Elektrokonvulsionstherapie - zweiter Frühling einer ......Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie...

28
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 29.09.2017 Elektrokonvulsionstherapie - zweiter Frühling einer umstrittenen Therapieform PD Dr. med. Annette Brühl Leitende Ärztin Zentrum für Depressionen, Angsterkrankungen und Psychotherapie Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

Transcript of Elektrokonvulsionstherapie - zweiter Frühling einer ......Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie...

  • Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik

    29.09.2017

    Elektrokonvulsionstherapie - zweiter

    Frühling einer umstrittenen

    Therapieform

    PD Dr. med. Annette Brühl

    Leitende Ärztin Zentrum für Depressionen, Angsterkrankungen und Psychotherapie

    Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik

    Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    EKT – variable Anwendung

    Grözinger et al. 2015

    2

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    Filmclip

    https://www.srf.ch/sendungen/10vor10/10vor10-serie-aufenthalt-in-der-psychiatrie

    3

    https://www.srf.ch/sendungen/10vor10/10vor10-serie-aufenthalt-in-der-psychiatriehttps://www.srf.ch/sendungen/10vor10/10vor10-serie-aufenthalt-in-der-psychiatriehttps://www.srf.ch/sendungen/10vor10/10vor10-serie-aufenthalt-in-der-psychiatriehttps://www.srf.ch/sendungen/10vor10/10vor10-serie-aufenthalt-in-der-psychiatriehttps://www.srf.ch/sendungen/10vor10/10vor10-serie-aufenthalt-in-der-psychiatriehttps://www.srf.ch/sendungen/10vor10/10vor10-serie-aufenthalt-in-der-psychiatriehttps://www.srf.ch/sendungen/10vor10/10vor10-serie-aufenthalt-in-der-psychiatriehttps://www.srf.ch/sendungen/10vor10/10vor10-serie-aufenthalt-in-der-psychiatriehttps://www.srf.ch/sendungen/10vor10/10vor10-serie-aufenthalt-in-der-psychiatriehttps://www.srf.ch/sendungen/10vor10/10vor10-serie-aufenthalt-in-der-psychiatriehttps://www.srf.ch/sendungen/10vor10/10vor10-serie-aufenthalt-in-der-psychiatrie

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    EKT – Vorurteile und Wahrnehmung in der

    Öffentlichkeit I

    Darstellung im Film (McDonald & Walter 2001):

    - 20 Amerikanische Filme von 1948 (The Snake Pit) bis 2000 (Requiem for a

    Dream), inklusive One Flew Over The Cuckoo’s Nest

    - Häufigste Indikation im Film:

    - Antisoziales Verhalten, explizit als Bestrafung

    - Vermischung zwischen EKT und Aversionstherapie (aversive Schocks)

    - Teils sogar als Mordwaffe dargestellt (Horrorfilme)

    - Psychotische Erkrankungen

    - Nur in 3/20 Filmen für depressive Erkrankungen eingesetzt

    - Meist ohne Einverständnis des Patienten angewendet

    - In der Mehrzahl der Filme mit negativem Effekt für Patienten (bis zu Zombie)

    - Darstellung im Film ohne Anästhesie – in der Realität seit den 50er Jahren als

    modifizierte EKT mit Anästhesie angewendet

    4

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    EKT – Vorurteile und Wahrnehmung in der

    Öffentlichkeit II

    Walter et al. 2002

    Wissen und Einstellungen von Medizinstudierenden bzgl. EKT

    - Sicherheit

    - 23% sicher

    - 15% unsicher

    - 55% kein Wissen über Sicherheit

    - Wirksamkeit:

    - 30% wirksame

    - 14% unwirksam

    - 55% kein Wissen über Wirksamkeit

    - Nebenwirkungen:

    - 20% glauben an Verbrennungen als NW

    - 36% glauben Persönlichkeitsveränderung als NW

    5

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    EKT – Vorurteile und Wahrnehmung in der

    Öffentlichkeit III

    Lauber et al. 2005

    Schweizer Bevölkerung (1737 Personen)

    - Schädlich: 57%

    - Hilfreich: 1.2%

    Taylor & Kowalski 2012

    Psychologiestudierende:

    - Schädlich: 74%

    6

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    EKT – Ängste von Patienten

    - Hirnschäden

    - Permanenter Gedächtnisverlust

    - Schmerzen

    - Ausgeliefertsein, Unwissen über Prozeduren

    - Angst vor Anästhesie

    - Angst vor Persönlichkeitsveränderung

    - Herzinfarkt

    - ABER:

    - Petinatti et al. 1994:

    - 98% der Patienten sagen nach EKT, dass sie es wieder machen würden bei

    einer erneuten Episode

    - 62% sagten, es sei weniger beängstigend als Zahnarzt

    7

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    Vorurteil: EKT schädigt das Gehirn

    Cano et al. 2017 Translational Psychiatry

    Volumenzunahme in medialem Temporallappen und ACC

    Korrelation mit klinischer Verbesserung

    8

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    Vorurteil: EKT schädigt das Gehirn

    Van Eijndhoven et al. 2016 Translational Psychiatry

    Volumenzunahme in medialem Temporallappen und Insula

    Korrelation mit Anzahl EKT-Sitzungen

    9

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    Vorurteil: EKT schädigt das Gehirn

    Bouckaert et al. 2016 Journal of Psychiatry and Neuroscience

    10

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    Vorurteil: EKT schädigt das Gehirn

    Redlich et al. 2017 Psychological Medicine

    - Normalisierung der Reaktion der Amygdala auf emotionale Stimuli (parallel mit

    den Effekten einer antidepressiven Pharmakotherapie)

    Abbott et al. 2016 Translational Psychiatry

    - Zunahme Hippocampusvolumen und –konnektivität nach EKT

    11

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    Mechanismen der EKT

    … steigert BDNF (brain derived neurotrophic factor – Nervenwachstumsfaktor):

    Rocha et al. 2016 Journal of Psychiatric Research

    12

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    Wirkmechanismen der EKT II

    Wirkmechanismus:

    - Epileptischer Anfall (durch Strom ausgelöst)

    - Mgl. Beendigung/Suppression des Anfalls als Mechanismus

    - Neurotransmitterfreisetzung

    - Verfügbarkeit der Neurotransmitter erhöht

    - Sensitivierung der Rezeptoren

    - Wirkung auf Dopamin, Serotonin, Noradrenalin, GABA, Glutamat

    - Neuroendokrine Wirkung

    - Freisetzung von PRL, TSH, ACTH, Endorphinen

    - Wirkung auf Dysregulation der HPA-Achse

    - Neurotrophe Effekte (BDNF und andere Faktoren),

    - Neuroneogenese (Hippocampus), Plastizität

    - Stimulierende Wirkung auch auf andere Wachstumsfaktoren

    13

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    EKT – gefährlich?

    Tørring et al. 2017 Acta Psychiatrica Scandinavica

    - Meta-analyse von insgesamt 766’000 EKT-Behandlungen

    - Geschätzte Mortalität: 2 pro 100’000 Behandlungen

    - Konservative Schätzung (8 der 16 berichteten Todesfälle mgl. nicht kausal mit

    EKT verknüpft)

    - In den Studien nach 2001: 1 Todesfall unter 414’000 EKT-Behandlungen

    (verbesserte Anästhesie, bessere Ausrüstung, besseres Training)

    - Mortalitätsrate bei Depression allgemein: 0.048/Jahr (normal: 0.013/Jahr)

    - Bei 3 EKTs/Woche x 52 Wochen: Mortalitätsrate 0.003/Jahr

    14

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    EKT – Nebenwirkungen

    Art der Nebenwirkung Häufigkeit (schwer/mild)

    Gedächtnisstörungen 72% (10/62)

    Benommenheit 62% (10/52)

    Kopfschmerzen 55% (11/44)

    Verwirrtheit postiktal 44% (3/41)

    Übelkeit 9% (0/9)

    15

    Erfasst mit Fragebögen nach der Behandlung.

    Keine Aussage zu Kausalität.

    Bei Vergleich mit vor der Behandlung berichteten Beschwerden gibt es keine

    signifikanten Unterschiede mehr!

    (Benbow et al. 2004)

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    EKT & Gedächtnis

    Gedächtnisprobleme:

    Akut: Amnesie.

    Chronisch: i.d.R. nach >15 Tagen wieder normalisiert bis besser als vor

    Behandlung,

    Häufig Korrelation mit residueller depressiver Symptomatik

    Nach 6-7 Monaten nicht mehr nachweisbar

    16

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    EKT früher und heute

    Früher Heute

    Aufklärung, Einverständnis Oft ohne Wie bei jeder anderen

    medizinischen Prozedur

    Einbezug von Angehörigen Nicht notwendig Wie bei jeder anderen Prozedur,

    empfohlen

    Relaxation, Kurznarkose Ohne Notwendig (nicht ohne)

    Präoxygenierung Nein Notwendig (nicht ohne)

    Durchführend Oft nicht durch Ärzte Psychiater & Anästhesist

    Stimulation Sinuswelle Rechteckpuls

    Monitoring Sichtbarer Anfall EEG

    Indikation Vage Klar definiert

    Gerät Konstante Spannung Konstanter Stromfluss

    Frequenz Bis zu mehrmals am Tag 2-3x/Woche

    Erhaltungs-EKT Selten Systematisch

    Name Elektroschock Elektrokonvulsion

    17

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    EKT – wirkungslos?

    - Evidenzgrad A

    - Empfohlen von allen wichtigen Leitlinien und Fachgesellschaften:

    - DGPPN, SGPP

    - NICE

    - APA

    - WFSBP

    - Lancet 2003 vs. sham

    - Hohe Effektstärke vs.

    Pharmakotherapie

    3-4x besseres Ansprechen

    18

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    Depression – Bedeutung

    • Wahrscheinlichkeit für depressive Episode 16-20% im Laufe des Lebens

    • Jahresprävalenz ca. 7-10-12%

    • Durchschnittsalter unipolare Depression 40-45, bipolare Psychosen 30-35 Jahre

    • Ca. 50% der Depressionen unbehandelt

    • Ca. 10-15% der Depressiven versterben durch Suizid

    • Frauen : Männer = 2-3:1 (aber: häufiger unerkannt bei Männern)

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    Leitlinien

    20

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017 21

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    Leitlinie Depression – Algorithmus

    Nichtansprechen

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    Elektrokonvulsionstherapie (EKT) –

    Wirksamkeit

    - Depressionen ohne Therapieresistenz: 80-90%

    - Depressionen mit Therapieresistenz: 50-70%

    - Bei schweren, psychotischen oder stuporösen Depressionen: 85-95%

    (vitale Indikation!)

    - Sinkende Wahrscheinlichkeit einer Wirkung mit steigender Dauer der

    Vorbehandlung!

    - Manien: 70-100%

    - Therapieresistente Schizophrenien: 50-65% (kombiniert mit Antipsychotika)

    23

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    EKT

    - Indikationen – Therapie der 1. Wahl bei

    - Wahnhafter Depression

    - Depressivem Stupor

    - Schizoaffektiven Psychosen mit schwerer Depression

    - Depression mit hoher Suizidalität, Nahrungsverweigerung,

    ausserordentlichem Leidensdruck, Wunsch des Patienten

    - Akuter lebensbedrohlicher Katatonie

    - Kontraindikationen für andere Behandlungen (höheres Risiko,

    Nebenwirkungen)

    - Vorbekanntes Ansprechen auf EKT

    - Indikationen – Therapie der 2. Wahl bei

    - Therapieresistenter Depression

    - Therapieresistenter Katatonie, anderen therapieresistenten Psychosen

    - Therapieresistenter Manie

    24

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    EKT

    - Keine absoluten Kontraindikationen! (Kurznarkosefähigkeit)

    - Kontraindikationen – relativ:

    - St. n. kürzlichem Myokardinfarkt, cerebralem Insult

    - Aortales Aneurysma

    - Hirndruck

    - KHK

    - Schwere arterielle Hypertonie

    - Pulmonale Erkrankungen

    - Cerebrales Aneurysma, Angiom

    - Keine Kontraindikation:

    - Höheres Alter

    - Schwangerschaft

    - Herzschrittmacher

    25

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    EKT – Durchführung

    - In der Mehrheit ambulant

    - In Kurznarkose (Muskelrelaxans, iv.-Anästhetikum)

    - Dauer der eigentlichen Behandlung: 5 min, inklusive Vorbereitung und

    Überwachung 2-2.5 Stunden

    - 2-3x/Woche

    - Serie: 12 Behandlungen (4-5 Wochen)

    - Im Anschluss bei Ansprechen i.d.R. Erhaltungs-EKT (ca. 6 Monate,

    anhaltende Remission bei ca. 65%) und/oder Pharmakotherapie, da sonst

    Rezidivgefahr (70-80% n. 6 Mo)

    26

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    Angebote der PUK für schwer behandelbare

    affektive Erkrankungen

    - Stationär: Psychopharmakotherapie, Psychotherapie, erweiterte

    Behandlungen einschliesslich Behandlung mit Ketamin, Lichttherapie,

    Schlafentzugstherapie, Bewegungs- u.a. komplementäre Therapie

    - Spezialisiert: EKT (ambulant, stationär), rTMS (ambulant), Kooperation mit

    USZ bzgl. Tiefenhirnstimulation, VNS

    - Teilstationär/tagesklinisch: spezialisierte Behandlung va. chronische

    Depressionen, CBASP im Aufbau

    - Second opinion Angebot: wenige Sitzungen, Diagnose, Differentialdiagnose,

    Empfehlungen zum weiteren Procedere, Behandlungsvorschläge

    27

  • Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik 26.09.2017

    Vielen Dank für Ihr Interesse!

    - Kontakt: [email protected]

    28