Einführung in die Literaturwissenschaft

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Einführung in die Literaturwissenschaft

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Einführung in die Literaturwissenschaft. Themenübersicht. Literarizität : Was unterscheidet literarische Texte von anderen sprachlichen Äußerungen? Zeichen und Referenz : Wie stellen literarische Texte den Bezug sprachlicher Äußerungen auf ›Wirklichkeit‹ dar? - PowerPoint PPT Presentation

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Themenübersicht

• Literarizität: Was unterscheidet literarische Texte von anderen sprachlichen Äußerungen?

• Zeichen und Referenz: Wie stellen literarische Texte den Bezug sprachlicher Äußerungen auf ›Wirklichkeit‹ dar?

• Rhetorik: Was sind ›sprachliche Mittel‹?• Narration: Wie entstehen Geschichten?• Autorschaft und sprachliches Handeln: Wie greift

Schreiben in Wirklichkeit ein?• Intertextualität und Intermedialität: Wie beziehen sich

literarische Texte auf andere Texte / andere Medien?

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John L. Austin: »How to do things with words«

Der Philosoph John L. Austin (1911-1960) ist der Begründer der sogenannten Sprechakttheorie.

Austin geht von der Beobachtung aus, daß sprachliche Äußerungen nicht in jedem Fall ›Aussagen‹ oder ›Feststellungen‹ sind, sondern daß sie zu einer anderen Kategorie von Sätzen gehören können, bei der es darum geht, mit Worten Handlungen zu vollziehen.

Entsprechend unterscheidet Austin zwischen konstativen und performativen Äußerungen (von to perform, vollziehen).

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Austin: »How to do things with words«

Beispiele für performative Äußerungen:

• Eheschließung• Taufe• Testament• Wette• Vertrag• Eröffnung einer Sitzung• Gerichtsurteil• demokratische Abstimmung• … etc.

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›Verunglücktes‹ sprachliches Handeln(A.1)

»Fehlberufungen«

Ich beleidige dich.(leere Berufung auf eine Konvention)

(A.2) Ich verspreche Dir, um fünf dazusein (ge-sagt zu jemand Abwesendem: Fehlanwen-dung einer Konvention).

(B.1)

»Fehlausführungen«

Ich sage nicht nein (Antwort des Diplomaten an den Standesbeamten: Trübung der Prozedur).

(B.2) Ich berichtige meine Behauptung, daß der Anteil 5% ausmacht (Lücke in der Prozedur)

(.1)

»Mißbräuche«

Ich verspreche zu kommen (gesagt von je-mandem, der nicht vorhat zu kommen: Unredlichkeit)

(.2) Ich verspreche zu kommen (gesagt von je-mandem, der dann doch nicht kommt: In-konsequenz)

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›Verunglücktes‹ sprachliches Handeln – ein Akt der Subversion

Das Beispiel vom Scheitern und Ende des Grillparzerpreises (1993) zeigt, daß verunglückte sprachliche Handlungen dennoch Wirkungen zeigen können, daß sie dennoch Handlungen sein können.

Was Austin als verunglückte performative Äußerungen bezeichnet, kann sogar als ein planvolles Zuwiderhandeln fungieren, in dem mit Absicht gegen geltende Regeln verstoßen und damit eine bestimmte Wirkung erzielt wird – hier die Verhinderung des Grillparzer-Preises.

Mit solchen ›unernsten‹, ›uneigentlichen‹ Formen sprachlichen Handelns tut sich Austin im Rahmen seiner Theorie sehr schwer.

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Sprachliches Handeln und Literatur

Austin schließt bestimmte sprachliche Äußerungsformen aus seinen theoretischen Überlegungen aus:

»[P]erformative[] Äußerungen [sind] als Äußerungen gewissen [...] Übeln ausgesetzt, die alle Äußerungen befallen können. [...] Ich meine zum Beispiel folgendes: In einer ganz besonderen Weise sind performative Äußerungen unernst oder nichtig, wenn ein Schauspieler sie auf der Bühne tut oder wenn sie in einem Gedicht vorkommen oder wenn jemand sie zu sich selbst sagt. Jede Äußerung kann diesen Szenenwechsel in gleicher Weise erleben. Unter solchen Umständen wird die Sprache auf ganz bestimmte, dabei verständliche und durchschaubare Weise unernst gebraucht, und zwar wird der gewöhnliche Gebrauch parasitär ausgenutzt. Das gehört zur Lehre von der Auszehrung [etiolation] der Sprache. All das schließen wir aus unserer Betrachtung aus. Ganz gleich, ob unsere performativen Äußerungen glücken oder nicht, sie sollen immer unter normalen Umständen getan sein.« (S. 43f.)

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Sprachliches Handeln und Literatur

Mit seinem Ausschluß ›unernster‹ Formen, mit denen er sich nicht befassen will, impliziert Austin im Grunde eine Theorie der Literatur.

Einerseits ist literarische Rede ohne Zweifel eine performative Äußerung: zum Beispiel wird auf der Bühne durchaus etwas ›vollzogen‹.

Andererseits ist dieser ›Vollzug‹ seltsam ›unernst‹, uneigentlich. Die literarische Rede funktioniert weniger als sprachliches Handeln denn als Vorführung sprachlichen Handelns. Sie macht die Bedingungen dieses Handelns, seines Glückens und seines Verunglückens, sichtbar.

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Wie greift Schreiben in Wirklichkeit ein?

Eine erste Antwort auf diese Frage kann lauten, daß Schreiben insofern in Wirklichkeit eingreift, als sprachlichen Äußerungen generell eine Handlungsdimension innewohnt.

Literarisches Schreiben scheint sich dabei aber durch besondere Eigenschaften auszuzeichnen. Literatur vollzieht nicht nur sprachliche Handlungen, sondern sie kann zugleich auf die Bedingungen und die Beschaffenheit von Handlungen aufmerksam machen. Literatur stellt sprachliches Handeln gleichsam zur Betrachtung auf der Bühne aus - »Szenenwechsel« nennt Austin das.

Damit läßt Literatur das sprachliche Handeln in gewissem Maße uneindeutig oder sogar unwirksam werden, es lenkt das Handeln um, ›zehrt es aus‹ (Austin).

Literatur stellt sich aus dieser Perspektive als eine ihrer eindeutigen Handlungszusammenhänge beraubte, dekontextualisierte sprachliche Äußerung dar.

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Der Fall Oskar Panizza

Aus einer psychiatrischen Krankenakte aus dem Jahre 1904:»Oskar Panizza, Schriftsteller, geboren 12.11. 1853 in Bad Kissingen, stammt aus belasteter Familie. Onkel litt an partiellem religiösem Wahnsinn und starb nach 15jährigem Irrenhausaufenthalt […]. Ein anderer Onkel begieng in jugendlichem Alter Selbstmord. […] In der ganzen Familie besteht prävalierende Geistestätigkeit mit Neigung zur Diskussion religiöser Fragen. Mutter und Pazient schriftstellern. Pazient litt an den üblichen Kinderkrankheiten, Masern, Keuchhusten, lernte sehr schwer lesen, zeigte keine Begabung, hatte bei seinen Geschwistern den Beinamen ›der Dumme‹, kam auf dem Gymnasium schwer vorwärts, war bei fruchtbarer Phantasie und steter In-sich-Versunkenheit unfähig, die Notwendigkeit einer geregelten,systematischen Vorbereitung für einen Lebensberuf zu begreifen, wandte sich vorübergehend der Musik zu und absolvierte endlich in vorgerückten Jahren, 24 Jahre alt, das humanistische Gymnasium […]. Wandte sich nach absolviertem Gymnasium mit großer Liebe und Eifer dem medizinischen Studium zu, […] promovierte 1880 mit summa cum laude«.

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Der Fall Oskar Panizza

»Nach Absolvierung seiner militärischen Dienstpflicht als Unterarzt im Militärlazaret […] ging Pazient […] nach Paris, besuchte aber nur wenige Spitäler, sondern wante sich dem Studium der französischen Literatur, besonders der dramatischen, zu«.

[...]

»Am 19. October griff Pazjent zu einem letzten […] Mittel. […] [Er] kleidete sich bis aufs Hemd aus, benutzte die milde Witterung und lief Nachmittag um 5 Uhr im Hemd durch die Sterneck-Maria-Josefa-Straße in die Leopoldstraße, in der Absicht, abgefaßt und auf Geisteskrankheit verdächtig in eine öffentliche Anstalt gebracht und dort von Sachverständigen untersucht zu werden […]. Ergriffen und in ein nächstes Haus geführt, gab er dem herbeieilenden Schendarm einen falschen Namen, Ludwig Fromman, Stenograf aus Würzburg, an. Es wurde ein Sanitätswagen requirirt und Pazjent auf die Polizei gebracht, wo derselbe nach kurzem Examen durch den Herrn Bezirksarzt, auf die Irrenstation des städtischen Krankenhauses I/J überführt wurde.«

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Die ärztliche Rede als konstative und als performative Äußerung

Die zitierte Darstellung ist Teil einer aus psychiatrischer Sicht verfaßten Krankengeschichte. Sprechakttheoretisch betrachtet handelt es sich dabei zunächst um eine konstative Äußerung; es werden Feststellungen getroffen.

All diese Feststellungen gehen jedoch in eine psychiatrische Diagnose ein. Das heißt: Sie haben an einem sprachlichem Handeln teil, durch welches der Patient entweder für gesund erklärt und aus der Anstalt entlassen oder aber für geisteskrank befunden und interniert werden wird. Insofern ist dieser Text zugleich als eine performative Äußerung aufzufassen.

Konstative und performative Beschaffenheiten von Äußerungen schließen einander nicht aus. Gerade die ärztliche Rede ist generell ein Beispiel dafür, wie Feststellen (Symptome beschreiben, eine Krankheit bestimmen etc.) und Handeln (einen Rat geben, etwas verordnen etc.) miteinander verbunden sein können.

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Der »Pazjent« als »Psichjater«: ein Fall von Fehlberufung

Bei der vorliegenden sprachlichen Äußerung, der Krankengeschichte des Oskar Panizza, handelt es sich jedoch um ein verunglücktes sprachliches Handeln.

Denn in diesem Fall sind Patient und Psychiater ein und dieselbe Person. Panizza hat als ausgebildeter ›Irrenarzt‹ seine eigene Krankengeschichte selber verfaßt. Er bringt seine psychiatrische Kompetenz ins Spiel, um für sich selbst den Nachweis der geistigen Gesundheit zu erbringen. Dafür bedient er sich der üblichen fachspezifischen Terminologie und befolgt die ärztlichen Regeln der Anamnese (Fragen nach familiärer Vorbelastung, früheren Erkrankungen und Auffälligkeiten usw.).

Es handelt sich dabei jedoch um eine Fehlberufung auf Konventionen, weil der Patient niemals gleichzeitig der untersuchende Psychiater sein kann.

Die beiden Positionen schließen sich aus, weil jemand nur entweder der Patient oder der Psychiater sein kann.

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Die Position des Dritten: der Autor

Der Fall Oskar Panizza ist aber nicht einfach nur ein weiteres Beispiel für verunglücktes sprachliches Handeln, sondern er ist noch komplizierter. Neben den einander ausschließenden Positionen des Patienten und des Psychiaters, die Panizza in sich vereinen will, gibt es noch eine dritte Position: die des Dichters.

In der Krankengeschichte des Patienten Panizza macht der Psychiater Panizza sehr ausführliche Angaben über das schriftstellerische Schaffen des Dichters Panizza.

Was wäre, wenn in diesem Text eines Patienten, der als sein eigener Psychiater seine eigene Krankengeschichte protokolliert, tatsächlich niemand anderes als der Dichter Panizza spricht?

Dann würde die sprachliche Äußerung nicht mehr mit den notwendigen Rahmenbedingungen der Konventionen ärztlicher Rede kollidieren. Die sprachliche Äußerung erschiene als dekontextualisiert.

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Patient? Psychiater? Dichter?

»Im November 1903 begannen gegen den Pazjenten, der in absolutester Zurückgezogenheit lebte, eine Reihe von Schikanen, die auf das Zusammenwirken einer größeren Anzahl von Detektivs schließen ließen. […] Die Schikanen […] bestanden im Wesentlichen, unter Umgehung von Kleinigkeiten, wie auslöschen des Herdfeuers, Verstopfung des Kamins, Abschneiden des Wassers, Beschädigung der Wohnungsschlösser (!!) in rafinirten, auf peinlichste Verletzung des Nervensistems berechneten Pfeifereien, Molestirungen mit allen möglichen die Gehörsnerven empfindlichst treffenden Instrumenten, die teils von einem Haus vis-à-vis in der rue des Abesses, teils auf der Straße, ja sogar stellenweise im Wald von Montmorency, wohin Pazjent regelmäßig jeden Sonntag sich begab, auf denselben einwirkten. Daß es sich hier um keine Gehörstäuschungen handelte, ergab der einfache Umstand, daß das Pfeifen in dem Augenblick verstummte, in dem Pazjent die Ohren zuhielt, was sicher nicht der Fall gewesen wäre, wenn dasselbe zerebralen Ursprungs gewesen wäre. Auch wurden jene Pfeiferein, die Pazjent als gegen sich gerichtet ansah, […] von einwurfsfreien Zeugen […] bestätigt.«

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Die Position des Dritten: der Autor

Wenn angenommen wird, daß dies alles Äußerungen eines Dichters sind – und nicht die eines Geisteskranken und/oder eines Psychiaters –, dann handelt es sich um eine (in Austins Formulierung) ›unernste‹ Rede.

Es geht dann nicht mehr um ein bestimmtes sprachliches Handeln (darum, den Gesundheitszustand des Patienten zu attestieren). Statt dessen geht es darum, die Art und Weise eines solchen Handelns und die Bedingungen seines Gelingens oder Scheiterns vorzuführen.

Die Konventionen sprachlichen Handelns – hier: des psychiatrischen Urteilens – werden entautomatisiert (Šklovskij). An die Stelle dieses Handelns tritt das Handeln des Dichters als Autor. Dabei scheint die Instanz des Autors für die ihren Zusammenhängen entkleidete sprachliche Äußerung einen neuen, eigenen Kontext zu bilden: Man unterstellt ihr einen Sinn, allein insofern diese Äußerung auf einen Autor zurückzuführen ist.

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Michel Foucault: »Was ist ein Autor?« (1969)

Der französische Philosoph Michel Foucault (1926-1984) hat diesen Zusammenhang, daß einem Text besonderen Sinnhaftigkeit beigemessen wird, weil er einen Autor hat, als Autorfunktion bezeichnet.

»[D]er Autorname hat die Funktion, eine bestimmte Seinsweise des Diskurses zu kennzeichnen. Hat ein Diskurs einen Autornamen, kann man sagen, ›das da ist von dem da geschrieben worden‹ oder ›ein gewisser ist der Autor von...‹, so besagt dies, daß dieser Diskurs nicht aus alltäglichen, gleichgültigen Worten besteht, nicht aus Worten, die vergehen, vorbeitreiben, vorüberziehen, nicht aus unmittelbar konsumierbaren Worten, sondern aus Worten, die in bestimmter Weise rezipiert werden und in einer gegebenen Kultur ein bestimmtes Statut erhalten müssen.« (S. 17)

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Foucault: »Was ist ein Autor?«

Nach Foucault tritt die Autorfunktion nur bei bestimmten Gattungen sprachlicher Äußerungen in Kraft.

»Der Autorname hat seinen Ort nicht im Personenstand des Menschen [...], sondern in dem Bruch, der eine bestimmte Gruppe von Diskursen und ihre einmalige Seinsweise hervorbringt. Folglich könnte man sagen, daß es in einer Kultur wie der unseren eine bestimmte Anzahl von Diskursen gibt, die die Funktion ›Autor‹ haben, während andere sie nicht haben. Ein Privatbrief kann einen Schreiber haben, er hat aber keinen Autor; ein Vertrag kann wohl einen Bürgen haben, aber keinen Autor. Ein anonymer Text, den man an einer Hauswand liest, wird einen Verfasser haben, aber keinen Autor. Die Funktion Autor ist also charakteristisch für Existenz-, Verbreitungs- und Funktionsweisen bestimmter Diskurse in einer Gesellschaft.« (S. 17f.)

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Autorschaft und Literatur

Zu jenen Gattungen sprachlicher Äußerungen (»Diskurse«), die über die Funktion Autor verfügen, gehören literaturische Texte.

»›[L]iterarische‹ Diskurse können nur [...] rezipiert werden, wenn sie mit der Funktion Autor versehen sind: jeden Poesie- oder Fiktionstext befragt man danach, woher er kommt, wer ihn geschrieben hat, zu welchem Zeitpunkt, unter welchen Umständen oder nach welchem Entwurf. Die Bedeutung, die man ihm zugesteht, und der Status oder der Wert, den man ihm beimißt, hängen davon ab, wie man diese Fragen beantwortet. Und wenn infolge eines Mißgeschicks oder des ausdrücklichen Autorwillens uns der Text anonym erreicht, spielt man sofort das Spiel der Autorsuche. Literarische Anonymität ist uns unerträglich; wir akzeptieren sie nur als Rätsel. Die Funktion Autor hat heutzutage ihren vollen Spielraum in den literarischen Werken.« (S. 19)

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Autorschaft und ›Einfache Form‹

Die enge Verbindung von Literatur und Autorschaft ist nicht in jeder Kultur und zu allen Zeiten gegeben. In unserer Kultur ist sie erst im 17./18. Jahrhundert entstanden. Urheberrechte von Autoren etwa existieren erst seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert.

Zu früheren Zeiten hatten literarische Texte bestimmte Verwendungszusammenhänge. Sie waren als sprachliches Handeln nicht dekontextualisiert.

Ein Beispiel dafür sind Einfache Formen (Jolles) wie die Legende.

Legenden sind performative Äußerungen, insofern sie die Figur eines oder einer Heiligen hervorbringen. Legenden haben keine Autorfunktion.

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Der Patient als Dichter/Autor? – Eine weitere Fehlberufung

Die vorliegende Krankengeschichte als Äußerung eines Dichters, eines Autors zu lesen, ist nur im Nachhinein möglich. Es handelt sich um eine Zuschreibung, die wir nachträglich vornehmen.

Denn im Jahre 1904, zur Zeit seiner Entstehung, ist der Text nicht so gelesen worden. Der Text ist nicht veröffentlicht worden, sondern man hat ihn als Dokument einer Geisteskrankheit aufgefaßt und ihn zum Teil einer psychiatrischen Krankenakte gemacht.

Das ›Werk‹ eines ›Autors‹ ist ein Sprechakt, dessen Gelingen paradoxerweise nicht von demjenigen abhängt, der die sprachliche Äußerung tätigt. Das Glücken dieses Sprechaktes ist darauf angewiesen, daß jemandem der Status des Autors zugeschrieben bzw. zugebilligt wird.

Dies war für das vorliegende Beispiel nicht der Fall. Denn die Konvention um 1900 lautete, daß ein Patient, der als geisteskrank gelten muß, nicht Autor sein kann.

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Die Intention des Autors

Der Fall Oskar Panizza zeigt, daß Autorschaft eine Konstruktion ist.

Diese Konstruktion verleiht Texten einerseits eine besondere Bedeutsamkeit, die sie aus konkreten Handlungszusammenhängen heraushebt.

Andererseits vereinfacht diese Konstruktion aber auch das Verständnis literarischer Texte. Sie dient dazu, fehlende Verstehenskontexte von Literatur zu kompensieren.

In diesem Sinne ist die berühmte Frage »Was will der Autor uns damit sagen?« eine Komplexitätsreduktion.

Alle Aussagen über die Intention des Autors sind auf Vermutungen angewiesen. Sie lenken von den Verfahren literarischer Texte ab.

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Texte und Folien im Netz unter:

www.uni-erfurt.de/literaturwissenschaft/

Paßwort für die Texte: