Einführung: Assoziationen (1/2) -...

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Erwachsenenschutzrecht

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Einführung: Assoziationen (1/2)

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Einführung: Assoziationen (2/2)

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Einführung: Einstiegsfall (1/4)

Denise geht es gar nicht gut. Seit einem Jahr hat sie Krebs und liegt nun

wieder im Spital. Aufgrund des fortgeschrittenen Stadiums der

Erkrankung, mittlerweile sogar mit Metastasen in ihrem Gehirn, und der

starken Medikation mit schmerzstillenden Mitteln (u.a. Morphin), ist

Denise nicht mehr ansprechbar, sondern befindet sich in einem

Dämmerzustand. Ihre Lebenserwartung beträgt nur noch Tage, im

besten Fall wenige Wochen.

Denise hat einen von ihr geschiedenen Exmann und zwei erwachsene

Söhne; es kümmern sich und besuchen sie aber ausschliesslich ihre

Haushälterin und ihre Lebenspartnerin Caroline. Mit dieser

Lebenspartnerin lebt sie schon seit vielen Jahren in einer

Wohngemeinschaft zusammen, wobei die Partnerschaft nicht eingetragen

ist.

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Einführung: Einstiegsfall (2/4)

Denise hat weder einen Vorsorgeauftrag noch eine

Patientenverfügung erstellt, worin festgehalten worden wäre, wie ihre

medizinische Betreuung aussehen soll, wenn sie selber nicht mehr

darüber entscheiden kann.

Denise wurde nach entsprechenden Hinweisen von Angehörigen

bezüglich ihrem Gesundheitszustand kürzlich durch die KESB ein

Verwaltungsbeistand für die Vermögensverwaltung im Sinne von ZGB

395 bestellt.

Der Beistand stellt nun nach Absprache mit den Söhnen und dem

Exmann dem Spital den Antrag, dass sämtliche lebenserhaltenden

Massnahmen einzustellen sind, und erteilt die formelle Erlaubnis, dass

der Körper von Denise nach deren Ableben der medizinischen Forschung

zur Verfügung gestellt werden soll.

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Einführung: Einstiegsfall (3/4)

Was ist überhaupt ein Beistand? Was ist ein

Beistand für die Einkommens- und

Vermögensverwaltung im Besonderen?

Was ist ein Vorsorgeauftrag und was eine

Patientenverfügung?

Wer kann in solchen und ähnlichen Situation

bestimmen? Der Beistand? Die

Familienangehörigen oder andere

nahestehende Personen? Der Arzt? Niemand?

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Einführung: Einstiegsfall (4/4)

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Einführung: Bericht Expertengruppe, S. 38 f.

«Die Rücksicht auf das Wohl des Schwachen hängt aufs Engste

zusammen mit der Respektierung der Menschenwürde. Diese geht aus

vom unverfügbaren Eigenwert jeder menschlichen Person. Diese

Einzigartigkeit und Unverfügbarkeit des Menschen findet ihren Ausdruck

in seiner Selbstbestimmung auf der Grundlage des Eigenwertes auch der

Mitmenschen. Menschenwürde hat demnach ein Doppelgesicht: Sie

wird verletzt, wenn über den Menschen wie über eine Sache verfügt

wird; sie wird aber auch verletzt, wenn dem Menschen in seinen

grundlegendsten Bedürfnissen Hilfe versagt wird. (...) Dennoch kann

eine Erwachsenenschutzmassnahme die Menschenwürde verletzen: sei

es, dass Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht unverhältnismässig

sind, sei es, dass gebotene Handlungspflichten nicht erfüllt werden.»

(gilt analog auch für den Kindesschutz)

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Agenda

1. Allgemeines zum ESR

2. Grundprinzipien/Maximen im ESR

3. Überblick über die ES-Massnahmen bzw. Rechtsinstitute

4. Eigene Vorsorge (Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung)

5. Massnahmen von Gesetzes wegen für urteilsunfähige Personen

(gesetzliches Vertretungsrecht, Vertretung bei medizinischen

Massnahmen)

6. Beistandschaften (insbesondere Arten von Beistandschaften)

7. Einkommens- und Vermögensverwaltung im Rahmen von

Beistandschaften

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Allgemeines zum

Erwachsenenschutzrecht

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

Was ist überhaupt die Aufgabe des

Erwachsenenschutzrechts?

• Erwachsenenschutzrecht ist nur auf volljährige Personen anwendbar.

• Jeder Mensch ist in der schweizerischen Rechtsordnung rechtsfähig,

jedoch nicht auch (voll) handlungsfähig (vgl. ZGB 11 ff.).

• Wer gemäss ZGB «erwachsen» (also volljährig; ZGB 14) und

urteilsfähig ist, ist voll handlungsfähig (ZGB 13).

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

Daraus folgt, dass Erwachsene

grundsätzlich selbständig handeln (z.B.

Verträge abschliessen, ihr Vermögen

verwalten, Gesundheitsvorsorge regeln).

Es gibt jedoch Ausnahmen…

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

Volljährige, urteilsfähige Person als Rechtssubjekt

Regel: handelt grundsätzlich selbständig

Ausnahme: Selbständigkeit und Selbstbestimmung können jedoch durch gewisse Schwächezustände

beeinträchtigt werden

Schwächezustand kann Wohl des Betroffenen gefährden und Hilfs- und Schutzbedürftigkeit

auslösen

ESR hat zur Aufgabe behebend, ausgleichend oder mildernd einzugreifen (Merke: Jedoch nur

subsidiär)

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

Aufgabe des Erwachsenenschutzrechts (Bsp.:

Urteilsunfähigkeit)

Volle Handlungsfähigkeit

(urteilsfähig und volljährig)

Geschäftsfähigkeit (Form der Hf): verbindlich gültig Rechtsgeschäfte abschliessen können (inkl. Vertragsfähigkeit)

Eintritt der Urteilsunfähigkeit

(z.B. durch Krankheit, Unfall)

Betroffene Person wird voll

handlungsunfähig

=> Wer vertritt die Person?

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

Altes Vormundschafts-recht von 1907 galt bis 31.12.2012

Botschaft des Bundesrats zum Entwurf für das neue Erwachsenen-schutzrecht vom 28. Juni 2006

Inkrafttreten des neuen Erwachsenen-schutzrechts am 1. Januar 2013

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

Grundzüge der Organisation (Zuständigkeit/Verfahren) des

Erwachsenenschutzrechts (1/6)

• KESB = interdisziplinäre Fachbehörde (ZGB 440 I).

• I.d.R. werden die KESB-Entscheide von einem

Spruchkörper von 3 Personen gefällt (ZGB 440 II; aber

teilweise Einzelzuständigkeiten: vgl. ZH EG KESR § 41

f.).

• ESB auch KSB => KESB (ZGB 440 III).

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

Grundzüge der Organisation (Zuständigkeit/Verfahren) des

Erwachsenenschutzrechts (2/6)

• Kantone bestimmen die administrative Aufsichtsbehörde

(ZGB 441; ZH: Direktion der Justiz und des Innern [EG

KESR § 13; BE: JGK/Kt. Jugendamt [KESG 18; KESV 4];

AG: Obergericht, Abteilung Zivilgericht [EG ZGB § 59 II]).

• KESB am Wohnsitz der betroffenen Person ist

zuständig. In dringlichen Fällen auch KESB am

Aufenthaltsort (ZGB 442; vgl. ZGB 23 ff.).

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

Grundzüge der Organisation (Zuständigkeit/Verfahren) des

Erwachsenenschutzrechts (3/6)

• Melderecht: Jede Person kann der KESB Meldung erstatten (ZGB 443 I;

Hilfsbedürftigkeit: In Bezug auf persönliche oder finanzielle

Angelegenheiten derart gefährdet erscheint, dass Hilfe/Schutz

notwendig scheint und nicht bereits durch Dritte erbracht wird;

Mutwillige Meldung wider besseres Wissen kann

persönlichkeitsverletzend sein [ZGB 28 ff.] und eine Ehrverletzung

[StGB 173 ff.] darstellen und ggf. eine Haftpflicht auslösen [OR 41 ff.,

49]; Berufsgeheimnis bleibt aber vorbehalten [Botschaft verweist

nur auf StGB 321 und nicht auf BankG 47]).

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

Weitere Melderechte?:

Besteht die ernsthafte Gefahr, dass eine hilfsbedürftige Person sich selbst (schwer) gefährdet oder ein

Verbrechen oder Vergehen begeht, mit dem sie jemanden körperlich, seelisch oder materiell schwer

schädigt, so arbeiten die KESB, die betroffenen Stellen und die Polizei zusammen (ZGB 453 I; Pflicht zur

Zusammenarbeit und zum Informationsaustausch um im Interesse des Betroffenen widersprüchliche Massnahmen zu

verhindern und ggf. auch Abwendung drohender Gefahr).

Personen, die dem Amts- oder Berufsgeheimnis

unterstehen, sind in einem solchen Fall berechtigt, der KESB

Mitteilung zu machen (ZGB 453 II)

=> Für den Fall ernsthafter schwerer Selbst- und Drittgefähr-

dung besteht demnach ein Melderecht (Güterabwägung;

z.B. bei schwerer materieller Selbstschädigung)

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

• Gegen Handlungen oder Unterlassungen des Beistands sowie einer Drittperson oder

Stelle, der die KESB einen Auftrag erteilt hat, kann der Betroffene oder ein ihm

Nahestehender und jede Person, die ein rechtlich geschütztes Interesse hat, die

KESB anrufen (ZGB 419; Zweck: Wahrung/Wiederherstellung richtiger

Massnahmeführung und somit Schutz des Betroffenen; ggf. auch die Bank).

• Sind die Interessen des urteilsunfähigen Betroffenen gefährdet oder nicht mehr gewahrt,

so entzieht die KESB dem Ehegatten/eingetragenen Partner (gesetzliches

Vertretungsrecht) auf Antrag einer nahestehenden Person oder v.A.w. die

Vertretungsbefugnisse teilweise/ganz oder errichtet eine Beistandschaft (ZGB 376;

ungewiss, ob Bank als «nahestehende Person» gelten könnte und somit

antragsberechtigt wäre; => Meldung kann aber unter den Voraussetzungen von ZGB

443 I jedermann und demnach auch die Bank machen).

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

• Sind die Interessen des Auftraggebers (durch den

Vorsorgebeauftragten) gefährdet oder nicht mehr

gewahrt, so trifft die KESB v.A.w. oder auf Antrag eines

Nahestehenden die erforderlichen Massnahmen (ZGB

368; ungewiss, ob Bank als Nahestehender gelten könnte

und somit antragsberechtigt wäre; => Meldung kann aber

unter den Voraussetzungen von ZGB 443 I jedermann und

demnach auch die Bank machen).

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

Grundzüge der Organisation (Zuständigkeit/Verfahren) des

Erwachsenenschutzrechts (4/6)

• Meldepflicht: Wer für den Staat arbeitet, muss eine

Meldung machen (ZGB 443 II; Ausnahme z.B.

Mitarbeitende Opferhilfe [OHG 11 III]; Meldepflicht geht

Amtsgeheimnis vor; Person muss aber «hilfsbedürftig»

erscheinen [ggf. nicht gegeben, wenn man selbst/Dritter

Hilfestellung leistet]; bei Verletzung ggf.

Staatshaftungsrecht anwendbar).

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

Weitere Meldepflichten?

• Wird der Auftraggeber voraussichtlich dauernd urteilsunfähig, so muss der

Beauftragte die KESB am Wohnsitz des Auftraggebers benachrichtigen, wenn eine

solche Meldung zur Interessenwahrung angezeigt erscheint (OR 397a)

Bank (OR 397a i.V.m. BankG 47 V) muss in einem solchen Fall Güterabwägung

vornehmen, wobei regelmässig Meldung zu erstatten sein wird, da nicht einmal

in den Grundzügen Überwachung/Kontrolle der Auftragserfüllung mehr gegeben

ist; andernfalls riskiert sie Schadenersatzzahlungen => stets Meldung/Nichtmeldung

sorgfältig dokumentieren).

Wie könnte eine Gefährdungsmeldung (ZGB 443 I) aussehen?

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Muster einer Gefährdungsmeldung

Gefährdungsmeldung

Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde

Adresse (vgl. dazu www.kokes.ch)

Meldung über die Hilfsbedürftigkeit einer erwachsenen Person

Meldung von (Name, Adresse, Tel., Mail, Beziehung zur gefährdeten Person)

Meldung betrifft (alle bekannten Angaben angeben zu: Name, Geburtsdatum, Adresse,

Tel., Mail, Nationalität, Muttersprache etc.)

Falls vorhanden (sämtliche) Angaben zu Ehemann/Ehefrau/Partner/Partnerin/andere

nahestehende Personen

Worin besteht die Gefährdung? (sachliche Beschreibung mit Angaben zu Ort und Zeit)

Bemühungen im Rahmen freiwilliger Hilfestellungen? Wenn ja, welche?

Wurde nahestehende Person über die Meldung informiert? Wenn ja, wer genau?

Aktueller Aufenthaltsort der hilfsbedürftigen Person? (Wohnadresse? Anderer Ort?)

Datum, Unterschrift

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Fallbeispiel Gefährdungsmeldung

Der hochbetagte Johannes K. schliesst am Telefon und

im Internet immer wieder Verträge ab. Er kann nicht mehr

unterscheiden, was für ihn wichtig und was überflüssig ist.

Unzählige Verträge mit diversen Internetanbietern wurden

dadurch geschlossen und in seiner Wohnung befinden

sich ein gutes Dutzend Roboterstaubsauger diverser

Marken. Seine Tochter ist deshalb mittels

Gefährdungsmeldung an die KESB gelangt und diese hat

für solche Rechtsgeschäfte eine sogenannte

Mitwirkungsbeistandschaft angeordnet, womit Johannes

K. derartige Verträge nur noch mit der Zustimmung des

Beistandes abschliessen kann.

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

Grundzüge der Organisation (Zuständigkeit/Verfahren) des

Erwachsenenschutzrechts (5/6)

• KESB erforscht den Sachverhalt von Amtes wegen

(Untersuchungsmaxime; Mitwirkungspflicht z.B. der

Banken [ZGB 448 i.V.m. BankG 47 V]) und kann auch von

sich aus tätig werden (vgl. ZGB 446; Offizialmaxime).

• Der Betroffene wird i.d.R. persönlich angehört (ZGB 447;

ZH: EG KESR § 50 ff.; vgl. für Vertretung sowie

Akteneinsichtsrecht ZGB 449a sowie BV 29).

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Allgemeines zum Erwachsenenschutzrecht

Grundzüge der Organisation (Zuständigkeit/Verfahren) des

Erwachsenenschutzrechts (6/6)

• Beschwerderecht vor gerichtlicher Beschwerdeinstanz

gegen KESB-Entscheide

(vgl. ZGB 450 ff.; ZH: 1. RMI: Bezirksrat bzw. bei FU Einzelgericht des

Bezirksgerichts [EG KESR § 62 f. und GOG § 30]; 2. RMI:

Obergericht [EG KESR 64]; BE: Obergericht bzw. Einzelrichter bei FU

[EG ZGB 66]).

Welche Grundprinzipien müssen im ESR stets beachtet werden?

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Grundprinzipen/Maximen

Verhältnis-mässigkeits-

prinzip

Komple-mentarität

Subsidarität Angemessen-heit/Mass-

schneiderung

Wahrung der Selbst-

bestimmung

(behördliche)

Massnahme

muss:

(behördliche)

Massnahmen

müssen:

(behördliche)

Massnahmen

nur:

(behördliche)

Massnahmen

müssen:

Die KESB

muss:

1. geeignet 2. erforderlich

und

3. zumutbar sein (Güterabwägung)

Massnahme ist

veränderten

Verhältnissen

anzupassen und

sobald nicht mehr

nötig, ist sie

aufzuheben

(vgl. ZGB 389;

BV 10 i.V.m. 36; BV 5 und

35)

auf den Fähigkeiten der

betroffenen und ihr

nahestehenden Personen

aufbauen, diese

ergänzen und

nicht ersetzen (hängt mit

Verhältnismässigkeits-

prinzip zusammen)

wenn der betroffenen

Person nicht

anders geholfen werden kann

(z.B. durch Familie,

Freunde, private und

öffentliche Dienste)

(konkretisiert

Verhältnismässigkeits-

prinzip)

(vgl. ZGB 389)

«nach Mass» getroffen werden

(Massnehmen und Masshalten)

(hängt mit

Verhältnismässigkeits-

prinzip zusammen)

soweit möglich Erhalt und

Förderung der

Selbstbestim-mung des

Betroffenen

sicherstellen bzw.

wahren (vgl. ZGB 388 Abs. 2)

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Erwachsenenschutzmass-

nahmen

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Erwachsenenschutzmassnahmen bzw.

Rechtsinstitute im Überblick

ESM

nicht-behördliche (private)

Eigene Vorsorge:

- Vorsorgeauftrag (ZGB 360-369)

- Patientenverfügung (ZGB 370- 372)

Massnahmen von Gesetzes wegen:

Gesetzliche Vertretung (ZGB 374-381)

behördliche

Auf «Dauer» ausgerichtet:

Beistandschaften (ZGB 390-425)

«Nicht dauerhaft» i.d.R.:

- Erforderliche Massnahme (ZGB 392)

- Fürsorgerische Unterbringung (ZGB 426-

439)

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Massnahmen/Rechtsinstitute Artikel (ZGB)

Behördliche

Massnahmen

(da durch KESB

angeordnet)

Amtsgebundene Massnahmen:

Beistandschaften

(da Beistand [natürliche

Person] eingesetzt werden

muss)

Begleitbeistandschaft 393

Vertretungsbeistandschaft 394

Vermögensverwaltungs-

beistandschaft 395

Mitwirkungsbeistandschaft 396

Kombinierte Beistandschaft 397

Umfassende Beistandschaft 398

Nicht amtsgebun-dene Massnahmen (da kein Beistand)

Erforderliche Vorkehren der

KESB 392

FU 426 ff.

Überblick Behördliche Massnahmen

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Massnahmen/Rechtsinstitute Artikel (ZGB)

Nichtbehördliche

Massnahmen

(da nicht durch KESB

angeordnet)

Gesetzliche Massnahmen

Vertretung durch Ehegatten oder

eingetragenen Partner

(gesetzliches Vertretungsrecht für

Rechtsgeschäfte)

374 ff.

Vertretungsrechte für medizinische

Massnahmen

(Kaskadenordnung – Rangfolge)

377 ff.

Eigene Vorsorge (Selbstvorsorge)

Vorsorgeauftrag 360 ff.

Patientenverfügung 370 ff.

Überblick Nichtbehördliche Massnahmen

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Eingriffsintensität der Massnahmen

Welche Reihenfolge/Rangordnung betreffend

Eingriffsintensität besteht unter den Massnahmen

und Rechtsinstituten im Erwachsenschutzrecht?

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Eingriffsintensität

Umfassende Beistandschaft

Kombinierte Beistandschaft

Mitwirkungsbeistandschaft

Vermögensverwaltungsbeistandschaft

Vertretungsbeistandschaft

Begleitbeistandschaft

Direkte Anordnung der KESB gem. Art. 392 ZGB

Gesetzliche Vertretungsrechte

Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung

Schwere/Inten-sität des Eingriffs nach oben zu-nehmend

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Die eigene Vorsorge

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Die eigene Vorsorge (Selbstbestimmung)

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Der Vorsorgeauftrag oder der «zweitletzte Wille»

ZGB 360

Eine handlungsfähige Person kann eine natürliche

oder juristische Person beauftragen, im Fall ihrer

Urteilsunfähigkeit die Personensorge oder die

Vermögenssorge oder die Vermögensverwaltung

zu übernehmen oder sie im Rechtsverkehr zu

vertreten.

Was heisst handlungsfähig? Was heisst urteils(un)fähig? Was ist eine

natürliche und was eine juristische Person?

Was ist Personensorge, was Vermögenssorge, was ist Vermögensverwaltung

und was ist unter Vertretung im Rechtsverkehr zu verstehen?

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Der Vorsorgeauftrag

• Eine handlungsfähige Person kann eine natürliche oder

juristische Person beauftragen, im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit

die Personensorge oder die Vermögenssorge oder die

Vermögensverwaltung zu übernehmen oder sie im Rechtsverkehr

zu vertreten.

• Handlungsfähig ist, wer volljährig (ab 18. Altersjahr [ZGB 14]) und

urteilsfähig ist und nicht unter umfassender Beistandschaft steht

(ZGB 13). Diese Personen haben die Fähigkeit, durch ihre

Handlungen Rechte und Pflichten zu begründen (ZGB 12).

• Urteilsfähig ist, wer nicht wegen seines Kindesalters, infolge

geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher

Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln (ZGB

16).

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Der Vorsorgeauftrag

Vorsorgebeauftragte können sowohl natürliche als auch

juristische Personen sein:

• Natürliche Personen sind Privatpersonen (Menschen),

also etwa Eltern, Nachbarn, Freunde und Bekannte (sie

müssen zum ZP der Wirksamkeit des VA für die Aufgabe geeignet und wohl auch voll handlungsfähig sein [ZGB 363 II Ziff. 3]).

• Juristische Personen sind keine Menschen, haben

jedoch auch eine eigene Rechtspersönlichkeit, können

also Rechte und Pflichten begründen wie beispielweise

eine Aktiengesellschaft (z.B. eine Bank), ein Verein oder

eine Stiftung (ZGB 52 ff.).

Was ist der Vorsorgeauftrag aber rechtlich gesehen (rechtliche Qualifikation)?

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Der Vorsorgeauftrag

• Der Vorsorgeauftrag ist ein Vertrag (deshalb kann

beauftragte Person nicht gezwungen werden, den

Auftrag auch anzunehmen). Durch die Annahme des

Auftrags verpflichtet sich die beauftragte Person, dir ihr

übertragenen Geschäfte vertragsgemäss und sorgfältig

zu besorgen (vgl. ZGB 365 i.V.m. OR 394 ff.).

• Haftung richtet sich nach Auftragsrecht (ZGB 456).

Was heisst Personensorge? Was heisst Vermögenssorge? Und was ist mit im

Rechtsverkehr vertreten gemeint?

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Der Vorsorgeauftrag

• Personensorge: Sie umfasst die Fürsorge in persönlichen

Angelegenheiten sowie Hilfestellung im Alltag. Auch die allgemeine

Gesundheitssorge kann dazugehören, etwa die Anstellung von

Pflegepersonal oder Entscheide über Spital- und Heimaufenthalte. Es kann

auch etwa bestimmt werden, wer die persönliche Pflege übernehmen soll,

wie diese Pflege auszusehen hat und wann die Wohnung aufgelöst werden

soll.

• Vermögenssorge: Sie umfasst die finanziellen Fragen und betrifft sowohl

das Einkommen als auch das Vermögen. Dabei geht es etwa um die

Vermögensverwaltung, die Renten, das Begleichen offener Rechnungen

und das Einhalten von finanziellen Verpflichtungen. Bei der

Vermögensverwaltung können etwa Anordnungen getroffen werden, wie die

Aufgaben zu erfüllen sind, oder bestimmte Vorkehrungen verbieten. So

kann z.B. bestimmt werden, wem Geld geschenkt werden soll, wer ein

Darlehen erhalten soll, wem regelmässige Spenden zukommen, mit

welchen Geldern Börsengeschäfte getätigt werden sollen oder welche

Konten auf keinen Fall aufgelöst werden dürfen.

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Der Vorsorgeauftrag

• Rechtsverkehr: Jemanden «im Rechtsverkehr

vertreten» bedeutet, für diese Person gültig Rechte und

Pflichten/Verpflichtungen (z.B. durch Abschluss oder

Kündigung von Verträgen) begründen zu können.

Die Vertretung im Rechtsverkehr ist notwendig, um etwa

die Personen- und Vermögenssorge bei

Amtsstellen/Behörden, Versicherern, privaten und

öffentlichen Einrichtungen und Privatpersonen zu

gewährleisten.

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Der Vorsorgeauftrag

Können auch mehrere Personen eingesetzt/beauftragt

werden?

Ja, so kann etwa die Hausbank für die

Vermögensverwaltung und den diesbezüglichen

Rechtsverkehr eingesetzt werden; eine Angehörige, ein

Freund oder beide zusammen jedoch für die

Personensorge.

In einem solchen Fall sollten die Zuständigkeiten genau

festgelegt werden.

Weitere Möglichkeiten? An was muss sonst noch

gedacht werden?

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Der Vorsorgeauftrag

• Es kann etwa auch bestimmt werden, wer die Ferienwohnung in Zermatt benutzen

darf und falls das Einkommen und das Vermögen knapp werden, diese verkauft

werden soll. Beim Verkauf solle dann aber der Person, welche die Ferienwohnung

benutzen durfte, ein Vorkaufsrecht (vgl. OR 216 ff. [öffentliche Beurkundung nötig!])

zukommen.

• Eine Patientenverfügung kann in einen VA integriert werden und festlegen, wer

später einmal über medizinische Massnahmen bestimmen soll (jedoch nur natürliche

Person).

• Falls kein VA verfasst wurde, kann der Ehegatte oder der eingetragene Partner die

betroffene Person zwar bei Urteilsunfähigkeit vertreten (= gesetzliches

Vertretungsrecht). Für ausserordentlich Vermögenverwaltungen – etwa die

Liquidation eines Geschäfts, die Veräusserung von Liegenschaften und

Wertgegenständen, den Verkauf von Wertpapieren oder Börsengeschäfte – müsste

die Zustimmung der KESB eingeholt werden. In einem VA dagegen können diese

Kompetenzen dem Beauftragten übertragen werden und dieser muss dann

keine Zustimmung für solche Geschäfte bei der KESB einholen.

• Oder falls man gerade nicht möchte, dass einem der Ehegatte/eingetragene

Partner im Fall der Urteilsunfähigkeit vertritt, sollte mittels VA eine andere Person

beauftragt werden.

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Der Vorsorgeauftrag

Wie könnte in etwa ein solcher Vorsorge-

auftrag aussehen bzw. formuliert werden?

Was gehört in den Vorsorgeauftrag (Inhalt)?

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Der Vorsorgeauftrag

Einfaches Muster eines Vorsorgeauftrages (1/3)

Name, Vorname:

Geboren:

Wohnhaft in:

Sollte ich i.S.v. Art. 360 ZGB nicht mehr in der Lage sein, selber Entscheidungen zu

treffen, beauftrage ich

[Name, Adresse, Telefonnr., E-Mail der beauftragten Person]

sich mit diesem Vorsorgeauftrag (VA) an die KESB meines Wohnorts zu wenden. Die

KESB soll ihr/ihm die zu meiner Vertretung notwendige Urkunde i.S.v. Art. 363 ZGB

ausstellen.

Für den Fall, dass [Name der beauftragten Person] diesen VA nicht annehmen kann, bestimme ich als Ersatz: [Name, Adresse, Telefonnr., E-Mail der Ersatzperson]

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Der Vorsorgeauftrag

Einfaches Muster eines Vorsorgeauftrages (2/3)

1. Personensorge

Die oben erwähnte beauftragte Person bestimmt, welche Massnahmen im Hinblick auf

meine optimale Unterstützung und Betreuung zu treffen sind. Für medizinische

Massnahmen bei meiner Urteilsunfähigkeit verweise ich auf meine Patientenverfügung vom [Datum].

2. Vermögenssorge

Die beauftragte Person verwaltet mein Einkommen und Vermögen in meinem Interesse

und sorgt für die Bezahlung meiner Rechnung. Sie ist befugt, eingeschriebene Post

entgegenzunehmen und meine Post zu öffnen.

3. Vertretung im Rechtsverkehr

Die beauftragte Person ist bevollmächtigt, alle für die Personen- und Vermögenssorge

notwendigen Vorkehrungen zu treffen und die dafür nötigen Verträge abzuschliessen

oder zu kündigen.

4. Spesen und Entschädigung

Notwendige Auslagen sind der beauftragten Person zu ersetzen. Für ihren zeitlichen

Aufwand darf sie CHF [Betrag] pro Stunde berechnen. Nicht zu entschädigen sind ihre freiwilligen Besuche bei mir zu Hause, Heim oder Spital.

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Der Vorsorgeauftrag

Einfaches Muster eines Vorsorgeauftrages (3/3)

Ort, Datum: ________________________________

Unterschrift: ________________________________

Was noch?

Quelle: Leicht modifizierte Vorlage des Beobachters

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Der Vorsorgeauftrag

Zudem:

• Falls bereits ein VA besteht:

«Dieser Vorsorgeauftrag ersetzt sämtliche vorhergehenden.» oder:

«Dieser Vorsorgeauftrag ergänzt den Vorsorgeauftrag vom

[Datum].»

• Falls zusätzlich eine Patientenverfügung besteht:

Sinnvoll ist ein Hinweis dazu.

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Der Vorsorgeauftrag

Und in welcher Form würden Sie den Vorsorgeauftrag

verfassen?

• Schriftlich?

• Mündlich?

• Auf dem PC geschrieben?

• Von Hand geschrieben?

• Auf dem PC geschrieben, aber von Hand unterschrieben?

• Auf dem PC geschrieben und öffentlich beurkundet?

• Von Hand geschrieben und öffentlich beurkundet?

• Sonstiges?

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Der Vorsorgeauftrag

Formerfordernisse (vgl. OR 11)

Es gibt zwei Möglichkeiten (ZGB 361):

1. Der eigenhändige Vorsorgeauftrag

Dieser muss von A bis Z handschriftlich verfasst werden. Er ist zu datieren und zu

unterschreiben. Fehlt das Datum, führt dies – wie bei einem Testament – nicht zwingend

zur Ungültigkeit (ZGB 520a analog), falls sich der Zeitpunkt der Errichtung auf andere

Weise feststellen lässt. Nebst Unterschrift und Datum auch den Ort anzugeben ist

natürlich zulässig.

2. Öffentlich beurkundeter Vorsorgeauftrag

Diese Form wird etwa gewählt, wenn man wegen körperlicher Gebrechen nicht mehr

schreiben kann oder wenn man möglichen Zweifeln der Angehörigen oder der Behörden

an der Urteilsfähigkeit oder Verdacht des Zwangs zum Zeitpunkt der Errichtung

vorbeugen möchte.

Dabei wird der VA bei einem Notar gemacht (die Kosten belaufen sich zwischen CHF

300 und 1000 oder mehr; Zeugen gemäss h.L. nicht nötig)

Und wie sieht es mit der Entschädigung für den Beauftragten aus?

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Der Vorsorgeauftrag

Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit des VA als Regel?

• Der Gesetzgeber hat diese Frage offen gelassen. Die beauftrage Person hat aber je nach

Einzelfall einen Anspruch auf eine Entschädigung (vgl. ZGB 366).

• Der Anspruch entsteht erst nach Inkrafttreten des VA.

• Bei Fachkräften wie etwa Anwälten, Notare, Treuhänder, oder Bankangestellte ca. CHF 200 pro Stunde und höhere Ansätze.

• Für Privatpersonen wird teilweise ein Stundenansatz von CHF 25 bis 30 empfohlen.

• Es empfiehlt sich, diese Frage mit der Beauftragten zu klären. Selbstverständlich kann sie auf ein Honorar verzichten (womit ein unentgeltlicher Auftrag zustande kommt).

• Notwendige Spesen gehen stets zu Lasten des Auftraggebers.

Aber wie sollte der VA aufbewahrt werden? Wie kann nämlich sichergestellt werden, dass er nach

Eintritt der Urteilsunfähigkeit gefunden wird?

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Der Vorsorgeauftrag

Aufbewahrung und Eintragung des VA

• Informieren Sie Ihr vertrautes Umfeld über den Umstand, dass Sie einen VA verfasst haben und

über den Aufbewahrungsort.

• VA sollte rasch gefunden werden können, weshalb der Banksafe kein geeigneter Ort darstellt.

• Es empfiehlt sich den VA dort aufzubewahren, wo Sie auch den Pass, allenfalls ein Testament

und andere wichtige Dokumente aufbewahren.

Selbstverständlich kann der VA (oder eine Kopie davon) auch einer Vertrauensperson übergeben werden.

• Um sicherzustellen, dass die KESB im Fall der Urteilsfähigkeit erfährt, dass es VA erstellt wurde,

kann man sich an das Zivilstandsamt wenden und den VA in das Personenstandsregister «eintragen lassen» (Infostar). Die KESB muss nämlich, wenn Sie von der Urteilsunfähigkeit einer

Person erfährt sich beim Zivilstandsamt erkundigen, ob ein VA erstellt wurde (ZGB 363). Es kann

jedoch nur der Hinterlegungsort eingetragen werden, der VA selber kann nicht im

Personenstandsregister hinterlegt werden. In gewissen Kantonen wie etwa Zürich (EG KESR §

75), Aargau (vgl. EG ZGB § 60a) Basel-Stadt oder Thurgau kann der VA bei der KESB hinterlegt werden.

Wieso nicht einfach anstelle eines VA eine normale Vollmacht ausstellen?

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Der Vorsorgeauftrag

Die Krux mit der (normalen) Vollmacht (OR 34 ff.)

• Eine Vollmacht ist bereits gültig, wenn der Vollmachtgeber (noch) urteilsfähig ist und den

Bevollmächtigen überwachen kann.

• Tritt dann die Urteilsunfähigkeit ein, so gibt es anders als beim VA keine Überprüfung durch die

KESB. Zudem untersteht die Vollmacht auch nicht den strengen Formvorschriften.

• Überwiegend wird die Meinung vertreten, dass Vollmachten mit sogenannter

Weitergültigkeitsklausel für den Fall der Urteilsunfähigkeit («Diese Vollmacht gilt auch für den Fall

meiner Urteilsunfähigkeit.») auch unter dem neuen Recht gültig sind.

• Werden jedoch Vollmachten oder einzelne Ermächtigungen erst für den Zeitpunkt der

Urteilsunfähigkeit festgesetzt (z.B.: «Wenn ich einst urteilsunfähig sein sollte, so soll meine

Schwester meine Rente verwalten.»), so muss grundsätzlich ein VA verfasst werden (und damit werden die Formvorschriften eingehalten). Andernfalls liegt eine unzulässige Umgehung der

Formvorschriften vor.

Tritt der VA automatisch in Kraft, wenn die Person urteilsunfähig wird?

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Der Vorsorgeauftrag

Feststellung der Gültigkeit und Wirksamkeit sowie Annahme

• Wird jemand urteilsunfähig, so ist die KESB einzuschalten. Sie erkundigt sich dann beim

Zivilstandsamt, ob ein VA errichtet wurde, falls ihr nicht bekannt ist, ob ein VA vorliegt (ZGB 363 I). Falls dieses keine Kenntnisse über einen VA hat, muss sich die KESB diesbezüglich

namentlich bei den betroffenen nahestehenden Personen erkundigen.

• Liegt ein VA vor, so prüft die KESB, ob dieser gültig errichtet wurde, ob die Voraussetzungen für seine Wirksamkeit eingetreten sind, die beauftragte Person für ihre Aufgaben geeignet ist und ob

weitere Massnahmen des ES erforderlich sind (ZGB 363 II). Mit anderen Worten hat die KESB

namentlich zu prüfen, ob die betroffene Person tatsächlich urteilsunfähig ist und die Urteilsunfähigkeit von einer gewissen Dauer ist (Alkoholrausch genügt nicht).

• Nimmt der Beauftragte den VA an, so weit die KESB ihn auf seine Pflichten hin (OR 394) und

händigt ihm eine Urkunde aus, die seine Befugnisse/Kompetenzen wiedergibt (ZGB 363 III).

• Vgl. für eine allfällige Auslegung und Ergänzung durch die KESB ZGB 364; für eine Kündigung

ZGB 367; für ein mögliches Einschreiten der KESB ZGB 368; für den Fall der Wiedererlangung

der Urteilsfähigkeit ZGB 369.

Vgl. für ausführliche Version eines VA: Vorsorgeauftrag.pdf

Vgl. für kurze Version eines VA: Vorsorgeauftrag kurz.pdf

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Die Patientenverfügung

Allgemeines

• Nicht neu, aber rechtliche Vereinheitlichung auf Bundesebene dank neuem ESR

(ZGB 370 ff.).

• In einer Patientenverfügung (PV) können – vereinfacht gesagt – Wünsche zur

medizinischen Behandlung festgehalten werden und zwar für den Fall, dass man

urteilsunfähig wird und nicht mehr selbst bestimmen kann, welche Behandlung man wünscht oder ablehnt.

• Anders als beim VA genügt zur Erstellung einer PV die Urteilsfähigkeit. Mit anderen

Worten ist die Volljährigkeit keine Voraussetzung. Deshalb können auch im Hinblick

auf das Erstellen einer PV urteilsfähige Minderjährige eine solche verfassen.

• Die PV kommt etwa dann zum Tragen, wenn die betroffene Person aufgrund einer

psychischen Erkrankung, einer fortschreitenden Altersdemenz oder nach einem Unfall das Bewusstsein verloren hat und somit nicht mehr urteilsfähig ist.

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Die Patientenverfügung

ZGB 370

• Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung

festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer

Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.

• Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall

ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem

behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen

und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person

Weisungen erteilen.

Was heisst nun aber medizinische Massnahmen?

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Die Patientenverfügung

ZGB 370

Medizinische Massnahmen

• Bei medizinischen Massnahmen denkt man auf Anhieb an ärztliche

Behandlungen – namentlich an Operationen.

• Medizinische Massnahmen sind aber auch therapeutische,

diagnostische und pflegerische Massnahmen. Diese können die

Genesung zum Ziel haben (kurative Methoden) oder lediglich Symptome

lindern und Komplikationen vorbeugen (palliative Methoden). In einem

weiteren Sinn gehören auch Ort und Art der Pflege, die Wahl der

behandelnden Ärzte und der Pflegenden dazu. Schliesslich aber auch

Organ-, Gewebe oder Zellspenden.

Und wie könnte eine solche Patientenverfügung aussehen?

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Die Patientenverfügung

Einfaches Muster einer Patientenverfügung (S. 1)

Name, Vorname:

Geboren:

Wohnhaft in:

Ist meine Urteils- und Entscheidungsfähigkeit wegen Krankheit oder Unfall

beeinträchtigt, sodass ich nicht mehr in der Lage bin, meinen Willen zu äussern, verfüge

ich hiermit:

1. Medizinische Massnahmen

Ich leide an folgender Erkrankung:

Mein Arzt, Dr.med. [Name], hat mich über den Verlauf und die

Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt.

Gerate ich wegen meiner Krankheit in folgenden Zustand:

Verzichte ich auf folgende Behandlung:

Ich verlange aber folgende medizinische Massnahmen:

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Die Patientenverfügung

Einfaches Muster einer Patientenverfügung (S. 2)

Mir ist bei der medizinischen Behandlung in erster Linie die Linderung von Schmerzen

und Angst wichtig. Zu diesem Zweck stimme ich auch der Verabreichung von

Medikamenten zu, die als Nebenwirkung allenfalls meine Lebenszeit verkürzen können.

2. Lebensverlängernde Massnahmen

Gerate ich in die Endphase einer tödlich verlaufenden Krankheit, in der keine Hoffnung

mehr auf Besserung meines Zustands besteht, dulde ich keine weiteren medizinischen

Eingriffe, die mein Sterben oder Leiden verlängern könnten. Insbesondere will ich keine

Reanimation, kein künstliches Aufrechterhalten des Kreislaufs und keine künstliche

Ernährung.

Diagnostizieren Ärzte nach einem schweren Unfall meinen Hirntod, sollen alle

lebenserhaltenden Massnahmen wie künstliches Aufrechterhalten des Kreislaufs und

künstliche Ernährung sofort eingestellt werden. Ich verlange aber ausreichende

Behandlung zur optimalen Linderung von Schmerzen und Beschwerden.

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Die Patientenverfügung

Einfaches Muster einer Patientenverfügung (S. 3)

[Oder:] Ich überlasse den Entscheid folgender Person meines Vertrauens:

3. Entbindung von der Schweigepflicht

Meine Ärzte und das Pflegepersonal dürfen [und sollen] folgende Personen über meinen

Zustand informieren:

Folgende Personen haben uneingeschränkte Einsicht in meine Krankenakte:

Ort, Datum:______________________________

Unterschrift:_____________________________

Aber wie verfasst man eine PV? Gleiche Form wie der VA? Quelle: Leicht modifizierte Vorlage des Beobachters

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Die Patientenverfügung

Nein! Vielmehr ist:

• die PV schriftlich zu errichten, zu datieren und zu unterzeichnen

(ZGB 371 I).

• Mit anderen Worten kann auch ein vorgedrucktes Muster

ausgefüllt, datiert und unterschrieben werden.

• Links (für Muster): z.B. www.caritas.ch; www.dialog-ethik.ch,

www.fmh.ch, www.srk-züerich.ch, www.samw.ch etc.

Aber eines sollte bedenkt werden!

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Die Patientenverfügung

• Ein Muster ist schnell heruntergeladen und ausgefüllt.

• Unterschreibe ich etwa, dass ich pauschal keine verlängernden oder lebensrettenden Massnahmen wünsche – muss ich mir die Frage stellen, ob ich

bei einem Unfall verbluten möchte (sic).

• Oder Widersprüche wie: Kein Anschluss an Maschinen einerseits und

andererseits kann ich ankreuzen, welche Operationen ich im Notfall zustimme.

Denn dies hat zwingend auch den Anschluss an eine Maschine zur Folge.

=> Überlegen Sie es sich gut, ob Sie eine PV erstellen wollen und wie diese

inhaltlich ausgestaltet sein soll. Verwenden Sie ein gutes Muster. Besprechen Sie die PV mit Ihrem Hausarzt.

Aber wo bewahre ich die PV auf? Läuft dies gleich wie beim VA?

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Die Patientenverfügung

• Sinnvollerweise bewahrt man die PV etwa in der Handtasche oder

im Portemonnaie auf, damit den Anordnungen auch in

Notfallsituationen Folge geleistet werden kann.

• Die Tatsache, dass man eine PV erstellt hat und den

Aufbewahrungsort (nur, aber immerhin) kann auf der Versichertenkarte

eingetragen werden (ZGB 371 II). Darüber hinaus kann eine Kopie

beim Hausarzt und bei einer Vertrauensperson hinterlegt werden.

Und wie sieht es mit der Sterbehilfe aus?

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Die Patientenverfügung

• Direkte aktive Sterbehilfe: Sie umfasst das Töten eines Menschen auf dessen

Verlangen (z.B. indem dem Sterbewilligen eine tödliche Substanz gespritzt wird). Sie

ist verboten und man macht sich strafbar (vgl. StGB 114). Entsprechende

Anordnungen in einer PV sind ungültig, da sie gegen die Rechtsordnung verstossen.

• Indirekte aktive Sterbehilfe: Sie umfasst das Verabreichen von Substanzen zur

Linderung von Leiden und Schmerzen. Sie bezweckt nicht die Herbeiführung des

Todes, kann jedoch lebensverkürzende Nebenwirkungen zeitigen. In einer PV kann

eine solche Behandlung angeordnet werden.

• Passive Sterbehilfe: Sie umfasst den Verzicht auf lebensverlängernde

Massnahmen, indem etwa die künstliche Ernährung eingestellt oder die

Beatmungsmaschine ausgeschaltet wird. In einer PV kann geregelt werden, welche

medizinische Behandlung man zu welchem Zeitpunkt möchte oder eben nicht mehr

möchte.

Gibt es wie beim VA einen sogenannten Validierungsentscheid durch die KESB bevor

die PV wirksam wird?

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Die Patientenverfügung

• Ist ein Patient oder eine Patientin urteilsunfähig und ist nicht

bekannt, ob eine PV existiert, so klärt der behandelnde Arzt oder

die behandelnde Ärztin dies anhand der Versichertenkarte ab.

Vorbehalten bleiben jedoch dringende Fälle (ZGB 372 I).

• Es gibt demnach im Gegensatz zum VA kein Validierungsentscheid

durch die KESB.

Muss der Arzt die PV stets befolgen?

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Die Patientenverfügung

• Die Ärztin oder der Arzt befolgt die PV, ausser wenn diese gegen gesetzliche

Vorschriften verstösst (z.B. die direkte aktive Sterbehilfe anordnet) oder wenn begründete Zweifel bestehen, dass sie auf freiem Willen beruht oder noch dem

mutmasslichen Willen der Patientin oder des Patienten entspricht (ZGB 372 II).

• Demgemäss kann festgehalten werden, dass die Ärzteschaft in der Regel den

Anordnungen in einer PV Folge leisten muss, die nicht gegen die Rechtsordnung

verstossen (ausgeschlossen da sittenwidrig sind etwa auch nicht indizierte Eingriffe oder eine risikoreiche Massnahme, wenn ein weniger riskanter Eingriff mit

identischem therapeutischen Zweck zur Verfügung steht).

Ausnahmen: - Begründete Zweifel am freien Willen oder

- Begründete Zweifel, dass die PV noch dem mutmasslichen Willen entspricht

Beweislast: Verbindlichkeit der PV wird vermutet. Wer sie also bestreitet, trägt die

Beweislast dafür, dass die Willensbildung mangelhaft war oder die Person

ihre Meinung geändert hat.

Wie kann sich die betroffene oder nahestehende Person wehren?

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Die Patientenverfügung

Dokumentationspflicht bei Abweichung von der PV

Die Gründe für eine Abweichung von den Anweisungen der PV müssen im Patientendossier festgehalten werden (ZGB 372 III). Nur so kann die KESB den

ärztlichen Entscheid allenfalls auch überprüfen.

Einschreiten der KESB

• Jeder Betroffene und ihm nahestehende Personen (Begriff ist weit auszulegen) kann

schriftlich die KESB anrufen und geltend machen, dass der PV (zu Unrecht) nicht

entsprochen wird; die Interessen des Betroffenen gefährdet oder nicht mehr gewahrt

sind; die PV nicht auf freiem Willen beruht (ZGB 373).

• Allenfalls muss die KESB von Amtes wegen einschreiten, wenn sie von sich aus

feststellt, dass die Interessen des Betroffenen gefährdet oder nicht mehr gewahrt

werden (umstritten).

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Massnahmen von

Gesetzes wegen

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Massnahmen von Gesetzes wegen

Was gilt für den Fall, wenn jemand weder

Patientenverfügung noch Vorsorgeauftrag verfasst hat?

Gibt es dabei zwischen Verheirateten und

Unverheirateten Unterschiede?

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Massnahmen von Gesetzes wegen

Nach einem schweren Autounfall wird Melanie H. (25-jährig) in den Notfall

eines Spitals eingeliefert. Ihr Leben hängt an einem seidenen Faden. Jede

Minute zählt. Die Ärzteschaft vermutet eine schwere Hirnschädigung. Soll man

sie operieren oder sterben lassen? Ihr Lebenspartner, mit dem sie seit über

fünf Jahren zusammenlebt, sagt gegenüber dem Arzt, seine Freundin habe

stets gesagt, dass sie bei einer gravierenden Schädigung nicht um jeden Preis

am Leben bleiben wolle. Zudem wisse er um die schlechten Prognosen von

riskanten Operationen und Reanimationen.

Ihre Eltern, die ebenfalls in der Gegend waren, tauchen kurz nach ihm ausser

Atem im Notfall auf, willigen hingegen unverzüglich in jede nur erdenkliche

Operation ein, sei sie auch noch so riskant. Gleichzeitig sagt aber die Mutter,

sie sei doch nicht wirklich in der Lage über Leben und Tod ihrer Tochter zu

entscheiden.

Der Arzt entgegnet ihr, dass es nicht darum gehe. Vielmehr sei zu eruieren,

was die Verunfallte gewollt hätte.

Wer ist zur Vertretung der Urteilsunfähigen berechtigt?

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Massnahmen von Gesetzes wegen

Vertretung bei medizinischen Massnahmen

• Hat sich eine urteilsunfähige Person zur Behandlung nicht in einer PV geäussert, so

plant die behandelnde Ärzteschaft unter Beizug der zur Vertretung bei medizinischen Massnahmen berechtigten Person die erforderliche Behandlung

(ZGB 377 I).

• Dabei geht es um die Erstellung eines sogenannten Behandlungsplans (vgl.

Marginalie). Die berechtigte Person ist dabei etwa über die Gründe, den Zweck, die

Art, die Modalitäten, die Risiken, die Nebenwirkungen, die Kosten, die Folgen eines

Unterlassens der Behandlung sowie über alternative Behandlungsmöglichkeiten

aufzuklären (ZGB 377 II).

• Zudem soll soweit möglich auch die urteilsunfähige Person in die

Entscheidfindung einbezogen werden (ZGB 377 III).

• In dringlichen Fällen und wenn eine vorgängige Konsultation nicht möglich ist,

ergreift der Arzt medizinische Massnahmen nach dem mutmasslichen Willen und den

Interessen der urteilsunfähigen Person (ZGB 379).

Wer ist demnach berechtigt? Gibt es eine Art Rangordnung?

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Massnahmen von Gesetzes wegen

Vertretung bei medizinischen Massnahmen

Gesetzliche Kaskadenordnung (ZGB 378)

1. Die in einer Patientenverfügung/einem Vorsorgeauftrag genannte Person

2. Beistand mit Vertretungsrecht bei medizinischen Massnahmen

3. Ehegatte, eingetragener Partner & gemeinsamer Haushalt mit Uuf oder regelmässig und persönlich Beistand leistet

4. Person im gemeinsamen Haushalt und regelmässig persönlich Beistand leistet

5. Nachkommen, sofern regelmässig und persönlich Beistand

6. Eltern, sofern regelmässig und persönlich Beistand

7. Geschwister, sofern regelmässig und persönlich Beistand

Der Berechtigte entscheidet nach dem mutmasslichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person, sofern keine Weisungen in deiner PV vorhanden sind

(ZGB 378 III).

Wie sieht es aber mit dem Vertretungsrecht aus ausserhalb medizinischer

Massnahmen?

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Massnahmen von Gesetzes wegen

Vertretung durch Ehegatte/eingetragener Partner

• Wenn eine betroffene Person keinen VA verfasst hat, unterscheidet das Gesetz

zwischen Verheirateten/eingetragenen Partnern und den übrigen Lebensgemeinschaften.

• Wird ein Ehegatte oder ein eingetragener Partner urteilsunfähig und wurde kein VA

verfasst und besteht auch keine entsprechende Vertretungsbeistandschaft, dann hat

der noch urteilsfähige Ehegatte bzw. Partner von Gesetzes wegen ein

Vertretungsrecht (ZGB 374), sofern ein gemeinsamer Haushalt geführt oder regelmässig und persönlich Beistand geleistet (wenn etwa der eine [Ehe-]Partner in

einer Wohn- oder Pflegeeinrichtung wohnt oder beim sog. «Living-apart-together»)

wird.

• Dies gilt also namentlich nicht für Konkubinatspaare.

• Zudem besteht kein Vertretungsrecht bei getrennt lebenden Eheleuten, die etwa zerstritten sind und so gut wie keinen Kontakt haben.

Wie sieht dieses Vertretungsrecht aus? Ist dieses unbeschränkt?

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Massnahmen von Gesetzes wegen

Vertretung durch Ehegatte/eingetragener Partner

Das gesetzliche Vertretungsrecht umfasst drei Bereiche (ZGB 374

II):

1. Alle Rechtshandlungen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarf

erforderlich sind – etwa das Abrechnen mit der Kranken- bzw.

Unfallversicherung oder dem Heim.

2. Die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen

Vermögenswerte – etwa Geld vom Konto nehmen, um die

üblichen Rechnungen zu begleichen; und

3. Die Post (inkl. Mails) darf nötigenfalls geöffnet werden, um sie zu

erledigen.

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Massnahmen von Gesetzes wegen

Vertretung durch Ehegatte/eingetragener Partner

• In den Bereichen der alltäglichen Personen- und Vermögenssorge

können somit die Interessen des Betroffenen grundsätzlich umfassend

wahrgenommen werden (für medizinische Massnahmen gelten jedoch die

besonderen Bestimmungen).

• Für weiterreichende Handlungen benötigt es die Zustimmung der KESB.

• Für Rechtshandlungen im Rahmen der ausserordentlichen

Vermögensverwaltung – etwa Veräusserung/Erwerb von Grundstücken,

Gewährung/Aufnahme von Darlehen muss der Ehegatte, die eingetragene

Partnerin oder der eingetragene Partner die Zustimmung der KESB

einholen (ZGB 374 III).

• Das Vertretungsrecht muss im Interesse des Betroffenen und sorgfältig

wahrgenommen werden (vgl. ZGB 375). Die Vertretung erfolgt

grundsätzlich unentgeltlich (OR 394 III analog).

Wann schreitet die KESB ein?

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Massnahmen von Gesetzes wegen

Vertretung durch Ehegatte/eingetragener Partner

Einschreiten der KESB

Unter gewissen Umständen schreitet die KESB ein (vgl. ZGB 376). Dies ist

etwa dann der Fall, wenn die Interessen des Betroffenen gefährdet oder nicht

mehr gewahrt sind. Dann entzieht die KESB auf Antrag oder von Amtes wegen

die Vertretungsbefugnisse teilweise oder ganz oder errichtet eine

Beistandschaft.

Wie sieht das Vertretungsrecht aus, wenn eine urteilsunfähige Person in ein

Wohn- oder Pflegeheim muss? => Lösung im Anhang

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Beistandschaften

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Beistandschaften

Wann errichtet die KESB eine Beistandschaft?

Welche Grundsätze sind dabei stets zu beachten?

Welche Aufgabenbereiche können einem Beistand/einer Beiständin

übertragen werden?

Wann wird die KESB auf eine Beistandschaft verzichten und selber

das Nötige vorkehren oder eine Drittperson damit beauftragen?

Welche Arten von Beistandschaften gibt es überhaupt?

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Beistandschaften

Aufgrund einer psychischen Störung kann es Mark T.

einfach nicht lassen und geht immer wieder aufs Neue in

ein Casino in Luzern, denn er kann die Hände einfach

nicht von Glücksspielen lassen. Er überbordet dabei

jedoch nicht und er schädigt sich auch nicht durch das

Spielen. Er selbst möchte keine Hilfe und wehrt sich

entsprechend gegen jede Einmischung von aussen.

Ordnet die KESB im vorliegenden Fall eine Beistandschaft an?

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Beistandschaften Allgemeine Grundsätze (für behördliche Massnahmen)

Die behördlichen Massnahmen stellen das Wohl und den Schutz hilfsbedürftiger Personen sicher und sie sollen die Selbstbestimmung der Betroffenen so weit wie

möglich erhalten und fördern (ZGB 388).

Die KESB ordnet eine Massnahme nur an, wenn (= Grundsatz der Subsidiarität und

Verhältnismässigkeit) (ZGB 389):

1. die Unterstützung der hilfsbedürftigen Person durch die Familie, andere

nahestehende Personen oder private oder öffentliche Dienste nicht ausreicht oder

von vornherein als ungenügend erscheint (Subsidiarität);

2. Bei Urteilsunfähigkeit der hilfsbedürftigen Person keine oder keine ausreichende

eigene Vorsorge (VA/PV) getroffen worden ist und die Massnahmen von Gesetzes

wegen (gesetzliche Vertretungsrechte) nicht genügen (Subsidiarität).

Jede behördliche Massnahme muss geeignet (zwecktauglich) und erforderlich (also

mildestes Mittel) sowie verhältnismässig i.e.S. (also zumutbar sein, d.h. der Eingriff in

die Persönlichkeitsrechte muss in einem angemessenen Verhältnis zur

Gefährdungssituation stehen) sein (ZGB 389 II; BV 5 II und 36 III).

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Beistandschaften Allgemeine Voraussetzungen für die Errichtung einer Beistandschaft

Die KESB errichtet eine Beistandschaft, wenn eine volljährige Person (also keine

Minderjährigen) (ZGB 390):

1. wegen einer geistigen Behinderung, einer psychischen Störung oder eines ähnlichen

in der Person liegenden Schwächezustands ihre Angelegenheiten nur teilweise

oder gar nicht besorgen kann;

2. wegen vorübergehender Urteilsunfähigkeit oder Abwesenheit in Angelegenheiten, die erledigt werden müssen, weder selber handeln kann

noch eine zur Stellvertretung berechtigte Person bezeichnet hat.

Dabei muss die KESB die Belastung und den Schutz von Angehörigen und Dritten

berücksichtigen (ZGB 390 II).

Die KESB errichtet eine Beistandschaft auf Antrag der betroffenen oder einer nahestehenden Person oder von Amtes wegen (ZGB 390 III).

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Beistandschaften Allgemeine Voraussetzungen für die Errichtung einer Beistandschaft

Was heisst «ähnlich in der Person liegender Schwächezustand»?

Gemäss Bundesgericht ist dieser Tatbestand als Auffangtatbestand restriktiv zu handhaben. Anlass zur Errichtung einer Beistandschaft kann nur ein Schwächezustand

geben, der im Hinblick auf die Hilfsbedürftigkeit mit einer geistigen Behinderung oder

einer psychischen Störung vergleichbar ist. Eine Person kann nicht allein deshalb

verbeiständet werden, weil sie in einer Art und Weise mit ihrem Geld umgeht, die nach

landläufiger Auffassung unvernünftig ist. Das ESR dient dem Schutz der hilfsbedürftigen

Person, nicht jenem ihrer Erben oder des Gemeinwesens. Die KESB muss jedoch

einschreiten, wenn eine Person urteilsunfähig ist (ZGB 16).

BGer 5A_773/2013 vom 5. März 2014

Vgl. auch BGer 5A_683/2013 vom 11. Dezember 2013 (Veräusserungen, die den Interessen von pflichtteilsgeschützten Erben widersprechen, sind durch das Erbrecht zu

korrigieren [ZGB 475 und 527]).

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Beistandschaften Allgemeine Voraussetzungen für die Errichtung einer Beistandschaft

Es braucht demnach immer:

Ein Schwächezustand und eine daraus resultierende Schutz- bzw. Hilfsbedürftigkeit, der nicht anderweitig begegnet werden kann, damit die KESB

überhaupt eine Beistandschaft anordnen darf.

=> Demgemäss wird Mark T. nicht verbeiständet werden.

Eine Beistandschaft wird niemals als Strafe angeordnet und sie dient auch nicht

dazu, unangepasste Bürger und Bürgerinnen zu massregeln oder in die Schranken zu weisen!

Vielmehr dient eine Beistandschaft stets dem Schutz der betroffenen Person und soll ihr

entsprechend eine Hilfestellung sein.

Wie könnte in etwa ein Prüfschema für eine mögliche Anordnung einer Beistandschaft

aussehen?

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Besteht ein Schwächezustand? (vgl. Art. 390 ZGB)

Besteht eine Schutz(Hilfs-)bedürftigkeit? (vgl. Art. 389

ZGB)

Erscheint die Errichtung einer Beistandschaft wegen des (sehr geringen) Umfangs der Aufgaben als offensichtlich unverhältnismässig? (vgl. Art. 392 ZGB)

Was sind die Ziele der Beistandschaft?

Welches sind die Aufgabenbereiche (Personen-,

Vermögenssorge, Rechtsverkehr; Art. 391 ZGB) und welche Art Beistandschaft ist erforderlich (Begleitung, Mitwirkung,

Vertretung; Art. 393 ff. ZGB)?

JA

JA

Nein

Verhältnismässigkeitsprüfung

Beistandschaften Allgemeine Voraussetzungen für die Errichtung einer Beistandschaft

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Welche Aufgaben können überhaupt einem Beistand oder einer Beiständin übertragen werden?

Zur Verhältnismässigkeitsprüfung (Art. 10 i.V.m. 36 BV; 389

ZGB): 1. Sind die angedachten Aufgaben und die Beistandschaftsart geeignet, um das

Ziel der Massnahme zu erreichen?

2. Sind die Aufgaben und die Beistandschaft erforderlich, um das Ziel der Massnahme zu erreichen, oder gibt es Massnahmen, die weniger weit in die persönliche Freiheit eingreifen (Vorsorgeauftrag, Patientenverfügung, Vollmacht, Vertretung durch Ehegatte, eingetragener Partner, Vertretungsrechte bei medizinischen Massnahmen,

Dienstleistungsangebote Dritter, familien- bzw. umfeldinterne Lösungen)?

3. Ist die Massnahme für die betroffene Person zumutbar? Besteht mit anderen Worten ein angemessenes Verhältnis zwischen dem angestrebten Ziel und dem Persönlichkeitseingriff, den die Massnahme für die betroffene Person bedeutet?

Entscheid der KESB (für oder gegen eine Beistandschaft; Beistandschaftsart; Aufgabenbereiche; Beistandsperson etc.)

Die von der KESB eingesetzte Beistandsperson führt das Mandat

Beistandschaften Allgemeine Voraussetzungen für die Errichtung einer Beistandschaft

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Beistandschaften

Aufgabenbereiche (ZGB 391)

• Die Aufgabenbereiche betreffen die Personensorge, die

Vermögenssorge oder den Rechtsverkehr.

• Die KESB muss die Aufgabenbereiche der Beistandschaft

entsprechend den Bedürfnissen der betroffenen Person in ihrem

Entscheid umschreiben.

• Ohne Zustimmung der Betroffenen darf der Beistand nur dann

deren Post öffnen oder deren Wohnräume betreten, wenn die

KESB die Befugnis dazu ausdrücklich erteilt hat.

Welche Arten von Beistandschaften gibt es?

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Begleitbeistand-schaft (ZGB 393)

Rein begleitende, vertre-tungslose Unterstützung;

Keine Einschränkung der HF;

Einverständnis der betroffenen Person nötig

Vertretungs-beistandschaft

(ZGB 394 f.)

Gesetzlicher Vertreter im Umfang der Aufgaben;

HF bleibt grundsätzlich bestehen, kann aber punktuell eingeschränkt werden

• Genaue Aufgabenbereiche im KESB-Entscheid festlegen (Personen-, Vermögenssorge, Rechtsverkehr [Rechtsgeschäfte]; vgl. ZGB 391);

• Kombinationen möglich (ZGB 397; nicht mit umfassender Beistandschaft)

Mitwirkungs-beistandschaft

(ZGB 396)

Nur Mitwirkung, keine Vertretung!;

Von Gesetzes wegen entsprechende Einschränkung der HF

Umfassende Beistandschaft

(ZGB 398)

(Ultima Ratio)

Nachfolgeinstitut der Vormundschaft;

Vollumfängliche gesetzliche Vertretung;

Vollumfängliches Entfallen der HF von Gesetzes wegen

Verzicht auf Beistandschaft im

Rahmen von

ZGB 392

Beistandschaftsarten im Überblick

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Beistandschaften

Begleitbeistandschaft (ZGB 393)

• Carlo S. kam mit 16 ohne seine Eltern in die Schweiz. Heute ist er 23 Jahre alt,

arbeitet auf dem Bau und spricht einigermassen gut Deutsch. Wenn er Post

bekommt, ist er stets verunsichert: Muss er der Aufforderung: «Sichern Sie sich

gleich heute noch ihre lebenslange Sofortrente», nachkommen? Und was ist mit der

E-Mail, die ihm die frohe Botschaft eines Sofortgewinns von CHF 1O Mio.

verkündet? Oder ist das Schreiben der Krankenkasse wichtiger?

• Die Exfrau von Bruno K. bezahlt die Alimente nicht und er wehrt sich auch nicht

dagegen, schliesslich sei schon genug Geschirr zerschlagen worden. Und wie sollte

er sich schon wehren? Er hat nie gelernt, mal auf den Tisch zu klopfen. Und im

Umgang mit Ämtern, Banken und Versicherungen ist er heillos überfordert, denn um

sämtliche Belange hat sich früher stets seine Exfrau gekümmert. So ist er nicht nur

in eine finanzielle, sondern auch in eine seelische Krise gestürzt. Nach einem

Klinikaufenthalt und dank einer ambulanten Therapie fasst er langsam wieder Fuss.

Sein Beistand hilft ihm dabei. Quelle: Leicht modifizierte Fälle des Beobachters

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Beistandschaften

Begleitbeistandschaft (ZGB 393)

• Eine Begleitbeistandschaft wird mit

Zustimmung der hilfsbedürftigen Person

errichtet (diese ist also Voraussetzung), wenn

diese für die Erledigung bestimmter

Angelegenheiten begleitende Unterstützung

braucht (ZGB 393 I).

• Die Begleitbeistandschaft schränkt die

Handlungsfähigkeit (ZGB 12 ff.) der

betroffenen Person nicht ein (ZGB 393 II).

Und wann könnte sich allenfalls eine Vertretungsbeistandschaft aufdrängen?

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Beistandschaften

Vertretungsbeistandschaft (ZGB 394 f.)

• Niemand merkt Caroline Z. ihre Probleme an. Sie geht einer geregelten

Arbeit nach, bezahlt ihre Rechnungen, ist in einem Verein aktiv und hat

einen grossen Freundeskreis. Aber ihre Wohnung ist vollkommen

verwahrlost. Ihre Möbel kann man kaum mehr als solche bezeichnen und

ihre Nachbarn rufen immer wieder über den Gestank aus – was

schliesslich auch zur Kündigung führt.

• Denise F. hat ihre Arbeit als Gemeindeangestellte verloren.

«Wegrationalisiert», erzählt sie. Seither ist einige Zeit vergangen und sie ist

mittlerweile auf Sozialhilfe angewiesen, obwohl sie wegen ihrer

psychischen Krankheit längst Anspruch auf eine Rente hätte. Sie weigert

sich aber partout, sich bei der IV anzumelden. In ihrem Weltbild ist die IV

eine Verbrecherorganisation. «Die Gemeinde soll schön zahlen. Die haben

mich schliesslich auf die Strasse gestellt.» Ihr wurden schon Kürzungen

der Sozialhilfe angedroht, von IV will sie trotzdem nichts wissen. Ihre

Sozialarbeiterin gelangt deshalb an die KESB.

Quelle: Leicht modifizierte Fälle des Beobachters

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Beistandschaften

Vertretungsbeistandschaft (ZGB 394 f.)

• Eine Vertretungsbeistandschaft wird errichtet, wenn die

hilfsbedürftige Person bestimmte Angelegenheiten nicht erledigen

kann und deshalb vertreten werden muss (ZGB 394 I).

• Die KESB kann (nicht muss) die Handlungsfähigkeit der

betroffenen Person entsprechend einschränken (ZGB 394 II).

• Auch wenn die Handlungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist, muss die

betroffene Person sich die Handlungen des Beistands oder der

Beiständin anrechnen oder gefallen lassen (ZGB 394 III).

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Beistandschaften

Vertretungsbeistandschaft (ZGB 394 f.)

In manischen Phasen überschätzt Leo N. seine

finanziellen Möglichkeiten. Er bucht dann jeweils

teure Luxusreisen und lebt auf viel zu grossem

Fuss. Fällige Rechnungen bleiben dann

grosszügig liegen. Auf Reisebüros, im Internet und

anderswo kann er deshalb mittlerweile keine

Ferien mehr buchen, und er kann auch keine

Kreditverträge mehr abschliessen.

Quelle: Leicht modifizierter Fall des Beobachters

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Beistandschaften Vertretungsbeistandschaft (ZGB 394 f.)

Insbesondere ZGB 395 («Vermögensverwaltungsbeistandschaft»)

• Errichtet die KESB eine Vertretungsbeistandschaft für die Vermögensverwaltung (Vermögen/Einkommen/Renten), so bestimmt sie die Vermögenswerte, die vom

Beistand oder von der Beiständin verwaltet werden sollen. Sie kann Teile des

Einkommens oder das gesamte Einkommen, Teile des Vermögens oder das

gesamte Vermögen oder das gesamte Einkommen und Vermögen unter die

Verwaltung stellen (ZGB 395 I). Vgl. für das «Taschengeld» ZGB 409.

• Die Verwaltungsbefugnisse umfassen auch die Ersparnisse aus dem verwalteten

Einkommen oder die Erträge des verwalteten Vermögens, wenn die KESB nicht

anders verfügt (ZGB 395 II).

• Ohne die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person einzuschränken, kann ihr die

KESB den Zugriff auf einzelne Vermögenswerte entziehen (ZGB 395 III).

• Untersagt die KESB der betroffenen Person, über ein Grundstück zu verfügen, so

lässt sie dies im Grundbuch anmerken (ZGB 395 IV).

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Beistandschaften

Mitwirkungsbeistandschaft (ZGB 396)

• Leonard K. hat ein grosses Herz für Tiere. Er vergöttert sie regelrecht, spricht mit

ihnen, hört ihre Stimmen, führt ihre «Befehle» aus und vernachlässigt dadurch seine

eigenen Bedürfnisse. Testamentarisch hat er verfügt, dass diverse

Tierschutzorganisationen sein Erbe antreten sollen. Viel wird dies jedoch nicht sein.

In den letzten Jahren hat Leonard nämlich bereits zahlreiche Schenkungen

ausgerichtet, die so hoch waren, dass er öfters seine Rechnungen nicht mehr

begleichen konnte.

• => Fabia L. ist durch Erbschaften zu einem beträchtlichen Vermögen gekommen,

zu dem auch ein Mehrfamilienhaus gehört. Sie hat ein gutes Herz. Ein zu gutes. Sie

lässt sich immer wieder über den Tisch ziehen und schliesst Mietverträge ab mit

Personen, die die Miete nicht zahlen können oder nicht zahlen wollen. Sie mag sich

dagegen aber nicht wehren und wird dadurch erheblich finanziell geschädigt und

zwar so, dass sie irgendwann in den finanziellen Ruin getrieben wird.

• Giorgio D sieht sich als Lebemann. Andere nennen ihn einen Hochstapler. Fakt ist,

dass er einen. Geltungsdrang hat, der teils krankhafte Züge angenommen hat.

Während seine Familie vor dem leeren Kühlschrank steht, bucht er teure

Kreuzfahrten, kauft luxuriöse Sportwagen und Juwelen. Weil er sich dies mit seinem

Einkommen gar nicht leisten kann, nimmt er immer wieder Kredite auf, die er nicht

zurückzahlen kann. Quelle: Leicht modifizierte Fälle des Beobachters

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Beistandschaften

Mitwirkungsbeistandschaft (ZGB 396)

• Eine Mitwirkungsbeistandschaft wird errichtet, wenn

bestimmte Handlungen der hilfsbedürftigen Person zu

deren Schutz der Zustimmung des Beistands oder der

Beiständin bedürfen (ZGB 396 I).

• Die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person wird

von Gesetzes wegen entsprechend (also für die

mitwirkungsbedürftigen Geschäfte, die durch die KESB

bestimmt werden) eingeschränkt (ZGB 396 II).

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Beistandschaften

Mitwirkungsbeistandschaft (ZGB 396)

• Dabei ist somit Voraussetzung, dass der Betroffen selbst urteilsfähig ist

und somit selbständig handeln kann, da es lediglich um ein

Zustimmungserfordernis geht, er aber nicht vertreten wird durch den

Beistand.

• Im Rahmen der Mitwirkungsbeistandschaft handelt mithin die

verbeiständete Person, nicht die Beiständin.

• Der Beistand hat aber die Kompetenz, den Handlungen bei bestimmten

Angelegenheiten zuzustimmen oder seine Zustimmung zu verweigern.

• Dabei ist etwa an den Abschluss eines Erbvertrags, Verkauf/Belastung

eines Grundstücks, Aufnahme/Gewährung von Darlehen,

Abzahlungsverträge, Kreditkäufe, Kauf/Verkauf von Wertpapieren zu

denken.

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Beistandschaften

Kombination von Beistandschaften (ZGB 397)

• Leonard (vgl. obiges Beispiel) kann zwar Schenkungen nur noch

mit Zustimmung ausrichten. Es stellt sich jedoch heraus, dass er

sein ganzes Einkommen statt für sich für notleidende Tiere

verwendet.

• Cedric M. versucht nach einer psychischen Krise (Burnout) wieder

Fuss zu fassen. Er hat eine Begleitbeiständin, die ihm vor allem in

Wohn- und Gesundheitsfragen zur Seite steht. Ein Problem stellen

aber seine Eltern dar, die immer wieder versuchen, mit ihm einen

Erbverzichtsvertrag auszuhandeln – was nicht in seinem Interesse

wäre. Hätte Cedric den Mut, dem Rat der Beiständin zu folgen und

seinen Eltern Nein zu sagen? Wohl kaum. Er ist sehr beeinflussbar

und macht meist, was man ihm befiehlt – oft zu seinen Ungunsten.

Quelle: Leicht modifizierte Fälle des Beobachters

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Beistandschaften

Kombination von Beistandschaften (ZGB 397)

• Die Begleit-, die Vertretungs- und die Mitwirkungsbeistandschaft

können miteinander kombiniert werden (ZGB 397).

• Nicht aber mit der umfassenden Beistandschaft!

• Die Möglichkeit der Kombination entspricht der Idee der

massgeschneiderten Unterstützung. Die KESB prüft, in welchen

Bereichen jemand schutz- bzw. hilfsbedürftig ist – etwa in

finanziellen Angelegenheit, bei Wohnfragen, in gesundheitlichen

Belangen –, und prüft dann weiter, ob ein Beistand/eine Beiständin

die Kompetenzen der Begleitung, Vertretung oder Mitwirkung oder

eine Kombination davon benötigt. So kann beispielsweise in einem

konkreten Einzelfall je nach Umständen für den Bereich Wohnen

eine Begleitbeistandschaft, für die Finanzen eine

Mitwirkungsbeistandschaft oder Vertretungsbeistandschaft für die

Vermögensverwaltung und für Gesundheitsfragen eine

Vertretungsbeistandschaft anordnen.

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Beistandschaften

Umfassende Beistandschaft (ZGB 398)

• Eine umfassende Beistandschaft wird errichtet,

wenn eine Person, namentlich wegen

dauernder Urteilsunfähigkeit, besonders

hilfsbedürftig ist (ZGB 398 I).

• Sie bezieht sich auf alle Angelegenheiten der

Personensoge, der Vermögenssorge und des

Rechtsverkehrs (ZGB 398 II).

• Die Handlungsfähigkeit der betroffenen

Person entfällt von Gesetzes wegen (ZGB

398 III; vgl. ZGB 17).

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Beistandschaften

Umfassende Beistandschaft (ZGB 398)

• Dem umfassend Verbeiständeten bleibt kein Raum für

Selbstbestimmung. Sie kommt etwa in Frage, wenn jemand umfassende

Hilfe benötigt, in allen Belangen vertreten werden muss und wenn ihm dafür

auch die Handlungsfähigkeit entzogen werden muss: etwa für schwer

geistig Behinderte und für andere Personen, die die Realität vollkommen

verkennen oder gar nicht erst wahrnehmen.

• In der Lehre gibt es die verbreitete Auffassung, dass der benötigte Schutz

auch mit einer massgeschneiderten Massnahme (Kombination)

gewährleistet werden kann und somit die umfassende Beistandschaft

(Nachfolgeinstitut der Vormundschaft) nicht nötig wäre.

Welche Auflagen bestehen für die Einkommens- und

Vermögensverwaltung im Rahmen von Beistandschaften?

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Vermögensverwaltung im

Rahmen von Beistand-

schaften

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Vermögensverwaltung im Rahmen einer

Beistandschaft

Gesetzliche Grundlagen/Empfehlungen

• Verordnung über die Vermögensverwaltung

im Rahmen einer Beistandschaft oder

Vormundschaft (VBVV)

• Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) in

Zusammenarbeit mit der KOKES haben im Juli

2013 Empfehlungen «zur Vermögens-

verwaltung gemäss Kindes- und

Erwachsenenschutzrecht» erlassen:

http://www.swissbanking.org/home/standpunkte-

link/regulierung-richtlinien.htm

103

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Vermögensverwaltung im Rahmen einer

Beistandschaft

• Die VBVV regelt die Anlage und die Aufbewahrung

von Vermögenswerten (inkl. Einkommen), die im

Rahmen einer Beistandschaft verwaltet werden

(VBVV 1). Adressat der VBVV ist der Beistand, der für

die Vermögenssorge zuständig ist.

• Die Empfehlungen «zur Vermögensverwaltung

gemäss Kindes- und Erwachsenenschutzrecht»

richten sich an die Banken bzw. deren Mitarbeitende

sowie an die Behörden und Mandatsträger. Sie

bezwecken insbesondere die praktische Umsetzung der

VBVV.

104

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Vermögensverwaltung im Rahmen einer

Beistandschaft

• Umfassende Beistandschaft: Beistand wird von Gesetzes wegen die

(umfassende) Vermögensverwaltung übertragen (ZGB 398 I i.V.m. II).

• Vertretungsbeistandschaft mit Vermögensverwaltung: Beistand wird

ebenfalls die (umfassende oder teilweise) Vermögenssorge übertragen

(ZGB 394 i.V.m. 395).

• Mitwirkungsbeistandschaft: KESB muss festlegen, welche (u.a. evtl.

auch vermögensrechtliche) Rechtsgeschäfte der Zustimmung des

Beistands bedürfen (ZGB 396). Die Zustimmung sollte von den

Grundsätzen der VBVV geleitet werden.

• Begleitbeistandschaft: Wortlaut und Zweck der VBVV rechtfertigen deren

analoge «Anwendung» auf die Begleitbeistandschaft (ZGB 393). Falls

Beistand mit Rat und Tat eine Person hinsichtlich

Vermögensangelegenheiten unterstützt, sollte sie sich an den Grundsätzen

der VBVV orientieren (Zwecksicherheit, Diversifikation, Liquiditätsplanung,

Risikofähigkeit etc.).

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Vermögensverwaltung im Rahmen einer

Beistandschaft

Anwendungsbereich der VBVV

• VBVV gilt sowohl für Berufsbeistände als auch für

Privatbeistände.

• Banken, Vermögensverwalter oder andere Drittpersonen sind

nicht direkt an die VBVV gebunden.

• Vorsorgebeauftragte (mittels VA; ZGB 360 ff.) und Handlungen im

Rahmen des gesetzlichen Vertretungsrechts (ZGB 374 ff.) sind

nicht durch die VBVV erfasst. Deren Anwendung kann jedoch im

Vorsorgeauftrag (VA) ausdrücklich vorgesehen werden. Im Übrigen

können die Grundsätze der VBVV wohl hilfsweise als Sorgfalts-

massstab für die Mandatsführung des Vorsorgebeauftragten

herangezogen werden.

106

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Vermögensverwaltung im Rahmen einer

Beistandschaft

Grundsätze/Ziele der VBVV (1/3)

• Zwecksicherheit (individuell und Risikofähigkeit beachten)

• Realwerterhaltung (Vermögensvermehrung i.S. einer

Realwerterhaltung bzw. Inflationskompensierung; VBVV 2 I)

• Sicherheit vor Rendite (nur soweit möglich ertragbringend

anlegen; primäres Ziel stets Vermögenserhaltung; VBVV 2 I)

• Diversifikationsgebot (Aufteilung des Vermögens auf Anlagen mit

möglichst unterschiedlichen Eigenschaften; Streuung der

Bestandteile des Portefeuilles hinsichtlich Art der gehaltenen

Positionen [z.B. Sach- und Geldwerte, Aktien und festverzinsliche

Wertpapiere] und der Unterschiedlichkeit von Schuldnern; Rendite-

/Risikoverhältnis ausgleichen und optimieren; VBVV 2 II)

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Vermögensverwaltung im Rahmen einer

Beistandschaft

Grundsätze/Ziele der VBVV (2/3)

• Liquiditätsplanung (aufgrund des Liquiditätsbedarfs

der betroffenen Person müssen Anlagen so gewählt

werden, dass jederzeit genügend liquide Mittel für die

Bestreitung des gewöhnlichen Unterhalts und für zu

erwartende ausserordentliche Aufwendungen zur

Verfügung stehen; Aufteilung in kurz-, mittel- und

langfristige Anlagen; Budget/Finanzierungsplan; VBVV 5

III und 6)

• Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse

(soweit möglich - also unter Berücksichtigung des

Schwäche-zustandes - auf Willen/Wünsche der

betroffenen Person Rücksicht nehmen; VBVV 5 I und 8

II und II)

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Vermögensverwaltung im Rahmen einer

Beistandschaft

Grundsätze/Ziele der VBVV (3/3)

• Professionalität (Ausfluss der Sorgfaltspflicht: Anlage des

Vermögens muss professionell erfolgen [ZGB 408 I i.V.m. 413 und

OR 398]; keine grundsätzliche Pflicht zum Beizug eines

[bankexternen] Vermögensverwalters oder anderen Fachperson;

häufig wird das für die Anlage notwendige Wissen/Erfahrung jedoch

fehlen, weshalb Hilfe einer Fachperson nötig ist [i.d.R.

Vermögensberatungsvertrag/-verwaltungsvertrag zwischen

betroffener Person, vertreten durch Beistand, und Bank; vgl. VBVV

9 für das Private Banking; Genehmigungspflicht durch KESB];

Beistand zuständig für Auswahl/Instruktion/Aufsicht über

Fachperson; für allfällige Sorgfaltspflichtverletzungen des

Beistandes haftet der Kanton; für allfälligen Regress auf Beistand

ist kt. Recht massgebend [ZGB 454 f.]; Kosten der notwendigen

Beratung durch Fachpersonen sind der betroffenen Person zu

belasten)

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Vermögensverwaltung im Rahmen einer

Beistandschaft

Weitere Auflagen durch die VBVV

• Beistand muss Bargeld unverzüglich auf ein Konto bei Bank/Postfinance

überweisen, soweit es nicht für kurzfristigen Bedarf der betroffenen Person

benötigt wird (VBVV 3).

• Beistand muss Wertschriften/Wertgegenstände/wichtige Dokumente

und dergleichen einer Bank/Postfinance zur Aufbewahrung übergeben.

KESB beaufsichtigt die Aufbewahrung (VBVV 4; Schutz des Vermögens

vor unberechtigten, missbräuchlichen Zugriffen).

• Vgl. betreffend Anlagen für Sicherstellung des gewöhnlichen

Lebensunterhalts VBVV 6 (nur gewisse Anlagen sind zulässig: z.B.

Obligationen bei Kantonalbanken mit unbeschränkter Staatsgarantie,

festverzinsliche Obligationen bei der Eidgenossenschaft, Einlagen in

Einrichtungen der beruflichen Vorsorge); betreffend Anlage für weiter-

gehende Bedürfnisse vgl. VBVV 7; vgl. für Auskunftsrecht und Dokumen-

tations- sowie Rechenschaftspflicht gegenüber KESB VBVV 10 bzw. 11).

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Vermögensverwaltung im Rahmen einer

Beistandschaft

Problematisches Auskunftsrecht nach VBVV

• VBVV 10 III statuiert ein jederzeitiges direktes Auskunftsrecht der

KESB gegenüber Banken/Postfinance/Versicherungseinrichtungen, das

mit der Aufsichtsfunktion begründet wird (gleiche Problematik für VBVV 10

IV).

• ZGB 408 III ist die gesetzliche Grundlage der Verordnung (sog.

unselbständige VO).

• Eine solche Gesetzesdelegation ist nur zulässig, wenn kein Ausschluss

durch Verfassung, Delegationsnorm im Gesetz, Delegation auf ein

bestimmtes, genau umschriebenes Sachgebiet beschränkt und Grundzüge

der delegierten Materie müssen im Gesetz enthalten sein (kumulativ).

• Das Auskunftsrecht geht jedoch über ZGB 448/453 und somit über das

Gesetz hinaus (Wortlaut von ZGB 403 III «umfasst» nicht ein solches

Auskunftsrecht).

=> Jederzeitiges und direktes Auskunftsrecht verstösst m.E. wohl gegen

das Gesetzmässigkeits-/Legalitätsprinzip (BV 5 I) und ist als

unverhältnismässig zu qualifizieren (BV 5 II).

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Herzlichen Dank für Ihre

Aufmerksamkeit!

Christophe Herzig Dr. iur; Rechtsanwalt

(Anhang: Vertretung in Wohn- und Pflegeeinrichtungen und Lösungsskizze

Einstiegsfall)

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Anhang: Massnahmen von Gesetzes wegen Vertretung bei Aufenthalt in Wohn-/Pflegeeinrichtungen

• Wird eine urteilsunfähige Person für längere Dauer in einer Wohn- oder

Pflegeeinrichtung betreut, so muss schriftlich in einem Betreuungsvertrag

festgelegt werden, welche Leistungen die Einrichtung erbringt und welches

Entgelt dafür geschuldet ist. Bei der Festlegung der Leistungen sind die

Wünsche des Betroffenen so weit wie möglich zu berücksichtigen (ZGB

382 I und II).

• Dabei geht es etwa um Unterkunft (Zimmer/Wohnung/Einrichtung),

Mahlzeiten, Wäsche, Pflege, Betreuung, Beschäftigungstherapien,

medizinisch-therapeutische Leistungen; Kosten für die Leistungen;

Arztwahl; Besuchsrechtsregelung, Hausordnung, allfällige

freiheitsbeschränkende Massnahmen, Vertragsbeginn, Auflösung des

Vertrags etc.

Doch wer kann diesen Betreuungsvertrag für die urteilsunfähige Person gültig

abschliessen?

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© Dr. iur. Christophe A. Herzig Fachtagung 09.06.2015 in Olten

Massnahmen von Gesetzes wegen Vertretung bei Aufenthalt in Wohn-/Pflegeeinrichtungen

Die Zuständigkeit für die Vertretung des Betroffenen beim Abschluss, bei der Änderung

oder bei der Aufhebung des Betreuungsvertrags richtet sich sinngemäss nach den Bestimmungen über die Vertretung bei medizinischen Massnahmen (ZGB 382 III).

Pro memoria:

1. Person, die in PV oder VA bezeichnet ist.

2. Beistand mit Vertretungsrecht in medizinischen Angelegenheiten.

3. Ehegatte oder eingetragener Partner, sofern er im gemeinsamen Haushalt legt oder

regelmässig und persönlich Beistand leistet.

4. Person, die im gleichen Haushalt lebt und ihr regelmässig und persönlich Beistand

leistet.

5. Nachkommen, sofern sie regelmässig und persönlich Beistand leisten.

6. Eltern, sofern sie regelmässig und persönlich Beistand leisten.

7. Geschwister, sofern sie regelmässig und persönlich Beistand leisten.

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Massnahmen von Gesetzes wegen Vertretung bei Aufenthalt in Wohn-/Pflegeeinrichtungen

• Das Vertretungsrecht ist sorgfältig und im Interesse der

urteilsunfähigen Person auszuüben. Die Einrichtung kann sich an die

KESB wenden, falls etwa der Abschluss des Betreuungsvertrags aus

Gründen verweigert wird, die nicht im Interesse des Betroffenen liegen.

• Zudem muss die Einrichtung die Persönlichkeit des Betroffenen

schützen (ZGB 386). So muss sie etwa mögliche Kontakte zur Aussenwelt

fördern und die freie Arztwahl gewährleisten. Zudem ist eine kantonale

Aufsicht über die Einrichtungen vorgeschrieben (ZGB 387).

• Falls die Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird, so kann der Betroffene

oder eine ihm nahestehende Person jederzeit schriftlich die KESB am Sitz

der Einrichtung anrufen (ZGB 385).

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Massnahmen von Gesetzes wegen Vertretung bei Aufenthalt in Wohn-/Pflegeeinrichtungen

Übungsfall

Gegen Linda F. wird eine Massnahme angeordnet, die ihre

Bewegungsfreiheit einschränkt.

Wen kann Linda anrufen, wenn sie damit nicht

einverstanden ist?

Spielt es dabei eine Rolle, ob dies im Rahmen

einer Betreuung durch eine Wohn- und

Pflegeeinrichtung oder im Rahmen einer

fürsorgerischen Unterbringung ist?

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Massnahmen von Gesetzes wegen Vertretung bei Aufenthalt in Wohn-/Pflegeeinrichtungen

Lösung

Ja, es spielt eine Rolle. Bei Massnahmen zur Beschränkung der

Bewegungsfreiheit kann der Betroffene nämlich

• im Rahmen der Betreuung durch eine Wohn- und Pflegeeinrichtung

gemäss ZGB 385 I die zuständige KESB anrufen.

• im Rahmen der fürsorgerischen Unterbringung hingegen das Gericht

(ZGB 439 I Ziff. 5).

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© Dr. iur. Christophe A. Herzig Fachtagung 09.06.2015 in Olten

Lösungsskizze Einstiegsfall

Der Entscheid, sämtliche lebenserhaltenden Massnahmen

einzustellen, tangiert ein absolut höchstpersönliches

Recht von Denise und ist somit vertretungsfeindlich (vgl.

ZGB 19c II).

Dasselbe gilt für die Zurverfügungstellung des Leichnams.

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