumberuhen kann.

S.165

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.1 Gleichgewicht

Walrasianisches Gleichgewicht:

I L. Walras (1834-1910), Begrunder derAllgemeinen Gleichgewichtstheorie

I Existenz eines Preisvektors, bei welchemalle Markte geraumt sind und allePlanungen realisiert sind (theoretischesund methodisches Gleichgewicht).

I “Walrasianischer Auktionator” zurErmittlung dieses Preisvektors.

⇒ Geld spielt nur als Recheneinheit eine Rolle;Gleichgewichtskonzept einer reinen Tauschwirtschaft.

S.166

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.1 Gleichgewicht

Was passiert bei Transaktionen zu Ungleichgewichtspreisen?

I Plane konnen nicht realisiert werden, es kommt zu (positiveroder negativer) Uberschussnachfrage und somit zuRationierungen.

I Preis- und/oder Mengenentscheidungen werden revidiert.

I Geht man nur von Preisanpassungen aus, konvergiert dann derPreisvektor gegen denjenigen des WalrasianischenGleichgewichts?

I Was passiert aber, wenn die Individuen auf moglicheRationierungen mit einer Anpassung der geplanten Mengenreagieren? Was passiert, wenn sie von vornherein mitRationierungen rechnen?

⇒ Nicht-walrasianische Gleichgewichtsvorstellungen!

S.167

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.1 Gleichgewicht

Beispiel:

a) Haushalte planen simultan ihre optimale Arbeitszeit (Einkommen)und ihre Konsumausgaben.

I Sie rechnen mit der Moglichkeit, dass sie ihre geplante Arbeitszeitnicht werden realisieren konnen, d.h. sie erwarten eine gewisseUnterbeschaftigung.

I Somit rechnen sie mit einem geringeren Einkommen und passendaher ihre Konsumausgaben nach unten an.

b) Unternehmen planen ihren Absatz. Sie rechnen damit, dass sie aufdem Konsumgutermarkt rationiert werden, d.h. die optimale Mengenicht absetzen konnen.

I Daraufhin stellen sie weniger Arbeitskrafte ein, weil sie dieProduktion an die erwartete Rationierung anpassen.

S.168

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.1 Gleichgewicht

Beispiel (Fortsetzung):

I Damit hat sich aber genau die Situation auf dem Arbeitsmarkteingestellt, die die Haushalte erwartet hatten, namlich eineUnterbeschaftigung. Deshalb werden sie auch nur die geringeKonsumgutermenge nachfragen, mit der wiederum die Unternehmengerechnet haben.

⇒ Die Erwartungen sind konsistent und erfullt.Es gibt keinen Anlass die Plane zu revidieren!Dennoch ist das Gesamtergebnis unerwunscht, korrekturbedurftig.

I Rationierungs-Gleichgewicht, “Ungleichgewichts-Gleichgewicht”.

Rothschild, K.W. (1981), Einfuhrung in die Ungleichgewichtstheorie. Berlin:

Springer.

S.169

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.1 Gleichgewicht

Statische versus dynamische Betrachtung:

I Marktgleichgewicht (Angebot = Machfrage) ist ein statischesKonzept.

I Wie und ob uberhaupt man zu einem Gleichgewicht kommt,haben wir hier nicht geklart!⇒ dynamische Anpassungsmodelle

I Begriff des Gleichgewichts impliziert nicht unbedingt, dass essich um einen statischen Zustand handelt: Konjunkturzyklenoder Wachstumsprozesse konnen auch als “gleichgewichtig”modelliert werden, wenn entlang des dynamischen Pfades diePlanungen der Wirtschaftssubjekte erfullt sind.

I Dynamiken außerhalb eines Planungsgleichgewichts sind oftkomplex und stark annahmenabhangig.

I Wahrend der Anpassung an ein Gleichgewicht kann sich diesesverandern ⇒ Gleichgewicht nie erreicht.

S.170

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.2 Effizienz5.2.1 Effizienter Ressourceneinsatz

I Einzelwirtschaftliche Ebene:

Die Produktionsfunktion gibt an, welcher Output beigegebenen Inputs maximal, d.h. technisch effizient produziertwerden kann. Bleibt der Output unterhalb desFunktionswertes, x < f (v), so ist die Produktion technischineffizient.

I Gesamtwirtschaftliche Ebene:

Werden nutzbare Ressourcen (Arbeit, Kapital) nichteingesetzt, so liegt Ineffizienz vor (Opportunitatskostenaufgrund entgangenen Outputs). Grafisch gesehen ist dies einPunkt unterhalb der Transformationskurve.

S.171

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.2 Effizienz5.2.1 Effizienter Ressourceneinsatz

v

x2

x1

v

Ressourcenrestriktion

Transformationskurve

A

A: technische Ineffizienz

A

B

B: ineffizienter Ressourceneinsatz

B

S.172

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.2 Effizienz5.2.2 Effizienter Tausch und Pareto-Kriterium

I Ausgangspunkt sei ein Punkt auf der Transformationskurve,d.h. ein Guterbundel aus zwei Gutern (Apfel und Birnen).

I Weiterhin gehen wir davon aus, dass diese Guter irgendwie aufdie beiden Personen Adam und Eva verteilt wurden. Annahme:

I Adam hat 10 Apfel und 5 BirnenI Eva hat 6 Apfel und 8 Birnen.

I Beide haben jeweils Praferenzen bezuglich dieser Guter⇒ Indifferenzkurven!

I Wann ist es sinnvoll, dass Adam und Eva untereinander Apfelund Birnen tauschen? Was ist das Tauschergebnis?

S.173

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.2 Effizienz5.2.2 Effizienter Tausch und Pareto-Kriterium

Konstruktion einer sog. Edgeworth-Box

(F.Y. Edgeworth, 1845-1926):

I Zwei Indifferenzkurvenschemata werden so gedreht undubereinander gelegt, ...

I ... dass die Kantenlange jeweils der Gesamtausstattung mitden beiden Gutern entspricht,

I ... und die Anfangsverteilung durch einen Punkt in diesemRaum gekennzeichnet ist.

S.174

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.2 Effizienz5.2.2 Effizienter Tausch und Pareto-Kriterium

B

EvaA

uE

8

6

AAdam

B

uA

10

5

S.175

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.2 Effizienz5.2.2 Effizienter Tausch und Pareto-Kriterium

B

EvaA

uE

8

6

AAdam

B

uA

10

5-2 +2

6 7

-3

+3

9

7

u′E

u′A

S.176

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.2 Effizienz5.2.2 Effizienter Tausch und Pareto-Kriterium

I Bilden die Indifferenzkurven in der Ausgangslage (Punkt P0)eine “Linse”, so ist die Ausgangslage nicht effizient, dennbeide konnen gleichzeitig jeweils eine hohere Indifferenzkurveerreichen, indem sie tauschen.

I Eine Situation ist effizient (z.B. Punkt P1), wenn sich beideIndifferenzkurven tangieren, d.h. dieselbe Steigung aufweisen.

I Es gibt unendlich viele solcherTangentialpunkte!(sog. Kontraktkurve)

I Welcher Punkt realisiert wird,hangt u.a. von derAnfangsverteilung und derVerhandlungsstarke ab.

B

EvaA

AAdam

B

Kontraktkurve

S.177

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.2 Effizienz5.2.2 Effizienter Tausch und Pareto-Kriterium

V. Pareto (1848-1923), Mitbegrunder derWohlfahrtsokonomik

Pareto-Effizienzkriterium:

Zustand, in welchem niemand besser gestelltwerden kann, ohne dass mindestens ein andererschlechter gestellt werden muss (“besser” und

“schlechter” nach jeweils subjektiver Bewertung).

I Geht von der Nicht-Vergleichbarkeit individuellerNutzenvorstellungen aus, d.h. rein individualistisches unddadurch sehr strenges Kriterium.

I Implikation des okonomischen Prinzips!

I Tauschgleichgewicht = Punkt auf Kontraktkurve erfullt dasPareto-Kriterium.

S.178

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.2 Effizienz5.2.2 Effizienter Tausch und Pareto-Kriterium

Bemerkung zum Effizienzbegriff:

I Ausgangspunkt sind die subjektiven Praferenzen, d.h. jedesIndividuum bewertet die Konsequenzen seiner Entscheidung(z.B. bei einem Tausch).

I Wir haben hier unterstellt, dass jedes Individuum nurPraferenzen bezuglich der materiellen Konsequenzen fur sichselbst hat!

I Das Konzept rationaler Praferezen sagt aber nichts uber derenInhalt aus. Empirisch relevant: Interesse fur dieKonsequenzen fur andere (Neid, Ungleichheit, Altruismus);Interesse fur die Art und Weise des Zustandekommens derAllokation (vermutete Absichten anderer, faire Spielregeln).

I Konzept der Pareto-Effizienz auch dann anwendbar!

S.179

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.3 Wohlfahrt5.3.1 Partialanalyse

I Wenn Guter getauscht bzw. ver-/gekauft werden, danndeshalb, weil es fur die Beteiligten wechselseitig vorteilhaft ist.Dieser Vorteil lasst sich monetar bewerten.

I Verkauf einer zusatzlichen Gutereinheit auf einem Markt:I Das Unternehmen erzielt einen Gewinn (Preis ist mindestens

so hoch wie Kosten dieser Gutereinheit = Grenzkosten)I Der Haushalt erzielt einen Nutzenuberschuss (Preis ist

hochstens so hoch wie die Zahlungsbereitschaft fur dieseGutereinheit entsprechend des Haushaltsoptimums)

I Im Marktgleichgewicht entspricht der Preis genau derZahlungsbereitschaft fur die letzte getauschte Einheit, und derPreis entspricht den Kosten der letzten getauschten Einheit(Preis = Grenzkosten Regel)

S.180

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.3 Wohlfahrt5.3.1 Partialanalyse

I Konsumentenrente: “Addiere” samtliche Nutzenuberschusse dergehandelten Gutereinheiten.

I Produzentenrente: “Addiere” samtliche Stuckgewinne dergehandelten Gutereinheiten (Gesamtgewinn).

I Wohlfahrtsmaß: Produzenten- plus Konsumentenrente

p

xxD

xS

p∗

x∗1

Nutzenuberschuss

Stuckgewinn

2

p

xxD

xS

p∗

x∗

Konsumentenrente

Produzentenrente

S.181

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.3 Wohlfahrt5.3.1 Partialanalyse

Ungleichgewichtssituationen verringern die Wohlfahrt:

p

x

p

xxD

xS

p∗

x∗

p

x

(a) Angebotsuberschuss

Wohlfahrtsverlust

p∗

x∗

p

xxD

xS

p∗

x∗

p

x

(b) Nachfrageuberschuss

Wohlfahrtsverlust

p∗

x∗

S.182

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.3 Wohlfahrt5.3.1 Partialanalyse

Wohlfahrtsvergleich zwischenvollkommener Konkurrenz und Monopol:

I Im Monopolfall ist der Monopolpreis hoher und die gehandelteMenge niedriger als bei vollkommener Konkurrenz.

I Die Produzentenrente ist im Monopolfall hoher, dieKonsumentenrente sehr viel niedriger. Es kommt also zu einerRentenumlenkung (siehe Grafik).

Konkurrenz Monopol

KR apKd apMcPR pKbd pMbecWohlfahrt abd abec

I Die Gesamtwohlfahrt ist niedriger als bei vollkommenerKonkurrenz (Wohlfahrtsverlust), hier: cde.

S.183

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.3 Wohlfahrt5.3.1 Partialanalyse

p

x

b

Grenzkosten

a

xD (p)

pK

xK

d

Grenzerlos

e

pM

xM

cWohlfahrtsverlust

S.184

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.3 Wohlfahrt5.3.2 Totalanalyse

I Jeder Vorgang auf einem Markt hat Auswirkungen auf andereMarkte. Eine Analyse der “Wohlfahrt” auf nur einem einzigenMarkt ist daher fragwurdig.

I Betrachten wir also den Fall von zwei Gutern aufWettbewerbsmarkten und einem reprasentativen Haushalt:

I Im Marktgleichgewicht gilt fur die letzte Gutereinheit:

I Preis = marginale Zahlungsbereitschaft

Also gilt auch: Preisverhaltnis = Verhaltnis der marginalenZahlungsbereitschaften.

Dieses entspricht der Steigung der Indifferenzkurve.

I Preis = Grenzkosten

Also gilt auch: Preisverhaltnis = Verhaltnis der Grenzkosten

Dieses entspricht der Steigung der Transformationskurve.

S.185

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.3 Wohlfahrt5.3.2 Totalanalyse

x2

x1

Transformationskurve

Wohlfahrtsindifferenzkurve

x∗2

x∗1

S.186

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.3 Wohlfahrt5.3.2 Totalanalyse

I Damit ist auch die Frage beantwortet, welches Preis- undsomit reales Tauschverhaltnis sich einstellen wird:

⇒ Steigung der Tangente in dem Punkt, wo sich Indifferenz- undTransformationskurve beruhren.

I Absolute Geldpreise spielen bei der Analyse keine Rolle, da esstets um Relationen geht:

[Euro/Apfel]

[Euro/Birne]=

[Birne]

[Apfel]

S.187

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.3 Wohlfahrt5.3.3 Probleme der Aggregation

I In der obigen Totalanalyse sind wir vereinfachend von einemreprasentativen Haushalt ausgegangen.

I Betrachtet man viele Haushalte, so kann manNutzenindexwerte nicht einfach addieren!

⇒ Wie bewertet man aber einen kollektiven Zustand?

I Das Pareto-Kriterium hilft nicht weiter, da es in der Regelunendlich viele pareto-effiziente Zustande gibt.

S.188

5. Gleichgewicht, Effizienz und Wohlfahrt5.3 Wohlfahrt5.3.3 Probleme der Aggregation

I Gibt es eine aggregierte soziale Wohlfahrtsfunktion?Welche Eigenschaften sollte diese haben?

I Ein Problem ist, dass die okonomische Analyse grundsatzlichvom Individuum und dessen subjektiven Bewertungen ausgeht(methodologischer Individualismus). Eingriffe in diesouveranen Entscheidungen um eine angeblich hohere sozialeWohlfahrt herbeizufuhren, werden daher kritisch gesehen.

I Ein generelles Problem ist, dass es keinen Mechanismus gibt,der die individuellen Praferenzen auf eine konsistente Weiseaggregiert und der ohne Zwang funktioniert (sogenanntesArrow-Paradoxon).

S.189

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik

Gliederung:

6.1 Externe Effekte

6.1.1 Definition6.1.2 Umweltproblematik als Fall negativer Externalitaten6.1.3 Offentliche Guter als Spezialfall positiver Externalitaten

6.2 Marktmacht

6.3 Informationsasymmetrien

6.4 Markt und Moral

6.5 Verteilungspolitische Eingriffe

Literatur:I Hanusch, H., Kuhn, T., Cantner, U. (2000), Volkswirtschaftslehre 1, 5.

Aufl., Berlin: Springer [Kapitel 10, 4.3]

I Mankiw, N.G. (1999), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart:Schaffer-Poeschel [Kapitel 10, 11]

I Donges, J.B., Freytag, A. (2004), Allgemeine Wirtschaftspolitik. 2. Aufl.Stuttgart: Lucius & Lucius [Kapitel III, II.3.D]

S.190

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik

Warum staatliche Eingriffe notwendig sein konnen:

I Markte fuhren nicht immer zu einer effizienten Allokation derRessourcen bzw. zur hochstmoglichen Wohlfahrt⇒ sog. Marktversagen.

I Dadurch kann eine aktive Rolle des Staates begrundet werden:

I Spielregeln definieren, die den Markt in die Lage versetzen,diese Probleme selbst zu losen (z.B. Zuweisung von Rechten,Beschrankung von Handlungsfreiheiten),

I Eingriff in das System der relativen Preise(z.B. durch Steuern und Subventionen),

I Staat erstellt selbst gewunschte Leistungen(z.B. staatlicher Bildungssektor, Landesverteidigung).

S.191

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik

Grenzen staatlicher Eingriffe:

I Es sind oft prazise Informationen notig. Geht man von einemfiktiven informierten sozialen Planer aus, so lasst sich imModell das Problem des Marktversagens losen oder zumindesteine zweitbeste Losung finden. Der reale Staat verfugtjedoch oft nicht uber ausreichende Informationen.

I Politik wird durch handelnde Personen (Politiker, Burokraten)bestimmt, die eigenen Zielfunktionen folgen. Zudem konnenEntscheidungsprozesse durch Interessengruppen beeinflusstwerden ⇒ Kapitel 9.

I Weicht staatliches Handeln von dem ab, was der fiktivesoziale Planer tun wurde, kann man entsprechend vonStaatsversagen sprechen.

S.192

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik

Effizienz- und Verteilungsziel:

I Die Verteilung kann aus normativen Gerechtigkeits-vorstellungen heraus als korrekturbedurftig angesehenwerden, selbst wenn sie Ergebnis funktionierendenWettbewerbs auf effizienten Markten ist.

I Jede Form von Umverteilungspolitik (Steuern, Transfers,Mindestlohne) ist ein Eingriff in das System der relativenPreise und hat somit einen Einfluss auf die Allokationseffizienz.

I Daraus konnen sich Zielkonflikte zwischen Effizienz- undVerteilungszielen ergeben, die durch gesellschaftlicheWerturteilsentscheidungen gelost werden mussen.

S.193

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.1 Definition

I Auf Markten werden Verfugungsrechte an einem Gutgetauscht.

I Gibt es eindeutig zugewiesene Rechte, dann fallen Kosten undNutzen einer okonomischen Aktivitat immer beim Verursacherdieser Aktivitat an. Die Bereitschaft, diese Rechte zutauschen, fuhrt zu Marktpreisen, die die Knappheit anzeigen.

I Sind die Rechte nicht vollstandig definiert, dann kann eineokonomische Aktivitat eines Individuums die Kosten oder denNutzen eines anderen Individuums beeinflussen, ohne dasseine Kompensation durch einen Preis vorliegt.

I Das Preissystem ist dann unvollstandig(“externer” Effekt, da außerhalb des Preissystems).

S.194

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.1 Definition

Positiver externer Effekt:

Okonomische Aktivitat erhoht den Nutzen Dritter ohneKompensation durch das Preissystem.

Negativer externer Effekt:

Okonomische Aktivitat erhoht die Kosten Dritter ohneKompensation durch das Preissystem.

⇒ Fehlallokation, ineffiziente Allokation ist die Folge.

S.195

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.1 Definition

Beispiele:

I Opa Hoppenstedt hort gerne laute Militarmusik. Die Nachbarnhoren zwangslaufig mit.

I Die Produktion von Strom aus Kohle verursacht CO2-Emissionen.Der dadurch erhohte Treibhauseffekt betrifft auch alle anderenMenschen (nicht nur Stromnutzer).

I Thuringen finanziert eine offentliche Autobahn. Die PKW- undLKW-Fahrer der angrenzenden Bundeslander profitieren durch dieverbesserte Transitmoglichkeit.

I Ein Teil der Bevolkerung lasst sich gegen Grippe impfen. Durch dieverringerte Ubertragungswahrscheinlichkeit profitieren auchdiejenigen, die sich nicht haben impfen lassen.

I Ein Tuftler macht eine neue technische Entdeckung und publiziertdiese. Andere nutzen diese Idee und produzieren ein neues Produkt.

I Passivrauchen erhoht das Lungenkrebsrisiko.

S.196

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.1 Definition

I Das Preissystem ware vollstandig, wenn der externe Effektinternalisiert wurde, d.h. es musste eine Kompensationderjenigen Kosten und Nutzen erfolgen, die bei Drittenanfallen.

Das kann geschehen durch:

a) Definition und Zuweisung von Verfugungsrechten (z.B.Emissionszertifikate, Patente).

b) Staatlicher Eingriff in das System der relativen Preise (z.B.Okosteuern).

c) Staatlicher Eingriff in die okonomischeEntscheidungsfreiheit (z.B. Rauchverbot).

S.197

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.2 Umweltproblematik als Fall negativer Externalitaten

Anbieter 1Anbieter 2Filter

S.198

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.2 Umweltproblematik als Fall negativer Externalitaten

I Produktion von Gut x1 verursacht Emissionen, die die Produktionvon Gut x2 teurer machen. Die Gewinnfunktionen sind

π1 = p1x1 − C1(x1), π2 = p2x2 − C2(x2, x1)

I Im Konkurrenzgleichgewicht gilt:

p1 =dC1(x1)

dx1, p2 =

∂C2(x2, x1)

∂x2

I Da annahmegemaß ∂C2/∂x1 > 0 (negative Externalitat), sind dieGrenzkosten und somit der Preis von Gut x2 zu hoch.

I Optimal ware

p1 =dC1(x1)

dx1+∂C2(x2, x1)

∂x1

d.h. Preis von Gut x1 beinhaltet nicht nur die Grenzkosten vondessen Produktion, sondern auch den Grenzkosteneffekt auf Gut x2.Dadurch sinkt die Produktion von x1 (und somit die Emission)sowie der Preis p2 auf das sozial optimale Niveau.

S.199

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.2 Umweltproblematik als Fall negativer Externalitaten

1) Internalisierung durch einen regulierendenstaatlichen Eingriff in das Preissystem:

I Pigou-Steuer (A.C. Pigou, 1877-1959)

I Soziales Optimum: Preis = soziale Grenzkosten(private Grenzkosten plus externe Grenzkosten)

I Internalisierung des negativen externen Effektes durch eineSteuer auf das Gut, dessen Produktion den externen Effektverursacht.

I Fur die Bestimmung des Steuersatzes t ist die Kenntnis desMarktgleichgewichts im sozialen Optimum notwendig.

I Der Aufschlag t auf die Grenzkosten verschiebt dieAngebotskurve so, dass sie im sozialen Optimum dieNachfragekurve schneidet.

I Problem: Verwendung der Steuer nicht allokationsneutral.S.200

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.2 Umweltproblematik als Fall negativer Externalitaten

p

x

private GK

(=Angebot)

xD (p)

pK

xK

A

soziale GK

C

ps

x s

B

Angebot nach Besteuerung

Steuersatz t

S.201

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.2 Umweltproblematik als Fall negativer Externalitaten

2) Internalisierung durch Zuweisungvon Verfugungsrechten:

I R. Coase (1910-2013), Theorie der Verfugungsrechte

I Selbes Beispiel wie oben. Annahme:Eine Einheit x1 = eine Emissionseinheit.

I Situation A: Anbieter 2 hat das Nutzungsrecht am Fluss. WillAnbieter 1 Emissionen einleiten, so muss er das Nutzungsrechtan dem Fluss (teilweise) abkaufen.

I Anbieter 2 wird einen Preis pro Emissionseinheit mindestensin Hohe der externen Grenzkosten ∂C2/∂x1 verlangen.

I Anbieter 1 wird hochstens einen Preis zahlen, der dementgangenen Grenzgewinn p1 − dC1/dx1 entspricht.

I Im Verhandlungsgleichgewicht wird man sich einigen auf:

p1−dC1

dx1=∂C2

∂x1⇒ p1 =

dC1

dx1+∂C2

∂x1(sozial optimal)

S.202

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.2 Umweltproblematik als Fall negativer Externalitaten

I Situation B: Man kann aber ebenso Anbieter 1 dasNutzungsrecht am Fluss zuweisen. Anbieter 2 kann dann dieEmissionen hinnehmen oder aber Anbieter 1 fur dieUnterlassung kompensieren.

I Anbieter 2 wird eine Kompensation fur die Unterlassunghochstens in Hohe der externen Grenzkosten zahlen.

I Anbieter 1 wird sich fur jede nicht produzierte Einheitmindestens in Hohe des entgangenen Grenzgewinnskompensieren lassen.

I Die Losung in diesem Szenario ist identisch mit der inSzenario A. Die Verteilungsposition ist zwar in beiden Fallenverschieden, die Allokation aber in beiden Fallen gleich undeffizient.

S.203

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.2 Umweltproblematik als Fall negativer Externalitaten

Beispiel fur steuerliche Internalisierung:

I Mineralolsteuer, StromsteuerI CO2-Steuer: Nordhaus, W.D. (1991), A Sketch of the Economics of

the Greenhouse Effect. American Economic Review 81(2), 146-150.Metcalf, G.E. (i.E.), Paying for Pollution: The Case for a Carbon Tax.Oxford University Press.

Auch Sachverstandigenrat (Jahresgutachten 2017) spricht sich dafur aus.

Beispiel fur Eigentumsrecht-Losung:

I Handelbare CO2-Zertifikate in der EU.

I Problem: Sehr hohe Anfangsmenge an Zertifikaten ⇒ zugeringer Preis.

I Vorteil ist aber, dass es kein fiskalisches Instrument ist, dessenDurchsetzung in der EU schwierig ist.

S.204

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.3 Offentliche Guter als Spezialfall positiver Externalitaten

Charakterisierung okonomischer Guter nach den Kriterien:

I Ausschließbarkeit: Konnen Nutzer von der Nutzungausgeschlossen werden?

I Konsumrivalitat: Mindert die Nutzung durch eine Person dieNutzungsmoglichkeit durch eine andere Person?

Ausschließbarkeit Ausschließbarkeitgegeben nicht gegeben

Konsumrivalitat privates Gut Allmende-Gutgegeben

Konsumrivalitat Club-Gut offentliches Gutnicht gegeben

S.205

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.3 Offentliche Guter als Spezialfall positiver Externalitaten

I Allmende = gemeinschaftlich genutzte Ressource, bei derjeder Zugang hat, die Nutzung jedoch die Ressourceverknappt (z.B. Umweltguter).

I Als offentliche Guter werden haufig Beispiele wieLandesverteidigung, innere Sicherheit, der Leuchtturm, die(nicht uberfullte) offentliche Straße genannt.

I Nicht-Ausschließbarkeit ist keine intrinsische Eigenschaft desGutes:

I Technische Ausschließbarkeit: der Zugang kann physischreguliert werden (z.B. Aushandigung der Ware nur gegen Geld,Umzaunen eines Gelandes etc.). Der physische Ausschluss istnicht immer moglich (z.B. Wissen, Ideen) oder prohibitiv teuer.

I Rechtliche Ausschließbarkeit: Auch wenn die physischeAusschließbarkeit schwierig oder unmoglich ist, kann doch dieNutzung durch Rechte beschrankt sein (z.B. Nutzung digitalerMusik, Patente bei Erfindungen).

S.206

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.3 Offentliche Guter als Spezialfall positiver Externalitaten

I Somit liegt Nichtausschließbarkeit vor, wenn Rechte, welcheden Zugang regeln, nicht definiert sind, oder dieses Rechtfaktisch nicht durchsetzbar ist, oder dieses Recht bewusstnicht fur den Nutzungsausschluss verwendet wird.

I Nichtrivalitat liegt vor, wenn die Grenzkosten der Nutzung(nahe) bei Null liegen. Das ist regelmaßig bei immateriellenGutern der Fall.

⇒ Fazit: Von einem offentlichen Gut profitieren Individuen innicht-rivalisierender Weise, da sie aufgrund fehlenderdurchsetzbarer Rechte (oder deren Nichtgebrauch) von derNutzung nicht ausgeschlossen werden konnen. Daher werdenoffentliche Guter als Spezialfall positiver externer Effekteaufgefasst!

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6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.3 Offentliche Guter als Spezialfall positiver Externalitaten

Anreizproblem:

I Es bestehen Praferenzen und somit Zahlungsbereitschaften furoffentliche Guter.

I Da der Anbieter dieses Gutes aber niemanden von derNutzung ausschließen kann, kann die Nutzung nicht durchZahlung eines Preises reguliert und der Anbieter nicht fur dieKosten entschadigt werden.

I Nutzer haben keinen Anreiz, ihre Zahlungsbereitschaftfreiwillig zu offenbaren. Es entsteht einTrittbrettfahrer-Problem.

⇒ Es kommt zu einer Unterversorgung mit offentlichen Gutern(Fehlallokation).

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6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.3 Offentliche Guter als Spezialfall positiver Externalitaten

Beispiel: (aus Donges/Freytag (2004), S.163f.)

I Straßenbeleuchtung als offentliches Gut; Kosten: 5000,- Euro.

I 1000 Personen wurden davon profitieren; individuelleZahlungsbereitschaft: 10,- Euro, d.h. bei freiwilliger Bezahlunghatte jeder einen Nettonutzen von 5,- Euro.

I Individuelles Kalkul: Da man von der Nutzung nichtausgeschlossen werden kann, zahlt man freiwillig nichts(Trittbrettfahrerverhalten); die ubrigen Personen musstendann 5,005 Euro bezahlen, wahrend man selbst einenNettonutzen von 10,- Euro hatte.

I Nicht-zahlen ist daher eine dominante Strategie fur alleBeteiligten. Die Gleichgewichtslosung ist dann die Situation,dass die Straßenbeleuchtung nicht errichtet wird, obwohl dieseffizient ware.

S.209

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.3 Offentliche Guter als Spezialfall positiver Externalitaten

Spieltheoretische Analyse:

Nettonutzen:

Alle ubrigenDer Einzelne Kooperation Defektion

Kooperation 5 / 5 -5∗) / 0

Defektion 10 / <5 0 / 0

Kooperation = freiwillig bezahlenDefektion = nicht bezahlen∗) Zahlt nur einer 5 Euro, kommt das Projekt nicht zustande.

S.210

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.1 Externe Effekte6.1.3 Offentliche Guter als Spezialfall positiver Externalitaten

I Eine Losung des Problems offentlicher Guter ist z.B., dass derStaat Steuern erhebt, und fur die Produktion des offentlichenGutes sorgt (durch Subvention privater Anbieter oder durchEigenproduktion).

I Ein zentrales Problem ist es herauszufinden, welche Mengedes offentlichen Gutes sozial optimal ist, da dieZahlungsbereitschaften der Nutzer nicht offenbart werden.

I Abstimmung uber das staatliche Budget via demokratischerWahlen.

I Aber auch: Anreize zur privaten (freiwilligen) Bereitstellungoffentlicher Guter (wird hier nicht behandelt).

S.211

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.2 Marktmacht

Grundsatzlich:

I Markte basieren auf freiwilligem Austausch (kein Zwang)⇒ wechselseitig vorteilhafter Tausch.

I Marktmacht kann den entstehenden Vorteil sehr asymmetrischaufteilen; im Grenzfall ist die andere Marktseite indifferentzum Nicht-Tausch. Wahlfreiheit wird eingeschrankt.

I Liegen prekare Verhaltnisse vor, die kaum eine Wahl lassen alsdem ungleichen Tausch zuzustimmen, ist man an der Grenzezum Zwang.

I Hier: Marktmacht ist im Wesentlichen Preissetzungsmacht(z.B. Monopol).

S.212

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.2 Marktmacht

I Monopolmacht sollte im Wettbewerb allenfalls temporarentstehen, und die Marktmacht sollte durch (potenziellen)Markteintritt neuer Wettbewerber abgebaut werden(⇒ Kapitel 2: Wettbewerb als “Entmachtungsinstrument”).

I Es gibt aber Grunde fur persistente Marktmacht:I GroßenvorteileI VerbundvorteileI Netzwerkexternalitaten

I Die ersten beiden Grunde betreffen die Angebotsseite undfuhren zu einer sog. subadditiven Kostenfunktion (sinkendeDurchschnittskosten).

I Der dritte Grund betrifft die Nachfrageseite.

S.213

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.2 Marktmacht

Großenvorteile:

I Bei Herstellung der Gesamtmenge x = x1 + x2 gilt:C (x) < C (x1) + C (x2), d.h. es ist kostengunstiger, die Mengein einem Produktionsprozess (bzw. Unternehmen)herzustellen.

I Dies kann begrundet sein z.B. durch:

I Steigende Skalenertrage der ProduktionsfunktionI Dynamische Skalenertrage, d.h. mit zunehmender

Produktionsmenge nimmt das Know-How zu und dieFehlerrate ab (“Lernkurveneffekte”)

I Fixkostendegression, d.h. in der “kurzen” Frist sind bestimmteInputs nicht variierbar, z.B. Kohleminen, Erdolfelder, großeInfrastrukturvorleistungen wie z.B. Schienennetz, Stromnetz

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6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.2 Marktmacht

Verbundvorteile:

I Bei der Herstellung zweier Guter x und y in einerVerbundproduktion gilt: C (x , y) < Cx (x) + Cy (y).

I Dies kann begrundet sein z.B. durch:

I Kuppelproduktion: z.B. fallt bei der chemischen Synthese zurHerstellung von x technisch bedingt immer auch alsKuppelprodukt das Gas y an

I Gemeinsame Nutzung von Anlagen oder spezifischem WissenI Risikostreuung bei gemeinsamer Forschung und Entwicklung

I Beispiel aus Digital-Wirtschaft: Nutzung vonBig-Data-Bestanden plus Algorithmen fur unterschiedlicheArten digitaler Dienstleistungen.

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6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.2 Marktmacht

Netzwerkexternalitaten:

I Nutzen eines Gutes hangt positiv von der Zahl der Nutzer ab.

I Angenommen, zwei Produkte x1, x2 seien ahnlich und hattenahnliche Preise, dann ist es sinnvoll, wenn sich alleKonsumenten fur eines der beiden Guter entscheiden wurden,da dies den positiven Netzwerkeffekt bzw. Nutzen maximiert.

I Andererseits hatte dann der betreffende Anbieter eineMonopolstellung. Er kann den Monopolpreis so ansetzen, dassein potenzieller Konkurrent kein Interesse hat, in den Markteinzutreten.

I Jeder neue Anbieter brauchte eine kritische Masse an Kunden(und somit positiven Netzwerkeffekten), damit ein Wechselzum neuen Gut lohnend ist.

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6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.2 Marktmacht

I Die Nutzung von Großen- und Verbundvorteilen sowie vonpositiven Netzwerkexternalitaten ist zunachstvolkswirtschaftlich wunschenswert, da kostensenkend bzw.nutzenerhohend.

I Aber: die dadurch entstehende Marktmacht reduziert diesenVorteil:

I statische Effizienzverluste durch Verlust vonKonsumentenrente bzw. Wohlfahrt,

I dynamische Effizienzverluste sind moglich (aber nichtzwingend) aufgrund geringerer Anpassungsflexibilitat undgeringerem Innovationsanreiz im Vergleich zum Wettbewerb.

I Notwendigkeit der Regulierung von Monopolen und zurAufsicht gegen Missbrauch einer marktbeherrschendenStellung ⇒ Wettbewerbspolitik.

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6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.3 Informationsasymmetrien

I Okonomisch rationale Entscheidungen benotigenInformationen. Nicht immer sind alle relevantenInformationen vorhanden.

I Rationale Entscheidungen konnen aber auch unterUnsicherheit getroffen werden. Dazu ist eineErwartungsbildung bezuglich der unbekannten Großenerforderlich.

I Interessante Probleme entstehen, wenn Informationen unterden Marktteilnehmern asymmetrisch verteilt sind, d.h.einige Akteure im Besitz privater Informationen sind, uberdie sich andere Akteure nur Erwartungen bilden konnen.

⇒ Solche Asymmetrien konnen durch strategisches Verhaltenausgenutzt werden und konnen zu Ineffizienz fuhren.

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6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.3 Informationsasymmetrien

I Zwei Akteure, die am Markt einen Kontrakt schließen.

Agent vollzieht eine Aktivitat, die fur den Prinzipalen relevant ist,und besitzt eine private Information (Informationsvorteil).

Prinzipal konzipiert den Kontrakt uber diese Aktivitat und ist schlechterinformiert (Informationsnachteil).

I Beispiele:I Verkaufer eines Gebrauchtwagens, der die Qualitat des Autos

besser kennt als der potenzielle Kaufer.I Unternehmer und Angestellter, welcher seine Fahigkeiten und

Leistungsbereitschaft besser kennt.I Kreditnehmer, der seine Zahlungsfahigkeit besser kennt als die

Bank.

S.219

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.3 Informationsasymmetrien

Vorvertragliche Probleme:

I Vor Vertragsabschluss muss der Prinzipal Erwartungen uberEigenschaften bilden, uber die der Agent private Informationenbesitzt (z.B. Qualitat des Autos, Produktivitat des Arbeiters).

I Sein Kontraktangebot (z.B. Preis, Lohnsatz) ist dann optimal aufder Basis seiner Erwartungen, die sich z.B. am Durchschnitt derEigenschaften orientieren.

I Der Agent jedoch kennt die Eigenschaft (z.B. Qualitat des Autos,Arbeitsproduktivitat) besser und wird den Kontrakt eventuellablehnen, obwohl es bei vollstandiger Information eine wechselseitigvorteilhafte Losung gegeben hatte.

⇒ Die Informationsasymmetrieverhindert eine pareto-effiziente Losung.

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6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.3 Informationsasymmetrien

Nachvertragliche Probleme:

I Nach Vertragsabschluss kann es sein, dass Aktivitaten desAgenten dessen private Information sind. Der Prinzipal kannnicht genau beobachten, welche Leistung der Agent erbringt,weil das Ergebnis nicht allein vom Agenten, sondern auch vonZufallseinflussen abhangt.

I Das eroffnet dem Agenten opportunistische Verhaltens-spielraume, die er zu seinen Gunsten nutzen wird(“moralisches Risiko”, “Moral Hazard”).

I Allerdings wird dies der Prinzipal antizipieren undentsprechend im Kontrakt berucksichtigen.

S.221

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.3 Informationsasymmetrien

Beispiele:

I Das Gesundheitsrisiko eines Krankenversicherten hangt vondessen Lebenswandel ab, den die Versicherung nicht perfektbeobachten kann. Da er ja nun versichert ist, kann er sichriskanter verhalten als vorher.

I Die Bank gewahrt einen Kredit an ein Unternehmen zurFinanzierung von Projekten, uber deren Risiken undErtragschancen der Kreditnehmer besser informiert ist. DieBank weiß nicht genau, ob der Kredit fur riskantere Projektegenutzt wird als vereinbart.

I Der Zusammenhang zwischen Arbeitsanstrengung einesAngestellten und dem Arbeitsergebnis hangt auch vonZufallseinflussen ab. Daher nutzt er die Unbeobachtbarkeit umprivat im Internet zu surfen.

S.222

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.3 Informationsasymmetrien

I Es existieren marktliche wie auch staatliche Losungsansatzefur das Informationsproblem.

I Ziel ist die Beseitigung oder Verringerung der durchstrategisches Verhalten hervorgerufenen Ineffizienz.

I Ziel ist nicht unbedingt die vollstandige Beseitigung derInformationsasymmetrie selbst.

S.223

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.3 Informationsasymmetrien

Bemerkungen:

I Informationsasymmetrien sind kein Randphanomen!

I Ob eine Informationsasymmetrie vorliegt oder nicht, hangtdavon ab, ob der unbekannte Tatbestand fur den Prinzipalenuberhaupt entscheidungsrelevant ist.

I Das wiederum hangt von dessen Praferenzen ab: Jeweitreichender das Interesse fur die Handlungskonsequenzen,desto mehr Informationsasymmetrien.

I Das lediglich privat verfugbare Wissen kann bei einemAgenten vorliegen, der gar keine unmittelbareVertragsbeziehung mit dem Prinzipal eingeht.

I Beispiel “Globalisierung”: Konsumentscheidungen inDeutschland, Handlungskonsequenzen in anderen Landern⇒ unzureichend im Preissystem widergespiegelt!

S.224

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.4 Markt und Moral

Situationen, in denen der Markt als Allokationsverfahren anmoralische Grenzen fuhrt:

I Bezahlung fur Sex?

I Markt fur Leihmutterschaft?

I Markt fur Kinder zur Adoption?

I Markt fur Organtransplantate?

I Bezahlung fur Stimme bei demokratischen Wahlen?

I Bezahlen um auf Safari seltene Tiere zu schießem?

Moralische Normen als wichtige informelle Institutionen (Kapitel12) konnen durch Markte eventuell erodiert werden.

Sandel, Michael J. (2012), What Money Can’t Buy: The Moral Limits ofMarkets. London: Allen Lane.

Sandel, Michael J. (2013), Market Reasoning as Moral Reasoning: Why

Economists Should Re-engage with Political Philosophy. Journal of Economic

Perspectives, 27(4), 121-140.S.225

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.4 Markt und Moral

Markt und Moral: Das Mauseexperiment

Falk, A., Szech, N. (2013), Morals and Markets. Science 340, 707-711.

I Labormause werden gezuchtet; nicht benotigte Mause werdengetotet. Situation wird Teilnehmern des Experiments erlautert.

I Experiment 1: Testperson kann entscheiden, ob sie 10 Euroerhalt oder die Maus unter artgerechten Bedingungen amLeben erhalten wird. Resultat: 54% entscheiden sich fur dasLeben der Maus.

I Experiment 2: Verkaufer besitzt Maus. Kaufer und Verkauferverhandeln uber die Aufteilung von 20 Euro. Werden sie einig,stirbt die Maus. Ergebnis: Nur 28% entscheiden sich, auf (imSchnitt) 10 Euro zu verzichten und die Maus zu retten.

S.226

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.4 Markt und Moral

I Experiment 3: wie Experiment 2, aber mit mehreren Kaufern/Verkaufern und multilateralen Verhandlungen. Ergebnis: 24%lassen die Maus leben und der “Preis” fur das Leben der Maussinkt.

⇒ Verantwortungsdiffusion; Marktmechanismus untergrabtBindung an Normen, die aber Bestandteil unserer Praferenzensind.

⇒ Allokationsmechanismus “Markt” nicht neutral, d.h. keineunverzerrte Abbildung der Praferenzen der Menschen.

S.227

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.4 Markt und Moral

Warum Marktversagenstatbestand?

Ist es nicht eigentlich die Schuld der Akteure, dass sie sich von ihrenmoralischen Bindungen abbringen lassen? Ist es nicht eher ein Zeichenbeschrankter Rationalitat denn Marktversagen?

I Real existierende Allokationsmechanismen werden von realexistierenden Personen genutzt. Wenn es systematisch nicht gelingt,dass die Akteure durch ihre freien Entscheidungen den von ihnenpraferierten Zustand herbeifuhren, dann ist der Mechanismus nichtideal.

I Adam Smith (“Theory of Moral Sentiments”): Eigennutz durchBindung an moralische Normen diszipliniert. Normen alsinstitutionelle Voraussetzungen (neben formalem Recht) fur dasFunktionieren von Markten.

Falk, A., Szech, N. (2015), Institutions and morals: A reply. EuropeanJournal of Political Economy 40, 361-364.

S.228

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.5 Verteilungspolitische Eingriffe

I Bisher: Staatliche Regulierung und Eingriffe dort, wo derMarkt nicht selbst zu effizienten Losungen kommt.

I Jetzt: Einkommens- und Vermogensverteilung ist Resultat desMarktprozesses und kann nicht nach Effizienzgesichtspunktenbeurteilt werden, denn jede Verteilung ist pareto-effizient.

[Einwand: soziale Praferenzen, Kapitel 13]

I Ein Umverteilungserfordernis setzt Vorstellungen uberGerechtigkeit voraus.

I Manche liberale Okonomen (siehe z.B. v.Hayek, Kapitel 2)vertreten die Auffassung, dass Gerechtigkeitskriterien nur anden Regeln festgemacht werden konnen, nicht aber amErgebnis.

S.229

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.5 Verteilungspolitische Eingriffe

I Notwendigkeit, Gerechtigkeitskriterien zuentwickeln, die sich als allgemeine Regelndarstellen lassen.

I J. Rawls (1921 - 2002):“Schleier der Unsicherheit”

I Entscheidung der Individuen uber die allgemeinen Regeln,hier: der Umverteilung.

I Entscheidung soll (fiktiv) so erfolgen, dass man seine eigenePosition in der Verteilung noch nicht kennt, also nicht auseinem Partikularinteresse heraus votiert, sondern nur nachverallgemeinerbaren Gerechtigkeitsvorstellungen.

I Daruber lasst sich ein Konsens oder zumindest eine klareMehrheit erzielen, so dass die Regeln Gesetzescharakter (bzw.Verfassungscharakter) erlangen.

S.230

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.5 Verteilungspolitische Eingriffe

I In Sozialen Marktwirtschaften greift der Staat ausnormativen sozial- und verteilungspolitischen Grundenregulierend ein:

I Sicherung des Existenzminimums,I Absicherung von Lebensrisiken: Arbeitslosigkeit, Krankheit,

Altersversorgung,I Umverteilung durch progressives Einkommensteuersystem.

I Diskurs uber Ausmaß und Ausgestaltung dieser Eingriffegemaß unterschiedlicher normativer Vorstellungen und auchAbwagungen mit Effizienzzielen.

S.231

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.5 Verteilungspolitische Eingriffe

Begriff der Einkommensverteilung:

I Primare und sekundare EinkommensverteilungI primar: Marktergebnis vor staatlichen

UmverteilungsmaßnahmenI sekundar: nach Umverteilungsmaßnahmen (Steuern,

Transfers)

I Funktionale und personelle Einkommensverteilung:I funktional: Verteilung auf die Produktionsfaktoren, meist

abgegrenzt durch (i) Einkommen aus unselbstandiger Arbeit,(ii) Einkommen aus unternehmerischer Tatigkeit undVermogen

I personell: Verteilung auf Personen bzw. Haushalte

S.232

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.5 Verteilungspolitische Eingriffe

Funktionale Einkommensverteilung:

I Lohnquote = Anteil des Einkommens aus unselbstandigerArbeit am Gesamteinkommen (Pendant: Gewinnquote)

I Aussagekraft wird dadurch eingeschrankt, dass sich der Anteilder Personen, welche unselbstandige Arbeit verrichten, andernkann. Berucksichtigt man diesen Effekt, erhalt man diebereinigte Lohnquote.

I Fur die sekundare Einkommensverteilung mussen Steuereffekteberucksichtigt werden: Bereinigte Nettolohnquote.

I Die Lohnquote sagt wenig uber Verteilungsgerechtigkeit aus,da keine Information uber die personelleEinkommensverteilung enthalten, d.h. Ungleichheit derEinkommen z.B. innerhalb der abhangig Beschaftigten wirdnicht abgebildet.

S.233

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.5 Verteilungspolitische Eingriffe

Quelle: Alex1011 - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

S.234

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.5 Verteilungspolitische Eingriffe

Quelle: Statistisches Bundesamt

S.235

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.5 Verteilungspolitische Eingriffe

Personelle Einkommens- und Vermogensverteilung:

I Konzept der Lorenzkurve:I Anordnung der Haushalte nach Hohe des Einkommens (bzw.

Vermogens)I Einteilung in Quantile (“armste” 10%, 20%, .... der Haushalte)I Messung des Anteils am Gesamteinkommen der einzelnen

QuantileI Grafische Darstellung als Kurve; vollige Gleichverteilung ware

die Winkelhalbierende

I Konzept des Gini-Koeffizienten:I Flache zwischen der Lorenzkurve und der Winkelhalbierenden

(×2) ist ein Maß fur die Ungleichverteilung.

S.236

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.5 Verteilungspolitische Eingriffe

Quelle: SOEP, DIW Berlin

S.237

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.5 Verteilungspolitische Eingriffe

Nettoeinkommensverteilung:

Quelle: SOEP, DIW Berlin

S.238

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.5 Verteilungspolitische Eingriffe

Vermogensverteilung:

Quelle: SOEP, DIW Berlin

S.239

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.5 Verteilungspolitische Eingriffe

I Mogliche Ursachen zunehmender Ungleichverteilung:I starkere Lohndifferenzierung, vor allem durch expandierenden

NiedriglohnsektorI zunehmende Zahl von Singlehaushalten mit geringerem

Einkommen (statistischer Effekt)I wachsende Renditen aus Finanzvermogen, welches sehr

ungleich verteilt istI Anderungen im Steuer- und Transfersystem

I Die absoluten Maße selbst sagen noch nichts uber “gerecht”oder “ungerecht” aus.

I Kriterien fur Gerechtigkeit und Fairness setzen nicht nur anKennzahlen, sondern auch an der Art und Weise desZustandekommens einer Verteilungssituation an.

I Wichtig ist zudem die Auf- und Abstiegsflexibilitat, z.B. dieMoglichkeit vom 1. in das 4. Dezil zu gelangen.

S.240

6. Marktversagen und Begrundungen von Wirtschaftspolitik6.5 Verteilungspolitische Eingriffe

Bemerkungen:

I Gini-Koeffizient ist weit verbreitet, sagt aber wenig uber diePolaritat zwischen Arm und Reich aus.

I Wenn Gini-Koeffizienten in zwei Gruppen jeweils abnehmen,so kann die Ungleichverteilung zwischen diesen Gruppenjedoch zugenommen haben.

I Kein direkter Zusammenhang zwischen Ungleichverteilung undArmut.

I Absolute Armut: Einkommen unterhalb einer definiertenSchwelle, z.B. 1,30 Dollar/Tag (Weltbank)

I Relative Armut: Einkommen unterhalb von 60% desMedianeinkommens

I Messung des Ausmaßes von ArmutI Messung der Intensitat der Armut

Hinweis: “Wohlstand fur alle. Wie inklusiv ist die Soziale Marktwirtschaft?”,

Studie des ZEW im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung (2017); im Internet

downloadbar)S.241

7. Grundbegriffe der Makrookonomik

Gliederung:

7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten

7.1.1 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung7.1.2 Inlandsprodukt und seine Komponenten

7.2 Gesamtwirtschaftliche Nachfrage

7.2.1 Nachfragekomponenten7.2.2 Nachfragefunktion

7.3 Gesamtwirtschaftliches Angebot

7.3.1 Lang- und kurzfristiges Angebot7.3.2 Arbeitslosigkeit und Inflation

S.242

7. Grundbegriffe der Makrookonomik

7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe

7.4.1 Kurzfristiges Unterbeschaftigungs-Gleichgewicht7.4.2 Fiskalpolitik und Multiplikatorwirkung7.4.3 Angebots- versus nachfrageorientierte Politik

I Makrookonomische Paradigmen

Literatur:I Hanusch, H., Kuhn, T., Cantner, U. (2000), Volkswirtschaftslehre 1, 5.

Aufl., Berlin: Springer [Kapitel 11-13, 15]

I Blanchard, O., Illing, G. (2017), Makrookonomie. 7. Aufl. Pearson[Kapitel 1, 3, 7, 8]

I Mankiw, N.G. (1999), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart:Schaffer-Poeschel [Kapitel 22, 26, 31-33]

I Bofinger, P. (2007), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl.,Munchen: Pearson [Kapitel 16-18, 20-23]

S.243

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten

Quelle: Vorlesungsfolien BM Makrookonomik, Prof. Wolters

S.244

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten

Makrookonomische Variablen:

Stromgroßen:

Beziehen sich auf einen Zeitraum.Beispiele: Einkommen, Konsum, Produktion

Bestandsgroßen:

Beziehen sich auf einen Zeitpunkt.Beispiele: Geld, Vermogen, Kapital

S.245

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten

Empirishe und theoretische Analyse:

Ex-post Analyse: (Lat. “im nachhinein”)

Analyse realisierter Transaktionen in abgelaufener Periode ⇒empirische Analyse

Ex-ante Analyse: (Lat. “im vorhinein”)

Beschaftigt sich mit geplanten Transaktionen und derenKonsistenz (Gleichgewicht) ⇒ makrookonomische Theorie

S.246

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten7.1.1 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung

I Sektoren:I Private HaushalteI UnternehmenI Staat (incl. staatl. Sozialversicherung)I Ausland

I Aktivitaten:I Produktion von LeistungenI Erzielung und Verwendung von EinkommenI VermogensveranderungenI Finanzierung

I Kontensystem mit doppelter Buchfuhrung:I Volkswirtschaftliche GesamtrechnungI Zahlungsbilanz

I Es werden nur monetar bewertete Leistungen bzw.Transaktionen verbucht.

S.247

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten7.1.2 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung

Vereinfachtes Kontensystem der VolkswirtschaftlichenGesamtrechnung (VGR):

Produktion Einkommen Vermogens- Finanzierunganderung

UnternehmenStaatHaushalte –

Ausland

AggregierteKonten

S.248

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten7.1.2 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung

Besonderheiten:

I VGR ist bezogen auf Transaktionen im Inland. Erfassung allerguter- und finanzwirtschaftlicher Transaktionen mit demAusland in der Zahlungsbilanz.

I Haushalte produzieren nichts.

I Welche Werte produziert der Staat?

I Produktion von Vorleistungen und Wertschopfung

I Nebenrechnungen der VGR

S.249

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten7.1.2 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung

Aggregierte Konten (vereinfacht):

ProduktionLohne L Privater Konsum CZinsen Z Staatl. Konsum CSt

Renten R Bruttoinvestitionen I b

Importe Im Exporte ExAbschreibungen DInd. Steuern - Subven-tionen T ind − ZGewinne G

EinkommenPrivater Konsum C Lohne LStaatl. Konsum CSt Zinsen ZErsparnis S Renten R

Ind. Steuern - Subven-tionen T ind − ZGewinne G

Vermogensanderung

Bruttoinvestitionen I b Abschreibungen DFinanzierungsaldo Ersparnis S

Finanzierung

Anderung der Netto- FinanzierungssaldoAuslandsposition NX

AuslandExporte Ex Importe Im

Anderung der Netto-Auslandsposition NX

S.250

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten7.1.2 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung

Zahlungsbilanz: (sehr stark vereinfacht)

I Aktivseite (links): Zahlungsmitteleingang, Zunahme Verbindlichkeit bzw.Abnahme Forderung;

I Passivseite (rechts): Zahlungsmittelabfluss, Abnahme Verbindlichkeitbzw. Zunahme Forderung

Leistungsbilanz(Handel mit Gutern und Dienstleistungen, sowie Einkommenstransfers)

Exporte Ex Importe ImSaldo: NX = Ex − Im (Außenbeitrag)

Kapitalbilanz(kurz-, langfristig, sowie Vermogensubertragungen)

Kapitalimporte K Im Kapitalexporte KEx

Saldo: B = K im − KEx

Devisenbilanz(Devisentransaktionen der Zentralbank)

Saldo: Anderung Wahrungsreserven ∆R NX + B

S.251

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten7.1.3 Inlandsprodukt und seine Komponenten

Einkommensbegriffe:

I Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen...

Y bm = C + CSt + I b + (Ex − Im)

I ... zum Nettoinlandsprodukt zu Marktpreisen ....

Y nm = Y b

m − D

I ... zum Nettoinlandsprodukt zu Faktorkosten (“Volkseinkommen”):

Y nf = Y n

m − (T ind − Z )

I Brutto- und Nettokonzepte unterscheiden sich durch dieAbschreibung D.

I Konzepte zu Marktpreisen und zu Faktorkosten unterscheiden sichdurch T ind − Z .

S.252

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten7.1.3 Inlandsprodukt und seine Komponenten

Bruttosozialprodukt bzw. Bruttonationaleinkommen:

I VGR ist ein Inlandskonzept: verbucht alle Transaktionen einerPeriode im Inland, unabhangig davon, ob von Inlandern oderAuslandern getatigt.

I Inlander: standiger Wohnsitz ist maßgeblich, nicht dieStaatsangehorigkeit.

I Rechnet man das Einkommen der Inlander im Ausland hinzuund das Einkommen der Auslander im Inland heraus, kommtman zum Sozialprodukt bzw. Inlanderprodukt bzw.Nationaleinkommen.

I Empirisch gesehen ist der Unterschied zwischen Inlands- undSozialprodukt gering:

in Mrd. Euro 2014 2015 2016Saldo 58 56 53

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7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten7.1.3 Inlandsprodukt und seine Komponenten

Einige Daten aus der VGR (www.destatis.de)(nominal = in jeweiligen Preisen; gerundete Werte)

in Mrd. Euro 2014 2015 2016 Anteil BIP

C 1593 1630 1674 53%CSt 564 587 615 20%I b 572 583 604 19 %Ex 1340 1427 1450Im 1137 1183 1199Ex − Im 203 244 251 8%D 521 536 552

Y bm (BIP) 2932 3043 3144

nominales Wachstum 3,8% 3,3%reales Wachstum 1,7% 1,9%

Stand 11/2017, Rundungsungenauigkeiten moglich

Preisbereinigung bei realem Wachstum beachten!

S.254

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten7.1.3 Inlandsprodukt und seine Komponenten

Zu den Investitionen:

I Bruttoinvestitionen werden unterschieden inI Ausrustungen (Maschinen etc.)I BautenI Sonstige AnlagenI Lagerveranderungen

I Kapitalguter verschleißen (⇒ Abschreibungen) und konnenersetzt werden (Ersatzinvestitionen). Investitionen uber denVerschleiß hinaus sind Erweiterungsinvestitionen.

I Praktisch ist schwer zu differenzieren, was dem Ersatz undwas der Erweiterung dient.

I Nettoinvestitionen = Bruttoinvestitionen – Abschreibungen⇒ Erhohung des Kapitalstocks

S.255

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten7.1.3 Inlandsprodukt und seine Komponenten

Nominale und reale Großen:

I Wurde man samtliche nominalen Preise und Lohneverdoppeln, so wurde sich auch das BIP verdoppeln, obwohldas real hergestellte Guterbundel dasselbe geblieben ist.

⇒ Bereinigung der nominalen Großen um den Anstieg desPreisindex = Inflationsbereinigung (dazu spater mehr).

Y real =Y nom

P

mit P als dem Preisindex, der im Basisjahr auf 1 normiert ist.

I In Wachstumsraten ausgedruckt:

Y real = Y nom − P

Bei 5% nominalem Wachstum und 2% Inflation betragt dasreale Wachstum 3%.

S.256

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten7.1.3 Inlandsprodukt und seine Komponenten

Eine wichtige Identitat aus der Ex-post-Analyse:

I Aus dem Produktionskonto wissen wir:

I b + C + CSt + (Ex − Im) = Y bm | − D

I n + C + CSt + (Ex − Im) = Y nm

Aus dem Einkommenskonto wissen wir:

C + CSt + S = Y nm

woraus folgt I n + (Ex − Im) = S

Ersparnis = Nettoinvestitionen plus Außenbeitrag!I Ein positiver Außenbeitrag bedeutet, dass die inlandische Ersparnis

nur teilweise im Inland, aber auch im Ausland investiert wird.I Die Identitat gilt ex post immer. Die Frage ist, ob Planungen der

Wirtschaftssubjekte so gestaltet sind, dass sie realisierbar sind, d.h.ob die Identitat auch ex ante gilt (Gleichgewicht).

S.257

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.1 Wirtschaftskreislauf und makrookonomische Daten7.1.3 Inlandsprodukt und seine Komponenten

Exporte und Importe in Deutschland: Ex − Im = S − I n > 0

S.258

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.2 Gesamtwirtschaftliche Nachfrage7.2.1 Nachfragekomponenten

Gesamtwirtschaftliche reale Nachfrage Y D :

I Ex-ante-Analyse: Planungen der Wirtschaftssubjekte

I Theorie bzw. Hypothesen, von welchen Variablen diesePlanungen abhangen.

I Komponenten der Nachfrage ergeben sich aus derVerwendungsgleichung fur das BIP:

Y D = C + CSt + I + (Ex − Im)︸ ︷︷ ︸NX

I Problem: Kann man aus der Logik des einzelwirtschaftlichenVerhaltens auf das Verhalten des Aggregates schließen?

S.259

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.2 Gesamtwirtschaftliche Nachfrage7.2.1 Nachfragekomponenten

Privater Konsum:

I Absolute Einkommenshypothese nachJ.M. Keynes (1883 – 1946)

I Positive Abhangigkeit des privatenKonsums vom verfugbaren EinkommenY − T , z.B. in der folgenden Form:

C (Y − T ) = C a + c · (Y − T )

wobei C a = autonomer Konsum,0 < c < 1 marginale Konsumneigung.

I Damit ist implizit auch die private Sparfunktion definiert,weil Y − T = C + S gilt:

S(Y − T ) = −C a + (1− c) · (Y − T )

S.260

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.2 Gesamtwirtschaftliche Nachfrage7.2.1 Nachfragekomponenten

Konsum- und Sparfunktion:

C ,T

Y − T

45◦

C a

C (Y − T )

−C a

S(Y − T )

S.261

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.2 Gesamtwirtschaftliche Nachfrage7.2.1 Nachfragekomponenten

I Weitere Hypothese: Abhangigkeit vom Realvermogen nachA.C. Pigou (1877 – 1959)

C (Y − T ,V r ),∂C

∂V r> 0

I Realvermogen: V r = V /P.

I Vermogen wird aufgrund einer intertemporalen Uberlegungangespart (siehe Kapitel 3.3.4).

I Steigt V r , z.B. aufgrund eines sinkenden Preisniveaus, so wirdKonsum in die Gegenwart verlagert (und umgekehrt beisteigendem Preisniveau), d.h. C steigt.

S.262

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.2 Gesamtwirtschaftliche Nachfrage7.2.1 Nachfragekomponenten

Investitionen:

I Investitionen werden getatigt, wenn der daraus erzielte erwarteteGewinn attraktiv genug ist. Das bedeutet:

a) Im Fall der Eigenfinanzierung : Der Gewinn muss großer seinals derjenige, den man bei Anlage der Mittel am Kapitalmarkterzielen kann.

b) Im Fall der Fremdfinanzierung : Der Ruckfluss muss hoher seinals Zins und Tilgung.

⇒ Je hoher der Zins, desto weniger Investitionen sind lohnend.

I Die Gewinnerwartung erhoht sich jedoch bei Erwartung steigenderPreise (erwartete Inflation πe).

I Geplante Investitionen hangen deshalb negativ vom Realzinsr = i − πe (Nominalzins minus Inflationserwartung):

I (r),dI

dr< 0

S.263

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.2 Gesamtwirtschaftliche Nachfrage7.2.1 Nachfragekomponenten

Staatlicher Konsum:

I Man kann versuchen, die staatliche Ausgabenpolitik mit Hilfeeiner Hypothese endogen zu erklaren. Jedoch betrachten wirhier CSt = CSt als exogene Politikvariable.

Außenbeitrag:

I Exporte und Importe hangen u.a. vom inlandischen undauslandischen Preisniveau sowie vom Wechselkurs e ab.Abwertung: e steigt, Aufwertung: e sinkt.

I Realer Wechselkurs: θ = e·Pa

P mit Pa als auslandischemPreisniveau.

I Importe hangen außerdem positiv vom Einkommen Y ab:

Ex(θ)− Im(Y , θ) = NX (Y , θ),∂NX

∂Y< 0,

∂NX

∂θ> 0

S.264

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.2 Gesamtwirtschaftliche Nachfrage7.2.2 Nachfragefunktion

Zusammenfassung der Nachfrageplane:

Y D = C (Y − T ) + CSt + I (r) + NX (Y , θ)

Reale Nachfrage Y D ....

... sinkt mit steigendem Preisniveau P

... sinkt mit steigendem Realzins r

... sinkt bei Aufwertung (sinkendem Wechselkurs e bzw. θ)

S.265

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.2 Gesamtwirtschaftliche Nachfrage7.2.2 Nachfragefunktion

Staatliche Stimulierung der realen Nachfrage Y D durch:

I Fiskalpolitik: Erhohung der Staatsausgaben CSt und/oderSenkung der Steuern T⇒ Erhohung der Konsumnachfrage

I Geldpolitik: Expansive Geldpolitik senkt die Zinsen r⇒ Erhohung der Investitionsnachfrage

(wie spater noch gezeigt wird: Zinssenkung kann zuAbwertung der Wahrung fuhren⇒ Erhohung des Außenbeitrags)

S.266

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.3 Gesamtwirtschaftliches Angebot7.3.1 Lang- und kurzfristiges Angebot

Das gesamtwirtschaftliche Angebot an Gutern hangt ab von:

I Preisen und Kosten (⇒ Gewinnen),

I den Produktionskapazitaten

I der Nachfrage.

I In der kurz- bis mittelfristig orientierten Makrookonomik wirdvom Wachstum des Kapitalstocks abstrahiert (Kapitalstock istgegeben). Die Kostenseite wird dann hauptsachlich von denLohnen bestimmt.

S.267

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.3 Gesamtwirtschaftliches Angebot7.3.1 Lang- und kurzfristiges Angebot

Vollig flexible Preise und Lohne:

I Fur jedes Preisniveau P stellt sich sofort der Nominallohn wein, der zum gleichgewichtigen Reallohn und somit zuVollbeschaftigung fuhrt.

I Fur jede Nachfrage stellt sich das Preisniveau P so ein, dassder Gutermarkt geraumt ist.

⇒ Angebot wird nur durch die Technologie (Produktions-funktion) und das Arbeitsangebotsverhalten der Haushaltebestimmt.

⇒ Es wird stets das Vollbeschaftigungseinkommen Y v

realisiert.

S.268

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.3 Gesamtwirtschaftliches Angebot7.3.1 Lang- und kurzfristiges Angebot

Teilweise unflexible Lohne und Preise:

Unvollkommener Arbeitsmarkt:

I Lohnverhandlung; Lohnstarrheit wahrend der Laufzeit desTarifvertrags; Verhandlungsmacht von Gewerkschaften

I Rolle von Effizienzlohnen

Unvollkommener Gutermarkt:

I Preissetzungsmacht von Unternehmen, jedoch:

I Preisanpassungskosten; verzogerte Preisanpassungen

⇒ Bei teilweise unflexiblen Preisen und Lohnen (“nominaleRigiditaten”) passt sich die Angebotsmenge (Output) derschwankenden Nachfrage an!

S.269

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.3 Gesamtwirtschaftliches Angebot7.3.1 Lang- und kurzfristiges Angebot

Makrookonomische Folge:

I Lohnsteigerungen eher dann, wenn Arbeitslosigkeit gering,d.h. der Output (Realeinkommen) hoch ist.

I Lohnsteigerungen eher dann, wenn Inflationserwartungen derArbeiter hoch sind.

I Preise orientieren sich an den Grenzkosten, die in der kurzenFrist durch die Lohne bestimmt sind.

⇒ Hohere Lohn- und Preissteigerungen bei hohemOutputniveau.

⇒ Nachfrageschwankungen werden somit nicht sofort durchReaktion des Preissystems gedampft, sondern wirken sich aufOutput, Beschaftigung und Inflation aus.

S.270

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.3 Gesamtwirtschaftliches Angebot7.3.2 Arbeitslosigkeit und Inflation

Arbeitslosigkeit:

I saisonal

I konjunkturell

I strukturell

S.271

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.3 Gesamtwirtschaftliches Angebot7.3.2 Arbeitslosigkeit und Inflation

“Naturliche” Arbeitslosenrate

Diejenige Arbeitslosenrate un, die bei konstanter niedriger(gewunschter) Inflationsrate im makrookonomischen Gleichgewichtunvermeidbar ist.

I Grunde: Sucharbeitslosigkeit, Effizienzlohntheorien,institutionelle Bedingungen am Arbeitsmarkt

I Strukturelle, keine konjunkturellen Grunde

I Problem: Was ist ds “makrookonomische Gleichgewicht” undwie bestimmt man dieses?

S.272

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.3 Gesamtwirtschaftliches Angebot7.3.2 Arbeitslosigkeit und Inflation

Die Phillipskurve (A.W. Phillips 1914 – 1975)

I Statistischer negativer Zusammenhang zunachst vonLohnsteigerungsrate und Arbeitslosenrate, spater dann vonInflationsrate und Arbeitslosenrate (Modifikation durch P.A.Samuelson, 1915 – 2009, und R.M. Solow, 1924 – ).

I Eine Begrundung liefert die oben diskutierte Lohn- und

Preisrigiditat: Steigende Nachfrage ermoglicht

Produktionsausweitung (= Reduktion der Arbeitslosigkeit) bei nur

maßig steigenden Preisen. Die Nominallohne werden nicht sofort an

die steigenden Preise angepasst. Hohere Lohnforderungen (und

damit Kosten- und Preissteigerungen) sind eher bei sehr niedriger

Arbeitslosenrate moglich.

S.273

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.3 Gesamtwirtschaftliches Angebot7.3.2 Arbeitslosigkeit und Inflation

π

u

Kurzfristige Phillipskurve

un

“naturliche” ALQ

π

Y

Kurzfristige Phillipskurve

Niedrige Arbeitslosigkeit = hohe Beschaftigung = hoher Output

(Produktionsfunktion!)

S.274

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.3 Gesamtwirtschaftliches Angebot7.3.2 Arbeitslosigkeit und Inflation

Gilt der Zusammenhang auch langfristig?

I Annahme: erweiterte Phillipskurve (lineare Version):

π = πe − a · (u − un), a > 0

mit πe als erwarteter Inflationsrate. Diese ist wichtig, weil sie u.a.fur die Nominallohnabschlusse relevant ist.

I Anderungen der erwarteten Inflation = Verschiebung derkurzfristigen Phillipskurve.

I Im makrookonomischen Gleichgewicht gibt es keine systematischeTauschung uber die Inflationsrate: πe = π, woraus folgt u = un

(naturliche Arbeitslosenrate).

I Das gilt allerdings fur jede Inflationsrate! Wird die Inflationsratelangfristig immer korrekt wahrgenommen, ist immer u = un, d.h. dielangfristige Phillipskurve verlauft senkrecht.

S.275

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.3 Gesamtwirtschaftliches Angebot7.3.2 Arbeitslosigkeit und Inflation

π

0 u

mit πerw = 0

kurzfristige PK

mit πerw = π1

π1

un

langfristige PK

S.276

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.1 Kurzfristiges Unterbeschaftigungs-Gleichgewicht

I Wann liegt ein Gutermarktgleichgewicht vor?

Y = Y D ⇐⇒ S = I + NX

I Wichtige Identitat aus der Ex-post-Analyse.

I Gilt Identitat auch ex ante, so sind die Nachfrageplanerealisierbar ⇒ Gleichgewicht.

I Im Folgenden gehen wir vereinfachend von einer geschlossenenVolkswirtschaft aus, d.h. NX fallt weg.

Also: Y = Y D ⇐⇒ S = I als Gleichgewichtsbedingung.

S.277

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.1 Kurzfristiges Unterbeschaftigungs-Gleichgewicht

Klassik: J.B. Say (1767 – 1832)

I Arbeiterhaushalte sind i.d.R. arm undsparen nicht. Die Ersparnis istausschließlich die Ersparnis derUnternehmer, d.h. derjenigen, die auchuber die Investitionen entscheiden(klassische Sparhypothese).

I Dann aber besteht automatisch immer einPlanungsgleichgewicht I = S .

I Daraus folgt, dass das Angebot Y S die Nachfragebestimmt, denn das bei der Produktion von Konsum- undInvestitionsgutern entstehende Einkommen Y = C + I wirdgenau wie geplant verwendet: Y = C + S .

⇒ Saysches Theorem.

S.278

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.1 Kurzfristiges Unterbeschaftigungs-Gleichgewicht

Keynes:

I Gemaß der Konsumhypothese hangt nun auch die geplanteErsparnis vom Einkommen ab, wahrend die geplantenInvestitionen vom Zins abhangen.

I Dadurch kann aber Sgeplant 6= I geplant entstehen. Da dieIdentitat aber ex post immer gilt, muss es dann ungeplanteGroßen geben.

I Als typisch wird der Fall S > I , also Y > Y D angesehen(Nachfragelucke, Angebotsuberschuss).

I Das Angebot wird auf das Niveau von Y D sinken.

⇒ Es entsteht Unterbeschaftigung.

S.279

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.1 Lang- und kurzfristiges Angebot

Keynesianisches Argument:

I Bei Preis- oder Lohnrigiditaten kann die Nachfrage Y D kleiner seinals Y V , so dass sich das Angebot Y S an die zu geringe Nachfrageanpasst.

I Mit Y D = Y < Y v herrscht dann ein Gleichgewicht beiUnterbeschaftigung!

Y S ,Y D

Y

45◦

Y D

Y ∗ Y v

S.280

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.2 Fiskalpolitik und Multiplikatorwirkung

Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage Y D :

I Erhohung der Ausgaben CSt und/oderSenkung der Steuern T .

I Falls zusatzliche Staatsausgaben durch zusatzliche Steuernfinanziert wurden, reduziert dies den privaten Konsum; diestimulierende Wirkung ware gering ⇒ Keynes’ Empfehlungschuldenfinanzierter Ausgabenerhohung (“deficit spending”).

I Staatsausgaben sollen zu einer deutlichen Erhohung derEinkommen fuhren (Multiplikatoreffekt) ⇒ dadurch geringereArbeitslosigkeit und hohere Steuereinnahmen.

I Auch durch Geldpolitik (Zinssteuerung) kann die Nachfragebeeinflusst werden.

S.281

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.2 Fiskalpolitik und Multiplikatorwirkung

Multiplikatorwirkung von Fiskalpolitik(hier: Erhohung ∆CSt > 0):

I Impuls: Uberschussnachfrage ∆CSt .

⇒ Da freie Kapazitaten, kann sich Angebot elastisch ausdehnen:∆Y = ∆CSt .

⇒ Das zusatzliche Einkommen stimuliert die privateKonsumnachfrage: ∆C = c ·∆Y .

⇒ Dies fuhrt erneut zu einem Nachfrageuberschuss, das Angebotdehnt sich elastisch um c ·∆Y aus.

⇒ Dies stimuliert erneut die Konsumguternachfrage usw. usw.

I Kumulativer Prozess, welcher in einem neuenGleichgewichtszustand endet.

I Das neue Gleichgewichtseinkommen ist um ein Mehrfachesdes ursprunglichen Impulses ∆CSt gestiegen.

S.282

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.2 Fiskalpolitik und Multiplikatorwirkung

Y D

Y

45◦

Y D0 = C(Y − T ) + I (r) + CSt

Y ∗

Y D1 = C(Y − T ) + I (r) + CSt + ∆CSt

∆CSt

∆CSt

∆Y = ∆CSt

c∆CSt

+c∆CSt

usw. usw.

+c2∆CSt+c3∆CSt ...

Y ∗∗

S.283

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.2 Fiskalpolitik und Multiplikatorwirkung

Antizyklische Stabilisierungspolitik:

I Konjunktur: Aufschwung- und Abschwungphasen

I Diskretionar = gezieltes fallweises wirtschaftspolitischesEingreifen (Gegensatz: regelgebundene Politik)

I In Abschwungphasen soll der Staat mit expansiver (ggf.kreditfinanzierter) Nachfragepolitik gegensteuern:Staatsausgabenerhohung, Steuersenkung.

I In Aufschwungphasen soll mit kontraktiven Maßnahmengegengesteuert werden: Senkung der Staatsausgaben,Steuererhohung, dadurch Haushaltskonsolidierung

I Wirtschaftspolitische Leitidee der 1950er - 1970er Jahre.

S.284

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.2 Fiskalpolitik und Multiplikatorwirkung

Glattung des Konjunkturverlaufs:

t

CSt

C + I

Y

t

CSt

C + I

Y

S.285

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.2 Fiskalpolitik und Multiplikatorwirkung

(Quelle: Bofinger (2007), S.387)

S.286

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.2 Fiskalpolitik und Multiplikatorwirkung

Fiskalpolitik:

I Staatliche Investitionsprogramme

I Staatliche Beschaftigungsprogramme

I Sozial- und Subventionsprogramme

I Anderung der Besteuerung (Steuersatze,Bemessungsgrundlagen)

S.287

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.2 Fiskalpolitik und Multiplikatorwirkung

Probleme der antizyklischen Stabilisierungspolitik:

I Problem der Zeitverzogerungen (“lags”):I Diagnose des richtigen Zeitpunktes von GegenmaßnahmenI Prozess der Entscheidungsfindung, Planung und AnweisungI Wirkungsverzogerungen beim Multiplikatorprozess⇒ Gefahr, dass Maßnahmen prozyklisch wirken.

I Problem der Staatsverschuldung:I Haushaltskonsolidierung im Aufschwung schwer durchzusetzen;

rationale Politiker handeln nach politischem Kalkul (z.B.Wiederwahlinteresse).

I Zunehmende Verschuldung verringert wegen Zinslasten dieGestaltungsspielraume der Fiskalpolitik.

I Zinseffekte dampfen die private Investitionsguternachfrage(“crowding out”).

I Grenzen der Staatsverschuldung (z.B. Maastricht-Vertrag).

S.288

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.2 Fiskalpolitik und Multiplikatorwirkung

Nachfragesteuerung durch Geldpolitik:

I Lags deutlich kurzer

I Keine Verschuldungsproblematik

I Wirkung jedoch indirekt (abhangig von der Zinselastizitat derNachfrage)

I Konjunktursteuerung ist nicht primare Aufgabe derGeldpolitik, sondern Preisniveaustabilitat! ⇒ Kapitel 8

S.289

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.2 Fiskalpolitik und Multiplikatorwirkung

Automatische Stabilisatoren:

I Ein Teil der Probleme ruhrt daher, dass es sich umdiskretionare Stabilisierungspolitik handelt.

I Automatische Stabilisatoren benotigen keinenEntscheidungsprozess, d.h. kaum Wirkungsverzogerung.

I Steuersystem:I Aufschwung: mehr Steuereinnahmen ⇒ dampfendI Abschwung: weniger Steuereinnahmen ⇒ stimulierendI Wird noch verstarkt durch progressives Steuersystem.

I Arbeitslosenversicherung:I Aufschwung: wachsende Einkommen fuhren zu steigenden

Einnahmen, Ruckgang der Auszahlungen ⇒ dampfendI Abschwung: verstarkte Auszahlung von

Versicherungsleistungen ⇒ stimulierend

S.290

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.3 Angebots- versus nachfrageorientierte Politik

Angebotsorientierte Politik (1):

Kritik der nachfrageorientierten Politik:

I Aufgrund der Verzogerungsproblematik wirkt sie nichtantizyklisch.

I Es ist moglich, dass durch politisch opportunistischesVerhalten zyklische Schwankungen sogar erst erzeugt werden.

I Damit Fiskalpolitik wirkt, ist ein erhebliches Nachfrage-volumen notig, d.h. sie ist sehr teuer.

I Problem standig zunehmender Verschuldung.

I Multiplikatorwirkung schwer nachweisbar bzw. gering.

I Uberwiegend strukturelle Ursachen von Arbeitslosigkeit stattNachfrageschwache.

S.291

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.3 Angebots- versus nachfrageorientierte Politik

Angebotsorientierte Politik (2):

I Starkung der Angebotsseite durch:I (Unternehmens-) Steuersenkungen, Senkung von

LohnnebenkostenI Burokratieabbau, DeregulierungI Zuruckhaltende Lohnpolitik, Flexibilisierung des ArbeitsmarktesI Erhohung der Standortattraktivitat (Wettbewerbsfahigkeit)

I Hohere Gewinnaussichten sollen bewirken, dass Kapazitatenbesser ausgelastet werden (steigende Produktion), und dieInvestitionsnachfrage steigt (wachsendeProduktionskapazitat).

I Vorstellung, dass die Nachfrage als Folge derAngebotsausweitung wachst.

S.292

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.4 Stabilisierungspolitische Eingriffe7.4.3 Angebots- versus nachfrageorientierte Politik

I Wirtschaftspolitische Kontroverse zwischenangebotsorientierten und keynesianischen Makrookonomen,die bis heute andauert.

I Insbesondere die Lohnpolitik wird kontrovers diskutiert:

a) Hohere Lohne ⇒ hohere Kosten ⇒ weniger Beschaftigung ⇒geringeres Einkommen

versus

b) Hohere Lohne ⇒ mehr private Nachfrage ⇒Multiplikatorprozess ⇒ mehr Einkommen und Beschaftigung

I Frage der empirischen Forschung.

S.293

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.5 Makrookonomische Paradigmen

I Klassik: Denken in KreislaufzusammenhangenI Neoklassik : Einzelwirtschaftliches Verhalten, Funktionieren

von Markten im VordergrundI Keynesianische Revolution: Eigenstandige makrookonomische

Theorie auf der Ebene von Aggregaten; Verhalten derAggregate losgelost von einzelwirtschaftlichem Verhalten;Betonung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage

I Neoklassische Synthese: vereinfachende Zusammenfassung derKeynesianischen Makrookonomik mit neoklassischenElementen zur Modellierung der Angebotsseite

I Neu-Klassik : Mikrofundierung der Makrookonomik, Rolle derErwartungsbildung und zeitkonsistenter Wirtschaftspolitik

I Neu-Keynesianische Makrookonomik : Kombination derNeuklassik mit keynesianichen Annahmen uberMarktunvollkommenheiten und verzogerten Anpassungen

I WeitereS.294

7. Grundbegriffe der Makrookonomik7.5 Makrookonomische Paradigmen

Exkurs – Mikrofundierung der Makrookonomik:

I Berechtigter Vorwurf der Neu-Klassik: Wirtschaft ist keine“Maschine” mit gegebenen Parametern, die sichwirtschaftspolitisch einfach “steuern” lasst.Wirtschaftssubjekte reagieren auf Maßnahmen durchAnpassung ihrer Erwartungen und somit ihrer Dispositionen.Dies verandert die Wirkung der Maßnahme. Um diese Effektezu studieren, muss eine Mikrofundierung makrookonomischerZusammenhange vorgenommen werden (Lucas-Kritik).

I Aber: Aggregationsproblem – das Aggregat verhalt sich nichtimmer wie die Summe seiner Teile; “fallacy of composition”.Mikrofundierung sehr haufig durch “reprasentativen Akteur”,welcher das Aggregationsproblem schlicht wegdefiniert.

S.295

8. Geld, Inflation und Geldpolitik

Gliederung:

8.1 Geldbegriff und Geldfunktion

8.1.1 Geldfunktionen8.1.2 Geldmengenaggregate

8.2 Geldnachfrage

8.2.1 Keynesianische Theorie8.2.2 Portfolio-Theorie

8.3 Geldangebot

8.3.1 Schaffung von Zentralbankgeld8.3.2 Schaffung von Kreditgeld

8.4 Kosten, Messung und Ursachen von Inflation

8.4.1 Volkswirtschaftliche Kosten von Inflation8.4.2 Messung von Inflation8.4.3 Ursachen von Inflation

S.296

8. Geld, Inflation und Geldpolitik

8.5 Einige Grundlagen der Geldpolitik8.5.1 Ziele und Instrumente der Geldpolitik8.5.2 Mogliche Wirkungszusammenhange8.5.3 Glaubwurdigkeit und Zentralbankunabhangigkeit

Literatur:I Hanusch, H., Kuhn, T., Cantner, U. (2000), Volkswirtschaftslehre 1, 5.

Aufl., Berlin: Springer [Kapitel 14.1 - 14.4]

I Blanchard, O., Illing, G. (2017), Makrookonomie. 7. Aufl. Pearson[Kapitel 4]

I Bofinger, P. (2007), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl.,Munchen: Pearson [Kapitel 19, 21 - 22]

I Deutsche Bundesbank (2017), Die Deutsche Bundesbank. (Downloadbarbei www.bundesbank.de)

Internetadressen:

www.ecb.int

www.bundesbank.de

S.297

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.1 Geldbegriff und Geldfunktion8.1.1 Geldfunktionen

I Finanzaktiva – welche davon kann man als “Geld”bezeichnen?

Bargeld, Sichtguthaben, Sparguthaben, Terminguthaben,Guthaben bei Bausparkassen oder Lebensversicherungen,Schuldverschreibungen, Geldmarktfondanteile, Aktien,CashCard, Internetwahrungen (Bitcoin etc.), .....

I Eine Abgrenzung von “Geld” hat nur einen Sinn, wenn manKriterien oder Funktionen angeben kann, welche einFinanzaktivum erfullen soll.

”Money is what money does. Money is defined by its

function.“ (J. Hicks 1976)

I Im Folgenden zu beachten:Geldmenge = Bestandsgroße, Einkommen = Stromgroße

S.298

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.1 Geldbegriff und Geldfunktion8.1.1 Geldfunktionen

Geldfunktionen:

1. Tauschmittelfunktion:

I In einer reinen Tauschwirtschaft mit n Gutern gibt esn(n − 1)/2 reale Tauschverhaltnisse, in einer Geldwirtschaftjedoch nur n Geldpreise.

I Suche nach geeigneten Transaktionspartnern inTauschwirtschaft extrem aufwandig; Ubersicht uberKnappheitsverhaltnisse schwierig.

I Existenz von Geld senkt drastisch die Transaktionskosten, diedurch Arbeitsteilung und Tausch entstehen.

S.299

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.1 Geldbegriff und Geldfunktion8.1.1 Geldfunktionen

2. Wertaufbewahrungsfunktion:

I Geld als eine Form der Vermogenshaltung: erleichtert einzeitliches Auseinanderfallen von Erwerb von Geld durchTausch und Verwendung von Geld fur Tausch (intertemporaleEntscheidungen).

I Funktion wird durch (hohe) Inflation bedroht.

3. Recheneinheitsfunktion:

I Geldpreise ermoglichen einheitliche Rechnungslegungs-,Bilanzierungs- und Buchungssysteme.

I Einfache Berechnung von Vermogen, Forderungen undVerbindlichkeiten.

S.300

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.1 Geldbegriff und Geldfunktion8.1.2 Geldmengenaggregate

Geldmengenaggregate nach Abgrenzung der Europaischen Zentralbank:

M1 M2 M3Bargeldumlauf 1.028,8 1.028,8 1.028,8taglich fallige Einlagen 5.495,3 5.495,3 5.495,3Einlagen mit Laufzeitbis zu 2 Jahren 1.444,7 1.444,7Einlagen mit Kundigungs-frist bis zu 3 Monaten 2.154,0 2.154,0Repoverbindlichkeiten 106,7Geldmarktfondanteile 471,5Schuldverschreibungenbis zu 2 Jahren 78,0Summen 6.524,1 10.122,8 10.779,0

(in Mrd. Euro, Stand 10/2015, Quelle: Bundesbank)

Zusatzlich: M0 (Geldbasis, Zentralbankgeldmenge):

Bargeld + Reserven der Geschaftsbanken bei der ZentralbankS.301

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.1 Geldbegriff und Geldfunktion8.1.2 Geldmengenaggregate

Wachstumsrate von M3:

I Anstieg der durchschnittlichenWachstumsrate weit uber realesWirtschaftswachstum plusInflationsrate hinaus (bis 2008).

I In 2008-2009 Wirkungen derFinanzkrise: Stagnation trotz sehrexpansiver Geldpolitik (M0).

(Quelle: Deutsche Bundesbank)

S.302

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.2 Geldnachfrage8.2.1 Keynesianische Theorie

Liquiditatspraferenztheorie nach Keynes:

1) Transaktionsmotiv – Transaktionskassenhaltung

I Geld wird fur geplante Transaktionen (Bezahlung von Guternoder Faktoren) verwendet.

I Zahlungsgewohnheiten (z.B. Lohnzahlungen taglich,wochentlich, monatlich etc.) bestimmen Umlauf-geschwindigkeit des Geldes.

I Das Transaktionsvolumen korrespondiert mit dem nominalenEinkommen = Preisniveau P × Realeinkommen Y .

I Geldnachfrage zu Transaktionszwecken bei gegebenenZahlungsgewohnheiten:

M · v = P · Y ⇒ M

P=

1

vY = kY = LT (Y )

mit M als nominaler Geldmenge, v als Umlaufgeschwindigkeitbzw. k = 1/v als Kassenhaltungskoeffizient.

S.303

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.2 Geldnachfrage8.2.1 Keynesianische Theorie

2) Vorsichtsmotiv – Vorsichtskassenhaltung

I Geldhaltung zur Vermeidung von Illiquiditat beiunvorhergesehenen Zahlungsausgangen oderunvorhergesehenem Ausbleiben von Zahlungseingangen, z.B.Konsumglattung bei schwankendem Einkommen.

I Keynes argumentiert, dass die Praferenz fur Liquiditatshaltungvom Ausmaß fundamentaler Unsicherheit abhangt; Geld(Liquiditat) als eine Art “Versicherung” gegen unkalkulierbareUnwagbarkeiten.

I Den Zins erklart er als Pramie fur den Liquiditatsverzicht.

S.304

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.2 Geldnachfrage8.2.1 Keynesianische Theorie

3) Spekulationsmotiv – Spekulationskassenhaltung

I Geld ist nur eine mogliche Form Vermogen zu halten.Alternative: zinstragende, jedoch riskante Finanzaktiva(bei Keynes: festverzinsliche Bonds).

I Da fur die effektive Verzinsung eines Bonds gilt:

ieff =Nennwert · Nominalzinssatz

Kurswert

verhalten sich Zinssatz und Kurswert (Marktpreis desWertpapiers) invers zueinander.

I Der erwartete Gewinn aus der Bonds-Haltung ergibt sich ausden festen Zinszahlungen plus der erwarteten Differenz ausVerkaufs- und Kaufpreis (Kurswert morgen und heute).

S.305

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.2 Geldnachfrage8.2.1 Keynesianische Theorie

Fortsetzung Spekulationskasse:

I Je hoher der aktuelle Zinssatz, desto mehr Personen erwartensinkende Zinsen = steigende Kurse und werden deshalb Bondshalten statt Geld. Fur die Spekulationskassenhaltung gilt alsoeine negative Zinsabhangigkeit:

LS (i),dLS

di< 0

Zusammenfassung der Geldhaltungsmotive(ohne Vorsichtsmotiv):

LT (Y ) + LS (i) = L(Y , i),∂L

∂Y> 0,

∂L

∂i< 0

S.306

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.2 Geldnachfrage8.2.2 Portfoliotheorie

Portfoliotheorie (H.M. Markowitz, 1927 –):

I Alternativen der Vermogenshaltung: Geld und Wertpapiere

I Geld: “risikofrei”, aber geringe Verzinsung (hier: Null)I Wertpapiere: z.B. Aktien, Bonds; Ruckflusse aus der

Wertpapierhaltung streuen mehr oder weniger starka) Bonds: feste Zinszahlungen, jedoch Schwankungen des

Kurswertesb) Aktien: Dividendenzahlungen in unregelmaßiger Hohe und

Schwankungen der Kurswerte

I Risikoscheue Anleger berucksichtigen den Erwartungswertder Renditen (Verzinsung) und deren Streuung (Varianz bzw.Standardabweichung) als Risikomaß.

I Außerdem zu beachten: Die Kurse und somit Renditenunterschiedlicher Wertpapiere konnen korrelieren, gemessenan dem Korrelationskoeffizienten bzw. an der Kovarianz.

S.307

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.2 Geldnachfrage8.2.2 Portfoliotheorie

I Mischung unterschiedlich riskanter Wertpapiere ⇒ Risikostreuung.Erwartete Rendite und Risiko eines Portfolios ergeben sich aus denerwarteten Renditen, Varianzen und Kovarianzen der darinenthaltenen Wertpapiere.

⇒ Frage: Welche Mischung riskanter Wertpapiere ist optimal? WelcheMischung aus einem riskanten Portfolio und risikolosem Geld istoptimal?

I Man kann folgendes zeigen:

I Es gibt ein effizientes riskantes Portfolio R, welches manoptimal mit der risikolosen Anlage = Geld kombinieren kann.

I Unterschiedlich risikoscheue Anleger unterscheiden sich nur inder Kombination von R und dem risikolosen Geld, nicht aberin der Zusammensetzung von R, d.h. diese Entscheidungensind separierbar ⇒ J. Tobin (1918 – 2002)

S.308

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.2 Geldnachfrage8.2.2 Portfoliotheorie

Was folgt daraus fur die Geldnachfrage?

I Steigender Zinssatz bedeutet, dass die erwartete Rendite desriskanten Portfolios R steigt (bei unverandertem Risiko).

I Dies fuhrt i.d.R. zu einer Umstrukturierung des Portfolioszugunsten riskanter Anlagen bzw. zulasten von Geld.

⇒ Negativer Zusammenhang zwischen Geldnachfrage undZinssatz (analog zu Keynesianischer Theorie)

S.309

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.3 Geldangebot8.3.1 Schaffung von Zentralbankgeld

Wie wird Geld geschaffen? Wie gelangt Geld in den Umlauf?

I Wichtige Unterscheidung:I Zentralbankgeld M0: Wird ausschließlich durch

Transaktionen der Zentralbank geschaffenI M1, M2, M3: außer der Komponente “Bargeld” werden die

anderen Komponenten durch Transaktionen des privatenSektors (Geschaftsbanken und Nichtbanken) geschaffen, wobeidie Zentralbank diesen Prozess beeinflussen kann.

I Vereinfachte Bilanz der Zentralbank:

Zentralbank

Wahrungsreserven Bargeld (C )Gold Einlagen der GB (R):Wertpapiere – Mindestreserve

Forderungen an GB – Uberschussreserven

M0 = C + R

S.310

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.3 Geldangebot8.3.1 Schaffung von Zentralbankgeld

(A) Geldschopfung von M0:

1) Die Zentralbank kauft von einer Geschaftsbank ein Aktivum(z.B. Wertpapier) und bezahlt dieses mit Zentralbankgeld(Gutschrift als Reserve):

Zentralbank

∆ Wertpapiere ∆ Reserve

Geschaftsbank

-∆ Wertpapiere+∆ Reserve

S.311

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.3 Geldangebot8.3.1 Schaffung von Zentralbankgeld

2) Die Zentralbank gibt der Geschaftsbank einen Kredit:

Zentralbank

∆ Forderung an GB ∆ Reserve

Geschaftsbank

∆ Reserve ∆ Verbindlichkeitgegenuber Zentralbank

I Diese Kredite haben eine bestimmte Laufzeit und es sindbestimmte Zinsen zu bezahlen.

I Uber die Kreditkonditionen kann die Zentralbank dieNachfrage nach Reserven steuern.

S.312

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.3 Geldangebot8.3.1 Schaffung von Zentralbankgeld

Geldpolitik muss auf die Nachfrage nach Reserven reagieren:i

Reserven

N

R0

A

i0 = iZB

N ′

i1

R1

A′

I Stabilisierung der Reserven R0

⇒ Verlust der Kontrolle uber den Geldmarktzins.I Stabilisierung des Geldmarktzins⇒ Akkomodierung der Reservenachfrage (M0 endogen)

S.313

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.3 Geldangebot8.3.2 Schaffung von Kreditgeld

(B) Geldschopfung von M1, M2, M3:

I Wir konzentrieren uns hier aufM1 = Bargeld (C ) + Sichteinlagen (D).

I Schaffung von Sichteinlagen erfolgt durch Kreditvergabe(daher auch: Kreditgeldschopfung): Geschaftsbank vergibteinen Kredit und schreibt diesen auf einem Sichtkonto gut:

Geschaftsbank

∆ Kredit ∆ Sichteinlagen

I Alternativ: Bank kauft Wertpapier von Nichtbank

S.314

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.3 Geldangebot8.3.2 Schaffung von Kreditgeld

I Geldschopfung “aus dem Nichts”; theoretische Moglichkeit,dass Geldmenge “unendlich” anwachsen konnte.

⇒ Einschrankung dadurch, dass Geschaftsbanken einen Teil derSichteinlagen (Depositen D) als Mindestreserve bei derZentralbank halten mussen: MR = r · D mit r alsMindestreservesatz.

I Wichtig: Banken verleihen nicht die Einlagen der Sparer!Ersparnisbildung ist deshalb keine Voraussetzung furkreditfinanzierte Investitionen.

S.315

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.3 Geldangebot8.3.2 Schaffung von Kreditgeld

I Depositen schwanken stark im Zahlungsverkehr

⇒ Geschaftsbank will liquide Reserven vorhalten um plotzlichenDepositenabflussen zu begegnen.

⇒ halt freiwillig eine Uberschussreserve: ER = e · D.

I Durch Mindest- und Uberschussreserve wird derGiralgeldschopfungsprozess an eine Nachfrage derGeschaftsbanken nach Zentralbankgeld gekoppelt, sodass die Zentralbank Einfluss auf diesen Prozess hat.

I Geldhalter entscheiden nach ihren Zahlungsgewohnheiten uberVerhaltnis von Bargeld zu Giralgeld C/D = b, so dassC = b · D gilt.

S.316

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.3 Geldangebot8.3.2 Schaffung von Kreditgeld

Algebraische Beziehung zwischen M0 und M1:

M0 = C + R = b · D + r · D + e · D = (b + r + e) · DM1 = C + D = b · D + D = (1 + b) · D

Nach D auflosen und in erste Gleichung einsetzen:

M0 =(b + r + e)

(1 + b)·M1

M1

M0=

∆M1

∆M0=

(1 + b)

(b + r + e)≡ m (Geldschopfungs“multiplikator”)

Der Multiplikator suggeriert, dass die Zentralbank autonom M0 festlegt,und damit auch M1 steuert. Der Zusammenhang ist jedoch reinalgebraischer Natur.

S.317

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.3 Geldangebot8.3.2 Schaffung von Kreditgeld

I Der Prozess hangt maßgeblich vom Verhalten von Bankenund Nichtbanken ab:

I Angebot und Nachfrage am Kreditmarkt hangen von denKalkulen der Banken und der Nachfrager ab.Gleichgewichtszins bestimmt die Kreditmenge.

I Das Bankenverhalten bestimmt dieNeigung, Uberschussreserve zu halten. Das Zahlungsverhaltender Nichtbanken bestimmt die Neigung, Bargeld stattDepositen zu halten.

I Daraus ergibt sich dieNachfrage der Banken nach Zentralbankgeld.

I Auf dem Markt fur Zentralbankgeld (Geldmarkt) entsteht einGleichgewicht (Geldmarktzinssatz).

⇒ Sie beeinflusst durch geldpolitische Maßnahmen den Prozessder endogenen Geldschopfung.

S.318

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.3 Geldangebot8.3.2 Schaffung von Kreditgeld

Geldpolitik muss auf die Nachfrage nach Geld reagieren:

I Banken fragen Reserven nach in Abhangigkeit vom Zinssatz:Reserven konnen aber nur von der Zentralbank geschaffenwerden (siehe oben!).

I Andert sich die Reservenachfrage, so kann die Zentralbankden Zinssatz stabilisieren, indem sie die gestiegene Nachfrageakkomodiert (d.h. M0 steigt), oder sie verweigert dies, so dassdann der Zinssatz fur Reserven und damit potenziell alleweiteren Zinssatze steigen.

I Die Zentralbank kann also entweder versuchen dieZentralbankgeldmenge zu stabilsieren oder den kurzfristigenZinssatz, muss sich bei einem Zielkonflikt aber entscheiden.

I Die meisten Zentralbanken betreiben Zinssteuerung. Damit istdie Geldmenge (incl. M0) endogen.

S.319

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.3 Geldangebot8.3.2 Schaffung von Kreditgeld

Daraus resultierendes Problem: Prozyklizitat

I Steigt das Einkommen (Wirtschaftsaufschwung), werdennormalerweise mehr Kredite nachgefragt und somit Geldgeschaffen. Dieses wird zur Nachfrage nach Investitions- oderlanglebigen Konsumgutern eingesetzt, was den Aufschwungverstarkt.

I In der Rezession entsprechend umgekehrt.

I Problem: Im Abschwung kann es schwieriger werden, dieeingegangenen Kreditverpflichtungen zu bedienen⇒ hohere Ausfallrisiken, hohere Risikopramien (Znsen),restriktivere Kreditvergabe⇒ verstarkt Abschwung schlimmstenfalls bis zur Krise.

⇒ Antizyklische Geldpolitik

S.320

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.4 Kosten, Messung und Ursachen von Inflation8.4.1 Volkswirtschaftliche Kosten von Inflation

Volkswirtschaftliche Kosten der Inflation:

1. Preisanpassungskosten (“Menukosten”): Aufwand, neue optimalePreise zu bestimmen, Anderungen von Preislisten, Katalogen,Webseiten etc.

2. Beeintrachtigung der Informationsfunktion: Flexible Einzelpreisewichtig fur effiziente Allokation durch Markte. Bei Inflation ist esweniger durchschaubar, welcher Teil einer Einzelpreisbewegung aufdie Anderung von Knappheitsverhaltnissen zuruckzufuhren ist⇒ Allokationseffizienz sinkt.

3. Verzerrte Vermogensstruktur: Inflation wirkt wie eine Steuer aufdas Halten von Geld und festverzinslichen Forderungen.Umschichtung in Sachwerte oder Aktiva, deren Preise ebenfallsinflationieren oder mit variabler nominaler Verzinsung ⇒ erschwertlangfristige Finanzierung von Investitionen.

S.321

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.4 Kosten, Messung und Ursachen von Inflation8.4.1 Volkswirtschaftliche Kosten von Inflation

4. Willkurliche Umverteilungseffekte:

I Bei Vertragen mit festen nominalen Zahlungen verliert derEmpfanger dieser Zahlungen:

I Lohnkontrakte: Inflation senkt Reallohn.I Renten: Inflation senkt Realwert der Renten.I Kredite: Inflation senkt Realwert der Schulden.

I Kalte Progression: Inflationiertes Nominaleinkommen fuhrt zuhoheren Steuersatzen (Umverteilung Private ⇒ Staat)

I Vermogende Haushalte haben mehr Moglichkeiten, sich gegenInflation zu schutzen, als weniger vermogende Haushalte.

5. Nettorenditeeffekte: Auf die Ruckflusse aus Investitionen wirktInflation ahnlich wie eine Besteuerung⇒ reale Nettorendite rN sinkt.

S.322

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.4 Kosten, Messung und Ursachen von Inflation8.4.1 Volkswirtschaftliche Kosten von Inflation

I Einige negative Effekte (siehe 2. und 4.) konnten vermiedenwerden, wenn die Inflationsrate antizipierbar ware(Berucksichtigung in den Kontrakten).

I Empirie: Je hoher die Inflationsrate, desto volatiler ist sie (undsomit weniger antizipierbar).

I Daher ist eine Stabilisierung der Inflationserwartungen aufniedrigem Niveau durch eine glaubwurdige Geldpolitik wichtig.

S.323

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.4 Kosten, Messung und Ursachen von Inflation8.4.2 Messung von Inflation

Messung von Inflation:

I Bestimmung eines Warenkorbes, in welchen bestimmte Guteri = 1, ..., n jeweils mit einem bestimmten Gewicht qi eingehen.

I Bestimmung des Durchschnittspreises pi fur diese Guter.

I Vergleich der Ausgaben fur den Warenkorb in der aktuellen Periodeim Vergleich zur Basisperiode.

I Zwei Konzepte zur Konstruktion eines Indexes:I Laspeyres-Index PL: Warenkorb der Basisperiode t = 0I Paasche-Index PP : Warenkorb der aktuellen Periode t

PL =

∑ni=1 p

ti q

0i∑n

i=1 p0i q

0i

, PP =

∑ni=1 p

ti q

ti∑n

i=1 p0i q

ti

I Die Europaische Zentralbank verwendet als ihre Zielgroße denHarmonisierten Verbraucherpreis-Index (HVPI) =Laspeyres-Index.

I Zur Inflationsbereinigung des Einkommens verwendet dasStatistische Bundesamt den BIP-Deflator = Paasche-Index. S.324

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.4 Kosten, Messung und Ursachen von Inflation8.4.2 Messung von Inflation

Entwicklung der Inflationsrate der Eurozone:

Quelle: Deutsche Bundesbank (links) / Eurostat (rechts)

S.325

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.4 Kosten, Messung und Ursachen von Inflation8.4.2 Messung von Inflation

Einige Probleme der Inflationsmessung:

I Neuartige Guter und Anderung der Verbrauchsgewohnheiten⇒ von Zeit zu Zeit Festlegung eines neuen Warenkorbes.

I Anderung der Qualitat der Guter (z.B. Computer, Elektronik)

I Durchschnittspreisbildung bildet nicht das Kaufverhalten derKonsumenten ab, welche tendenziell geringere Preisebevorzugen.

I Anderungen der Relativpreisverhaltnisse innerhalb desWarenkorbes fuhren zu Anpassungsreaktionen derKonsumenten, denen nicht Rechnung getragen wird.

I Auch die Preisentwicklung von Vermogensgegenstanden(= Bestandsgroßen) ist relevant.

S.326

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.4 Kosten, Messung und Ursachen von Inflation8.4.3 Ursachen von Inflation

I Definitionsgemaß gilt immer die Quantitatsgleichung

M · v = P · Y

da man die Umlaufgeschwindigkeit v gerade definiert alsv = P · Y /M ⇒ rein algebraischer Zusammenhang..

I In Wachstumsraten ausgedruckt:

M + v︸︷︷︸≈0

= P + Y

I Falls sich v im Zeitablauf nicht gravierend verandert, gibt eseinen direkten Zusammenhang zwischen realem Wachstum(Y ), Geldmengenentwicklung (M) und Inflationsrate (P,gebraucliche Schreibweise: π).

S.327

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.4 Kosten, Messung und Ursachen von Inflation8.4.3 Ursachen von Inflation

I Inflation als rein monetares Phanomen(Monetarismus, M. Friedman, 1912 – 2006)

I Monetaristische Empfehlung : Zentralbank soll Geldmengen-entwicklung strikt an die langfristige Entwicklung desRealeinkommens koppeln.

I Empirie: In langer Frist und unter Berucksichtigung hoherInflationsraten enger Zusammenhang von M und π. Zusammenhangin den OECD-Landern seit ca. Mitte 1980er Jahre ehermaßig/schwach.

I Theoretische Einwande:I Quantitatstheorie liefert keine kausale Erklarung fur

steigende Preise, welche am Gutermarkt gebildet werden.I Positive Korrelation von Geldmengenwachstum und Inflation

durch Abhangigkeit von dritter Variable, z.B. Nachfrage.I Die Geldmengenentwicklung ist endogen und wird von der

Zentralbank lediglich beeinflusst.S.328

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.4 Kosten, Messung und Ursachen von Inflation8.4.3 Ursachen von Inflation

Gleichgewichtiges Preisniveau durch Zusammenspiel vongesamtwirtschaftlicher Nachfrage Y D und gesamtwirtschaftlichemAngebot Y S .

P

Y

Y D

Y S

nachfrageinduzierte Inflation

Y D

P

Y

Y D

Y S

kosteninduzierte Inflation

Y S

S.329

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.4 Kosten, Messung und Ursachen von Inflation8.4.3 Ursachen von Inflation

I Nachfrageinduzierte Inflation: Erhohung der realenNachfrage = Rechtsverschiebung von Y D . Grunde z.B.:

I Senkung des Nominalzinses iI Erhohung der Inflationserwartung πe

I Expansive FiskalpolitikI Nominale Abwertung der Wahrung ⇒ Exportnachfrage steigt

I Angebotsinduzierte Inflation: Verringerung desgesamtwirtschaftlichen Angebots aufgrund gestiegener Kosten= Linksverschiebung von Y S . Grunde z.B.:

I Anstieg der Lohnkosten oder SteuernI Hohere Preise importierter Vorprodukte (z.B. Ol)

(“importierte Inflation”)

S.330

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.4 Kosten, Messung und Ursachen von Inflation8.4.3 Ursachen von Inflation

I Lohn-Preis-Spirale: Um Reallohnsenkungen aufgrund vonInflation zu kompensieren, setzen Gewerkschaften hohereNominallohne durch, was auf der Kostenseite Inflationsdruckausubt und somit erneut Nominallohnerhohungen induziertusw. (hangt vom Organisationsgrad der Gewerkschaften ab).

I Geldpolitik hat vor allem Einfluss auf die Nachfrageseite:I Nominalzinssatz i kann relativ gut beeinflusst (gesteuert)

werden.I Glaubwurdige Geldpolitik stabilisiert die Inflationserwartungenπe auf niedrigem Niveau.

S.331

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.5 Einige Grundlagen der Geldpolitik8.5.1 Ziele und Instrumente der Geldpolitik

I Globales Ziel von Wirtschaftspolitik ist die Erhohung derWohlfahrt ⇒ muss operationalisiert werden!

I “Magisches Viereck” (Stabilitats- und Wachstumsgesetz)I Hoher Beschaftigungsstand = niedrige ArbeitslosenquoteI PreisniveaustabilitatI Außenwirtschaftliches GleichgewichtI Angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum

I Wir beziehen uns hier auf die ersten beiden Ziele: DaArbeitslosigkeit u und Inflation π die Wohlfahrt senken, sollendie wirtschaftspolitischen Strategievariablen so gewahltwerden, dass die Verlustfunktion minimiert wird:

min L = L(u, π)

⇒ Zielkonflikte! (hier kurzfristig: Phillipskurve)

S.332

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.5 Einige Grundlagen der Geldpolitik8.5.1 Ziele und Instrumente der Geldpolitik

I “Assignment”: Zuordnung der Ziele zu den Mitteln unddamit zu den Tragern der Wirtschaftspolitik

I Hier: Inflationsziel ⇒ Geldpolitik ⇒ Zentralbank

I Operationalisierung des Inflationsziels (EZB):HVPI-Anstieg um knapp unter 2%.

I Die Zielinflationsrate ist also nicht Null. Warum?I HVPI uberzeichnet die Inflation etwas (siehe oben).I Deflation (negative Inflationsraten) hat gravierendere negative

Konsequenzen als moderate Inflation, daher: “Abstand” vonnegativen Inflationsraten halten.

I r = i − πe . Wenn πe = π = 0, dann ist i = r bereits nahe ander Nullzinsgrenze, d.h. es gibt kaum Spielraum fur expansiveGeldpolitik.

I Ermoglicht Reallohnanpassung bei rigiden Nominallohnen.

S.333

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.5 Einige Grundlagen der Geldpolitik8.5.1 Ziele und Instrumente der Geldpolitik

Instrumente der Geldpolitik (hier: EZB, Eurozone):

1. Mindestreservesatz: Erhohung von r erhoht die Nachfrage nachReserven und senkt den Geldschopfungsmultiplikator. Wird in derPraxis kaum als Steuerungsinstrument eingesetzt.

2. Offenmarktgeschafte:

I Hauptrefinanzierungsgeschafte: Kredite anGeschaftsbanken, Laufzeit i.d.R. eine Woche, wochentlicheAnpassung der Zinssatze moglich; Vergabe uber eine ArtAuktionsverfahren (Tender)

I Langfristige Refinanzierungsgeschafte: Kredite anGeschaftsbanken, Laufzeit drei Monate, monatliche Anpassungder Zinssatze

I Strukturelle und Feinsteuerungsoperationen: teils Kreditean Geschaftsbanken mit nicht standardisierter Laufzeit;unregelmaßig, teils definitive Kaufe/Verkaufe vonWertpapieren.

S.334

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.5 Einige Grundlagen der Geldpolitik8.5.1 Ziele und Instrumente der Geldpolitik

Instrumente der Geldpolitik (Fortsetzung):

3. Standige Fazilitaten:I Spitzenrefinanzierungsfazilitat: Kredite an Geschaftsbanken

mit Laufzeit von 1 Tag (“uber Nacht”) mit relativ hohemZinssatz.

I Einlagenfazilitat: Gering verzinste Einlagen vonGeschaftsbanken “uber Nacht”. (Derzeit negativer Zinssatz!)

I Zu beachten: Kreditvergabe an Geschaftsbanken setzt eineBesicherung voraus, d.h. Geschaftsbanken mussenWertpapiere in bestimmter Qualitat halten.

I Als weiteres Instrument kann die Kommunikationspolitikangesehen werden, welche fur die Bildung vonInflationserwartungen eine erhebliche Rolle spielt.

S.335

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.5 Einige Grundlagen der Geldpolitik8.5.1 Ziele und Instrumente der Geldpolitik

I Der Schwerpunkt im Euroraum liegt auf den Haupt-refinanzierungsgeschaften: die EZB tritt als Anbieter auf demMarkt fur geliehene Reserven auf (Geldmarkt i.e.S.)⇒ seit der Eurokrise allerdings weniger relevant.

Der Teilmarkt fur Reserven, bei dem nur die Banken beteiligtsind, heißt Interbankenmarkt.

I In den USA ist das Hauptinstrument der Zentralbank (FederalReserve System = Fed) der Kauf/Verkauf von Wertpapieren,hier vor allem Staatsschuldverschreibungen.

I “Ungewohnliche geldpolitische Maßnahmen” wahrend derFinanz- und europaischen Schuldenkrise (z.B. “QuantitativeEasing”).

S.336

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.5 Einige Grundlagen der Geldpolitik8.5.1 Ziele und Instrumente der Geldpolitik

Quelle: Deutsche Bundesbank

S.337

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.5 Einige Grundlagen der Geldpolitik8.5.2 Mogliche Wirkungszusammenhange

I Die Zentralbank kann recht prazise den Geldmarktzinssatzsteuern und damit die Refinanzierungskosten der Banken.

I Dies beeinflusst die Angebotsfunktion der Banken auf demKreditmarkt und damit indirekt den Kreditzinssatz.(Kreditnachfrage kann aber kaum beeinflusst werden.)

I Gesamtwirtschaftliche Nachfrage hangt vom langfristigenRealszins ab (siehe Kapitel 7). Dieser wird ebenfalls von derZentralbank lediglich beeinflusst, nicht gesteuert.

I Instrument ⇒ kurzfristiger Geldmarktzins =⇒ langfristigerRealzins r ⇒ Nachfrage Y D ⇒ Inflation

S.338

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.5 Einige Grundlagen der Geldpolitik8.5.2 Mogliche Wirkungszusammenhange

Geldpolitische Strategien:

I Zentralbank kann nicht direkt die Inflation beeinflussen.

I Geldpolitik wirkt mit Verzogerungen auf die gesamtwirtschaftlicheNachfrage und Inflationsrate.

I “Inflation Targeting”:

I Inflationsentwicklung hangt von Entwicklung der Nachfrage(bzw. “Output-Lucke”) sowie den Inflationserwartungen ab.

⇒ Prognose der realisierten Inflation und derNachfrageentwicklung sowie weiterer makrookonomischerVariablen (z.B. Geldmenge, Kreditvergabe, Wechselkurse, sog“Zwischenziele”).

⇒ Bestimmung der angemessenen Geldpolitik (kurzfristigeZinsen) fur die kommenden Quartale, sowie derenKommunikation an den privaten Sektor.

⇒ Beeinflussung der Inflationserwartungen

I Zwei-Saulen-Strategie der EZBS.339

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.5 Einige Grundlagen der Geldpolitik8.5.3 Glaubwurdigkeit und Zentralbankunabhangigkeit

Begrundung fur die Zentralbankunabhangigkeit:

I Ware die Zentralbank abhangig von der Regierung alsTragerin der Fiskalpolitik, so wurde Geldpolitik evtl. in denDienst anderer Ziele gestellt.

I Welches Problem kann entstehen, wenn Geldpolitik dasPreisniveau- und das Beschaftigungsziel verfolgt?

⇒ Problem der zeitinkonsistenten Politik: angekundigteniedrige Inflationsrate wird faktisch nicht angestrebt.

I Individuen, welche rationale Erwartungen bilden, antizipierenden Anreiz zum zeitinkonsistenten Verhalten und erwartenhohe Inflationsrate, die zu einer optimalen Geldpolitik fuhrt,welche genau diese hohe Inflationsrate implementiert.

I Losung des Problems durch Regelbindung undZentralbankunabhangigkeit.

S.340

8. Geld, Inflation und Geldpolitik8.5 Einige Grundlagen der Geldpolitik8.5.3 Glaubwurdigkeit und Zentralbankunabhangigkeit

I Hoch verschuldete Regierungen haben kein Interesse anniedriger Inflation. Wie kann sichergestellt werden, dass eineZentralbank dem Druck anderer wirtschaftspolitischer Tragerstandhalten kann?

I Zentralbankunabhangigkeit wird als Voraussetzung furGlaubwurdigkeit gesehen.

I Empirische Evidenz dafur ist gemischt.

(Vertiefend hierzu: Donges, J.B., Freytag, A. (2004), AllgemeineWirtschaftspolitik. 2. Aufl. Stuttgart: Lucius & Lucius)

S.341

9. Okonomische Theorie der Politik

Gliederung:

9.1 Normative und positive Theorie der Politik

9.2 Direkte Demokratie: Wahlverfahren

9.3 Reprasentative Demokratie

9.4 Interessengruppen und rent-seeking

9.5 Institutionen und wirtschaftliche Entwicklung

Literatur:I Donges, J.B., Freytag, A. (2004), Allgemeine Wirtschaftspolitik. 2. Aufl.

Stuttgart: Lucius & Lucius [Kapitel IV.1-IV.4]

vertiefend:

I Kirsch, G. (2004), Neue Politische Okonomie, Stuttgart.

I Bernholz, P., Breyer, F. (1994), Grundlagen der Politischen Okonomie,Bd. 2, 3. Aufl., Tubingen.

S.342

9. Okonomische Theorie der Politik9.1 Normative und positive Theorie der Politik

Begrundung von Staatstatigkeit: (Wdh., Kapitel 6)

I Theorie des Marktversagens (Externe Effekte, Bildung vonMarktmacht, Informationsasymmetrien)

I Schaffung bindender rechtlicher Regeln als Voraussetzung furMarktallokation – Vertragsrecht, Eigentumsrecht etc.

I Umverteilung und soziale Sicherung

Dem Nutzen staatlicher Tatigkeit sind die Kosten gegenuber zustellen:

I Informations-, Entscheidungs-, Ausfuhrungs-, Kontrollkosten

Normative Analyse:

I Wo, in welcher Form, in welchem Ausmaß sollte der Staattatig werden um die Wohlfahrt zu erhohen?

I Staat als “wohlmeinender Diktator” bzw. “sozialer Planer”.

S.343

9. Okonomische Theorie der Politik9.1 Normative und positive Theorie der Politik

Positive Analyse (Institutionenokonomik, “Public Choice”):

I Analyse der politischen Entscheidungsverfahren undInstitutionen (z.B. direkte/reprasentative Demokratie,Diktatur)

I Wie gelangt man in direkten oder reprasentativendemokratischen Wahlverfahren zu kollektiven Entscheidungen?

I Welche Anreizwirkungen gehen von den Verfahren undInstitutionen fur den politisch oder verwaltungsmaßigHandelnden aus (Politiker und Burokraten als individuelleNutzenmaximierer)?

I Welche Rolle spielen organisierte Interessen bei derEntscheidungsfindung? (Parteien, Verbande, Lobbygruppen)

I Analyse zeigt die Grenzen staatlichen Handelns auf.

S.344

9. Okonomische Theorie der Politik9.2 Direkte Demokratie: Wahlverfahren

Demokratische Wahlen als Allokationsmechanismus:

I Direkte Demokratie:Wahler stimmen direkt uber eine Alternativenmenge ab.

I Reprasentative Demokratie:Wahler bestimmen die Zusammensetzung des Parlaments(Reprasentanten); die Reprasentanten stimmen uber dieAlternativenmenge ab.

I Mischformen (“Liquid Democracy”) [kaum erforscht]

S.345

9. Okonomische Theorie der Politik9.2 Direkte Demokratie: Wahlverfahren

Vorbemerkung:

I “Markt” und “demokratische Abstimmung” sind nur zwei vonvielen moglichen Allokationsmechanismen.

I Die Eigenschaften hangen von den konkreten okonomischenProblemen ab, auf die sie angewendet werden.

I Allokationsmechanismen sind nie “neutral”, d.h. siebeeinflussen das Verhalten und sind somit nur bedingt fahig,die “wahren Praferenzen” der Individuen zu offenbaren und zukoordinieren.

S.346

9. Okonomische Theorie der Politik9.2 Direkte Demokratie: Wahlverfahren

Konnen individuelle Praferenzen in einem demokratischenWahlverfahren sinnvoll aggregiert werden?

I Alle individuellen Praferenzordnungen werden zugelassen.

I Pareto-Effizienz: Wenn alle Wahler A gegenuber B schwachvorziehen, und mindestens ein Wahler A gegenuber B strengvorzieht, dann soll kollektiv A gegenuber B vorgezogen werden.

I Kollektive Rangordnung zwischen A und B soll unverandert bleiben,wenn auch die individuellen Rangordnungen bezuglich A und Bunverandert bleiben, auch wenn sich die Rangordnungen andererAlternativen andern.

I Kein Individuum darf das Ergebnis diktieren.

K. Arrow (1921 -) bewies, dass demokratischeWahlverfahren die Einhaltung dieser Forderungen nichtsicherstellen konen (Unmoglichkeitstheorem).

Foto: Linda A. Cicero,

Stanford News Service

S.347

9. Okonomische Theorie der Politik9.2 Direkte Demokratie: Wahlverfahren

Konnen Wahlentscheidungen zu Pareto-Verbesserungen fuhren?

I Eine kollektive Entscheidung uber die Alternativen A, B, ...fuhrt dann zu einer Pareto-Verbesserung, wenn alle Wahlerzustimmen konnen: Einstimmigkeitsregel. Diese Regel bietetden maximalen Schutz des Individuums vor dem Kollektiv.

I Die Ermittlung einer pareto-verbessernden Alternative setztenormes Wissen voraus, uber das keine Institution verfugt.

⇒ Einstimmigkeit ist unrealistisch.

S.348

9. Okonomische Theorie der Politik9.2 Direkte Demokratie: Wahlverfahren

I Mehrheitsregel:I Je mehr Wahler einer Alternative zustimmen, desto geringer

sind die (Opportunitats-) Kosten der Wahlverlierer.I Je mehr Wahler einer Alternative zustimmen konnen, desto

aufwandiger (teurer) ist die Suche nach dieser Alternative.

I Losung : Optimale Mehrheitsregel als Ausdruck derKostenminimierung.

I Problem: Dies ist fur jedes Entscheidungsproblem anders!I Historisch:

I Absolute Mehrheit (50% + 1 Stimme)I Qualifizierte Mehrheit (z.B. 67%)I Einfache Mehrheit (Alternative mit den meisten Stimmen)

S.349

9. Okonomische Theorie der Politik9.2 Direkte Demokratie: Wahlverfahren

Probleme bei Wahlen mit Mehrheitsregel:

1. Mehrheit kann sich auf Alternativen verstandigen, welche dieMinderheit ausbeuten.

2. Zyklische Mehrheiten – Rolle der Abstimmungsagenda:(Condorcet-Paradoxon, Marquis de Condorcet (1785))

Beispiel (Nutzenwerte):

Max Moritz UschiA 5 4 0B 4 0 5C 0 5 4

Die Praferenzen sind entsprechend:

Max: A > B > C < AMoritz: A > B < C > AUschi: A < B > C > A

I Eine kollektive eindeutige Rangfolge gibt es nicht.

I Stimmt man paarweise ab, so ist: A > B > C > A, d.h.Intransitivitat: je nach Abstimmungsagenda kann einbeliebiges Ergebnis erzeugt werden.

S.350

9. Okonomische Theorie der Politik9.2 Direkte Demokratie: Wahlverfahren

3. Stimmentausch

Wahler(gruppen) stimmen entgegen ihrer Praferenzen, um im“Tausch” dagegen die Unterstutzung anderer Wahlergruppenbei den von ihnen stark praferierten Projekten zu bekommen.

Beispiel: Gesetzesvorlagen A und B

Nettonutzen A B

Max -2 -2Moritz 5 -2Uschi -2 5

I Bei Einzelabstimmung werden beide Projekte abgelehnt.I Wenn Moritz und Uschi Stimmentausch betreiben, werden

beide Projekte realisiert.

S.351

9. Okonomische Theorie der Politik9.2 Direkte Demokratie: Wahlverfahren

Bemerkungen:

I Stimmentausch ist gangie Praxis, obwohl dadurch u.U.gefahrdet wird, dass demokratische Wahlen dieMehrheitspraferenzen durchsetzen.

I Aber: Von den vier Moglichkeiten “Weder A noch B”, “NurA”, “Nur B” und “A und B” haben Moritz und Uschi eineklare Praferenz fur letztere Allokation gegenuber “Weder Anoch B”. D.h. Stimmentausch fuhrt nicht zwangslaufig zuIneffizienz.

I Strategisches Abstimmungsverhalten als Beispiel furNicht-Neutralitat des Allokationsmechanismus.Verhaltensokonomisches Beispiel: Aversion gegenVerlierer-Position ⇒ Wahl des mutmaßlichen Siegers(statt der tatsachlich praferierten Position).

S.352

9. Okonomische Theorie der Politik9.2 Direkte Demokratie: Wahlverfahren

4. Ostrogorski-Paradox:

I Verzerrung der Wahlerpraferenzen, wenn uber kompletteWahlprogramme statt uber Einzelfragen abgestimmt wird.

I Beispiel: 4 Wahlergruppen (A,B,C,D), 2 Wahlprogramme(X,Y) zu je 3 Themen.

Gruppe Anteil Themenpraferenz MehrheitThema 1 Thema 2 Thema 3 nach Gruppe

A 20% X Y Y 20% YB 20% Y X Y 20% YC 20% Y Y X 20% YD 40% X X X 40% X

Mehrheit nach Thema 60% X 60% X 60% X

I Bei jedem Thema ist die Mehrheit fur Programm X , gewahltwird mit 60% der Stimmen aber Programm Y.

S.353

9. Okonomische Theorie der Politik9.3 Reprasentative Demokratie

I Wahler wahlen die Reprasentanten, welche die politischenEntscheidungen treffen.

I Okonomisch gesehen: Prinzipal-Agenten-Beziehung –Wahler als Prinzipal, Politiker als Agenten

I Okonomische Verhaltensannahme: Politiker maximieren ihreneigenen Nutzen:

I Nutzen durch Umsetzung der eigenen ideologischenVorstellungen.

I Nutzen durch die Vorteile des offentlichen Amtes.I Beides erreicht man nur dann, wenn man gewahlt wird⇒ zentrales Interesse an einer (Wieder-) Wahl.

S.354

9. Okonomische Theorie der Politik9.3 Reprasentative Demokratie

Rolle der Wahler:

I Wahlen sollen moglichst die Praferenzen der Wahler inkollektive Entscheidungen umsetzen.

I In einer reprasentativen Demokratie: Wahl derPartei/Politiker, deren Programm den eigenen Praferenzenam nachsten kommt (⇒ Ostrogorski-Problem).

I Sehr hohe Informationsanforderungen⇒ rationale Uninformiertheit

I Prinzipal-Agenten-Verhaltnis:I Wahler sind nur begrenzt uber die Ziele und Fahigkeiten des

Politikers informiert.I Wahler konnen nach “Vertragsabschluss” (Wahl) die

Handlungen des Politikers nur bedingt beobachten undkontrollieren.

S.355

9. Okonomische Theorie der Politik9.3 Reprasentative Demokratie

Wahl-Paradoxon:

I Der Wahlgang und die zuvor erforderlicheInformationsbeschaffung sind kostentrachtig.

I Die Wahrscheinlichkeit, durch die eigene Stimme dasWahlergebnis in Richtung der eigenen Praferenzenbeeinflussen zu konnen (= Nutzen der individuellenWahlbeteiligung), ist extrem gering.

I Ein hinreichend großer Grenznutzen einer Wahlbeteiligung,welcher den Grenzkosten entspricht, ist nur bei extremgeringer Wahlbeteiligung gegeben.

I Empirisch gesehen ist die Wahlbeteiligung aber sehr viel hoher⇒ erklarungsbedurftig.

S.356

9. Okonomische Theorie der Politik9.3 Reprasentative Demokratie

Politischer Wettbewerb:

I Idee, dass Politiker am ehesten entsprechend den Praferenzender Wahler entscheiden, wenn sie im politischenWettbewerb stehen.

I Funktionierender politischer Wettbewerb setztFreiheitsrechte voraus (Meinungs-, Pressefreiheit etc.).Entscheidend ist das Risiko fur den Politiker, nicht gewahlt zuwerden bzw. das Amt zu verlieren.

I Durch Wiederwahl maximiert der Politiker seinen Nutzen, zurWiederwahl ist jedoch eine Mehrheit der Wahler erforderlich.

S.357

9. Okonomische Theorie der Politik9.3 Reprasentative Demokratie

I Um wiedergewahlt zu werden, muss der Politiker mehr als50% Zustimmung, also die Zustimmung des sog.Medianwahlers erhalten.

I Hypothese: Wahlprogramme bewegen sich auf die Mitte hin zuund verharren nicht in extremen Positionen (das ware nur bei

mehr als zwei Parteien und Koalitionsbildung moglich bzw. sinnvoll).

I Der politische Wettbewerb entwickelt nicht nur alternativeIdeen zur Problemlosung und diskutiert deren Vor- undNachteile, er informiert auch uber die Position desMedianwahlers.

S.358

9. Okonomische Theorie der Politik9.3 Reprasentative Demokratie

I Im politischen Entscheidungsprozess einer reprasentativenDemokratie (Abstimmung uber Alternativen im Parlament, inAusschussen oder Koalitionsverhandlungen) treten auch dieWahlprobleme der direkten Demokratie auf, z.B.

I Zyklische Praferenzen und die Rolle der AbstimmungsagendaI Stimmentausch (z.B. bei Koalitionsverhandlungen)I Ostrogorski-Paradoxon, weil Parteien Wahlprogramme

anbieten, die den Median-Wahler nur zu 51% uberzeugenmussen.

I Wahlverfahren in reprasentativen Demokratien sind sehrunterschiedlich (z.B. Deutschland, Frankreich, USA). Allediese Wahlverfahren haben teilweise problematischeEigenschaften.

S.359

9. Okonomische Theorie der Politik9.3 Reprasentative Demokratie

Beispiele:

I Moglichkeit, dass eine Partei trotz Stimmenverlustes mehrParlamentssitze erhalt als vorher, oder umgekehrt Sitzeverliert trotz Stimmengewinnen (Paradoxon des negativenStimmengewichts).

I Moglichkeit, dass sich bei Stimmenzuwachs von Partei A dieSitzverteilung zwischen Parteien B und C verschiebt(Stimmenzuwachsparadoxon).

I Prominentes Beispiel: Wahl Trumps zum US-Prasidenten trotzgeringerer Stimmenzahl als Hillary Clinton(“Wahlmanner”-System)

S.360

9. Okonomische Theorie der Politik9.4 Interessengruppen und rent-seeking

I In Politikfeldern, die bestimmte Gruppen von Wahlernbetreffen, kann deren Einflussnahme auf politischeEntscheidungen erhoht werden, indem sie ihre Interessenorganisieren: Lobbygruppen

Beispiel : Industrieverbande (z.B. BDI, BITKOM),

Arbeitgeberverbande, Gewerkschaften, Sozialverbande,

Verbraucherverbande, ADAC, BUND, Steuerzahlerbund etc. etc.

I Stellen Politikern Informationen bereit und konnen medialeUnterstutzung bieten bzw. mit medialer Kritik drohen.

I Erwarten im Gegenzug eine verstarkte Berucksichtigung ihrerInteressen bei politischen Entscheidungen.

S.361

9. Okonomische Theorie der Politik9.4 Interessengruppen und rent-seeking

Vorteile des Lobbying:

I Bereitstellung fachlicher Informationen zu geringerenTransaktionskosten, als wenn fachfremde Politiker diesesammeln und bewerten mussten.

I Senkung von Informationskosten auch fur die Wahler.I Senkung von Verhandlungskosten zwischen Politikern und

privaten Akteuren.

Kosten des Lobbying:

I Ressourcenaufwand geht anderen (produktiven)Verwendungsmoglichkeiten verloren.

I Organisierte Interessen erhalten gegenuber nicht-organisiertenein starkeres Gewicht: verzerrte Abbildung derWahlerpraferenzen.

I Konsequenzen der durch Lobbying beeinflusstenEntscheidungen haben auch Dritte zu tragen.

S.362

9. Okonomische Theorie der Politik9.4 Interessengruppen und rent-seeking

“Rent-seeking”:

I Rente = dauerhafter Vorteil bzw. Einkommen, das nicht durchLeistung erworben wurde (Beispiel: Zusatzgewinne durchverminderten Wettbewerbsdruck oder durch Zwang, einebestimmte Leistung nachfragen zu mussen).

I Anreiz, Einfluss auf die Politik und damit auf die Spielregelnzu nehmen, die einem solche Renten verschaffen konnen.

I Ressourcenverbrauch durch rent-seeking geht anderenVerwendungsmoglichkeiten verloren.

I Lobbytatigkeit kann z.T. als rent-seeking interpretiert werden:Politik wird bewegt Entscheidungen zu treffen, die dieErzielung kunstlicher Renten ermoglichen.

S.363

9. Okonomische Theorie der Politik9.4 Interessengruppen und rent-seeking

Beispiel : Zolle

I Unternehmen klagen uber “zu hohen” Wettbewerbsdruckdurch auslandische Konkurrenten, sehen einen besonderen“Schutzbedarf” der heimischen Industrie und drohen mitArbeitsplatzverlusten.

I Ziel: Einfuhrung eines Importzolls, der die preislicheWettbewerbsfahigkeit der heimischen Industrie erhoht.

I Analog auch bei nicht-tarifaren Handelshemmnissen.

Beispiel : Marktzutrittsbeschrankungen

I Kann z.B. aufgrund von Informationsasymmetrieproblemen(Kapitel 6) sinnvoll sein – Beispiel: Arzt

I Andere bestehende oder von Interessengruppen gewunschteMarktzutrittsbeschrankungen (z.B. durch Erwerb bestimmterformaler “Qualifikationen” oder Lizenzen) sind eherfragwurdig.

S.364

9. Okonomische Theorie der Politik9.5 Institutionen und wirtschaftliche Entwicklung

Institutionen: kollektive Mechanismen, die das Verhalten des einzelnenIndividuums pragen; “Spielregeln” (⇒ Kapitel 2)

I Formale Institutionen (Beispiele):

I Rechtsnormen und RechtssystemI Institutionen der politischen Willensbildung: Parteien,

Wahlverfahren, Parlament etc.I Burokratie

I Informelle Institutionen (Beispiele):

I Ethische oder religiose UberzeugungenI Kulturelle Traditionen

I Institutionen

... koordinieren individuelle Entshcheidungen,

... ermoglichen kollektives Handeln,

... erzeugen Erwartungssicherheit und Vertrauen (z.B. in denVertragspartner, in das Funktionieren des Rechtsstaates)

... sind damit eine funktionale Voraussetzung individueller Freiheit

S.365

9. Okonomische Theorie der Politik9.5 Institutionen und wirtschaftliche Entwicklung

Beispiel : Abschluss eines Vertrages

I Vertrag entfaltet eine bindende Wirkung nur dann, wennVertragsverletzungen sanktioniert werden konnen.

I Das setzt funktionierendes Rechtssystem voraus.

Beispiel : Demokratische Willensbildung

I Demokratische Wahlen als Allokationsmechanismus nursinnvoll, wenn politischer Wettbewerb um die bestenProblemlosungen vorhanden ist.

I Das setzt institutionellen Schutz von Meinungs-, Presse- undVersammlungsfreiheit voraus.

S.366

9. Okonomische Theorie der Politik9.5 Institutionen und wirtschaftliche Entwicklung

Institutionen sind “schwach” bzw. gefahrdet durch:

I Unzureichend definiertes Recht, unzuverlassiges Rechtssystem

I Korruption

I Staatliche Willkur (ermoglicht durch fehlende Kontrolle, fehlende

Abwahlmoglichkeit)

I Fehlende friedliche Konfiktlosungsmechanismen zwischenreligiosen oder ethnischen Gruppen.

Empirisch bestehen enge Zusammenhange zwischenwirtschaftlichem Fortschritt und Indikatoren fur stabileInstitutionen (z.B. “Economic Freedom Index”, “CorruptionPerception Index”).

S.367

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel

Gliederung:

10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels

10.1.1 Komparative Preisvorteile10.1.2 Produktvielfalt10.1.3 Auswirkungen auf Preise und Lohne

10.2 Wechselkurse und Zahlungsbilanz

10.2.1 Zahlungsbilanz, Handels- und Kapitalstrome10.2.2 Bestimmungsgrunde fur den Wechselkurs10.2.3 Makrookonomische Zusammenhange

10.3 Handelspolitik

10.3.1 Wirkungen von Handelsbeschrankungen10.3.2 Strategische Handelspolitik und Handelsabkommen

S.368

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel

Literatur:I Hanusch, H., Kuhn, T., Cantner, U. (2000), Volkswirtschaftslehre 1, 5.

Aufl., Berlin: Springer [Kapitel 17.2, 17.3, 17.6]

I Mankiw, N.G. (1999), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart:Schaffer-Poeschel [Kapitel 29 - 30]

I Bofinger, P. (2007), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl.,Munchen: Pearson [Kapitel 25]

vertiefend:

I Krugman, P, Obstfeld, M. (2003), Internationale Wirtschaft. Theorie undPolitik der Außenwirtschaft, 6. Aufl., Pearson Studium.

S.369

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels

Mogliche Grunde fur internationale Arbeitsteilung und Handel:

I Ressourcenverfugbarkeit

I Komparative Preisvorteile

I Hohere Produktvielfalt

I Großenvorteile (steigende Skaleneffekte)

S.370

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels10.1.1 Komparative Preisvorteile

I Komparative Preisvorteile: siehe Beispiel aus Kapitel 1.2!

I Das Relativpreisverhaltnis zwischen Gutern ist verschieden, d.h.unterschiedliche Opportunitatskosten im Autarkiefall:

I Land V: 8 Einheiten Fleisch fur 1 Einheit KartoffelnI Land A: 0.5 Einheiten Fleisch fur 1 Einheit Kartoffeln

I Ein Handler aus Land A, welcher 1 Einheit Kartoffeln gegen Fleischtauschen will, wurde in Land V das 16-fache (8 statt 0.5) erhaltenwie im eigenen Land ⇒ Anreiz zum Export von Kartoffeln.

I Ein Handler aus Land V, welcher 1 Einheit Fleisch gegen Kartoffelntauschen will, wurde in Land A ebenfalls das 16-fache (2 statt 1/8)erhalten wie im eigenen Land ⇒ Anreiz zum Export von Fleisch.

I Auf dem Weltmarkt wird sich ein fur beide Lander gultigesPreisverhaltnis einstellen, welches zwischen den Relativpreisen imAutarkiefall liegt.

S.371

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels10.1.1 Komparative Preisvorteile

Klassische Theorie: D. Ricardo (1772 - 1823)

I Komparative Kostenvorteile durchunterschiedliche (Arbeits-) Produktivitat =unterschiedliche Produktionstechnologie

I Es kommt nur auf die relativen, nicht auf dieabsoluten Vorteile an! Handel auch dannsinnvoll, wenn ein Land in allen Sektorenunproduktiver ist.I Jedes Land spezialisiert sich (ganz oder teilweise) auf jenes

Gut, bei welchem es einen komparativen Produktivitats- unddamit Kosten- bzw. Preisvorteil hat, und exportiert dieses. Mitden Exporterlosen wird das importierte Gut finanziert.

I A. Smith (1723 - 1790) glaubte zuvor noch, dassinternationale Arbeitsteilung voraussetze, dass ein Landabsolute Vorteile gegenuber dem anderen Land haben musse.

S.372

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels10.1.1 Komparative Preisvorteile

Neoklassische Theorie des Außenhandels

I E.F. Heckscher (1879 - 1952),B. Ohlin (1899 - 1979)

I Handel zwischen technologisch ahnlichenLandern.

I Beobachtung, dass relativ kapitalreiche Lander einen komparativenPreisvorteil bei kapitalintensiven Gutern haben, und relativarbeitsreiche Lander bei arbeitsintensiven Gutern.

I Annahmen (u.a.):

I Gleiche Technologien mit konstanten Skalenertragen.I Unterschiedliche relative Faktorausstattungen; Faktoren

wandern nicht zwischen den Landern.I Es gibt eindeutig arbeitsintensive und kapitalintensive Guter.I Wettbewerbliche Markte.

S.373

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels10.1.1 Komparative Preisvorteile

I Wegen der unterschiedlichen relativen Faktorausstattungsehen die Transformationskurven beider Lander verschiedenaus, obwohl sie dieselbe Technologie nutzen.

I Relativ kapitalreiches Land : Kapital relativ billig

⇒ relativer Kosten- und Preisvorteil bei kapitalintensivem Gut⇒ Spezialisierung auf kapitalintensives Gut

I Relativ arbeitsreiches Land : Arbeit relativ billig

⇒ relativer Kosten- und Preisvorteil bei arbeitsintensivem Gut⇒ Spezialisierung auf arbeitsintensives Gut

S.374

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels10.1.1 Komparative Preisvorteile

Globalisierte Wertschopfungsketten:

I Produktion von Gutern ist heute stark fragmentiert und globalverteilt (GVC, “Global Value Chain”).

I Die Uberlegungen zu komparativen Vorteilen lassen sich imPrinzip auch auf Zwischenprodukte und Services, also dieTeile der GVC ubertragen.

I Durch technischen Fortschritt sind heute Transportkosten,Logistik und Qualitatssicherung weniger ein Problem als vor100 Jahren, so dass es lohnt, auch geringfugige komparativeVorteile auszunutzen.

S.375

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels10.1.1 Komparative Preisvorteile

I In der Praxis treten beide Grunde fur Spezialisierung auf:I Unterschiede in der Technologie, d.h. in den Produktivitaten

der Faktoren undI Unterschiede in der relativen Faktorausstattung

I Beide Ansatze erklaren aber nur, warum Landerunterschiedliche Guter austauschen (Fleisch gegen Kartoffeln,Tuch gegen Wein, Fernseher gegen Reis usw.)

I Ein großer Teil des Handels ist jedoch sog. intraindustriellerHandel zwischen Landern, die keine drastischen Unterschiedein Technologie und Faktorausstattung aufweisen, z.B.deutsche Autos in Frankreich, franzosische Autos inDeutschland.

⇒ Kann weder mit der klassischen (Smith, Ricardo) noch mit derneoklassischen (Heckscher, Ohlin) Theorie erklart werden.

S.376

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels10.1.2 Produktvielfalt

P. Krugman (1953 -)Neue Außenhandelstheorie

I Produkte sind differenziert ⇒ Marktformder monopolistischen Konkurrenz(Kapitel 4.3.3)

I Nachfrager haben Praferenz furProduktvielfalt.I Produktion oft mit hohen Fixkosten, d.h. sinkende

Durchschnittskosten und damit Großenvorteile.

I Bei gegebenem Nachfragevolumen wird nur eine bestimmteAnzahl n von Unternehmen = Produktvarianten(vereinfachende Annahme) gewinnbringend produzieren.

S.377

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels10.1.2 Produktvielfalt

I Zwei Lander – Autarkiefall:I Nachfragevolumen: V1,V2,I Anzahl der Unternehmen/Produktvarianten: n1, n2

I Nach Aufnahme von Außenhandel:I Nachfragevolumen Weltmarkt: V = V1 + V2

I Anzahl der Produktvarianten: n1, n2 < n ≤ n1 + n2

I Zwar wird es auf dem Weltmarkt eventuell wenigerProduktvarianten geben als die Summe der Varianten imAutarkiefall. Aber in beiden Landern besteht eine hohereProduktvielfalt als im Autarkiefall.

I Aufgrund der Großenvorteile produzieren die verbleibendenUnternehmen billiger, was zu Preissenkungen fuhrt.

S.378

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels10.1.3 Auswirkungen auf Preise und Lohne

I Durch Spezialisierung und Tausch auf den Weltmarktenwerden sich die Relativpreise angleichen.

I Gleichgewichtiges reales Austauschverhaltnis(“terms of trade”):

I Bei gegebenem Relativpreis p1/p2 wird in jedem Land einbestimmter Punkt auf der Transformationskurve gewahlt(Produktionsentscheidung der Firmen), und die Konsumentenwahlen ein bestimmtes Guterbundel. Aus beidem ergeben sichdie geplanten Exporte und Importe.

I Gleichgewichtige terms of trade, wenn die Export- undImportplane beider Lander miteinander kompatibel sind.

S.379

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels10.1.3 Auswirkungen auf Preise und Lohne

Einfluss auf die Faktorpreise (Annahme: Ricardo-Modell)

I Aus der Mikrookonomik wissen wir:Wertgrenzprodukt = Nominallohn (siehe Kapitel 3.2.4)

∂y1

∂L· p1 = w

Teilen durch p2∂y1

∂L

p1

p2=

w

p2

[Euro/h]

[Euro/Stck]bzw.

[Stck]

[h]

Das reale Austauschverhaltnis p1/p2 ist durch den Weltmarktvorgegeben. Auf der rechten Seite steht ein realer Lohnsatz, d.h. dieEntlohnung ausgedruckt in Einheiten von Gut 2.

I Ist nun die Grenzproduktivitat in einem Land geringer als imanderen Land, so ist auch der reale Lohnsatz geringer.

I Geringere reale Entlohnung erklart, weshalb das unproduktivereLand einen komparativen Preisvorteil hat und deshalb anArbeitsteilung und Handel teilnehmen kann.

S.380

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels10.1.3 Auswirkungen auf Preise und Lohne

Kauf von Waren aus Landern mit extrem niedrigen Lohnen:Ist das nicht Ausbeutung?

Resultat aus der klassischen Theorie:

I Entscheidend ist, was sich der Arbeiter in dem armen Landvon dem Lohn in heimischer Wahrung kaufen kann, also derreale Lohn, ausgedruckt in Gutereinheiten (s.o.).

I Was hatte er sich ohne Handelsbeziehungen (Autarkie) leistenkonnen? Zu bedenken ist, dass die Beteiligung am HandelHandelsgewinne, d.h. ein großeres Konsumguterbundelermoglicht. D.h. im Autarkiefall ware der reale Lohn geringer.

I Falls reale Lohndifferenzen die (empirisch z.T. enorm großen)Produktivitatsdifferenzen widerspiegeln, kann man nicht vonAusbeutung sprechen.

S.381

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels10.1.3 Auswirkungen auf Preise und Lohne

Fortsetzung:

I Durch die Offnung der Markte entsteht einWettbewerbsdruck, die Arbeitsproduktivitat zu erhohen.Empirisch gesehen ist die Produktivitats- und Reallohn-entwicklung in offenen Schwellenlandern außerst dynamisch⇒ tendenzielle Angleichung der Faktorpreise.

⇒ Zu bedenken ist aber, dass die Voraussetzungwettbewerblicher Guter- und Faktormarkte oft nicht erfullt ist(z.B. Nachfragemacht auf lokalen Arbeitsmarkten,Nachfragemacht auf Agrarrohstoffmarkten), und die terms oftrade deutlich starker von okonomisch starkenVolkswirtschaften bestimmt werden.

S.382

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.1 Realwirtschaftliche Theorie des Außenhandels10.1.3 Auswirkungen auf Preise und Lohne

I In der neoklassischen Theorie kommt es hingegen zumAusgleich der Faktorpreise (Lohne, Renditen):

I Der relativ reichlich vorhandene Faktor wird aufgrund derSpezialisierung nun starker genutzt (= verstarkt nachgefragt)und wird dadurch relativ teurer.

I Bei vollkommenen Markten und teilweiser Spezialisierung gibtes einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Guterpreis- undFaktorpreisverhaltnis. Sind die Technologien gleich, so ist dannauch das Faktorpreisverhaltnis gleich.

⇒ Die Mobilitat der Guter “ersetzt” die im Modell fehlendeMobilitat der Produktionsfaktoren.

S.383

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.2 Wechselkurse und Zahlungsbilanz10.2.1 Zahlungsbilanz, Handels- und Kapitalstrome

Zahlungsbilanz (siehe Kapitel 7.1.2)

Leistungsbilanz(Handel mit Gutern und Dienstleistungen, sowie Ubertragungen)

Exporte Ex Importe ImSaldo: NX = Ex − Im (Außenbeitrag)

Kapitalbilanz(kurz-, langfristig)

Kapitalimporte K Im Kapitalexporte KEx

Saldo: B = K im − KEx

Devisenbilanz(Devisentransaktionen der Zentralbank)

Saldo: Anderung Wahrungsreserven ∆R NX + B

S.384

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.2 Wechselkurse und Zahlungsbilanz10.2.1 Zahlungsbilanz, Handels- und Kapitalstrome

I Wir abstrahieren von Eingriffen der Zentralbank (Anderungender Devisenreserven ∆R = 0), so dass buchungstechnisch gilt:

Nettoexporte = Nettokapitalexport

Ex − Im = −(K Im − KEx ) = KEx − K Im

oder kurz NX = −B

I Exporte und Importe hangen vom in- und auslandischenEinkommen sowie den terms of trade (realer Wechselkurs),d.h. vom nominalen Wechselkurs und dem in- undauslandischen Preisniveau ab.

I Kapitalimporte und -exporte hangen davon ab, welcheRenditen aus der Investition im In- und Ausland zu erwartensind, was u.a. von den Zinssatzen abhangt.

S.385

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.2 Wechselkurse und Zahlungsbilanz10.2.1 Zahlungsbilanz, Handels- und Kapitalstrome

I Ohne Eingriff der Zentralbank ist NX = −B ex post stetserfullt. Ein Gleichgewicht liegt vor, wenn die Gleichung auchfur die geplanten Guter- und Kapitalstrome gilt.

NX (Y ,Y a,P,Pa,w) = −B(i , ia,w e)

I Einkommen Y ,Y a werden am Gutermarkt bestimmt.

I Preisniveaus P,Pa werden durch gesamtwirtschaftliche Nachfrageund Angebot bestimmt.

I Zinssatze i , ia werden am Kapitalmarkt bestimmt.

I Wechselkurserwartungen w e : bestimmt durch ...?

I Wechselkurs w als Anpassungsinstrument!

S.386

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.2 Wechselkurse und Zahlungsbilanz10.2.1 Zahlungsbilanz, Handels- und Kapitalstrome

Nominaler Wechselkurs

I ...in Preisnotierung: Wieviele inlandische Geldeinheitenmussen fur eine auslandische Geldeinheit bezahlt werden?

wP = 0.9

[Euro

Dollar

]I ...in Mengennotierung: Wieviele auslandische Geldeinheiten

erhalt man fur eine inlandische Geldeinheit?

wM = 1.11

[Dollar

Euro

]I In den Medien ist seit der Einfuhrung des Euros die

Mengennotierung ublich. In den Lehrbuchern dominiert diePreisnotierung (Konvention: w = wP)

I Aufwertung: w = wP sinkt, Abwertung: w = wP steigt.

S.387

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.2 Wechselkurse und Zahlungsbilanz10.2.1 Zahlungsbilanz, Handels- und Kapitalstrome

Effekte einer Abwertung der heimischen Wahrung:

I Exporteure verdienen im Ausland auslandischeWahrungseinheiten (z.B. Dollar). Durch die Abwertungbekommen sie nun mehr Euro fur ihre Dollareinnahmen,weshalb sie auf dem Auslandsmarkt preislichwettbewerbsfahiger werden und mehr absetzen werden⇒ Exportwert (Menge × Preis in Euro) steigt.

I Importeure mussen nun mehr Euro in Dollar umtauschen umImporte bezahlen zu konnen ⇒ Importmengen gehen zuruck.Wegen des gestiegenen Importpreises ist der Effekt auf denImportwert unklar.

I Außenbeitrag NX : Reaktion ist deshalb ebenfalls unklar.Unter bestimmten “normalen” Voraussetzungen wird derAußenbeitrag aber mittelfristig ansteigen.

S.388

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.2 Wechselkurse und Zahlungsbilanz10.2.2. Bestimmungsgrunde fur den Wechselkurs

Wonach richten sich Angebot und Nachfrage auf demDevisenmarkt, d.h. durch welche Großen wird der Wechselkurserklart?

I Lange Frist: Kaufkraftparitat-Theorie

I Kurze Frist: Zinsparitat-Theorie

I Weitere Einflusse: z.B. Spekulation, Zentralbankinterventionen

Empirie: Umsatze auf Devisenmarkten extrem viel großer alsUmsatze auf realen Gutermarkten.

S.389

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.2 Wechselkurse und Zahlungsbilanz10.2.2. Bestimmungsgrunde fur den Wechselkurs

Kaufkraftparitat-Theorie:

I Absolute Kaufkraftparitat: Homogene Guter, keineTransportkosten ⇒ Gesetz des einheitlichen Preises

w

[Euro

Dollar

]· Pa

[Dollar

Stck.

]= P

[Euro

Stck.

]Wechselkurs spiegelt nominales Preisverhaltnis wider:w = P/Pa bzw. in Anderungsraten:

w = π − πa

d.h. das starker inflationierende Land wertet ab.I Gabe es nur homogene Guter, dann ware nach der Theorie der

reale Wechselkurs θ = 1.I Gehen wir von einem beliebigen realen Wechselkursθ = wPa/P aus, so gilt in Wachstumsraten:

θ = w + πa − πS.390

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.2 Wechselkurse und Zahlungsbilanz10.2.2. Bestimmungsgrunde fur den Wechselkurs

Zinsparitat-Theorie:

I Gesamtwirtschaftliche Ersparnis kann im Inland oder imAusland investiert werden ⇒ Kapitalbilanz

I Annahme: Entscheidend ist die erwartete Rendite, die imGleichgewicht bei beiden Investitionsmoglichkeiten gleich ist.

I Bei der Anlage im Ausland ist aber zu bedenken, dass dasInvestitionsvolumen zum heutigen Wechselkurs eingetauscht,im Ausland angelegt, und spater zum dann gultigenWechselkurs zuruckgetauscht wird.

⇒ Daruber mussen Erwartungen (w e) gebildet werden.

S.391

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.2 Wechselkurse und Zahlungsbilanz10.2.2. Bestimmungsgrunde fur den Wechselkurs

I Bei der sog. Zinsparitat gilt dann:

w e − w

w= w e = i − ia

mit i , ia als inlandischem und auslandischem Zinssatz.(Achtung: im Lehrbuch von Bofinger wird das Symbol S fur den

Wechselkurs in Mengennotierung verwendet)

I Wodurch sich die Wechselkurserwartung bestimmt, ist hiernoch nicht geklart!

I Bei gegebenem w e werden Wechselkursanderungen durchZinsdifferenzen bestimmt.

S.392

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.2 Wechselkurse und Zahlungsbilanz10.2.2. Bestimmungsgrunde fur den Wechselkurs

Zusammenfassung Kaufkraft- und Zinsparitat:

I Wechselkursanderungen werden durch Inflations- undZinsdifferenzen bestimmt:

⇒ Das starker inflationierende Land wertet ab.⇒ Das Land mit sinkendem Zins wertet ab.

I Empirisch gesehen bieten beide Ansatze keine befriedigendeErklarung, vor allem nicht fur die hohe Volatilitat derWechselkurse.

S.393

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.2 Wechselkurse und Zahlungsbilanz10.2.2. Bestimmungsgrunde fur den Wechselkurs

Wechselkurssysteme:

I Feste Wechselkurse (z.B. Bretton-Woods-System1949-1973): Zentralbanken greifen in den Devisenmarkt einum den Wechselkurs auf einem vorgegebenen Niveau zustabilisieren.

⇒ Auswirkungen auf den Devisenbestand ∆R (sieheZahlungsbilanz) und damit auf die Geldmenge.

I Flexible Wechselkurse: keine Interventionspflicht derZentralbanken, Bestimmung des Kurses am freien Marktdurch Angebot und Nachfrage nach Devisen.

S.394

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.2 Wechselkurse und Zahlungsbilanz10.2.2. Bestimmungsgrunde fur den Wechselkurs

EuroDollar

Menge Dollar

Nachfrage

Angebot

Aufwertung Dollar (Beispiel)

EuroDollar

Menge Dollar

Nachfrage

Angebot

Abwertung Dollar (Beispiel)

S.395

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.3 Handelspolitik10.3.1 Wirkungen von Handelsbeschrankungen

Handelsbeschrankungen:

I Zolle: Importzolle, seltener: ExportzolleI MengenzollI Wertzoll

I (Export-) Subventionen

I Mengenbeschrankungen, Kontingente bei der Einfuhr oder beider Ausfuhr (“freiwillige Selbstbeschrankung”)

I Weitere Beschrankungen, vor allem technische Normen(⇒ Normeinhaltung muss uber gesamte GVC dokumentiertwerden)

S.396

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.3 Handelspolitik10.3.1 Wirkungen von Handelsbeschrankungen

Importzolle:

I Schutz der heimischen Anbieter, Umlenkung der Nachfrageauf heimische Produkte, Erzielung von Staatseinnahmen⇒ vorteilhaft?

I Analyse mit Hilfe des Konzepts der Produzenten- undKonsumentenrente (siehe folgende Grafik); Annahme: kleinesLand, d.h. keine Auswirkung auf den realen Wechselkurs.

I Ergebnis: Der negative Effekt auf die Konsumentenrenteuberkompensiert stets die positiven Effekte auf die heimischenAnbieter und das Staatsbudget ⇒ Wohlfahrtssenkung!

S.397

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.3 Handelspolitik10.3.1 Wirkungen von Handelsbeschrankungen

p

y , c

N

A

p∗

y0 c0

p∗ + t

y1 c1

a

Anderungen:Produzentenrente: +a

c

Zolleinnahmen: +c

b d

Konsumentenrente: -(a+b+c+d)

p

m

M

m0m1

c b+d

p∗ = Weltmarktpreis, t = Zollsatz

S.398

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.3 Handelspolitik10.3.1 Wirkungen von Handelsbeschrankungen

I Linke Seite: heimischer Markt,rechte Seite: resultierende Importnachfrage

I Kleines Land: Nachfrageanderungen bewirken keine Anderungvon p∗!

I Zolle erhohen den Inlandspreis. Nachfrage geht zuruck auf c1,Angebot steigt aufgrund des Zollschutzes auf y1.

I Analyse der Wohlfahrtseffekte:I Verlust an Konsumentenrente: −(a + b + c + d)I Gewinn an Produzentenrente: +aI Zolleinnahmen: +cI Gesamteffekt (Summe): −(b + d) < 0

I Der Wohlfahrtsverlust −(b + d) entspricht dem Dreieck unterder Importnachfragefunktion (rechte Seite).

S.399

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.3 Handelspolitik10.3.2 Strategische Handelspolitik und Handelsabkommen

Fazit: Liegen wettbewerbliche Markte vor und sind die Staaten“klein”, dann ist Freihandel die beste Option⇒ Abbau von Handelshemmnissen.

Gibt es dennoch eine Ratio fur aktive Handelspolitik?

a) Aktive Handelspolitik als Drohung bei “unfairer”Handelsverzerrung durch den Handelspartner (z.B. Strafzoll)

b) Großes Land : Zoll kann die terms of trade zugunsten desgroßen Landes beeinflussen. Aber:

I Wohlfahrtsgewinn geht zulasten der anderen Lander.I Andere große Lander reagieren darauf mit sog.

Retorsionszollen.I Gleichgewicht in wechselseitigen Zollen ist pareto-ineffizient!I Losung durch verbindliche Abkommen (z.B. WTO, bilaterale

Handelsabkommen).

S.400

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.3 Handelspolitik10.3.2 Strategische Handelspolitik und Handelsabkommen

Fortsetzung:

c) Imperfekter Wettbewerb, z.B. Monopolanbieter:Handelspolitische Maßnahmen konnen disziplinierend undsomit wohlfahrtserhohend wirken.

d) Strategische Handelspolitik: z.B. Subventionierung heimischerFirmen, wenn auf dem Weltmarkt nur sehr wenige großeFirmen uberleben konnen. Beispiel: Airbus versus Boeing.

S.401

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.3 Handelspolitik10.3.2 Strategische Handelspolitik und Handelsabkommen

General Agreement on Tariffs and Trade (GATT), 1947/48

I Verhandlungen uber den Abbau von Zollen und anderenHandelsbeschrankungen.

I GATT-Prinzipien:I Prinzip der Gleichbehandlung.

I Meistbegunstigungsklausel: Gewahrt ein Mitgliedsland einemanderen Mitgliedsland Handelserleichterungen, so muss es diesauch allen anderen Mitgliedslandern gewahren.

I Diskriminierungsverbot: Werden zulassigeHandelsbeschrankungen erlassen, so durfen sie nicht gegeneinzelne Lander gerichtet sein, sondern gelten fur alle.

I Verbot mengenmaßiger Kontingente fur Importe und ExporteI Reziprozitat: Handelspraferenzen, die Land A dem Land B

einraumt, soll Land B auch dem Land A einraumen ⇒ kann imWiderspruch zum Gleichbehandlungsgrundsatz stehen.

S.402

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.3 Handelspolitik10.3.2 Strategische Handelspolitik und Handelsabkommen

I Verhandlungsrunden:I Tokio-Runde (1974-1979)I Uruguay-Runde (1986-1994)

I 1994 Grundung der World TradeOrganization (WTO), welche dasGATT ablost.

I Doha-Runde (2001-?), anschließenddiverse WTO-Konferenzen alle paar Jahre.

I Konzentration jeweils auf bestimmteProblembereiche der Handelspolitik. www.wto.org

S.403

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.3 Handelspolitik10.3.2 Strategische Handelspolitik und Handelsabkommen

Erfolg im Zollabbau: Durchschnittliche Zollsatze

1990 1995 2000 2005 2010 2015

0

20

40

Jahr

Eff

ekti

ver

Du

rch

sch

nit

tszo

ll

EU

United States

China

India

Russia

S.404

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.3 Handelspolitik10.3.2 Strategische Handelspolitik und Handelsabkommen

Anstieg des Welthandels:

Quelle: WTO, in Dollar

S.405

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.3 Handelspolitik10.3.2 Strategische Handelspolitik und Handelsabkommen

Anstieg des Welthandels nach Produktgruppen (2006=100):

Quelle: WTO, World Trade Statistical Review 2017

S.406

10. Internationale Arbeitsteilung und Handel10.3 Handelspolitik10.3.2 Strategische Handelspolitik und Handelsabkommen

Prozentuale Anderung des Welthandels relativ zum BIP:

Quelle: WTO, World Trade Statistical Review 2017

S.407

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel

Gliederung:

11.1 Das empirische Bild von Wachstum

11.1.1 Unterschied Wachstum – Konjunktur11.1.2 Stilisierte Fakten

11.2 Determinanten von Wachstumsprozessen

11.2.1 Bevolkerungsentwicklung11.2.2 Ersparnisbildung und Kapitalstock11.2.3 Innovation und technischer Fortschritt11.2.4 Bildung und Humankapital11.2.5 Sozialkapital und institutionelle Faktoren

11.3 Wachstumskritik

11.3.1 Wachstum als Ziel?11.3.2 Grenzen des Wachstums?

S.408

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel

Literatur:I Hanusch, H., Kuhn, T., Cantner, U. (2000), Volkswirtschaftslehre 1, 5.

Aufl., Berlin: Springer [Kapitel 16.1 - 16.2]

I Blanchard, O., Illing, G. (2017), Makrookonomie. 7. Aufl. Pearson[Kapitel 10-12]

I Mankiw, N.G. (1999), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart:Schaffer-Poeschel [Kapitel 24]

I Bofinger, P. (2007), Grundzuge der Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl.,Munchen: Pearson [Kapitel 26]

S.409

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.1 Das empirische Bild von Wachstum

I Gemessen wird Wachstum an der relativen Anderung desgesamtwirtschaftlichen Einkommens (BIP bzw. Y ):

wYt =Yt − Yt−1

Yt−1

I Wichtige Unterscheidung:I nominales Wachstum: Y in jeweiligen PreisenI reales Wachstum: inflationsbereinigtes Y

I Konstante Wachstumsrate wY bedeutet, dass Yt

exponentiell wachst: Yt = Y0 · ewY ·t (hier: stetige Zeit).

S.410

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.1 Das empirische Bild von Wachstum11.1.1 Unterschied Wachstum – Konjunktur

I Wenn Y wachst, kann das zwei Bedeutungen haben:I In der Ausgangslage waren die Produktionsmoglichkeiten noch

nicht ausgeschopft (z.B. Arbeitslosigkeit), die Kapazitatenwerden lediglich besser ausgelastet ⇒ Konjunktur.

I Die Produktionsmoglichkeiten sind erweitert worden (z.B.hoherer Kapitalstock K oder eine verbesserteProduktionstechnik) ⇒ Wachstum.

Wachstum

beschreibt die langerfristige Entwicklung desProduktionspotentials.

Konjunktur

beschreibt eine verbesserte Auslastung diesesProduktionspotentials. Problem: Y kann man messen (VGR), dasProduktionspotential Y P aber nicht (muss geschatzt werden).

S.411

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.1 Das empirische Bild von Wachstum11.1.1 Unterschied Wachstum – Konjunktur

Quelle: Hanusch/Kuhn/Cantner (2000)

S.412

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.1 Das empirische Bild von Wachstum11.1.2 Stilisierte Fakten

1. Die Wachstumsrate des realen Pro-Kopf-Einkommens Y /A istlangfristig positiv.

2. Die Kapitalintensitat der Produktion (Kapitalstock pro Kopf, K/A)nimmt zu.

3. Der Realzins (Grenzproduktivitat des Kapitals) hat keinenlangfristigen Trend.

4. Das Verhaltnis von Kapitaleinsatz und Output K/Y (sog.Kapitalkoeffizient) hat keinen langfristigen Trend.

5. Die Einkommensverteilung (Arbeitseinkommen vs. Einkommen ausGewinnen, Zinsen, Pachten) hat keinen langfristigen Trend.

6. Arbeitsproduktivitat, Pro-Kopf-Einkommen und Wachstumsratensind international sehr verschieden.

7. Das Wachstum von Y kann nicht allein durch vermehrten Einsatzvon A und K erklart werden ⇒ “technischer Fortschritt”.

S.413

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.1 Das empirische Bild von Wachstum11.1.2 Stilisierte Fakten

I Die Wachstumstheorie versucht diese stilisierten Fakten zuerklaren. (Es geht nicht um “Propagierung von Wachstum”.)

I Eine wichtige Rolle kommt dabei der Berucksichtigung destechnischen Fortschritts (und ggf. dessen Erklarung) zu.

I Ein wesentliches Problem stellt die Erklarung derinternationalen Unterschiede in der Produktivitat, desPro-Kopf-Einkommens und der Wachstumsraten dar.

S.414

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.1 Das empirische Bild von Wachstum11.1.2 Stilisierte Fakten

Durchschnittliche jahrliche Wachstumsraten:

BIP pro Kopf 1950-1973 1973-1998 1998-2004(1998)

USA 32.833 2,4 1,9 2OECD Europa 17.921 4,1 1,8 1,8Japan 20.413 8,1 2,3 0,9

Ubriges Asien 2.936 2,9 3,5 5,1Lateinamerika 5.975 2,5 1,0 0,2Afrika 1.368 2,1 0 1,8Welt 5.709 2,9 1,3 2,5

Quelle: OECD (2006), entnommen aus Bofinger (2007)

S.415

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.1 Das empirische Bild von Wachstum11.1.2 Stilisierte Fakten

I Wenn das technologische Wissen weltweit diffundiert, dannsollte in der langen Frist erwartet werden konnen, dass es eine“Konvergenz” der Volkswirtschaften gibt.

I Ein Zeichen fur Konvergenz ist es, wenn arme Lander imDurchschnitt schneller wachsen (“catching up”).

I Es ist festzustellen, dass dies fur einige Lander zutrifft, furandere nicht, d.h. es kommt zu “Konvergenz-Clubs”, woeinige Schwellenlander zu den Industriestaaten aufschließen,sich aber die Kluft zu anderen Entwicklungslandern weitervergroßert (siehe Tabelle).

S.416

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.1 Das empirische Bild von Wachstum11.1.2 Stilisierte Fakten

Die Rolle des Produktivitatsfortschritts:

I Sei T ein Maß fur die “totale Faktorproduktivitat”, die vomtechnischen Entwicklungsstand der Volkswirtschaft abhangt.

Y = T · f (A,K )

I Wachstum von Y kann nur teilweise durch Wachstum von Aund K erklart werden. Bei gegebenem f muss Wachstum auchdurch Erhohung von T erklart werden.

S.417

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.2 Determinanten von Wachstumsprozessen11.2.1 Bevolkerungentwicklung

I Wachsender Arbeitsinput A fuhrt zu wachsendem Output Y .

Aber:

I Bei gegebener Technologie ist mit einem abnehmendenGrenzertrag der Arbeit zu rechnen. Damit die Grenz-produktivitat der Arbeit mindestens gleich bleibt, musszusatzlich Kapital akkumuliert werden.

I Wachst Y mit derselben Rate wie der Arbeitsinput A, danngibt es kein Pro-Kopf-Einkommenswachstum. Das jedoch istder zu erklarende stilisierte Fakt!

I In den meisten Industriestaaten wachst A kaum noch.

S.418

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.2 Determinanten von Wachstumsprozessen11.2.1 Bevolkerungentwicklung

Neoklassische WachstumstheorieModell von R.M. Solow (1924 –):

I Bevolkerung wachst mit konstanter RatewA = n.

I Ein fester Anteil s des Einkommens wirdgespart = investiert: I = sY .

c©The Nobel Foundation

I Dadurch erhoht sich der Kapitalstock: wK = I/K .I Ergebnis: Im Wachstumsgleichgewicht wachsen A,K ,Y alle

mit derselben Rate n. Pro-Kopf-Einkommen Y /A,Kapitalintensitat K/A und Kapitalkoeffizient K/Y wachsennicht.

I Eine Vereinbarkeit mit einigen stilisierten Fakten erhalt mannur, wenn zusatzlich (exogen) von einem Wachstum von Tausgegangen wird.

S.419

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.2 Determinanten von Wachstumsprozessen11.2.2 Ersparnisbildung und Kapitalstock

Arbeit A ↑ Y = f (A,K ) ↑

S = s · Y ↑(Sparen)

I = ∆K ↑(Investieren)

S = I

S.420

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.2 Determinanten von Wachstumsprozessen11.2.2 Ersparnisbildung und Kapitalstock

I Je hoher die Sparquote, desto starker wird Kapitalakkumuliert, und desto hoher ist das Pro-Kopf-Einkommen imWachstumsgleichgewicht. Aber die Wachstumsrate wirddadurch nicht beeinflusst!

I In einer offenen Volkswirtschaft muss die Ersparnis nichtunbedingt im Inland investiert werden.

I Es kommt auf die Investitionsbereitschaft an. Diese hangtwesentlich vom Grenzertrag des Kapitals ab.

I Andert sich der Grenzertrag des Kapitals und damit der Zins,so passen Haushalte ihr Sparverhalten optimal an.

S.421

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.2 Determinanten von Wachstumsprozessen11.2.3 Innovation und technischer Fortschritt

I Innovationsprozess:

Invention ⇒ Innovation ⇒ Diffusion

I Produktinnovationen (neue Produkte) versusProzessinnovationen (neue Produktionsverfahren)

I Basisinnovationen versusinkrementelle (graduelle) InnovationenBeispiel : Automobil – Verbesserungen beim Otto-Motor

I In der makrookonomischen Produktionsfunktion werden dieProdukt- und Prozessneuerungen nicht abgebildet. Sieerscheinen nur als Anderung der totalen Faktorproduktivitat.

I Schumpeter: “Prozess der schopferischen Zerstorung”;Wachstumsprozess ist immer mit strukturellem Wandelverbunden.

S.422

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.2 Determinanten von Wachstumsprozessen11.2.3 Innovation und technischer Fortschritt

Fortschrittskonzepte:

I Exogener technischer Fortschritt wird nicht innerhalb desModells erklart, sondern vorausgesetzt. Er sollte Eigenschaftenaufweisen, die mit den stilisierten Fakten ubereinstimmen.

I Endogener technischer Fortschritt wird durch okonomischeAktivitaten aus dem Modellzusammenhang heraus erklart:

I Teil des Einkommens wird fur Forschung und Entwicklung(FuE) verwendet.

I Ergebnis des FuE-Prozesses ist unsicher.I Es muss ein FuE-Anreiz bestehen, d.h. die Innovation sollte

Gewinne erzeugen.

S.423

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.2 Determinanten von Wachstumsprozessen11.2.3 Innovation und technischer Fortschritt

Probleme bei der Erzeugung von Innovationen durch FuE:

I Neues technisches Wissen kann die Eigenschaft einesoffentlichen Gutes aufweisen (Kapitel 6):

I Neues Wissen rivalisiert nicht in der Nutzung.I Es besteht (zunachst) keine Ausschließbarkeit von der

Nutzung.

I Vorsprung durch Innovation wird durch Imitation derKonkurrenten nivelliert, so dass keine ausreichenden Gewinneerzielt werden konnen, welche die FuE-Kosten decken⇒ Es wird zu wenig FuE betrieben.

I Losung: Geistige Eigentumsrechte, z.B. Patente. Schutz desInnovators fur eine bestimmte Zeit, so dass Gewinne moglichsind und FuE durchgefuhrt wird.

S.424

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.2 Determinanten von Wachstumsprozessen11.2.3 Innovation und technischer Fortschritt

I Aber: Monopol fuhrt zu Marktineffizienz (Kapitel 5 und 6)

und behindert ggf. weitere Anwendung des neuen Wissens.

I Aufgabe der Politik: Design eines ausgewogenen Systemsgeistiger Eigentumsrechte sowie Kontrolle von entstehenderMarktmacht.

I Grundlagenforschung wird uberwiegend durch offentlicheEinrichtungen betrieben (Universitaten, Forschungs-einrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft,Humboldt-Gesellschaft etc.).

I Angewandte Forschung wird eher von privatenUnternehmen durchgefuhrt.

S.425

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.2 Determinanten von Wachstumsprozessen11.2.4 Bildung und Humankapital

I Faktor Arbeit ist nicht homogen; Fahigkeiten, Fertigkeiten,Kenntnisse konnen durch Akkumulation von Humankapital(v.a. Bildung) erhoht werden.

I Humankapital als gesonderter Produktionsfaktor:

Y = T · f (A,H,K )

I Humankapital hat im Gegensatz zu technischem Wissen eherden Charakter eines privaten Gutes.

I Akkumulation durch Bildung ...I Schulische BildungI HochschulenI Betriebliche Aus- und Weiterbildung

I ... aber auch durch “learning-by-doing”.I Durchschnittliche Zahl der Ausbildungsjahre dient oft als

Messgroße fur Humankapital.S.426

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.2 Determinanten von Wachstumsprozessen11.2.4 Bildung und Humankapital

Durchschnittliche Ausbildungsjahre

Quelle: Bofinger (2007)

S.427

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.2 Determinanten von Wachstumsprozessen11.2.4 Bildung und Humankapital

I Einsatz knapper Mittel im Bildungssektor ⇒ geht derphysischen Produktion verloren, d.h. Opportunitatskosten.

I Humankapital hat unmittelbar produktive Auswirkungen,beeinflusst zudem die Diffusion neuen technischen Wissensund hat positive externe Effekte.

I Investitionen in physisches Kapital in bestimmten Branchenund Regionen nur dann, wenn ausreichend Humankapitalvorhanden.

⇒ Humankapitalbasierte endogene Wachstumstheorie:Humankapital hat erheblichen Einfluss auf das Wachstum;Orientierung der Entwicklungspolitik weg von physischenInvestitionsprojekten hin zur Forderung von Bildung.

S.428

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.2 Determinanten von Wachstumsprozessen11.2.5 Sozialkapital und institutionelle Faktoren

Beeinflussung des Wachstums durch institutionelle Faktoren:

I Stabilitat und Verlasslichkeit formeller politischerInstitutionen, z.B.

I (Nicht-) Anfalligkeit fur KorruptionI Verlassliche durchsetzbare EigentumsrechteI Transparenz staatlicher Entscheidungen

I Informelle Institutionen, z.B.I Verlasslichkeit der VertragseinhaltungI Maß an VertrauenI Soziale Stabilitat (geringe Wahrscheinlichkeit von Unruhen)

I Weitere Faktoren:I Offenheit der VolkswirtschaftI Funktionsfahige Kapitalmarkte

S.429

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.3 Wachstumskritik11.3.1 Wachstum als Ziel?

I “Angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum” istals ein Ziel im Stabilitats- und Wachstumsgesetzfestgeschrieben.

I Die Wachstumstheorie versucht zunachst nur zu erklaren, wiees zu Wachstum kommt. Aus Modellen folgen evtl.wirtschaftspolitische Empfehlungen um ein moglichsteffizientes Wachstumsgleichgewicht zu erreichen(Paretokriterium, Kapitel 5).

I Die Modelle unterstellen, dass Konsumguter Nutzen stiften,und die Nutzenfunktion einen abnehmenden Grenzertrag undNichtsattigung aufweist ⇒ realistisch?

I Darf man Y als naherungsweisen Indikator fur Wohlfahrtverwenden?

S.430

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.3 Wachstumskritik11.3.1 Wachstum als Ziel?

Langerfristige Entwicklung der Wachstumsraten:

(by Alex1011 (Own work), CC BY-SA 3.0)

S.431

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.3 Wachstumskritik11.3.1 Wachstum als Ziel?

Das BIP ist als Wohlfahrtsmaß wenig geeignet:

I Unvollstandigkeit: unzureichende Erfassung von privaterWertschopfung, die nicht von Markten bewertet wird.

I Defensive Ausgaben: Leistungen, welche nur einen erlittenenSchaden kompensieren sollen, erhohen das BIP (Bsp:Autoreparatur und Krankenhausaufenthalt nach Unfall;Maßnahmen zur Reduktion von Umweltbelastungen, die ohneokonomische Aktivitat gar nicht stattgefunden hatten).

I Keine Aussagen uber das hergestellte Guterbundel.

I Keine Aussage uber die Verteilung der Guter.

I “Glucksforschung”: Das Maß empfundener Zufriedenheithangt nur sehr bedingt von der Einkommenshohe ab.

S.432

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.3 Wachstumskritik11.3.1 Wachstum als Ziel?

Alternative Wohlfahrtsmaße: (Beispiele)

I Regionaler Wohlfahrtsindex (TWI) bzw.Nationaler Wohlfahrtsindex (NWI):Diefenbacher, H., Held, B., Rodenhauser, D., Zieschank, R. (2012): NWI

2.0 – Weiterentwicklung und Aktualisierung des Nationalen

Wohlfahrtsindex. Heidelberg/Berlin: FEST/FFU. http:

//fest-heidelberg.de/images/FestPDF/nwi_2_0_langfassung.pdf

I Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen:Hubert, F. (2005), Wohlfahrtsmessung mit dem Human Development

Index. WISU - Das Wirtschaftsstudium, 34 Jg. (2005), 188-193.

S.433

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.3 Wachstumskritik11.3.2 Grenzen des Wachstums?

D.H. Meadows et al. (1972), The Limits of Growth.Beginn einer Debatte uber eine Begrenzung okonomischer Aktivitat durch

I begrenzte nicht-regenerierbare Ressourcen,

I begrenzte Aufnahmefahigkeit der Umwelt von Schadstoffen.

Entwicklung des “Ecological Footprint”:

Source: www.footprintnetwork.orgS.434

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.3 Wachstumskritik11.3.2 Grenzen des Wachstums?

Ressourcenokonomik:

I Ressourcen konnen regenerierbar oder nicht-regenerierbarsein. Es wird angenommen, dass langfristig eineSubstitutionsbeziehung zu anderen Inputfaktoren besteht.

I Einsatz von Ressourcen ist ein dynamisches Optimierungs-problem. Ein wachsender Teil des Outputs Y muss verwendetwerden, um substitutive Inputs (K ,H) zu akkumulieren.

I Zunehmende Knappheit von Ressourcen fuhrt zu steigendenKnappheitspreisen:

I Bisher nicht wirtschaftlich nutzbare Ressourcenbestandekonnen dann genutzt werden.

I Suche nach effizienteren Technologien (steigendeRessourcenproduktivitat).

I Suche nach Technologien, die ganz ohne die Nutzung dieserRessource auskommen.

I Steigende Attraktivitat von Recycling.

S.435

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.3 Wachstumskritik11.3.2 Grenzen des Wachstums?

Umweltokonomik:

I Problem der Externalitat.I Der Anreiz zu umwelt- und ressourcenschonenderen Gutern

und Produktionsmethoden wird durch das Preissystem nurteilweise vermittelt. Der Staat kann den Prozess unterstutzen:

I Korrektur des Preissystems dort, wo Externalitaten vorliegen,oder andere regulierende Eingriffe.

I Unterstutzung von umweltbezogener FuE.I Uberwindung von Markteintrittsbarrieren (z.B. bei

Mindestproduktion in Solarindustrie um Skaleneffekteauszunutzen).

S.436

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.3 Wachstumskritik11.3.2 Grenzen des Wachstums?

Fuhrt technischer Fortschritt und Strukturwandel zu einerEntkopplung von BIP und Umweltverbrauch?

I Ja.I Ecological Footprint pro Einheit BIP nimmt mit zunehmender

Entwicklung ab.I “Environmental Kuznets Curve” bei diversen Emissionen.

I Aber:I Wachst das BIP schneller als die Entkopplung voranschreitet,

steigt die Belastung.I Der Teil des BIP, der fur diese Entkopplung aufgewendet

werden muss, geht anderen Verwendungen verloren(“Leerlaufgrenze”).

I “Rebound-Effekte”

Pasche, M. (2018), Is there green growth in OECD countries? MPRA Working Paper No.87726.

S.437

11. Wachstum, Innovation und wirtschaftlicher Wandel11.3 Wachstumskritik11.3.2 Grenzen des Wachstums?

Brauchen wir De-Growth?

I Wenn es ein Imperativ ist, den Ecological Footprint oder dieCO2-Belastung usw. zu senken, dann besteht ein Wettlaufzwischen der Entkopplung und dem BIP-Wachstum:

EF = k · Y ⇒ EF = k︸︷︷︸<0

+ Y︸︷︷︸>0

≤ 0

I Forcierung der Entkopplung durch wirtschafts- bzw.umweltpolitische Maßnahmen

I Kann man BIP-Wachstum uberhaupt politisch unterbinden?I Der wesentliche Treiber fur BIP-Wachstum ist technischer

Fortschritt – diesen braucht man aber auch fur dieEntkopplung

I Massive Zielkonflikte bei De-Growth, z.B. bei nachhaltigerStaatsverschuldung.

S.438

12. Strategisches Verhalten

Gliederung:

12.1 Strategische Interaktionen: Bei-Spiele

12.2 Nash-Gleichgewichtslosung

12.3 Einige Standard-Spiele

12.4 Dynamische Spiele

12.5 Spiele mit unvollstandiger Information

12.6 Spiele mit bindenden Vertragen

12.7 Rationalitat und Verhalten

Literatur:I Guth, W. (1998), Spieltheorie und okonomische (Bei)Spiele. Springer

(2.Aufl.)

I Rieck, Ch. (1993), Spieltheorie. Gabler.

S.439

12. Strategisches Verhalten12.1 Strategische Interaktionen: Bei-Spiele

Spieltheorie als okonomische Theorie sozialer Interaktion:

I Der Zustand, der von Akteur i bewertet wird, hangt nicht nurvon dessen Entscheidung ab, sondern auch von denEntscheidungen anderer Akteure.

I Bei seiner (optimalen) Entscheidung muss sich Akteur iGedanken uber das Verhalten der anderen Akteure machen.

I Jeder Akteur muss dabei berucksichtigen, dass sich auch dieanderen Akteure Gedanken uber ihn machen, d.h.Erwartungen uber sein Verhalten bilden.

⇒ strategische Interdependenz!

I Die meisten sozialen Interaktionen sind durch Konflikt,Kooperations- oder Koordinationsprobleme gekennzeichnet.

S.440

12. Strategisches Verhalten12.1 Strategische Interaktionen: Bei-Spiele

Strategische Wechselbeziehungen in allen Lebensbereichen:

Beispiele:

I Shell kundigt eine Benzinpreiserhohung an; kurz daraufkundigt auch Aral dieselbe Erhohung an, womit Shellallerdings schon gerechnet hat.

I Unternehmen A erwartet, dass Unternehmen B in den Markteintritt, in dem A eine Monopolstellung hat. Nun meldet A einPatent an, das den Markteintritt fur B prohibitiv teuer macht.B tritt nicht in den Markt ein.

I Die Autofahrer auf der A4 werden im Radio vor einem Staugewarnt; eine Umleitungsempfehlung wird gegeben. EinAutofahrer erwartet, dass alle anderen dieser Empfehlungfolgen und bleibt daher auf der A4. Da diese Uberlegung aberviele angestellt haben, kommt es trotz der Warnung zum Stau.

S.441

12. Strategisches Verhalten12.1 Strategische Interaktionen: Bei-Spiele

Beispiele: (Forts.)I An einer auf

”grun“ springenden Fußgangerampel bewegen

sich zwei Fußgangergruppen aufeinander zu. Wer weicht aus?Und wohin?

I In einer Firma soll ein Team eine Prasentation vorbereiten, diefur das ganze Team zu positiven oder negativenKonsequenzen fuhren kann. Die Arbeit ist sehr anstrengend.Ein Teammitglied uberlegt sich, dass sein Beitrag zumGesamterfolg ohnehin nur gering ist und reduziert seineArbeitsanstrengung.

I Der Erfolg der Politik der Zentralbank hangt stark von ihrerGlaubwurdigkeit ab, mit der sie das Inflationsziel verfolgt. Ineiner konjunkturellen Flaute hatte die Zentralbank dieMoglichkeit, durch expansive Maßnahmen gegenzusteuern. Sietut dies aber nicht, weil sie antizipiert, dass das Publikum inZukunft weniger Vertrauen in ihre Stabilitatsorientierung hat.

S.442

12. Strategisches Verhalten12.1 Strategische Interaktionen: Bei-Spiele

Beispiele (Forts.)I Zwei Lander wurden von einem Abbau der Handelsschranken

profitieren. Dennoch kommt es nicht zu einer solchenLiberalisierung, weil jedes Land noch starker profitieren wurde, wennjeweils nur das andere Land einseitig die Beschrankungen abbaut.

I Auf einer langen Autofahrt larmen und streiten sich zwei Kinder aufdem Rucksitz. Der Vater dreht sich um und

”droht“, die Kinder an

der nachsten Raststatte auszusetzen, wenn sie jetzt nicht ruhigwaren. Nach einem kurzen Schockmoment larmen die Kinder weiter,weil sie antizipieren, dass die

”Drohung“ unglaubwurdig war.

I Der BWL-Absolvent wird in seinem ersten Vorstellungsgesprachuber seine Gehaltsvorstellung befragt. Nennt er einen zu hohenBetrag, wird er den Job nicht bekommen, nennt er einen zuniedrigen Betrag, wird dies als Signal fur die geringeSelbsteinschatzung seiner Leistungsfahigkeit betrachtet. DerAbsolvent muss versuchen, die Zahlungsbereitschaft desArbeitgebers fur leistungsfahige Kandidaten korrekt einzuschatzen.

S.443

12. Strategisches Verhalten12.1 Strategische Interaktionen: Bei-Spiele

Beispiele (Forts.)I Das Kind hilft freiwillig beim Abwaschen, weil es sich davon eine

wohlwollendere Reaktion der Eltern verspricht, wenn es anschließendseine 5 in der Mathe-Arbeit vorzeigt.

I Der Online-Versandhandel liefert dem Kunden eine per Vorauskassebezahlte Ware nicht aus, weil er antizipiert, dass dieser wegen derhohen Transaktionskosten nicht gegen ihn klagen wird.

I Aufgrund der Gefahr, dass Fernsehzuschauer bei einer Werbepauseauf einen anderen Sender umschalten, kommt es zu einer gewissenSynchronisation der Werbepausen unterschiedlicher Sender.

I Gewerkschaften und Arbeitgeberverbande verhandeln uber denLohn.

I Bei einer Abstimmung A im Parlament sagt eine Fraktion denAbweichlern der konkurrierenden Fraktion ihre Unterstutzung inAbstimmung B zu, wenn diese bei Abstimmung A gegen dereneigene Fraktion stimmen.

S.444

12. Strategisches Verhalten12.2 Nash-Gleichgewichtslosung

Grundlagen:

I Spieler i = 1, ..., n

I Strategieraum Si mit Strategie si ∈ Si

Beispiel: SI = {links abbiegen, rechts abbiegen},oder Si = R+ im Fall von Preissetzung

I Sei s−i der Vektor aller Strategien der anderen Spieler.

I Nutzen = “Auszahlung” fur Spieler i : ui (si , s−i )

I Es gibt keine bindenden Absprachen zwischen den Spielern.

I Was macht ein rationaler Spieler?

1. Bildung von Erwartungen serw−i uber das rationale Verhalten der

anderen Spieler.2. Wahl der Strategie s∗i , die den hochsten erwarteten Nutzen

bringt: ui (s∗i , s

erw−i ) ≥ ui (si , s

erw−i ) fur alle si ∈ Si .

S.445

12. Strategisches Verhalten12.2 Nash-Gleichgewichtslosung

Konzept des Nash-GleichgewichtsJ. Nash (1928 – 2015)

I Jeder Spieler wahlt die beste Antwort auf dieerwarteten Strategieentscheidungen deranderen Spieler.

Foto: Elke Wetzig

I In einem Gleichgewichtszustand beruhen die Entscheidungennicht auf systematischem Irrtum. Das rationale Verhalten deranderen Spieler wird antizipiert: serw

−i = s−i .

I Zustand mit wechselseitig besten Antworten:ui (s

∗i , s∗−i ) fur alle i .

⇒ Kein Spieler hat einen Anreiz, als einziger von derStrategiewahl abzuweichen.

S.446

12. Strategisches Verhalten12.2 Nash-Gleichgewichtslosung

I Liegt vollstandige Information vor (alle Informationen sind“gemeinsames Wissen”), so sind alle Spieler in der Lage, ihrVerhalten wechselseitig zu antizipieren und somit eineNash-Losung zu bestimmen.

I Probleme:I Existiert immer ein Nash-Gleichgewicht?I Ist das Nash-Gleichgewicht eindeutig?

Was passiert im Fall mehrerer Gleichgewichte?I Ist das Nash-Gleichgewicht pareto-effizient?

S.447

12. Strategisches Verhalten12.2 Nash-Gleichgewichtslosung

Ermitteln einer Nash-Losung in einem Spiel (Matrixform)

I Fur jede Entscheidung des Spaltenspielers ermittelt derZeilenspieler seine beste Antwort (die entsprechendeAuszahlung ist fett gedruckt).

I Fur jede Entscheidung des Zeilenspielers ermittelt derSpaltenspieler seine beste Antwort (die entsprechendeAuszahlung ist fett gedruckt).

I Eintrage, bei denen beide Auszahlungen fett gedruckt sind,stellen somit wechselseitig beste Antworten dar(Nash-Losung).

links Mitte rechts

oben 7,5 4,4 4,5unten 8,3 6,4 3,3

Hier: zwei Nash-Gleichgewichte, beide pareto-ineffizient.S.448

12. Strategisches Verhalten12.3 Einige Standard-Spiele

Gefangenendilemma:

Spieler AK D

K (3, 3) (0, 5)Spieler B

D (5, 0) (1, 1)

I”K“ooperieren,

”D“efektieren.

I D ist eine sog.”dominante Strategie“ und

(D,D) die (Nash-) Losung des Spiels.

I Beide wurden sich mit (K ,K ) besser stellen, d.h. dieNash-Losung ist pareto-ineffizient. Individuell rationalesHandeln fuhrt zu kollektiv ineffizienten Ergebnissen.

I Beispiel: offentliche Guter

S.449

12. Strategisches Verhalten12.3 Einige Standard-Spiele

Kampf der Geschlechter (battle of sexes):

ErTanzen Tennis

Tanzen (2, 1) (0, 0)Sie

Tennis (0, 0) (1, 2)

I Koordinationsproblem: zwei (Nash-) Losungen

I Zwar gibt es unterschiedliche Praferenzen bezuglich Tanzenund Tennis, aber ein dominierendes gemeinsames Interesse aneiner gemeinschaftlichen Tatigkeit.

S.450

12. Strategisches Verhalten12.3 Einige Standard-Spiele

Chicken Game:

Achicken tough

chicken (0, 0) (−10, 5)B

tough (5,−10) (−100,−100)

I Film”Denn sie wissen nicht, was sie tun“ (1955).

I Koordinationssproblem: zwei (Nash-) Losungen

I rein antagonistische Interessen

S.451

12. Strategisches Verhalten12.3 Einige Standard-Spiele

Matching Pennies:

AKopf Zahl

Kopf (−1, 1) (1,−1)B

Zahl (1,−1) (−1, 1)

I Diskoordinationsspiel: kein Gleichgewicht in reinen Strategien

I (Nash-) Losung in sog.”gemischten Strategien“

I Beispiel: Torwart – Torschutze

S.452

12. Strategisches Verhalten12.4 Dynamische Spiele

I Spielablauf in der Zeit, wo Spieler die zuvor getroffenenEntscheidungen (zumindest teilweise) beobachten konnen.

I Wiederholte “einfache” Spiele (endlich oft, unendlich oft)

Beispiel : Wiederholtes Gefangenendilemma, dynamischeStrategie “Tit for Tat”

I Komplexere dynamische Entscheidungsstrukturen:

Darstellung als Spielbaum, bestehend aus “Knoten”(Situation, in der ein Spieler eine Entscheidung treffen muss)und “Kanten” (Entscheidungen), die eventuell zu neuenKnoten fuhren, sowie den Auszahlungsvektoren fur die Spieler.

I Strategie = Verhaltensplan fur das gesamte dynamische Spiel,d.h. Entscheidungen fur jeden Knoten, zu dem der Spielergelangen konnte.

S.453

12. Strategisches Verhalten12.4 Dynamische Spiele

A

B

(., .)

x

(., .)

y

a

B

(., .)

m

A

(., .)

c

(., .)

d

n

b

Strategiemenge Spieler A: {a, (b, c), (b, d)}Strategiemenge Spieler B: {(x ,m), (x , n), (y ,m), (y , n)}

S.454

12. Strategisches Verhalten12.4 Dynamische Spiele

I Ruckwartsinduktion: Die optimale Entscheidung einesSpielers an einem bestimmten Knoten kann von demvorhergehenden Spieler antizipiert werden! Seine optimaleEntscheidung beruht auf dieser Antizipation.

I Nash-Gleichgewicht auch fur dynamische Spiele anwendbar.Aber : Nicht alle Nash-Gleichgewichte sind plausibel!

Teilspielperfektes Nash-Gleichgewicht(R. Selten, 1930 – 2016):

I Strengeres Konzept, bei dem alleGleichgewichte eliminiert werden, die aufunglaubwurdigen Ankundigungen beruhen.Rationale Spieler antizipieren, dassunglaubwurdige Strategieankundigungennicht realisiert werden wurden. Foto: Tohma

S.455

12. Strategisches Verhalten12.4 Dynamische Spiele

Beispiel:

A

B

(5, 10)

b1

(1, 2)

b2

a1

B

(10, 5)

B1

(0, 0)

B2

a2

Optimale Wahl von B: (b1,B1).Dies wird von A antizipiert. Dessen optimale Wahl: a2

Losung: (a2, (b1,B1)).

S.456

12. Strategisches Verhalten12.4 Dynamische Spiele

In Matrixform sieht das Spiel aber so aus:

a1 a2

{b1,B1} (10,5) 5,10{b1,B2} (10,5) (0,0)

{b2,B1} (2,1) (5,10){b2,B2} (2,1) (0,0)

Es gibt drei Nash-Gleichgewichte!

Beispiel (a1, (b1,B2)). Spieler A wahlt a1, weil Spieler B “droht”andernfalls B2 zu spielen (was fur Spieler A ungunstig ist). Jedochist diese Drohung unglaubwurdig, weil B sich damit selbst schadenwurde.

S.457

12. Strategisches Verhalten12.5 Spiele mit unvollstandiger Information

I Die Auszahlungsfunktion ui (·) sei private Information vonSpieler i ⇒ Unsicherheit fur andere Spieler. Beispiele:

I Unsicherheit bezuglich der subjektiven Praferenzen einesIndividuums.

I Unsicherheit bezuglich der Zielfunktion der Zentralbank.I Unsicherheit bezuglich der verwendeten Technologie des

Konkurrenten (und damit der Gewinnfunktion).

I Bildung von Erwartungen bezuglich des (optimalen)Verhaltens des anderen Spielers:

1. Festlegung moglicher Auspragungen von ui

(Spieler i ist vom Typ 1,2,...)2. Zuweisung von (subjektiven) Wahrscheinlichkeiten

zu diesen Spielertypen.

S.458

12. Strategisches Verhalten12.5 Spiele mit unvollstandiger Information

I Strategiewahl:

1. Ermittlung der jeweils optimalen Strategien von Spieler i , wenner vom Typ 1,2,... ware.

2. Ermittlung des erwarteten Verhaltens durch Gewichtung mitden Wahrscheinlichkeiten.

3. Wahl der besten Antwort auf das erwartete Verhalten.

I Das Nash-Losungskonzept ist im Prinzip auch hier anwendbar.

I Durch die Wahl der Strategie si konnen evtl. Informationen uberden Typ von Spieler i offenbart werden.

I Im Spielverlauf werden die Erwartungen entsprechend derbeobachteten Entscheidungen angepasst.

I Strategiewahl hat Signalcharakter: Man kann mit ihr gezielt dieErwartungen der anderen beeinflussen.

S.459

12. Strategisches Verhalten12.5 Spiele mit unvollstandiger Information

I Interesse, dass den anderen Spielern der eigene wahre Typoffenbart wird ⇒ Strategiewahl muss ein glaubwurdigesSignal beinhalten: Strategiewahl, die kein anderer rationalerTyp jemals treffen wurde.

I Interesse, die Informationsasymmetrie aufrechtzuerhalten,d.h. den Typ zu verschleiern ⇒ Wahl von Strategien, die nichteindeutig auf einen Typ schließen lassen.

I Aufbau von Reputation: Wahl von Strategien, welche dieWahrscheinlichkeitserwartungen der anderen auf einenbestimmten Typ konzentrieren (egal, ob dieses der wahre oderder falsche Typ ist).

S.460

12. Strategisches Verhalten12.5 Spiele mit unvollstandiger Information

Beispiele:

I Bachelor-Studentin will kunftigem Arbeitgeber ihreintellektuelle Leistungsfahigkeit signalisieren, indem siezunachst Zeit in ein Master-Studium investiert.

I Unsicherheit uber die Innovationsleistungen einesKonkurrenten: Dieser kundigt bereits ein technischuberlegenes Produkt an, welches er jedoch noch gar nicht(fertig) entwickelt hat.

I Unsicherheit bezuglich der Zahlungsfahigkeit eines Staates:Regierung beschließt drastische Sparmaßnahmen, um kunftigeZahlungsfahigkeit zu signalisieren und Investoren zum Kaufmoderat verzinster Schuldverschreibungen zu bewegen.

S.461

12. Strategisches Verhalten12.6 Spiele mit bindenden Vertragen

I Bisher sind wir davon ausgegangen, dass die Strategiewahl nichtdurch bindende Vertrage festgelegt wird. Ein Gleichgewicht darfdeshalb keinen Anreiz zum individuellen Abweichen bieten(“nicht-kooperative Spieltheorie”).

I Wenn bindende Vertrage moglich sind (“kooperativeSpieltheorie”), dann kann im Prinzip jeder beliebige Strategievektor(si , s−i ) realisiert werden.

I Die Kosten der Sanktionen, welche den Vertrag bindend machen,werden nicht betrachtet.

I Fragestellungen:I Welche Eigenschaften hat ein bindender Vertrag, dem alle

Spieler zustimmen konnen?I Wie konnen Spieler Einigung uber eine solche Losung erlangen

(Theorie der Verhandlungen)?I Wie konnen Teile der Spielermenge Koalitionen bilden, um ihre

Interessen gegen die anderer Spieler besser durchsetzen zukonnen?

S.462

12. Strategisches Verhalten12.7 Rationalitat und Verhalten

I Die klassische Spieltheorie geht von rationalen Spielern aus:Maximierung des individuellen (erwarteten) Nutzens.

I Das strategische Denken erfordert, sich in die rationalenUberlegungen der anderen Spieler hineinversetzen undderen Verhalten antizipieren zu konnen.

I Dabei ist zu berucksichtigen, dass auch die anderen SpielerErwartungen uber einen selbst anstellen (Erwartungen uberdie Erwartungen etc. ⇒ gemeinsames Wissen).

⇒ extrem hoher Informationsverarbeitungsbedarf,extrem hohe Anforderungen an Rationalitat.

S.463

12. Strategisches Verhalten12.7 Rationalitat und Verhalten

Verhaltensorientierung und beschrankte Rationalitat:

I Experimentelle Spieltheorie: Spieler orientieren sich nichtnur an den eigenen Auszahlungen, sondern auch an denenanderer Spieler (Neid, Fairness, Altruismus etc., allgemein:soziale Praferenzen).

I Fahigkeiten zu fehlerfreier Informationsaufnahme und-verarbeitung und dem Durchdringen komplexer strategischerWechselbeziehungen sind begrenzt. Entscheidungen sindbeschrankt rational, d.h. nicht zwangslaufig optimal.

I Einfache Entscheidungsheuristiken, Suche nach “hinreichendguten” statt optimalen Entscheidungen.

I Verhalten auch durch Normen und Regeln bestimmt (z.B.Bewertungen von Handlungen selbst anstatt nur derHandlungsergebnisse).

S.464

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung

Gliederung:

13.1 Ziele empirischer Wirtschaftsforschung

13.2 Datengrundlagen und Methoden13.3 Experimente und Verhaltensokonomik

13.3.1 Laborexperimente13.3.2 Beispiele

13.4 Was folgt daraus fur die VWL?

Literatur:I Wewel, M.C. (2006), Statistik im Bachelor-Studium der BWL und VWL.

Pearson Studium.

I Bofinger, P., Schmidt, R. (2002), Nobelpreis fur Wirtschafts-wissenschaften 2002 an Daniel Kahneman und Vernon L. Smith. WiSt,Heft 2, 107-111.

I Thaler, R. (2018), Misbehaving: Was uns die Verhaltensokonomik uberunsere Entscheidungen verrat. Siedler Verlag.

I Kahneman, D. (2011), Thinking, Fast and Slow. Penguin Books.

S.465

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.1 Ziele empirischer Wirtschaftsforschung

1. Testen von Hypothesen:

I Theorie erklart einen Zusammenhang zwischen A und B. Istdie Erklarung mit den Daten vereinbar?

⇒ Hypothesentests wichtig fur die Uberprufung undWeiterentwicklung wissenschaftlicher Theorien.

I Test der entsprechenden Hypothese bzw. Gegenhypothese.

I Negativer Test: Hypothese muss verworfen werdenPositiver Test: Hypothese kann nicht verworfen werden.

I “Nicht verworfen” bedeutet aber nicht, dass die Theorie“wahr” ist, d.h. es ist kein “Beweis” fur die Theorie.

I Beispiel: “Haben Raucher und Nichtraucher dasselbeLungenkrebsrisiko?”

S.466

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.1 Ziele empirischer Wirtschaftsforschung

2. Parameterschatzung:

I Theorien treffen Aussagen uber Zusammenhange, lassen aberdie Quantifizierung offen.

I Beispiele:I Wie hoch ist die Preiselastizitat der Benzinnachfrage?I Wie stark reagiert die Investitionsnachfrage oder die

Inflationsrate auf einen Zinsimpuls der Zentralbank?I Lernen Schuler in kleinen Klassen besser? (Zusammenhang von

Noten und Klassenstarke)

I Empirische Zusammenhange werden quantitativ durchSchatzungen bestimmt.

S.467

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.1 Ziele empirischer Wirtschaftsforschung

3. Prognosen:

I Theorien, die nicht verworfen wurden, fuhren zu Modellen mitgeschatzten Parametern, mit deren Hilfe man Prognosendurchfuhren kann.

I Anpassung der Modellparameter an empirische Datendergestalt, dass die vergangenen Zeitreihen durch das Modellmoglichst gut abgebildet werden.

I Fortschreibung des Modells in die Zukunft (Annahme, dass diezugrunde liegenden Strukturen unverandert bleiben).

I Abschatzung der Prognosefehler.

I Untersuchung von Fragestellungen wie“Was passiert, wenn ...?”

S.468

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.2 Datengrundlagen und Methoden

I Langsschnittdaten (Zeitreihen)

2001 2002 2003 2004 2005 2006

Konsum 1201 1290 1299 1110 1355 1357

I QuerschnittdatenPerson 1 Person 2 Person 3 Person 4 Person 5

2002 1201 1250 980 1810 879

I Paneldaten: Wiederholte Befragung derselben Adressaten imZeitablauf

Person 1 Person 2 Person 3 Person 4 Person 5

2002 1201 1250 980 1810 17552003 1224 1251 1002 1750 17552004 1224 1251 1001 1790 17532005 1299 1251 984 1810 1751

S.469

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.2 Datengrundlagen und Methoden

Datenerhebende Institutionen (Bsp.):

I Statistisches Bundesamt

I Europaische ZentralbankI Wirtschaftsforschungsinstitute, z.B.

I ifo-Institut: ifo-GeschaftsklimaindexI DIW: Soziookonomisches Panel (SOEP)

I OECD

I Weltbank

I WTO

I etc. etc.

S.470

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.2 Datengrundlagen und Methoden

I Daten aus kontrollierten Prozessen: ExperimentelleOkonomik

versus

Daten aus unkontrollierten Prozessen (Felddaten):

I Probleme bei unkontrollierten Prozessen – BeispielZusammenhang von Zinspolitik der Zentralbank undInflationsrate:

I Auf die Inflationsrate wirken gleichzeitig aber auch noch vieleandere Großen ein, z.B. Olpreis und der Wechselkurs.

I Zusatzliche Erhebung der Olpreis- und Wechselkursdaten.I Es kann aber sein, dass der Olpreis- und der Wechselkurs

korreliert sind, auch kann die Zinspolitik den Wechselkursbeeinflussen, d.h. die die Inflationsrate erklarenden Großen sindvoneinander abhangig ⇒ Problem!

I Theoretisch zu erwartende Abhangigkeit von Große XY kannnicht uberpruft werden, wenn sich XY kaum verandert.

S.471

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.2 Datengrundlagen und Methoden

Schatzung von Parametern: Beispiel einer Regressionsanalyse

I Keynesianische Konsumfunktion C (Y ) = C a + cY

I Es ist C die abhangige Variable, Y die unabhangige Variable.

I Funktionale Form bekannt, Parameter C a und c sind zuschatzen.

I Schatzgleichung: C = C a + cY + ε mit ε als normalverteilterZufallsvariable (Erwartungswert Null).

I Nach der “Methode der kleinsten Quadrate” werden dieParameter so bestimmt, dass die quadrierten Abweichungen(Residuen) zwischen gemessenem Wert und dem gemaßKonsumfunktion prognostizierten Wert minimiert werden.

S.472

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.2 Datengrundlagen und Methoden

C

Y

Residuum

Resultat (Beispiel): C (Y ) = 1021 + 0.79Y .

S.473

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.2 Datengrundlagen und Methoden

I Eine statistische Korrelation ist keine Kausalitat!Korrelation zwischen A und B kann bedeuten, dass

I A von B abhangt (durch B “verursacht” ist),I B von A abhangt (durch A “verursacht” ist),I A und B wechselseitig voneinander abhangen,I A und B von einer dritten Variablen abhangen.

I Erweiterungen des Regressionsmodells:

I Unabhangige Variable hangen von vielen Regressoren ab.I Simultane Schatzung mehrerer GleichungenI Nichtlineare AbhangigkeitenI usw.

S.474

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.2 Datengrundlagen und Methoden

Hypothesentest:

I Bei einem deterministischen hypothetischen ZusammenhangA→ B reicht eine Beobachtung aus, bei der aus A nicht Bfolgt, so dass der Zusammenhang durch die Daten widerlegt(falsifiziert) ist.

I Bei statistischen Zusammenhangen ist der behaupteteZusammenhang lediglich sehr wahrscheinlich, Abweichungensind moglich. Bei einem Hypothesentest wird daher dieWahrscheinlichkeit von Fehlurteilen kontrolliert.

I Nullhypothese H0: Die zu testende Hypothese. In der Regelwird die theoretische Aussage dabei umgedreht.

I Alternativhypothese H1: Die logische Gegenhypothese.

S.475

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.2 Datengrundlagen und Methoden

I Fehler 1. Art: Nullhypothese wird irrtumlich verworfen(falsch positive Aussage fur die Gegenhypothese). Fur dieWahrscheinlichkeit dieses Fehlers wird ein Signifikanzniveaufestgelegt, z.B. α = 0.05. D.h. falls die Daten zeigen, dass dieNullhypothese unzutreffend ist, ist die Wahrscheinlichkeitdafur, dass das korrekt ist, 1− α = 0.95.

I Fehler 2. Art: Die Nullhypothese wird irrtumlich beibehalten,wenn eigentlich die Alternativhypothese wahr ist.

S.476

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.2 Datengrundlagen und Methoden

Wachstumsprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute:

a) Gemeinschaftsprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute

Jahr Gutachten Wachstumsrate DeutschlandPrognose tatsachlich

2005 Fruhjahrsgutachten 2004 1,5 0,8Herbstgutachten 2004 1,5Fruhjahrsgutachten 2005 0,7Herbstgutachten 2005 0,8

2006 Fruhjahrsgutachten 2005 1,5 3,4Herbstgutachten 2005 1,2Fruhjahrsgutachten 2006 1,8Herbstgutachten 2006 2,3

2007 Fruhjahrsgutachten 2006 1,2 2,7Herbstgutachten 2006 1,4Fruhjahrsgutachten 2007 2,4Herbstgutachten 2007 2,6

2008 Fruhjahrsgutachten 2007 2,4 1,0Herbstgutachten 2007 2,2Fruhjahrsgutachten 2008 1,8Herbstgutachten 2008 1,8

2009 Fruhjahrsgutachten 2008 1,4 -4,7Herbstgutachten 2008 0,2Fruhjahrsgutachten 2009 -6,0Herbstgutachten 2009 -5,0

2010 Fruhjahrsgutachten 2009 -0,5 3,6Herbstgutachten 2009 1,2Fruhjahrsgutachten 2010 1,5Herbstgutachten 2010 3,5

S.477

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.2 Datengrundlagen und Methoden

b) Prognosen des Sachverstandigenrates

Jahr Gutachten Wachstumsrate DeutschlandPrognose tatsachlich

2005 Jahresgutachten 2004/05(veroffentl. November 2004) 1,4 0,8

2006 Jahresgutachten 2005/06(veroffentl. November 2005) 1,0 3,4

2007 Jahresgutachten 2006/07(veroffentl. November 2006) 1,8 2,7

2008 Jahresgutachten 2007/08(veroffentl. November 2007) 1,9 1,0

2009 Jahresgutachten 2008/09(veroffentl. November 2008) 0,0 -4,7

2010 Jahresgutachten 2009/10(veroffentl. November 2009) 1,6 3,6

S.478

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.2 Datengrundlagen und Methoden

Mogliche Erklarungen:

I Fehlspezifizierte Modelle

I Sehr viele Einflussfaktoren, große Unsicherheit

I Ergebnisse nicht unbedingt robust gegenuber plotzlichenParameteranderungen

I Problem struktureller Anderungen (es wurden hier die Jahreum die Globale Finanzkrise ausgewahlt!)

I Verhaltensanpassungen aufgrund der Prognosen

S.479

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.3 Experimente und Verhaltensokonomik13.3.1 Laborexperimente

Vorzuge von Laborexperimenten:

I Kontrollierte Bedingungen: systematische Variation einzelnerEinflussgroßen, Konstanthalten aller ubrigen Einflussgroßen

I Wiederholbarkeit (ahnlich wie in Naturwissenschaften)

I Bedingungen so anpassbar, dass gezielte Testswissenschaftlicher Hypothesen moglich sind.

Probleme:

I Verhalten im Labor 6= Verhalten im Alltag

I Daher qualitative Zusammenhange erfassbar, aber keinebelastbaren quantitativen Aussagen

I Teilnehmer durfen es nicht nur als “Spiel” auffassen, daherreale monetare Entlohnungen (teuer!)

I Teilnehmerauswahl oft nicht reprasentativ

S.480

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.3 Experimente und Verhaltensokonomik

Einige interessante Ergebnisse:

Einzelne Individuen:

I Verhalten sich nicht unbedingt konsistent (Verstoße gegen dieAxiome der Nutzentheorie, z.B. Transitivitat).

I Bei strukturell identischen Situationen hangt das Verhalten von derverbalen Formulierung des Problems ab (“Framing”).

I Evidenz fur die Verwendung einfacher Entscheidungsheuristiken.

Strategische Interaktionen:

I Auszahlungen anderer Spieler spielen eine Rolle (z.B. Neid,Altruismus, Fairness).

I Die vermuteten Absichten anderer Spieler sind relevant.

I Verhalten ist fairer und kooperativer, als es beieigennutzorientierten rationalen Individuen zu vermuten ware.

I Personlicher Kontakt (Augenkontakt, unverbindlicheKommunikation etc.) hat einen Einfluss.

S.481

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.3 Experimente und Verhaltensokonomik

Beispiel: Ultimatum-Spiel

X Y

Vorschlag

(qx , qy = F − qx )

zustimmen

(qx , qy )

ablehnen

(0, 0)

I Spieler X macht einen Vorschlag, wie die gegebene RessourceF auf beide Spieler aufgeteilt werden soll. Spieler Y kann demzustimmen oder auch nicht.

I Nash-Losung: [qX = F − ε, qY = ε] mit ε ≥ 0 nahe Null,sowie Zustimmung von Y .

I Alle Allokationen sind pareto-effizient.

S.482

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.3 Experimente und Verhaltensokonomik

Typische Ergebnisse:

I Der großte Teil der Vorschlage fur qY (ca. 60-80%) ist imIntervall qY = [0.4F , 0.5F ] (“faire” Aufteilung).

I Der Anteil der qY -Vorschlage im Intervall [0, 0.2F ] (also naheder Nash-Losung) ist vernachlassigbar gering.

I qY -Vorschlage, die deutlich unterhalb 50% von F liegen,werden mit zunehmender Wahrscheinlichkeit abgelehnt.

S.483

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.3 Experimente und Verhaltensokonomik

Mogliche Erklarungen:

I Altruismus? Dann wurde das auch fur Spieler Y gelten unddieser musste jeden Vorschlag annehmen. Außerdem: Deutlichsinkende qY -Vorschlage, wenn keine Vetomoglichkeit von Ybesteht (Diktatorspiel).

I Ungleichheits-Aversion? Bei Spieler X ergabe sichWiderspruch beim Diktatorspiel. Aber Spieler Y konnte aversgegen Ungleichheit (bzw. neidisch) sein, was X antizipiert.

I Praferenz fur Fairness?

S.484

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.3 Experimente und Verhaltensokonomik

Beispiel: Offentliches-Gut-Spiel

I Spieler i = 1, .., n, jeweils mit Anfangsausstattung y .

I Sei gi ∈ [0, y ] der Beitrag von Spieler i zum offentlichen Gut.

I Auszahlungsstruktur:

maxgi∈[0,y ]

Πi = y − gi + an∑

j=1

gj ,1

n< a < 1

I Individuell rationales Verhalten fuhrt zum optimalen Beitraggi = 0 (Trittbrettfahrer-Verhalten).

I Pareto-effizient ware dagegen gi = y (zum Beispiel).

S.485

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.3 Experimente und Verhaltensokonomik

Mogliche Designs des Experiments:

I Das Spiel wird i.d.R. mehrere Runden wiederholt.

I Sollen die Spieler (a) uber die durchschnittlichen Beitragebzw. (b) uber alle individuellen Beitrage in der vorigen Runde,oder (c) uberhaupt nicht informiert werden?

I Spiel in großen oder in kleinen Gruppen (typischeGruppengroße: 5-10)

I Mogliche kostentrachtige Bestrafung von Trittbrettfahrern derVorrunde.

I usw.

S.486

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.3 Experimente und Verhaltensokonomik

Typische Ergebnisse:

I Freiwillige Beitrage sind deutlich hoher als Null, aber auch geringerals die Anfangsausstattung (meist ca. 50% von y).

I In wiederholten Spielen sinken die durchschnittlichen Beitrage etwas,in der letzten Runde gehen sie deutlich zuruck (“Endrundeneffekt”).

Typische Verhaltensmuster:

I Etwa 20% Trittbrettfahrer mit Beitragen nahe Null.

I Etwa 50% bedingt Kooperative, die in dem Maß kooperieren, wieauch die anderen dies tun ⇒ Reziprozitat.

I Etwa 20% Opportunistisch-Kooperative, die fur kleine und mittlereBeitrage der anderen sich bedingt kooperativ verhalten (s.o.), beihohen Beitragen der anderen aber zu Trittbrettfahrern werden.

I Etwa 10 % sonstige.

S.487

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.3 Experimente und Verhaltensokonomik

Beispiel: Vertrauensspiel

trustor

trustee

N

(s, 0)

T

E

(0, 1)

R

(1, r)

I Legende: Non-Trust, Trust, Exploit, Reward, 0 < r , s < 1I Wechselseitig vorteilhafte Interaktion setzt Vertrauen (T) und

Verrtrauenswurdigkeit (R) voraus.I Nash-Losung: (N,E)

S.488

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.3 Experimente und Verhaltensokonomik

Empirische Beobachtungen:

I Es gibt mehr Vertrauen und Vertrauenswurdigkeit als dieStandardtheorie erwarten lasst, insbesondere bei Spielvariante,bei der sich der “Grad” des Vertrauens und derVertrauenswurdigkeit messen lasst.

I Rolle von Kommunikation und “Bitte um Verzeihung” (imFall von E) bei wiederholten Spielen.

Theoretische Bedeutung:

I Ko-Evolution von Vertrauen und Vertrauenswurdigkeit alssoziale Norm, welche Tauschvorteile ermoglicht.

I Auffassung von Vertrauen als “soziales Kapital” bzw.informelle Institution

S.489

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.4 Was folgt daraus fur die VWL?

Positive Theorie:

I Modelle perfekter Rationalitat empirisch kaum haltbar⇒ neue deskriptive Verhaltensmodelle⇒ aber wie normativ begrundbar?

I Eigennutz und Steuerung durch (monetare Anreize) empirischfragwurdig⇒ komplexere Motivationen (soziale Praferenzen, intrinsischeMotivation, Praferenzen nicht nur uber Handlungsergebnisse)⇒ im Prinzip vereinbar mit dem Rationalmodell

Normative Theorie:

I “Neoklassischer Reparaturbetrieb”?

I Erweiterung und Verallgemeinerung zu Modellen beschranktrationalen Verhaltens? (z.B. Prospect Theory)

I Radikale Alternativen wie z.B. Verhaltensheuristiken?

S.490

13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.4 Was folgt daraus fur die VWL?

Beispiele fur verhaltensokonomische Implikationen:

I Theorie optimaler Vertrage:I Standardtheorie: Moral Hazard ⇒ Konstruktion

anreizkompatibler Vertrage (z.B. “Effizienzlohn”)I Aber: intrinsische Motivation zu Loyalitat – Crowding-Out

durch monetare Anreize – (De-) Motivation durchLohnvergleiche (“fair wages”)

I Theorie offentlicher Guter:I Standardtheorie: Problem des TrittbrettfahrerverhaltensI Aber: Motivation zu freiwilliger Kooperation – unter welchen

Bedingungen wird bedingte Kooperation gefordert?I Theorie der Erwartungsbildung:

I Standardtheorie: rationale ErwartungenI Aber: Selektive Wahrnehmung von Informationen – Biases in

der Informationsverarbeitung – HeusristikenI Aber: Sollten Modlle auf der Annahme beruhen, dass sich die

Akteure systematisch tauschen?

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13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.4 Was folgt daraus fur die VWL?

Die Diskussion um “Nudging”:

I Ausnutzung verhaltensokonomischer Besonderheiten (oder“Anomalien”): Gestaltung der Entscheidungssituationdergestalt, dass Menschen “bessere” Entscheidungen treffen.Kein Zwang, keine Intransparenz.

I Nicht-paternalistisches Nudging (etwa bei Marktversagen):Beeinflussung dergestalt, dass kollektiver Effizienzgewinnentsteht; weniger invasiv als z.B. Besteuerung oder Verbote.

I Paternalistisches Nudging : Beeinflussung dergestalt, dassAkteur Entscheidungen trifft, die mehr im Einklang mit seineneigenen Praferenzen stehen ⇒ umstritten!

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13. Empirische und experimentelle Wirtschaftsforschung13.4 Was folgt daraus fur die VWL?

Fur Interessierte zum Weiterlesen:

I Pasche, M. (2014), Soft Paternalism and Nudging – Critiqueof the Behavioral Foundations. MPRA Working Paper No.61140.

I Schnellenbach, J., Schubert, C. (2014), Behavioral PoliticalEconomy: Ein neues Forschungsfeld. WiSt Heft 12/2014,658-662.

I Schubert, C. (2017), Grune Nudges. WiSt Heft 2/2017, 84-88.

Masterprogramm (M.Sc. Economics): Modul “Topics in BehavioralEconomics”

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