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Kapitel 4
Einfache Theorie chemischer
Elementarreaktionen und die
Temperaturabhängigkeit der
Geschwindigkeitskonstanten
Ziel dieses Kapitels ist ein einfaches Verständnis der Temperaturabhängigkeit der Geschwin-
digkeitskonstanten chemischer Elementarreaktionen. Ausgangspunkt für unsere Darstellung ist
eine elementare statistisch-thermodynamische Behandlung der kinetischen Primärprozesse. Die-
se geht im Verständnis etwas tiefer als eine rein formal quasithermodynamische Diskussion etwa
im Rahmen der thermodynamischen Formulierung der Theorie des Übergangszustandes. Aller-
dings müssen einige Konzepte, die erst in der Vorlesung PC VI, Statistische Thermodynamik,
vorweggenommen werden.
4.1 Populationsverteilung
In der statistischen Mechanik stellt sich die Frage nach der Verteilung der Moleküle auf die Ener-
giezustände im thermischen Gleichgewicht. Im Rahmen der klassischen Mechanik sind beliebige,
kontinuierliche Energiewerte möglich, in der Quantenmechanik für manche molekularen Bewe-
gungen nur diskrete Energien. Es werden hier zunächst die wichtigsten Ergebnisse für diskrete
Energien zusammengefasst und danach auf den kontinuierlichen Fall übertragen.
127
128 KAPITEL 4. THEORIE DER ELEMENTARREAKTIONEN
4.1.1 Boltzmannverteilung auf Energieniveaus im thermischen Gleichgewicht
und chemische Gleichgewichtskonstante
Es seien zwei Energiezustände Ei und Ej gegeben, deren Besetzungswahrscheinlichkeiten (oder
einfach “Besetzungen”) mit pi und pj bezeichnet werden (Bild 4.1). Als Besetzungswahrschein-
lichkeit pj bezeichnet man also die Wahrscheinlichkeit, bei einer Temperatur T ein Atom oder
Molekül – oder allgemein ein Quantensystem – im Energiezustand Ej vorzufinden:
pj = Cj∑ k
Ck (4.1)
wobei Cj die Konzentration der Moleküle im Quantenzustand Ej ist.
Das Boltzmann-Verteilungsgesetz liefert als Ergebnis das Verhältnis der beiden Besetzungen für
jede Temperatur T , und zwar: pj pi
= exp
( −(Ej − Ei)
kBT
) (4.2)
mit
kB = R
NA = 1.38066× 10−23 J K−1, Boltzmannkonstante (4.3)
Das Boltzmann-Verteilungsgesetz lässt sich elementar aus der barometrischen Höhenformel her-
leiten, fundamental folgt es aus der mikrokanonischen Gleichverteilung. Wir wollen das Ergebnis
hier ohne Herleitung als Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen akzeptieren. Die Sum-
me der Besetzungen aller einzelnen Energiezustände sei auf eins normiert, d.h. man betrachtet
Besetzungswahrscheinlichkeiten ∑ j
pj = 1 (4.4)
Also gilt für die Besetzung eines Zustandes
pj = 1
Q exp
( − Ej kBT
) (4.5a)
mit der kanonische Zustandssumme
Q = ∑ j
exp
( − Ej kBT
) (4.5b)
Es ergibt sich oft, dass mehrere Energiezustände für dieselbe Energie existieren, man spricht
von entarteten Energiezuständen. Diese Zustände derselben Energie können in Gruppen oder
”Niveaus” zusammengefasst werden, wobei die Zahl der Zustände gJ zur Energie EJ statistisches
Gewicht heisst (wir verwenden hier grosse Indices für solche entarteten Niveaus, man spricht auch
von der Entartung oder der Polytropie gJ):
pJ = gJ 1
Q exp
( − EJ kBT
) (4.6)
PCII - Chemische Reaktionskinetik
4.1. POPULATIONSVERTEILUNG 129
Q = ∑ J
gJ exp
( − EJ kBT
) = ∑ j
exp
( − Ej kBT
) (4.7)
Man beachte die unterschiedlichen Summationsindices in Gl. (4.7), wobei wir hier durch gros-
se Indices entartete Niveaus J von einzelnen Quantenzuständen j unterscheiden. Mittels des
Boltzmann-Verteilungsgesetzes lässt sich nun die chemische Gleichgewichtskonstante eines Sy-
stems aus den molekularen Eigenschaften berechnen. Als Beispiel sei eine Isomerisierungsreak-
tion (A = B) aufgeführt (siehe Bild 4.1).
∆E
E
E ′
E ′
A B
(A)
(B)
Abbildung 4.1: Zur Boltzmann-Verteilung für zwei Isomere A und B.
NB sei die Zahl der Moleküle, die sich in einem Quantenzustand befinden, der zum Stoff B gehört
und analog ist auch NA definiert. Dann gilt:
NB NA
= Kc = cB cA
= pB pA
=
∑ i(B)
exp
( − Ei(B)
kBT
) ∑ i(A)
exp
( − Ei(A)
kBT
) (4.8) Man summiert jeweils über die Besetzung von Quantenzuständen, die entweder dem Isomeren A
oder dem Isomeren B zugeordnet werden können. Jetzt kann eine neue Energieskala eingeführt
werden, in der die Energie E′ jedes Isomers vom tiefsten Energiezustand E0 dieses Isomers
gemessen wird (siehe Bild 4.1):
pB pA
=
∑ i(B)
exp
( − E
′ i
kBT
) ∑ i(A)
exp
( − E
′ i
kBT
) exp(−∆E kBT
) = QB QA
exp
( −∆E kBT
) = Kc (4.9a)
mit
∆E = E0(B)− E0(A) (4.9b)
PCII - Chemische Reaktionskinetik
130 KAPITEL 4. THEORIE DER ELEMENTARREAKTIONEN
Die Zustandssummen QA und QB sind gemäss Gl. (4.7) definiert, ohne Berücksichtigung der
Existenz des anderen Isomeren. In der statistischen Thermodynamik lassen sich alle Gleichge-
wichtseigenschaften eines Systems aus der Zustandssumme herleiten. Die vorliegende Berech-
nung einer Gleichgewichtskonstanten ist ein einfaches Beispiel aus den allgemeinen statistischen
Berechnungen chemischer Gleichgewichte. Wir haben sie hier vorweggenommen, da wir das Er-
gebnis für einige der folgenden Überlegungen benötigen (siehe auch Übungsanhang).
4.1.2 Quasikontinuierliche Verteilung und Maxwell-
Boltzmann-Geschwindigkeitsverteilung
Werden die Energieunterschiede zwischen benachbarten Zuständen sehr klein, so können mehrere
Energiezustände in einem kleinen Intervall dE zusammengefasst werden. Man definiert zu diesem
Zweck die “Zustandsdichte” ρ(E) abstrakt als Zahl der Quantenzustände pro Energieeinheit ganz
analog wie ja auch die Teilchenzahldichte als Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit definiert wird
oder eine “Bevölkerungsdichte” als Zahl der Personen pro Flächeneinheit. Die Zustandsdichte
ist offenbar gerade der Kehrwert des Energieabstandes δ(E) bei der Energie E (oder eventuell
geeigneter Mittelwert hierzu, siehe Bild 4.2:
ρ(E) = δ(E)−1 (4.10a)
ρ(E)dE = ′′g(E)′′ (4.10b)
ρ(E)dE = dE/δ(E) ist die Anzahl der Energiezustände im Energieintervall dE, also quasi die
Entartung ′′g(E)′′ für das Niveau, das dem Intervall dE bei der Energie E entspricht (siehe Bild
4.2).
E
dE
δ E( ) ρ E( ) 1-=
dE
Abbildung 4.2: Skizze zur quasikontinuierlichen Energieverteilung mit der Zustandsdichte ρ(E).
PCII - Chemische Reaktionskinetik
4.1. POPULATIONSVERTEILUNG 131
Für die Besetzungsdichte p(E) bei der Energie E gilt dann analog zu Gl. (4.6):
p(E)dE =
ρ(E) exp
( − E kBT
) dE
∞∫ 0
ρ(E) exp
( − E kBT
) dE
(4.11a)
Bei der quasikontinuierlichen Verteilung wird die Zustandssumme aus Gl. (4.7) durch ein ent-
sprechendes Integral ersetzt:
Q =
∫ ∞ 0
ρ(E) exp(−E/kBT )dE (4.11b)
Hierbei übernimmt ρ(E)dE die Rolle der Entartung gJ in Gl. (4.7). Die notwendige Voraus-
setzung für die Gültigkeit dieser Näherung ist die geringe Grösse der Energiedifferenzen δ(E)
zwischen den benachbarten Energiezuständen, wie dies bei den Translationsenergiezuständen
der Fall ist. Als Beispiel diskutieren wir hier die Berechnung der Translationsenergie- und der
Geschwindigkeitsverteilung in einatomigen idealen Gasen. Hier berechnet man zunächst die Zu-
standsdichte ρ (E) für die Translationszustände unabhängiger Teilchen in einem Kasten mit dem
Volumen V :
ρ(E) = m3/225/2πh−3E1/2V (4.12)
m ist die Masse der Teilchen und h die Plancksche Konstante. Man setzt diese Zustandsdichte
in Gl. (4.11a) ein. Das dann für Gl. (4.11a) und (4.11b) benötigte Integral lässt sich mit Hilfe
von Tabellen ermitteln (vergl. [Bronstein, Semendjajew 1980]).
∞∫ 0
E1/2 exp
( − E kBT
) dE =
√ π
2 (kBT )
3/2 (4.13)
Als Wahrscheinlichkeitsdichte der Besetzung oder kurz Besetzungsdichte bezeichnet man die
Besetzungswahrscheinlichkeit pro Energieintervall, also gemäss Gl. (4.6) und (4.11a) p(E) =
p(E)dE/dE. Somit kann die Besetzungsdichte, die auch als Translationsenergieverteilung be-
zeichnet wird, durch folgenden Ausdruck dargestellt werden:
p(E) = E1/2 {√
π
2 (kBT )
3/2
}−1 exp
( − E kBT
) (4.14)
Obwohl die Energie eine fundamentale Grösse ist, erweist es sich manchmal als nützlicher, von der
Translationsenergie auf den Betrag v der entsprechenden Geschwindigkeit umzurechnen. So lässt
sich auch die Translationsenergieverteilung auf die Geschwindigkeitsverteilung transformieren:
E = mv2
2 (4.15a)
PCII - Chemische Reaktio