Einführung: Das misslungene Examen - UZHffffffff-d733-59bb... · Einführung: Das misslungene...

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Prof. G. Biaggini / Dr. D. Hofstetter Übungen im Öffentlichen Recht III (FS 2016) 1 Einführung: Das misslungene Examen X. legt im Herbst 2015 das Anwaltsexamen im Kanton B ab. Am 17. November 2015 teilt ihm die Prüfungsbehörde mit, er habe das Anwaltsexamen zum zweiten Mal nicht bestanden und werde nun definitiv abgewiesen, da er in zwei der drei Prüfungen des schriftlichen Teils des Examens * ungenügende Leistungen erbracht habe. Gemäss dem Prüfungsreglement des Kantons B hätte sich X. für das Bestehen der Anwaltsprüfungen im schriftlichen Teil des Examens nur eine ungenügende Note erlauben dürfen. Aus dem beigelegten Notenblatt geht hervor, dass die schriftliche Klausur mit öffentlich-rechtlichen Schwerpunkten mit der Note 3.5 und die (innert 14 Tagen zuhause zu verfassende) thematische Arbeit mit der Note 3 be- wertet wurde. Nach Durchsicht der ungenügenden schriftlichen Klausur verlangt X. bei der Prüfungsbehör- de Einsicht in das Bewertungsraster, welches die Prüfungsexperten anlässlich der Korrektur der Klausuren verwendet hatten. Dies wird ihm verweigert. Auch mit der Beurteilung seiner Hausarbeit will sich X. nicht abfinden. Im Gutachten des Examinators wird unter anderem ausgeführt, der Teil „Rangordnung unter Grundpfandrechten und Pfandstellensystem” (Ziff. II/1/B; S. 15–18) enthalte gravierende Fehler; die Aussagen seien teilweise derart falsch, dass sie bereits für sich genommen die Arbeit als ungenügend qualifizieren würden. Die Gegenüberstellung des Gutachtens und der Hausarbeit zeigt, dass der Experte seine negative Beurteilung auf knapp einen Drittel der vierzigseitigen Arbeit ab- stützt. X. ruft das kantonale Verwaltungsgericht an. Er verlangt insbesondere Einsicht in das Bewer- tungsraster der schriftlichen Klausur sowie eine Neubeurteilung seiner Hausarbeit, die nur oberflächlich und unvollständig korrigiert worden sei, durch einen unabhängigen, unbefange- nen, prüfungserfahrenen Sachverständigen. Mit Urteil vom 15. Januar 2016 weist das Verwal- tungsgericht die Beschwerde von X. und alle darin enthaltenen Anträge ab. X. gelangt an das Bundesgericht. Frage 1: Welches Rechtsmittel steht zur Verfügung? Frage 2: Wird das Bundesgericht auf das Rechtsmittel eintreten? Frage 3: Angenommen, das Bundesgericht trete ein: Wie ist in der Sache zu entscheiden? * Der schriftliche Teil des Anwaltsexamens umfasst eine vierzehntägige Hausarbeit und zwei schriftli- che Klausuren von je 12 Stunden Dauer.

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  • Prof. G. Biaggini / Dr. D. Hofstetter Übungen im Öffentlichen Recht III (FS 2016)

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    Einführung: Das misslungene Examen

    X. legt im Herbst 2015 das Anwaltsexamen im Kanton B ab. Am 17. November 2015 teilt

    ihm die Prüfungsbehörde mit, er habe das Anwaltsexamen zum zweiten Mal nicht bestanden

    und werde nun definitiv abgewiesen, da er in zwei der drei Prüfungen des schriftlichen Teils

    des Examens* ungenügende Leistungen erbracht habe. Gemäss dem Prüfungsreglement des

    Kantons B hätte sich X. für das Bestehen der Anwaltsprüfungen im schriftlichen Teil des

    Examens nur eine ungenügende Note erlauben dürfen. Aus dem beigelegten Notenblatt geht

    hervor, dass die schriftliche Klausur mit öffentlich-rechtlichen Schwerpunkten mit der Note

    3.5 und die (innert 14 Tagen zuhause zu verfassende) thematische Arbeit mit der Note 3 be-

    wertet wurde.

    Nach Durchsicht der ungenügenden schriftlichen Klausur verlangt X. bei der Prüfungsbehör-

    de Einsicht in das Bewertungsraster, welches die Prüfungsexperten anlässlich der Korrektur

    der Klausuren verwendet hatten. Dies wird ihm verweigert.

    Auch mit der Beurteilung seiner Hausarbeit will sich X. nicht abfinden. Im Gutachten des

    Examinators wird unter anderem ausgeführt, der Teil „Rangordnung unter Grundpfandrechten

    und Pfandstellensystem” (Ziff. II/1/B; S. 15–18) enthalte gravierende Fehler; die Aussagen

    seien teilweise derart falsch, dass sie bereits für sich genommen die Arbeit als ungenügend

    qualifizieren würden. Die Gegenüberstellung des Gutachtens und der Hausarbeit zeigt, dass

    der Experte seine negative Beurteilung auf knapp einen Drittel der vierzigseitigen Arbeit ab-

    stützt.

    X. ruft das kantonale Verwaltungsgericht an. Er verlangt insbesondere Einsicht in das Bewer-

    tungsraster der schriftlichen Klausur sowie eine Neubeurteilung seiner Hausarbeit, die nur

    oberflächlich und unvollständig korrigiert worden sei, durch einen unabhängigen, unbefange-

    nen, prüfungserfahrenen Sachverständigen. Mit Urteil vom 15. Januar 2016 weist das Verwal-

    tungsgericht die Beschwerde von X. und alle darin enthaltenen Anträge ab.

    X. gelangt an das Bundesgericht.

    Frage 1: Welches Rechtsmittel steht zur Verfügung?

    Frage 2: Wird das Bundesgericht auf das Rechtsmittel eintreten?

    Frage 3: Angenommen, das Bundesgericht trete ein: Wie ist in der Sache zu entscheiden?

    * Der schriftliche Teil des Anwaltsexamens umfasst eine vierzehntägige Hausarbeit und zwei schriftli-

    che Klausuren von je 12 Stunden Dauer.

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    Fall 1: Der Wintergarten

    Y reicht am 15. März 2015 beim Gemeinderat (Exekutive) der Gemeinde W ein Baugesuch

    für die Erstellung eines Wintergartens auf seiner Parzelle Nr. 123 in der Gemeinde W ein.

    Nach entsprechender Prüfung des Baugesuchs legt der Gemeinderat dieses vom 3. April 2015

    bis zum 2. Mai 2015 öffentlich auf. Die öffentliche Auflage wird im amtlichen Publikations-

    organ der Gemeinde W angezeigt.

    Gegen das Bauvorhaben erhebt X innerhalb der Auflagefrist Einwendungen. X ist Eigentümer

    der in der Gemeinde W gelegenen Parzelle Nr. 124. Die Parzelle von X grenzt unmittelbar an

    die Parzelle von Y. X beantragt die Abweisung des Baugesuchs von Y. Er macht in seinen

    Einwendungen einerseits geltend, der Wintergarten könne aufgrund seiner Dimensionen nicht

    bewilligt werden. Zudem befürchtet er, dass vom Wintergarten bzw. den sich darin aufhalten-

    den Personen störende Lärmemissionen ausgehen und die Baubewilligung auch aus diesem

    Grund nicht erteilt werden dürfe.

    Mit Entscheid vom 26. Juni 2015 erteilt der Gemeinderat der Gemeinde W die Baubewilli-

    gung für den Wintergarten unter Bedingungen und Auflagen und weist die Einwendungen

    von X ab. Den Entscheid eröffnet der Gemeinderat sowohl Y wie auch X.

    X ist mit dem Entscheid des Gemeinderats nicht einverstanden und erhebt fristgerecht Be-

    schwerde beim zuständigen (kantonalen) Departement. Das Departement tritt auf die Be-

    schwerde nur teilweise ein. Auf die Rüge, der Wintergarten hätte aufgrund seiner Dimensio-

    nen nicht bewilligt werden dürfen, tritt es mangels eines Rechtsschutzinteresses nicht ein. Auf

    die Rüge betreffend die Lärmemissionen tritt es zwar ein, weist diese aber als unbegründet ab.

    X zieht den Entscheid des Departements an das kantonale Verwaltungsgericht weiter. Dieses

    bestätigt den vorinstanzlichen Entscheid vollumfänglich und weist das Rechtsmittel ab. Den

    Entscheid des Verwaltungsgerichts nimmt X am 4. Februar 2016 in Empfang.

    Fragen:

    1) Worum handelt es sich bei einer Baubewilligung in der Terminologie des Allgemeinen

    Verwaltungsrechts? Wie charakterisieren sich Bedingungen und Auflagen?

    2) Was sind Einwendungen in verwaltungsprozessrechtlicher Hinsicht und welcher

    Zweck wird damit verfolgt?

    3) Welches Rechtsmittel kann X gegen den Entscheid des kantonalen Verwaltungsge-

    richts erheben? Bis wann hätte er seine Rechtsschrift spätestens einzureichen?

    4) Wird die angerufene Rechtsmittelbehörde auf das Rechtsmittel eintreten?

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    Relevante Rechtsnormen:

    Bundesgesetz über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG; SR 700)

    Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG: «Es [das kantonale Recht] gewährleistet die Legitimation [gegen

    Verfügungen betreffend die Raumplanung] mindestens im gleichen Umfang wie für die Be-

    schwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht.»

    Auszug aus dem kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetz (VRPG)

    § 42 Abs. 1 lit. a VRPG: «Zur Beschwerde ist befugt, wer ein schutzwürdiges eigenes Interes-

    se an der Aufhebung oder der Änderung des Entscheids hat.»

    Auszug aus dem kantonalen Baugesetz (BauG)

    § 4 Abs. 1 und 2 BauG: «1Soweit dieses Gesetz keine besonderen Vorschriften enthält, gelten

    für das Verfahren und für den Rechtsschutz die Bestimmungen der Gesetzgebung über die

    Verwaltungsrechtspflege.»

    «2Einwendungen können erhoben werden, bevor der erstinstanzliche Entscheid ergeht. Sie

    sind schriftlich einzureichen und haben einen Antrag und eine Begründung zu enthalten. Wer

    es unterlässt, Einwendungen zu erheben, obwohl Anlass dazu bestanden hätte, kann den erge-

    henden Entscheid nicht anfechten. Vorbehalten bleiben Bestimmungen über die Wiederher-

    stellung bei unverschuldeter Säumnis.»

    § 60 Abs. 2 BauG: «Der Gemeinderat veröffentlicht das Baugesuch und legt es während 30

    Tagen öffentlich auf. Einwendungen sind innerhalb der Auflagefrist zu erheben.»

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    Fall 2: Gänsesäger und Graureiher

    Die Vereinigung „Schweizer Vogelschutz SVS / BirdLife Schweiz“ setzt sich im Kanton Y

    für den Schutz der Gänsesäger und Graureiher ein. Der SVS möchte rechtzeitig über allfällige

    Abschussanordnungen informiert werden, damit er sich gegebenenfalls mit Beschwerde da-

    gegen zur Wehr setzen kann. Deshalb stellt der SVS bei der zuständigen kantonalen Behörde

    (Jagdinspektorat) das Gesuch, es sei mittels anfechtbarer Verfügung festzustellen, dass in

    Anwendung bestimmter Vorschriften des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1986 über die Jagd

    und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel (Jagdgesetz; JSG; SR 922.0) ergehende

    Abschussanordnungen des Jagdinspektorats ihr in Form von beschwerdefähigen Verfügungen

    zu eröffnen seien.

    Das Jagdinspektorat erlässt daraufhin eine Verfügung folgenden Inhalts:

    1. Es wird festgestellt, dass Regulationsmassnahmen nach Art. 12 Abs. 4 JSG sowie Anordnungen

    von mehreren geplanten Einzelabschüssen von geschützten Vogelarten nach Art. 12 Abs. 2 JSG,

    insbesondere im Rahmen von Schutzprojekten – z.B. zum Artenschutz bedrohter Fischarten – dem

    SVS beschwerdefähig zu eröffnen sind.

    2. Im Übrigen wird das Gesuch des SVS abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dies

    bedeutet insbesondere, dass die Anordnung ad hoc getroffener Einzelmassnahmen gemäss Art. 12

    Abs. 2 JSG gegen geschützte, schadenstiftende Vogelarten nicht zu eröffnen ist, solange eine Gren-

    ze von 10% der lokalen Population nicht überschritten wird.

    Der SVS möchte erwirken, dass die Eröffnungspflicht auch Anordnungen betreffend Einzel-

    abschüsse von Graureihern und Gänsesägern erfasst, und beschreitet den kantonalen Rechts-

    weg. Das Verwaltungsgericht weist die Beschwerde des SVS ab, soweit es darauf eintritt. Zur

    Begründung führt es aus, dass eine Abschussanordnung, die mindestens 10 Prozent der Popu-

    lation betreffe, zwar in Anwendung der Verwaltungspraxis des Bundesamtes für Umwelt

    (BAFU) als (durch anfechtbare Verfügung zu erlassende) Regulierungsmassnahme (Art. 12

    Abs. 4 Jagdgesetz) zu qualifizieren sei. Bei Abschussanordnungen für weniger als 10 Prozent

    der Population (Einzelmassnahmen i.S.v. Art. 12 Abs. 2 JSG) fehlten hingegen sowohl die

    Strukturmerkmale einer Verfügung als auch das Rechtsschutzbedürfnis. Da keine anfechtbare

    Verfügung ergehen müsse, bestehe auch kein Verbandsbeschwerderecht.

    Der SVS ist mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts nicht einverstanden und gelangt mit Be-

    schwerde an das Bundesgericht. Der SVS ist der Meinung, im Interesse des Artenschutzes

    müsse ihm das Verbandsbeschwerderecht auch bei Anordnungen zum Abschuss geschützter

    Vögel, die weniger als 10 Prozent der lokalen Population betreffen, offenstehen; dies selbst

    dann, wenn man die Abschussordnung nicht als Verfügung einstufe.

    Frage 1: Wie sind die Abschussanordnungen des kantonalen Jagdinspektorats nach den

    anerkannten Regeln und Grundsätzen des Allgemeinen Verwaltungsrechts recht-

    lich zu qualifizieren?

    Frage 2: Wie hat das Bundesgericht vorliegend zu entscheiden?

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    Frage 3: Angenommen, die Verfügungsqualität der Abschussanordnung werde vom Bun-

    desgericht verneint. Welche Möglichkeiten hätte der SVS, gegen Einzelmassnah-

    men vorzugehen?

    Hinweis: Gehen Sie davon aus, dass es sich beim SVS um eine Organisation handelt, welche vom Bundesrat

    i.S.v. Art. Art. 12 Abs. 3 NHG als zur Beschwerde berechtigt bezeichnet wurde.

    Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966 (NHG, SR 451), Auszug

    1. Abschnitt: Naturschutz, Heimatschutz und Denkmalpflege bei Erfüllung von Bundesaufgaben

    Art. 12 Beschwerderecht der Gemeinden und der Organisationen

    1 Gegen Verfügungen der kantonalen Behörden oder der Bundesbehörden steht das Beschwerderecht zu:

    a. den Gemeinden;

    b. den Organisationen, die sich dem Naturschutz, dem Heimatschutz, der Denkmalpflege oder verwandten Zielen

    widmen, unter folgenden Voraussetzungen:

    1. Die Organisation ist gesamtschweizerisch tätig.

    2. Sie verfolgt rein ideelle Zwecke; allfällige wirtschaftliche Tätigkeiten müssen der Erreichung der ideellen

    Zwecke dienen. 2

    Das Beschwerderecht steht den Organisationen nur für Rügen in Rechtsbereichen zu, die seit mindestens zehn

    Jahren Gegenstand ihres statutarischen Zwecks bilden. 3Der Bundesrat bezeichnet die zur Beschwerde berechtigten Organisationen.

    4Zuständig für die Beschwerdeerhebung ist das oberste Exekutivorgan der Organisation.

    5Die Organisationen können ihre rechtlich selbständigen kantonalen und überkantonalen Unterorganisationen für

    deren örtliches Tätigkeitsgebiet generell zur Erhebung von Einsprachen und im Einzelfall zur Erhebung von

    Beschwerden ermächtigen.

    Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel vom 20. Juni 1986 (JSG,

    SR 922.0), Auszug

    Art. 12 Verhütung von Wildschaden

    1 Die Kantone treffen Massnahmen zur Verhütung von Wildschaden.

    2 Sie können jederzeit Massnahmen gegen einzelne geschützte oder jagdbare Tiere, die erheblichen Schaden

    anrichten, anordnen oder erlauben. Mit der Durchführung dieser Massnahmen dürfen sie nur Jagdberechtigte und

    Aufsichtsorgane beauftragen.

    2bis Der Bundesrat kann geschützte Tierarten bezeichnen, bei denen das Bundesamt die Massnahmen nach Absatz

    2 anordnet.

    3 Die Kantone bestimmen, welche Selbsthilfemassnahmen gegen jagdbare Tiere zum Schutze von Haustieren,

    Liegenschaften und landwirtschaftlichen Kulturen zulässig sind. Der Bundesrat bezeichnet die geschützten Tier-

    arten, gegen die solche Selbsthilfemassnahmen ergriffen werden dürfen.

    4 Weist eine geschützte Tierart einen zu hohen Bestand auf und entsteht dadurch grosser Schaden oder eine er-

    hebliche Gefährdung, so können die Kantone mit vorheriger Zustimmung des Departements Massnahmen zur

    Verringerung des Bestandes treffen.

    5 Der Bund fördert und koordiniert die Massnahmen der Kantone zur Verhütung von Wildschaden, der durch

    Grossraubtiere an Nutztieren verursacht wird.

    https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19860156/index.html#a12

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    Urteilsanalyse: Das verpasste Champions-League-Spiel FCB gegen FCB

    Lesen Sie bitte die beiden folgenden Urteile:

    Bundesverwaltungsgericht, Urteil C-8376/2010, vom 19. Februar 2013

    Bundesgericht, Urteil 1C_370/2013, vom 14. Oktober 2013

    Beantworten Sie dazu die folgenden Fragen:

    A. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

    1. Welcher Sachverhalt und welche Prozessgeschichte liegen dem Urteil zugrunde?

    2. Warum wurde der Verfügung des BAP die aufschiebende Wirkung entzogen? In welcher

    Form hat das Bundesverwaltungsgericht zur Frage der aufschiebenden Wirkung Stellung

    genommen?

    3. Welche Rechtsbegehren hat X gestellt und welche Rügen hat er erhoben?

    4. Welche Fragen hat das Bundesverwaltungsgericht bei der Prüfung der Prozessvorausset-

    zungen vertieft untersucht?

    5. Der Beschwerdeführer wurde vor Erlass der Verfügung nicht angehört. Warum hat das

    Gericht dennoch auf die Prüfung der Gehörsverletzung verzichtet?

    6. Wie ordnet das Gericht die verfügte Massnahme ins System der verwaltungsrechtlichen

    Massnahmen ein?

    7. Liegt laut Bundesverwaltungsgericht ein schwerer oder ein leichter Eingriff in die Garan-

    tien gemäss Art. 10 Abs. 2 BV bzw. Art. 24 BV vor?

    8. Erachtet das Gericht die Anforderungen an eine genügende gesetzliche Grundlage als er-

    füllt?

    9. Warum sieht das Gericht die Verhältnismässigkeit der Massnahme als gegeben an?

    10. Der Beschwerdeführer rügt, das BAP habe den Grundsatz von Treu und Glauben sowie

    der Rechtsweggarantie verletzt, indem die Verfügung so spät zugestellt worden sei, dass

    die Beschwerde faktisch obsolet geworden sei. Wie stellt sich das Gericht zu diesen Rü-

    gen?

    11. In E. 9. führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass „die angefochtene Verfügung Bun-

    desrecht nicht verletzt und den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und vollständig fest-

    stellt; sie ist auch angemessen (vgl. Art. 49 VwVG)“. In welchen Erwägungen hat das Ge-

    richt eine Angemessenheitsprüfung vorgenommen?

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    B. Urteil des Bundesgerichts

    1. Sachverhalt und Prozessgeschichte sind im Vergleich zum Urteil des Bundesverwaltungs-

    gerichts deutlich kürzer dargestellt. Warum?

    2. Welche Rechtsbegehren hat X gestellt? Erachtet das Gericht diese Begehren als zulässig?

    3. Welche Rügen hat X erhoben? Welche Rügen sind neu? Setzt sich das Gericht materiell

    mit diesen Rügen auseinander?

    4. Was ist Sinn und Zweck von E. 3?

    5. Nimmt das Bundesgericht in E. 4 eine Rechts- oder eine Sachverhaltskontrolle vor?

    6. Warum stellt das Bundesgericht die Verfassungsverletzung durch die Vorinstanz in Ziff. 1

    des Dispositivs förmlich fest?

    Warum hebt das Bundesgericht Dispositiv-Ziffer 2 des Urteils des

    Bundesverwaltungsgerichts förmlich auf?

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    Fall 3: Örtliche Sitten und Gebräuche

    A. wurde 1962 im Iran geboren. Nach seiner Flucht in die Türkei im Jahre 1987 anerkannte

    ihn die UNO als Flüchtling. 1989 gelangte er in die Schweiz. Er lebt seither, mit Ausnahme

    einiger Monate, die er im Kanton Freiburg verbrachte, in T. im Kanton X.

    A. ist geschieden und hat eine inzwischen volljährige Tochter. Vom April 1995 bis zum Feb-

    ruar 2001 bezog er Sozialhilfe, und für sein Scheidungsverfahren wurde ihm im Oktober 2010

    die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. A. arbeitet als Taxifahrer.

    Am 3. April 2012 ersucht A. die Bürgergemeinde T. um Einbürgerung. Am 5. Dezember

    2012 erfährt die Bürgergemeinde von den zuständigen Behörden, dass die formellen Voraus-

    setzungen des Bundes und des Kantons X. erfüllt seien. Am 21. Februar 2013 findet ein Ein-

    bürgerungsgespräch vor dem Bürgerrat statt. Dieser teilt A. mit, dass sein Gesuch nur geringe

    Chancen habe, weshalb ihm nahegelegt werde, dieses zurückzuziehen. In der Folge unter-

    zeichnet A. das vorbereitete Rückzugsschreiben.

    Am 4. März 2013 teilt A. der Bürgergemeinde über seinen Rechtsvertreter mit, er sei über-

    rumpelt worden, zumal nicht angekündigt worden sei, dass es bei der Besprechung auch

    schon um die Überprüfung das Wissens gehen werde. Er halte am Gesuch fest. Die Bürger-

    gemeinde antwortet am 20. März 2013, sie stelle der Bürgerversammlung einen negativen

    Antrag, weil die Voraussetzungen für eine Einbürgerung nicht erfüllt seien. A. hält auch da-

    nach an seinem Gesuch fest. An der Bürgerversammlung vom 19. April 2013 lehnt die Bür-

    gergemeinde das Einbürgerungsgesuch von A. mit 28 zu 0 Stimmen ab. Dieser Entscheid

    wird dem Gesuchsteller am 3. Mai 2013 eröffnet und schriftlich im Wesentlichen damit be-

    gründet, dass er keine erkennbaren sozialen Beziehungen in der Gemeinde, zu Vereinen oder

    anderen lokalen Institutionen pflege; überdies nehme er kaum an öffentlichen Dorf- und

    Quartierveranstaltungen teil und mangle es ihm an Grundlagenkenntnissen über die politische

    und gesellschaftliche Ordnung sowie am Wissen über örtliche Lebensgewohnheiten, Sitten

    und Gebräuche. An derselben Bürgerversammlung wird hingegen die Tochter von A. einge-

    bürgert.

    Frage 1: Ist der Kanton verfassungsrechtlich verpflichtet, gegen negative Einbürgerungs-

    entscheide gerichtlichen Rechtsschutz vorzusehen?

    Mit Urteil vom 19. Februar 2016 weist das Verwaltungsgericht des Kantons X. eine gegen die

    Ablehnung der Einbürgerung gerichtete Beschwerde von A. ab. Zur Begründung führt es im

    Wesentlichen aus, die Bürgergemeinde habe sich bei ihrer Einschätzung, A. sei nicht hinrei-

    chend sozial integriert, auf mehrere sachliche Integrationskriterien gestützt und diese korrekt

    festgestellt und gewürdigt. Aus dem Umstand, dass seine Tochter eingebürgert worden sei,

    könne der Gesuchsteller nichts zu seinen Gunsten ableiten. Überdies vermittle der Erhe-

    bungsbericht vom 21. Februar 2013 den Eindruck, dass bei A. auch das Erfordernis der Ver-

    trautheit mit den kantonalen und kommunalen Lebensgewohnheiten bzw. mit der politischen

    und gesellschaftlichen Ordnung zu verneinen wäre, was aber offenbleiben könne. Unter den

    gegebenen Umständen müsse auch nicht mehr geprüft werden, ob die nicht erfolgte Rückzah-

    lung der Kosten für die unentgeltliche Rechtspflege zu Lasten des A. ins Gewicht falle.

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    A. will vor Bundesgericht wenn immer möglich seine Einbürgerung erstreiten, zumindest aber

    die Feststellung erwirken, dass er unfair behandelt worden sei.

    Frage 2: Welches Rechtsmittel steht A. zur Verfügung?

    Frage 3: Welche Rügen sollte A. sinnvollerweise erheben?

    Frage 4: Wie stehen die Chancen, dass das Bundesgericht auf das Rechtsmittel eintritt?

    Frage 5: Wie stehen die Chancen, dass A. in der Streitsache obsiegt?

    Hinweis: Gehen Sie davon aus, dass der Kanton X. die materiellen Einbürgerungsvorausset-

    zungen gleich umschreibt wie das Bundesrecht.

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    Fall 4: Schulgeld

    Der Grosse Rat des Kantons X beschliesst mit Schlussabstimmung vom 13. April 2015 meh-

    rere Änderungen des kantonalen Schulgesetzes. Neu sollen die Eltern von schulpflichtigen

    Kindern (1. bis 9. Klasse) verpflichtet werden, nach dem Einkommen abgestufte Beiträge an

    die Ausbildung ihrer Kinder zu leisten (sog. «Schulgeld»). Die Änderungen des kantonalen

    Schulgesetzes werden mit der angespannten Lage des öffentlichen Haushalts begründet. Diese

    Lage erfordere Einsparungen bei sämtlichen Staatsaufgaben. Die öffentliche Schule könne

    hiervon nicht ausgenommen werden.

    Gegen die vom Grossen Rat beschlossenen Änderungen des kantonalen Schulgesetzes wird

    kein Referendum ergriffen. Der Regierungsrat des Kantons X beschliesst daher nach Ablauf

    der Referendumsfrist, die Änderungen des Schulgesetzes und damit die Pflicht zur Bezahlung

    des Schulgeldes auf den 1. Januar 2016 in Kraft zu setzen.

    Z besucht die vierte Klasse der öffentlichen Schule in einer Gemeinde im Kanton X. Die El-

    tern von Z, welche im Kanton X ihren Wohnsitz haben, erfahren von den Änderungen des

    Schulgesetzes über die Medien, kümmern sich aber nicht weiter darum. Erst, als die Rech-

    nung für das Schulgeld von Z bei ihnen eintrifft (am 1. April 2016), wird ihnen das ganze

    Ausmass der Gesetzesänderung bewusst.

    Die Eltern von Z sind der Meinung, dass die Volksschule (wie bis anhin) unentgeltlich zu sein

    habe und dass der Kanton X mit der Änderung des kantonalen Schulgesetzes bestimmt gegen

    die Verfassung verstossen habe. Sie werden von den Eltern von Z am 4./5. April 2016 aufge-

    sucht und um Rat gebeten. Bei dieser Gelegenheit eröffnen Ihnen die Eltern von Z, dass sie

    über kein hohes Einkommen verfügen und auch kein nennenswertes Vermögen haben. Sie

    hätten aber gehört, dass es für mittellose Personen die Möglichkeit gebe, unentgeltlich

    Rechtsschutz zu erhalten.

    Fragen:

    1) Besteht für die Eltern von Z die Möglichkeit, sich gegen die Auferlegung des Schul-

    geldes zu wehren?

    2) Innert welcher Frist haben Sie das/die entsprechenden Rechtsmittel zu erheben? Än-

    dert sich etwas an Ihrer Antwort, wenn die Eltern von Z bereits am 15. Januar 2016

    Ihre Hilfe in Anspruch nehmen?

    3) Falls die Möglichkeit von Rechtsmitteln besteht: welche Rügen bringen Sie vor?

    4) Prüfen Sie die Möglichkeit, den Prozess für die Eltern von Z unentgeltlich zu führen.

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    Relevante Rechtsnormen:

    Auszug aus der Verfassung des Kantons X

    § 34 Abs. 1: «Der Unterricht an öffentlichen Schulen ist für Kantonseinwohnerinnen und

    Kantonseinwohner unentgeltlich.»

    Auszug aus dem kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons X (VRPG)

    § 34 Abs. 1 und 2 VRPG: «1Auf Gesuch befreit die zuständige Behörde natürliche Personen

    von der Kosten- und Vorschusspflicht, wenn die Partei ihre Bedürftigkeit nachweist und das

    Begehren nicht aussichtslos erscheint.»

    «2Unter den gleichen Voraussetzungen kann einer Partei eine unentgeltliche Rechtsvertretung

    bestellt werden, wenn es die Schwere einer Massnahme oder die Rechtslage rechtfertigt und

    die Vertretung zur gehörigen Wahrung der Interessen der Partei notwendig ist.»

    § 70 Abs. 1 VRPG: «Vorschriften verwaltungsrechtlicher Natur in kantonalen Gesetzen, Dek-

    reten und Verordnungen sowie Erlassen von Gemeinden, öffentlich-rechtlicher Körperschaf-

    ten und Anstalten können dem Verwaltungsgericht jederzeit zur Prüfung auf ihre Überein-

    stimmung mit übergeordnetem Recht unterbreitet werden.»

    § 71 Abs. 1 VRPG: «Zum Antrag ist befugt, wer durch die Anwendung dieser Vorschriften in

    absehbarer Zeit in seinen schutzwürdigen eigenen Interessen verletzt werden könnte.»

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    Fall 5: „Ja zur Wahlfreiheit beim Medikamentenbezug“

    Die Initiative „Ja zur Wahlfreiheit beim Medikamentenbezug“ wird am 20. November 2012

    zur Vorprüfung bei der Justizdirektion des Kantons X eingereicht. Die Initiative hat folgenden

    Wortlaut:

    Das Gesetz über das Gesundheitswesen vom 4. November 1962 (Gesundheitsgesetz) ist folgendermassen

    zu ändern:

    § 17 (Neuformulierung) Privatapotheken

    „Zur Führung einer ärztlichen Privatapotheke ist eine Bewilligung der Direktion des Gesundheitswesens

    erforderlich. Die Bewilligung wird praxisberechtigten Ärztinnen und Ärzten erteilt. Die Inhaberinnen und

    Inhaber von ärztlichen Privatapotheken dürfen Arzneimittel nur an Patientinnen und Patienten abgeben,

    die bei ihnen in Behandlung stehen. Die Abgabe hat unter ärztlicher Aufsicht und Verantwortung zu er-

    folgen.“

    Dem Volksbegehren ist die folgende Begründung beigegeben:

    Gemäss der aktuellen (und heute veralteten) Regelung, dürfen die Ärztinnen und Ärzte in den Städten Y

    und Z keine Medikamente abgeben, die Ärztinnen und Ärzte auf dem Land hingegen schon. Diese rechts-

    ungleiche Behandlung soll beseitigt werden. Alle Bewohnerinnen und Bewohner im Kanton Y sollen frei

    wählen können, ob sie ihre Medikamente in der Apotheke oder bei ihrer Ärztin/ihrem Arzt beziehen

    möchten. Deshalb soll es auch den Ärzten in den Städten Y und Z möglich sein, ihren Patienten Medika-

    mente abgeben zu können.

    Die Justizdirektion entscheidet am 1. März 2013, dass die Initiative die Anforderungen von

    § 123 des Gesetzes über die politischen Rechte (GPR) des Kantons X erfüllt. Apotheker A ist

    der Meinung, dass sowohl der Titel als auch die Begründung der Initiative irreführend sind

    und seine politischen Rechte verletzen.

    Frage 1: Ist A legitimiert, den Entscheid der Justizdirektion anzufechten?

    Die Initiative kommt in der Folge zustande. Das Datum der Volksabstimmung wird auf den

    6. April 2014 festgesetzt. Der anschliessende Abstimmungskampf wird heftig geführt. Am 15.

    Februar 2014 verteilen das Initiativkomitee und verschiedene Ärzte in den Landbezirken des

    Kantons X Flyer mit folgenden Slogans: „Ja, zur freien Medikamentenabgabe, damit Ärzte

    weiterhin auf dem Land und neu auch in den Städten Medikamente abgeben dürfen“ und

    „Schluss mit der Bereicherung der Apotheker auf Kosten aller Ärzte“. Gemäss einem Inter-

    view mit einem Mitglied des Initiativkomitees, welches am 17. März 2014 erscheint, ist im

    Fall einer Ablehnung der Initiative, „die Medikamentenversorgung im Kanton Zürich im Not-

    fall nicht mehr gewährleistet“. Ausserdem prognostiziert der Ärzteverband des Kantons X am

    26. März 2014, dass die Versicherungsprämien für die Krankenversicherung bei einer An-

    nahme der Initiative um über 10% sinken werden.

    Die Initiative wird vom Volk am 6. April 2014 mit 53.7% Ja-Stimmen angenommen. A gibt

    sich aber noch nicht geschlagen und möchte den Volksentscheid anfechten. Am 8. April 2014

    schickt er seine Einsprache an den Regierungsrat des Kantons X per A-Post Plus (nicht einge-

    schrieben) ab, welcher den Erhalt der Einsprache am 9. April 2014 bestätigt. Mit Beschluss

    vom 29. April 2014 tritt der Regierungsrat (letzte kantonale Instanz) auf die Einsprache nicht

    ein. Das Nichteintreten wird mit der Missachtung der Formvorschriften bzw. der Frist gemäss

    § 10d VRG begründet.

  • Prof. G. Biaggini / Dr. D. Hofstetter Übungen im Öffentlichen Recht III (FS 2016)

    13

    A ist mit diesem Beschluss des Regierungsrates nicht einverstanden und zieht ihn an das

    Bundesgericht weiter.

    Frage 2: Wird das Bundesgericht auf die Beschwerde eintreten?

    Frage 3: Hätte der Regierungsrat auf die Einsprache eintreten müssen?

    Frage 4: Wie beurteilen sie die einzelnen Vorkommnisse im Abstimmungskampf aus

    materiell-rechtlicher Sicht?

    Angenommen, zwei Jahre nach Annahme der Initiative zeige sich, dass die Wirkungen der

    Initiative viel gravierender sind, als sie vom Regierungsrat im Beleuchtenden Bericht voraus-

    gesagt wurden (insb. Schliessung zahlreicher Apotheken in den Städten Y und Z mangels

    Kundschaft):

    Frage 5: Hat A heute (d.h. am 11./12. April 2016) eine Möglichkeit, gegen die betreffende

    Volksabstimmung vorzugehen?

    Relevante Rechtsnormen:

    Auszug aus dem Gesetz über die politischen Rechte (GPR):

    § 123

    1 Jede Unterschriftenliste enthält folgende Angaben: a. (…)

    b. den Titel, den Text und eine kurze Begründung der Initiative, (…)

    2 Der Titel und die Begründung der Initiative dürfen nicht irreführend, ehrverletzend oder übermässig

    lang sein, keine kommerzielle oder persönliche Werbung enthalten und zu keinen Verwechslungen An-

    lass geben.

    Auszug aus dem kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetz (VRG):

    § 10d

    Gegen erstinstanzliche Handlungen des Regierungsrates, welche die politische Stimmberechtigung der

    Bürgerinnen und Bürger oder Volkswahlen oder Volksabstimmungen betreffen, kann bei ihm innert fünf

    Tagen eingeschrieben Einsprache erhoben werden. § 21a gilt sinngemäss.

    § 21a

    In Stimmrechtssachen sind rekursberechtigt:

    a. die Stimmberechtigten des betreffenden Wahl- oder Abstimmungskreises und die Kandidierenden,

    b. politische Parteien und Gruppierungen, die im betreffenden Wahl- oder Abstimmungskreis tätig

    sind,

    c. betroffene Gemeindebehörden,

    d. die Mitglieder des Initiativkomitees gegen Verfügungen der Direktion der Justiz über die formelle

    Gültigkeit der Unterschriftenliste und betreffend den Titel der Initiative.

  • Prof. G. Biaggini / Dr. D. Hofstetter Übungen im Öffentlichen Recht III (FS 2016)

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    Fall 6: Die Rückerstattungsverfügung

    Sachverhaltsvariante A:

    A wird von den Sozialen Diensten der Stadt X im Kanton Y (nachfolgend: Sozialbehörde)

    zwischen Juli 2012 und März 2014 mittels Ausrichtung von Sozialhilfeleistungen wirtschaft-

    lich unterstützt. Aufgrund von Abklärungen im Rahmen einer Kontrolle des Dossiers von A

    findet die Sozialbehörde heraus, dass A falsche Angaben über seine wirtschaftlichen Verhält-

    nisse gemacht hat. So hat er es unterlassen, ein auf ihn lautendes Konto mit einem erheblichen

    Vermögensbetrag gegenüber der Sozialbehörde zu deklarieren.

    Die Sozialbehörde der Stadt X leitet gegen A ein Verfahren auf Rückerstattung der zu Un-

    recht ausgerichteten Sozialhilfeleistungen ein. Sie verpflichtet ihn mittels Verfügung, insge-

    samt CHF 12'000 zu Unrecht bezogener Leistungen an die Stadt X zurückzuzahlen.

    A ficht die Rückerstattungsverfügung bei der zuständigen Behörde an. Diese heisst seine Be-

    schwerde gut und hebt die Rückerstattungsverfügung der Sozialbehörde auf. Gegen diesen

    Entscheid führt die Sozialbehörde Beschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht. Das

    Verwaltungsgericht tritt auf die Beschwerde der Sozialbehörde nicht ein, weil es ihr an der

    notwendigen Legitimation zur Erhebung einer Beschwerde fehle.

    Die Sozialbehörde hält den Entscheid des kantonalen Verwaltungsgerichts für falsch und

    möchte diesen vor Bundesgericht anfechten.

    Fragen:

    1) Welches Rechtsbegehren stellen Sie vor Bundesgericht?

    2) Ist die Sozialbehörde zur Beschwerde an das Bundesgericht legitimiert?

    Sachverhaltsvariante B:

    Gleiche Ausgangslage wie bei Sachverhaltsvariante A, jedoch mit den nachfolgenden pro-

    zessualen Änderungen:

    A ficht die Rückerstattungsverfügung bei der zuständigen Behörde an. Er macht geltend, das

    Vorgehen der Sozialbehörde erweise sich als unverhältnismässig, da anstelle einer Rückerstat-

    tung eine Verwarnung als milderes Mittel ebenso zielführend gewesen wäre. Die Rückerstat-

    tung treffe ihn übermässig hart. Die zuständige Behörde weist seine Beschwerde ab und be-

    stätigt die Rückerstattungsverfügung der Sozialbehörde.

    A gelangt an das Verwaltungsgericht. Dieses weist seine Beschwerde ebenfalls ab. A möchte

    an das Bundesgericht gelangen.

    Fragen:

    1) Tritt das Bundesgericht auf die Beschwerde von A ein?

    2) Wie beurteilen Sie die von A vorgebrachte Rüge der Unverhältnismässigkeit der

    Rückerstattungsverfügung, falls das Bundesgericht auf die Beschwerde eintritt?

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    Relevante Rechtsnormen:

    Auszug aus dem Sozialhilfegesetz des Kantons Y (SHG)

    § 18 Abs. 1 SHG: «Der Hilfesuchende gibt vollständig und wahrheitsgetreu Auskunft über:

    a.) seine finanziellen Verhältnisse im In- und Ausland, namentlich auch über Ansprüche ge-

    genüber Dritten, (…).»

    § 26 SHG: «Zur Rückerstattung von wirtschaftlicher Hilfe ist verpflichtet, wer a.) diese unter

    unwahren oder unvollständigen Angaben erwirkt hat oder b.) diese für andere als von der Für-

    sorgebehörde festgelegten Zwecke verwendet hat und dadurch bewirkt, dass die Behörde er-

    neut zahlen muss.»

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    Fall 7: Der Projektleiter

    A wird im Jahr 2009 mit Verfügung der Vollzugsstelle für den Zivildienst ZIVI (nachfolgend:

    Vollzugsstelle) zum Zivildienst zugelassen und zur Leistung von insgesamt 390 Diensttagen

    verpflichtet. Im Jahr 2010 leistet A einen ersten Zivildiensteinsatz beim Einsatzbetrieb B von

    26 Diensttagen.

    Die Zusammenarbeit zwischen A und dem Einsatzbetrieb B verläuft zufriedenstellend, so

    dass der Einsatzbetrieb dem A nach Absolvierung seines ersten Zivildiensteinsatzes im Jahr

    2010 eine feste Anstellung als Projektleiter mit einem Pensum von 100% anbietet. Diese Stel-

    le nimmt A an.

    Mit Schreiben vom 19. November 2010 ersucht A die Vollzugsstelle um Dienstverschiebung

    für die Einsatzjahre 2011 bis 2013. Dieses Gesuch begründet er im Wesentlichen damit, dass

    er eine dreijährige Anstellung als Projektleiter beim früheren Einsatzbetrieb B angetreten habe

    und Absenzen seinerseits mit dem Projekt nicht vereinbar seien, was der Einsatzbetrieb B

    schriftlich bestätigt. Die Vollzugsstelle bewilligt das Gesuch um Dienstverschiebung einst-

    weilen für das Jahr 2011 und fordert A auf, für das Jahr 2012 eine Einsatzvereinbarung oder

    aber ein weiteres Dienstverschiebungsgesuch einzureichen.

    Im März 2012 geht bei der Vollzugsstelle eine Einsatzvereinbarung für einen Einsatz von 180

    Diensttagen zwischen A und dem Einsatzbetrieb B ein. Der Einsatz soll im August 2012 be-

    ginnen und Ende Januar 2013 enden. Die Vollzugsstelle erstellt in der Folge am 21. Mai 2012

    das Aufgebot (Verfügung) für den Zivildiensteinsatz. A tritt den Einsatz gemäss dem Aufge-

    bot an.

    Anlässlich einer Inspektion im Einsatzbetrieb stellt die Vollzugsstelle fest, dass A im Einsatz-

    zeitraum neben der Erwerbsausfallentschädigung vom Einsatzbetrieb B durchgehend einen

    Lohn für ein 100%-Pensum bezog.

    Mit Verfügung vom 10. Februar 2013 widerruft die Vollzugsstelle ihr Aufgebot vom 21. Mai

    2012 und stellt fest, dass dem Beschwerdeführer für die Zeit vom August 2012 bis Ende Ja-

    nuar 2013 (gesamte Einsatzdauer) keine Diensttage an die Leistung der Zivildienstpflicht an-

    gerechnet würden.

    A ist nicht bereit, den Widerruf des Aufgebots zu akzeptieren und will dagegen vorgehen.

    Fragen:

    1) Wie gestaltet sich der Rechtsmittelweg gegen die Verfügung vom 10. Februar 2013?

    2) Ist die Widerrufsverfügung vom 10. Februar 2013 zu Recht ergangen?

    Relevante Rechtsnormen (bitte in die Übungsstunde mitbringen):

    Bundesgesetz über den zivilen Ersatzdienst vom 6. Oktober 1995 (ZDG; SR 824.0); Verord-

    nung über den zivilen Ersatzdienst vom 11. September 1996 (ZDV; SR 824.01)

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    Fall 8: Lohnkürzung (Fallbearbeitung – Abgabetermin: 5. April 2016)

    Die Gemeindeexekutive der Stadt X (Stadtrat) sieht sich aufgrund der in Folge der Finanzkri-

    se zunehmend schlechten Finanzlage der Stadt gezwungen, lohnwirksame Sparanstrengungen

    ins Auge zu fassen. Zu diesem Zweck hat der Stadtrat in seiner letzten Sitzung beschlossen,

    gestützt auf eine entsprechende Ermächtigung im Personalgesetz der Stadt X die Personalver-

    ordnung zu ändern; der entsprechende Beschluss wurde ordnungsgemäss im „Anzeiger der

    Stadt X“ publiziert:

    „Die Verordnung über die Besoldung des Personals der Stadt X vom 10. August 2009 wird

    wie folgt ergänzt:

    Art. 7 1Unverändert.

    2Der Stadtrat ist ermächtigt, die Besoldungsansätze gemäss Art. 3 ff. dieser Verordnung aus

    triftigen finanziellen Gründen um maximal fünf Prozent des Monatsgehaltes zu kürzen.“

    Herr A, seit über zehn Jahren städtischer Angestellter beim Strassenbauamt, erhob gegen die-

    sen Beschluss fristgerecht Beschwerde beim kantonalen Verwaltungsgericht; ebenfalls ange-

    fochten wurde der Beschluss vom städtischen Angestelltenverband, dem die meisten städti-

    schen Angestellten angehören. Herr A macht geltend, eine derartige lineare Lohnreduktion

    treffe ihn als einen in der tiefsten Gehaltsklasse eingereihten Staatsbediensteten ungleich här-

    ter als die Staatsangestellten mit hohen und höchsten Löhnen. Weiter greife die Massnahme in

    unzulässiger Weise in seine wohlerworbenen Rechte ein. Einer Rechtsänderung stehe nicht

    zuletzt der Umstand entgegen, dass die Besoldungsverordnung erst vor sechs Jahren geändert

    worden sei, so dass er sich auf deren Weitergeltung verlassen dürfe. Der Angestelltenverband

    ist der Ansicht, eine solche Sparmassnahme sei völlig ungeeignet, um die Stadtfinanzen län-

    gerfristig zu sanieren. Die Stadt könne in anderen Bereichen wirksamer sparen als bei den

    Löhnen ihrer Angestellten. Ein indirekter Spareffekt liesse sich höchstens durch die Redukti-

    on der Kaderlöhne erzielen, da durch ein solches Lohnopfer das letztlich für die Staatsausga-

    ben hauptverantwortliche Kader zu einem sparsameren Einsatz motiviert würde.

    Der Stadtrat hielt in seiner Stellungnahme fest, die finanzielle Notlage erfordere dringend, auf

    allen Ebenen und in sämtlichen Bereichen Sparanstrengungen zu unternehmen. Der Lohnbe-

    reich könne davon nicht ausgenommen werden. Gerade auch die städtischen Angestellten

    seien nun zu einem Solidaritätsbeitrag ihrem Arbeitgeber und dem Gemeinwesen gegenüber

    aufgerufen. Weiter erachte er eine lineare Kürzung sämtlicher Löhne als die gerechteste aller

    denkbaren Massnahmen, treffe sie doch sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unabhän-

    gig von der Gehaltsstufe gleich. Hinzu komme, dass das Lohnniveau in der Stadt X im Ver-

    gleich zu benachbarten Städten und zum Kanton sehr hoch sei und ein generelles Absenken

    des Lohnniveaus sich auch aus diesen Gründen rechtfertige. Die übrigen Rügen seien offen-

    sichtlich unzutreffend.

    Das Verwaltungsgericht folgte der Argumentation des Stadtrats und wies die Beschwerden

    vollumfänglich ab. Das Urteil des Verwaltungsgerichts wurde Herrn A und dem Angestell-

    tenverband vor einer Woche schriftlich eröffnet.

  • Prof. G. Biaggini / Dr. D. Hofstetter Übungen im Öffentlichen Recht III (FS 2016)

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    Fragestellung

    1. Welches Rechtsmittel steht Herrn A und dem Angestelltenverband gegen das Urteil

    des kantonalen Verwaltungsgerichts offen?

    2. Wird die angerufene Rechtsmittelinstanz darauf eintreten?

    3. Wie beurteilen Sie die Stichhaltigkeit der vorgebrachten Rügen?

    4. Wie lautet das Urteil (Dispositiv) im Fall der Gutheissung des Rechtsmittels, wie lau-

    tet es im Fall der Abweisung?

    Beilagen:

    1. Statuten Angestelltenverband der Stadt X

    Art. 1 Der Angestelltenverband der Stadt X ist eine Gewerkschaft mit Sitz in X. Er ist als

    Verein gemäss Art. 60 ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbuches im Handelsregister einge-

    tragen.

    Art. 2 Zweck des Verbands ist, das im öffentlichen Dienst tätige Personal in beruflicher,

    wirtschaftlicher, sozialer, politischer und kultureller Hinsicht zu schützen und zu fördern.

    Der Verband kann die Interessen einzelner Mitglieder unterstützen und auch gegen aussen

    vertreten, sofern es sich um Anliegen von allgemeinem Interesse für das Personal im öffentli-

    chen Dienst handelt.

    Der Verband kann im Rahmen des umschriebenen Zweckes die Interessen von Mitgliedern

    vertreten und ist namentlich befugt, den Rechtsweg zu beschreiten.

    Art. 3 Die Mitgliedschaft im Angestelltenverband steht allen im öffentlichen Dienst der Stadt

    X stehenden Beschäftigten offen.

    2. Auszug aus dem Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons X

    Art. 24 Das Verwaltungsgericht beurteilt als letzte kantonale Instanz Beschwerden gegen

    a. Verfügungen, einschliesslich raumplanungsrechtlicher Festlegungen,

    b. unrechtmässiges Verweigern oder Verzögern einer anfechtbaren Verfügung,

    c. Handlungen staatlicher Organe, welche die politische Stimmberechtigung der Bürge-

    rinnen und Bürger oder Volkswahlen oder Volksabstimmungen betreffen (Stimm-

    rechtssachen),

    d. Erlasse, ausgenommen die Kantonsverfassung und kantonale

    Gesetze.

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    Fall 9: Pech beim Glücksspiel

    A ist ein leidenschaftlicher Spieler von Glücksspielen. Er besucht regelmässig die Casinos in

    seiner Region. Als sich die Verluste aus seiner Spieltätigkeit häufen, sein Verlangen nach

    Glücksspielen aber trotzdem nicht abnimmt, veruntreut A im grossen Umfang Gelder seines

    Arbeitgebers, um weiterhin dem Glücksspiel nachgehen zu können. Das veruntreute Geld

    verspielt er im Casino der X AG.

    Im Februar 2015 erfährt die Eidgenössische Spielbankenkommission (nachfolgend: ESBK),

    dass gegen A ein Strafverfahren wegen Veruntreuung eingeleitet wurde und dieser die verun-

    treuten Gelder im Casino der X AG verspielt hat.

    Die ESBK teilte daraufhin der X AG mit, dass gegen sie ein Administrativverfahren eröffnet

    werde, um zu prüfen, ob im Zusammenhang mit A die spielbankenrechtlichen Vorschriften

    eingehalten seien.

    Mit Verfügung vom 2. Oktober 2015 spricht die ESBK gegen die X AG eine Verwaltungs-

    sanktion in Höhe von CHF 4'939'000 aus. Sie begründet den Entscheid damit, dass den im

    Sozialkonzept vorgesehenen Prozessen nicht nachgekommen worden sei. Die X AG als Be-

    treiberin des Casinos habe damit gegen die Spielbankengesetzgebung verstossen.

    Die Sanktionshöhe von CHF 4'939'000 begründet die ESBK damit, dass die X AG durch das

    Verhalten von A einen Vorteil von gerundet CHF 2'822'420 erzielt habe. Es müsse von einem

    mittelschweren Verstoss ausgegangen werden, so dass sich ein Multiplikationsfaktor von 1.75

    rechtfertige. Dies ergebe den Betrag von CHF 4'939'000.

    Die X AG bestreitet, dass sie sich Unterlassungen habe zuschulden kommen lassen, die eine

    Sanktionierung rechtfertigen würden. Sie will daher gegen den Entscheid der ESBK vom 2.

    Oktober 2015 vorgehen.

    Fragen:

    1) Wie gestaltet sich der Rechtsmittelweg gegen die Verfügung der ESBK vom 2. Okto-

    ber 2015?

    2) Sie vertreten die X AG als Rechtsanwältin/Rechtsanwalt. Die X AG macht insbeson-

    dere geltend, die ESBK habe im Verwaltungssanktionsverfahren auf Unterlagen zur

    Ermittlung des Sachverhaltes Bezug genommen, welche sie (die X AG) unter Zwang

    habe herausgeben müssen. Wie argumentieren Sie?

    Relevante Rechtsnormen (bitte in die Übungsstunde mitbringen):

    Bundesgesetz über Glücksspiele und Spielbanken vom 18. Dezember 1998 (SBG; SR 935.52)

  • Prof. G. Biaggini / Dr. D. Hofstetter Übungen im Öffentlichen Recht III (FS 2016)

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    Fall 10: Die gestrenge Zollverwaltung

    Die politischen Gemeinden des Kantons Zug haben sich zum „Zweckverband der Zuger Ein-

    wohnergemeinden für die Bewirtschaftung von Abfällen“ (Zeba) zusammengeschlossen. Die-

    ser Gemeindeverband lässt das Abfallaufkommen in ausserkantonale Kehrichtverwertungsan-

    lagen verbringen. Hierzu unterhält er Verträge mit mehreren Transporteuren, so auch mit der

    Einwohnergemeinde der Stadt Zug (nachfolgend die Transporteurin). Der Transport der Keh-

    richtcontainer erfolgt nach der Methode des unbegleiteten kombinierten Verkehrs (UKV).

    Danach holen die Transporteure die Container am Verladeort ab und befördern diese per

    Lastwagen bis zum ersten Umschlagsbahnhof („Vorlauf“ des UKV). Dort erfolgt der Umlad

    von der Strasse auf die Schiene. Alsdann gelangen die Container per Bahn bis zum zweiten

    Umschlagsbahnhof („Hauptlauf“ des UKV), ehe der "Nachlauf" des UKV (von dort bis zum

    Entladeort, hier: Kehrichtverwertungsanlage), falls ein solcher überhaupt erforderlich ist,

    wiederum mit Lastwagen bewältigt wird. Soweit Strassenfahrzeuge im unbegleiteten kombi-

    nierten Verkehr – für den Vor- und/oder Nachlauf – eingesetzt werden, haben die Transport-

    eure von Gesetzes wegen die Möglichkeit, die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe

    (LSVA) zurückzuverlangen (Art. 4 Abs. 3 SVAG). Nach der Verordnung zur LSVA bedingt

    dies jedoch insbesondere, dass die Ladebehälter oder Sattelanhänger eine Mindestlänge von

    5,5 Meter (entsprechend 18 Fuss) aufweisen (Art. 8 Abs. 2 lit. a SVAV).

    Im Mai 2011 kontrolliert die Eidgenössische Zollverwaltung die vom Gemeindeverband ver-

    wendeten Container. Sie kommt zum Ergebnis, dass die eingesetzten Ausführungen eine Aus-

    senlänge (ohne Aussenbügel) von 5'343 Millimetern (Typ A) bzw. 5'249 Millimetern (Typ B)

    aufweisen und somit die für die Rückerstattung erforderliche Länge nicht erreichen. Die

    Nachkontrolle durch die RUAG Schweiz AG bestätigt dies. Unter Einbezug der Aussenbügel

    wären die Längenerfordernisse nach Art. 8 Abs. 2 lit. a SVAV hingegen erfüllt. Mit Blick auf

    diese Messergebnisse eröffnet die Zollverwaltung gegen die Transporteurin eine Zollstrafun-

    tersuchung wegen unrechtmässig beanspruchter Rückerstattungen der LSVA für die Jahre

    2007 bis 2011. Am 30. Mai 2012 erlässt die Zollverwaltung gegenüber der Transporteurin

    eine Nachleistungsverfügung (Art. 12 Abs. 1 und 2 VStrR) mit einer Nachforderung von

    Fr. 59'890.45.

    Gegen diese Verfügung erhebt die Transporteurin erfolglos verwaltungsinterne Beschwerde.

    Nun will die Transporteurin an das Bundesverwaltungsgericht gelangen. Sie ist der Meinung,

    bei der Längenmessung nach SVAV müssten die Aussenbügel – in dubio contra fiscum –

    berücksichtigt werden. Zudem sei es nicht nachvollziehbar, ja geradezu spitzfindig, die Un-

    tergrenze für die Rückerstattung der LSVA bei 18 Fuss zu ziehen, zumal von einer solchen

    Untergrenze im Gesetz keine Rede sei.

    Frage 1: Welche Anträge und Rügen sollen in der Beschwerde sinnvollerweise vorgebracht

    werden? (mit welcher Begründung?)

    Vor der Kontrolle im Mai 2011 hat die Eidgenössische Zollverwaltung der Transporteurin die

    LSVA 10 Jahre lang ohne den geringsten Vorbehalt zurückerstattet.

    Frage 2: Kann die Transporteurin daraus allenfalls etwas zu ihren Gunsten ableiten?

  • Prof. G. Biaggini / Dr. D. Hofstetter Übungen im Öffentlichen Recht III (FS 2016)

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    Angenommen, das Bundesverwaltungsgericht heisse die Beschwerde der Transporteurin gut

    und hebe die Nachleistungsverfügung auf:

    Frage 3: Kann die Eidgenössische Zollverwaltung gegen das Urteil des Bundesverwal-

    tungsgerichts vorgehen? Was kann sie gegebenenfalls geltend machen?

    Bundesgesetz über eine leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (Schwerverkehrsabgabegesetz, SVAG)

    vom 19. Dezember 1997 (SR 641.81), Auszug

    Art. 4 Ausnahmen und Befreiungen

    […]

    3 Für Fahrten im unbegleiteten kombinierten Verkehr besteht Anspruch auf eine pauschale Rückerstat-

    tung. Der Bundesrat regelt die Einzelheiten.

    Verordnung über eine leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (Schwerverkehrsabgabeverordnung,

    SVAV) vom 6. März 2000 (SR 641.811), Auszug

    Art. 8 Im unbegleiteten kombinierten Verkehr eingesetzte Fahrzeuge

    1 Halterinnen und Halter von der Abgabe unterliegenden Fahrzeugen, mit denen Fahrten im unbegleiteten

    kombinierten Verkehr (UKV) ausgeführt werden, erhalten für die Fahrten im Vor- und Nachlauf des

    UKV von der Zollverwaltung auf Antrag eine Rückerstattung.

    2 Pro Ladebehälter oder Sattelanhänger, der von der Strasse auf die Bahn oder das Schiff oder von der

    Bahn oder dem Schiff auf die Strasse umgeschlagen wird, beträgt die Rückerstattung:

    Franken

    a. für Ladebehälter oder Sattelanhänger mit einer Länge

    zwischen 5,5 und 6,1 m oder zwischen 18 und 20 Fuss 24

    b. für Ladebehälter oder Sattelanhänger mit einer Länge

    über 6,1 m oder über 20 Fuss 37

    3 Der Rückerstattungsantrag ist zusammen mit der Deklaration nach Artikel 22 an die Zollverwaltung zu

    richten.

    4 Der Rückerstattungsbetrag darf die gesamte Abgabe der im UKV eingesetzten Fahrzeuge der Antrag-

    stellerin oder des Antragstellers pro Abgabeperiode nicht übersteigen.3

    https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20000031/index.html#a4https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20000323/index.html#a8https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20000323/index.html#fn-#a8-3