Elektromobildurch die Zukunft · DavidHawig,Marie Jégu,Rüdiger Klatt, Silke Steinberg,...

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Elektromobil durch die Zukunft

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Elektromobil durch die Zukunft

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David Hawig, Marie Jégu, Rüdiger Klatt, SilkeSteinberg, Romina Wendt (Hrsg.)

Elektromobil durchdie Zukunft

Zukunftsszenarien und neue Dienstleistungenfür die Elektromobilität 2030

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Das dieser Veröffentlichung zugrundliegende Vorhaben „Kunden-lnnovationslabor Elektromobilität (KIE-Lab)“ wurde mit Mitteln desBundesministeriums für Bildung und Forschung unter den Förder-kennzeichen 01FE13050(E) und 01FE13051(E) gefördert. Die Ver-antwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Au-toren.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Da-ten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2017 David Hawig, Marie Jégu, Rüdiger Klatt, Silke Steinberg, Ro-mina Wendt (Hrsg.)

Lektorat: Ursula Meyer

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt

ISBN: 978-3-7431-81892

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Inhaltsverzeichnis

EEIINNFFÜÜHHRRUUNNGG.................................................................................................................................................................. 77

Vorwort ........................................................................................................ 7

Rahmenbedingungen 2030: Welchen Rahmenbedingungen dieElektromobilität im Jahr 2030 ausgesetzt sein wird. ................................... 12David Hawig, Rüdiger Klatt, Romina Wendt ................................................12

DDIIEENNSSTTLLEEIISSTTUUNNGGSSEENNTTWWIICCKKLLUUNNGG................................................................................................ 2233

Neue Geschäftsfelder für mehr Elektromobilität entwickeln.Herausforderungen für den Energieversorger der Zukunft ......................... 24Lars Edingloh................................................................................................24

Shared Creation – Kollaboration als Paradigma gesellschaftlicherWertschöpfungsprozesse............................................................................ 37Silke Steinberg .............................................................................................37

Nutzerorientierte Entwicklung von Elektromobilitätsdienstleistungen....... 54Sabrina Lamberth-Cocca..............................................................................54

Abbau kundenseitiger Barrieren gegenüber Elektromobilität durch dasAngebot von Zusatzdienstleistungen .......................................................... 81Sabine Moser, Veronika Selzer ....................................................................81

Mobilitätsberatung zu multimodalen Verkehrsangeboten im Kontext derElektromobilität – Spannungsfelder der organisationalen undgesellschaftlichen Gestaltung ..................................................................... 99Michel Michiels-Corsten, Clarissa Schmitz ..................................................99

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ZZWWEEIIRRÄÄDDRRIIGGEE EELLEEKKTTRROOMMOOBBIILLIITTÄÄTT........................................................................................ 113311

Neue Dienstleistungen für mehr Radmobilität in der Zukunft – Das BeispielGelsenkirchen ........................................................................................... 132Romina Wendt, Peter Bruckmann............................................................. 132

Elektromobil auf zwei Rädern – Innovative Konzepte für das Jahr 2030 ... 149Romina Wendt .......................................................................................... 149

VVIIEERRRRÄÄDDRRIIGGEE EELLEEKKTTRROOMMOOBBIILLIITTÄÄTT.......................................................................................... 117722

Wie Kunden mit innovativen Dienstleistungen den Elektroautos zumDurchbruch verhelfen. .............................................................................. 173David Hawig............................................................................................... 173

Städte im Umbau für nachhaltige Mobilität: das Beispiel Dijon ................ 188Marie Jegu, Franck Dubois ........................................................................ 188

Geräuscharme Nachtlogistik – Elektromobiler Wirtschaftsverkehr imurbanen Raum .......................................................................................... 210Cornelius Moll, Daniela Kirsch, Arnd Bernsmann...................................... 210

Autorenverzeichnis ................................................................................... 233

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Einführung

Vorwort

Die Entwicklung eines eigenständigen Marktes für Elektrofahrzeugekommt nur schleppend voran. Entscheidend für die Entwicklung derElektromobilität sind neue Dienstleistungen, die die Kundenakzep-tanz für eine neue Mobilitätskultur steigern und die Schwellenängs-te gegenüber Elektrofahrzeugen reduzieren. Diese Dienstleistungenfehlen bislang weitgehend.Nur in einigen Rand- und Nischensektoren ist die Entwicklung neuerDienstleistungen bereits in vollem Gange. Elektromobilität wird et-wa in Carsharing-Konzepten eingebunden, sie ermöglicht neue Tou-ristikdienstleistungen (Segway-Sightseeing) und ist für spezielle Ziel-gruppen (Mobilitätseingeschränkte, Ältere, Geschäftsleute) durch-aus eine marktfähige Alternative (Pedelecs, Seniorenmobile).Im Kern müssen zur Entwicklung einer neuen Elektro-Mobilitätskultur aber aus unserer Sicht nicht allein technische, son-dern auch neue soziale Dienstleistungen als eine „Brücke“ zur Nut-zung von Elektromobilität entwickelt werden. Dabei kommt ausunserer Sicht dem ‚Kunden’ im Rahmen einer „kollaborativen“ Formbei der Entwicklung eine Schlüsselrolle zu.Neue Dienstleistungen, die die Elektromobilität fördern, könnten z.B. darin bestehen, das Elektromobil zum Nutzer zu bringen (Verfüg-barkeit) oder persönliche Einstellungen vorzunehmen und dasFahrzeug mit individuellen Accessoires auszustatten (Individualisie-rung).Die kundenintegrative, kollaborative Entwicklung von sogenannten„Brückendienstleistungen“, die die neue Technologie mit einemMehrwert gegenüber herkömmlicher Mobilität ausstatten, war Zieldes Verbundprojektes KIE-Lab, das vom Bundesministerium fürBildung und Forschung (BMBF) gefördert und vom DLR Projektträ-ger, Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen, sowie vom Projektträ-

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ger Karlsruhe (PTKA) betreut wurde. Es wurde vom Forschungsinsti-tut für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention (FIAP) e.V. inGelsenkirchen in Zusammenarbeit mit der Dortmunder Energie-und Wasserversorgung GmbH (DEW21) durchgeführt.Kundenintegrative, kollaborative Dienstleistungsentwicklung bedeu-tet eine Abkehr von den angebotsorientierten und auf potenziellen,rational abgeleiteten Vorteilen basierenden Innovationspfaden. ImBereich neuer Mobilitätskonzepte geht es um die nachfrageorien-tierte, auf emotionale, kulturelle und habituelle Kriterien bezogene,kundengetriebene Innovation.Für die erfolgreiche Integration von Kunden in Innovationsprozes-sen gibt es Beispiele aus anderen Branchen (z. B. IT-Wirtschaft). Fürdie anstehende Entwicklung von Dienstleistungen rund um dietechnologischen Kerne von Elektromobilität ist dies dagegen einneues Vorgehensmodell.Ziel des Verbundprojektes KIE-Lab war es dabei vor allem, ein neu-artiges Kundeninnovationslabor KIE-Lab bei der DEW21 zu etablie-ren und dort unter Beteiligung von Kunden solche elektromobilenDienstleistungen zu entwickeln und in Geschäftsmodelle zu über-führen. Im KIE-Lab sollten zukünftig Anwender wie Anbieter zu-sammenarbeiten, gemeinsame Innovationspfade für Elektromobili-tät kreieren und zur Umsetzung vorbereiten.Die zu erstellenden Geschäftsmodelle sollten zum Beispiel die klas-sischen, besitzorientierten mobilen Nutzungsgewohnheiten derKunden (i. S. v. „ich besitze ein eigenes Auto, das mir immer zurVerfügung steht und für das ich alle Kosten trage“) mit der moder-nen, nutzerorientierten Elektromobilität (z. B. Carsharing) verbin-den.Solche neuen Dienstleistungen benötigen eine intensive Beteiligungdes ‚Kunden’ als Innovationstreiber. Dem ‚Kunden’ sollte daher imProjekt eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung dieser Dienstleistun-gen zukommen. Damit übertrug das Projekt das Innovationskon-zept der „interaktiven Wertschöpfung“ (oder ‚open innovation’), dasbereits in anderen Hochtechnologiebranchen wie z. B. der IT-

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Branche funktioniert, auf ein neues Einsatzgebiet. Die partizipativeoder genauer kollaborative Dienstleistungsentwicklung hat bereitsin der Projektlaufzeit zur Entwicklung umsetzbarer Geschäftsmodel-le für elektromobile Dienstleistungen im Ruhrgebiet geführt.Der hier vorliegende Abschlussband des Verbundprojektes KIE-Lab:Kunden-Innovationslabor Elektromobilität stellt die Ergebnisse derwissenschaftlich koordinierten und begleiteten Umsetzung des In-novationskonzeptes für kundengetriebene Innovation im BereichElektromobilität vor. Die Verbundpartner haben im Projekt gemein-sam Innovationspfade für Elektromobilität und elektromobile Brü-ckendienstleistungen entwickelt und zur Umsetzung vorbereitet.Werkzeug und organisatorischer Rahmen für die kundengetriebe-nen Innovationsprozesse war dabei ein neuartiges Instrument in-teraktiver Wertschöpfung, das Innovationslabor KIE-Lab, das Elekt-romobilität einerseits erlebbar macht und andererseits geleiteteund moderierte Kunden-Anbieter-Innovationsdialoge systematischdurchgeführt hat.Ziel des Projektes war es auch, durch fundierte Kundenanalysenund unter Einbeziehung der europäischen Vergleichsdimensionendie Rahmenbedingungen, Treiber und Hemmnisse für interaktiveWertschöpfungsprozesse und kundengetriebene Innovationen beider Entwicklung von elektromobilen Brückendienstleistungen zuanalysieren. Des Weiteren standen die Konzipierung und Etablie-rung des Kundeninnovationslabors Elektromobilität „KIE-Lab“ alsMethode der kundenintegrierten Dienstleistungsentwicklung indiesem Bereich im Fokus.Mithilfe der wissenschaftlichen Begleitung durch das FIAP wurdenkonkrete, umsetzbare Innovationspfade (Szenarien) für elektromo-bile Brückendienstleistungen mithilfe des KIE-Lab im Dialog mitKunden erarbeitet, die den beteiligten Modellpartnern nachhaltigeMarktentwicklungen eröffnen. Dabei wurden, über den europäi-schen Partner in Frankreich, die bereits vorliegenden Ergebnisseund Erkenntnisse aus französischen Forschungsprogrammen und

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Entwicklungsaktivitäten zu Dienstleistungsinnovationen im BereichElektromobilität einbezogen.Im Projekt wurden konkrete Geschäftsmodelle mit den Projekt- undValuepartner umgesetzt und die Methode des KIE-Lab im Bran-chensektor Elektromobilität breit verankert. Es entstanden, aufbau-end auf den Projektergebnissen, verschiedene Szenarien für dieElektromobilität der Zukunft.Es wurden mehrere Spin-off-Projekte entwickelt und marktlicheVerwertungen zur interaktiven Wertschöpfung und kundengetrie-benen Innovation im Bereich der Entwicklung elektromobiler Brü-ckendienstleistungen ausgelöst. Herauszuheben ist hier vor allemdas BMBF-geförderte Projekt Crowd-In, das mit europäischen Part-nern, die Grundidee der kollaborativen Dienstleistungsentwicklungfür eine nachhaltige Mobilität in den Städten Prag und Sofia weiter-entwickelt. Es startet im April 2017.Mit diesem Band schließen wir das Projekt mit der Verbreitung undVerankerung der Ergebnisse in Praxis und Wissenschaft ab.Das Forschungsinstitut für innovative Arbeitsgestaltung und Präven-tion (FIAP) war im Projekt für die Koordination und wissenschaftli-che Begleitung zuständig, die DEW21 für die Entwicklung und Um-setzung des Konzeptes und für die kundenintegrierte Erarbeitungneuer Dienstleistungsszenarien im Bereich Elektromobilität.Valuepartner im Projekt waren die EnergieAgentur.NRW, das Kom-petenzzentrum für interoperable Elektromobilität, Infrastruktur undNetze der Technischen Universität Dortmund, das Wuppertal Insti-tut für Klima, Umwelt, Energie, der Runde Tisch ElektromobilitätDortmund sowie die Städte Dortmund, Monheim und Gelsenkir-chen, die insbesondere als Umsetzungs- und Transferpartner dasProjekt begleiteten. Assoziiert war zudem die Université de Bour-gogne in Dijon (Frankreich), die wesentliche Beiträge zur Unterstüt-zung der Einbeziehung innovativer europäischer – insbesonderefranzösischer – Forschungen und Entwicklungsansätze im BereichElektromobilität geleistet hat.

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Dieser Band enthält darüber hinaus Ergebnisse der Forschungenbenachbarter Verbundprojekte im BMBF-Förderschwerpunkt:Dienstleistungsinnovationen für Elektromobilität.Wir danken allen Verbund- und Valuepartnern von KIE-Lab sowieden benachbarten Verbundprojekten BeEmobil, ProMobiE, GeNa-Log sowie dem Metaprojekt DELFIN für ihre aktive Beteiligung andiesem Band. Außerdem möchten wir dem BMBF. dem DLR Projekt-träger, Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen, sowie dem Projekt-träger Karlsruhe für die konstruktive Zusammenarbeit und Unter-stützung danken.

Dr. Rüdiger Klatt,Dezember 2016

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Rahmenbedingungen 2030: WelchenRahmenbedingungen die Elektromobili-tät im Jahr 2030 ausgesetzt sein wird.

David Hawig, Rüdiger Klatt, Romina Wendt

1. Einführung

“The best way to predict the future is to invent it.” (Alan Kay)

Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über die prognosti-zierten Rahmenbedingungen für die Elektromobilität im Jahr 2030 inDeutschland. Der Inhalt basiert weitestgehend auf bestehendenStudien zur Mobilitätsentwicklung im Jahr 2030. Ergänzt werdendiese um Erkenntnisse aus Experteninterviews, Befragungen undWorkshops, welche im Rahmen des KIE-Lab-Projektes durchgeführtwurden. Im Folgenden wird einerseits die allgemeine Entwicklungbetrachtet und zum anderen werden elektromobilitätsspezifischeThemen genauer in den Fokus gerückt.Schon heute deutet sich eine starke Veränderung der gesamtenWertschöpfungskette der Autoindustrie und des gesamten öffentli-chen Verkehrssystems an. Neue Denkweisen im Umgang mit dereigenen Fortbewegung treffen hierbei auf neue Technologien, wieetwa selbstfahrende Autos, die eine radikale Veränderung der Artund Weise wie wir uns fortbewegen ermöglichen, die klassischenFahrzeughersteller aber auch vor erhebliche Herausforderungenstellt (Bernhart et al. 2016). Elon Musk, der Chef des AutoherstellersTesla gab beispielweise zu Beginn des Jahres 2016 den sogenanntenzweiten Masterplan bekannt, der die Zukunft des Herstellers nichtmehr in der reinen Produktion von Autos sieht, sondern auf folgen-den vier Säulen basiert:

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Integration von Energiegewinnung und Speicherung Integration von Elektrofahrzeugen in der Logistikbranche Autonome Fahrzeuge Teilen von Fahrzeugen

Insbesondere selbstfahrende Autos und das Teilen von Fahrzeugenermöglichen der Automobilindustrie zahlreiche neue Geschäftsmo-delle, welche sich direkt auf die gesamte Wertschöpfungskette aus-wirken werden (Musk 2016).Die im Folgenden dargelegten Rahmenbedingungen sind lediglichals erste fundierte Vermutung über die zukünftige Entwicklung zubetrachten, die sich im Laufe der Zeit selbstverständlich stetig ver-ändern können und kontinuierliche Anpassungen erfordern. Diezunehmende Veränderungsgeschwindigkeit rund um die Elektro-mobilität ist sicherlich ein nicht zu vernachlässigender Faktor indiesem Zusammenhang. Auch die steigende Diversität und Komple-xität von Dienstleistungen und Fahrzeugen macht einen Blick in dieZukunft schwierig. Dennoch können die dargestellten Rahmenbe-dingungen und in den nachfolgenden Kapiteln aufgezeigten Zu-kunftsszenarien eine wichtige Orientierung bieten und dabei helfensich auf die elektromobile Zukunft vorzubereiten sowie neue Ent-wicklungspfade offenzulegen. Ob die Szenarien 2030 in veränderterForm oder doch erst 2040 eintreten spielt hierbei eine untergeord-nete Rolle. Vielmehr sollen die nachfolgenden Ausführungen getreudem Zitat von Alan Kay betrachtet werden.

2. Allgemeine Entwicklung in Deutschland

2.1 Demografischer Wandel und die Folgen für dieMobilität

Der demografische Wandel ist auf dem ganzen Globus spürbar.Weltweit wächst die Bevölkerung jedes Jahr um über 80 MillionenMenschen. Es wird davon ausgegangen, dass im Jahr 2030 etwa 8

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Milliarden Menschen auf der Erde leben werden. Dies hat zur Folge,dass sich aufgrund der beschränkten Ressourcen die Konsumge-wohnheiten in den industriellen Ländern verändern müssen, bei-spielsweise bezüglich des Besitzes von Automobilen sowie des aus-gedehnten Flugreiseverkehrs. Der Autoverkehr in Städten stößtschon heute zur Hauptverkehrszeit in zahlreichen Ländern an seineGrenzen und macht es nötig auf öffentliche Verkehrsmittel oderalternative Fortbewegungsmittel, wie etwa das Fahrrad, zurückzu-greifen.Das Bevölkerungswachstum wird sich in Afrika in den nächsten Jah-ren besonders stark weiterentwickeln, wohingegen die Geburtenra-te in Deutschland tendenziell abnehmen wird bzw. auf einem kon-stant niedrigen Niveau verweilt. Dieser Umstand gepaart mit dengroßen sozialen Ungleichheiten wird in Deutschland zwangsläufigzu starken Migrationsströmen führen (Opaschowski 2013, S. 22 –23). Diese werden sich weitreichend auf die (öffentliche) Mobilitätauswirken. Insbesondere Zuwanderer nutzen in den ersten Jahrennach ihrer Ankunft öffentliche Verkehrsmittel in hohem Maße, dasie zumeist über keinen gültigen Führerschein verfügen und nichtdie nötigen finanziellen Mittel für die Anschaffung eines eigenenAutos besitzen.Aufgrund des medizinischen Fortschritts wird darüber hinaus dieLebenserwartung nicht nur in Deutschland zukünftig weiter steigen,was sich wiederum in einem veränderten Mobilitätsverhalten derMenschen widerspiegelt. Da das Autofahren im fortgeschritten Alterimmer schwerer fällt, ist ein zusätzlicher Anstieg alternativer Trans-portsysteme zu erwarten. Darüber hinaus ist eine Abnahme derdurchschnittlichen Haushaltsgröße zu erwarten, weshalb kleinereHaushalte mit größerer Wahrscheinlichkeit auf den Besitz einesPkws verzichten und ebenfalls häufig auf alternative Transportmit-tel wie beispielsweise den ÖPNV zurückgreifen (Phleps et al. 2015).Der demografische Wandel und der Anstieg der weltweiten Bevöl-kerung wirken sich also im Jahr 2030 insbesondere positiv auf denöffentlichen Nahverkehr aus. Von dieser Nachfrage werden eben-

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falls zukünftige Substitutions- und Komplementärgüter profitieren.Im Jahr 2030 sind hierbei neben Pedelecs auch selbstfahrende Au-tos ein möglicher Ersatz für den ÖPNV. Eine mögliche Ergänzungsind dagegen neue Technologien, wie etwa das System Hyperloop,bei dem es sich um einen besonders schnellen Zug in einer Vaku-umröhre handelt, der in Konkurrenz zu Kurzstrecken-Flügen tritt(Brian Dodson 2013).

2.2 Urbanisierung

Neben den Folgen des demografischen Wandels nimmt auch dieUrbanisierung in Deutschland immer weiter zu. Immer mehr Men-schen ziehen es vor in der Stadt zu wohnen, das Leben auf demLand verliert an Attraktivität. Waren es im Jahr 2015 etwas mehr als50 Prozent der Weltbevölkerung, welche in Städten lebte, wird sichder Anteil bis 2050 um rund 25 Prozent auf etwa 75 Prozent erhö-hen. Diese Entwicklung wird sich wiederum auf die Mobilität inStädten und somit auch auf die Nutzung von Elektromobilität inStädten auswirken. Es wird davon ausgegangen, dass kompakteStädte den nicht motorisierten Verkehr und den ÖPNV entspre-chend fördern werden (Taubenböck et al. 2015, S. 6 – 18). Die För-derung alternativer Mobilitätsdienstleistungen wird unausweichlichwerden, da in dichtbesiedelten Städten nicht jedem Anwohner eineigener Abstellplatz für seinen Pkw zur Verfügung steht. Darüberhinaus wird neben dem Personalverkehr auch der Güter- und Ver-teilverkehr im Jahr 2030 in Städten weiter zunehmen (Ifmo 2010, S.21). U. a. aufgrund der damit verbunden Geräuschkulisse in Innen-städten ist anzunehmen, dass der geräuscharme Transport vonWaren verstärkt in den Fokus rückt und somit zu einem Anstiegelektrisch betriebener Lieferfahrzeuge führen wird.

2.3 Gesellschaftlich-kultureller Wandel

Es ist davon auszugehen, dass die derzeitigen Bedenken gegenüberneuen technologischen Entwicklungen in Zukunft weiter abnehmen

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werden. Dementsprechend sollten zukünftige Mobilitätsangeboteden Markt entsprechend schneller als bislang durchdringen (Phlepset al. 2015, S. 20). Beispielhaft kann hierfür die Akzeptanz gegen-über autonomen Fahrzeugen aufgeführt werden. Bereits heutekönnen sich unter den 14- bis 29-Jährigen etwa 41 Prozent vorstel-len selbstfahrende Autos zu nutzen. Unter den Befragten über 65Jahren ist die Skepsis diesbezüglich höher, nur 30 Prozent dieserAltersgruppe kann sich die Nutzung eines selbstfahrendes Autosvorstellen (Weicksel und Pentsi 2015). Langfristig wird die Akzeptanzgegenüber dieser fortschrittlichen Technologie jedoch in der ge-samten Bevölkerung steigen. Eine ähnliche Entwicklung konnte inden KIE-Lab Experteninterviews bezüglich Elektromobilität festge-stellt werden. Die Experten gaben an, dass die Personen in den letz-ten Jahren in ihrem direkten Umfeld gegenüber der neuen Techno-logie aufgeschlossener wurden. Es wurden zum Beispiel nicht mehrnur die Reichweite und der Preis verglichen, sondern weitere Aspek-te wie etwa das einfache Laden zu Hause, die schnelle Beschleuni-gung oder die geringere Geräuschkulisse mitberücksichtigt.Des Weiteren kann davon ausgegangen werden, dass bis zum Jahr2030 Aspekte der Nachhaltigkeit weiter an Bedeutung gewinnenwerden. So wird etwa eine CO2-neutrale Anlieferung von Warengewünscht und auch das eigene Mobilitätsverhalten verstärkt da-rauf ausgerichtet werden. Grund hierfür ist auch die Tatsache, dassdie Problematik des Klimawandels immer deutlicher in das Be-wusstsein der Menschen rücken wird.

3. ElektromobilitätsspezifischeRahmenbedingungen

3.1 Verkehrspolitik

Es kann prognostiziert werden, dass sich eine modifizierte Ver-kehrspolitik in Zukunft auf die Elektromobilität auswirken wird. So

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ist anzunehmen, dass der von der EU-Kommission festgelegte CO2-Grenzwert bis zum Jahr 2030 weiter verschärft wird, auch wenn zuerwarten ist, dass insbesondere aufgrund des Protestes der deut-schen Hersteller Ausnahmeregelungen für den angestrebten Wertvon durchschnittlich 75 Gramm Kohlenstoffdioxid pro Kilometergeschaffen werden (Wettach 2014). Infolgedessen kann dies bei denAutomobilherstellern zumindest teilweise zu einem verstärktenUmstieg auf alternative Antriebsformen, wie etwa der Elektromobili-tät führen. Des Weiteren wird prognostiziert, dass im Gegensatzzum derzeitigen Trend in Zukunft unter anderem aufgrund des CO2-Grenzwerts verstärkt wieder kleinere Autos angeboten und verkauftwerden (Hucko 2016).Des Weiteren wird bis zum Jahr 2030 vermutlich die Erhebung einerMaut in Deutschland weiter ausgebaut (Phleps et al. 2015, S. 18).Hierbei sind beispielsweise Modelle denkbar, die besonders um-weltschonende oder elektrisch betriebene Fahrzeuge von den ver-schiedenen Mautmodellen ausschließen und diese somit indirektfördern.Entscheidend für die Verkehrspolitik in Deutschland wird dabeiauch sein, ob innerhalb der europäischen Union zwischen den ein-zelnen Mitgliedsländern weiter verstärkt zusammengearbeitet wirdoder ob die Länder wieder ihre eigene Verkehrspolitik durchsetzenwerden.

3.2 Mobilitätskosten

Neben der Veränderung der verkehrspolitischen Rahmenbedingun-gen, werden auch die Mobilitätskosten bis ins Jahr 2030 vermutlichweiter steigen. Neben der bereits genannten Maut, wird ein Anstiegder Energiepreise zu verzeichnen sein. Dies wiederum wird zu einerSteigerung der Nutzung von Alternativen zum eigenen Pkw, wieetwa Carsharing oder ÖPNV führen, wodurch entsprechende Ange-bote auch weiter ausgebaut werden (Phleps et al. 2015, S. 19).

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Möglicherweise wird auch das Bewusstsein für die gesamten Kostendes eigenen Kraftfahrzeugs stärker in den Fokus rücken. In den KIE-Lab-Experteninterviews wurde deutlich, dass viele Menschen inDeutschland die Mobilitätskosten mit einem eigenen PKW zurzeithäufig unterschätzen bzw. gar nicht betrachten. So wird das Zugti-cket oder etwa die Anschaffung eines Elektrofahrzeuges als zu teuerabgetan, ohne dabei zu betrachten, dass wenn man neben den An-schaffungskosten, auch Instandhaltungs-, Versicherungs- und Ben-zinkosten des klassischen Pkws berücksichtigt, möglicherweise ers-teres sogar billiger ist. Zumal gerade der Kauf von teuren Fahrzeu-gen häufig nicht rein logisch begründet werden kann. Die interview-ten Personen gaben dabei zumindest zum Teil an, dass sie glauben,dass die stark emotionalisierte Kaufentscheidung bei jüngeren Per-sonen nicht mehr im gleichen Ausmaß gegeben ist, wie noch voreinigen Jahren und ihrer Meinung nach weiter abnehmen wird.

3.3 Batterieentwicklung

Ein wichtiger Faktor für die Marktdurchdringung im Bereich derElektromobilität sind die Batteriekosten und deren Eigenschaften.Das World Energy Council geht davon aus, dass bis zum Jahr 2030die Batteriespeicherkosten um bis zu 70 Prozent gesenkt werdenkönnen und somit dem weiteren Ausbau der elektrischen Mobilitätnichts im Wege steht. Die Stromspeicherung in Batterien wird hier-bei auch gegenüber Konkurrenztechnologien, wie etwa Pumpspei-cherkraftwerken attraktiver, da auf diesem Gebiet keine weiterenKostenreduktionen zu erwarten sind. Es wird außerdem nicht nurmit einer Kostenreduktion sondern ebenfalls mit einer Qualitäts-steigerung gerechnet (World Energy Council 2016, S. 5). Auf denGebieten der Zellkomponenten und Zelleigenschaften von Lithium-Ionen-Batterien sind weitere wichtige technologische Entwicklungenbis zum Jahr 2030 zu erwarten: so dauert es beispielsweise etwa 5bis 10 Jahre bis eine neue Batterietechnologie auch für Fahrzeugeoptimiert und hier eingesetzt werden kann (Thielmann et al. 2012).

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Im Jahr 2030 sind somit erste Ansätze zur Stromzwischenspeiche-rung in elektrischen Fahrzeugen, wie beispielsweise die nachts ge-wonnene Windenergie, basierend auf der hohen Haltbarkeit derBatterien auch in der Praxis sinnvoll einsetzbar.

3.4 Multimodaler Verkehr

Die individuelle Verkehrsleistung stagniert zwar seit einigen Jahrenbei etwa 40 Kilometern pro Tag pro Person, jedoch verändert sichdie Art der genutzten Verkehrsmittel. So nimmt die Multimodalität,also die Nutzung von verschiedenen Verkehrsmitteln innerhalb ei-nes Zeitraums in den letzten Jahren deutlich zu. Dies resultiert auchaus dem breiteren Spektrum an vorhandenen Mobilitätsangeboten(Kagerbauer et al. 2015). Verstärkt werden dürfte dies in Zukunftdurch die technologische Weiterentwicklung. Selbstfahrende Fahr-zeuge scheinen beispielsweise prädestiniert für den multimodalenVerkehr, da sie Lücken des ÖPNV-Netzes schließen können. Auchdie im KIE-Lab-Projekt befragten Experten gaben an, dass immermehr Leute auf ein eigenes Auto bzw. ein Zweitauto verzichten undstattdessen beispielsweise auf den öffentlichen Nahverkehr, Pede-lecs oder Carsharing-Angebote zurückgreifen. Die meisten befrag-ten Personen sahen jedoch insbesondere in der Gestaltung derAngebote, welche bisher nur unzureichend verknüpft und häufignoch regional beschränkt sind, einen starken Nachholbedarf. Da essich hierbei aber um Problemfelder handelt, die grundsätzlich keineunüberwindbaren Hindernisse darstellen, dürften diese bis zumJahr 2030 behoben sein.

4. Zusammenfassung und Ausblick

Es wird erkennbar, dass in besonderem Maße mit einem weiterenAnstieg des öffentlichen Nahverkehrs in Ballungsräumen bis zumJahr 2030 zu rechnen ist. Dies resultiert aus der zunehmenden Ur-

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banisierung, dem gesellschaftlichen und demografischen Wandel,aber auch aus den zu erwartenden technologischen Neuheiten.Detaillierte Rahmenbedingungen können für das Jahr 2030 jedochim Bereich der Elektromobilität nicht abgesteckt werden, da derBereich noch zahlreichen Änderungen und einem starken Wandelunterliegt.Verdeutlichen lässt sich dies schon, wenn man sich Zukunftsbe-trachtungen für das Jahr 2030 aus der näheren Vergangenheit ein-mal genauer anguckt. Im Jahr 2012 haben beispielsweise 28 Profes-soren für Kraftfahrzeugtechnik ihre Thesen zur Zukunft der Elekt-romobilität niedergeschrieben. Unter anderem wurde hierbei dar-gelegt, dass die meisten Elektrofahrzeuge im Jahr 2030 noch übereinen Verbrennungsmotor verfügen werden, da nur so eine Reich-weite von über 400 Kilometern zu realisieren sei (Rees 2012). Dem-gegenüber steht, dass im Jahr 2016, also lediglich vier Jahre nachder Prognose, bereits elektrische Serienfahrzeuge mit einer Reich-weite von über 600 Kilometern angeboten werden (Pluta 2016), waszumindest die Voraussage für das Jahr 2030 im Nachhinein frag-würdig erscheinen lässt.Im Jahr 2030 werden aber auf jeden Fall in zahlreichen Bereicheninteressante und innovative Technologien und Dienstleistungen denWettstreit gegeneinander antreten. Einige hiervon werden in dennachfolgenden Kapiteln und Zukunftsszenarien genauer betrachtetwerden.

Literaturverzeichnis

Bernhart, Wolfgang; Winterhoff, Marc; Hasenberg, Jan-Phillip; Fazel, Ludwig(2016): A CEO agenda for the (r)evolution of the automotive ecosys-tem. New archetypes will emerge in the future to divide the marketup among themselves. How to gain access to tomorrow's profitpools. Hg. v. Roland Berger. Online verfügbar unterhttp://www.rolandberger.de/media/pdf/Roland_Berger_TAB_Automotive_CEO_Agenda_20160404.pdf.

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Brian Dodson (2013): Beyond the hype of Hyperloop. An analysis of ElonMusk's proposed transit system. Online verfügbar unterhttp://newatlas.com/hyperloop-musk-analysis/28672/, zuletzt ge-prüft am 16.09.2016.

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Dienstleistungsentwicklung

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Neue Geschäftsfelder für mehr Elektro-mobilität entwickeln. Herausforderungenfür den Energieversorger der Zukunft

Lars Edingloh

1. Einleitung

Die Energiebranche in Deutschland steht seit dem Ende des letztenJahrhunderts in einer Umbruchsituation. In 1998 und 2005 wurdeder Energiemarkt mit dem EnWG liberalisiert. Fukushima hat zumAusstieg aus der Kernenergie geführt und die Energiewende inDeutschland erheblich beschleunigt. Der Anteil erneuerbarer Ener-gien am Bruttostromverbrauch in Deutschland hat in den letztenJahren stetig zugenommen und liegt mittlerweile bei 31,6 Prozentim Jahr 2015 (AGEE-Stat 2016). Das traditionelle Geschäftsmodellder Energiebranche folgte bis dahin dem Versorgungsprinzip. In-nerhalb regionaler oder lokaler Märkte hatten viele Anbieter einenregionalen Versorgungsauftrag für die Haushalte und Unternehmenund wenig bis gar keine Konkurrenten. Der Innovationsanspruchbewegte sich deshalb in einem sehr engen Korridor.Heute ist der Strommarkt deutlich komplizierter geworden. Die Zahlder Stromanbieter hat sich vervielfacht. Allein auf dem DortmunderEnergiemarkt tummeln sich etwa 150 Anbieter, was zwangsläufig zueiner steigenden Wettbewerbsintensität führt. Hinzu kommenPreisverfälle an den internationalen Strombörsen, erforderlicherÜbertragungsnetzausbau sowie die bevorrechtigte Förderung er-neuerbarer Energie.Die Digitalisierung führt außerdem zu internetbasierten Dienstleis-tungs- und Geschäftsmodellen auch in der Energiebranche, dieneue Angebote und Vertriebskanäle bedienen und die eine völligandere Kostenstruktur haben. Darüber hinaus kann jeder Haushalt

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mit einer Photovoltaik-Anlage und einem geeigneten Stromspeicherin Zukunft nicht nur zum Selbstversorger werden, sondern auchzum Stromanbieter. Stromangebote, die durch die intelligente Ver-netzung von Klein- und Kleinstanbietern entstehen, werden tech-nisch möglich und setzen den Energiemarkt weiter unter Druck.Daraus folgt, dass ein Stromanbieter im Wettbewerb nur bestehenkann, wenn er1. vom Spartenanbieter für Strom zu einem Dienstleister für

das Energiemanagement in Unternehmen und Haushaltenwird. Über den alleinigen Verkauf von Strom kann sich heuteam Markt kein Anbieter mehr ein Alleinstellungsmerkmalerarbeiten.

2. eine umfassende Orientierung der Unternehmensprozesseauf den Kunden und seine Bedarfe vornimmt.

2. Neuorientierung der Unternehmensstra-tegie. Vorbild Telekommunikationsanbie-ter

Vorbild für die erfolgreiche Neuorientierung der Unternehmensstra-tegie könnten dabei Unternehmen im Bereich Telekommunikationsein. Auch hier wurde das bisherige Geschäftsmodell, das eigentlichnur im Verkauf der Bereitstellung von Netzkapazität bestand, durchdie Vielzahl von Anbietern brüchig. In der Folge entwickelte sich einindividuell konfigurierbares Geschäftsmodell, das sich um den Ver-kauf von Smartphones sowie um Dienstleistungen rund um dasSmartphone drehte und in dem die Netzressourcen nur ein – wennauch nicht unwesentlicher – Teil der Dienstleistung wurden.Dieser Weg ist möglicherweise ein Innovationspfad auch für dieEnergiebranche, wenn man ihn auf die spezifischen Bedingungendort adaptiert. Das bedeutet: Durch die Entwicklung und Bereitstel-lung von innovativen, verknüpfbaren Dienstleistungen rund um dasEnergiemanagement für Haushalte (und Unternehmen) können

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auch die Energieversorger die Wende hin zum Energiedienstleis-tungsunternehmen der Zukunft bewältigen und dabei Alleinstel-lungsmerkmale entwickeln, die sie von ihren Wettbewerbern unter-scheiden.Zielsetzung des DEW21-Privatkundengeschäfts ist vor diesem Hin-tergrund, sich vom reinen Spartengeschäft zu lösen und zu einemzuverlässigen (Energie-)Manager eines Hauses oder einer Wohnung– auch unter Einbeziehung des Themenfeldes (Elektro-) Mobilität –zu entwickeln. Dazu muss das Innovationsmanagement auf dieEntwicklung von Geschäftsmodellen ausgerichtet werden, in denenkundenorientierte Dienstleistungen rund um das Thema Energieeine zentrale Rolle spielen.

3. Das Projekt KIE-Lab

Hier setzt auch das Projekt KIE-Lab an, wo DEW21 mit Unterstüt-zung der wissenschaftlichen Forschung durch das FIAP e.V. Mitar-beiter und Kunden stärker als bisher an Innovationsprozessen desUnternehmens beteiligt. Hierbei wurde ein neuartiges Konzept desKunden-Anbieter-Dialogs für neue Brückendienstleistungen entwi-ckelt und erprobt, das DEW21 im Umfeld der Elektromobilität getes-tet hat, sich aber auch für andere Dienstleistungsfelder anbietet.Dabei wurde zum einen ein neues Instrument, das sogenannteKunden-Anbieter-Innovationslabor (KIE-Lab), auch im Unternehmenselbst erprobt, um Innovationen durch Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter des Unternehmens auszulösen. Die Dienstleistungsentwick-lung auf Basis kundengetriebener Innovationen ist bei Energiever-sorgern ein Novum, vom dem sich DEW21 nachhaltige Impulse fürInnovationen auch in anderen Bereichen verspricht.Ziel von DEW21 war es, die Ressourcen und das Verhalten von defi-nierten Kundengruppen im Rahmen von Innovationsprozessen zumodellieren. Dabei entstanden für das Unternehmen mehrere Sze-

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narien für neue Dienstleistungen, die mittelfristig in konkrete Ge-schäftsmodelle überführt werden sollen.Für DEW21 ist insgesamt die Verankerung kundenintegrativer Inno-vationsprozesse notwendig, die zur Entwicklung von Alleinstel-lungsmerkmalen in einem zunehmend härter umkämpften Ener-giemarkt führen sollen.Ziel von DEW21 war es, eine zielgruppengenaue Ermittlung undBewertung der Kundenpotenziale für Innovationsprozesse vorzu-nehmen. Auf der Basis der Analyse hemmender und fördernderFaktoren für kundengetriebene Innovationsprozesse wurden dieKunden-Anbieter-Dialoge durch das Forschungsinstitut FIAP e.V.konkret vorbereitet.Die Ergebnisse der Kunden-Potenzialanalyse wurden in die Ge-schäftsprozesse von DEW21 eingebracht. Entwickelt wurde so einwissenschaftsgestütztes Vorgehensmodell zur Durchführung derInnovationslabore, das als Handlungsleitfaden dokumentiert wurdeund im Unternehmen Anwendung findet.Derzeit werden auf dieser Basis die für die Geschäftsfeldentwick-lung relevanten Ergebnisse in Szenarien elektromobiler Dienstleis-tungen überführt und von DEW21 sowie weiteren Partnerunter-nehmen umgesetzt.Dabei wurde die gesamte Prozesskette von der Analyse von Kun-denpotenzialen, über einen Organisationsentwicklungsprozess, dieIntegration eines Instrumentes zur Förderung einer interaktivenWertschöpfung im Unternehmen bis hin zur Entwicklung von Szena-rien für neue Dienstleistungen und deren Umsetzung in konkreteGeschäftsmodelle berücksichtigt.In Gesprächen mit potenziellen Partnerunternehmen über die erar-beiteten Angebote (z.B. mit Lucky Bike, Daimler/Smart) wurde dieMöglichkeit der Entwicklung gemeinsamer Dienstleistungen ermit-telt, da diese nur kompetent in Kooperation mit spezialisierten An-bietern realisiert werden können. Durch diese Umsetzungsstrategieist das Feld für die mögliche spätere Realisierung neuer kundenori-

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entierter Dienstleistungsangebote im Bereich Elektromobilität vor-bereitet.Die Chance auf nachhaltige Strukturen erhöht sich massiv, wenn dieUmsetzungs-strategien nicht an den Unternehmensgrenzen enden,sondern Partnerunternehmen von DEW21 (z.B. im Bereich desÖPNV) mit einbeziehen. Dieser Prozess ist derzeit ebenfalls imGang, um die elektromobilen Dienstleistungsangebote durch dieintermodale Vernetzung mit anderen Mobilitätsangeboten zu er-gänzen.

4. Entwicklung des Innovationsmanage-ments bei DEW21

Bis vor wenigen Jahren wurde der Kunde eines Energieversorgerskaum als solcher wahrgenommen. Vor der Liberalisierung kannteman bloß ‚Abnehmer’, keinen Kunden im heutigen Sinne. Der Marktwar regional für andere Anbieter verschlossen und Kundenorientie-rung wurde eher als unnötig empfunden. Dass heute 150 Mitbe-werber um Kunden kämpfen, zeigt das Ausmaß der Veränderungen.Andererseits bedeutete die Liberalisierung des Strommarktes, dassDEW21 von einem regionalen zu einem bundesweiten Anbieter fürStromdienstleistungen geworden ist.DEW21 benötigt für den Paradigmenwechsel vom Energieversorgerhin zum Energiemanager für Haushalte und Unternehmen aller-dings ein völlig anderes Verständnis vom ‚Kunden’. Besonders wich-tig dafür ist ein Innovationsmanagement im Unternehmen, das zukundenorientierten Innovationen führt. Das größte Kapital eineslokalen Energieversorgers sind dabei die gewachsenen, starkenKundenbindungen, sowie die daraus resultierende erstklassigeKundenkenntnis. Diese Kundenkenntnis ist bei Energieversorgernbesonders gut ausgeprägt und im Rahmen eines erfolgreichenKundenbeziehungs-Managements sehr wertvoll und ein echterWettbewerbsvorteil. Diese exakte Kundenkenntnis muss genutzt

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werden, um Innovationen im Kundeninteresse zu entwickeln undumzusetzen sowie die Kundenansprache so gezielt wie möglich zugestalten. Dazu müssen die derzeitigen Innovationsbedingungen imUnternehmen weiter verbessert werden. Durch Projekte wie KIE-Lab werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für wichtige Innovati-onen sensibilisiert. Vor allem werden sie für die Entwicklung vonneuen Ideen aktiviert.Eine veränderte Innovationskultur für DEW21 bedeutet, dass Be-schäftigte aus allen Abteilungen zu neuen Innovationen beitragen.DEW21 wird dann selbst zu einer Art Innovationslabor, in dem dieMitarbeiter zu Innovationen und deren Umsetzung beitragen. Denneine neue Idee ist nur so gut wie die gemeinsame, von allen getra-gene Umsetzung dieser Idee in neue Produkte oder Dienstleistun-gen.Das Projekt KIE-Lab hat somit zu einer veränderten Innovationskul-tur bei DEW21 beigetragen, die zum einen eine breite Mitarbeiter-schaft und den Kunden in Innovationsprozesse einbezieht und zumanderen die Innovationsarbeit nicht auf einen Bereich beschränktund damit eingrenzt, um so letztlich den Prozess der Innovationund der Umsetzung erheblich zu beschleunigen.In diesem Veränderungsprozess ist es hilfreich, sich an Vorbildernaus anderen Branchen zu orientieren und erfolgreiche Modelle fürdie Energiebranche zu adaptieren. Beispielhaft kann hier die Inno-vationstätigkeit des Automobilherstellers BMW betrachtet werden.Lange Zeit wurde dort der Thinktank „projekt i“ unter der Leitungvon Ulrich Kranz als „Bastelgruppe Kranz“ belächelt. Die hervorge-brachten Innovationen (der i3 und der i8) aus diesem Projekt, dasmit einem eigenen Labor und einem relativ großen Etat ausgestat-tet wurde, sind für die Elektromobilität visionär. Sie erfinden dasAutomobil neu. Auch in zahlreichen anderen Bereich erwies sichdas Format unternehmenseigener Denkfabriken als äußert hilfreichund zukunftsorientiert (Poguntke 2014).Das Innovationsmanagement bei Energieversorgern kann hier vonzahlreichen Aspekten lernen. Unter unmittelbarer Unterstützung

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der Geschäftsführung ist ein Innovationsmanagement vorstellbar,das aus folgenden zwei Elementen besteht:1. Einen Prozess der organisierten Ideenfindung, an dem alle

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beteiligt sind. Die reineIdee bedeutet aber in etwa nur 1% des Gesamtaufwandes.Der Prozess der Ideenfindung, bei dem DEW21 auch auf dieErgebnisse der bei DEW21 durchgeführten KIE-Labs zurück-greifen können, müsste deshalb einmünden in

2. Einen Thinktank, der die Megatrends erfasst und als Trend-scout fungiert und der die Ideen der Mitarbeiterinnen undMitarbeiter dazu einsammelt und auch tatsächlich zu Ge-schäftsmodellen umsetzt. Denn die Umsetzung von Innova-tionen ist die größte Herausforderung.

5. Hinderliche Bedingungen für die Verän-derung des Innovationsprozesses

DEW21 steht derzeit mitten in einem Veränderungsprozess der In-novationskultur. Es sind erkennbare Fortschritte – auch mit Unter-stützung des Projektes KIE-Lab – sichtbar.Meist stößt man in Unternehmen jedoch zunächst auf Widerstand,wenn etwas neu oder anders gemacht wird. Deshalb ist ein agilesVorgehen im Innovationsprozess notwendig, das sich an der IT-Branche orientiert. Es geht um schnelle, einfache und unbürokrati-sche Vorgehensmodelle, die die Nutzer einbeziehen und in einemkommunikativen Prozess auf iterative Verbesserungen setzen (Dis-selkamp 2012). Dabei spielt die interne Kommunikation eine großeRolle, um die Veränderungsbereitschaft jedes Einzelnen zu erhöhen.Die Notwendigkeit von Innovationen muss permanent auf die Ta-gesordnung.Die Kundenansprache wird außerdem bei vielen Unternehmen im-mer noch vermehrt konventionell und damit ‚offline’ interpretiert.Es ist aber zu fragen, ob eine postalische Kundeninformation oder

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eine Hochglanzbroschüre auch noch in einigen Jahren als Marke-ting- und Verkaufsinstrument funktionieren. Und ob sie heute beider heutigen Generation der ‚digital natives’ überhaupt noch funkti-onieren.

6. Zum Stand der Dienstleistungsentwick-lung bei DEW21

Der Grundstein hin zu einem digitalen Energiemanagement-Dienstleister der Zukunft wurde bei DEW21 mit der Entwicklungeines digitalen Produktangebots nach einem Baukasten-Prinzip(genannt "Produktbaukasten") gelegt. Auf dieser digitalen Plattformwird in einem ersten Schritt die Vielfalt an Angeboten und Dienst-leistungen von DEW21 für Kunden von Strom und Erdgas in dreiProdukten gebündelt:

• Das einfache und preiswerte Basisprodukt, das Serviceleis-tungen ausschließlich online beinhaltet, aber keine weiterenDienstleistungen hinzubuchen lässt.

• Das Komfortprodukt, das das Basisprodukt mit versor-gungsbezogenen Dienstleistungen und Beratungsangebotenverbindet. In der enthaltenen "DEW21 Vorteilswelt" werdendarüber hinaus zahlreiche verschiedene Angebote gebün-delt, die dem Kunden konkrete Vergünstigungen bieten.

• Das Premiumprodukt, das auf Kunden abzielt, die an einemumfassenden Dienstleistungsangebot interessiert sind. Die-ses beinhaltet kostenfrei weitere Produkte und Dienstleis-tungen, wie z.B. eine Smarthome-Lösung oder Versiche-rungsleistungen. Das Premiumprodukt ist ein erster Ansatz,das komplette Energiemanagement der Kunden als Dienst-leistung zu übernehmen.

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Die Smarthome-Lösung, die DEW21 dabei in der Sparte Erdgas an-bietet, erlaubt die automatisierte und intelligente Steuerung derHeizungsanlage im eigenen Haus über das Smartphone.Im Rahmen des "digitalen Produktbaukastens" entwickelt DEW21eine digitale Plattform der Zukunft, die individuelle Kundenlösungenper Mausklick ermöglicht. Das stellt für DEW21 einen Paradigmen-wechsel hin zu kundenorientierten, digitalen Dienstleistungsmodel-len dar. Es geht dabei in der ersten Ausbaustufe zunächst um dieSteuerung der Heizung. Der Produktbaukasten ist aber für DEW21der Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung digitaler Dienstleis-tungen rund um das Thema „Energie“ – die DEW21 auch im Zu-sammenhang mit dem Projekt KIE-Lab entwickelt haben.Denn zukünftig wird durch die Dezentralisierung der Energieerzeu-gung und durch lokal produzierte regenerative Energien, aber auchdurch lokale Energiespeicherung (im Elektroauto, im Energiespei-cher zu Hause) ein umfassendes, digitales Energiemanagementnotwendig. Es muss der Komplexität der Veränderungen gerechtwerden, dem Kunden aber einfache, sichere und bezahlbare Dienst-leistungen aus einer Hand bieten. Der Energieversorger wird zum"Smarthome-Manager". Er bleibt aber dennoch ein verlässlicherDienstleister für alle, die einfach nur Strom kaufen oder sich teurereDienstleistungen nicht leisten wollen.Für neu definierten Beziehungen zum Kunden ist die Bewertung desMehrwertes komplexer Energiemanagement-Systeme für DEW21von großer Bedeutung. Letztlich muss der Kunde bewerten, ob sol-che Dienstleistungen tragfähig und bezahlbar für ihn sind. Auch hierwerden digitalisierte Feedbacksysteme zunehmen und die Innovati-onspolitik mitbestimmen.Im Kundeninteresse handeln heißt auch, sich zu fragen, ob alle Be-teiligten, folglich Kunden, beteiligte Dienstleister sowie DEW21selbst einen Mehrwert durch die neuen Dienstleistungen generie-ren. Die Frage stellt DEW21 in den Mittelpunkt des Innovationsma-nagements.

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7. Zur Rolle elektromobiler Brückendienst-leistungen bei DEW21

Die immer gravierenderen Folgen der Energiewende werden zu-nehmend klar erkennbar. Dies wird die Rahmenbedingungen auchfür die Kommunalpolitik verändern. Die Grenzen zwischen Energie-erzeugung, -versorgung und -verbrauch werden fließender. DieEnergiewende hat heute schon zu einem dynamischen Prozess derDekarbonisierung auch auf kommunaler Ebene geführt. Dies be-trifft den Energiebereich und den öffentlichen Personennahverkehr.Sie bringt auch eine zunehmende Individualisierung der Energieer-zeugung und -versorgung mit sich.Durch die Digitalisierung werden diese Prozesse technisch verstärktund vereinfacht. Im Prinzip kann bereits heute jeder durch einePhotovoltaik- oder Windkraftanlage, durch Hausenergiespeicherund elektromobile Fahrzeuge zu einem Selbstversorger und Strom-anbieter werden. Die intelligente Kombination von Dienstleistungenrund um die Erzeugung und die Verwertung von Energie werden zueinem neuen Dienstleistungsfeld, das auch die Grenzen hin zu Mo-bilitätsdienstleistungen überschreitet. Das Elektromobil wird alsZwischenspeicher für Strom zu einem Baustein moderner karbon-freier Energiepolitik.Die Elektromobilität ist für DEW21 ein wichtiges Handlungsfeld fürneue Geschäftsmodelle: Vorstellbar ist z.B. eine Smarthome-Dienstleistung aus einer Hand, die eine hauseigene Photovoltaik-Anlage, Elektroautos, Hausenergiespeicher und konventionellenStrom – gesteuert über eine Smartphone-App – intelligent verbin-det.Der digitale Produktbaukasten von DEW21 versteht sich hier alsGrundstein auf dem Weg in die karbonarme Energieversorgung derZukunft, der die Integration von Elektromobilitätsdienstleistungenim Zusammenhang mit der Stromerzeugung, -speicherung und -verwertung als Dienstleistungsangebot möglich macht.

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Dazu hat das Projekt KIE-Lab einen wichtigen Beitrag geleistet underste Schritte in diese Richtung ermöglicht. Auf der Prozessebenewurde das Innovationsmanagement durch kundenintegrative Pro-zesse optimiert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden durch dieInnovationslabore in Entwicklungsprozesse integriert.Methodisch hat DEW21 mit Unterstützung des Projektes die Innova-tionsprozesse durch mehr Partizipation bereichert und ein dynami-scheres Innovationsklima als bisher geschaffen.Durch die Beteiligung von Kunden und Mitarbeitern – im Rahmenvon Kundenlaboren und Kundenbefragungen - sind eine Vielzahl anSzenarien für neue Produkte und Dienstleistungen im Zusammen-hang mit Elektromobilität entstanden, deren Umsetzung auch nachProjektende fortgesetzt werden. Von der Innovation zur Invention,d.h. bis zum marktreifen Produkt ist es ein weiter Weg. Auch dieseErfahrungen hat DEW21 mit dem Projekt KIE-Lab gemacht.Die Gründe hierfür liegen aber auch in der Langsamkeit der Markt-entwicklung der Elektromobilität insgesamt begründet. Es gibt zahl-reiche Insellösungen, aber noch keine systematisch vernetzten,klaren Lösungen, die zum Beispiel die Energieproduktion und -nutzung zu Hause und unterwegs miteinander einfach, kostengüns-tig und sicher verbindet. Es fehlen Standards in den Bereichen intel-ligente Netze / Ladesysteme und Smarthome. Viele technische Ele-mente scheinen noch nicht reif für den Massenmarkt, zum BeispielHausenergiespeicher. Im Bereich Elektromobilität ist der Markt zu-nächst nur in der zweispurigen Mobilität (E-Bike, Pedelecs) genü-gend entwickelt, um tatsächlich marktfähige Brückendienstleistun-gen zu kreieren. Bei den Elektroautos kommen jetzt halbwegsmarktfähige und bezahlbare, auf die Bedürfnisse von Kunden zuge-schnittene Modelle auf den Markt.Aber der Trend ist klar erkennbar: Es gibt mehr und neue Wettbe-werber – auch aus anderen Branchen. Unternehmen wie Google,Amazon oder Tesla könnten zukünftig auch als Stromanbieter auf-treten und Komplett-Dienstleistungen für das Haus- und Mobili-tätsmanagement (Hausenergiespeicher, E-Bike/E-Auto, Stromver-

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trag, Photovoltaik-Anlage sowie begleitende Dienstleistungen wieReparaturen und Wartungen) auf den Markt bringen. Auch privateHaushalte und Immobilien-Unternehmen könnten vernetzt alsStromanbieter auftreten, wenn Hausenergiespeicher kleiner undgünstiger werden und wenn die Stromnetze intelligenter werden(Stichwort: "Smart Grid").Das Projekt KIE-Lab hat die frühzeitige Auseinandersetzung mit ge-eigneten Dienstleistungskonzepten forciert. Dabei steht der Kundeim Mittelpunkt. DEW21 muss es gelingen, zu einem umfassendenDienstleister für das digitalisierte Energiemanagement aus einerHand im Kundeninteresse zu werden.

8. Ausblick: DEW21 im Jahr 2030

Mit dem Jahr 2030 müssen sich Energieversorger schon heute aus-einandersetzen, da viele Projektentscheidungen Auswirkungen weitüber das Jahr 2030 haben. Gleichzeitig ist die Prognose im Energie-bereich unter anderem aufgrund des Einflusses von politischenEntscheidungen nur sehr begrenzt möglich (Erdmann 2013). EinBlick in die Zukunft zeigt, dass in 2030 Umsätze und Gewinne miteinem reinen Energiesparten-Geschäft deutlich zurückgehen. Eswerden individuelle Komplettlösungen für das Smart Home derZukunft angeboten, die das Energiemanagement zu Hause verein-fachen und optimieren. Der digitale Produktbaukasten schafft dieVoraussetzungen für den Marktstart in das kundenorientierte undnachhaltige, karbonfreie Energiemanagement von Haus und Woh-nung. In 2030 werden Photovoltaikanlage, Hausenergiespeicher, E-Auto, Heizung und Warmwasserproduktion miteinander kommuni-zieren und sich selbsttätig optimieren. Gesteuert wird das Systemüber eine App. Finanzierung, Bedienung, Wartung und Reparatursind integrale Bestandteile der Dienstleistungen.Auf Wunsch wird dem Kunden eine integrale Mobilitätsdienstleis-tung angeboten, die ihm die Nutzung von E-Bike, Elektroautos, Car-

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sharing oder den ÖPNV ermöglicht. Die Steuerung erfolgt durchdieselbe App, die Abrechnung und Finanzierung läuft im Hinter-grund.DEW21 sorgt dabei als Nukleus für die Gesamtdienstleistung vor Ortfür Vertrauen, Verlässlichkeit, Sicherheit und Seriosität.

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Shared Creation – Kollaboration als Pa-radigma gesellschaftlicher Wertschöp-fungsprozesse

Silke Steinberg

1. Kollaboration als Leitprinzip des Zusam-menlebens in der modernen Gesellschaft

Das Kundeninnovationslabor (KIE-Lab) zielt auf die kundenintegrati-ve, partizipative Entwicklung von Dienstleistungen. Es ist ein Beispielfür die Neudefinition von Organisationsprozessen in einer Gesell-schaft deren Voraussetzungen sich im Übergang von der Industrie-gesellschaft zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft (auch un-ter dem Einfluss der Nutzung neuer IuK- Technologien) und in derGlobalisierung, in den individuellen Lebensstilen, in den Formen desZusammenlebens, in den öffentlichen Strukturen und Diskursenradikal verändert hat und sich weiterhin in einem steten Wandelbefindet. Beschreiben lässt sich der Charakter dieser Neuorganisa-tion grundsätzlich mit dem Begriff der Öffnung. So wird das Prinzipder Open-Source-Entwicklung, das anfänglich auf den Entwick-lungsprozess von Software beschränkt war, also ein für alle offenerEntwicklungsprozess, auf unterschiedliche Bereiche, die mit derVerarbeitung von Wissen und Information zu tun haben, übertra-gen. Der Prozess der Öffnung in Wertschöpfungsprozessen wirdauch durch den Begriff des Crowdsourcing gespiegelt, was allge-mein als interaktive Form der Leistungserbringung definiert wird,die kollaborativ organisiert ist und eine große Anzahl extrinsischoder intrinsisch motivierter Akteure mit unterschiedlichen Wissens-ständen häufig über die Verwendung moderner IuK-Systeme einbe-zieht. Die kundenintegrative Entwicklung von Dienstleistungen ist

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exemplarisch für Crowdsourcing. Dabei geht es um transdisziplinä-re Formen der Kollaboration, die Akteure aller gesellschaftlichenEbenen, Laien und Experten einbeziehen (Vertical Media GmbH2016). Hierfür lassen sich viele Erscheinungsformen (z. B. Open De-sign, Citizen Science, Citizen Humanities, Wikinomics, CollaborativeEconomy, Share Economy, Open Access, Creative Commons) be-obachten, die verschiedene Ebenen von gesellschaftlichen Interak-tionsprozessen abdecken. Kollaboration ist dabei das grundlegendePrinzip und gilt angesichts der Vielfalt von Ansprüchen, die jederzeitin einer bunten und komplexen Gesellschaft untereinander vermit-telt werden müssen als Lösungsansatz, um die Probleme unseresZusammenlebens zu bewältigen. Sie wird als Leitprinzip betrachtetund löst das Prinzip der Disziplin als ordnende Grundstruktur in derindustriellen Gesellschaft ab (Terkessidis 2015).Die Formen der Kollaboration bestimmen und gestalten gesell-schaftliches Zusammenleben. Sie verändern tradierte Rollenvertei-lungen in gesellschaftlicher Interaktion. Kollaboration betont dabeidie gemeinsame Arbeit und das gemeinsame übergeordnete Ziel.Der Grad der individuellen Arbeit ist niedriger, als in der Kooperati-on.In diesem Beitrag sollen kollaborative Crowdsourcing-Prozesse alsParadigma gesellschaftlicher Wertschöpfung in wissensbasiertenÖkonomien auf einer grundlegenden Ebene erörtert werden. Kun-denintegration wird aus ihrem Bezugsrahmen des Zusammenspielsvon Produzent und Nutzer bei der Herstellung von Produkten bzw.Dienstleistungen gelöst und als Beispiel für gemeinschaftliche Wert-schöpfungsprozesse betrachtet. Ziel ist es fördernde und hemmen-de Bedingungen für kollaborative Prozesse aufzuzeigen und not-wendige Voraussetzungen herauszukristallisieren sowie zu syste-matisieren, um so Strukturen zu initiieren und zu institutionalisie-ren, die kollaborative Wertschöpfungsprozesse unterstützen.Die durch das Wissen und die Erfahrungen unterschiedlicher Akteu-re initiierten Prozesse kollaborativer Leistungserbringung werdenzunächst beschrieben, um dann zu erörtern welchen äußeren und

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inneren Gestaltungsprinzipien die Interaktionssysteme folgen müs-sen, um effektiv zu funktionieren.Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt auf dem Thema Kollaborati-on von Nutzern und Providern im weitesten Sinne. Mitgedacht wer-den aber auch andere kollaborative gesellschaftliche Wertschöp-fungsprozesse, wie zum Beispiel die Zusammenarbeit von Bürgernund Kommunen oder von Bürgern und öffentlichen gesellschaftli-chen Institutionen.

2. Wissen als Wertschöpfungsfaktor inNetzwerken

Seit den 1960er und 1970er Jahren wird der Wandel von der Indust-rie- hin zu einer Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft beschrie-ben, der die fundamentalen Strukturen unseres Zusammenlebensentscheidend verändert (Touraine 1969; Bell 1976). Dabei wurdedas Sachkapital als konstituierende Größe der ökonomischen undsozialen Prozesse von individuellem und kollektivem Wissen, als derneuen entscheidenden Form des Kapitals abgelöst. Hierarchie undKontrolle machen in diesem Kontext dem Paradigma des Netzwerksals gesamtgesellschaftliches Phänomen Platz, da sich durch dentechnologischen Fortschritt der Zugang zum (Wissens-)Kapital ver-ändert. Wissen ist für jeden gleichermaßen verfügbar. Hinzukommt, dass der Wertschöpfungsprozess durch einen hohen Gradan Diversität verbessert wird. Feste hierarchische Rollenverteilun-gen innerhalb der Interaktion behindern den Innovationsprozessund die Integration vieler unterschiedlicher Partner, deren Antriebzunächst die Arbeit auf Augenhöhe ist. Die gleichberechtigte, demo-kratische Zusammenarbeit ist ein wesentliches Strukturmerkmal fürkollaborative Wertschöpfungsprozesse. Hier hebt sich die Kollabo-ration von der Partizipation ab. Unter dem Begriff Partizipation ver-birgt sich häufig ein Konzept, bei dem bereits feste Erwartungen dasZiel betreffend existieren oder bestimmte Einschränkungen durch

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einen Partner bestehen (Terkessidis 2015, S. 12). Es handelt sichdann nicht um einen autonomen Prozess der Beteiligung.Am Ende des letzten Jahrtausends hat Manuel Castells mit der Me-tapher der Netzwerkgesellschaft den widersprüchlichen Entwick-lungen unserer Zeit Ausdruck verliehen und das Netzwerk als Struk-turmerkmal moderner Gesellschaften im Informationszeitalter be-schrieben. Innerhalb der Netzwerke vollziehen sich kollaborativeProzesse. Diese Beschreibung soll kurz dargestellt werden.Das Netzwerk ist die entscheidende Form des gesellschaftlichenZusammenlebens, in der Wissen und Information die Austausch-prozesse regeln. Castells beschreibt drei entscheidende Entwicklun-gen, die den Übergang zur Netzwerkgesellschaft kennzeichnen (Cas-tells 2001):

Der Informationalismus: die informationstechnologischeRevolution entgrenzt Wissen als grundlegende Konstituenteder sozialen und ökonomischen Prozesse und macht es re-kursiv.

Die Krise des industriellen Kapitalismus, die eine Restruktu-rierung des Kapitalismus mittels deregulierender und libera-lisierender Maßnahmen bedingt und Politiken, die die Glo-balisierung beschleunigen.

Die Auflösung des nationalstaatlichen Etatismus, die zu de-zentralen Formen von Wirtschaft und Politik und zu neuent-stehenden Kulturen führt.

Begleitet werden diese Prozesse von einem Aufleben sozialer Be-wegungen, die sich gegen die durch globalisierte Systeme neu ord-nenden Herrschaftsverhältnisse zur Wehr setzen (Castells 2001, 13ff.).Castells definiert das Netzwerk auf drei Ebenen. Die erste Ebene istder Raum, den das Netzwerk umfasst und der durch die technologi-sche Infrastruktur festgelegt wird, so wie Eisenbahnlinien im Indust-riezeitalter den Raum der wirtschaftlichen Austauschbeziehungen

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festgelegt haben. Die zweite Ebene sind Knoten oder Zentren indenen sich die wirtschaftliche, soziale und technologische Dynamikauf lokaler Ebene verdichtet und die den Anschlusspunkt für globa-le Netzwerke bilden. (Castells beschreibt die informationelle Stadtals beispielhaft für einen Netzwerkknoten.) Die dritte Ebene ist dieräumliche Organisation der herrschenden Führungseliten, dieSchnittstellen von Netzwerken kontrollieren können, um ihre Machtzu stabilisieren. Die Austauschprozesse von Wissen und Informationentfalten darüber hinaus aber auch eigene Ordnungen, die nichtüber diese Ebene kontrolliert werden können.In den Netzwerken ist Wissen der entscheidende Wertschöpfungs-faktor für Gesellschaft und Wirtschaft. Wissen übernimmt die Funk-tion, die das Sachkapital in der Industriegesellschaft innehatte.Während die Systeme in denen die Austauschprozesse des Sachka-pitals stattfanden einer festgelegten hierarchischen Ordnung folg-ten, ist das System des Netzwerks losgelöst von bestehenden Ord-nungen und Hierarchien. Es konstituiert und restrukturiert sich inden Interaktionen, ohne dabei von vorgegebenen Ordnungen oderHierarchien bestimmt zu werden. Interaktionen beruhen hier aufKollaboration. Netzwerke sind durchzogen mit Technologie, dieeinen neuen Zugang zu Wissen und Information ermöglicht undsomit Wissen in einen neuen Bezugsrahmen stellt. Wissen wird kon-tinuierlich revidiert und verbessert. Es wird nicht als Wahrheit, son-dern als Ressource betrachtet und ist immer mit Nicht-Wissen ge-koppelt. In diesem neuen Bezugsrahmen hat sich Wissen innerhalbder Netzwerke vom Begriff des Eigentums gelöst und schafft soneue Voraussetzungen für Kollaboration.Für die Beschreibung kollaborativer Wertschöpfungsprozesse ist esentscheidend festzuhalten, dass im Netzwerk nicht geregelte, hie-rarchische Verteilung von Macht die Zusammenarbeit regelt, son-dern dass eine gleichberechtigte Zusammenarbeit auf Augenhöhefür die im Netzwerk kollaborierenden Partner ermöglicht werdenmuss, die keiner vorgegebenen Ordnung folgt. Auf dialogischerEbene findet ein Austausch statt. Diese Demokratisierung des Inter-

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aktionssystems beruht auf dem neuen Zugang zum (Wissens-)kapital, funktioniert aber nur, wenn alle Netzwerkpartner dieGleichberechtigung aller Partner im Prozess anerkennen. Dabei istdie Diversität der zusammenkommenden Akteure, die ganz unter-schiedliche Wissenskontexte in den Interaktionsprozess einbringen,ein entscheidendes Erfolgskriterium. Der amerikanische SoziologeRonald Stuart Burt verweist darüber hinaus auf die Notwendigkeitvon Schnittstellenkompetenz innerhalb der Interaktionssysteme fürdie Entstehung von Ideen durch Synthese und Selektion über dieSchnittstellen, die „structural holes“ hinweg. Für ihn generiert Wis-sen, dass über Schnittstellen hinweg getragen wird und dabei stetigverändert wird Innovationen. „ Creativity is a diffusion process ofrepeated discovery in which a good idea is carried across structuralholes to be discovered in one cluster of people, rediscovered inanother (...), each discovery is an expression of creativity.“ (Burt,2004, S. 389) Er gibt damit wichtige Hinweise für die Zusammenset-zung von Netzwerkpartnern, zur Unterstützung des Innovationsma-nagements in der kollaborativen Interaktion.Für das Beispiel kundenintegrative Wertschöpfungsprozesse in Un-ternehmen, bedeutet dies einerseits, dass neben den Kunden auchandere Partner (bspw. Experten) einbezogen werden sollten unddass das Unternehmen eine Wertschöpfungspartnerschaft auf Au-genhöhe akzeptieren muss.

3. Rahmenbedingungen zur Unterstützungoffener Kollaboration (am Beispiel derEntwicklung der Open-Source-Communities)

Neue Technologien spielen eine herausragende Rolle für die Defini-tion von Wertschöpfungs- und Austauschprozessen in unserer Ge-sellschaft. Daher ist es nicht verwunderlich, dass gerade in der IT-Branche bestimmte Entwicklungen vorweggenommen werden. So

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bezeichnet der Begriff Open-Source ursprünglich eine gemein-schaftliche Entwicklung von Software. Open-Source-Communitieshaben eine Geschichte, die weit ins letzte Jahrhundert hineinreicht.Ein Quellcode wird ins Netz gestellt und kann dort von jedem entwi-ckelt, verändert und sogar kommerziell genutzt werden. In den An-fängen der Open-Source- Bewegung wendeten sich Programmiererso gegen die Kommerzialisierung ihrer Produkte. Bald wurde aufdiesem Wege aber ein ganz neues Innovationsverständnis ausge-bildet, das im Manifest der agilen Softwareentwicklung zum Aus-druck kommt (Roock 2016). Ziel der agilen Entwicklung ist es Kreati-vität, Selbstverantwortung und Freiräume im Arbeitsprozess freizu-setzen um offene Innovationsprozesse auszulösen, die von engenZielvorgaben befreien, Autor, Nutzer und die entstehende Idee inein interaktives Dreiecksverhältnis setzen und so die Gesellschafts-relevanz von Produkten zu garantieren. Die Open-Source-Community erkannte über den Weg der Entkommerzialisierung dieVorteile, die eine gleichberechtigte Kollaboration für das Innovati-onsmanagement in Wertschöpfungsprozessen haben kann.Die Entwicklung der Open-Source-Communities steht beispielhaftfür andere Arten kollektiver Produktion. In beiden Bereichen zeigtsich, dass die Online-Technologie Kommunikation und Koordinationeffektiviert und neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit erschlos-sen hat. Es können sich auf diesem Wege innovativere, kreativereund passgenauere Ergebnisse erzielen lassen. Andererseits zeigtesich aber auch, dass sich mit diesen Entwicklungen ausgebildeteWerte und (Arbeits-)Konventionen nicht automatisch durchsetzenund andere gesellschaftlichen Strukturierungen und Rollendifferen-zierungen damit keineswegs obsolet werden, sondern dass Rah-menbedingungen bewusst gestaltet werden müssen, um kollabora-tive Wertschöpfungsprozesse zu unterstützen.In den 60er Jahren bildeten sich in der alternativen Hackerszenediese Werte heraus, die später durch prominente Vertreter der IT-Branche (wie bspw. Steve Jobs, aber auch Bill Gates) aufgenommenund auch für die kommerzielle IT beansprucht wurden. Die unein-

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geschränkte Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Information unddie Dezentralisierung von Ressourcen sind Kernaspekte dieser Ethik(Levy 2010) und spielen auch in allgemeinen Crowdsourcing-Prozessen eine entscheidende Rolle. In der Entwicklung von Open-Source-Communities entwickelten sich aber nichts desto trotz „klas-sische Organisationsprinzipien mit selektiv-hierarchischen Ent-scheidungsmustern und Einflusssymmetrien“ (Schrape 2016, S. 77),die einen gleichberechtigten Kollaborationsprozess einschränken.Sie stellen häufig einseitige Unternehmensinteressen und nicht dasallgemeine Nutzerinteresse in den Vordergrund. Das heißt, dass esin den Open Source Communities durch die Verschränkung mitmarktlichen Kontexten zu Interessenskonflikten kam und kommt.Ein wichtiger Schritt, um dieser Einschränkung entgegenzuwirken istder Versuch den kollektiven Kollaborationsprozessen einen institu-tionellen Rahmen zu geben. In Bezug auf Open-Source-Projektewird dies in der Entwicklung der Copy-Left-Lizenzen gespiegelt, diequelloffene Vorhaben in rechtlich tragfähige Lizenzmodelle einbet-ten.Betrachtet man die Copy-Left-Lizenzen auf dem Hintergrund derVerflechtung der kollaborativen IT mit der kommerziellen IT wirddeutlich, dass institutionelle Strukturen notwendig sind, um gleich-berechtigte Kollaborationsprozesse auch langfristig zu ermöglichen.Bei einer Zentrierung von Interessen innerhalb des Netzwerks (ent-weder durch die Konzentration auf spezielle Zielgruppen oderdurch Steuerungsprozesse seitens beteiligter kommerzieller Unter-nehmen) wird der Nutzen des Crowdsourcings eingeschränkt unddas Interaktionssystem verliert seine Kraft. In Bezug auf die kollabo-rative Zusammenarbeit von Nutzern und Unternehmen bei derEntwicklung neuer Dienstleistung außerhalb der IT sollte also eben-falls über institutionelle Rahmenbedingungen nachgedacht werden,die die Integration möglichst heterogener Partner garantieren (kei-ne Konzentration auf Lead-User) und den Innovationsprozess füralle öffnen. Dabei spielt die Frage der kontinuierlichen Motivierungder Partner für den Wertschöpfungsprozess eine wichtige Rolle. Es

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erscheint sinnvoll an diesem Punkt anzusetzen, um feste Strukturenzu schaffen, die Kollaboration unterstützen können. Viele Unter-nehmen beteiligen kollaborative Akteure wie Kunden oder Expertenan den Gewinnen die das Unternehmen mit der gemeinsam ge-schaffenen Dienstleistung oder dem Produkt macht. Sie schaffen soeinen monetären Anreiz. Auch in Crowd-Funding- Prozessen, in de-nen die Kollaborateure nicht nur ihr Wissen, sondern auch die eige-nen finanziellen Ressourcen einbringen funktioniert diese Struktur.Grundsätzlich bestehen hier aber noch große Bedarfe, um kollabo-rativen Wertschöpfungsprozessen sowohl rechtlich, als auch auf derorganisationalen Ebene feste Rahmenbedingungen zu geben undsie so zu optimieren. An dieser Stelle muss ein gesellschaftlicherDiskurs initiiert werden, der politische, legislative und organisatio-nale Institutionen einbezieht, um einen solchen Rahmen für kolla-borative Wertschöpfungsprozesse auf unterschiedlichen Hand-lungsebenen zu verankern.

4. Die Kollaborationskultur – Sozialkapitalals Gestaltungsfaktor im Interaktionssys-tem

Die neuen kollaborativen und interaktiven Formen der gesellschaft-lichen Organisationsprozesse und der Leistungserbringung in einerGesellschaft erfordern eine grundsätzliche Reflexion ihrer Voraus-setzungen auch innerhalb des kollaborativen Netzwerks, um ihrFunktionieren zu erleichtern und gegebenenfalls ihre Effizienz zusteigern. Die Kollaboration bedarf einer ausgeprägten Kultur, um zufunktionieren. Für diese Reflexion kann der Begriff des Sozialkapi-tals einen wertvollen Beitrag leisten. Sozialkapital hat besonders inder Wissensgesellschaft einen nachgewiesenen Einfluss auf denwirtschaftlichen Erfolg und die Austauschprozesse innerhalb derGesellschaft. Robert D. Putnam, der sich bei der Konzeptionalisie-rung des Sozialkapitalansatzes im amerikanischen Kontext beson-

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ders hervorgetan hat definiert Sozialkapital, als eine Verbindungvon Individuen in sozialen Netzwerken, die durch Vertrauen und imNetzwerk geltenden Normen der Gegenseitigkeit getragen wird(Putnam 1995). Durch die Akkumulation von Sozialkapital könnenkollaborative und partizipative Prozesse in Netzwerken positiv be-einflusst werden, dabei handelt es sich hier um eine iterative Bewe-gung, da die Kollaboration selbst Sozialkapital entstehen lässt, dasdann wiederum die Effizienz und Qualität der Kollaboration erhöht.Sozialkapital lässt sich als intangibler Vermögenswert definieren,der durch die Bereitschaft von Bürgern entsteht, in reziprokenNetzwerkbeziehungen zu kollaborieren (die auch durch gesetzteAnreize motiviert werden kann). Dem sozialen Kapital liegen Ver-trauen, gemeinsame Werte, Verhaltenserwartungen und Einstellun-gen der Kollaborierenden zugrunde, es wird durch intensive Inter-aktionen gestärkt. In Spezifizierungen des Sozialkapitalansatzes fürden betrieblichen Kontext (Badura et al., 2008) werden die positivenEffekte des Sozialkapitals auf drei Ebenen beschrieben, die auf denGeschäftserfolg und die Gesundheit von Mitarbeitern einwirken.Auch im Zusammenhang mit offenen, kollaborativen Wertschöp-fungsprozessen können diese Ebenen genutzt werden, um diePunkte zu identifizieren an denen die Kollaboration unterstützt undgestaltet werden muss.

Netzwerkkapital (Kohäsion, Kommunikation, Soziale Unter-stützung, Vertrauen)

Führungskapital (Kommunikation, Fairness, Vertrauen undAkzeptanz auf allen Hierarchieebenen des Interaktionssys-tems)

Überzeugungs- und Wertekapital (gemeinsam getrageneund gelebte Wertevorstellungen, Kohäsion, Gerechtigkeit,Wertschätzung und Vertrauen)

Die Generierung von Sozialkapital spielt für die Unterstützung vonKollaboration in Netzwerken eine herausragende Rolle. Vor allem

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die Ebenen des Netzwerkkapitals und des Überzeugungs- und Wer-tekapitals tragen kollaborative Prozesse und ihre Gestaltung in jeg-licher Form. Für auf Netzwerken beruhende kollaborative Wert-schöpfungsprozesse erscheint es sinnvoll auf diesen Ebenen anzu-setzen, um ihre demokratische Umsetzung zu fördern. Die Ebenedes Führungskapitals wird in übertragener Weise wichtig. Füh-rungskräfte bilden in Bezug auf das Sozialkapital in betrieblichemKontext Knotenpunkte, an denen sich in wertschöpfenden Netzwer-ken die Sinnhaftigkeit der Entwicklung sowie die Qualität der Bezie-hungen innerhalb des Netzwerkes kristallisieren. Dieser Knoten-punkt sollte in offenen, demokratischen Kollaborationsprozessen,allerdings nicht durch Personen, sondern durch einen Kollaborati-onsrahmen repräsentiert werden, auf den wir weiter unten zurück-kommen.In Hinblick auf die kollaborative Entwicklung von Dienstleistungensind drei Handlungsbezüge relevant:

Die Produktion von neuem, die Entwicklung voranbringen-dem Wissen durch das Zusammenführen des Wissens un-terschiedlicher Akteure

Kollaboration zur Steigerung von Akzeptanz der neuenDienstleistung und Engagement

Mobilisierung größerer Akteursgruppen, um politischen undgesellschaftlichen Einfluss zu nehmen (bspw. in Hinblick aufdie Förderung der Elektromobilität)

Diese drei Handlungsbezüge der kollaborativen Dienstleistungs-entwicklung können durch eine bewusste Gestaltung der unter-schiedlichen Ebenen des Sozialkapitals im Hinblick auf die Hand-lungsbezüge gestärkt werden. Die Gestaltung kann im Rahmen die-ses Beitrags nur angerissen werden:Stärkung des Netzwerkkapitals: Für die Generierung von neuemWissen und Ideen, durch die Zusammenführung von unterschiedli-chen Erfahrungen und Wissen, aber auch für die Steigerung der

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Akzeptanz der neuen Ideen und Dienstleistungen, kommen ideal-erweise heterogene Akteure zusammen, die ihre unterschiedlichenHintergründe in den Entwicklungsprozess mit einbringen. DieserEntwicklungsprozess ist ein kommunikativer Prozess, für dessenErfolg ein alle integrierendes Kommunikationssystem eine grundle-gende Bedingung ist. Es ist auch eine Bedingung dafür, dass sichdas Netzwerk aus den heterogenen Akteuren konstituiert. Die Ak-teure müssen sich in einem ersten Schritt auf eine gemeinsameSprache verständigen, die Vertrauen, Kohäsion und Co-Creation erstermöglicht. Im Interaktionssystem muss also Zeit dafür aufgebrachtwerden, sich zu vergewissern, dass eine barrierefreie Verständigunginnerhalb des Systems möglich ist. Dazu müssen die unterschiedli-chen Konstruktionen von Wirklichkeit, die die Akteure mit einbrin-gen und die in der „Sprache“ die jemand spricht gespiegelt werden,problematisiert und verhandelt werden. Dieser Prozess kann dazugenutzt werden ein Kohäsionsgefühl innerhalb des Netzwerks aus-zubilden, das wiederum den Austausch erleichtert. Das Netzwerkmuss sich als System, dass sich über einen sozialen „Fit“ definiertkonstituieren. Die Verständigung über die gemeinsame „Sprache“und den gemeinsamen Blick auf die Wirklichkeit ist ein wichtigerSchritt dazu (Steinberg et al., 2016, S. 138 ff.).Stärkung des Überzeugungs-und Wertekapital: Innerhalb des Inter-aktionssystems werden gemeinsame Normen und Werte identifi-ziert und entwickelt. Sie konstituieren eine gemeinsame Kultur, dieKollaborationskultur und ermöglichen Wertschätzung und Vertrau-en untereinander. Die gemeinsamen Werte sind die Grundlage fürden gemeinsamen Wertschöpfungsprozess, sie werden aber insbe-sondere für den Handlungsbezug der politischen und gesellschaftli-chen Einflussnahme relevant. Durch ein durch das Netzwerk getra-genes Wertebewusstsein und eine von jedem einzelnen Akteur ge-lebte Überzeugung werden Ideen und Dienstleistungen entwickelt,die auch andere überzeugen und für die Sache mobilisieren. ImBereich der Elektromobilität kann da auf ein bereits ausgeprägtesBewusstsein für die Werte der Community zurückgegriffen werden.

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Ist das nicht der Fall ist dies ein Handlungsfeld, dass dem Wert-schöpfungsprozess vorausgehen muss. Gemeinsame Werte im Hin-blick auf die zu entwickelnde Idee müssen definiert und formuliertwerden. Sie bilden einen wesentlichen Aspekt des Kollaborations-rahmens.Stärkung der Knotenpunkte zur Verstetigung von Sinnhaftigkeit undNetzwerkbeziehungen: Der Kollaborationsrahmen ist eine abstrakteGröße, die die Funktionen übernimmt, die eine gute Führung ineinem Unternehmen übernimmt. Auch im Unternehmen geht esdarum gemeinsame Wertschöpfungsprozesse zu ermöglichen undso zu gestalten, dass sie zu Erfolgen führen. Die Führung hat dabeidie wichtige Aufgabe Leitbilder zu implementieren, sie einzufordernund über Leitbilder Identität zu schaffen. In offenen, demokrati-schen Wertschöpfungsprozessen sind die Leitbilder und Wertesozusagen die Grundlage des Netzwerks. Sie eröffnen den Individu-en im Netzwerk die Möglichkeit gemeinsame Kategorien zu entwi-ckeln, um auf dieser Ebene soziale Identitäten zu konstruieren. Alssoziale Gruppe vermag das Netzwerk Wirklichkeit zu strukturieren.Die Individuen können sich in der Interaktion über diese Wirklich-keit identifizieren, was ihre Kollaboration antreibt und stärkt. So-wohl die Netzwerkbeziehungen, als auch die Sinnhaftigkeit desHandelns werden innerhalb der sozialen Gruppe als positiv erfah-ren (Turner, Tajfel 1979).

5. Kollaboration in der Dienstleistungsent-wicklung – Ein Resümee

Auch in der Dienstleistungsforschung wird seit langem erkannt,dass in wissensintensiven Ökonomien Innovationen in einem orga-nisierten Prozess des Zusammenspiels von Unternehmen und ex-ternen Partnern (Kunde(n), Nutzer, Experten, gesellschaftliche Mul-tiplikatoren ...) erfolgen (Dunkel et al. 2011; Reichwald et al. 2009).

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Innovative Dienstleistungen entstehen über Netzwerke, um so dasvielseitige Wissen möglichst heterogener Partner zu integrieren.Dies ist heute eine grundlegende Herausforderung bei der Kreationverkaufbarer neuer Dienstleistungen im globalisierten Wettbewerbund spielt speziell in Bereichen, die noch nicht nachhaltig gesell-schaftlich etabliert sind, wie im Fall der Elektromobilität, eine be-sondere Rolle. Innovationsprozesse müssen sich dazu öffnen. Tra-dierte Rollenverteilungen innerhalb dieser Prozesse müssen reflek-tiert, modifiziert und demokratisiert werden. Durch diesen Kreativ-prozess mit unterschiedlichen Akteuren entsteht auch für die Un-ternehmen eine neue Form der Wertschöpfung, die, wenn sie sichnicht über die wirtschaftliche Kalkulation definiert, als Co-Creationbezeichnet werden kann und besonders effektiv ist (Toubia, Florès2007).Die kunden- oder nutzerintegrative Co-Creation von Dienstleistun-gen ist ein kollaborativer Wertschöpfungsprozess und kann durchdie weiter oben erarbeiteten Strukturmerkmale des Kollaborations-rahmens unterstützt werden.Obliegt es in traditionellen kommerziellen Innovationsprozessendem Entwickler von Dienstleistungen, Kunden- und Marktbedürfnis-se (Bedürfnisinformation) zu analysieren, um dann unabhängig vomMarkt Möglichkeiten und Potenziale zu beschreiben, die diese Be-dürfnisse dann in Leistungen überführen (Lösungsinformation) (Pil-ler, 2006, S. 44), vollziehen sich Innovationsprozesse in einer Kolla-boration auf allen Stufen der Entwicklung, die Akteure (Kunden,Dienstleister und externe Partner) gleichberechtigt in der Wert-schöpfungspartnerschaft zusammenführt. Diese Wertschöpfungs-partnerschaft beruht auf einem Nutzen für alle Seiten. Die Kundenwerden unterstützt, eigene implizite oder explizite Probleme zudefinieren, zu bearbeiten und Abläufe und Prozesse zu verbessern.Auf der Seite des Dienstleisters können durch eine dezentrale Leis-tungserstellung Wissen und Know-how großer Netzwerke zu einerkontinuierlichen Weiterentwicklung der Angebote auch über beste-hende Geschäftsfelder hinausführen. Im Interesse von Dienstleis-

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tern und Kunden liegt es auch externe Partner in den Entwicklungs-prozess einzubeziehen, die den Problemzusammenhang aus eineranderen Perspektive betrachten, zusätzliches Wissen einbinden,den Handlungsspielraum erweitern und die zu entwickelnde Dienst-leistung in einen größeren Kontext einbinden, der es auf der ande-ren Seite den externen Partnern ermöglicht ebenfalls von dem neu-en Handlungsfeld zu profitieren. Das Spektrum der zu entwickeln-den Dienstleistungen wird durch die Heterogenisierung der Netz-werkpartner erweitert und Bestandteil eines Dienstleistungssys-tems, das den nachhaltigen Erfolg der Innovation unterstützt. DasNetzwerk, die Wertschöpfungspartnerschaft ist ein Interaktionssys-tem, dessen Funktionieren von den Strukturmerkmalen des Kolla-borationsrahmens abhängt.Der Kollaborationsrahmen beruht, wie in diesem Text bereits aus-geführt, auf der gleichberechtigten, dialogischen Form des Aus-tauschs, auf der Zugänglichkeit von Informationen und der Dezent-ralisierung von Ressourcen, auf der Kollaborationskultur, die einegemeinsame Konstruktion der Wirklichkeit und ein darauf aufbau-endes Kommunikationssystem beinhaltet, auf gemeinsamen Wer-ten und Zielen und schließlich auf der Identifikation der Individuenmit diesem Rahmen.Für Unternehmen bedeutet dies große Herausforderungen. Tradier-te Denkweisen und Strukturen müssen aufgebrochen werden, dieeigene Rolle muss gänzlich neu definiert werden (so beschreibt deram Projekt beteiligte Energieversorger bzw.–dienstleister den „Paradigmawechsel vom Energieversorger hinzum Energiemanager“, vgl. Edingloh in dieser Veröffentlichung); dieInnovationskultur muss neu bestimmt werden.Um externe Partner gleichberechtigt in Entwicklungsprozesse ein-zubeziehen müssen die Unternehmen sich öffnen, agile Entwick-lungsmethoden akzeptieren und Ressourcen dezentralisieren. Dazumüssen neue Strukturen geschaffen werden. Großen Unterneh-men, die global tätig sind fällt dies aufgrund höherer Kapazitätenleichter. Sie initiieren Think Tanks oder offene Innovationslabore,

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die als neue Institutionen im Unternehmen die Merkmale des Kolla-borationsrahmens leichter realisieren können. Für kleinere undmittlere Unternehmen ist dies häufig schwierig. Sie müssen unter-stützt werden, um diese Öffnung leisten zu können. Das Projekt KIE-Lab zeigt, dass dann aber gute Kollaborationserfolge erzielt werden.

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Nutzerorientierte Entwicklung von Elekt-romobilitätsdienstleistungen

Sabrina Lamberth-Cocca

1. Einleitung

Elektromobilität wird deutschlandweit intensiv in der Öffentlichkeitdiskutiert. Ein Großteil der Forschungs- und Entwicklungsaktivitätenkonzentriert sich auf die technische Weiterentwicklung von Fahr-zeugen, Batterien und Ladeinfrastruktur sowie die energie- undinformationstechnische Systemintegration (Hecimovic et. al. 2015).Eine erste Maßnahme, die Dienstleistungen als eigenständigen For-schungs- und Entwicklungsgegenstand im Bereich der Elektromobi-lität in Deutschland fördert, wurde mit dem Förderschwerpunkt„Dienstleistungsinnovationen für Elektromobilität“ des Bundesmi-nisteriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahr 2012 (Bun-desanzeiger 2012) ins Leben gerufen. Seither gewinnt das Themazunehmend an Aufmerksamkeit, sowohl in Wissenschaft als auchUnternehmenspraxis. Die Dienstleistungsperspektive ergänzt dietechnische Sicht der Elektromobilität sinnvoll im Hinblick auf The-men wie Aus- und Weiterbildung, Sharing- und Mietmodelle, (inter-modale) Mobilität, oder technologiebegleitende Services, um nurein paar Beispiele zu nennen. Ein zentraler Ansatzpunkt, an demDienstleistungen eine besondere Hebelwirkung für die Verbreitungvon Elektromobilität in Deutschland entfalten können, ist die Akzep-tanz in der Gesellschaft bzw. der wirtschaftliche Erfolg am Markt.Hierzu zählen nicht nur jegliche Leistungen, die integriert im Elekt-romobilitätssystem benötigt werden (z. B. Rettungs- und Pannen-dienstleistungen, Wartungs- und Reparaturdienstleistungen), son-dern auch solche, die das System innovativ erweitern können unddaher völlig neue Wertschöpfungspotenziale bieten. Auch unter-

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schiedliche Dienstleistungsbranchen können von neuen Potenzialenaus einer Verbreitung von Elektromobilitätstechnologien profitie-ren, denkt man an Felder wie Transport und Logistik oder Touris-mus. Elektromobilität ist also ein Systemthema, das aus technischenund dienstleistungsbezogenen Innovationen besteht. Dieses Ge-samtpaket wird zu nutzerfreundlichen Elektromobilitätsangeboten,das heißt es wird für private und gewerbliche Zielgruppen attraktiv,wenn es an deren Erwartungen und Bedürfnissen ausgerichtet ist.Hierzu ist ein enger Dialog mit den Zielgruppen wichtig, der bis ineinzelne Entwicklungsschritte hineinreichen kann.Aus Sicht der Dienstleistungsentwicklung ergeben sich für Unter-nehmen in diesem Zuge neue Herausforderungen, unter anderemdurch veränderte Anforderungen an Vorgehensweisen und Metho-den, die sogar ein radikales Umdenken und eine Transformationder Entwicklungskultur notwendig machen können. Ein wichtigerBestandteil eines solchen Ansatzes ist die Nutzereinbindung imEntwicklungsprozess. Warum diese wichtig ist, welche Facetten sieaufweist, wie sie ausgestaltet sein sollte und wie sich eine stärkereNutzereinbindung auf die Elektromobilität der Zukunft auswirkt,sind zentrale Fragestellungen. Darüber ist von Interesse, wie sichNutzereinbindung über ein Vorgehensmodell zur Entwicklung vonDienstleistungsinnovationen (Innovationsmodell) konkret in derPraxis umsetzen lässt. Als „Innovation“ wird aus wirtschaftswissen-schaftlicher Sicht die „Realisierung einer neuartigen, fortschrittli-chen Lösung für ein bestimmtes Problem, besonders die Einfüh-rung eines neuen Produkts oder die Anwendung eines neuen Ver-fahrens“ und aus Sicht der Soziologie eine „geplante oder kontrol-lierte Veränderung, Neuerung in einem sozialen System durch An-wendung neuer Ideen und Techniken“ verstanden (Duden 2016a).Jedoch lässt diese allgemeine Definition einige Spielräume für Inter-pretationen; unter anderem besteht die Frage, was „neuartig“ oder„fortschrittlich“ genau ist und ab wann man von einer wirklichen„Veränderung in einem sozialen System“ sprechen kann. Ein Klassi-ker in der Innovationsforschung ist Schumpeters Theorie, wonach

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die Invention und Diffusion gleich relevant sind: Innovation ist dem-nach die erfolgreiche Einführung einer neuen Lösung am Markt,nicht allein deren Erfindung (Schumpeter 1912). Im Hinblick auf einInnovationsmodell für Elektromobilitätsdienstleistungen ist dieseDefinition wichtig, da es somit nicht nur den Entwicklungsprozessunterstützen soll, sondern auch die Umsetzung am Markt – im Fallder Elektromobilität die erfolgreiche Verbreitung in der Bevölke-rung. Die Vorgehensweise zur Entwicklung des als möglichen Lö-sungsansatz vorgeschlagenen Innovationsmodells1 in Abbildung 1dargestellt.

1 Konfigurierbares Innovationsmodell für Elektromobilitätsdienstleistungen,das im Rahmen des Forschungsprojekts DELFIN entwickelt wird

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Abb. 1: Vorgehensweise zur Entwicklung des Innovationsmodells

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In Analysephase I (A1) stand eine ausgiebige Literatur- und Daten-bankrecherche zu bisherigen Projekten im Bereich Elektromobilitätsowie zum Stellenwert von Dienstleistungen im Vordergrund. Dieswurde durch eine Primärerhebung in Form von Tiefeninterviews mitDienstleistungs- und Elektromobilitätsexperten ergänzt, um dieRolle von Dienstleistungen bei der Verbreitung von Elektromobilitätnäher zu untersuchen (Cocca et al. 2015; Cocca et al. 2015a). In derzweiten Analysephase (A2) lag der Fokus auf Modellen der Dienst-leistungsentwicklung, insbesondere Vorgehensweisen, Methodenund Tools für die Einbindung von Nutzern im Entwicklungsprozess.Auch diese Sekundärrecherchen wurden durch eine Erhebung vonPrimärinformationen in Form interviewbasierter Fallstudien in viereuropäischen Ländern (Lamberth-Cocca, Friedrich, 2016) und inChina (Peking) angereichert, die zudem eine Perspektive über diedeutschen Grenzen hinweg ermöglichten. Aus diesen Ergebnissenwurde in Designphase I (D1) ein erstes Rahmenwerk für das Innova-tionsmodell („Service-Engineering-Referenzmodell“) ausgearbeitetund bis in grobe Komponenten heruntergebrochen. Dieser Standwird durch eine Unternehmensbefragung angereichert, welche wei-tere Anforderungen aus der Praxis an die Dienstleistungsentwick-lung in der Elektromobilität mit Fokus auf Nutzereinbindung undWirtschaftlichkeit liefert (A3). In weiteren Schritten wird das Innova-tionsmodell entsprechend den quantitativen Primärdaten weiterausgearbeitet (D2), getestet und iterativ optimiert bzw. in die Praxistransferiert (T1), in einem Leitfaden für Praxisanwender anschaulichbeschrieben (D3) und durch weitere Transferaktivitäten in die Un-ternehmenspraxis überführt (T2), etwa in Form von Workshops,Schulungen und Beratungsprojekten.

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2. Dienstleistungen im Bereich Elektromobi-lität

Im Jahr 2015 waren rund 53 Prozent der deutschen Bundesbürgerdazu geneigt, sich eines Tages ein Elektroauto zuzulegen. Bereits einJahr später sind nun schon 63 Prozent am Kauf eines Elektroautosinteressiert (YouGov 2016). Doch ist das daraus abzulesende stei-gende Interesse nicht mit Kaufwunsch gleichzusetzen, was sich anden tatsächlichen Verkaufs- bzw. Registrierungszahlen von rund26.000 Elektroautos in ganz Deutschland ablesen lässt (Kraftfahrt-Bundesamt 2016). Spätestens seit der Zenit der durch die NationalePlattform Elektromobilität geplanten Phase „Markthochlauf“ (Natio-nale Plattform Elektromobilität, 2011 und 2014) überschritten wur-de, wird das 2009 von der Bundesregierung definierte Ziel von einerMillion Elektroautos auf deutschen Straßen bis zum Jahr 2020 (Bun-desregierung, 2009) in den Medien als utopisch bezeichnet (Spiegel,2016; Süddeutsche Zeitung, 2016; Automobilwoche, 2016). Die Fra-ge, warum die Verbreitung von Elektromobilität schleppender von-stattengeht als geplant, führt schnell auf das Problem der Akzep-tanz – ein Aspekt, welcher der Nachfragerseite auf dem Markt zuge-ordnet ist. Es gibt einige negative Vorstellungen von Elektromobili-tät, die sich als hartnäckig erweisen. Dazu zählen häufig genannteSchwächen wie vergleichsweise hohe Anschaffungspreise für Elekt-rofahrzeuge, mangelnde Reichweite, lückenhafte Ladeinfrastrukturund lange Ladedauer. Die Tatsache, dass deutsche Bürger am Tagdurchschnittlich weniger als 60 Kilometer Fahrstrecke zurücklegen(Fraunhofer ISI 2011), die durchschnittliche Reichweite von bereitsseit letztem Jahr am Markt erhältlichen Fahrzeugen jedoch bei mehrals 200 Kilometern liegt (Horváth & Partners, 2015), wirft zumindestin Bezug auf das Argument „mangelnde Reichweite“ im Endkun-denmarkt zahlreiche Fragen auf. Rund 60 Prozent des Neuwagen-marktes sind gewerblichen Flotten und Dienstwagen zuzurechnen(Nationale Plattform Elektromobilität, 2014). Ein Grund wird daringesehen, dass sich Anschaffungen im Geschäftskundenbereich bes-

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ser wirtschaftlich argumentieren lassen: Wenn über einen bestimm-ten Zeitraum hinweg kostenwirksame Vorteile verbucht werdenkönnen, besteht eine gute Chance, dass sich Elektrofahrzeuge mitder Zeit durchsetzen (Cocca, Kolz, Stryja, 2015). Grund ist, dass derFokus in gewerblichen Anwendungen eher auf Gesamtkosten (TotalCost of Ownership) als rein auf den Kosten für die Anschaffung vonElektrofahrzeugen, liegt (Vogel, 2015). Die Vorbehalte bzw. Kaufar-gumente auf Endkunden- und gewerblicher Seite unterscheidensich somit zwar teilweise, lassen sich jedoch aus vermarktungstech-nischer Sicht auf einen gemeinsamen Effekt hinführen, der nochnicht ausreichend erreicht ist: Akzeptanz als Grundvoraussetzungfür die Verbreitung von Elektromobilität. Was zunächst als Problemaussieht, stellt für einen ganzen Wirtschaftszweig jedoch ein enor-mes Potenzial dar: Dienstleistungen sind insbesondere dort beson-ders attraktiv, wo systemische Spannungen, Defizite im Produktan-gebot und technische Schwächen bestehen (Lamberth-Cocca, Fried-rich, 2016, S. 114ff.).Laut einer Expertenstudie haben Dienstleistungen eine hohe bissehr hohe Bedeutung für die erfolgreiche Verbreitung von Elektro-mobilität auf dem Markt; insbesondere da sie Nachteile der Elekt-romobilität ausgleichen können sowie durch Aufklärung und Trans-parenz als Marktöffner fungieren können (Kolz, Schwartz 2015, S.17f.). Dabei wird der Dienstleistungsmarkt rund um Elektromobilitätals sehr dynamisch beschrieben, da ständig und in hoher Ge-schwindigkeit neue Ideen umgesetzt werden (Kolz, Schwartz 2015,S. 22). Somit unterstützen Dienstleistungen nicht nur die Verbrei-tung der Elektromobilität, indem sie diese alltagstauglicher und fürdie Bevölkerung greifbarer machen (Kolz, Schwartz 2015, S. 22),sondern treiben den gesamten Markt durch Innovationen und neueGeschäftsmodelle voran, die erst durch die neuen Technologienrund um die Elektromobilität möglich sind. Beispiele für bereitserfolgreich erprobte Elektromobilitätsdienstleistungen sind Smart-phone-Apps für das Auffinden von Ladesäulen, Carsharing- undMultimodalitätsangebote – gleichermaßen wichtig für die städtische

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und ländliche Elektromobilität (Kolz, Schwartz, 2015, S. 18). Auf-grund dieser Bedeutung von Dienstleistungen für den gesellschaft-lichen und wirtschaftlichen Erfolg von Elektromobilität ergibt sichdie Notwendigkeit für Unternehmen, diese aktiv in das Leistungsan-gebot zu integrieren. Eine planvolle Entwicklung von Dienstleistun-gen, das heißt eine systematische Vorgehensweise, unterstützt Un-ternehmen dabei, Fehler zu vermeiden und die Erfolgswahrschein-lichkeit des Angebots auf dem Markt zu erhöhen.

3. Nutzereinbindung bei der Dienstleis-tungsentwicklung

Die Entwicklung eines langfristig erfolgreichen Geschäftsmodells isteine wichtige Teilaufgabe der Dienstleistungsentwicklung, um diewirtschaftliche Tragfähigkeit eines Dienstleistungsangebots amMarkt zu gewährleisten. Dabei ist die Berücksichtigung der Ziel-gruppe elementar, denn nur wenn diese Akzeptanz gegenüber demAngebot zeigt bzw. dies sogar als vorteilhaft gegenüber Wettbe-werbsangeboten sieht, wird sie dieses auch in Anspruch nehmen.Diese Kenntnis ist in vielen verschiedenen Ansätzen in der Literaturtief verankert. Am bekanntesten ist wohl das Business Model Can-vas von Osterwalder und Pigneur (Osterwalder, Pigneur, 2010): Diegesamte rechte Hälfte der Geschäftsmodelldarstellung ist der Ziel-gruppe gewidmet. Sie beinhaltet das Leistungsversprechen (mittigzwischen der Unternehmens- und Kundenperspektive), Kundenbe-ziehungen, Kundensegmente, Kanäle und Einnahmequellen. Fürdiese Zielgruppe gibt es unterschiedliche Begriffe, etwa Kunden,Nutzer bzw. Benutzer, Käufer, Verbraucher, Abnehmer, Bezieher,Auftraggeber, Besteller, Klient, Mandant, die je nach Forschungsdis-ziplin oder Branche üblich sind (vgl. Duden, 2016b).2,

2 Aus Gründen der Einfachheit werden hier nur die neutralen Formen ver-wendet und es wird auf die dezidiert weiblichen Formen verzichtet. In den

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In jedem Entwicklungsprojekt schlummert Fehlerpotenzial; Fehlerkönnen sich über alle Phasen ereignen und sich derart auf das Er-gebnis auswirken, dass die Marktakzeptanz gefährdet ist (Bullingeret al. 2002, S. 71). Fehler führen dazu, dass Unternehmen eineDienstleistung an den Erwartungen und Bedürfnissen der Zielgrup-pe vorbei entwickeln (Conti 1989, S.19). Vor allem bei Dienstleistun-gen, die sich durch eine hohe Kaufunsicherheit auszeichnen, führenschon bei kleinsten Fehlern zu einem Marktscheitern (Homburg,2012, S. 19). Der Gefahr der fehlenden Abstimmung eines Dienst-leistungsangebots auf die Bedarfe der Zielgruppe kann durch eineEinbindung von Vertretern derselben entsprechend entgegenge-wirkt werden.In der Dienstleistungsentwicklung sind – analog zur Produkt- undSoftwareentwicklung – die Begriffe „Kunde“ und „Nutzer“ bzw. „Be-nutzer“ (beide engl.: „user“) gebräuchlich. Dabei lohnt es sich, einentieferen Blick in die unterschiedlichen Verwendungskontexte zuwerfen. Während der Kundenbegriff eher ein ökonomisches Inte-resse (Reinicke, 2004) ausdrückt und daher meist in der Marketing-und Management-dominierten Literatur der Dienstleistungsfor-schung verwendet wird, geht der Begriff des Nutzers bzw. – in derInformatik üblich – Benutzers (Mertens et al. 1997) über diese Per-spektive hinaus: Nutzer sind demnach „alle Personen, die von demProdukt eines Unternehmens direkt oder indirekt betroffen sind[umfasst]. Eine direkte Betroffenheit ist gekennzeichnet durch denwillentlichen Kontakt des Nutzers mit dem Produkt. Eine indirekteBetroffenheit tritt ein, wenn der Nutzer ohne eigene Intention mitdem Produkt in Berührung kommt bzw. davon beeinflusst wird (z.B. durch Stimulation der Sinnesorgane).“ (Reinicke, 2004, S. 19) Fürdas Dienstleistungsgeschäft und aus der Geschäftsmodellperspekti-ve ist aufgrund des ökonomischen Interesses der Begriff „Kunde“geeignet. Da der Aspekt der Wirtschaftlichkeit, unter anderem die

Bezeichnungen des vorliegenden Beitrags sind jedoch stets weibliche undmännliche Vertreter/innen gemeint.

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Geschäftsmodellentwicklung oder die Zusammenstellung des Mar-keting-Mix, jedoch nur einen Teil der eigentlichen Dienstleistungs-entwicklung darstellt, und es darüber hinaus darum geht, Anforde-rungen der Zielgruppe in Eigenschaften der Dienstleistung zu über-setzen (z. B. Dienstleistungsprozesse, -umgebung), wird im vorlie-genden Kontext der reinen Entwicklungsmethodik der neutralereBegriff „Nutzer“ verwendet.Ziel der Nutzereinbindung ist es, ein zu entwickelndes Angebotadäquat auf die Bedarfe der Zielgruppe(n) abzustimmen (Cocca etal. 2015b, S. 43). Dabei erscheinen vor allem zwei Dimensionen be-sonders wichtig: das Erlebnis eines Angebots aus Nutzersicht („UserExperience“) sowie die Benutzbarkeit bzw. Nutzerfreundlichkeit derAnwendung („Usability“). Die Usability „eines Produktes ist dasAusmaß, in dem es von einem bestimmten Benutzer verwendetwerden kann, um bestimmte Ziele in einem bestimmten Kontexteffektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen“ (DIN EN ISO9241, S. 11). User Experience ist definiert als: „A person’s percep-tions and responses that result from the use and/or anticipated useof a product, system or service“ (DIN EN ISO 9241, S. 210). Dement-sprechend ist es Aufgabe der Dienstleistungsentwicklung dafür zusorgen, dass das Entwicklungsergebnis zum einen eine wünschens-werte Lösung für einen Nutzerbedarf bietet und zum anderen fürNutzer ein wünschenswertes Erleben des Leistungsprozesses leis-tet. Gleichzeitig geht es jedoch auch darum, das zu entwickelndeAngebot aus Anbietersicht wirtschaftlich wünschenswert zu gestal-ten. Es ist empirisch nachgewiesen, dass die Einbindung von Nut-zern in Dienstleistungsentwicklungsprozesse in einer Verbesserungdes wirtschaftlichen Potenzials am Markt resultiert (Reichwald et al.,2005, S. 263; vgl. Franke, Shah, 2003; vgl. Gruner, Homburg, 2000;vgl. Lüthje, 2000) und dadurch eine geeignete Vorgehensweise fürbeide Aufgaben ist: Angebot optimal auf Nutzerbedarfe und aufwirtschaftliche Erfordernisse des Unternehmens abstimmen.Dabei kann die Nutzereinbindung auf unterschiedliche Art und Wei-se erfolgen. Unter anderem ist es möglich, hinsichtlich der Integra-

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tionsstufe zu differenzieren. Beispielsweise können Unternehmenbei der Entwicklung einer Dienstleistung in die Perspektive der Nut-zer schlüpfen, um deren Erwartungen und Bedürfnisse zu antizipie-ren und das Angebot entsprechend anzupassen (Jacob, 2015, S.348). Grundannahme solcher Ansätze ist, dass Menschen die Fähig-keit zur Empathie haben und sich demnach auch als Entwickler vonDienstleistungen in andere Nutzer hineinversetzen können. Dieszeigt eine Bandbreite an Methoden, welche nicht zwingend einevorgeschaltete systematische Marktforschung voraussetzen(Curedale, 2013). Ist eine stärkere Integration gewünscht, könnenNutzer direkt hinsichtlich ihrer Bedürfnisse und Anforderungenbefragt werden. In der Praxis werden in der Regel zunächst diverseMarktforschungsinstrumente eingesetzt, um Nutzerbedürfnisse zuidentifizieren und eine Dienstleistung entsprechend auszurichten(Reichwald et al. S. 264). Hierbei nehmen Nutzer die Rolle von In-formanten ein. Eine weitere Möglichkeit der Einbindung besteht imCo-Design. In dieser Rolle fungieren Nutzer nicht nur als Informati-onsgeber, sondern sie stehen Unternehmen auch bei der Definitionder Problemstellung unterstützend zur Seite (Jacob 2015, S. 348)oder entwickeln sogar an einer Lösung für das Problem mit, indemsie eigene Ideen aktiv einbringen (Opitz, 2003, S. 108 f.). Passiertsolch eine starke Einbindung nicht nur in einem einzelnen Entwick-lungsprojekt, sondern wiederholt und in Form einer langfristigenZusammenarbeit, wird auch von einer Entwicklungspartnerschaftzwischen Unternehmen und Nutzern gesprochen. Dabei gehenNutzer eine dauerhafte Beziehung mit einem Unternehmen ein unddurch die Nähe zu Nutzern ist es Anbietern möglich, nachfragersei-tige Veränderungen kontinuierlich aufzudecken und in neuen oderbestehenden Dienstleistungen aufzugreifen (Bullinger et al. 2002, S.74). Die Beschreibung der unterschiedlichen Stufen zeigt, dass diesesich nicht ausschließen, sondern dass in einem Entwicklungsprozessverschiedene Strategien der Einbindung sinnvoll sein können undeinzelne Methoden je nach Sinnhaftigkeit über die Entwicklungs-phasen miteinander kombiniert werden können.

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Neben den genannten Vorteilen der Nutzereinbindung gibt es je-doch auch Kosten und Risiken, mit denen umgegangen werdenmuss bzw. die gegenüber den Vorteilen abgewogen werden müs-sen. Kosten, die jedoch den Einsparungen durch eine Vermeidungetwaiger Fehler im Entwicklungsprozess gegenübergestellt werdenmüssen, entstehen unter anderem aus dem Zeitaufwand durchMethodeneinsatz (z. B. Personalkosten) (Hofbauer, 2013, S. 24).Außerdem ist nicht uneingeschränkt voraussetzbar, dass ausrei-chend und geeignete Ressourcen im Unternehmen vorhanden sind,um die Methoden anzuwenden (Hofbauer, 2013, S. 24). Aufgrundder großen Anzahl an Methoden, die in der Fachliteratur und imInternet auffindbar sind, entsteht die Fehlwahrnehmung, dass dieseauch gleichzeitig geeignet sind und jederzeit darauf zurückgegriffenwerden kann. Allerdings wird bei näherer Betrachtung deutlich,dass nicht alle Methoden für jeden Fall eingesetzt werden könnenbzw. dass diese meist von unterschiedlichen Voraussetzungen aus-gehen, sich für verschiedene Entwicklungsphasen eignen und seltenexplizit in Kombination untereinander betrachtet werden. Dabeiwerden auch Denkansätze wie „Empathy“ und „Design Thinking“ aufeine Ebene mit in sich geschlossenen Methoden und Werkzeugengestellt, die für die Lösung einer konkreten Fragestellung geeignetsind (z. B. Personas, Emotional Journey Map) (Curedale, 2013). Eshandelt sich meist um lose Sammlungen, die erst mithilfe von ent-sprechendem Know-how gezielt eingesetzt werden können. Als wei-tere Risiken lassen sich interne Widerstände (Reckenfelderbäumer,Busse, 2006, S. 159) gegenüber der Integration unternehmensex-terner Personen nennen, die möglicherweise auch mit der Angst vorVerlust von Know-how des Unternehmens (gar mit Weitergabe vonInformationen an Wettbewerber) (Hofbauer, 2013, S. 24) oder Kom-petenzverlusten bzw. Einschränkung der Aufgabenbereiche einzel-ner Mitarbeiter im Unternehmen einhergehen (Reckenfelderbäu-mer, Busse, 2006, S. 159). Auch besteht eine Gefahr in Fehlschlüs-sen: es muss nicht zwingend so sein, dass eine für den Markterfolgkritische Anzahl an Nutzern das unter Nutzereinbindung entwickelte

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Dienstleistungsangebot am Ende tatsächlich kauft bzw. von deneingebundenen Nutzern selbst gekauft wird (Gassmann, Kobe,2006, S. 174). Weitere Probleme, die bei der Nutzereinbindung auf-treten können, bestehen in etwaigen Missverständnissen zwischenden eingebundenen Nutzern und den Mitarbeitern, die mit demEntwicklungsprozess betraut sind (Kommunikationsprobleme), engverbunden mit einem erhöhten Kommunikationsaufwand, der ge-nerell mit der zusätzlichen Einbindung von Nutzern einhergeht(Hofbauer, 2013, S. 24).

4. Die Bedeutung agiler Dienstleistungs-entwicklung

Es gibt zahlreiche Vorgehensmodelle für die Dienstleistungsentwick-lung (Kim, Meiren, 2010). Angesichts sich wandelnder Unterneh-mensanforderungen und Marktgegebenheiten liegt die Frage nahe,ob diese Modelle noch zeitgemäß sind und den Anforderungen inder Praxis ausreichend gerecht werden. Unter anderem stehen dieLinearität etablierter Ansätze sowie die implizite Annahme, dasssich jeder Ansatz für alle Arten von Dienstleistungen eignet, in derKritik (Meiren et al., 2015). Insbesondere die Einbindung von Nut-zern in Entwicklungsprozessen neuer Dienstleistungen sollte in Pro-jekten entsprechend abbildbar sein und nicht nur durch ein Vorge-hensmodell, sondern auch entsprechende Strukturen und Vorge-hensweisen zur Projektorganisation abgedeckt werden. Die Entwick-lungskultur hat in den letzten Jahren durch agile Ansätze eine neuePerspektive erhalten, die sich durch eine interaktivere, personen-zentrierte Herangehensweise auszeichnen und von der starkenFormalisierung von Entwicklungsprozessen in Form starrer Vorge-hensmodelle und klassischem Projektmanagement Abstand neh-men. Solche agilen Vorgehensweisen haben ihren Ursprung in derSoftwareentwicklung und wurden mit dem sogenannten „AgilenManifest“ (engl. Originaltitel: „Manifesto for Agile Software Develo-

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pment“) maßgeblich geprägt. Die darin vertretenen Werte hinter-fragen und beeinflussen die traditionellen Vorgehensweisen in derEntwicklung: „Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwi-ckeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durchdiese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt: Individu-en und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge - Funktio-nierende Software mehr als umfassende Dokumentation - Zusam-menarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung - Reagie-ren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans. Das heißt,obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzenwir die Werte auf der linken Seite höher ein.“ (Beck et al., 2001) Da-rauf aufbauend wurden zwölf Prinzipien formuliert, die sich insbe-sondere auf die Einbindung von Kunden, regelmäßige Feedback-schleifen im Projekt (v. a. im persönlichen Austausch), starke De-sign-Orientierung, Fokus auf Prototyping, interdisziplinäre, selbstor-ganisierte Entwicklungsteams und offene, flexible Prozesse stützen.Dahinter steht das Ziel, im Verlauf eines Entwicklungsprojektsschnell auf geänderte Anforderungen reagieren zu können, ohnedas Risiko versunkener Kosten einzugehen. Eine bekannte Metho-dik, welche die Praxis agiler Entwicklung maßgeblich geprägt hat, istScrum.3 Diese definierten Rollen, Aktivitäten, Artefakte, Methodenund Tools, die agile Entwicklungsprojekte unterstützen (Gloger,2013). Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag,wird somit auch in agilen Ansätzen nicht gänzlich auf den stützen-den Rahmen der Formalisierung verzichtet.Personen als selbstmotivierte, eigenverantwortlich handelnde Indi-viduen zu begreifen, erscheint ein Fokus auf die in Entwicklungspro-jekten notwendigen Kompetenzen und die Regelung der Zusam-menarbeit ein vielversprechender Ansatz. Für die Organisation derZusammenarbeit können Rollenkonzepte eingesetzt werden; dies

3 Weitere Beispiele für agile Methoden, die in der Softwareentwicklungeingesetzt werden, sind Crystal, Feature Driven Development oder eXtremeProgramming.

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ist auch üblich in der Dienstleistungsentwicklung. Zentrale Be-schreibungselemente einer Rolle sind in diesem Kontext zum Bei-spiel ihre Eigenschaften (Position im System hinsichtlich andererRollen, Aufgaben der Rolle, formelle und informelle Erwartungen,Interaktionsprozesse durch konkretes Verhalten der Rolle im sozia-len Bezugsrahmen), Rollenmechanismen (Rollenübernahme bzw. -zuweisung oder Rollenentwicklung) oder auch Rollentypen (z. B.erworbene bzw. zugeschriebene Rollen, formale bzw. informelleRollen, Berufs- bzw. Freizeitrollen) (Reitmaier et al. 2011, S. 60f.). Inder Regel werden Rollen in Organisationen Eigenschaften zugewie-sen; sie repräsentieren Rechte und Pflichten (Herrmann et al. 1998,S.5) und werden von Personen bzw. Personengruppen in einembestimmten Kontext eingenommen (Reitmaier et al. 2011), was da-zu führt, dass diese (Rolle und Person bzw. Gruppe) voneinanderentkoppelt sind. So kann eine Rolle eine Person oder Funktioneneiner Person darstellen und eine Person oder Personengruppekann mehrere Rollen ausfüllen (Herrmann et al. 1998, S. 5). Für denKontext der Dienstleistungsentwicklung bedeutet dies dementspre-chend, dass nicht Mitarbeiter selbst für die Organisation des Ent-wicklungsprozesses festgelegt werden, sondern Rollen definiert,welche dann von Mitarbeitern übernommen werden können. Rollenim Service Engineering können etwa sein: Architekt, Entwickler bzw.Implementierer, Manager, Vermarkter, Verkäufer, Controller,Dienstleistungserbringer, Lieferant, Kunde (Junginger et al., 2005, S.15f.). Vor dem Hintergrund der Nutzereinbindung ist es mit einemagilen Projektkonzept möglich, Rollen zu definieren, welche die Ziel-gruppe in unterschiedlichen Nutzertypen repräsentieren oder wel-che auf Unternehmensseite die Nutzerorientierung personell ver-ankern.

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5. Umsetzung der Nutzereinbindung im agi-len Service Engineering

Grundlage für ein Innovationsmodell, welches die Nutzereinbin-dung in einem agilen Ansatz realisiert, sind sorgfältig aus Primär-und Sekundärerhebungen abgeleiteten Anforderungen, die sowohldie wissenschaftliche als auch die unternehmenspraktische Per-spektive widerspiegeln (siehe auch Abb. 1). Im Folgenden werdenmögliche Anforderungskategorien auf oberster Ebene dargestellt,welche in die konkrete Ausgestaltung eines solchen Innovations-modells überführt werden:

A1: Theoretisch-methodische Anforderungeno A1.1: Allgemeine Anforderungen (Meta-

Informationen zur Modellkonstruktion)o A1.2: Anforderungen an die Modellkonstruktion (Gü-

tekriterien)A2: Anwendungsspezifische und praktische Anforderungen

o A2.1: Allgemeine Anforderungeno A2.2: Anforderungen hinsichtlich der Nutzereinbin-

dungo A2.3: Anforderungen hinsichtlich der Konfigurierbar-

keito A2.4: Anforderungen hinsichtlich des Vorgehensmo-

dellso A2.5: Anforderungen hinsichtlich der Organisation

der Entwicklungo A2.6: Anforderungen hinsichtlich Methoden und

Tools

Neben dem Innovationsmodell selbst sollte gemäß den Anforde-rungen auch eine Hilfestellung zur Anwendung entwickelt werden,um die praktische Anwendung zu unterstützen. Dies kann über ei-nen Praxisleitfaden realisiert werden. Die genannten Anforderungs-kategorien lassen sich in ein grobes Referenzmodell überführen,

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das als Grundlage für die weitere Ausgestaltung des Innovations-modells dient. Dieses ist in der Abbildung 2 dargestellt. Da es aufvorigen Arbeiten in der Disziplin des Service Engineering basiert,wird es hier auch als Service-Engineering-Referenzmodell bezeich-net.

Abb. 2: Grundlegender Aufbau des Innovationsmodells

Die Anforderungen an das Modell werden in sechs Ebenen (sog.„Levels“) umgesetzt. Die Nutzereinbindung ist aufgrund ihrer wich-tigen Bedeutung durch eine eigene Komponente mit der Bezeich-nung „Nutzeranalyse und -integration“ abgedeckt (Level 1 in Abb. 2).Jeder übergeordnete Level vererbt jeweils seine Eigenschaften bzw.die Folgen daraus auf alle untergeordneten Ebenen. In Level 1 wirddie Nutzer- bzw. Kundeneinbindung im Innovationsmodell konzep-tuell beschrieben. Ziel der Beschreibung dieses Levels ist die Reali-sierung einer dem Zweck angemessenen Nutzereinbindung in dieDienstleistungsentwicklung. Die im Level beschriebenen Eigenschaf-ten sind unabhängig von den anderen Ebenen im Innovationsmo-dell, das heißt sie bleiben durch Eigenschaften der anderen Ebenenunbeeinflusst. Gleichzeitig wirken sich die Eigenschaften dieses Le-vels auf die anderen Ebenen aus, da diese untergeordnet sind. Diefolgende Tabelle 1 zeigt die Anforderungen hinsichtlich der Nutzer-

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einbindung (A2.2) und wie diese im Innovationsmodell umgesetztwerden.Tab. 1: Anforderungen an das Innovationsmodell hinsichtlich der Nutzer-einbindung und Umsetzung

Anforderungen hinsichtlich der Nutzereinbindung

Nr. Anforderungen an das Inno-vationsmodell

Umsetzung im Innovationsmodell

A2.2.1 Unterstützung der Nutzerein-bindung

Nutzereinbindung als integralerBestandteil des Modells, der sichdurch alle Ebenen zieht (Konfigu-rierbarkeit, Organisation, Methodenund Tools) und konkrete Hand-lungsempfehlungen für Anwenderbietet

A2.2.2 Entscheidungsunterstützungbzgl. unterschiedlicher Ausprä-gungen der Nutzereinbindung

Nutzereinbindung nach unter-schiedlichen Integrationsstufen undEntwicklungsphasen differenzieren

A2.2.3 Unterscheidung nach unter-schiedlichen Typen wie „Nutzer“,„Kunde“ etc.

Unterscheidung nach „Personen,die für ein Elektromobilitätsangebotbezahlen“ (Kunden) und „Personen,die ein Elektromobilitätsangebotnutzen“ (Nutzer); nach Bedarf Defi-nition einer Metaebene: „Personoder Organisation, die das Entwick-lungsprojekt beauftragt“ (Auftrag-geber)

Anforderung A2.2.1 ist die Grundvoraussetzung, die schon alleindurch die Entwicklung und Beschreibung des Innovationsmodellsvor dem Hintergrund der Nutzereinbindung sowie durch die Defini-tion eines eigenen Levels erfüllt ist. Anforderung A2.2.2 bezieht sichauf die eingangs geschilderte notwendige Differenzierung der Nut-zereinbindung hinsichtlich von Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten(Nutzen versus Kosten bzw. Risiken), Grad sowie Phase der Nutzer-integration. Während die konkrete Ausgestaltung der Nutzereinbin-dung in der Empfehlung geeigneter Methoden im Level 5 behandelt

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wird, wird in Level 1 die grundlegende Strategie der Nutzereinbin-dung festgelegt, damit das Vorgehensmodell, die Projektorganisati-on sowie die anzuwendenden Methoden entsprechend konfiguriertwerden können. Abbildung 3 zeigt eine mögliche Differenzierungzur Auswahlentscheidung einer grundsätzlichen Nutzereinbin-dungsstrategie. Es wird vorgeschlagen, nach den drei Stufen „Nut-zer als Co-Designer“, „Nutzer als Informant“ und „Nutzer als Be-trachtungsobjekt“ zu unterscheiden, wobei der Integrationsgrad beierstgenannter Strategie am höchsten und bei letzterer am niedrigs-ten ist. Die Anforderung A2.2.3 bezieht sich auf die Erkenntnis, dassin manchen Fällen die Kaufentscheidung bei anderen Personen liegtals ein Produkt oder eine Dienstleistung tatsächlich nutzen (z. B.Elektroautos in Flottendienstleistung). Diese Unterscheidung machtnicht in allen Fällen Sinn, sollte aber getroffen werden, sofern sierelevant für das Dienstleistungsangebot ist. Bei einer Auftragsent-wicklung kommt noch eine weitere Zielgruppe hinzu, sodass unterUmständen zusätzlich danach differenziert werden sollte.

Abb. 3: Grundlegende Differenzierung nach Integrationsgrad der Nutzer-einbindung (Nägele, Vossen, 2006)

Das vorgestellte Grundprinzip des Innovationsmodells für Elektro-mobilitätsdienstleistungen fokussiert im Kern eine bessere Einbin-dung von Nutzern im Entwicklungsprozess. Gleichzeitig wird an an-deren Stellschrauben gedreht, welche eine stärkere Nutzerorientie-rung nach sich zieht. Dazu zählen eine agile Projektorganisation undein konfigurierbares Vorgehensmodell sowie eine geeignete Samm-lung an Methoden und praktisch einfach anwendbaren Werkzeu-

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gen. Die Grundlage des Modells wurde aus Sicht der Nutzereinbin-dung vorgestellt, deren Notwendigkeit über eine effektivere Unter-stützung von Akzeptanz von Elektromobilität am Markt begründetwird. Allerdings dürfen dabei nicht die Spezifika der Elektromobili-tätsbranche nicht aus den Augen verloren werden. Diese werden imInnovationsmodell durch entsprechende Konfigurationskriterienwie konkretes Anwendungsfeld, Funktion der Dienstleistung hin-sichtlich der Marktbearbeitung sowie Innovationsgrad der Dienst-leistung abgedeckt. Sowohl die Anforderung der Nutzereinbindungals auch die Spezifika des Elektromobilitätsmarkts werden im ge-samten Innovationsmodell berücksichtigt. Unter anderem werdendedizierte Entwicklungsmodule, Rollen und Methoden bereitgestellt,welche diesen beiden zentralen Aspekten Rechnung tragen.

6. Vision: Beitrag zur Elektromobilität 2030

Die Rolle der Dienstleistungsentwicklung bei der Verbreitung derElektromobilität ist es, Unternehmen Vorgehensweisen, Methodenund Tools bereitzustellen, um Dienstleistungen in der Elektromobili-tätsbranche systematisch zu entwickeln und erfolgreich umzuset-zen. Damit wird das Innovationsmanagement dabei unterstützt,Elektromobilitätsangebote ganzheitlich und aus Sicht von Nutzernbzw. Kunden zu begreifen, eine erfolgreiche Markteinführung zurealisieren und von einer nachhaltigen Wirtschaftlichkeit zu profitie-ren. Daraus lässt sich eine Vision für die Elektromobilität bis zumJahr 2030 formulieren, die vor allem auf der Bedeutung von Dienst-leistungen für die Verbreitung von Elektromobilität basiert (Lam-berth-Cocca, Friedrich 2016 S. 113ff.).Das Innovationsmodell wird inklusive Zwischenergebnisse seit 2015kontinuierlich in die Unternehmenspraxis überführt und hinsichtlichneu hinzukommender Praxisanforderungen angepasst. Bis 2020wird die Methodik in den Unternehmen, das heißt in den Köpfenvieler Vertreterinnen und Vertreter der Bereiche Unternehmens-

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strategie, Forschung und Entwicklung, Marketing und Vertrieb an-gekommen sein. Das Bewusstsein für die Bedeutung von Dienstleis-tungen und insbesondere die Nutzereinbindung in der Entwicklungfür die erfolgreiche Umsetzung von Elektromobilität in der Breite istverinnerlicht worden. Zahlreiche weiße Flecken für innovative Elekt-romobilitätsdienstleistungen werden spätestens bis 2025 auf- undabgedeckt sein. Doch was passiert anschließend? Mit der Vision derElektromobilität 2030 kann auch eine Vision für eine idealtypischeElektromobilitätsdienstleistung gezeichnet werden, welche die Ver-breitung von Elektromobilität unterstützen soll: „Eine Dienstleis-tung, die im Elektromobilitätsumfeld erfolgreich ist, nutzt die Stär-ken dieser Technologie (z. B. TCO, emissionsfrei) und gleicht dieSchwächen aus (z. B. Reichweite, Ladezeiten). Sie erzeugt positiveEmotionen (z. B. Spaß, Zugehörigkeit) und kompensiert negative (z.B. Angst), beispielsweise durch Unterhaltung, soziales Miteinanderin Communitys (auch: Teilen), zwangloses Ausprobieren und spiele-rische Ansätze, aber auch Aufklärung durch Information und Sensi-bilisierung durch kommunikative Präsenz im öffentlichen Raum. Siesetzt am Mobilitätsbedürfnis der Menschen an, berücksichtigt dabeiaber auch andere Bedürfnisse wie sozialer Status, Sicherheit und –damit einhergehend – Gewohnheiten (z. B. Markenbindung). Siemacht Elektromobilität bequem, kostengünstig und jederzeit ver-fügbar. Zur Entwicklung und Gestaltung einer solchen Dienstleis-tung erfolgt eine genaue Nutzeranalyse, flankiert durch einen engenDialog mit den Zielgruppen. Um diesen effektiv zu gestalten, wer-den sowohl strukturierte (v. a. Daten-Logging) als auch unstruktu-rierte, spielerische Methoden (z. B. Kreativ-Workshops, SeriousGaming) eingesetzt. Bei der Kommunikation im Entwicklungskon-text wird konsequent auf Visualisierungen gesetzt (z. B. Heatmap,Prozessschaubilder, Animationen, 3D, Virtual Reality). Eine Dienst-leistung, die Innovation im Bereich Elektromobilität generiert, mussnicht „das Rad neu erfinden“, sondern kombiniert Angebote neuund fokussiert einzelne Geschäftsmodelldimensionen gezielt (z. B.Kooperationen, Preismodelle, Zielgruppen). Sie lenkt den Fokus weg

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von einzelnen Technologien (v. a. Ladeequipment, Fahrzeugmodel-le) hin zu einem kundenorientierten Mix. Das Angebot einer solchenDienstleistung ermöglicht die Einnahme einer Pionier- und Promo-torenrolle auf dem Markt, geht jedoch nicht von einer Revolutionaus, sondern von einer langfristigen systemischen Entwicklung, dieeine vorteilhafte Positionierung ermöglicht. Sie kombiniert Bewähr-tes mit Neuem und ermöglicht so einen evolutionären Übergang(Brückenfunktion). Die Stärke von Dienstleistungen liegt für dieElektromobilität darin, dass systemische Spannungen (z. B. Ange-bot-Nachfrage, technische Schwächen) gelöst werden können, wes-halb Dienstleistungen genau an dieser Schnittstelle gefragt sind.“(Lamberth-Cocca, Friedrich 2016, S. 116) Durch die systematische,nutzerintegrierte Entwicklung von Dienstleistungen für das Elekt-romobilitätssystem werden somit Bedarfe und Vorbehalte von Nut-zern regelmäßig und adäquat aufgefangen und mit einem entspre-chenden Angebot abgedeckt. Durch verstärkte Co-Designing-Aktivitäten mit Nutzern entstehen außerdem neue Dienstleistungs-ideen und durch den vermehrten Einsatz spielerischer Methodensowohl in der Entwicklung als auch Erbringung von Dienstleistungenwird die Bindung von Nutzern das Angebot bzw. den Anbieter ver-stärkt. Dienstleistungen selbst unterstützen dabei, die Potenzialevon Elektromobilität zu heben und Schwächen wie etwa Systembrü-che auszugleichen. Die Entwicklungen werden natürlich auch vonweiteren gesellschaftlichen Trends sowie von technischen Innovati-onen vorangetrieben. So wird mit einem schrittweisen und nahtlo-sen Übergang von Elektromobilität in die Mobilitätsgewohnheitenund schließlich mit einem Durchbruch der Elektromobilität mitselbstfahrenden Autos gerechnet (Lamberth-Cocca, Friedrich 2016,S. 115).

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Abbau kundenseitiger Barrieren gegen-über Elektromobilität durch das Angebotvon Zusatzdienstleistungen

Sabine Moser, Veronika Selzer

1. Problemstellung und Zielsetzung vonBeEmobil

Aufgrund der endlichen Verfügbarkeit fossiler Brennstoffe und derUmweltbelastungen, die durch die Nutzung solcher Brennstoffe imVerkehrssektor entstehen, suchen Forschung und Praxis bereits seiteiniger Zeit Alternativlösungen zu konventionellen Antrieben vonFahrzeugen durch die Erforschung und Entwicklung alternativerAntriebe (Gärling & Thøgersen, 2001; Hinz, Schlereth, & Zhou, 2015;Tran, Banister, Bishop, & McCulloch, 2013). Aktueller Fokus dieseralternativen Antriebsmöglichkeiten liegt auf der Erforschung undWeiterentwicklung von Elektromobilität (Brown, Pyke, & Steenhof,2010; Schuitema, Anable, Skippon, & Kinnear, 2013). Jedoch ist trotzder bereits großen Fortschritte in Bezug auf die Technik der neuenFahrzeuge keine allgemeingültige Akzeptanz in der Bevölkerung zuverspüren (Büschemann, 2016; Lieven, Mühlmeier, Henkel, & Wal-ler, 2011). Selbst staatliche Anreizsysteme sind gerade in Deutsch-land nicht so erfolgreich wie erhofft, um den Kauf und die Markt-durchdringung von Elektrofahrzeugen zu fördern (Büschemann,2016).Hauptproblem dieser fehlenden Akzeptanz der Elektrofahrzeugeauf Konsumentenseite stellen laut Egbue und Long (2012) und Lie-ven et al. (2011) vor allem die individuell wahrgenommenen Barrie-ren gegenüber diesen neuartigen und innovativen Fahrzeugen dar.In Summe bildet sich aus den wahrgenommenen Barrieren dann

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eine allgemeine Resistenz gegenüber Elektrofahrzeugen, die derAdoption durch einzelne Konsumenten und der Diffusion der Fahr-zeuge im Markt hinderlich ist (Egbue & Long, 2012; Hinz et al., 2015).Forschung im Bereich Innovationen hat hierbei gezeigt, dass vorallem fehlende Informationen über ein neuartiges Produkt dieseResistenz fördern, da das mangelnde Wissen Unsicherheiten ge-genüber der Innovation steigert (Heidenreich & Kraemer, 2016;Laukkanen, Sinkkonen, Kivijärvi, & Laukkanen, 2007; Ram, 1989;Ram & Sheth, 1989). Um demnach die Akzeptanz und Adoptionsrateeines innovativen Produkts wie einem Elektrofahrzeug zu erhöhen,ist es zunächst wichtig, die Barrieren gegenüber Elektrofahrzeugenzu klassifizieren, zu analysieren und in ihrer Wichtigkeit zu verglei-chen (Heidenreich & Kraemer, 2016). Diesen Prozess hat die bishe-rige Forschung in Bezug auf Elektrofahrzeuge noch nicht gänzlichdurchgeführt. Man spricht auch von einer Pro-Innovationsverzerrung in der Innovationsforschung: die Forschungbeschäftigt sich eher mit Gründen eine Innovation zu adoptieren alsdies nicht zu tun, da die grundsätzliche Prämisse zunächst vorsieht,dass alle Innovationen vorteilhaft für potenzielle Konsumenten sindund daher adoptiert werden sollten (Rogers, 2010). Erstes Ziel unse-res Forschungsvorhabens ist es daher, die genauen Barrieren, ausdenen sich die kundenseitige Resistenz gegenüber Elektrofahrzeu-gen zusammensetzt, zu klassifizieren und zu analysieren, um dieaktuelle Stimmungslage in der deutschen Bevölkerung zu erfassen.In einem zweiten Schritt scheint es logisch, dass die bestehendenBarrieren gegenüber Elektrofahrzeugen abgebaut werden sollten,um die Adoptionsrate dieser Fahrzeuge zu steigern. Auch Ram(1989) hat in Bezug auf Innovationen im Allgemeinen bereits ver-schiedene Strategien zum Abbau von Barrieren gegenüber Innova-tionen vorgeschlagen. Barrieren können laut Ram (1989) durch Pro-duktstrategien, Kommunikationsstrategien, Preisstrategien, Markt-strategien oder auch Bewältigungsstrategien abgebaut werden(Ram, 1989; Ram & Sheth, 1989). Vor allem Marktstrategien sind lautweiterführender Forschung ein vielversprechender Ansatz (Heiden-

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reich & Kraemer, 2016; Hinz et al., 2015; Ram, 1989; Ram & Sheth,1989). Hinz et al. (2015) spezifizieren diesen Ansatz in Hinblick aufElektrofahrzeuge und nennen explizit Zusatzdienstleistungen alsgeeignete Instrumente zum Abbau der Barrieren gegenüber Elekt-rofahrzeugen. Dennoch gibt es in der Forschung wenig weiterfüh-rende Ansätze, in welcher Art und Weise diese Zusatzdienstleistun-gen ausgestaltet werden könnten, um Barrieren effektiv abzubauenund die Adoption von Elektrofahrzeugen zu fördern. Zweites Zieldes Forschungsvorhabens BeEmobil ist es deshalb, geeignete Zu-satzdienstleistungen für Elektrofahrzeuge zu entwickeln, zu erpro-ben und zu evaluieren, um ihre Tauglichkeit im Hinblick auf denAbbau der zuvor identifizierten Barrieren zu erforschen. In diesemZuge kann Elektromobilität als Mobilität der Zukunft nachhaltigetabliert werden, indem marktfähige Zusatzdienstleistungen konzi-piert werden, die speziell auf den jeweiligen Erfahrungsstand einespotenziellen Kunden in Bezug auf Elektromobilität zugeschnittensind. Durch die individuell an den Wissensstand der Konsumentenangepassten Zusatzdienstleistungen sollte ein Abbau der Barrierenund somit der Resistenz, eine Steigerung der Adoptionsrate undschließlich eine breite Diffusion von Elektrofahrzeugen in Deutsch-land erleichtert werden.

2. Vorstudien und Praxistest

2.1 Qualitative und quantitative Vorstudien

Zur Beantwortung der beiden zentralen Forschungsfragen – derIdentifizierung bestehender Barrieren gegenüber Elektrofahrzeugenin der deutschen Bevölkerung und der Evaluation von möglichenZusatzdienstleistungen zum Abbau dieser Barrieren – wurden imRahmen von BeEmobil zunächst zwei Vorstudien durchgeführt. Dieerste Vorstudie war qualitativer Natur und umfasste Tiefeninter-views mit Teilnehmern früherer Elektromobilitätsprojekte zu ihrer

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Meinung hinsichtlich Barrieren und ihrer Einschätzung verschiede-ner vorstellbarer Zusatzdienstleistungen. Bei der zweiten Vorstudiehandelte es sich um eine großangelegte Online-Befragung, in derdas Stimmungsbild beispielhaft für die deutsche Bevölkerung abge-fragt werden sollte. Beide Vorstudien dienten dem Zweck zunächstdie erste Forschungsfrage – Klassifizierung und Analyse bestehen-der Barrieren gegenüber Elektrofahrzeugen – zu beantworten undin einem zweiten Schritt erste Hinweise auf marktfähige Zusatz-dienstleistungen zu erhalten.Um zunächst eine Struktur für beide Vorstudien zu finden, wurdeein Schema zur Einteilung der Barrieren in der Literatur gesucht.Hierbei stellt das für die beiden Vorstudien geeignetste Schema, dieUnterteilung von Wiedmann, Hennigs, Pankalla, Kassubek, and See-gebarth (2011) dar, das sich an vorherige Studien von Jacoby undKaplan (1972) und Stone und Grønhaug (1993) anlehnt und somiteine Weiterentwicklung der ursprünglichen Barriereneinteilung vonRoselius (1971) verkörpert. Das Schema ist vor allem deshalb sogeeignet, da Wiedmann et al. (2011) die Einteilung der Barrierenbereits im Kontext einer Studie über alternative Fahrzeugantriebe(Wasserstofffahrzeuge) genutzt haben und damit erfolgreich waren.Eine Übertragbarkeit scheint somit gegeben zu sein. Wiedmann etal. (2011) nehmen hierbei eine Unterteilung in (a) finanzielle Barrie-ren, (b) technologische Barrieren, (c) infrastrukturelle Barrieren, (d)physische Barrieren, (e) zeitliche Barrieren, (f) soziale Barrieren und(g) psychologische Barrieren vor. Weiterhin argumentieren sie, dassdiese sieben Barrieren die Wahrnehmung eines allgemeinen Ge-samtrisikos gegenüber dem Fahrzeug beeinflussen.Zusätzlich wurde in der Literatur nach möglichen effektiven Betrei-berkonzepten gesucht, die zum Abbau der Barrieren dienen könn-ten. Hierbei wurde speziell darauf geachtet, individuell auf den Wis-sensstand der Konsumenten, der die Resistenz gegenüber demProdukt verursacht, zugeschnittene Zusatzdienstleistungen zu iden-tifizieren. In diesem Bezug scheint es sinnvoll für weniger weit fort-geschrittene Konsumenten Zusatzdienstleistungen zu konzipieren,

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die bereits vor dem Kauf des Produkts wahrgenommen werdenkönnen. Auf diese Weise hat eine Übertragung des Eigentums desProdukts noch nicht stattgefunden und die Risiken des Eigentumsdes Produktes liegen noch nicht beim Konsumenten (Lovelock &Gummesson, 2004). Diese Tatsache sollte Konsumenten mit einemniedrigen Wissensstand und demnach tendenziell höheren Barrie-ren helfen, das Produkt durch die Zusatzdienstleistung zu nutzenund auf diese Weise die vorhandenen Barrieren abzubauen (Rogers,2010). Auf der anderen Seite scheint es für weiter im Adoptionspro-zess fortgeschrittene Konsumenten (zum Beispiel Personen, die dasProdukt schon getestet haben) sinnvoll, Zusatzdienstleistungenanzubieten, die nach dem Kauf eines Fahrzeugs einen Zusatznutzenbei der Nutzung des Fahrzeugs bereitstellen (Mathieu, 2001).Auf der Basis dieser Annahmen wurde für die qualitative Vorstudieein Interviewleitfaden konzipiert, um zu erheben, wie sich die ver-schiedenen Bedenken bei den Konsumenten äußern und wie starksie im Einzelnen bewertet werden. Zudem wurden zwei Zusatz-dienstleistungen konzipiert, die potenziell vor dem Kauf eines Elekt-rofahrzeugs angeboten werden könnten. Dies war zum einen eineintägiges Fahrertraining, das den Nutzern zum erstmaligen Ken-nenlernen des Fahrzeugs dienen sollte, und zum anderen ein ein-monatiges Leasingprogramm, das einem Nutzer ermöglichen wür-de, das Fahrzeug unverbindlich für einen Monat im Alltag zu testen.Zudem wurden zwei Zusatzdienstleistungen erdacht, die nach demKauf angeboten werden könnten. Hier wurde zum einen an ein in-novatives Infotainmentsystem (ähnlich einem Bordcomputer) ge-dacht. Durch die Nutzung eines solchen Systems sollte der Nutzerdie Möglichkeit haben, auf einfache Art und Weise Routen zu pla-nen, die Reichweite einzuschätzen und Ladestationen zu finden.Zum anderen wurde ein E-Credit-Programm (ähnlich einem Kun-denbonusprogramm) konzipiert, mit dem der Nutzer eines Elektro-fahrzeugs Punkte, beispielsweise durch das Laden des Fahrzeugs,sammeln und diese dann für Dienste am Elektrofahrzeug nutzenkönnte (zum Beispiel kostenloses Laden oder Parken). Diese Zu-

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satzdienstleistungen wurden in den Tiefeninterviews vorgestellt undsollten dann von den Teilnehmern evaluiert werden. Um eine mög-lichst kompetente Meinung und valide Ergebnisse durch die Inter-views zu erlangen, wurden acht Teilnehmer aus vorherigen sechs-monatigen Elektromobilitätsstudien akquiriert. Bei diesen Proban-den konnte man davon ausgehen, dass bereits genug Wissen vor-handen war, um die Barrieren und die Zusatzdienstleistungen reali-tätsgetreu einzuschätzen. Die Interviews sollten vor allem dazu die-nen, erste Erkenntnisse über die Wichtigkeit der Barrieren und dieRealisierbarkeit der Zusatzdienstleistungen zu erlangen, bevor diesein einem größeren Probandenkreis getestet wurden.Zunächst wurden die Probanden in den Interviews danach befragt,welche Barrieren sie vor der Nutzung ihres Elektrofahrzeugs gegen-über Elektrofahrzeugen gehabt haben. Die Auswertung der Inter-views ergab, dass in Bezug auf die Reichweite und die Kapazitäteines Elektrofahrzeugs die technologischen Barrieren (22 Nennun-gen) vor der Nutzung am stärksten ausgeprägt waren. Es wurdenzudem Bedenken geäußert, dass mit abfallender Außentemperatur(zum Beispiel im Winterbetrieb), die Batterieleistung drastisch ab-nimmt (technologische Barriere). Anschaffungskosten (finanzielleBarriere, 4 Nennungen), Fahrspaß (psychologische Barriere, 2 Nen-nungen) und Geräuschlosigkeit des Fahrzeugs (physische Barriere, 2Nennungen) sind weitere Vorbehalte, die die Probanden vor derNutzung ihres Elektrofahrzeugs hatten. Auch nach der sechsmona-tigen Nutzung eines Elektrofahrzeugs überwogen weiterhin dietechnologischen Barrieren (17 Nennungen). Die Reichweite der Bat-terie und der Einfluss der Wetterverhältnisse und der Ausstattungs-elemente auf die Batterieleistung waren Bedenken, die auch nachder Nutzung des Elektrofahrzeugs weiterhin Bestand hatten. Dieursprünglichen Vorbehalte gegenüber der Fahrleistung (technologi-sche Barriere, 8 Nennungen) konnten durch die Nutzung des Elekt-rofahrzeugs jedoch vollständig abgebaut werden. In diesem Zu-sammenhang wurde auch der Fahrspaß (psychologische Barriere,15 Nennungen) nach der Nutzung des Elektrofahrzeugs als äußerst

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positiv bewertet. Planungsunsicherheit, Flexibilität und Alltagstaug-lichkeit (psychologische Barrieren, 6 Nennungen) sind hingegenBedenken, die auch noch nach der Nutzung geäußert wurden.Ebenso die Anschaffungskosten (finanzielle Barriere, 5 Nennungen),die Ladedauer und Zeit für die Fahrtenplanung (zeitliche Barrieren,3 Nennungen), die Geräuschlosigkeit des Fahrzeugs als Gefahr fürandere Verkehrsteilnehmer (physische Barriere, 3 Nennungen),sowie die öffentliche und private Ladeinfrastruktur (infrastrukturelleBarriere, 2 Nennungen) wurden zumindest von einem Teil der Pro-banden auch nach der Nutzung weiterhin als bedenklich bewertet.Die Evaluation der vier Zusatzdienstleistungen in einem zweitenSchritt zeigte ein deutliches Ergebnis: Während das Kurzzeitleasing-programm (16 Nennungen), das Fahrertraining (10 Nennungen) unddas Infotainmentsystem (9 Nennungen) als sehr positiv bewertetwurden, empfanden die Probanden das E-Credit-System als wenigernützlich (8 Nennungen) und äußerten zudem diesbezüglich Daten-schutzbedenken. Die Probanden waren der Meinung, dass einFahrertraining mögliche technologische Barrieren (7 Nennungen) inBezug auf Leistung und Bedienung des Fahrzeugs abbauen könnte.Auch bewerteten die Probanden das Fahrtraining als hilfreich, umpsychologische Barrieren (3 Nennungen) wie Stress bei der Nutzungund fehlendes Fahrgefühl abzubauen. Das Kurzzeitleasingpro-gramm wurde als besonders geeignet angesehen, um technologi-sche Barrieren (3 Nennungen) wie Reichweite und Umgang mit demFahrzeug abzubauen. Die Möglichkeit, das Fahrzeug im Rahmeneines Kurzzeitleasingprogramms im Alltag auszuprobieren und sei-ne Tauglichkeit zu testen, bewerteten die Befragten als äußerst po-sitiv. Auch mögliche Bedenken bezüglich der Anschaffungskosten(finanzielle Barriere, 2 Nennungen) lassen sich nach Einschätzungder Probanden durch die Nutzung eines Kurzzeitleasingprogrammsabbauen. Weiterhin schätzten die Probanden das Infotainmentsys-tem als nützlich ein, um Bedenken bezüglich der Reichweite (tech-nologische Barriere, 5 Nennungen) und der öffentlichen Ladeinfra-struktur (infrastrukturelle Barriere, 6 Nennungen) abzubauen. Fer-

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ner bewerteten die Teilnehmer diese Dienstleistung als effektiv, umBedenken, die aufgrund von Stress bei der Fahrzeugnutzung (psy-chologische Barriere, 3 Nennungen) entstehen, abzubauen. Im Kon-trast dazu ist hervorzuheben, dass keiner der Probanden überzeugtwar, dass das E-Credit-Programm mögliche Barrieren abbauenkönnte („Es könnte lediglich helfen, die Akzeptanz [von Elektrofahr-zeugen] in der Gesellschaft zu erhöhen.“).Auf Basis der Ergebnisse der Tiefeninterviews wurde anschließenddie zweite Vorstudie als quantitative Online-Befragung entwickelt.Ziel dieser Befragung war es, die kundenseitigen Barrieren in derdeutschen Bevölkerung gegenüber Elektrofahrzeugen zu evaluierenund den möglichen Abbau dieser Barrieren durch das Angebot vonZusatzdienstleistungen zu analysieren. Befragt wurden hierbei 501Probanden deren Merkmale repräsentativ für die deutsche Bevöl-kerung hinsichtlich Alter, Geschlecht und Wohnort waren. Zudemwaren alle Probanden 18 Jahre oder älter und in Besitz eines gülti-gen Führerscheins. Zur Bewertung der vier bereits vorgestelltenZusatzdienstleistungen wurden die Probanden zunächst zu ihrenwahrgenommenen Barrieren befragt. Danach wurden die Proban-den zufällig in vier Gruppen unterteilt und bekamen je eine Zusatz-dienstleistung vorgestellt. Im Anschluss daran wurden sie zu ihrerMeinung hinsichtlich der spezifischen Zusatzdienstleistung befragtund sollten unter Voraussetzung, dass die betreffende Zusatz-dienstleistung angeboten würde, angeben, wie ihre Barrieren imHinblick auf Elektrofahrzeuge nun ausfallen würden. Auf diese Wei-se sollte evaluiert werden, welche der Zusatzdienstleistungen amvielversprechendsten für die Umsetzung in einem Praxistest wäre.Alle Fragen der Umfrage wurden hierbei auf 7er-Skalen abgefragt,um ein möglichst ausdifferenziertes Ergebnis zu erhalten.Hinsichtlich der Barrieren ist zum aktuellen Stand in der deutschenBevölkerung zu sagen, dass die allgemeinen Bedenken hinsichtlichdes Kaufs eines Elektrofahrzeugs in einem mittleren Bereich liegen(M = 3.61). Allerdings liegt auch die Kaufwahrscheinlichkeit nur ineinem mittleren Bereich (M = 3.04). In Bezug auf die einzelnen Bar-

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rieren sehen die Probanden vor allem Bedenken in der Infrastruktur(M = 5.39), der finanziellen Belastung (M = 4.42) und der Technolo-gie der Fahrzeuge (M = 4.19). Zeitliche Barrieren (M = 3.06), psycho-logische Barrieren (M = 2.59), physische Barrieren (M = 2.39) undsoziale Barrieren (M = 2.02) sind deutlich niedriger ausgeprägt. Wei-terhin ergab die Analyse, dass, wie in der Literatur angenommen,die Wahrnehmung der einzelnen Barrieren das wahrgenommeneGesamtrisiko bedingt. Den Ergebnissen einer Regression zufolge,bestimmen vor allem finanzielle (β = .20, p < .001), technologische (β= .23, p < .001), infrastrukturelle (β = .13, p < .001), zeitliche (β = .20,p < .001) und psychologische (β = .21, p < .001) Barrieren die Ge-samtwahrnehmung bezüglich des Risikos gegenüber Elektrofahr-zeugen. Keinen signifikanten Einfluss haben hingegen physische (β= .03, p = .31) und soziale Barrieren (β = .02, p = .65). Weiterhinergab die Analyse der Daten, dass das wahrgenommene Gesamtri-siko die Kaufwahrscheinlichkeit eines Elektrofahrzeugs signifikantsenkt (β = -.23, p < .001). Dies führt wiederum zu der Annahme, dassdie wahrgenommenen Barrieren gegenüber Elektrofahrzeugen un-bedingt gesenkt werden müssen, um eine Verbreitung von Elektro-fahrzeugen in der deutschen Bevölkerung auf lange Sicht zu garan-tieren. Die analysierten Zusatzdienstleistungen sollen genau diesemZweck dienen. An dieser Stelle gilt es, den Ergebnissen der Analyseder Barrieren folgend Zusatzdienstleistungen zu identifizieren, dievor allem finanzielle, technologische und infrastrukturelle Barrierenbei potenziellen Kunden senken können.Um auszumachen, welche der konzipierten Zusatzdienstleistungenam effektivsten hinsichtlich dem Abbau der Barrieren ist, wurde dieVeränderung in der Wahrnehmung der Barrieren in einem zweitenSchritt nach Vorstellung der jeweiligen Zusatzdienstleistung getes-tet. Im Hinblick auf die beiden Zusatzdienstleistungen, die vor demKauf eines Elektrofahrzeugs genutzt werden können, zeigen dieErgebnisse, dass vor allem das einmonatige Kurzzeitleasingpro-gramm sehr positiv von den Probanden aufgenommen wird (n =126). Hier können fast alle Barrierearten signifikant gesenkt werden

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(finanzielle (t = 4.28, p < .001), technologische (t = 4.03, p < .001),infrastrukturelle (t = 2.89, p < .01), zeitliche Barrieren (t = 2.03, p =.04) und wahrgenommenes Gesamtrisiko (t = 3.36, p < .001)). Zu-dem konnte die Kaufwahrscheinlichkeit signifikant gesteigert wer-den (t = -2.68, p < .01). Ausschließlich die physischen (t = -0.73, p =.47), sozialen (t = 1.14, p = .26) und psychologischen Barrieren (t =0.42, p = .68) konnten nicht signifikant verändert werden. Das könn-te allerdings auch an den allgemein niedrigen Ausgangswerten die-ser drei Barrieren liegen.Die andere vor dem Kauf nutzbare Zusatzdienstleistung, das Fahrer-training, wurde teilweise auch positiv bewertet, wenn auch verhält-nismäßig schlechter als das Kurzzeitleasingprogramm (n = 124).Hier konnten die technologische (t = 4.02, p < .001) und die infra-strukturelle Barriere (t = 3.74, p < .001) signifikant gesenkt und auchdie Kaufwahrscheinlichkeit (t = -2.67, p < .01) signifikant gesteigertwerden. Jedoch trägt das Fahrertraining nicht dazu bei, die Wahr-nehmung des Gesamtrisikos gegenüber der Innovation signifikantzu senken (t = 0.40, p = .69). Gepaart mit den Ergebnissen aus denvorab durchgeführten Tiefeninterviews lässt sich das so erklären,dass das Fahrertraining als zu kurz empfunden wird, um tieferge-hende Bedenken, wie beispielsweise Stress bei der Nutzung desFahrzeugs, zu beseitigen. In diesem Sinne lässt sich feststellen, dassbezüglich der vor dem Kauf nutzbaren Zusatzdienstleistungen daseinmonatige Kurzzeitleasingprogramm für einen Praxistest sinnvol-ler und vielversprechender erscheint.In Bezug auf die beiden Zusatzdienstleistungen, die nach Kauf einesElektrofahrzeugs nutzbar wären, waren die Ergebnisse der Analyseweniger positiv. Jede der getesteten Zusatzdienstleistungen war inder Lage einige der Barrieren signifikant zu senken und andere wie-derum nicht. Genauer bedeutet das, dass das Infotainmentsystem(n = 130) zu einer signifikanten Senkung von finanziellen (t = 2.53, p= .01), technologischen (t = 3.34, p < .001), infrastrukturellen Barrie-ren (t = 5.63, p < .001) und dem wahrgenommenen Gesamtrisiko (t= 2.36, p = .02) führte. Das E-Credit-Programm (n = 121) konnte wie-

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derum finanzielle (t = 3.32, p < .001), technologische (t = 2.27, p =.03) und infrastrukturelle Barrieren (t = 3.18, p < .01) signifikant sen-ken, bewirkte aber keine signifikante Veränderung des wahrge-nommenen Gesamtrisikos (t = -0.65, p = .52). Zudem waren wederdas Infotainmentsystem (t = -1.36, p = .18) noch das E-Credit-Programm (t = -0.40, p = .69) in der Lage die Kaufwahrscheinlichkeitder Probanden signifikant zu steigern.Wie bereits erwähnt, hängt die Wahrnehmung des Risikos gegen-über einem Produkt auch vom Wissensstand des Konsumenten ab(Lakshmanan & Krishnan, 2011). Je mehr der Konsument über dasProdukt weiß, desto geringer auch das wahrgenommene Risiko.Unterscheiden kann man hierbei in die Adoptionsstufen (Wissens-stufen) (a) kein vorhandenes Wissen beim Konsumenten, (b) derKonsument hat bereits Informationen zum Produkt eingeholt, (c)der Konsument hat das Produkt bereits getestet und (d) der Kon-sument ist bereits Eigentümer dieses Produkts (Mittelstaedt, Gross-bart, Curtis, & DeVere, 1976). In Bezug auf diese Adoptionsstufenzeigt sich, dass die Probanden unserer Stichprobe zu einem großenTeil in Stufe 1 (n = 145, 29%) und in Stufe 2 (n = 267, 53%) sind. Le-diglich 70 Probanden haben schon einmal ein Elektrofahrzeug ge-testet (14%) und nur 19 besitzen tatsächlich ein Elektrofahrzeug(4%). Somit ist davon auszugehen, dass ein Großteil der deutschenBevölkerung ähnlich zu unserer Stichprobe (82%) noch nie ein Elekt-rofahrzeug getestet hat und der Wissensstand insgesamt somit sehrniedrig ist. Unsere Daten bestätigen zudem die Annahme, dass die-ses Wissen wichtig in Bezug auf die Risikowahrnehmung ist. Dassubjektive Wissen der Probanden (r (501) = -.24, p < .001) und dieAdoptionsstufe der Probanden (r(501) = -.18, p < .001) hängen signi-fikant negativ mit dem wahrgenommenen Gesamtrisiko zusammen.Wichtig scheint demnach beim Abbau der Barrieren gegenüberElektrofahrzeugen, dass die gewählte Zusatzdienstleistung auf deneher niedrigen Wissensstand in der deutschen Bevölkerung ange-passt ist.

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Basierend auf diesen Erkenntnissen kann man annehmen, dassZusatzdienstleistungen, welche bereits Konsumenten mit einemgeringen Wissenstand und somit auch höheren wahrgenommenenRisiken ansprechen, besser zum Abbau der kundenseitigen Barrie-ren geeignet sind, als Dienstleistungen, die von einem höheren Wis-sensstand des Konsumenten ausgehen. Um ebendiese Annahme zutesten, wurden die vier getesteten Zusatzdienstleistungen zweiÜbergruppen zugeteilt. Die eine Gruppe bestand aus den beidenZusatzdienstleistungen, die vor dem Kauf eines Elektrofahrzeugsnutzbar sind, deshalb weniger Risiko für den Konsumenten implizie-ren und somit Konsumenten mit einem geringeren Wissensstandansprechen sollten (Fahrertraining und Kurzzeitleasing). Die andereGruppe umfasste die beiden Zusatzdienstleistungen, die erst nachdem Kauf eines Elektrofahrzeugs nutzbar sind (Infotainmentsystemund E-Credit-Programm). Hier ist davon auszugehen, dass das hö-here Risiko, dass durch die Nutzung der Zusatzdienstleistung undden dadurch implizierten Kauf eines Elektrofahrzeugs entsteht, eherKonsumenten mit einem höheren Wissensstand anspricht.Wie durch die Charakterisierung der Stichprobe mit vielen Proban-den in niedrigen Adoptionsstufen erwartet, zeigen die Ergebnisseder Datenanalyse, dass Zusatzdienstleistungen, die vor dem Kaufeines Elektrofahrzeugs nutzbar sind, bei bestehenden Barrierenund Wissensstand der Probanden besser dazu geeignet sind, wahr-genommene Barrieren gegenüber Elektrofahrzeugen abzubauen alsZusatzdienstleistung, die erst nach dem Kauf des Produkts nutzbarsind. Insbesondere die Kaufwahrscheinlichkeit kann bei unerfahre-nen Probanden durch das Angebot einer Vorkauf-Zusatzdienstleitung signifikant gesteigert werden (t = -2.26, p = .02).Zusammengefasst zeigen beide Vorstudien deutlich, dass Zusatz-dienstleistungen eine geeignete Strategie zur Reduktion der wahr-genommenen Barrieren gegenüber Elektrofahrzeugen und zur Stei-gerung der Kaufwahrscheinlichkeit dieser Fahrzeuge darstellen. Einweiteres wichtiges Ergebnis ist, dass Vorkauf-Zusatzdienstleistungen dem aktuellen Wissensstand nach die ge-

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eigneteren Zusatzdienstleistungen zu sein scheinen, um potenzielleKunden zum Kauf anzuregen. Von diesen beiden Zusatzdienstleis-tungen scheint wiederum das einmonatige Kurzzeitleasingpro-gramm das effektivere Mittel zum Barrierenabbau zu sein. In die-sem Sinne wurde diese Zusatzdienstleistung für einen Praxistestausgewählt und im weiteren Verlauf des Projekts evaluiert.

2.2 Praxistest

Bezüglich der praktischen Umsetzung eines Kurzzeitleasingpro-gramms wurde in Zusammenarbeit mit einem deutschen Automo-bilhersteller ein einmonatiges Kurzzeitleasingprogramm für einElektrofahrzeug konzipiert, das es Interessierten und potenziellenKäufern ermöglichen sollte, ein Elektrofahrzeug für einen Monatunverbindlich zu testen. Im Zuge dessen wurde eine zugehörigePotenzialanalyse mittels einer Online-Befragung erstellt, die zurEvaluation des konzipierten Programms dienen sollte. Zu diesemZweck wurden die Nutzer des Kurzzeitleasingprogramms nach dereinmonatigen Testphase per E-Mail kontaktiert und um die Teil-nahme an der Onlinebefragung gebeten. Inhalt der Befragung wa-ren wie in der Vorstudie die wahrgenommenen Barrieren in Bezugauf Elektrofahrzeuge, die Kaufwahrscheinlichkeit und die Zufrie-denheit mit dem Angebot.Die vorliegenden Ergebnisse dieser Evaluation lassen darauf schlie-ßen, dass wahrgenommene Barrieren gegenüber Elektrofahrzeugendurch die einmonatige Testphase eines solchen Fahrzeugs abge-baut werden können. Erstes Indiz hierfür ist die hohe Kaufwahr-scheinlichkeit eines Elektrofahrzeugs nach der Testphase (M = 5.33).Die Kaufwahrscheinlichkeit liegt demnach deutlich höher als bei denProbanden der quantitativen Vorstudie (M = 3.04). Die Probandenschätzen zudem die Steigerung der Kaufwahrscheinlichkeit einesElektrofahrzeugs durch die Nutzung des Angebots als gegeben ein(M = 4.38). Die Zufriedenheit mit dem Angebot (M = 5.73) und demFahrzeug (M = 5.67) geben weitere Hinweise auf die Effektivität der

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Zusatzdienstleistung. Hinsichtlich der Barrieren lässt sich sagen,dass diese sich im Vergleich zur Vorstudie verändert haben. Daswahrgenommene Gesamtrisiko ist im Vergleich gesunken (M = 3.07im Vergleich zu M = 3.61). Auch das lässt auf eine geringere Risiko-wahrnehmung und somit einen positiven Effekt durch das Kurzzeit-leasingprogramm schließen. Weiterhin scheint das Hauptbedenkender Probanden nun finanzieller Natur zu sein (M = 5.73), gefolgt voninfrastrukturellen (M = 4.87), zeitlichen (M = 3.27), technologischen(M = 2.67), psychologischen (M = 1.67), physischen und sozialenBarrieren (beides M = 1.20). Auch hier lässt sich festhalten, dass diemeisten Barrieren im Vergleich zur quantitativen Vorstudie als nied-riger wahrgenommen werden. Ausschließlich die finanziellen Barri-eren sind merklich angestiegen, was aber auch dadurch erklärtwerden kann, dass sich die Probanden des Kurzzeitleasingpro-gramms aktiv mit dem Kauf eines Elektrofahrzeugs auseinanderset-zen und deshalb stärkere Bedenken in diese Richtung entwickeln alsrein hypothetische Käufer. Ferner ergab die Studie, dass die Pro-banden den Abbau ihrer Bedenken durch die Nutzung der Zusatz-dienstleistung zumindest auf einem mittleren Niveau sehen (M =3.93), was die Annahme der Effektivität dieses Programms weiterunterstützt.Zusammenfassend ergaben die beiden Vorstudien und der Praxis-test, dass Zusatzdienstleistungen eine effektive Strategie sind, umkundenseitige Barriere gegenüber Elektromobilität zu reduzieren.Auch die Kaufwahrscheinlichkeit von Elektrofahrzeugen kann durchdas Angebot solcher Zusatzdienstleistungen gesteigert werden. Beider Entwicklung solcher Zusatzdienstleistungen sollte darauf geach-tet werden, dass bei Innovationen, die sich unter anderem durchfehlendes Vorwissen auf Konsumentenseite auszeichnen (Lak-shmanan & Krishnan, 2011), insbesondere Zusatzdienstleistungenvor dem eigentlichen Produktkauf, welche auf das geringe verfüg-bare Wissen des potenziellen Kunden abgestimmt sind, eine effekti-ve Strategie zum Abbau kundenseitiger Barrieren sind.

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3. Auswirkung des Forschungsvorhabensauf das Jahr 2030 im Rahmen eines Zu-kunftsszenarios

Steigende Treibhausgasemissionen und die Knappheit von fossilenBrennstoffen machen ein Umdenken im Individualverkehr unum-gänglich (Gärling & Thøgersen, 2001; Hinz et al., 2015; Tran et al.,2013). Obgleich Politik, Forschung und Industrie bereits zahlreicheAnstrengungen unternehmen, um die Diffusion der umweltfreund-lichen und ressourcenschonenden Antriebstechnologie Elektromo-bilität zu fördern, müssen weitere Strategien zur erfolgreichen Ver-marktung von Elektrofahrzeugen erdacht werden, damit Elektro-mobilität keine Nischentechnologie bleibt (Büschemann, 2016; Lie-ven et al., 2011). Vor allem der Misserfolg staatlicher Anreizsystemezur Steigerung der Verkaufszahlen von Elektrofahrzeugen inDeutschland deutet auf eine Implementierung von Vermarktungs-strategien direkt am Punkt des Produktverkaufs – der Industrie (Bü-schemann, 2016).An diesem Punkt setzt das Projekt BeEmobil an. Innovationen stel-len durch ihre Unbekanntheit und demnach fehlendes Wissen aufKonsumentenseite ein erhebliches Risiko für potenzielle Kundendar. Dieser Wissensstand ist trotz aller Bemühungen von Seiten derPolitik, Forschung und Industrie noch auf einem niedrigen Niveau inder deutschen Bevölkerung. Die meisten Konsumenten scheinen,wenn überhaupt, nur abstrakte Informationen zu Elektrofahrzeugenbekommen zu haben. Das Produkt getestet haben bisher die we-nigsten. Aus diesem Grund scheinen auch noch erhebliche Barrie-ren bei den meisten Konsumenten vorhanden zu sein, die techno-logische und infrastrukturelle Gegebenheiten von Elektrofahrzeu-gen durch ihre fehlende Erfahrung als große Risiken wahrnehmen.Ansatzpunkt muss also sein, diesen unerfahrenen und unsicherenKonsumenten risikoarme Möglichkeiten zu bieten, das neue undunbekannte Produkt Elektrofahrzeug unverbindlich kennenzuler-nen, um sich so grundlegende Informationen aus erster Hand ein-

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zuholen und mögliche Barrieren, die vor dem Kauf eines solchenFahrzeugs stehen, abzubauen.Mögliche Ansätze für ein solches unverbindliches Kennenlernenstellen Zusatzdienstleistungen, wie Fahrertrainings und Kurzzeitlea-singprogramme dar. Bis zum Jahre 2030 sollten zahlreiche Automo-bilhersteller Fahrertrainings und Kurzzeitleasingprogramme einfüh-ren, um auf diese Weise möglichst vielen Menschen eine risikoarmeMöglichkeit des Kennenlernens von Elektrofahrzeugen anzubieten.Eine solche Testmöglichkeit von Elektrofahrzeugen kann Anfangs-barrieren gegenüber dem unbekannten Produkt senken und somitdie Akzeptanz für die Innovation und die Diffusion der umwelt-freundlichen Antriebstechnologie steigern.Aber auch Carsharing-Systeme stellen eine gute Möglichkeit für einsolches unverbindliches Kennenlernen dar. Durch das Einbindenvon Elektrofahrzeugen in bestehende Carsharing-Systeme wirdKonsumenten eine weitere Möglichkeit geboten, solche Fahrzeugeohne Eigentums- und somit Risikoübergang zu testen und kennen-zulernen. Weiterhin würden die in Ballungsräumen und Stadtzen-tren angesiedelten Carsharing-Systeme dazu beitragen, die Sicht-barkeit von Elektrofahrzeugen in diesen Räumen zu steigern, um sodas Bewusstsein der Bevölkerung für die alternative Antriebstech-nologie Elektromobilität zu erhöhen.Zusammenfassend sollten die hier dargestellten und teils im Praxis-test evaluierten Strategien, die Akzeptanz und Verbreitung vonElektrofahrzeugen vorantreiben. Auch wenn das Ziel der Bundesre-gierung von einer Million Elektrofahrzeugen auf den Straßen bis2020 scheinbar nicht mehr zu realisieren ist, sind diese Strategiendoch ein guter Ansatz, um das Ziel zumindest in fernerer Zukunft zuerreichen. In Kombination mit der in Forschung und Industrie ver-folgten Produktentwicklung und -verbesserung von Elektrofahrzeu-gen, können die noch bestehenden Anfangsbarrieren der Konsu-menten gegenüber Elektrofahrzeugen gesenkt werden und in einKonzept für die urbane Mobilität der Zukunft integriert werden.

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Mobilitätsberatung zu multimodalenVerkehrsangeboten im Kontext derElektromobilität – Spannungsfelder derorganisationalen und gesellschaftlichenGestaltung

Michel Michiels-Corsten, Clarissa Schmitz

Dieser Beitrag setzt sich auf der Grundlage der Erfahrungen und Er-kenntnisse aus dem Projekt „ProMobiE – Professionelle Mobilitätsbe-ratung für multimodale Verkehrsangebote im Kontext der Elektro-mobilität“ mit der Frage auseinander, welche Rolle eine professionel-le Mobilitätsberatung4 im Szenario der Elektromobilität 2030 spielenkann. Dabei soll aufgezeigt werden, welche Spannungsfelder hierbeibestehen und welche Rahmenbedingungen geschaffen werden müs-sen, um die Institutionalisierung und Professionalisierung der Mobili-tätsberatung zu fördern. Zunächst wird hierfür in den Problemzu-sammenhang eingeführt (Abschnitt 1). Im Anschluss daran werdendas hieraus hervorgehende Projekt ProMobiE sowie ausgewählteErgebnisse vorgestellt (Abschnitt 2). In einem Szenario zur Mobilitäts-beratung 2030 werden Analysen und Konzepte des Projekts gebün-delt und prospektiv formuliert (Abschnitt 3). Vor diesem Hintergrundwerden anschließend aktuelle und zukünftige Herausforderungensowie die notwendigen Rahmenbedingungen, die zum Gelingen derMobilitätsberatung als ein Konzept zur Durchsetzung der Elektromo-

4 Im Folgenden wird zugunsten einer besseren Lesbarkeit vornehmlich nur„Mobilitätsberatung“ geschrieben. Gemeint ist hiermit das in ProMobiEfokussierte Konzept einer Beratung zu multimodalen Verkehrskonzeptenim Kontext der Elektromobilität. Sofern im Artikel von diesem Verständnisabgewichen wird, ist dies entsprechend gekennzeichnet.

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bilität beitragen können, aufgezeigt (Abschnitt 4). Ein Fazit dieser Aus-führungen wird abschließend einen Ausblick auf die zentralen Ar-beitsfelder einer gesellschaftlichen Organisation von Mobilitätsbera-tung liefern (Abschnitt 5).

1. Mobilitätsberatung – Ein Handlungsfeldvon öffentlichem Interesse?!

Der Beratungsmarkt boomt! Die Pluralisierung und Individualisie-rung des gesellschaftlichen Lebens führen zu einer fast unüberseh-baren Vielfalt an Angeboten und Möglichkeiten, von welcher mitt-lerweile kaum ein Lebensbereich ausgenommen ist. So verwundertes nicht, dass mit der Zunahme an Komplexität auch eine Ausdiffe-renzierung verschiedenster Beratungsdienstleistungen einhergeht.Längst ist Beratung als „Hilfe- und Unterstützungsform“ nicht mehrnur auf klassische Handlungsfelder wie Psychotherapie, Erziehungoder Sozialarbeit beschränkt, sondern hält als „Querschnittsmetho-de“ auch Einzug in verschiedene Wirtschaftskontexte (vgl. En-gel/Nestmann/Sickendiek 2007, S. 34). Formate wie Karrierebera-tung, Unternehmensberatung, Coaching oder IT-Beratung sind mitt-lerweile als eigenständige Dienstleistungen am Markt etabliert undversprechen ihren Adressaten, bei zentralen Problemen Abhilfe zuschaffen. Doch mit dieser Diversifizierung an Beratungsangebotenist auch eine Vielzahl an Herausforderungen verbunden. Mit ihrgehen Anforderungen der Profilbildung, der Institutionalisierung,der Professionalisierung und der Finanzierung einher, die bewältigtwerden müssen. Weiterhin sind hiermit Fragen zur gesellschaftli-chen Organisation dieser Handlungsfelder verbunden: Wer kann,darf und soll am Markt diese oder jene Form der Beratung ausü-ben? Welche (Qualitäts-)Standards für Beratung werden formuliert?Inwiefern werden die Anbieter von Beratung durch ihre Umwelt,also durch Adressatengruppen aber auch durch öffentliche undrechtliche Institutionen, zu ihrer Tätigkeit legitimiert? Beratung, ob

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im medizinischen, sozialen oder wirtschaftlichen Kontext, ist einesehr vertrauensvolle Angelegenheit, die sich mit solchen Fragenauseinandersetzen muss. Gleiches gilt somit auch für die Mobili-tätsberatung, welche sich nach und nach als eigenständiges Hand-lungsfeld zu etablieren beginnt. Dabei sind allerdings noch viele deroben aufgeführten Fragen ungeklärt.Unsere leitende These ist in diesem Zusammenhang, dass Mobili-tätsberatung nicht nur für Einzelpersonen eine „Hilfe- und Unter-stützungsform“ darstellt, sondern vielmehr einen wichtigen Beitragzur Bearbeitung gesellschaftlicher Problemlagen leisten kann undsomit von öffentlichem Interesse ist. „Im Laufe der Zeit haben mo-derne Gesellschaften Beratung zu verschiedensten Fragestellungenund Problemlagen institutionalisiert, vor allem, um Veränderungenund resultierende Anforderungen und Probleme abzufedern und zupuffern“ (ebd.). Der Wandel der Mobilitätslandschaft und eine damiteinhergehende Mobilitätsberatung bringen insofern nicht nur neueAnforderungen mit sich, sondern beinhalten auch neue Chancenauf gesellschaftliche Problemlagen eine Antwort zu geben. Es lassensich hierfür folgende Kontexte skizzieren:

Ökologie und Nachhaltigkeit: Die verstärkte Nutzung elekt-romobiler Fahrzeuge einerseits und die ressourcenscho-nende Kombination verschiedener Verkehrsmittel anderer-seits wird als ein evolutionärer Schlüsselfaktor angesichtsder ökologischen Herausforderung des Klimawandels ange-sehen. Mobilitätsberatung kann und soll perspektivisch die-sen Wandel des Nutzungsverhaltens anstoßen und beglei-ten.

Ökonomie und Volkswirtschaft: GesamtwirtschaftlichesWachstum erfordert differenzierte Mobilitätspraktiken. FürEinzelpersonen sowie für Organisationen ist die Sicherstel-lung von Mobilität eine essenzielle Bedingung für Teilhabean Arbeits- und Wirtschaftsmärkten.

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Soziale Gerechtigkeit und Teilhabe: Zur Umsetzung vonChancengerechtigkeit innerhalb einer Gesellschaft sollteauch das Recht verankert sein, so wenig wie nötig in der ei-genen Mobilität eingeschränkt zu werden.

Angesichts dieser besonderen Potenziale erscheint es lohnenswertdarüber nachzudenken, wie eine solche Aufgabe gesellschaftlichund organisational gestaltet sein sollte. Für diese Überlegungenwird der Artikel im Folgenden auf die Erkenntnisse des ProjektsProMobiE zurückgreifen, welches sich seit Ende 2013 mit der Pro-fessionalisierung der Mobilitätsberatung auseinandersetzt.

2. Das Projekt ProMobiE

Ausgehend von der Annahme, dass Mobilitätsberatung Antwort aufgesellschaftlich relevante Fragen geben kann, wurden im ProjektProMobiE zunächst aktuelle Entwicklungen im Bereich der Mobilitätbetrachtet. Dabei wurde deutlich, dass die Verkehrsbranche durcheinen technologischen und gesellschaftlich-kulturellen Wandel her-ausgefordert ist. Neue Antriebstechnologien, neue Anbieter aufdem Markt der Individualmobilität und ein verändertes Nutzerver-halten eröffnen Kunden vor allem in Ballungsgebieten neue Mög-lichkeiten der Fortbewegung. Von den Anbietern von Mobilität er-fordert der beschriebene Wandel neue Konzepte für Mobilitäts-dienstleistungen. Eine herausgehobene Stellung von öffentlichemInteresse nimmt in dieser Gemengelage die Förderung von Mobili-tätsangeboten unter Einbeziehung von Elektromobilität ein. Um diedeutsche Dienstleistungslandschaft im Bereich der Elektromobilitätzu einem Leitmarkt und Leitanbieter für Elektromobilität zu entwi-ckeln (vgl. Bundesregierung 2009, S. 7), ist es notwendig, entspre-chend des technologischen Fortschritts vorhandene Dienstleis-tungsangebote von Mobilitätsanbietern an die Elektromobilität an-zupassen, diese Angebote einzuführen und zu evaluieren. Jedochmüssen Verkehrsunternehmen nicht nur ihre Dienstleistungen und

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Angebote anpassen, sondern auch ihre Beschäftigten gezielt wei-terbilden, damit diese die neuen Aufgaben ausführen können.

Im Zentrum des Projektes ProMobiE steht die Förderung der Nut-zung von Elektromobilität durch eine professionelle Mobilitätsbera-tung zu multimodalen Verkehrsangeboten. Neben einer Professio-nalisierung von Beratung in Kundenzentren sollen somit die Kon-zepte der Multimodalität und der Elektromobilität in den Fokus derBeratung rücken. Multimodalität bedeutet im Personenverkehr die„parallele Betrachtung mehrerer Verkehrsmittel [… und die] Nut-zung eines Verkehrsmittels für eine Ortsveränderung nach Abwä-gen von Alternativen“ (Busch 2013, S. 7; vgl. auch BBSR 2015, S. 7).Multimodalität verweist also auf unterschiedliche Optionen für dieindividuelle Mobilität. Intermodale Verkehrsangebote stellen eineSonderform des multimodalen Verkehrs dar, bei der unterschiedli-che Verkehrsmittel zu einer Wegekette kombiniert werden (vgl.Busch 2013, S. 7; BBSR 2015, S. 7; Gerike 2016a; vgl. Abb. 1). Elekt-ronisch angetrieben können dabei potenziell alle infrage kommen-den Verkehrsmittel sein: E-Bikes oder Pedelecs von Bikesharing-Anbietern, Elektroautos oder Hybrid-Autos von Carsharing-Anbietern, S- und U-Bahnen sowie Elektro- oder Hybridbusse desÖffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV).

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Abb. 1: Beispiele für ein multimodales (oben) und ein intermodales Mobili-tätsangebot (unten) (Hilger/Lehmann 2016, S. 9 nach BBSR 2015, S. 7)

2.1 Warum Beratung? Ausgangslage und theoretischeVerortung

Die Mobilitätsberatung steht noch am Anfang ihrer Entwicklung undkann sich dementsprechend weder auf eine von den verschiedenenbeteiligten Akteuren geteilte Definition, noch auf einen festen Ge-genstandsbereich berufen. Mobilitätsberatung soll daher im Fol-genden als zielgerichtete und lösungsorientierte Unterstützungs-maßnahme einer Organisation verstanden werden, die darauf ab-zielt, Informationen, Wissen und konkrete Verkehrsangebote mitei-nander zu kombinieren, um gemäß eines zuvor ermittelten Bedarfsvon Privatpersonen diesen Nutzungs- und Verhaltensmöglichkeitenaufzuzeigen. Hiermit soll die Mobilität der Adressatinnen und Ad-ressaten gemäß unterschiedlicher Kriterien und Präferenzen (Kos-ten, Komfort, ökologische Verträglichkeit etc.) und entsprechendihrer Möglichkeiten und Ressourcen kurz-, mittel- oder langfristiggewährleistet werden. Aktuell wird diese Aufgabe vornehmlich vonUnternehmen des ÖPNV sowie von der Deutschen Bahn übernom-men, die zusehends ihr Angebotsportfolio erweitern und Kunden

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dahingehend beraten; weitere Institutionen, die innerhalb diesesHandlungsfelds agieren sind Verkehrsverbünde, Carsharing-Anbieter, aber auch Städte und Gemeinden sowie gemeinnützigeVerbände wie der Verkehrsclub Deutschland.

Warum eine Beratung zu multimodalen Angeboten im Kontext derElektromobilität aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer notwendigwerden kann, wird aus der Informationsperspektive der Beratungdeutlich. Diese verdeutlicht, dass Nutzerinnen und Nutzer von derimmensen Menge stets verfügbarer Informationen nur dann profi-tieren können, wenn es ihnen gelingt, diese zielgerichtet zu filternund für sich handhabbar zu machen. Ein Großteil der Ratsuchendenverliert jedoch aufgrund eines zunehmenden Überangebots, man-gelnder zeitlicher Ressourcen sowie fehlender Motivation denÜberblick. Dies kann sich auf sie nicht nur frustrierend und verunsi-chernd, sondern auch desinformierend auswirken. ProfessionelleBeratung hingegen ist u. a. durch eine gezielte Weitergabe von nütz-lichen Informationen und handlungsleitendem Orientierungswissenim vertrauensvollen zwischenmenschlichen Kontakt gekennzeichnet(vgl. Engel/Nestmann/Sikendieck 2007, S. 39f; Kaufmann et al. imDruck).

Für die Zusammenstellung eines multimodalen Verkehrsangeboteswerden umfangreiche Informationen aus verschiedenen Quellenbenötigt. So müssen in einem ersten Schritt die Präferenzen undRessourcen der Nutzerinnen und Nutzer des Mobilitätsangebotsanalysiert werden. Dies können ganz pragmatische Fragen sein: Wieviele Personen leben im Haushalt? Welche Strecken legen dieseüblicherweise zurück? Wie hoch ist das Budget für Mobilität? EineMobilitätsberatung sollte aber auch Einstellungen und Werte derNutzerinnen und Nutzer erfragen: Wie stehen Sie zu Elektromobili-tät? Was ist ihnen bei Ihrer alltäglichen Fortbewegung besonderswichtig? In einem zweiten Schritt werden Informationen benötigt,die entweder die Anbieter von Mobilität unmittelbar zur Verfügungstellen: Wo sind welche Angebote verfügbar? Ist eine Anmeldung

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oder Registrierung vor der Nutzung notwendig? Welche Kosten ent-stehen und wie sind diese gestaffelt? Darüber hinaus können auchAnforderungen mittelbar aus bereits zur Verfügung stehenden In-formationen erschlossen werden: Wo sind günstige Umsteigepunk-te zwischen Verkehrsmitteln? Welche Emissionen entstehen durchdie Nutzung eines Verkehrsmittels? Die gesammelten Anforderun-gen und Präferenzen der Nutzer können dabei mittels geeigneterKriterien, beispielsweise ökologischer, ökonomischer und gesell-schaftlicher im Sinne des Nachhaltigkeitsdreiecks (vgl. De Haan2008), geordnet und gegeneinander abgewogen werden.

Jedoch ist nicht nur der potenzielle Bedarf, sondern auch das Ange-bot an zur Verfügung stehenden Informationen zu Mobilitätsange-boten enorm. Eine hervorgehobene Rolle bei der Verfügbarkeit undRecherche dieser Informationen spielen IuK-Technologien. In derRegel betreibt jeder Anbieter von Mobilität eine eigene Informati-onsplattform im Internet und eine eigene App, mithilfe derer vieleInformationen zu einem Verkehrsmittel abgerufen werden können.Hinzu kommen unabhängige Dienste, die auf Anfrage der Nutzerin-nen und Nutzer intermodale Wegeketten von A nach B kombinie-ren. Aufgabe einer professionellen Mobilitätsberatung ist es, dienotwendigen Informationen der Kundinnen und Kunden zu ihrenPräferenzen und Ressourcen einzuholen und Beratungsbedarfe zuindividuellem Mobilitätsverhalten zu erkennen. Vor diesem Hinter-grund müssen die verfügbaren Informationen zu Verkehrsangebo-ten recherchiert, erschlossen, gefiltert und für Kundinnen und Kun-den aufbereitet werden. Auf dieser Grundlage sollten die Kundin-nen und Kunden dann in ihrem Entscheidungsprozess unterstütztwerden. Zentral ist hierbei – im Sinne der Förderung einer nachhal-tigen Mobilität – eventuell bestehende Vorbehalte gegen elektrischeAntriebe oder Leihmobilität zu besprechen und abzubauen sowieden Einsatz emissionsfreier Verkehrsmittel zu fördern.

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2.2 Vorgehen und ausgewählte Erkenntnisse zur Mo-bilitätsberatung in Kundenzentren des ÖPNV

Im Projekt ProMobiE wurden Konzepte für Beratungsdienstleistun-gen entwickelt, die Qualifizierungsbedarfe bei den Beschäftigten inKundenzentren mit sich brachten. Zugeschnitten auf ihren Bedarfund entsprechend ihrer Ausgangsqualifikationen wurden Schu-lungsmodule entwickelt, in Modellunternehmen des ÖPNV umge-setzt und evaluiert. Diese sind die Verkehrsbetriebe der StadtwerkeBaden-Baden, die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG(Bogestra), die Rhein-Neckar Verkehr GmbH in Mannheim, Heidel-berg, Ludwigshafen sowie die üstra Hannoversche VerkehrsbetriebeAG. Die vier Modellunternehmen wurden als Erhebungs- und Er-probungsfeld ausgewählt, da sie als etablierte Anbieter von öffentli-cher Mobilität bereits über die notwendige Infrastruktur verfügenund in ihren Kundenzentren Mitarbeitende in der Kundenberatungtätig sind. Sie unterscheiden sich dabei in ihrer Größe also z. B. hin-sichtlich ihres Einzugsgebiets, ihrer Beschäftigtenzahl, ihrer Fahr-zeugflotte sowie der Art und Anzahl ihrer Kooperationen mitDrittanbietern auf dem Verkehrsmarkt. Diese Heterogenität trägt zueinem angestrebten Transfer der Ergebnisse auf andere Organisati-onen bei. Um die unternehmensspezifischen, aber vor allem auchdie allgemeinen Anforderungen an Betriebe und Beschäftigte füreine professionelle Mobilitätsberatung zu beschreiben, wurdenempirische Studien in Form von Interviews, Workshops und Ar-beitsbeobachtungen durchgeführt (vgl. Brand et al. 2015). Hierbeiwurden die Perspektiven von Beschäftigten in der Beratung undFührungskräften gleichermaßen berücksichtigt. Auf Basis der Er-gebnisse wurden im Projekt typische Handlungssituationen vonBeschäftigten in Kundenzentren zu Handlungsfeldern gruppiert, sodass kompetenzorientierte Lernfelder entwickelt werden konnten,die wiederum die Grundlage der Schulungsmodule bilden (vgl.Schmitz 2016). Die Ergebnisse der empirischen Studien wurden imFolgenden anhand der drei Schwerpunkte Strategie der ÖPNV-

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Unternehmen, Beratende und ihre Qualifikationen sowie Hand-lungsfelder von und Anforderungen an Mitarbeitende in Kunden-zentren aufbereitet. Hiermit sollen der aktuelle Stand und die Rah-menbedingungen einer Mobilitätsberatung im ÖPNV skizziert wer-den.

Strategie der ÖPNV-Unternehmen in der sich wandelnden Ver-kehrsbranche

Gemeinsam ist den Modellunternehmen die Motivation, als „Leitan-bieter für Mobilität“ agieren zu wollen und für Nutzerinnen undNutzer „Ansprechpartner für die gesamte öffentliche (Nah-)Mobilitätin der Region“ zu bleiben oder zu werden. Die Angebote vonDrittanbietern – wie Carsharing oder Fahrradverleihsystemen –werden dabei in der Regel als Ergänzung zum eigenen Portfolio undnicht als unmittelbare Konkurrenzangebote aufgefasst. So könnenFahrräder mit elektronischem Antrieb insbesondere bei topogra-phisch schwierigen Bedingungen als sehr gute Ergänzung in Neben-zeiten des ÖPNV oder zur Freizeitgestaltung genutzt werden. Elekt-roautos können bei Bedarf vom lokalen Carsharing-Anbieter entlie-hen werden. Im Idealfall wird ein eigener PKW durch multimodaleMobilität – zumindest in urbanen Gebieten – verzichtbar. Insgesamt,so die Erwartung und Hoffnung in der Branche, sollen dem ÖPNVdurch Kooperation vorhandene Nutzerinnen und Nutzer erhaltenbleiben und neue hinzukommen (vgl. VDV 2013).

Beratende und ihre Qualifikation

In den Workshops wurde deutlich, dass die angestrebte individuelleMobilitätsberatung aufgrund der Räumlichkeiten, der eingeplantenZeit und des Zugriffs auf Informationen nur von Mitarbeitenden inden Kundenzentren zu leisten ist. Um diese Zielgruppe genauer zucharakterisieren, wurden die bestehenden Beschäftigungs- undQualifikationsstrukturen im Kundenzentrum analysiert. Erste Er-kenntnisse zeigen, dass die Qualifikationen der Beratenden sehr

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unterschiedlich sind. Zwar bestehen in der Verkehrsbranche Ausbil-dungsberufe, die u. a. auf eine Tätigkeit in Kundenzentren vorberei-ten, wie beispielsweise der duale Ausbildungsberuf „Kaufmann/-frau für Verkehrsservice“, jedoch stellen den größten Anteil der Be-ratenden Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger dar. Diese Be-schäftigten stammen aus verwandten kaufmännischen Berufen (z.B. Bürokaufmann/-frau) oder bringen eine andere grundständigeQualifikation mit. Daneben sind leistungsgewandelte Beschäftigte inder Beratung tätig, die aus dem Fahrdienst (z. B. Berufskraftfahre-rin/Berufskraftfahrer; Fachkraft im Fahrdienst) oder anderen ge-werblich-technischen Berufen (z. B. Gleisbauerin/Gleisbauer) stam-men. Im Bereich der Weiterbildung bestehen zurzeit keine einschlä-gigen Angebote für die multimodale Beratung im ÖPNV. In den Mo-dellunternehmen werden regelmäßig Tarifschulungen für Beraten-de in Kundenzentren sowie vereinzelt Schulungen im Bereich per-sonenbezogener Tätigkeiten zu Themen wie Deeskalation, Kommu-nikation, Verkauf und Gesprächsführung angeboten (vgl. Potzolli2016).

Handlungsfelder von und Anforderungen an Mitarbeitende in Kun-denzentren

Die mittels Interviews und Beobachtungen erhobenen Arbeitssitua-tionen wurden zu Handlungsfeldern gebündelt. Es zeigte sich, dassdie Beschäftigten in Kundenzentren sowohl klassische kaufmänni-sche Aufgaben im Kundenkontakt übernehmen, wie z. B. das Abwi-ckeln von Verkäufen, die Pflege von Kundendaten oder die Bearbei-tung von Fällen des erhöhten Beförderungsentgelts. Daneben wer-den Auskünfte zu Verbindungen und Strecken, aber auch Beratun-gen zu standardisierten Produkten des ÖPNV, beispielsweise zuAbonnementverträgen durchgeführt. Die Tätigkeit von Mitarbeiten-den im Kundenzentrum und die damit verbundenen Anforderungenwerden in der Dienstleistungsforschung als Interaktionsarbeit be-zeichnet und entsprechend untersucht (vgl. Dunkel/Voß 2004; Dun-kel/Weihrich 2012). Charakteristisch ist ein schneller Wechsel zwi-

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schen unterschiedlichen Kunden. Die Beratenden müssen sich da-bei auf jede Kundin und jeden Kunden neu und unvoreingenom-men einlassen, um die Person und das Anliegen zu analysieren. Siemüssen mit Kunden in Echtzeit kommunizieren und dabei auf Un-vorhergesehenes adäquat reagieren. Dabei müssen sie mit denEmotionen der Kundinnen und Kunden sowie den eigenen Emotio-nen professionell umgehen. Diese Anforderungen müssen die Be-schäftigten in einem begrenzten zeitlichen Rahmen und unter ho-her kognitiver Beanspruchung bewältigen (vgl. Michiels-Corsten2016; Böhle 2011).

Ein neues Handlungsfeld, das sich vor dem Hintergrund der be-schriebenen Veränderungen konstituiert, ist die „Individuelle Bera-tung unter Berücksichtigung multimodaler Mobilitätsangebote“ (vgl.Schmitz 2016). Dieses beschreibt eine Beratung, die eine differen-zierte, multimodale Nutzung von Mobilitätsangeboten speziell mitElektromobilität betrachtet. Neben einer Professionalisierung derbereits bestehenden Beratung sollen somit die Konzepte der Mul-timodalität und der Elektromobilität in den Fokus der Beratung rü-cken. Diese Entwicklung soll durch das Projekt ProMobiE gestärktwerden. Weil diese neue Aufgabe komplexer und damit anspruchs-voller ist, erfordert sie aufseiten der Beratenden Kompetenzen, dieüber die Vermittlung von Informationen an Kundinnen und Kundenund die Beherrschung von standardisierten Beratungen hinausge-hen. Da bisher weder in den bestehenden dualen Bildungsgängender Branche noch im Bereich der Weiterbildung die erforderlichenKompetenzen für eine Mobilitätsberatung zu multimodalen Ange-boten erworben werden können, basieren die bisher stattfindendenBeratungen hierzu weitestgehend auf informell erworbenen Kom-petenzen der Beratenden sowie Learning by Doing. An dieser Stellesoll jedoch auch festgehalten werden, dass in den untersuchtenKundenzentren bisher kaum Mobilitätsberatung im Kontext derMultimodalität und Elektromobilität stattfindet. Dies scheint zumeinen darin begründet, dass die Unternehmen bisher über keinausgearbeitetes Beratungskonzept verfügen und die Beratung nicht

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aktiv anbieten oder bewerben. Zum anderen scheint seitens derKundinnen und Kunden bisher eine zu geringe Nachfrage zu beste-hen.

3. Szenario zur Mobilitätsberatung im Jahr2030

Auf der Grundlage der skizzierten technologischen Entwicklungen inder Verkehrsbranche und dem gesellschaftlichen Trend des Nut-zens statt Besitzens, wurde eine deutliche Tendenz hin zu einermultimodalen Mobilität vorweggenommen (vgl. Arnold et al. 2010;BBSR 2015). Im Projekt zeigte sich jedoch, dass diese Entwicklungteilweise hinter den Erwartungen der beteiligten Akteure zurück-bleibt und auch die Nachfrage einer multimodalen Beratung inKundenzentren des ÖPNV verhalten ist. Vor diesem Hintergrundwurde sich bewusst für den Entwurf eines sogenannten Kontrast-szenarios entschieden, das „die gegenwärtige Situation einem wün-schenswerten Szenario gegenüberstellt“ (Horx 2010, S. 2). Die Stär-ke dieses Szenariotyps ist, dass „Fragen nach Maßnahmen aufge-worfen [werden], um die wünschenswerte Situation zu erreichen“(ebd.). In diesem Sinne soll nun ein Szenario multimodaler Mobili-tätsberatung im Kontext der Elektromobilität im Jahr 2030 gezeich-net werden, um im Anschluss daran deutlicher die bestehendenHerausforderungen und notwendigen Rahmenbedingungen aufzu-zeigen.

Fallbeispiel zur Mobilitätsberatung im Jahr 2030

Die Intensivierung der Bemühungen für eine elektromobile Zukunfthat dazu geführt, dass das Thema mittlerweile ein fester Bestandteilin der Planung von Alltagsmobilität der Bürgerinnen und Bürgergeworden ist. So auch bei Herrn Storch, der sein 15 Jahre altes Automit Verbrennungsmotor abschaffen möchte und nun nach Möglich-keiten seiner zukünftigen Mobilität sucht. Der 45-jährige Alleiner-

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ziehende lebt mit seiner 16-jährigen Tochter in einem Vorort einerdeutschen Großstadt, in der er in der Stadtverwaltung arbeitet. HerrNeumann möchte als sehr naturverbundene Person einerseits ei-nen aktiven Beitrag zum Umweltschutz leisten, ist andererseits abermit seiner minderjährigen Tochter, dem begrenzten monatlichenBudget sowie dem Arbeitsweg an ökonomische und soziale Bedin-gungen gebunden. Dabei hat er zunächst auf ein Elektroauto ge-spart, doch nun überlegt er, ob er nicht gänzlich auf ein eigenesAuto verzichten kann. Er erkennt, dass er Beratungsbedarf hat, wel-che Möglichkeiten die öffentliche Mobilität sowie Anbieter undDienstleister der Leihmobilität ihm bieten können. Herr Neumannrecherchiert nach Anbietern einer Mobilitätsberatung, die ihm dabeihelfen, verschiedene Verkehrsangebote zu verstehen, zu verglei-chen und hinsichtlich seiner individuellen Anforderungen zu einempassenden Mobilitätskonzept zu verbinden. Wie er feststellt, ist eineigenständiger Markt einer solchen Dienstleistung vorhanden, anwelchem sich sowohl private als auch öffentliche Organisationenbeteiligen. Neben dem regionalen ÖPNV-Anbieter, der Termine füreine Mobilitätsberatung in den Kundenzentren anbietet, findet HerrNeumann u. a. einen Online-Service, der mittels eines umfangrei-chen Fragebogens spezielle Verkehrsangebote miteinander ver-gleicht und ihm vorschlagen kann sowie eine kleine Beratungsfirma,die sich ebenfalls auf Mobilitätsberatung spezialisiert hat. HerrNeumann entschließt sich dazu einen ersten einstündigen Bera-tungstermin mit einer der acht Beratenden der Beratungsfirma zuvereinbaren. Da er sich eine langfristige Perspektive für seine alltäg-lichen Mobilitätserfordernisse sowie eine Kostenersparnis erhofft,ist Herr Neumann auch bereit hierfür den Kennenlernpreis von 30 €zu zahlen. Die Beratung findet in einem modernen, aber gemütli-chen Büro der Beratungsfirma statt, die neben dem Standort in dernahegelegenen Großstadt noch vier weitere Büros in deutschenGroßstädten betreibt.

Das Beratungsgespräch findet mit Frau Kruse statt. Frau Kruse istMobilitätsberaterin für Privatpersonen. Ihre Kernaufgaben sind die

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persönlichen Mobilitätsberatungen zu multimodalen Verkehrsan-geboten sowie die Planung und Durchführung von Informations-veranstaltungen, die von unterschiedlichen Zielgruppen gebuchtwerden. Hierfür laufen unterschiedliche Informationen bei FrauKruse zusammen. Sie verfügt über eine digitale Plattform mit Zugriffauf jegliche Informationen zu den Verkehrsangeboten in ihrem Ein-zugsgebiet sowie über ein breites Wissen zu den vielfältigen mo-dernen Verkehrsmitteln. Auf topografische und infrastrukturelleBesonderheiten kann Frau Kruse mittels digitalen Kartenmaterialsschnell zugreifen und so für Ratsuchende Mobilitätskonzepte ent-werfen, die an die regionalen Gegebenheiten angepasst sind. AuchRegistrierungen und Abonnements für verschiedene Mobilitäts-dienstleister, wie beispielsweise einen Carsharer oder den regiona-len ÖPNV-Anbieter kann sie aufnehmen und so die ersten Schrittezur Nutzung einleiten. Dies ist in den letzten Jahren viel einfachergeworden, seitdem die verschiedenen Mobilitätsdienstleister imEinzugsgebiet von Herrn Neumann mit freien Beratungsinstitutio-nen kooperieren und diese ihnen einen Zugriff auf ihre Datenban-ken ermöglichen.

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?? !!

Abb. 2: Mobilitätsberatung zu multimodalen Angeboten (ProMobiE 2015)

Doch was so technisch klingt, ist eigentlich eine Tätigkeit, die durcheine enge Zusammenarbeit mit den Kundinnen und Kunden ge-prägt ist. Frau Kruse bezeichnet sich selbst deshalb auch als Mobili-tätscoach, denn ihre zentrale Aufgabe besteht darin, die Selbststän-digkeit und Integrität der Kundinnen und Kunden hinsichtlich einereffektiven und intelligenten Nutzung multimodaler Mobilitätsange-bote zu fördern. Die Unterstützung bei der Orientierung innerhalbder vielfältigen Angebote zielt dabei auf eine souveräne Nutzungdieser Angebote ab. So auch im Fall von Herrn Storch. Frau Kruseerfragt hierfür im Beratungsgespräch zunächst seine individuellenVoraussetzungen und Anforderungen an Mobilität. Auf der Grund-lage dieser Bedarfsanalyse kann sie ihm nun Verkehrsmittel, Ange-bote und Konzepte vorstellen und im Dialog gegeneinander abwä-

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gen. Frau Kruse weist Herrn Neumann darauf hin, dass er von sei-nem Arbeitgeber ein Jobticket erhalten kann, um günstig und kom-fortabel mit S- und U-Bahn zur Arbeit zu gelangen. Für den wö-chentlichen Großeinkauf sowie den regelmäßigen Transport seinerTochter zum Reiterhof steht das Elektroauto eines Carsharers amBahnhof seines Wohnorts zur Verfügung und für den Besuch vonFreunden im Nachbarort können beide bei schönem Wetter nebendem Bus auch auf Pedelecs eines Fahrradverleihers zurückgreifen.Neben diesen Vorschlägen und Konzepten geht Frau Kruse aberauch auf Bedenken und Berührungsängste mit der Leihmobilitätein. Herr Storch, der bisher noch nie ein Sharing-Angebot genutzthat, wird im Gespräch über die Buchung und Nutzung von Leihau-tos und -fahrrädern informiert und kann diese sogar vor Ort testen.Die regionalen Anbieter haben hierfür Autos und Fahrräder in derNähe der Beratungsfirma positioniert, da diese Form der Zusam-menarbeit auch ihnen enorme Vorteile bringt.

Mittlerweile besitzen viele Kunden von Frau Kruse auch ein eigenesElektroauto, denn eine Mobilitätsberatung ergibt auch für Autobe-sitzer Sinn. Längere Strecken lassen sich häufig stressfreier mit demSchienenfernverkehr vornehmen und der innerstädtische Ausbauder Infrastruktur für Fahrräder und E-Bikes wertete in den letztenJahren die Qualität des Fahrradfahrens zusätzlich auf. Noch vor einpaar Jahren hatten viele Kundinnen und Kunden von Frau KrauseVorbehalte gegen den elektrischen Antrieb sowie den Gedanken derMultimodalität. Doch Sharing-Angebote ermöglichten es ihnen,Elektroautos und -fahrräder unverbindlich zu testen sowie die Lad-einfrastruktur an ihren gängigen Strecken kennenzulernen. Damalszielte die Beratung darauf ab, die bestehenden Vorbehalte abzu-bauen und die Einstellung gegenüber elektronisch betriebenenFahrzeugen zu verändern. Seit ein paar Jahren haben die Vorbehal-te aber deutlich abgenommen, sodass sich auch der Schwerpunktder Beratung verschoben hat. Ziel ist es heute, so zu beraten, dassPersonen sich möglichst emissionsfrei, effizient und gleichzeitigkomfortabel fortbewegen können. Dabei spielen häufig auch finan-

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zielle Vorteile eine Rolle. Es zeigte sich für Frau Kruse und ihre Kol-legen, dass die Mobilitätsberatung kein starres Konzept sein darf,sondern flexibel auf Veränderungen des Mobilitätsmarkts reagierenmuss.

Die beschriebene Frau Kruse könnte potenziell bei jeder Organisati-on arbeiten, die eine Mobilitätsberatung anbietet. Voraussetzunghierfür ist der Nachweis einer einschlägigen Aus- oder Weiterbil-dung im Bereich multimodaler Beratung und umfassende Kenntnis-se zum Thema Mobilität. Organisationen, die diese Form der institu-tionalisierten Beratung mittlerweile anbieten, sind neben der be-schriebenen Beratungsfirma vor allem auch ÖPNV-Unternehmen,Carsharing-Anbieter, gemeinnützige Vereine sowie Städte und Ge-meinden. Dabei orientieren sie sich an staatlichen Richtlinien zurDurchführung verkehrs- und mobilitätsbezogener Beratungen. FürPersonen mit Beratungsbedarf zu ihrer Mobilität werden so einer-seits vielfältige Zugangswege bereitgehalten und andererseits Bera-tungen ermöglicht, die einheitlichen Qualitätsstandards entspre-chen.

Dass ein Markt mit unterschiedlichen öffentlichen und privaten An-bietern für Mobilitätsberatung sich etablieren konnte, war vor eini-gen Jahren noch ungewiss. Doch der kulturelle Wandel an Mobili-tätspraktiken und -erfordernissen, der eine Abkehr vom klassischenmonomodalen Verkehrskonzept hin zu multimodalen Nutzungs-praktiken vor allem mit Elektromobilität einläutete sowie die drin-gende Erfordernis, Klimaschutzmaßnahmen breitenwirksam umzu-setzen, machten die Finanzierung von Mobilitätsberatung möglich.Nicht nur einzelne Bürgerinnen und Bürger sind mittlerweile bereitfür eine Beratung zu ihrer Mobilität zu zahlen, auch bei Unterneh-men hat sich das betriebliche Mobilitätsmanagement etabliert, dasie sich dadurch entweder Wettbewerbsvorteile erhoffen oder ei-nen aktiven Beitrag zum Umweltschutz und zur Gesundheitsförde-rung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (z. B. mittels eines ge-leasten Pedelecs) leisten wollen. Gefördert wird all dies schließlich

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durch verschiedene staatliche Programme, die so volkswirtschaftli-chen, sozialen und ökologischen Zielen Rechnung tragen.

Mobilitätsberatung 2030 – Lessons learned

Wie das Szenario aufzeigte ist eine Vielzahl an Rahmenbedingungenfür eine etablierte und professionelle Mobilitätsberatung notwen-dig. Bevor im folgenden Kapitel auf die aktuell bestehenden Heraus-forderungen genauer eingegangen wird, sollen die zentralen Er-kenntnisse des Szenarios kurz zusammengefasst werden:

Die Dienstleistung Mobilitätsberatung sollte für Adressatin-nen und Adressaten sichtbar(er) werden. Vielfältige undniederschwellige Zugangswege sollten bereitgestellt wer-den.

Die Dienstleistung sollte durch zeitliche und finanzielle As-pekte aufgewertet werden. Dies kann über Termine mitfestgelegten Zeitfenstern und festen Preisen geschehen.

Die Beratenden sollten für diese Beratung spezialisiert undhinreichend qualifiziert sein.

Informations- und Buchungssysteme sollten gut vernetztund für Beratende wie auch für Kundinnen und Kunden un-kompliziert nutzbar sein.

Staatliche Richtlinien und Förderprogramme können auchauf einem breiten Markt für Vergleichbarkeit, Qualität undeine entsprechende Finanzierung auf beiden Seiten sorgen.

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4. Herausforderungen und Lösungsansätzeauf dem Weg zu einer professionellenMobilitätsberatung

Wie einleitend beschrieben, liegt diesem Artikel die Annahme zu-grunde, dass die Mobilitätsberatung sich in einem Prozess der Profi-lierung, Institutionalisierung und Professionalisierung befindet.Damit geht einher, dass aktuell noch eine Vielzahl an Herausforde-rungen besteht, um Mobilitätsberatung gesellschaftlich und institu-tionell derart zu etablieren wie es im vorangegangen Szenario skiz-ziert wurde. Diese Herausforderungen zeichnen sich aktuell in Formvon Spannungsfeldern und noch offenen Baustellen ab. Im Verlaufdes Projekts ProMobiE wurde ersichtlich, dass diese auf zwei Ebe-nen zu verorten sind. Zum einen bestehen Spannungsfelder in derkonkreten Beratungspraxis der beratenden Organisation. Zum an-deren besteht aber auch noch eine Vielzahl offener Fragen auf derEbene der gesellschaftlich-institutionellen Gestaltung von Mobili-tätsberatung, welche sich wiederum erschwerend auf die Gestal-tung und Durchführung innerhalb der Organisationen und somitauch auf die Etablierung und Durchsetzung der Mobilitätsberatungauswirkt. Für beide Ebenen sollen im Folgenden ausgewählte Her-ausforderungen aufgezeigt und konkreten Lösungsansätzen gegen-übergestellt werden.

4.1 Spannungsfelder und Lösungsansätze für Anbie-ter einer professionellen Mobilitätsberatung

Spannungsfelder, die bei den Anbietern einer multimodalen Mobili-tätsberatung deutlich werden, beziehen sich vornehmlich auf dieGestaltung und Durchführung der Beratungsdienstleistung. DiePraxis einer professionellen Beratung wird neben den Kompeten-zen der Beratenden maßgeblich durch den organisatorischen Rah-men bestimmt. Diese These konnte in einem Workshop mit Vertre-tern der in ProMobiE beteiligten Verkehrsunternehmen für den

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Gegenstandsbereich der multimodalen Mobilitätsberatung konkre-tisiert und in Arbeitsfelder untergliedert werden. Im Folgenden ge-hen wir auf die Bereiche ein, die im Hinblick auf das Szenario einebesondere Relevanz aufweisen.

Spannungsfeld 1: Qualifikationsbedarfe von Beratenden vs. Wider-sprüche in der Beratungspraxis

Ein Merkmal, das eine professionelle Beratung kennzeichnet, ist derUmgang mit potenziell ambivalenten Zielen und Interessen der Be-teiligten sowie mit einer sog. Zieloffenheit. Beides ergibt sich durchdie jeweiligen Besonderheiten des Beratungsgegenstandes sowiedie Unklarheit über den von einzelnen Kundinnen und Kunden ge-wünschten Ausgang der Beratung. Im Laufe der Beratung kann eszu Konflikten zwischen den verschiedenen Ansprüchen der Kundinoder des Kunden und denen der beratenden Organisation kom-men. Im Feld der Mobilitätsberatung wurde deutlich, dass eine pro-fessionelle Beratung zu Mobilität, ein Abwägen zwischen verschie-denen Anforderungsdimensionen erfordert. Diese Ansprüche las-sen sich den drei Dimensionen Gesellschaft, Ökologie und Ökono-mie zuordnen. Die Erkenntnisse im Projekt ProMobiE zeigten:

„Wenn ein Beratender eines Verkehrsunternehmens als An-sprechpartner für alle Fragen rund um Mobilität, Mobilitäts-formen und -anbieter agiert, gerät er in einen Widerspruchzu seiner Rolle als abhängig Beschäftigter des Unterneh-mens. Obwohl ein gesellschaftlicher Anspruch an Nachhal-tigkeit im Bereich der öffentlichen Mobilität besteht existie-ren gegenwärtig keine Konzepte für unabhängige Beratun-gen“ (Kaufmann et al. im Druck).

Da diese Widersprüche nicht einfach aufgelöst werden können,kann es keine eindeutige Lösung in der Beratung geben, sondernmehrere mögliche Konzepte mit verschiedenen Vor- und Nachtei-len. Aufgabe eines professionellen Beratenden ist es, Kunden indiesem Abwägungsprozess zu begleiten:

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„Weiterbildungen im Feld der multimodalen Mobilitätsbera-tung sollten dieses Spannungsfeld thematisieren und dieBeratenden zur Reflexion der eigenen Rolle anregen. DieEntwicklung einer reflexiven Handlungsfähigkeit aufseitender Mobilitätsberatenden ist ein möglicher Schritt zur För-derung nachhaltiger Mobilität“ (ebd.).

Die Qualifizierung von Beschäftigten, die zukünftig Mobilitätsbera-tung professionell ausführen sollen, ist ein Kernelement der Profes-sionalisierung von Mobilitätsberatung. Sie ist insofern auch Ziel desProjekts ProMobiE. Hierbei bedeutet die Reflexion der eigenen Rol-len für Beratende zu erkennen, dass sie mit ihrer Tätigkeit selbstBestandteil einer gesellschaftlichen Entwicklung sind. Daraus resul-tiert, dass sie nicht nur Experten eines Wissens über Mobilitätskon-zepte werden müssen, sondern darüber hinaus auch Botschaftereiner gesellschaftlichen Praxis. Um einerseits Berührungsängstebezüglich neuen Verkehrsmitteln oder Mobilitätskonzepten abzu-bauen, diese andererseits aber auch aktiv zu bewerben und somitBürgerinnen und Bürger zu ihrem Mobilitätsverhalten beraten zukönnen, bedarf es einer Qualifizierung, die über eine bloße Wis-sensvermittlung hinausgeht. Vielmehr sollten die Beratungsinhaltefür die Beratenden selbst erfahrbar gemacht werden. Was bedeutetes im Alltag Carsharing zu nutzen? Wie ändert sich mein Fahrverhal-ten mit einem Elektroauto? Was muss ich alles beachten, wenn ichvon der Nutzung eines eigenen Pkws zu einem multimodalen Mobi-litätskonzept wechsle? Die Qualifizierung sollte auf die Kompetenzder Beratenden in solchen Fragen abzielen und diese auch nachhal-tig durch Unterstützungsformate, wie Formen institutionalisiertenErfahrungsaustauschs im Rahmen von Fallbesprechungen odergemeinsamer Lernarbeit sichern.

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Spannungsfeld 2: Mobilitätsberatung als Gesamtkonzept vs. Mobili-tätsberatung als Add-on

Im Projekt ProMobiE deutete sich an, dass die Etablierung der Bera-tungsdienstleistung in Kundenzentren des ÖPNV nur gelingen kann,wenn sie mit einer Einbettung in die Unternehmensstrategien vonÖPNV-Unternehmen einhergeht. Gleiches gilt natürlich auch fürandere Organisationen, die sich der Mobilitätsberatung annehmenwollen. In diesem Zusammenhang sollte ein übergreifendes Ge-samtkonzept stehen, sodass sich die Mobilitätsberatung an denWerten der Organisation ausrichten kann. Dabei gilt es allerdings zubeachten, dass die zentralen Aufgaben der Beratung klienten-freundlich gestaltet sein sollten, den Beratenden also kein Handelnabverlangen, das den Intentionen der Klienten widerspricht. Ökolo-gische Verantwortung und Kundenorientierung sollten nicht nurleere Versprechen sein, sondern sich auch in angemessenen Frei-räumen in der Beratung niederschlagen. Eine problematische Kons-tellation ergibt sich, wenn das Unternehmen eine Mobilitätsbera-tung zu eigenen und zu Produkten von Kooperationspartnern an-bieten möchte, gleichzeitig aber der Verkauf von eigenen ProduktenPriorität besitzt. Dieses Spannungsfeld wirkt sich, wie oben bereitsangedeutet, unmittelbar auf die Beratung und die Beratenden aus.Neben einer Qualifizierung, die vor diesem Hintergrund auf reflexi-ve Handlungsfähigkeit setzt, sollte also ein konsistentes Gesamt-konzept diesen Konflikten vorbeugen.

Wie deutlich wurde, gehen mit den neuen bzw. veränderten Hand-lungsfeldern, die die Mobilitätsberatung mit sich bringt, auch neueAnforderungen an bereits bestehende Stellen bzw. die Beschäftig-ten einher. Bestehende Anforderungsprofile von Stellen in Kunden-zentren sollten hierbei neu definiert und mittels anforderungsge-rechter Auswahlverfahren besetzt werden. Eigenständige Karriere-pfade für Mobilitätsberater können diesen Effekt noch verstärken,vor allem, wenn sie mit erprobten Weiterbildungen einhergehen.

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Denkbar ist auch eine Spezialisierung von Kundenzentren mit Stel-len für beratende und kaufmännische Mitarbeitende.

Spannungsfeld 3: Information und Kommunikation zwischen Hilfeund Hürde

IuK-Technologien können den Beratungsprozess anreichern undsind angesichts der großen Menge verfügbarer Informationen vorallem im Kontext der Mobilität zunehmend wichtiger. In der Praxissind sie jedoch häufig nicht auf die Belange der Beratenden ausge-richtet. Folgende Fragen sollten bei der Optimierung der Technolo-gien handlungsleitend sein: Wo können Mobilitätsapps, Informati-onsdatenbanken oder soziale Medien die Beratung unterstützen?Wie müssen diese gestaltet sein und wie können sie in Arbeitspro-zesse integriert werden? Durch die starke Ausdifferenzierung vonMobilitätsangeboten sowie die damit einhergehende Zunahme anSchnittstellen zwischen unterschiedlichen Akteuren, bedarf es um-fangreicher und benutzerfreundlicher Informationsplattformen, dieBeratende bei ihrer Arbeit unterstützen. Idealerweise sind diesepartizipativ und praxisnah zu gestalten, sodass Informationen, z. B.zu Produkten und Ansprechpartnern, sowie Anwenderhandbücherund Technikwissen, auf die Anforderungen im Beratungsprozesszugeschnitten sind. Hiermit sollte auch ein definierter und transpa-renter Informationsfluss einhergehen – sowohl intern als auch mitKooperationspartnern. Für alle beteiligten Stellen der Mobilitäts-und Beratungsdienstleistungen sollten Hol- und Bringpflichten for-muliert sein, um Störungen oder Verzögerungen im Workflow zuvermeiden. Wie sich zeigte, verteilen einzelne Verkehrsunterneh-men hierfür bereits Rollen, sodass einzelne Beschäftigte in Kunden-zentren als Multiplikatoren für neue Informationen agieren.

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4.2 Offene Baustellen und Lösungsansätze in der ge-sellschaftlich-institutionellen Organisation vonMobilitätsberatung

Einen Ausgangspunkt dieses Artikels stellte die These dar, dass Mo-bilitätsberatung, neben dem bestehenden wirtschaftlichen Interes-se als zu vermarktende Dienstleistung, auch ein hohes öffentlichesInteresse besitzt. Vor diesem Hintergrund wird die Frage relevant,welche politischen, öffentlichen und rechtlichen Rahmenbedingun-gen zum Gelingen einer professionellen Mobilitätsberatung im Kon-text der Elektromobilität beitragen können.

Berufsbild und Verankerung im Bildungs- und Beschäftigungssys-tem

Zurzeit ist das Handlungsfeld der Mobilitätsberatung nicht hinrei-chend in den bestehenden Berufsbildern der Branche verankert.Zwar bereitet der duale Ausbildungsberuf „Kaufmann/-frau für Ver-kehrsservice“ im Schwerpunkt Verkauf und Service auf eine Tätigkeitim Kundenzentrum vor, jedoch lediglich im Sinne eines Informie-rens zu Reiseverbindungen und eines Verkaufs von Tickets undnicht im Sinne einer umfassenderen Beratungsdienstleistung (vgl.Bundesagentur für Arbeit 2016). So sind nicht nur Kompetenzen imBereich der Planung, Durchführung und Bewertung eines Bera-tungsprozesses unzureichend berücksichtigt, sondern auch Fähig-keiten und Kenntnisse zur Erstellung eines individuellen Mobilitäts-angebotes unter Einbezug von Elektromobilität. Auch wenn derNachhaltigkeitsgedanke bereits in den Lernfeldern des Berufes ver-ankert ist, beispielsweise im Lernfeld 5 „Kunden über Produkte undLeistungen im Personenverkehr informieren“ (vgl. dazu Kaufmannet al. im Druck), sollte dieses Konzept vor dem Hintergrund derEntwicklung der Mobilitätsbranche eine zentralere Stellung ein-nehmen und mit der Beratung als eigenständige Dienstleitung ver-knüpft werden. Die im Projekt ProMobiE entwickelten Lernfelderkönnen dazu dienen den Ausbildungsberuf zu reformieren oder

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spezielle Weiterbildungsgänge zu konzipieren. Es zeigte sich, dassMobilitätsberatung eine anspruchsvolle und spezialisierte Tätigkeitdarstellt, die bei einer entsprechenden Etablierung im Bildungs- undBeschäftigungssystem eine reizvolle berufliche Perspektive für Er-werbstätige darstellen kann.

Gesellschaftliches Mandat und (öffentliche) Finanzierungsmodelle

In modernen Gesellschaften ist Mobilität ein wichtiges Gut. Mobili-tät ermöglicht die Überwindung von räumlichen Distanzen und da-mit in vielen Fällen erst die Teilhabe an sozialen Systemen wie bei-spielsweise Wirtschaft, Bildung und Kultur. Dennoch scheint zurzeitein gesellschaftlich-politischer Konsens bezüglich der Relevanz vonMobilitätsberatung zu fehlen. Weder besteht ein rechtlicher Schutzder Bezeichnung Mobilitätsberatung noch existieren öffentlicheFinanzierungsmodelle. Folgende Fragen sind offen: Wer kann, darf,soll am Markt diese oder jene Form der Beratung ausüben? Wiekann sich die spezifische Beratung von benachbarten Handlungs-feldern abgrenzen? Inwiefern werden die Anbieter von Beratungdurch ihre Adressatengruppen aber auch durch öffentliche undrechtliche Institutionen zu ihrer Tätigkeit legitimiert? Wie sich inanderen Handlungsfeldern bereits zeigte, können staatliche Förde-rungen, rechtliche Regelungen oder aber auch die Bestrebungenprivatwirtschaftlicher Interessenverbände Tätigkeiten legitimierenund bei der Etablierung unterstützen. Bei solchen Professionalisie-rungsprozessen im Sinne einer gesellschaftlich-institutionellen Or-ganisation von Mobilitätsberatung könnten Richtlinien oder Stan-dards entstehen, sodass Mobilitätsberatung zukünftig eine ge-schützte Tätigkeit darstellen kann. Hiermit würde auch für die Ad-ressaten der Beratung ersichtlich, dass diese über ein eindeutigesgesellschaftliches Mandat verfügt. Als Beispiel für einen solchenProzess kann die Unterstützung von Beratungen zur Förderungunternehmerischen Know-hows des Bundesministeriums für Wirt-schaft und Ausfuhrkontrolle (vgl. BAFA 2016) dienen.

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Hieraus lassen sich auch verschiedene Modelle zur Finanzierung derMobilitätsberatung ableiten. Während es zurzeit noch an Provisi-onskonzepten zwischen verschiedenen Mobilitätsanbietern fehlt(vgl. Kaufmann et al. im Druck) und die, eine Planungssicherheitgewährleistenden Abonnements im ÖPNV eine flexible Mobilität oftbehindern, könnte Mobilitätsberatung als Dienstleistung sichdurchaus auch selbst finanzieren. Einerseits könnten umfangreicheBeratungen zur Mobilität nach festgelegten Sätzen angeboten undabgerechnet werden. Wie im vorangegangen Szenario angedeutetwurde, haben Mobilitätsberatungen das Potenzial mittel- bis lang-fristig Kostenersparnisse für Kunden zu bewirken, sodass damiteine steigende Zahlungsbereitschaft dieser einhergehen kann. An-dererseits wären auch die bereits angedeuteten finanziellen Förde-rungen seitens des Staates denkbar. Diese könnten sich auf Förde-rungen bei der Qualifizierung von Beschäftigten für Mobilitätsbera-tung oder aber auf eine Bezuschussung von Privatpersonen undUnternehmen richten, die Mobilitätsberatungen in Anspruch neh-men wollen. Perspektivisch könnte hiermit auch der Problematikbegegnet werden, dass die ökonomischen Ansprüche von Unter-nehmern an eine ökologische Mobilität mit den politischen Zielenhierfür oftmals nicht widerspruchsfrei einhergehen.

5. Ausblick

Die leitende These dieses Beitrags ist, dass eine Mobilitätsberatungnicht nur für Einzelpersonen eine Hilfe- und Unterstützungsformdarstellt, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Bearbeitunggesellschaftlicher Problemlagen liefern kann. In diesem Zusam-menhang sollten hier neben den dabei bestehenden Hürden fürdieses Handlungsfeld auch die im Projekt ProMobiE entwickeltenLösungsansätze aufgezeigt werden. Vor allem die im Szenario skiz-zierten Potenziale der Mobilitätsberatung für eine umweltverträgli-che, soziale und ökonomisch effiziente Nutzung von Mobilitätsan-

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geboten und -konzepten machte deutlich, dass es lohnenswert ist,diesen Lösungsansatz weiter zu verfolgen und ihn um neue Per-spektiven zu ergänzen. Besonders in der Diskussion um die Stär-kung der Nachfrage von Elektromobilität kann und muss die indivi-duelle Beratung eine prominente Stellung einnehmen. Das öffentli-che Interesse dieses Themas sollte sich dann, so unsere Ansicht,auch in öffentlicher Förderung niederschlagen. Dabei geht es nichtnur um eine Finanzierung, sondern vornehmlich um eine Auseinan-dersetzung mit den bereits genannten strukturellen Problemen vonMobilitätsberatung, die eine professionelle Organisation der Bera-tung innerhalb der beteiligten Institutionen bislang erschweren. ImKern bedeutet dies:

1. Wie und von wem kann eine unabhängige Mobilitätsbera-tung angeboten werden?

Wie sich zeigte, ist die Mobilitätsberatung auf gut qualifizier-tes Personal angewiesen. Dies stellt die Anbieter dieser Be-ratungsdienstleistung vor die Frage der Finanzierung, vor al-lem wenn das eigentliche Kerngeschäft dieser Anbieter inVerkehrsdienstleistungen besteht. Um eine Beratung gänz-lich unabhängig von diesen Angeboten und Produkten zugestalten, darf sie in ihrem Bestehen nicht auf den Umsatzder Verkehrsdienstleistungen angewiesen sein. Wege undMöglichkeiten für eine in diesem Sinne unabhängige Mobili-tätsberatung wurden in diesem Artikel aufgezeigt. Hier soll-te eine öffentliche Förderung ansetzen.

2. Wie kann dabei eine Sicherung inhaltlicher und qualitativerStandards erfolgen?

Die mit dem Projekt ProMobiE bereits angestoßene Profes-sionalisierung innerhalb der Branche der Verkehrsunter-nehmen ist ein erster wichtiger Schritt, um Mobilitätsbera-tung zu etablieren. Um einen für die Adressatenseite brei-tenwirksamen Effekt zu erreichen, sollten allerdings auch

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weitere Akteure diese Dienstleistung anbieten. Dabei solltensich neben Verbänden wie dem Verband Deutscher Ver-kehrsunternehmen e. V. (VDV) oder dem VerkehrsclubDeutschland e. V. (VCD) auch der Gesetzgeber und das Be-rufsbildungssystem damit beschäftigen, wie eine verbindli-che Basis an Qualifikationen und Inhalten in der Mobilitäts-beratung aussehen kann. Ein neues Berufsbild, erprobteWeiterbildungen sowie staatliche Richtlinien sind hierbeizentrale Ansatzpunkte für die Zukunft.

Abschließend kann festgehalten werden, dass sich mit der Mobili-tätsberatung aktuell ein Handlungsfeld etabliert, das neben derVielzahl an technologischen Entwicklungen in der Verkehrsbrancheeinen nicht minder wichtigen Beitrag für die Zukunft der Elektro-mobilität in Deutschland leisten kann. Insofern sollte sie zukünftigaus ihrem Schattendasein auf der Agenda nationaler Entwicklungs-pläne hervortreten.

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Zweirädrige Elektromobilität

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Neue Dienstleistungen für mehr Radmo-bilität in der Zukunft – Das Beispiel Gel-senkirchen

Romina Wendt, Peter Bruckmann

1. Für mehr Radmobilität in der Stadt Gel-senkirchen

Im Rahmen des Forschungsprojektes KIE-Lab (Kunden-Innovationslabor Elektromobilität – Kundengetriebene Entwicklungelektromobiler Brückendienstleistungen) werden Kunden bzw. Nut-zer bei der Entwicklung neuer Dienstleistungen in das Zentrum derBetrachtung gerückt. Kunden nehmen so eine Ko-Produzentenrolleein. Sie gestalten die Entwicklung innovativer Brückendienstleistun-gen zur Förderung einer nachhaltigen (Rad-)Mobilitätskultur partizi-pativ gemeinsam mit Dienstleistern. Brückendienstleistungen ver-binden dabei die klassischen besitzorientierten mobilen Nutzungs-gewohnheiten der Kunden mit moderner nutzerorientierter Elekt-romobilität, um Mehrwerte für alle Beteiligten (Nutzer, Dienstleister,Städte etc.) zu schaffen.Ziel des Projektes war es potenzielle Nutzer und Anwender neuerBrückendienstleistungen in einer Workshop-Situation (KIE-Lab) zu-sammenzuführen und in einem systematischen und moderiertenProzess neue Ideen für eine nachhaltige Mobilität in Städten zuentwickeln. Die Ergebnisse solcher Kundeninnovationslabore sindinnovative Dienstleistungsszenarien, die für Unternehmen, Verbän-de oder Städte interessant sind und in reale Geschäftsmodelle undUmsetzungskonzepte überführt werden können.Im Rahmen des Projektes wurde deshalb unter anderem ein KIE-Lab mit dem ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e. V.) Gel-senkirchen als Interessensvertreter für Fahrradfahrer durchgeführt.

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Zentrales Ziel der Zusammenarbeit mit Vertretern des ADFC war esDienstleistungsszenarien zu generieren, deren thematischer Fokusauf der Verbesserung der Bedingungen für eine karbonfreiere Mo-bilität auf zwei Rädern – also insbesondere für Fahrräder, Pedelecsund E-Bikes – in der Stadt Gelsenkirchen lag.

2. Ablauf des Kundeninnovationslabors(KIE-Lab) für mehr Radmobilität

Das KIE-Lab mit dem ADFC Gelsenkirchen verlief nach einer am FIAPentwickelten Methode der partizipativen Dienstleistungsentwick-lung. Die gezielte Steuerung der Kommunikation in der Arbeits-gruppe sollte die Motivation und aktive Mitarbeit aller Beteiligtenfördern und zur Erarbeitung eines gemeinsam entwickelten Lö-sungskonzepts zur Förderung der Radmobilität in Verbindung mitElektromobilität in der Stadt Gelsenkirchen beitragen.In einem ersten Schritt wurden hierfür gemeinsam die Problemfel-der der Fahrradnutzung in Gelsenkirchen erörtert, diskutiert unddokumentiert. Anschließend wurden für die größten Hindernisseder Radmobilität Lösungsvorschläge erarbeitet, die den Anteil desFahrradverkehrs am innerstädtischen Verkehrsaufkommen insge-samt u. a. mithilfe neuer Dienstleistungen vergrößern könnten.Während einer Gruppenarbeitsphase wurden zwei dieser Vorschlä-ge weiter vertieft und zu ersten Lösungskonzepten ausgearbeitet.Die Lösungsvorschläge reichten hierbei von komplexen Infrastruk-turkonzepten bis hin zu innovativen Dienstleistungssystemen, bei-spielsweise zur sicheren Verwahrung von Pedelecs und Fahrrädern.Die Ergebnisse werden im Folgenden aufbereitet und zu einemKonzept zur Förderung der Radmobilität in der Stadt Gelsenkirchenausgearbeitet.

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3. Was die verstärkte Radmobilität in Gel-senkirchen hemmt

Zu Beginn des Workshops stand die Frage nach aktuellen Proble-men in Bezug auf die (Elektro-) Radmobilität in Gelsenkirchen imVordergrund. Für die Frage, was die stärkere Nutzung von Fahrrä-dern hemmt, wurde eine Problemliste erarbeitet (siehe Tabelle 1).Hierfür notierte jeder Teilnehmer die aus seiner Sicht drei wichtigs-ten Gründe, die gegen eine stärkere Radnutzung sprechen. An-schließend wurden diese durch die Teilnehmer der Gruppe bewer-tet. Dazu hatte jeder die Möglichkeit, die für ihn relevantestenHemmnisse zu bewerten. Bei der Befragung kristallisierten sichfolgende drei zentrale Problemfelder heraus:

1. AbstellmöglichkeitenDie Teilnehmer beklagen, dass es in Gelsenkirchen nur wenig si-chere und barrierefreie Abstellmöglichkeiten für das Fahrradgibt. Generell befinden sich Abstellplätze nicht in ausreichenderZahl an zentralen Knotenpunkten (Busbahnhof; Fußgängerzo-nen, Ladenstraßen/Einkaufszentren). Außerdem wird die Ser-vicequalität vorhandener Abstellmöglichkeiten beklagt (Es feh-len z. B.: Stellflächen in Parkhäusern, Fahrradboxen mit Schließ-fächern für Einkäufe, Lademöglichkeit für Pedelecs, Diebstahl-schutz/Überwachung, Wetterschutz).

2. Nord-Süd-VerbindungDie Verbindung zwischen der Gelsenkirchener Innenstadt undGelsenkirchen-Buer ist für Fahrradfahrer wenig attraktiv, da eskeine schnelle und sichere Verbindung gibt (z. B. an der viel be-fahrenen Kurt-Schumacher-Straße). Bemängelt wird außerdemdie auf Autofahrer ausgerichtete grüne Welle. Sie ist ein Hinder-nis für Fahrradfahrer. Darüber hinaus ist das Befahren der Kurt-Schumacher-Straße mit dem Fahrrad besonders an Heimspielen

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des FC Schalke 04 nahezu unmöglich und aufgrund des starkenVerkehrsaufkommens für Radfahrer auch sehr gefährlich.

3. Zustand der Radwege

Der Allgemeinzustand der Radwege sowie der schleppendeAusbau des Radwegenetzes in Gelsenkirchen wurde von denKIE-Lab-Teilnehmern kritisiert. Die automobile Infrastrukturwird in vielerlei Hinsicht immer noch bevorzugt. Auf der ande-ren Seite erschwert der schlechte Zustand der Radwege, großeLücken im Radwegenetz, zu viele unsichere und unattraktive,schmale Rad-Schutzstreifen auf Fahrbahnen statt abgetrennterRadstreifen sowie kaum Sonderfahrstreifen für Radfahrer denUmstieg auf das umweltfreundliche Fahrrad und Pedelec.

Tab. 1: Ranking – Hemmnisse der Radnutzung in der Stadt GelsenkirchenHemmnisse der Radnutzung Punktzahl*1. Wenig sichere Abstellmöglichkeiten 8

2. Schlechte Nord-Südverbindung 8

3. Kritischer Zustand der Radwege 6

4. Fehlende ausgewiesene Radwege 4

5. Zu wenig attraktive Orientierungspunkte (Themen-touren)

3

6. Schlechte Transportmöglichkeit des Fahrrads imÖPNV

1

7. Fehlende Reparaturmöglichkeiten 1

8. Fehlende Lagerungsmöglichkeiten für Einkäufe 1

9. Fehlende Ausleihmöglichkeiten von Lastenrädern 1

10. Zugeparkte Radwege 1

* Jeder Teilnehmer hatte die Möglichkeit die zuvor genannten Hemmnissenach Relevanz mit je zwei Punkten zu bewerten. Für die vorherige Nennunggibt es grundsätzlich einen Punkt.

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4. Lösungsansätze für die zwei stärkstenHemmnisse

Im zweiten Schritt des Workshops beschäftigten sich zwei Unterar-beitsgruppen mit der Entwicklung von Lösungsansätzen für die zweiwichtigsten Probleme:

1. die fehlenden sicheren Abstellplätze2. der unattraktiven, umständlichen und unbequemen Radwege-

verbindung zwischen den Innenstädten Gelsenkirchen und Bu-er.

Der Arbeitsschritt fokussiert sich auf die Frage, wie diese beidenProbleme überwunden werden können und wie eine mögliche Lö-sung aussehen könnte. Gruppe 1 erarbeitete ein Lösungskonzeptfür sichere Abstellmöglichkeiten in Gelsenkirchen, Gruppe 2 arbeite-te ein Umsetzungskonzept für eine verbesserte Nord-Südverbindung aus. Um die Teilnehmer bei der Ideenfindung zuunterstützen und Ihnen die Erarbeitung eines Lösungskonzeptes ineinem zeitlichen begrenzten Rahmen zu erleichtern, wurden fol-gende Leitfragen gestellt:

Welche Akteure/Ressourcen werden benötigt? Welche Kosten werden verursacht? Welche Einnahmequellen (z. B. durch neue Dienstleistungen)

ergeben sich? Was ist der Mehrwert für die Kunden/Radnutzer und die Stadt?

4.1 Mehr Servicequalität für das sichere und bequemeFahrrad-Parken

Umsetzungsidee für mehr sichere Abstellmöglichkeiten für Fahrrä-der und Pedelecs (Ergebnisse der AG 1)

Aus den Ergebnissen des KIE-Labs der Arbeitsgruppe 1 geht derstarke Bedarf nach zusätzlichen und vor allem sicheren sowie barri-

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erefreien Abstellplätzen für Fahrräder hervor, die zentral und at-traktiv, also in oder zumindest in der Nähe von Einkaufsstraßen, anwichtigen Verkehrsknotenpunkten oder Gelsenkirchener Hotspotsgelegen sind. Daraus ergibt sich die Empfehlung für neue Fahr-radabstellanlagen in Parkhäusern und auf zentralen Plätzen, dieschnell und fahrend erreichbar sind und zugleich eine hohe Sicher-heit bieten. Die Fahrradabstellanlagen könnten begleitet werdenvon ergänzenden Dienstleistungen, z. B. durch das Überwachen,Pflegen, Reparieren und Laden sowie den Verleih von (Elektro-)Fahrrädern und Equipment (Fahrrad-Anhänger).Die Arbeitsgruppe eins konzentrierte sich auf die Fragen, welcheMaßnahmen notwendig sind, welche Akteure angesprochen werdenmüssen und welche Ressourcen benötigt werden, um mehr sichereund barrierefreie Abstellmöglichkeiten für Fahrräder zu realisierenund darüber die Fahrradfreundlichkeit der Stadt nachhaltig zu ver-bessern und damit attraktiver zu gestalten. Abbildung 1 visualisiertdie Ergebnisse der Arbeitsgruppe 1.Aus Sicht der ADFC-Mitglieder sind die primär benötigten Ressour-cen für sichere Fahrrad-Abstellmöglichkeiten freie Flächen, auf de-nen Fahrradboxen oder bewachte, umzäunte Fahrradparkplätzeerrichtet werden können, um eine sichere Aufbewahrung des Fahr-rads zu gewährleisten. Solche Flächen könnten von unterschiedli-chen Akteuren, zum Beispiel von der Stadt, aber auch von großenWarenhäusern oder lokalen Werbegemeinschaften angemietet undbetrieben werden. Die Einrichtung solcher Abstellplätze verursachtzwar Kosten (Stellflächen, Aufsichtspersonal etc.) und Zeit. DieseAufwände können jedoch minimiert werden, wenn auf städtischeFlächen zurückgegriffen wird, die Möglichkeiten der Digitalisierungund Automatisierung genutzt und Fahrrad-Stellflächen in vorhan-dene Dienstleistungen eingebunden werden (z. B. automatisierteFahrradboxen mit Zugang über eine App; gebührenpflichtige Nut-zung von vorhandenen überwachten Parkhäusern auch für Fahrrä-der und Pedelecs). Hieraus könnten sich auch neue Geschäftsmo-delle entwickeln, z. B. für die Pflege von Fahrrädern, dem Verleih

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von zusätzlichem Equipment (Fahrradanhänger) oder durch gebüh-renpflichtige Ladesäulen für Pedelecs und E-Bikes.Aus der Sicht der Arbeitsgruppe ist zu erwarten, dass sich langfristignicht nur Mehrwerte für die Nutzer dieser Flächen, sondern auchfür deren Betreiber ergeben. Die gesteigerte Attraktivität der Innen-städte für Fahrradnutzer kann zu einer Belebung der Innenstädteund zur Stärkung der lokalen Ökonomie durch neue entstehendeDienstleistungen beitragen. Zudem nehmen die Mitglieder desADFC an, dass die Radnutzung zum Beispiel für Einkäufe in derStadt auch für Personen attraktiver wird, die das Fahrrad bislangeher selten nutzen. Neben der Attraktivitätssteigerung der Stadtsind auch weitere Mehrwerte für die beteiligten Akteure zu erwar-ten. Die Mitglieder des ADFC schätzen die Bereitschaft der Radnut-zer sehr hoch ein, für eine sichere und bequeme Abstellmöglichkeitfür ihr Fahrrad eine Gebühr, ähnlich wie die Parkgebühr für Pkws,zu entrichten.

Abb. 1: Umsetzungskonzept der Arbeitsgruppe 1 – sichere Abstellmöglich-keiten

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Um für städtische Akteure und Radnutzer Mehrwerte zu erzeugensind allerdings die spezifischen Bedarfe der Fahrradfahrer zu be-rücksichtigen. So müssen zum Beispiel die unterschiedlichen An-sprüche von Langzeit-Parkern (z. B. an Bahnhöfen), die höhere An-sprüche an den Parkplatz stellen (z. B. Überdachung, Bewachung,gut sichtbar im Blickfeld von Passanten oder Geschäften) und Kurz-zeit-Parkern (z. B. vor dem Supermarkt) bei der Dienstleistungsent-wicklung berücksichtigt werden. Für die Workshop-Teilnehmer istjedoch generell wichtig, dass die Abstellmöglichkeiten sehr nah amZielort liegen und fahrend erreicht werden können. Ein guter Indika-tor für mögliche neue Abstellstandorte sind zum Beispiel Flächen,auf denen Fahrräder ‚wild’ abgestellt werden. Bei der Gestaltungneuer Abstellflächen ist außerdem auf ausreichend Platz zwischenden einzelnen Rädern zu achten. Auch der Komfort bei der Abstel-lung muss aus Sicht der Arbeitsgruppe berücksichtigt werden. Soempfiehlt der ADFC bei senkrechter Anordnung der Fahrräder 70cm Abstand zwischen den Fahrrädern, um Beschädigungen beimAbstellen zu vermeiden, aber auch um Fahrräder mit Transportkör-ben oder Kindersitz problemlos abstellen zu können (ADFC, 2010).Beispiele für sichere Abstellmöglichkeiten sind Fahrradbügel alsplatzsparende Möglichkeit, das Fahrrad vor Eingangsbereichen vonShopping-Zentren oder am Rande von Fußgängerzonen abzustel-len. Damit kann einerseits das Einkaufen mit dem Rad ins Bewusst-sein gebracht und andererseits die Fußgängerzone von Fahrrädernfreigehalten werden. An zentralen Verkehrsknotenpunkten derStadt lohnt sich die Bereitstellung gebührenpflichtiger, diebstahlsi-cherer Fahrradboxen oder die Errichtung (automatisierter) Fahr-radparkhäuser. In NRW gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Rad-stationen, die eine Gebühr für das Parken von Fahrrädern erhebt.Das Abstellen des Fahrrades kostet im Schnitt 10 Cent pro Stunde,Tageskarten belaufen sich auf maximal 50 Cent, Monatskarten gibtes z. B. in Münster für 7 Euro (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,2015).

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Zentrales Ergebnis des KIE-Labs mit dem ADFC Gelsenkirchen: Ohnesichere und barrierefreie, von Service-Angeboten begleitete Fahr-rad-Abstellmöglichkeiten an zentralen Verkehrsknotenpunkten derStadt Gelsenkirchen wird die Entwicklung einer nachhaltigen, kar-bonfreieren Mobilität im lokalen Raum durch den Umstieg auf Fahr-rad und Pedelec nicht gelingen. Zusätzlich muss ein praktisches undkomfortables Abstellen des Fahrrads am Wohnort gewährleistetwerden, denn die Anschaffung von teureren Elektrofahrrädern, wirdunter anderem durch fehlende, unsichere und unbequeme Ab-stellmöglichkeiten am Wohnort gehemmt. Insbesondere ältere Ver-kehrsteilnehmer, zunehmend aber auch jüngere nutzen verstärktPedelecs. Dies erhöht den Druck auf den Ausbau von barrierefreienFahrradboxen in Wohngegenden, da das hohe Gewicht von Elektro-fahrrädern die Abstellung im hauseigenen Keller erschwert. Dieb-stahl-, vandalismus- und witterungsgeschützte Abstellmöglichkeitenan der Wohnung sind für die Steigerung der Fahrradnutzung einewichtige Grundvoraussetzung. Hier entstehen neue Geschäftsfelderz. B. für Immobiliengesellschaften und Hausbesitzer.Bereits heute gibt es zahlreiche innovative Produkte und Dienstleis-tungen für diesen Markt: Fahrradboxen, Fahrradgaragen, Fahr-radparkhäuser.Beispielhaft geht die Stadt Hamburg vor: Dort werden bereits pri-vate Fahrrad-Häuschen von der Stadt bezuschusst. Die abschließba-ren Holzhäuschen mit einer Fläche von 6 m2 bieten Platz für 12Fahrräder. Das Unterstellen der Fahrräder wird durch ein Drehka-russell erleichtert. Die Anschaffungskosten liegen je nach Ausstat-tung bei 7.000 bis 9.000 Euro, 50 Prozent des Preises werden vonder Stadt in der Regel übernommen. Die Kosten für Reparaturenund Instandhaltung sind von den Eigentümern selbst zu tragen (Be-hörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation – Stadt Hamburg, ver-fügbar unterhttp://www.hamburg.de/radverkehr/2940772/fahrradhaeuschen/).

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Weitere Beispiele für innovative Park- und Abstellkonzepte für Fahr-räder und Pedelecs, die zukünftig auch für die Stadt Gelsenkirchendenkbar wären, sind aus Sicht der Arbeitsgruppe 1 unter anderem:

Unterirdische Abstellmöglichkeit für Fahrräder:Diese Parklösung bietet Platz für Fahrräder, die darin wetterge-schützt, platzsparend und trocken abgestellt werden können undzugleich den Blicken von Dieben entzogen sind. Hier gibt es bereitsVorreiter aus den Niederlanden und Spanien, die auf diese innova-tive Alternative für sichere Abstellplätze setzen. Die Modelle könnendabei in ihren Unterbringungskapazitäten variieren (RupprechtConsult GmbH, http://www.rupprecht-consult.eu/uploads/tx_rupprecht/12_PRESTO_Infrastruktur_fahrradparkpltze_und_abestellmglichkeiten.pdf).

Vollautomatisches Radhaus für Fahrräder:Seit 2013 bietet die Stadt Offenburg auf fünf Etagen eines vollauto-matisierten Radhauses Platz für 120 Fahrräder und Pedelecs. Füreine diebstahlsichere Unterbringung der Fahrräder setzt die Stadtauf moderne Chipkartentechnik. Der innovative, zehn Meter hoheSmart-Turm ist mit dem 2. Deutschen Fahrradpreis in der KategorieInfrastruktur ausgezeichnet worden (Bundesministerium für Ver-kehr und digitale Infrastruktur, http://www.der-deutsche-fahrradpreis.de/fileadmin/bfb_dateien/Download2015/Nominiert_03.pdf).

4.2 Mehr urbaner Raum durch weniger motorisiertenVerkehr

Umsetzungsidee für eine Nord-Südverbindung in Gelsenkirchendurch die Einrichtung einer Umweltspur auf der Kurt-Schumacher-Straße (Ergebnisse der AG 2)

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Neben dem Wunsch nach sicheren Abstellplätzen für Fahrrädergeht aus den Ergebnissen des KIE-Labs mit dem ADFC Gelsenkir-chen ein erheblicher Bedarf nach einer (direkten) Verbindung zwi-schen der nördlichen (Gelsenkirchen-Buer) und der südlichen In-nenstadt (Gelsenkirchen Altstadt) hervor. Da die bisherigen Rad-Verbindungsmöglichkeiten insgesamt als sehr unattraktiv geltenund eine Barriere für die Verbindung der beiden Stadtteile darstellt,hat die Arbeitsgruppe zwei konkrete Lösungsansätze herausgear-beitet. Abbildung 2 visualisiert die Ergebnisse der Arbeitsgruppe 2.

Abb. 2: Umsetzungskonzept der Arbeitsgruppe 2 – direkte Nord-Süd Ver-bindung in Gelsenkirchen

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Bezüglich des Problems zwischen einer attraktiven Verbindung zwi-schen Buer und Gelsenkirchen monieren die Mitglieder des ADFCdas mangelnde Platzangebot auf der vierspurigen Kurt-Schumacher-Straße für Radfahrer und Fußgänger. Aus Sicht der KIE-Lab-Teilnehmer ist vor allem ab der Kreuzung Uferstraße RichtungSüden bis zur Florastraße und umgekehrt die Fahrradnutzung na-hezu unmöglich und sogar gefährlich. Um dieses Problem zu über-winden schlägt die Arbeitsgruppe auf dieser Strecke eine sogenann-te Umweltspur als Lösungsansatz für dieses Teilstück vor. Umwelt-spuren- wie zum Beispiel in Wiblingen sind als benutzungspflichtigeRadwege mit dem Zusatz "Linienverkehr frei" beschildert. Der ÖPNVund der Taxiverkehr dürfen den Radweg zwar mitnutzen und zumÜberholen von Fahrrädern auch verlassen, Fahrradfahrer haben aufeiner solchen Umweltspur jedoch Vorrang (Südwest Presse, 2014).Umweltspuren sind also Fahrbahnen, die den karbonfreien Ver-kehrsträgern Vorfahrt gewähren (könnten). Auch Elektrofahrzeugenkönnte dort eine Mitnutzung eingeräumt werden.Im Rahmen des Workshops wurden zahlreiche Best-Practice-Beispiele gesammelt, die als Anregungen für die Ausgestaltung derdirekten Verbindung zwischen Gelsenkirchen Buer und der AltstadtGelsenkirchen dienen könnten:So hat beispielsweise die Fahrradstadt Münster durch den Einsatzvon Umweltspuren erreicht, dass der innerstädtische motorisierteVerkehr nahezu aus der Stadt verbannt wurde, die Attraktivität desFahrradfahrens enorm gestiegen ist und eine neue Stadtkultur ent-standen ist. Aber auch hier zeigte sich, dass die Entwicklung einerFahrradkultur und die Verbesserung der nachhaltigen Mobilität einEntwicklungs- und Planungskonzept braucht. Anfang der 1990erJahre richtete die Stadt Münster zunächst Busspuren auf denHauptverkehrsstraßen ein.

„Damit ging jedoch die Frage einher, wo Radfahrende ihrenPlatz im Straßenraum finden. Es wurde entschieden, aus derBus- eine Umweltspur zu machen. Zuvor war ein Gutachtenin Auftrag gegeben worden, ob eine gemeinsame Führung

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sinnvoll ist. Unter den Voraussetzungen, dass die Fahrbahnausreichend breit ist, die Busse mit angepasster Geschwin-digkeit fahren und an Kreuzungen sowie Bushaltestellenbeide Verkehrsmittel besonders gesichert werden, war dasErgebnis positiv“ (VCD, Münster).

Der Vorteil einer solchen Maßnahme sind die relativ geringen Kos-ten. Es werden lediglich neue Markierungen und Beschilderungenbenötigt (VCD, Münster). Auch die Stadt Pforzheim greift im Zugevon Umbaumaßnahmen auf diesen Lösungsansatz zurück und er-richtet auf einer Busspur einen Radfahrstreifen, den Busse zwarnach wie vor nutzen dürfen, die den Radfahrern jedoch Vorranggewähren. Um die Aufmerksamkeit für die Fahrradfahrer zu erhö-hen, wurde neben der üblichen weißen Markierung, eine grüneStraßenmarkierung eingesetzt (VCD, Pforzheim).Eine Alternative zur Umweltspur stellt ein Beispiel aus Karlsruhedar. Dort wurde eine vierspurige Straße (zwei Fahrbahnen pro Rich-tung) so umgebaut, dass in südlicher Fahrtrichtung nur noch eineSpur für den motorisierten Verkehr zur Verfügung steht. Die Vortei-le für die Radnutzer sind enorm, ohne die Pkw-Nutzung erheblicheinzuschränken. Die frei werdende Fläche wurde mit einem Rad-fahrstreifen markiert und dadurch dem Radverkehr gutgeschrieben.Vorab kamen Gutachten zu dem Ergebnis, dass der motorisierteVerkehr weiterhin frei fließen könne. Nach der Einrichtung des Rad-fahrstreifens benötigen die Autos nur minimal länger, um die Stre-cke zu passieren (VCD, Karlsruhe).Diese Beispiele zeigen, dass es bereits eine Vielzahl fahrradfreundli-cher Konzepte gibt, die in die Straßenplanung der Stadt mit inte-griert werden können, allerdings sollten aus Sicht der Arbeitsgruppe2 bei der Umgestaltung der Infrastruktur in Gelsenkirchen weitereAspekte berücksichtigt werden. Beispielsweise müsste auf einerdirekten Nord-Südverbindung über die Kurt-Schumacher-Straße diegrüne Welle auch an die Geschwindigkeit der Radfahrer angepasstwerden, um die Attraktivität für den nicht motorisierten Verkehr zusteigern und mehr urbanen Raum zu schaffen.

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Um die Nutzerfreundlichkeit von Fahrrädern (und zunehmend auchPedelecs) weiter zu erhöhen, hält die Arbeitsgruppe eine Kooperati-on mit dem lokalen ÖPNV (hier also die BOGESTRA) für geboten. Füreine zügige Verbindung zwischen der Nord- und Südstadt Gelsen-kirchens sollte die Fahrradmitnahme in Bussen und Straßenbahnenauf dieser Strecke vereinfacht und optimiert werden. Gelobt wirdvon den Teilnehmern des KIE-Labs der Einsatz der neuen Straßen-bahnen auf den Linien 301 und 302, da diese einen komfortablenEinstieg und sicheren Fahrradtransport ermöglichen. Die Fahrrad-mitnahme in älteren Straßenbahnmodellen und im Linienbus isthingegen häufig problematisch, da die Fahrräder nur im Stehplatz-bereich mittransportiert werden können. Hier haben jedoch Fahr-gäste mit Kinderwagen oder Rollstühlen Vorrang. Auch die Befesti-gung des Rads ist meist nicht möglich. Für den Busverkehr in Gel-senkirchen auf dieser Strecke wäre zum Beispiel das innovativeHalterungssystem, (Fahrrad2Go) von Omnibus-Verkehr Ruoff (OVR),welches außen am Heck befestigt wird und mit dem bis zu zehnFahrräder gleichzeitig transportiert werden können, eine interes-sante Möglichkeit, um die Probleme der unzureichenden Nord-Südverbindung für Fahrräder zu beseitigen. Eine Mitnahme außenam Bus bietet den Vorteil, dass es nicht zu Konflikten mit anderenFahrgästen kommt und mehrere Fahrräder auf einer Linie mitge-führt werden können (OVR).Neben dem Transport müsste auch die Möglichkeit gegeben sein,die Fahrräder in unmittelbarer Nähe der Haltestellen sicher abzu-stellen. Dazu müssen die Bedürfnisse der Fahrradfahrer nach dieb-stahlsicheren Radboxen und Abstellplätzen berücksichtigt werden.Außerdem wäre es denkbar, dass an Knotenpunkten des ÖPNV alsneue Dienstleistung Leihfahrräder angeboten werden, damit auchder Weg von der Haltestelle zum Zielort möglichst komfortabel undschnell zurückgelegt werden kann, wenn die Fahrradnutzer auf denTransport des eigenen Fahrrades verzichten möchten (siehe Ergeb-nisse der Arbeitsgruppe 1).

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Die KIE-Lab-Teilnehmer des ADFC sind sich sicher, dass die Umge-staltung der Fahrradinfrastruktur auf der Strecke zwischen Gelsen-kirchen-Buer und der Innenstadt von Gelsenkirchen in Kombinationmit der besseren Nutzbarkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln dieBereitschaft zur Fahrradnutzung erhöht und somit die Mobilität inder Stadt Gelsenkirchen CO2-ärmer und nachhaltiger gestaltet.Aufgrund der Komplexität solcher Maßnahmen, können die Ideender Arbeitsgruppe als eine Ideensammlung für eine mögliche Um-setzung betrachtet werden. Um ein vollständiges Konzept zu erar-beiten, regen die Workshop-Teilnehmer eine systematische Ist-Analyse zur Erfassung der zentralen Radfahrbedürfnisse in derStadt an. Ziel einer solchen Analyse sollte sein, unter Einbeziehungvon Bürgern, lokalen Unternehmen und Dienstleistern sowie Ver-kehrsplanern passgenaue Lösungskonzepte zu erarbeiten. Inner-halb eines solchen Entwicklungsprozesses soll ein ganzheitlichesSzenario für eine fahrradfreundliche Nord-Südverbindung entwi-ckelt werden. Ziel des Konzeptes ist es, eine durchgehende Schnell-Verbindung mit einem einheitlichen Erscheinungsbild zu gestalten,die möglichst frei von motorisiertem Verkehr ist und in beidenFahrtrichtungen für Fahrräder und Pedelecs genutzt werden kann.

5. Fazit – Fahrradstadt Gelsenkirchen

Die hier dargestellten Ergebnisse des KIE-Lab-Workshops in Zu-sammenarbeit mit dem ADFC Gelsenkirchen sollen zur Verbesse-rung der (Elektro-)Radmobilität in der Stadt Gelsenkirchen anregen,den Umstieg auf das Fahrrad erleichtern und so einen Beitrag fürmehr klimafreundliche Mobilität, Gesundheit und Lebensqualität inder Stadt leisten, sodass 2030 möglicherweise von der FahrradstadtGelsenkirchen gesprochen werden kann.Dazu ist es dringend erforderlich, die Verkehrsplanung zukünftigverstärkt an den Nutzerbedürfnissen von Fußgängern und Radfah-

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rern zu orientieren und den Anteil des motorisierten Verkehrs zureduzieren.Um den Bedürfnissen der Fahrradfahrer gerecht zu werden undneue Anreize für den Umstieg vom Pkw auf das (Elektro-) Fahrrad zuschaffen, bedarf es mittelfristig einer Neugestaltung der Verkehrsin-frastruktur in Gelsenkirchen, die sich

1. mit dem Ausbau von Fahrradabstellmöglichkeiten und Erhö-hung der Servicequalität für das sichere und bequeme Fahrrad-Parken in den Innenstädten, an zentralen Hotspots und in denWohnvierteln der Stadt beschäftigt,

2. mit dem Lückenschluss im Fahrradwege-Netz und insbesonderemit dem Auf- und Ausbau einer sicheren und schnellen Nord-Südverbindung zwischen Buer und Gelsenkirchen befasst.

Aus Sicht der Workshop-Teilnehmer werden Verbesserungen indiesen zwei Problemfeldern in der Stadt die Bereitschaft für dieverstärkte Fahrradnutzung fördern und dauerhaft zu mehr Nach-haltigkeit, Lebensqualität und Gesundheit im urbanem Raum durcheine deutliche Verringerung des motorisierten Verkehrs führen. DerUmbau zu einer fahrradfreundlichen Stadt könnte Gelsenkirchen zueinem attraktiveren Ort für Fahrradbesucher machen. Neue Dienst-leistungen und damit neue Arbeitsplätze könnten entstehen.Aus der Sicht der Workshop-Teilnehmer ist nunmehr eine weitereVertiefung und Konkretisierung der hier vorgestellten Ideen des KIE-Labs unter Beteiligung von Bürgern und Interessenvertretern ge-fordert, um im Rahmen systematischer Ist-Analysen und Bedarfser-fassungen diese Ideen zu konkretisieren und in die Praxis umzuset-zen.

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Literaturverzeichnis

ADFC (2010): Hinweise zur Planung von Fahrradabstellanlagen. Online ver-fügbar unter http://www.adfc.de/files/2/110/111/ADFC_Hinweise_Planung_Abstellanlagen.pdf, zuletzt geprüft am 16.09.2016.

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (2015): Die Radstation: Mehr als ein Park-haus. Online verfügbar unter http://gruene-fraktion-nrw.de/aktuell/aktuelldetail/nachricht/mehr-als-ein-parkhaus.html,zuletzt geprüft am 16.09.2016.

Hamburg: Fahrradabstellen – Fahrradhäuschen in Hamburg. Online ver-fügbar unter http://www.hamburg.de/radverkehr/2940772/fahrradhaeuschen/, zuletzt geprüft am 15.09.2016.

OVR: Fahrrad2Go – Deutschlandweit einmaliges innovatives Klimaschutz-projekt startet im Busverkehr des Rems-Murr-Kreises. Online ver-fügbar unter http://www.ovr-bus.de/ueber-uns/fahrzeuge/fahrrad2g,zuletzt geprüft am 15.09.2016.

Südwest Presse (2014): Erstmals Umweltspur für Busse und Radler in Wib-lingen. Online verfügbar unter http://www.swp.de/ulm/lokales/ulm_neu_ulm/Erstmals-Umweltspur-fuer-Busse-und-Radler-in-Wiblingen;art4329,2830679, zuletzt geprüft am 15.09.2016.

VCD Karlsruhe: Radfahrstreifen statt Kfz-Fahrstreifen. Online verfügbarunter https://fahrradfoerderung.vcd.org/fileadmin/user_upload/mehr-platz-fuers-rad/pdf_Verkehrsflaeche/Hauptverkehrsstrasse_Karlsruhe_RadstreifenstattKfz.pdf, zuletzt geprüft am 16.09.2016.

VCD Münster: Umweltspuren Münster. Online verfügbar unterhttps://fahrradfoerderung.vcd.org/fileadmin/user_upload/mehr-platz-fuers-rad/pdf_Verkehrsflaeche/Umweltspuren_Muenster.pdf,zuletzt geprüft am 16.09.2016.

VCD Pforzheim: Radweg – Linienverkehr frei – Radstreifen auf einer Haupt-verkehrsstraße. Online verfügbar unter https://fahrradfoerderung.vcd.org/fileadmin/user_upload/mehr-platz-fuers-rad/pdf_Verkehrsflaeche/Hauptverkehrsstrasse_Pforzheim_RadwegLinienverkehrfrei.pdf, zuletzt geprüft am 16.09.2016.

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Elektromobil auf zwei Rädern – Innovati-ve Konzepte für das Jahr 2030

Romina Wendt

1. Empirische Kundenbefragung zur Ver-besserung der (Elektro-)Radmobilität

Ob Kunden als Ko-Produzenten zur Entwicklung neuer Dienstleis-tungen zu einer innovativen und nachhaltigen (Rad-)Mobilitätskulturbeitragen können, ist eine der zentralen Forschungsfragen des For-schungsprojektes KIE-Lab (Kunden-Innovationslabor Elektromobili-tät – Kundengetriebene Entwicklung elektromobiler Brücken-Dienstleistungen). Das Projekt wurde vom Forschungsinstitut fürinnovative Arbeitsgestaltung und Prävention (FIAP e.V.) in Gelsenkir-chen in Zusammenarbeit mit der Dortmunder Energie- und Wasser-versorgung GmbH (DEW21) durchgeführt und vom Bundesministe-rium für Bildung und Forschung im Programm „Dienstleistungsin-novationen für Elektromobilität“ gefördert.Im Rahmen des Projektes KIE-Lab war es ein zentrales Ziel, dieelektrische zweirädrige Mobilität zu stärken und innovative Dienst-leistungen kundenorientiert zu entwerfen, die die Nutzung vonElektrofahrrädern erleichtern. In Zusammenarbeit mit der DEW21und der Stadt Monheim am Rhein wurden hierzu zwei Nutzerbefra-gungen in den Städten Dortmund und Monheim durchgeführt. DieBefragungen dienten dabei insbesondere der Analyse der aktuellen(Rad-)Verkehrssituation sowie der Bedarfe für eine nutzerfreundli-che, nachhaltige zweirädrige Mobilität in den beiden Städten. Zu-sätzlich diente die Erhebung der Bewertung (als dritte Phase desInnovationsprozesses nach Hartschen et al. 2009) zuvor entwickel-ter Ideen für mögliche neue Dienstleistungen zur Stärkung der

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(Elektro-)Radmobilität. Die Befragungsergebnisse bildeten somit dieGrundlage für die Entwicklung ganzheitlicher nachhaltiger Mobili-tätskonzepte.Aufgrund unterschiedlicher Infrastrukturen, Verkehrsvoraussetzun-gen und Zielen der Städte Monheim und Dortmund wurde ein mo-dularer Fragebogen entwickelt, der je nach Bedarf, in seinem Um-fang variabel eingesetzt wurde. Die Module des Fragebogens sindwie folgt aufgebaut:

Modul 1: Fragen zum Besitz verschiedener Fortbewegungs-mittel

Modul 2: Fragen zur Radmobilität in der Stadt Modul 3: Erwerb von Elektrofahrrädern Modul 4: Dienstleistungen Modul 5: Demografische Fragen

Primäres Ziel der Stadt Monheim war es im Rahmen des ProjektesKIE-Lab, die Bedürfnisse der Monheimer Fahrradfahrer5 zu erfas-sen, um die Fahrradfreundlichkeit der Stadt u. a. mit elektromobilen(Brücken-) Dienstleistungen nachhaltig zu verbessern. In enger Ab-stimmung mit der Stadt Monheim wurde bei der Befragung auf dieModule drei und vier verzichtet, da die Dienstleistungsentwicklungim Rahmen von Kunden-Innovationslaboren durchgeführt werdensollte. Die Befragungsergebnisse sollten Marktpotenziale verschie-dener Dienstleistungen im Bereich der nachhaltigen Mobilität, spe-zifischer der Radmobilität, erfassen um, daraus abgeleitet, ein inno-vatives, integriertes Fahrradverkehrskonzept zu entwickeln. Hierzuwurden mehrere Workshops und Kunden-Innovationslabore vor Ortdurchgeführt, bei denen die Bürger mit Anregungen und Vorschlä-gen bei der Erstellung des neu aufgestellten Radverkehrskonzeptes

5 Es sind stets Personen männlichen und weiblichen Geschlechts gleicher-maßen gemeint. Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wird im Folgen-den nur die männliche Form verwendet.

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mitwirken konnten. Die eingesetzten Module des Fragebogens soll-ten insbesondere die Bedürfnisse in Monheim abfragen.Die Befragung im Raum Dortmund, unterstützt von der DEW21,zielte insbesondere auf die Bewertung konkreter innovativer Dienst-leistungsangebote im Bereich der Elektromobilität ab. So wurde inDortmund der gesamte Fragebogen mit seinen fünf Modulen einge-setzt. Der Einsatz der Module drei (Erwerb von Elektrofahrrädern)und vier (Dienstleistungen) war dabei besonders interessant für denPraxispartner DEW21, der das Ziel verfolgte elektromobile (Brücken-) Dienstleistungen nachhaltig zu verbessern und innovative Angebo-te zu entwickeln. Die Ergebnisse lieferten erste Einblicke in die Be-darfe der Nutzer und stießen somit im Rahmen des Projektes dieEntwicklung neuer Dienstleistungen sowie potenziell marktfähigerGeschäftsmodelle in Kooperation mit der DEW21 an.

2. Ergebnisse der empirischen Kundenbe-fragung

2.1 Demografische Daten der Stichprobe

Die Stichprobenbeschreibung ergibt sich aus den Items des fünftenModuls (Fragen zur Person), welches bewusst an das Ende des Fra-gebogens gestellt wurde, um die Beantwortungsbereitschaft dieserFragen zu erhöhen. Um das Verständnis der Ergebnisse zu fördern,werden die demografischen Daten der Stichprobe jedoch vorange-stellt.Insgesamt nahmen 888 Personen an der Befragung teil, wovon 765in Monheim und 123 in Dortmund erfasst wurden. Mit einem Män-neranteil von 58,7 Prozent in Monheim und 72,6 Prozent in Dort-mund haben insgesamt deutlich mehr Männer als Frauen an derNutzerbefragung teilgenommen. Abweichungen der Geschlechter-

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verteilung im Vergleich zu Monheimer und Dortmunder Statistiken(Anteil der Frauen an der Gesamtbevölkerung beträgt 51,5 Prozent,Stadt Monheim am Rhein, 2014), sind möglicherweise darauf zu-rückzuführen, dass es sich um eine selektive Interessensstichprobehandelt, die überwiegend Fahrradbesitzer und -nutzer umfasst undentsprechend ein Eigeninteresse an der Verbesserung der Radmo-bilität in der Stadt sowie an der Entwicklung innovativer Dienstleis-tungsangebote im Bereich der Elektromobilität haben. Die Ge-schlechterverteilung der Gesamtstichprobe lässt den Schluss zu,dass diese Interessen stärker bei Männern ausgeprägt zu seinscheinen und diese somit eine wichtige Zielgruppe im Projekt dar-stellen.Die Auswertung wurde auf die Teilnehmer beschränkt, die zumZeitpunkt der Befragung mindestens 12 und maximal 86 Jahre altwaren. Das Durchschnittsalter der Befragten liegt in Monheim bei48 Jahren, wohingegen die Befragten in Dortmund im Durschnitt 5Jahre jünger waren. In der Gesamtstichprobe leben die Teilnehmerim Schnitt in einem 2,5-köpfigen Haushalt. Die Mehrheit der Perso-nen weisen als höchsten Schulabschluss das Abitur (Monheim: 45,1Prozent; Dortmund: 72,0 Prozent) auf. Lediglich rund ein Prozentder Befragten verfügen über keinen Schulabschluss.

2.2 Modul 1: Besitz verschiedener Fortbewegungsmit-tel

Die Items des ersten Moduls erfassen den Besitz unterschiedlicherFortbewegungsmittel sowie den Besitz eines Smartphones. Abwei-chungen vom bundesweiten Durchschnitt können auf die selektiveStichprobe zurückzuführen sein. Der Dortmunder Fragebogen weistzudem eine Besonderheit auf: Die Kunden werden nicht nur nachihrem Besitz von Elektrofahrrädern und -autos befragt, sondernsollen zusätzlich angeben, wie interessiert sie in Zukunft an diesenElektrofahrzeugen wären, wenn sie aktuell noch keines besitzen.

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Rund 97 Prozent der Befragten aus Monheim und etwa 90 Prozentder Befragten der Dortmunder Stichprobe gaben an, ein Fahrrad zubesitzen. Demnach liegt der Anteil derjenigen, die ein Fahrrad besit-zen, in der Umfrage deutlich über dem Bundesdurchschnitt, nach-dem rund 72 Prozent über ein eigenes Fahrrad verfügen (SINUSMarkt- und Sozialforschung GmbH, 2013, S. 16) (siehe Abbildung 1).Der Anteil der Fahrradbesitzer unter den von uns Befragten ist alsohöher als im Bundesdurchschnitt, was die Selbstselektivität derStichprobe unterstreicht und die Gültigkeit der Ergebnisse ein-schränkt. Von den Befragten besitzt in Monheim etwa jeder zehnteein Elektrofahrrad, in Dortmund liegt der Elektrofahrradbesitz bei13,3 Prozent und ist damit in unserer Stichprobe deutlich über demBundesdurchschnitt von 3,6 Prozent (World Bank Group 2015; SI-NUS Markt- und Sozialforschung GmbH, 2013). In der DortmunderStichprobe gaben zusätzlich 45,3 Prozent der Befragten an, für dieZukunft an Elektrofahrrädern interessiert zu sein.

Abb. 1: Prozentualer Anteil der Elektrofahrradbesitzer in Monheim undDortmund

Über einen Pkw-Führerschein verfügen 93,3 Prozent der Befragtenaus Monheim und 91,8 Prozent aus Dortmund, was dem Bundes-

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durchschnitt, in dem zum Vergleich rund 88 Prozent einen Pkw-Führerschein besitzen (OWZ Verlags GmbH, 2011), in etwa ent-spricht. Der Pkw-Besitz liegt in der Monheimer Stichprobe bei 85,2,in der Dortmunder Stichprobe bei 73,3 Prozent, womit der Anteilder Autobesitzer in der Gesamtstichprobe deutlich über dem Bun-desdurchschnitt liegt (Statistisches Bundesamt, 2014). Allerdings istzu beachten, dass sich der Anteil der Autobesitzer in Deutschlandauf die Gesamtbevölkerung bezieht und demnach deutlich geringerausfällt als in der zugrundeliegenden Gesamtstichprobe. Der pro-zentuale Anteil an Elektroautos ist in unserer Stichprobe mit 1,4Prozent in Monheim relativ hoch und mit 13,3 Prozent in Dortmundsehr hoch. In Deutschland liegt der Zulassungsanteil von Elektroau-tos zwischen 0,5 und 1,0 Prozent (Sorge, 2015). Der deutlich höhereAnteil an Elektroautobesitzern in Dortmund ist jedoch sehr wahr-scheinlich auf den Befragungsort und -zeitpunkt (E-Mobilitätstag inDortmund) zurückzuführen. Die Teilnehmer der selektiven Stich-probe mit starkem Interesse und hoher Nachfrage an Elektrofahr-zeugen könnte erklären, warum der Anteil an Elektroautobesitzernin der Dortmunder Stichprobe besonders hoch ausfällt. Das Inte-resse an Elektroautos unter denjenigen die bislang kein Elektroautobesitzen beläuft sich in der Dortmunder Stichprobe auf 59,2 Pro-zent.Zusätzlich werden die Teilnehmer zu Ihrem Besitz eines Tickets fürdie Nutzung des ÖPNVs sowie eines Smartphones befragt. DieseFragen sind insbesondere deswegen interessant, weil der ÖPNVund Smartphones zu einem modernen und multimodalen Mobili-tätskonzept, also der Nutzung und Kombination verschiedener Ver-kehrsmittel, die aus dem immer breiteren Spektrum unterschiedli-cher Mobilitätsangebote resultieren (Kagerbauer et al. 2015), bei-tragen können. Eine zentrale Rolle bei der Verknüpfung unter-schiedlicher Verkehrsmittel kommt dem Smartphone zu, da darüberdie Möglichkeit besteht das Mobilitätsverhalten vernetzter und fle-xibler zu gestalten (siehe 3. Konzeption eines möglichen Zukunfts-szenarios im Jahr 2030 auf Basis der Befragungsergebnisse).

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Im Rahmen der Befragung ergab sich, dass etwa drei Viertel (76,8Prozent) der Befragten in Monheim und die Hälfte (52,9 Prozent)der Befragten in Dortmund noch kein Abonnement-Ticket für denÖPNV der Stadt besitzen. Der Anteil der Smartphonebesitzer istjedoch unter den Befragten mit durchschnittlich 83 Prozent beson-ders hoch ausgeprägt. Im Jahr 2014 betrug der Bundesdurchschnittder Smartphonebesitzer rund 50 Prozent (Lopez & Kolocek, 2014, S.4) und liegt damit 33 Prozentpunkte unter dem Prozentsatz derBefragten.Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Befragten ausMonheim und Dortmund bei dem Besitz von Fahrrädern, Elektro-fahrrädern, Autos, Elektroautos und Smartphones über dem Bun-desdurchschnitt liegen, was vermutlich auf die Selektivität derStichprobe zurückzuführen ist.

2.3 Modul 2: Radmobilität in der Stadt

Die Items des zweiten Moduls dienten der Erfassung von Fahrrad-gewohnheiten sowie der Identifizierung förderlicher und hinderli-cher Faktoren für die Fahrradnutzung, um die spezifischen Anforde-rungen der Fahrradnutzer abzuleiten und passgenaue Maßnahmensowie innovative Dienstleistungen zu entwickeln, die zur Verbesse-rung der Radmobilität in den jeweiligen Städten beitragen.Die Mehrheit der Befragten nutzt das Fahrrad regelmäßig (täglichoder mindestens 2- bis 3-mal die Woche), in Monheim nutzen 67,9Prozent das Fahrrad, in Dortmund hingegen 52,1 Prozent der Be-fragten regelmäßig. Unter allen Befragten zeichnet sich eine starkeTendenz ab, das Fahrrad vorrangig in der Freizeit (90,2 Prozent derMonheimer und 86,4 Prozent der Dortmunder) oder für den Wegzur Arbeit (40,8 Prozent der Monheimer und 44,6 Prozent derDortmunder) zu nutzen.

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Insbesondere interessant ist die Erfassung der Gründe, die für dieFahrradnutzung sprechen, aber auch der Gründe, die selbst fürRadfahrer die das Fahrrad regelmäßig nutzen, ein Hindernis darstel-len. Auffällig ist hier, dass sich trotz unterschiedlicher Infrastrukturder Städte Monheim und Dortmund ähnliche Tendenzen abzeich-nen.Sowohl in Monheim als auch in Dortmund nutzen die Befragten dasFahrrad primär zur Freizeitgestaltung (78,0 Prozent der Monheimerund 75,7 Prozent der Dortmunder). Des Weiteren sprechen insbe-sondere die Fitnessverbesserung und Umweltfreundlichkeit für dieFahrradnutzung. Hier ergeben sich Abweichungen zu deutschland-weiten, repräsentativen Ergebnissen. Bei der Frage nach den Grün-den, die für die Fahrradnutzung sprechen, steht die Gesundheits-prävention an erster Stelle. Die Freizeitgestaltung erreicht in derdeutschlandweiten Befragung nur rund 38 Prozent (SINUS Markt-und Sozialforschung GmbH, 2013, S. 40). Auch bezüglich des Haupt-grundes, der gegen die Fahrradnutzung spricht, herrscht Einigkeitunter den Monheimern und Dortmundern: Demnach spricht füretwa 2/3 der Befragten (schlechtes) Wetter gegen die Fahrradnut-zung. Auch die Transportschwierigkeiten und Entfernung scheinenwenig stadtspezifische Hindernisse für die Radnutzung darzustellen.Insbesondere bei der Bequemlichkeit (Monheim: 28,0 Prozent;Dortmund: 41,7 Prozent) und bei den stadtspezifischen Aspekten,wie den Radwegen und den Abstellmöglichkeiten, ergeben sich Dif-ferenzen in den Befragungsergebnissen beider Teilstichproben. InMonheim moniert jeder zweite Befragte (49,2 Prozent) die schlech-ten Radwege. Die Abstellmöglichkeiten kritisieren 30,3 Prozent derbefragten Monheimer. In der Stadt Dortmund beklagen rund 36,1Prozent der Befragten die schlechten Radwege, die Abstellmöglich-

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keiten werden von 25,0 Prozent beanstandet (siehe Abbildung 2).

Abb. 2: Gründe gegen die Fahrradnutzung in Monheim und Dortmund(Mehrfachnennungen möglich)

Da im Fokus des Projekts KIE-Lab Dienstleistungsinnovationen zurFörderung der nachhaltigen Elektromobilität im Fokus stehen undder Anteil an Elektrofahrradbesitzern unter den Befragten im bun-desweiten Vergleich deutlich höher lag wurden Elektrofahrradbesit-zer gesondert betrachtet. Die ausschließliche Betrachtung der Elekt-rofahrradbesitzer diente der Ergründung förderlicher und hem-mender Faktoren für die Nutzung von Elektrofahrrädern sowie dieEntwicklung neuer Verbesserungsstrategien und Dienstleistungender elektrogeförderten Radmobilität. Elektrofahrräder bieten dieChance einigen hemmenden Faktoren, z.B. der Entfernung entge-

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genzuwirken und sind somit ein zukunftsorientierter Trend zur Nut-zersteigerung. Aus der Möglichkeit, auch weitere Strecken bequemund schnell zu bewältigen, können Handlungsempfehlungen spezi-ell für den Einsatz von Elektrofahrrädern zur Verbesserung derRadmobilität in Monheim entwickelt werden.Bei der Betrachtung der Elekrofahrradbesitzer ist auffällig, dass 86,3Prozent ihr E-Bike auch regelmäßig nutzen und damit im Vergleichzur Gesamtstichprobe deutlich häufiger und regelmäßiger Fahrradfahren. Dieses Ergebnis spricht für die These, dass die Marktdurch-dringung von Elektrofahrrädern dabei helfen kann, Mobilität aufemissionsfreie Verkehrsträger zu verlagern und so zu einem klima-freundlichen Mobilitätsverhalten beizutragen.Betrachtet man die Gründe, die gegen die Fahrradnutzung spre-chen zeigt sich, dass aus Sicht von Elektrofahrradbesitzern Gründewie Entfernung und Transportprobleme weniger stark gegen dieFahrradnutzung sprechen. Vergleicht man hier die Ergebnisse derMonheimer Gesamtstichprobe mit der Teilstichprobe der Elektro-fahrradbesitzer in Monheim werden deutliche Unterschiede sicht-bar. Während in der Monheimer Gesamtstichprobe rund 42 Prozentder Befragten angaben, das Fahrrad aufgrund der Entfernung nichtzu nutzen, spricht unter den Elektrofahrradbesitzern die Entfernungnur zu rund 28 Prozent gegen die Nutzung des (Elektro-)Fahrrads.Rund 45 Prozent der Befragten Monheimer geben an, dass Trans-portschwierigkeiten sie an der Nutzung des Fahrrads hindern. Unterden Elektrofahrradbesitzern bemängeln dies hingegen nur rund 32Prozent.Wie zufrieden die Befragten im Allgemeinen mit den verschiedenenAngeboten in Monheim und Dortmund rund um das Fahrrad sind,sollten sie auf einer 4-stufigen Likert-Skala mit den Ankern unzu-frieden (1) und zufrieden (4) angeben. Dementsprechend weisen

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Mittelwerte unter 2,5 auf eine Tendenz zur Unzufriedenheit hin.Auffällig ist, dass der Mittelwerte von 2,5 für keines der abgefragtenAngebote überschritten wird (siehe Abbildung 3). Am unzufriedens-ten sind die Befragten aus Monheim und Dortmund mit der Be-schaffenheit sowie der Reinigung der Fahrradwege.

Abb. 3: Zufriedenheit mit den Angeboten rund um das Fahrrad in Monheimund Dortmund (Mittelwerte)

Insgesamt herrscht unter den Befragten die Tendenz zur Unzufrie-denheit bezüglich der aktuellen Fahrradangebote der jeweiligenStädte. Deshalb sind besonders die Wünsche und Bedarfe der Be-fragten maßgeblich für die Entwicklung eines nachhaltigen, zwei-rädrigen Mobilitätskonzeptes zur Verbesserung der Fahrradfreund-lichkeit. Auf einer 4-stufigen Likert-Skala mit den Ankern unwichtig(1) und wichtig (4) sollten die Befragten unterschiedliche Angebotehinsichtlich ihrer Wichtigkeit für die eigene Fahrradnutzung ein-schätzen. Abbildung 4 zeigt nur die Angebote, die tendenziell wich-

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tig (mit einem Mittelwert von 2,5 und höher) bewertet wurden. Ausden Ergebnissen kann abgeleitet werden, dass insbesondere rück-sichtsvolle Verkehrsteilnehmer (Monheim MW = 3,7 und DortmundMW = 3,6) als wichtig erachtet werden. Darunter fallen sämtlicheVerkehrsteilnehmer, die sich gegenseitig respektieren und rück-sichtsvoll miteinander umgehen. Darüber hinaus sind denBefragten sichere und zusätzliche Abstellplätze in Monheim undDortmund vergleichbar wichtig. Diese Bewertung spiegelt sich auchin deutschlandweiten Umfragen wider, in denen vor allem dieAbstellsituation an Bahnhöfen und Haltestellen kritisiert wird(SINUS Markt- und Sozialforschung GmbH 2013, S. 46).Außerdem bewerteten die Befragten Fahrradrouten undFahrradwerkstätten, den Ausbau der Wegweiser,Radfahrerstadtpläne und Fahrradboxen, Luftpumpenstationensowie Schließfächer für Wertsachen sowie Duschmöglichkeiten beider Arbeit als eher wichtig. Elektronische Navigationshilfen undPrämien vom Arbeitgeber werden in Dortmund noch knapp als eherwichtig eingeschätzt (MW = 2,6).

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Abb. 4: Angebote hinsichtlich der eigenen Fahrradnutzung, die in Monheimund Dortmund als wichtig erachtet werden (Mittelwert > 2,5)

2.4 Modul 3: Erwerb von Elektrofahrrädern

Die Items des dritten Moduls wurden ausschließlich in der Dort-munder Stichprobe eingesetzt. Für den KooperationspartnerDEW21 war es besonders interessant, das Nutzerinteressebestimmter Fahrradtypen zu erfassen und Auskunft darüber zuerlangen wie gewünschte Fahrräder bevorzugt erworben werden,um daraus resultierend die Bedarfe der Radnutzer besser einschät-zen und ihren Wünschen besser gerecht werden zu können.

Allgemein zeigt sich in der Dortmunder Stichprobe ein verstärktesInteresse an Elektrofahrrädern. So geben 35,8 Prozent der Befrag-ten an, dass sie es für wahrscheinlich halten sich innerhalb dernächsten fünf Jahre ein Elektrofahrrad anzuschaffen. Von besonde-rem Interesse sind unter den Befragten Trecking-Elektrofahrräder

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(36,5 Prozent), die aufgrund ihres stabilen Rahmens und der sportli-chen Sitzposition besonders für Touren und längere Ausflüge ge-eignet sind. Auch Lasten-Elektrofahrräder mit denen z. B. Einkäufebequem transportiert werden können (26,9 Prozent) und City-Elektrofahrräder (25,0 Prozent), die sich aufgrund einer komfortab-leren Ausstattung wie z. B. herausnehmbare Batterie, Schutzblecheund Gepäckträger besonders gut für den Weg zur Arbeit und kurzeFahrten in der Stadt eignen, sind für die Stichprobe von Interesse.Ein geringes Interesse besteht hingegen an einem Pedelec- Umbau-satz (11,5 Prozent) zum Nachrüsten sämtlicher Fahrradtypen. DieBefragungsergebnisse lassen darauf schließen, dass das Nachrüs-ten nur für wenige der Elektrofahrradinteressierten eine Option ist,und diese stattdessen verstärkt ein neues Elektrofahrrad erwerbenmöchten. Für den Neuerwerb eines solchen Elektrofahrrads wirdtrotz des relativ hohen Kaufpreises von 70,3 Prozent der Befragtender Direktkauf bevorzugt. 14,9 Prozent der potenziellen Nutzerwürde es sich gerne nach Bedarf ausleihen, Leasing ist nur für 4,0Prozent der Befragten eine Option.

2.5 Modul 4 Dienstleistungen

Auch die Items des vierten Moduls wurden ausschließlich in derDortmunder Stichprobe eingesetzt um persönliches Interesse anpotenziellen neuen (Brücken-)Dienstleistungen zu erfassen.

Bezüglich der jeweiligen Dienstleistungsangebote, sollen die Befrag-ten angeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit (unwahrscheinlich,eher unwahrscheinlich, eher wahrscheinlich, wahrscheinlich) siediese nutzen würden. Für die Auswertung wurden jeweils die bei-den Antwortmöglichkeiten unwahrscheinlich, eher unwahrschein-lich zu der Antworttendenz unwahrscheinlich und eher wahrschein-lich und wahrscheinlich zu der Antworttendenz wahrscheinlich zu-sammengefasst. Abbildung fünf zeigt den prozentualen Anteil derBefragten Dortmunder, die die jeweiligen Angebote selbst wahr-

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scheinlich bzw. unwahrscheinlich nutzen würden. Von den Befrag-ten würden am wahrscheinlichsten Apps zum Mobilitätsverhalten(60,2 Prozent), Elektrotaxen (56,0 Prozent) und mietbare Fahrradbo-xen zur sicheren Aufbewahrung (53,2 Prozent) genutzt werden.Aber auch die Verknüpfung von elektromobilem Carsharing mitdem ÖPNV würde etwas über die Hälfte (51,0 Prozent) der Befrag-ten wahrscheinlich in Anspruch nehmen. Lediglich das Angeboteines elektrischen Fahrrads vom Arbeitgeber würden 56,9 der Teil-nehmer wahrscheinlich nicht nutzen.

Abb. 5: Prozentualer Anteil der Befragten Dortmunder, die die jeweiligenAngebote wahrscheinlich selbst bzw. unwahrscheinlich selbst nutzen

Auch das Potenzial sich am Markt zu etablieren wird für alle Dienst-leistungen von mindestens der Hälfte der Befragten als wahrschein-lich eingeschätzt. Insbesondere die Verknüpfung von elektromobi-lem Carsharing mit dem ÖPNV (79,3 Prozent) sowie Elektotaxen(71,7 Prozent) sowie das Angebot eines elektronischen Fahrradsvom Arbeitgeber (68,2 Prozent) werden diesbezüglich als wahr-scheinlich eingeschätzt.

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2.6 Zusammenfassung der Ergebnisse der empiri-schen Kundenbefragung

Nachfolgend werden die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage zu-sammengefasst, die für die Entwicklung eines Zukunftsszenarios fürdas Jahr 2030 besonders relevant sein können und bei zukünftigenVerkehrsplanungen berücksichtigt werden sollten. Der Anteil der Fahrradbesitzer liegt in der Stichprobe (Monheim

97 Prozent; Dortmund 90 Prozent) deutlich über dem Bundes-durchschnitt, in dem rund 72 Prozent ein Fahrrad besitzen.

Auch der Anteil der Elektrofahrradbesitzer ist in Monheim (10,1Prozent) und Dortmund (13,3 Prozent) im deutschlandweitenVergleich (3,6 Prozent) besonders hoch. Aus der DortmunderStichprobe bekunden zusätzlich 45,3 Prozent der Befragten In-teresse an Elektrofahrrädern.

Im bundesweiten Vergleich ist der Besitz von Smartphones(rund 50 Prozent) in beiden Städten mit 83 Prozent überdurch-schnittlich hoch.

Unter den Befragten besitzen in Monheim lediglich 23,2 Prozentein ÖPNV-Ticket, in Dortmund liegt der Anteil derer, die einÖPNV-Ticket besitzen bei 47,1 Prozent.

67,9 Prozent der Befragten in Monheim und 52,1 Prozent derBefragten in Dortmund nutzen das Fahrrad regelmäßig (täglichoder 2- bis 3-mal in der Woche). Nur 4,4 Prozent der Monheimerund 10,1 Prozent der Dortmunder nutzen das Fahrrad über-haupt nicht.

Neben der Freizeitgestaltung nutzen die Befragten das Fahrradinsbesondere für die Fahrt zur Arbeitsstelle (Monheim 40,8 Pro-zent; Dortmund 44,6 Prozent).

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Gegen die Radnutzung sprechen insbesondere schlechte Wet-terbedingungen (Monheim 63,3 Prozent; Dortmund 65,7 Pro-zent) und die Entfernung (Monheim 42,2; Dortmund 45,4). Auchschlechte Abstellmöglichkeiten hindern in Monheim (30,3 Pro-zent) und Dortmund (25,0 Prozent) die Fahrradnutzung.

Auf einer 4-stufigen Likert-Skale mit den Ankern unzufrieden (1)und zufrieden (4) zeigt sich, dass u. a. die Fahrradmitnahme mitBus und Bahn für die Befragten nicht zufriedenstellend ist(Monheim MW = 2,2; Dortmund MW = 2,3).

Insbesondere sichere Abstellplätze wünschen sich die Befragtensowohl in Monheim (MW = 3,6) als auch in Dortmund (3,5) aufeiner 4-stufigen Likert-Skala mit den Ankern unwichtig (1) undwichtig (4).

Die Befragten in der Dortmunder Stichprobe könnten sich zu-künftig vorstellen, Brücken-Dienstleistungen zur Unterstützungder Radmobilität wie beispielsweise eine App mit Informations-angeboten für eine bessere Radnutzung (60,2 Prozent), Elekt-rotaxen (56,0 Prozent), mietbare Fahrradboxen (53,2 Prozent)sowie intermodale Verkehrsangebote, die z. B. das elektromobi-le Carsharing mit der ÖPNV-Nutzung verbinden, selbst zu nut-zen. Insbesondere die Verknüpfung von Carsharing mit Bus undBahn (79,3 Prozent) und Elektrotaxen (72,7 Prozent) werden alsmarktfähig bewertet.

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3. Konzeption eines möglichen Zukunfts-szenarios im Jahr 2030 auf Basis der Be-fragungsergebnisse

Das im folgenden vorgestellte Zukunftsszenario für das Jahr 2030illustiert, wie eine karbonfreie und nachhaltige Mobilität unter Nut-zung verschiedener Verkehrsträger (E-Bike, ÖPNV, E-Taxi) und digi-taler Unterstützungsinstrumente und neuer Dienstleistungen ausdem Bereich der „shared economy“ nicht nur in Monheim oderDortmund aussehen könnte. Das Smartphone zur Verknüpfung desmultimodalen Verkehrsverhaltens, steht im folgenden Szenario fürdas Jahr 2030 im Zentrum, da die Befragungsergebnisse nahelegen,dass der Besitz von Smartphones bereits sehr hoch ist und nochweiter steigen wird. Schon heute existieren bereits viele nutzer-freundliche Mobilitäts-Apps. Allerdings zeigt das Szenario auch auf,dass sich die Bedürfnisse in der Zukunft stark wandeln werden undim Vordergrund nicht mehr nur die Nutzung des ÖPNVs oder desPkws stehen werden, sondern Bürgerinnen und Bürger unter-schiedliche Verkehrsmittel intelligent miteinander kombinieren undmit anderen Nutzern teilen möchten (Schelewsky, 2013). Ein weite-rer Anspruch wird es sein, den Weg möglichst effizient und umwelt-freundlich gestalten zu können.Abbildung 6 zeigt ein Beispiel-Szenario für das Jahr 2030, das dieNutzung eines Smartphones zur intelligenten und flexiblen Ver-knüpfung unterschiedlicher Verkehrsmittel in den Fokus rückt undsomit zu einer nachhaltigen Mobilität beitragen soll. Das Szenariodient als Handlungsempfehlung zur Forcierung einer nachhaltigenMobilität in lokalen Räumen durch eine Verlagerung des innerstäd-tischen Verkehrs auf zweirädrige Verkehrsträger. Im Rahmen desProjektes KIE-Lab stand dabei die Entwicklung von Brücken-Dienstleistungen im Bereich nachhaltiger (Elektro-) Radmobilität imFokus.

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Sichere Abstellplätzeund Fahrradverleih

LängereStrecke mitPedelec

LängereStrecke mitPedelec

Kontaktauf-nahme überMobilitäts-App bzgl.verspäteterRückgabe

Kurze Streckezu Fuß

Nutzung E-Taxi

Frau MustermannHerr Müller

Abb. 6: Zukunftsszenario im Jahr 2030 auf Basis der empirischen Befra-gungsergebnisse in den Städten Monheim und Dortmund

Frau Mustermann wohnt einige Kilometer vom Dortmunder Haupt-bahnhof entfernt. Ihre Arbeitsstelle in Düsseldorf ist für sie mit demZug sehr gut erreichbar. Zum Schutz der Umwelt und um ihre eige-ne Fitness zu fördern, legt Frau Mustermann die Strecke zum Bahn-hof mit ihrem Pedelec zurück. Bevor Frau Mustermann los fährtprüft Sie in einer Mobilitäts-App, ob ihr Zug pünktlich sein wird, o-der ob sie auf eine Alternative, wie zum Beispiel das (elektromobile)Carsharing ausweichen muss, um pünktlich auf der Arbeit zu er-scheinen. Am Bahnhof stellt sie ihr Pedelec in einer sicheren Fahr-radbox ab und fährt von dort mit dem Zug weiter zur Arbeit. DieFahrradbox reserviert und bezahlt sie mit dem Smartphone undnutzt dabei die gleiche Mobilitäts-App, über die sie auch ihr Zugti-cket erwirbt. Da Frau Mustermann unter der Woche täglich mit demPedelec zum Bahnhof fährt, besitzt sie ein Monatsticket, welches

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gleichzeitig an ein Abonnement für die mietbare Fahrradbox ge-knüpft ist. Frau Mustermann profitiert deshalb von einem günstigenTarif. Ist sie im Urlaub oder nutzt die Fahrradbox aus anderenGründen nicht, kann sie diese jederzeit über die App freigeben.Die App zeichnet das Mobilitätsverhalten von Frau Mustermanngenau auf. Sie kann sich jederzeit über kostengünstige und schnelleRouten informieren. Da sich Frau Mustermann zum Schutze derUmwelt bewusst für eine emissionsreduzierte Mobilität entschiedenhat, nutzt sie die Mobilitäts-App um Auskunft über die CO2-Emission ihres Mobilitätsverhaltens zu erhalten, um dieses analysie-ren und optimieren zu können. Auch das Feature „Sichere Routenfür Radfahrer“ nutzt Frau Mustermann in ihrer Freizeit häufig. Zu-sätzlich zeichnet die App auch ihre Bewegung, wie zum Beispiel dietäglichen Schritte, oder Fahrradstrecken auf und integriert dieseintelligent in zukünftige Routenplanungen. Die Daten unterliegennatürlich einem strengen Datenschutz. Im Zug zur Arbeit öffnetFrau Mustermann ihre Mobilitäts-App und kontrolliert ihre Aktivitä-ten der letzten Wochen. Dabei fällt ihr ein neues Feature in der Appauf. Es besteht nun die Möglichkeit ihre gesammelten Daten für einForschungsprojekt zur Analyse des Mobilitätsverhaltens in ihrerStadt freizugeben. Ziel des Projektes ist es, zum Beispiel das Ver-kehrsaufkommen an der Schnittstelle zwischen der Fahrrad- undÖPNV-Nutzung zu analysieren, den inter- und multimodalen Ver-kehr noch besser zu erforschen und für die Stadt neue Verkehrs-konzepte zur Optimierung und Attraktivitätssteigerung des emissi-onsreduzierten Verkehrs zu entwickeln. Dabei soll insbesondere derzweirädrige Verkehr bzw. die Kombination der Fahrrad-/Pedelecnutzung und des öffentlichen Verkehrs bzw. Carsharingfokussiert werden, um das Verkehrsaufkommen innerhalb der Städ-te zu reduzieren. Frau Mustermann entscheidet sich dafür ihre Da-ten freizugeben und somit zur Verbesserung der Mobilität beizutra-gen. Ihre Daten werden anonymisiert und unterliegen den strengenRichtlinien des Datenschutzes.

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Herr Müller, der in unmittelbarer Nähe des Dortmunder Haupt-bahnhofs wohnt und in der Regel nur mit öffentlichen Verkehrsmit-teln fährt, besitzt keinen Pkw. Am Mittag möchte Herr Müller seineFrau die im ungefähr 15 Kilometer entfernten Waltrop im Kranken-haus liegt besuchen. Die Verbindung mit den öffentlichen Ver-kehrsmitteln zu seinem Zielort ist in diesem Fall jedoch schlecht, sodass sich Herr Müller dazu entschließt sich ein Pedelec zu mieten,um bequem an sein gewünschtes Ziel zu gelangen. Mit dem Pedelecplant Herr Müller für die Strecke eine gute halbe Stunde ein. HerrMüller mietet sich für die Dauer seines Besuches über die gleicheMobilitäts-App, über die Frau Mustermann die Fahrradbox reser-viert hat, das Pedelec von Frau Mustermann. Dies ist möglich, weilSie ihr Pedelec während ihrer regulären Arbeitszeit zur weiterenVermietung freigegeben hat. Um sich das Pedelec ausleihen zukönnen, musste sich Herr Müller vorab mit seinen Kontaktdatenregistrieren, sodass Frau Mustermann ihn im Notfall über diese Appkontaktieren kann. Die Kontaktdaten werden jedoch verschlüsseltund sind nur für die App-Betreiber zugänglich.Als Frau Mustermann von ihrer Arbeit heimkommt steht ihr Pedelecnicht in Ihrer Fahrradbox. Herr Müller hat sie bereits über die Mobi-litäts-App kontaktiert und sie darüber informiert, dass er es auf-grund eines Notfalls nicht rechtzeitig zurückschaffe und das Fahrradentsprechend nicht pünktlich zurück sein wird. In einem solchen Fallentstehen jedoch keine Unannehmlichkeiten für Frau Mustermann.Über die App kann sie kostenlos eines der anderen Leihräder vorOrt benutzen, die Kosten dafür trägt Herr Müller, der den offenenRechnungsbetrag in seiner App ausgleichen kann. Da es stark reg-net als Frau Mustermann am Bahnhof eintrifft entscheidet sie sichgegen die Nutzung eines Leihrads und nutzt für den Weg nach Hau-se ein Elektrotaxi, welches schon am Bahnhof für sie bereitsteht.

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Vierrädrige Elektromobilität

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Wie Kunden mit innovativen Dienstleis-tungen den Elektroautos zum Durch-bruch verhelfen.

David Hawig

1. Stand der Forschung bezüglich der Kun-denintegration im Bereich Elektromobili-tät

1.1 Einleitung

Die Studie “A CEO agenda for the (r)evolution of the automotiveecosystem” von Roland Berger kommt zu dem Schluss, dass dieAutomobilindustrie vor einem enormen Umbruch steht. Etwa 40Prozent der Gewinne der Automobilbranche entstehen im Jahr 2030demnach durch den Verkauf von selbstfahrenden Autos. Des Weite-ren wird sich die komplette Wertschöpfungskette laut dem Berichtändern hin zu höheren Gewinnmargen bei Dienstleistungsanbieter,wie etwa Carsharing-Unternehmen, wodurch gleichzeitig die Auto-hersteller geringere Gewinne erzielen werden, solange sie nichtselbst zum Dienstleistungsanbieter werden. Nebenbei stehen dieProduzenten der Automobilindustrie auch noch aufgrund des tech-nischen Wandels bezüglich elektrischer Fahrzeuge unter Druck(Bernhart et al. 2016).Damit traditionelle Autobauer einer solchen Entwicklung standhal-ten können, bedarf es der kontinuierlichen Innovation der Produkteder Unternehmen, aber auch der Organisationen selbst. Innovatio-nen sind jedoch grundsätzlich mit zahlreichen Risiken behaftet(Mangold und Kunz 2004, S. 2). So scheitern im Durchschnitt 20 bis90 Prozent aller Produkte abhängig von dem gewählten Industrie-zweig (Crawford 1977, S. 51). Untersuchungen der Erfolgsfaktoren

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von Innovationen konnten zeigen, dass eine Ausrichtung an Markt-und Kundenbedürfnissen von entscheidender Bedeutung sind unddie Erfolgswahrscheinlichkeit entsprechend erhöhen.Im Projekt KIE-Lab wurde daher zuerst eine umfangreiche Literatur-analyse erstellt sowie Experteninterviews zur Kundenintegrationund Akzeptanz im Bereich Elektromobilität geführt. Im Anschlusswurde das entwickelte Instrumentarium erprobt und in mehrerenSchleifen optimiert. Es konnte gezeigt werden, dass insbesonderedie frühe Einbindung des Kunden, wie sie etwa gezielt mit dem KIE-Lab-Instrument ermöglicht wird, hierbei ein vielversprechenderAnsatz ist, um die Erfolgswahrscheinlichkeit zu erhöhen. Nachfol-gend wird auf die Forschungsgrundlagen und wissenschaftlichenStudien auf denen das entwickelte Konzept beruht näher eingegan-gen.

1.2 Einordnung des KIE-Lab Instrumentariums in denInnovationsprozess

Zu Beginn wurde mittels umfangreicher Recherchen der allgemeineInnovationsprozess in Unternehmen in mehrere Einzelteile zerlegt.Im Rahmen des Forschungsprojektes KIE-Lab wurde insbesonderein Anlehnung an Hartschen et al. der Prozess des Innovationsmana-gements in sechs Phasen eingeteilt. Diese sind wie folgt aufgebaut(Hartschen et al. 2009):

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Abb 1: Die sechs Phasen des Innovationsmanagements

Nachdem der Entwicklungsprozess intern oder extern angestoßenwurde, werden in der Regel verschiedene Ideen zur Problemlösunggeneriert. Diese werden anschließend in der Ideenbewertungspha-se bewertet und selektiert. Danach folgen entsprechend des obendargestellten Modells der Aufbau eines Grob- und Umsetzungskon-zepts sowie die abschließende Markteinführung. Zu beachten istdabei, dass es neben dem Entwicklungsprozess selbst noch zahlrei-che Rahmenbedingungen gibt, welche hierauf direkt oder indirektEinfluss nehmen und auf die im nächsten Abschnitt genauer einge-gangen wird. Insbesondere in der vorgeschalteten Initiierungsphasewerden die Grundlagen für die weitere Kundenintegration gelegt.Hierbei konnte bei der Entwicklung der KIE-Labs festgestellt werden,dass aus Unternehmenssicht die Ziele und die erwarteten Ergebnis-se der Kundenintegration möglichst detailliert beschrieben werdenmüssen. Nur so kann später eine ressourcenorientierte Einbindungder Kunden gewährleistet werden.

MaßgeblicheRahmen-bedingungensind dieUnternehmens-strategie,-kultur und-struktur

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Traditionell erfolgt die Kundenintegration jedoch erst in der Test-phase, welche meist parallel zur Erstellung eines Umsetzungskon-zeptes stattfindet (Reichart 2002, S. 116). In verschiedenen Exper-tengesprächen sowie in der Literaturanalyse wurde schnell deutlich,dass die Kundenintegration bereits früher stattfinden muss. Dabeibestätigen zahlreiche Untersuchungen, dass die frühe Einbindungdes Kunden sich positiv auf die Erfolgswahrscheinlichkeit von Ge-schäftsmodellen auswirkt (Feng et al. 2014; Mishra und Shah 2009).Das KIE-Lab- Instrumentarium setzt daher bereits bei der Ideenge-nerierung an.Insbesondere in diesem Teil des Innovationsprozesses und bei derKonzeptentwicklung können Kunden einen wirtschaftlich sinnvollenBeitrag leisten. Durch ihre gezielte Einbindung in frühe Innovations-phasen entsteht ein interaktiver Prozess, der von ielen Unterneh-men bislang nicht systematisch ausgeschöpft wird (Gruner undHomburg 2000, S. 11). Das entwickelte Instrumentarium, das auchfür die Erstellung der Zukunftsszenarien genutzt wird, zielt genauauf die Ausnutzung dieser Vorteile ab.Durch die frühe aktive Kundenintegration werden dabei die vierFaktoren:

• Time-to-Market

• Cost-to-Market

• Fit-to-Market und

• New-to-Market

positiv beeinflusst.Die Reduzierung der Zeit bis zur Markteinführung eines Produktesresultiert vor allem aus der frühen Kundenintegration. Hierdurchwerden spätere Feedbackschleifen deutlich verkürzt, da man mögli-che Akzeptanzprobleme schon vor der Testphase feststellen kann.Die Entwicklungskostenreduktion ergibt sich zum einen direkt ausder verkürzten Entwicklungszeit, zum anderen daraus, dass derKunde Aufgaben übernimmt, die in klassischen Innovationsprozes-

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sen den Unternehmen selbst zufielen. Ein weit verbreitetes Schlag-wort in diesem Zusammenhang ist „Crowdsourcing“, wie es etwaerfolgreich auf der Plattform Wikipedia durchgeführt wird.Da die Entwicklung der neuen Dienstleistung von Beginn an aufdem Feedback und der Interaktion mit dem Kunden beruht, führtdies zwangsläufig auch zu einer erhöhten Marktakzeptanz. Die Ein-bindung anderer, unternehmensunüblicher Denkweisen führtschließlich zur Verbesserung des letzten Punktes „New-to-Market“.Basiert die Entwicklung hingegen rein auf bestehenden Unterneh-mensabläufen, können hiermit meist nur inkrementelle Verbesse-rungen erzielt werden (Reichwald et al. 2007, S. 172 – 176).Die Bewertung und Selektion der Ideen ist ein weiterer wichtigerFaktor, welcher den Verlauf des Innovationsprozesses und dessenErfolg entscheidend beeinflusst. Dieser Phase wird meist von Un-ternehmen und Mitarbeitern trotz der hohen Bedeutung für denErfolg einer Innovation zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt (Enkelet al. 2005, S. 6). Auch hierbei bringt es zahlreiche Vorteile mit sich,die Kunden in die Ideenbewertung zu integrieren. So können wich-tige Faktoren, wie etwa Gefühle und Präferenzen der Kunden, nurschwer mithilfe einer rein auf Fakten basierenden Liste verglichenund bewertet werden (Toubia und Florès 2007, S. 342). Die aufquantitativen Daten basierende Analyse ist zu diesem Zeitpunktmeist nur bedingt sinnvoll einsetzbar, sodass eine in Workshopsdurchgeführte Kundenbewertung der Ideen eine vielversprechendeMethode ist.

1.3 Die notwendigen Rahmenbedingungen des Inno-vationsprozesses

Im Vorfeld sind eine Reihe von Rahmenbedingungen für die früheKunden- oder Mitarbeiterintegration abzuklären, die zum Erfolgeines Einsatzes von Kundeninnovationslaboren in Innovationspro-zesse beitragen. Dazu zählen die Fragen nach der strategischenAusrichtung des Unternehmens insgesamt, der Struktur des Unter-

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nehmens sowie der Unternehmenskultur. Entscheidend ist es, imUnternehmen Strukturen zu schaffen, die offene Innovationspro-zesse ermöglichen. Diese Aspekte wurden im Projekt KIE-Lab mitbe-rücksichtigt und entsprechend hierfür auch der aktuelle For-schungsstand näher betrachtet.Bei der Betrachtung der Strategie sind zwei Ebenen zu berücksichti-gen: Zum einen gibt es meist eine übergeordnete Unternehmens-strategie, zum anderen eine darauf aufbauende Innovations- bzw.Technologiestrategie. Eine Grundvoraussetzung für den Instrumen-teneinsatz ist hierbei, dass auf beiden Ebenen eine generelle Offen-heit für die Integration des Kunden vorhanden ist (Wecht 2006, S.173 – 174).Die Unternehmenskultur, aufbauend auf den Studien von Edgar H.Schein, besteht ebenfalls aus mehreren Ebenen. Demnach gibt eszum einen die Grundannahmen, denen die grundlegenden Verhal-tens- und Orientierungsmuster zugeordnet werden können und dieunbewusst sowie unsichtbar sind. Sie beeinflussen die weiterenEbenen. Die nächste, hierauf aufbauende Ebene ist die der Normenund Werte, welche sowohl sichtbar als auchunbewusst stattfindet. Die dritte und letzte Ebene nach Schein sind

Abb. 2: Unternehmenskultur

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die Symbolsysteme, die als Artefakte bezeichnet werden. Diese sindsichtbar, müssen aber interpretiert werden.Um in einem Unternehmen Veränderungen und somit Innovationenumzusetzen, muss Veränderungsbereitschaft schon auf der unters-ten Ebene durchgesetzt werden (Wien und Franzke 2014, S. 29 – 31).Hierfür bedarf es einer auf Öffnung ausgerichteten Unternehmens-kultur, in der sowohl aufgeschlossen mit neuen Ideen umgegangenwird, als auch das Bestreben zur Verbesserung von Prozessen undProdukten besteht. Ein wichtiger Aspekt ist hier auch die Bereit-schaft und Fähigkeit in Netzwerken, auch mit externen Partnern zuarbeiten, die andere Kulturen pflegen. Dazu muss sowohl ein hoherBewusstseinsgrad für die eigene Kultur, als auch Sensibilität undToleranz beispielsweise gegenüber der Kundenkultur entwickeltwerden. Erreicht werden kann dies beispielsweise durch eine ent-sprechende Vorbildfunktion des Managements (Wecht 2006, S. 174– 175).Kundenintegrative Innovationsprozesse müssen des Weiteren auchin die limitierenden Rahmenbedingungen der jeweiligen Unterneh-mensstruktur eingebettet werden. Dies kann durch die Zuordnungentsprechender Verantwortlichkeiten und Aufgaben bis hin zumAufbau einer eigenen Organisationseinheit für Kundenintegrationreichen. Durch die Einbettung in oder den Aufbau von geeignetenUnternehmensstrukturen kann das Potenzial der Kundenintegrati-on langfristig im Unternehmen entfaltet werden.Abschließend kann somit festgehalten werden, dass die Einbezie-hung des Kunden in die Ideensammlung und -bewertung zahlreicheVorteile mit sich bringt. Für den erfolgreichen Einsatz der Kundenin-tegration müssen jedoch die entsprechenden Rahmenbedingungenim Unternehmen bestehen. Darüber hinaus sollte die Kundenin-tegration anhand eines festen Instrumentariums erfolgen, wie esetwa der KIE-Lab-Handlungsleitfaden bietet, um so die vielfältigenAspekte der Kundenintegration berücksichtigen zu können.

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2. Auswirkung des Forschungsvorhabensauf das Jahr 2030 im Rahmen eines Zu-kunftsszenariums

2.1 Ausgangssituation des Zukunftsszenariums

Basierend auf dem KIE-Lab-Handlungsleitfaden wurden eine Viel-zahl von Workshops durchgeführt, auf deren Grundlage wiederumZukunftsszenarien entwickelt wurden, die eine Orientierungshilfefür die Zukunft der Elektromobilität sein können. Dies kann bei derUmsetzung innovativer Dienstleistungen im Bereich der Elektromo-bilität hilfreich sein.Das im nachfolgenden dargelegte Zukunftsszenario basiert weitest-gehend auf den KIE-Labs an der Universität Burgund und Sofia. DieTeilnehmer an beiden Workshops waren hauptsächlich Studentender Universitäten. Insbesondere in Bulgarien waren aber ebensoSchüler und berufstätige Personen an den Workshops beteiligt.Insgesamt waren somit die Rahmenbedingungen der genanntenKIE-Labs nicht mit der regulären Kunden-Unternehmensbeziehungzu vergleichen. Der Themenschwerpunkt bei den KIE-Labs war dieEntwicklung von innovativen Dienstleistungen rund um das Elektro-auto. Wie im vorherigen Abschnitt dargestellt stand bei den zweiWorkshops zuerst die Ideengenerierung im Vordergrund. Danachwurden die Dienstleistungsideen entsprechend recherchiert undausgearbeitet sowie im Anschluss noch einmal einer Bewertungdurch die Teilnehmer unterzogen. Die Ergebnisse der Literaturana-lyse wurden im Rahmen der Veranstaltungen einem ersten Praxis-test ausgesetzt. Es konnten in den Workshops zahlreiche innovativeSzenarien entwickelt werden, welche teilweise bereits in Ge-schäftsmodellen umgesetzt werden.Im Rahmen der Veranstaltungen kristallisierten sich die folgendendrei thematischen Schwerpunkte heraus:

Mobilitätsstationen Elektrofahrzeuge als Stromspeicher

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Dienstleistungen für die Ladesäuleninfrastruktur

Im nachfolgenden werden die einzelnen Bereiche kurz näher erläu-tert bevor diese im Anschluss in einem fiktiven Zukunftsszenario fürdas Jahr 2030 zusammengefasst werden.

2.2 Mobilitätstationen

Hinter dem Begriff Mobilitätstationen verbirgt sich der Gedanke,dass in naher Zukunft nicht mehr der Besitz, sondern die Nutzungder Fahrzeuge im Vordergrund steht. Somit greifen Privatpersonennur noch entsprechend ihrem eigenen Bedarf auf die einzelnenFahrzeuge zu. Mobilitätsstationen sind dabei besondere Knoten-punkte, welche dem Wechsel von Fahrzeugen und Fortbewegungs-mitteln dienen. Eine kurze Recherche zum Thema konnte aufzeigen,dass sich bereits zahlreiche Unternehmen mit der Materie beschäf-tigen. Als Beispiel können die Switchh-Punkte in Hamburg genanntwerden. Aufgrund der großen Nachfrage nach dem multimodalenMobilitätsangebot, wurde daher eine Verlängerung und ein Ausbauder Dienstleistung beschlossen (Berg 2015). Die Switchh-Punkteermöglichen es von Bus und Bahn auf ein Taxi, Leihauto oder -fahrrad von verschiedenen Anbietern umzusteigen und das allesmit einer einzigen Karte des lokalen ÖPNV-Anbieters.Insbesondere der letzte Punkt stand dabei auch im Fokus der Work-shops: Es wurde darauf hingewiesen, dass ein solches Angebotmöglichst bequem nutzbar und ohne die Anmeldung bei einer Viel-zahl von unterschiedlichen Anbietern möglich sein muss. Eine wei-tere Idee war hierbei die Mobilitätsstationen auch an Mietshäusernanzusiedeln. Die Mieter würden sich auf diese Weise verschiedeneFahrzeuge kostengünstig teilen und die Abrechnung könnte nut-zungsabhängig über die monatliche Miete erfolgen. Des Weiterenwäre so auch eine ausreichende Verfügbarkeit von Ladestationen indichtbesiedelten Wohngebieten möglich. Hier hat meist nicht jederAnwohner einen eigenen Abstellplatz an dem es überhaupt möglichist eine Ladestation anzubringen. Auch für die Anschaffung von

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Pedelecs ist ein gemeinsamer Abstellplatz sinnvoll, da ansonstenbei Fehlen einer Garage die relativ schweren Fahrräder häufig übermehrere Treppenstufen getragen werden müssen. Dies ist aberinsbesondere für die meist ältere Zielgruppe ein Problem, das derAnschaffung solcher Fahrräder im Wege steht.

2.3 Elektrofahrzeuge als Stromspeicher

Eine weitere Idee, die während den Workshops immer wieder auf-kam ist, dass die Stromspeicherkapazitäten von Elektrofahrzeugenauch während der Standzeit genutzt werden könnenund hierdurchmöglicherweise zusätzliche Einnahmemöglichkeiten für Privatleuteentstehen. Beispielsweise könnten Energieversorger den Strom beierhöhter Sonneneinstrahlung (Solarenergie) oder windigem Wetter(Windenergie) kostengünstiger anbieten. Besitzer von Elektroautosspeichern während dieser Zeit die Energie im Auto und führen siespäter wieder zurück ins Stromnetz oder nutzen sie selbst. In derForschung werden diese Vehicle-to-Grid- Ansätze bereits seit 1997intensiv diskutiert. Dafür spricht auch die Tatsache, dass etwa 90 %der Fahrzeuge selbst zu Hauptverkehrszeiten nicht genutzt werden.Derzeitige Probleme in der Praxis sind die Regelung der Netznut-zungsentgelte, die zyklenabhängige Lebensdauer der Batterien undintelligente Vernetzung der einzelnen Komponenten (Heinrichs2013, S. 55 – 57). In der Bewertungsphase waren sich die Teilneh-mer jedoch weitestgehend einig, dass es sich hierbei nur um kurz-fristige Probleme handelt, welche in Zukunft keine Rolle mehr spie-len dürften.

2.4 Dienstleistungen für die Ladesäuleninfrastruktur

Im Bereich der Ladesäuleninfrastruktur gab es zwei besonderswichtige Anliegen der Teilnehmer, die mithilfe von Dienstleistungengelöst werden sollten. Zum einen sollten auch Privatpersonenschnell und einfach ihre Ladesäulen anderen Personen zur Verfü-gung stellen können, um so relativ schnell und einfach eine umfas-

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sende Ladesäuleninfrastruktur zu erstellen. Zum anderen wäre eslaut Angaben der Workshopteilnehmer sinnvoll im Navigationssys-tem Informationen zur Parksituation einer Ladesäule bereitzustel-len.In dem Bereich der privaten Ladesäulen wäre zum Beispiel ein Onli-nedienst mit einem einfachen Abrechnungssystem wünschenswert,welcher sich mit den privaten Ladesäulen verbinden lässt. Hieranwird bereits u. a. in dem Projekt Crowdstrom in Deutschland ge-forscht. Mit Elbnb in Schweden gibt es auch ein erstes Unterneh-men, welche eine solche Dienstleistung bereits umgesetzt hat (Kaf-yeke 2016) und auch TESLA und airbnb arbeiten seit 2015 an einemähnlichen Konzept (Setalvad 2015), sodass eine weltweite Umset-zung bis 2030 durchaus als realistisch einzustufen ist.Das Thema der Parkplatzausnutzung wird beispielsweise von BMWzurzeit entwickelt. Ziel ist es ein integriertes Navigations- und Reser-vierungssystem für Ladestationen anzubieten. Auch zu diesemThema gibt es schon unterschiedliche Forschungsprojekte. Bei-spielhaft kann das Projekt e-GAP 2030 in Garmisch-Partenkirchengenannt werden.

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2.5 Verknüpfung der Konzepte im Jahr 2030

Die nachfolgende Abbildung zeigt ein Beispiel Szenario für das Jahr2030:

Abb. 3: Szenario für das Jahr 2030

Frau Mustermann hat an ihrem Mietshaus eine Mobilitätsstationangeschlossen, in der Sie per App auf verschiedene Fahrzeuge (z. B.:Transporter, Autos, Pedelecs) zugreifen und diese reservieren kann.Der Preis der Fahrzeuge wird über die Miete abgerechnet und rich-tet sich neben der gefahrenen Kilometerzahl, unter anderem nachder Uhrzeit und ist darüber hinaus tagesabhängig. Ebenfalls eineRolle spielt hierbei der aktuelle, uhrzeitabhängige Strompreis, bei-spielsweise werden die Fahrzeuge nachts als Energiespeicher ge-nutzt und der Strom morgens bei Bedarf wieder zurück ins Netzeingespeist, vorausgesetzt das Fahrzeug ist nicht anderweitig ver-plant bzw. reserviert.Spontane Fahrten sind deutlich teurer, da der Fahrzeugpool beieiner hohen Anzahl an ungeplanten Fahrten durch den hinterlegtenAlgorithmus deutlich größer ausfallen müsste, um die Bedürfnissealler teilnehmenden Mieter zu erfüllen. Um die Versorgung der Mo-

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bilitätsstation mit ausreichend Fahrzeugen kümmert sich eindeutschlandweit agierendes Unternehmen, das je nach Bedarf zu-sätzliche Pedelecs, Autos und Transporter an den einzelnen Statio-nen zur Verfügung stellt. Das Unternehmen setzt in manchen Regi-onen auch schon zahlreiche, selbstfahrende Fahrzeuge ein, welchePersonen abholen können und bei Bedarf vollautomatisch von ei-ner Mobilitätsstation zur nächsten fahren.Im Voraus geplante Fahrten zu bestimmten Geschäften könnendabei sogar teilweise umsonst erfolgen, da die Aufladung der Fahr-zeuge dann am Ziel erfolgt. Auf diese Weise locken die Geschäftedie Kunden an und bewerben ihre eigenen Waren. Zum Beispielwirbt der lokale Biosupermarkt damit, dass man während des Ein-kaufs das eigene Fahrzeug mit Strom aus erneuerbaren Energie-quellen kostenlos laden kann.Frau Mustermann informiert sich über ihre eigene, übersichtlichgestaltete Smartphone-App über die aktuellen Kosten und die Ver-fügbarkeit der Fahrzeuge. Sie kann außerdem auf diese Weise fürden Großeinkauf am Wochenende in einem Möbelgeschäft auf ei-nen größeren Transporter zurückgreifen ohne sich um die Einzel-heiten eines gesonderten Mietvertrags kümmern zu müssen. DesWeiteren kann sie für ihren monatlichen Fahrradausflug die Pede-lecs, die sonst von einem Berufspendler auf dem täglichen Weg zuArbeit benutzt werden, ganz bequem am Sonntag verwenden.

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Städte im Umbau für nachhaltige Mobili-tät: das Beispiel Dijon

Marie Jegu, Franck Dubois

1. Hintergrund: Vom ökologischen Engage-ment der Europäischen Union zur prakti-schen Umsetzung auf kommunaler Ebene

Das im Jahr 1997 unterzeichnete Kyoto-Protokoll – ein internationa-les Abkommen über den Klimawandel –, welches an das Rahmen-übereinkommen der Vereinten Nationen von 1992 über Klimaände-rungen anknüpft, verpflichtet die Unterzeichner zur Verringerungder Treibhausgasemissionen um 5 – 8 % im Vergleich zum Standvon 1990 innerhalb des Verpflichtungszeitraums von 2008 bis 2012.Der Sektor, der einen besonders raschen Anstieg der CO2-Emissionen aufweist, ist der Transport. Deshalb muss dieser Sektor„in die neue europäische Strategie der ökologischen Strukturierungeinbezogen werden, einschließlich der Planung strenger Sanktionenund des Aufbaus klar definierter Partnerschaften“ (Dubois, 2013).Auf dem Gipfel von Johannesburg wird die Europäische Union (EU)deshalb ihre Absicht, im Bereich Transport das weltweit effizientes-te Modell zu entwickeln, und die USA und Japan darin zu überbie-ten, bekräftigen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird die EU Entwick-lungspläne für den Transportsektor ausarbeiten, die eine Harmoni-sierung der Mobilität im EU-Gebiet verfolgen und zugleich die Nut-zer in den Mittelpunkt der Transportpolitik rücken. Das heißt konk-ret: Bekämpfung von Unfallursachen, Vereinheitlichung von Sankti-onen und Förderung von Technologien, die mehr Sicherheit undNachhaltigkeit garantieren. Von nun an konzentriert sich ihr Han-deln auf eine Neugewichtung der verschiedenen Verkehrsarten

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sowie auf die Berücksichtigung ökologischer Fragen (wie das Weiß-buch der Kommission von 2001 über die europäische Verkehrspoli-tik bis 2010 belegt.) Die Förderung von Transportmitteln, die derMobilitätsnachfrage gerecht werden und sich so gering wie möglichauf die Umwelt- und Umgebungsqualität auswirken, also die „Öko-mobilität“ oder „nachhaltige Mobilität“, bildet deshalb einenSchwerpunkt der Politik der nachhaltigen Entwicklung und ist un-trennbar mit einem Wandel der ökonomischen, sozialen, ökologi-schen und kulturellen Dimensionen der Gesellschaft verbunden(Dubois, 2013). Da der Energie-Aspekt aus der Verkehrsthematikunmöglich ausgeklammert werden kann, entsteht in den 2000erJahren parallel dazu eine neue Energiepolitik, deren Umsetzung derZivilgesellschaft nahegelegt wird (Dubois, 2013).Jedoch betrachten „die Mitgliedsstaaten der europäischen Gemein-schaft die Ökologie als eine Angelegenheit, die auf lokaler Ebeneangegangen werden muss“ (Dubois, 2013). Deshalb werden diegroßen europäischen Richtlinien zunächst auf einzelstaatlicher Ebe-ne angewandt. In diesem Sinne empfiehlt das Sechste Umweltakti-onsprogramm der Europäischen Union (2001–2010) strukturelleVeränderungen im Transportsektor, die von den Mitgliedsstaaten,die die Finanzierung und Ausführung der Umweltpolitik gewährleis-ten, getragen werden sollen.6 Da diese Umweltmaßnahmen immerteurer werden, müssen sie von den Staaten langfristig geplant wer-den (Baslé, 2002). Die Europäische Union besitzt keine Befugnis imBereich Stadtplanung7, sie bietet jedoch Leitlinien an. Nach RobertoCamagni (2003) sollte das Ziel des Arbeitsplans im Entwurf einesRegelwerks bestehen, um anhand der aktuellen Situation zukünftige

6 Mitteilung der Kommission an den Rat zum Sechsten Umweltaktionspro-gramm, KOM/2001/0031 endg. Anschließend Entscheidung des Europäi-schen Parlaments und des Rates zur Einführung des Sechsten Umweltakti-onsprogramms, Nr. 1600/2002/EG - ABL L 242/1 vom 22. Juli 2002.7 Zum Beispiel: Europäische Kommission, Unionsrahmen für staatlicheBeihilfen für Forschung, Entwicklung und Innovation. KonsultationspapierABL C 323 vom 30. Dezember 2006.

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territoriale Tendenzen und deren Auswirkungen vorwegnehmen zukönnen. Es geht also um einen allgemeinen Rahmen, der die Koor-dination der Konsequenzen auf einzelstaatlicher Ebene gewährleis-tet und die Umsetzung privater Projekte ermöglicht. (Negre, 2011).Die Mitgliedsstaaten und Nicht-Mitgliedsstaaten der EU haben sichdeshalb darauf geeinigt, sich nach dem gemeinschaftlichen Konzeptzu richten (Farago, 2003) und bei ihren Maßnahmen zugleich dielokalen Besonderheiten zu berücksichtigen.Durch die Unterstützung des Dezentralisierungsprozesses zur Über-tragung staatlicher Zuständigkeiten auf „Verkehrsbehörden“, wer-den von den Kommunalverwaltungen sinnvolle Einheiten im Trans-portsystem ermittelt. Dieser Ansatz ermöglicht eine strukturierteFinanzierung der Straßeninstandhaltung, weil sie die Erhebung ei-ner entsprechenden Steuer für Unternehmen legitimiert (Dubois,2013). Die Gebietskörperschaften übernehmen die alleinige Ver-antwortung für die Infrastrukturen, die sie nunmehr auch selbstfinanzieren, was die Ausgestaltung der europäischen Richtlinien aufder Ebene von Ballungszentren, Städten und Gemeinden ermög-licht. In diesem Sinne gilt die Aufmerksamkeit im Bereich Stadtent-wicklungspolitik von nun an der Rolle, welche die Städte als An-triebskraft der sozialen, räumlichen und ökonomischen Entwicklungauf regionaler, nationaler und europäischer Ebene spielen können(Aubertel & Rousier-Lieux, 2007). Zwischen dem Potenzial der Städ-te einerseits und den Hauptproblemen der Gesellschaft mit denensie konfrontiert werden andererseits, wird eine Verbindung herge-stellt. Das Ziel besteht in der Stärkung der Position der Städte, ins-besondere mithilfe einer engeren Zusammenarbeit und eines Wis-sens- und Erfahrungsaustauschs zwischen den Städten, den Mit-gliedstaaten und der Europäischen Union.8

8 Séminaire POPSU (Beobachtungsplattform für städtische Projekte undStrategien), Neue Modelle zur Gestaltung des öffentlichen Raumes: Fußver-kehr und Kombination mit anderen Beförderungsarten, Präsentation derStädte Kopenhagen, Lausanne, London und Paris, 16. und 17. September2010.

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2. Die Besonderheiten von Dijon und dieHerausforderungen des Übergangs zurnachhaltigen Mobilität

Während mehrere große Städte in Frankreich die europäischenRichtlinien ab Anfang der 2000er Jahre oder sogar ab Ende der1990er Jahre, was Straßburg betrifft, umsetzen und an einem Wan-del im Hinblick auf eine ökologischere Mobilität arbeiten, gilt dieStadt Dijon in den Augen der Franzosen als „schlafende Schöne“.Doch Burgund stellt ebenso wie das Elsass und die Franche-Comtéeine wichtige Transitregion innerhalb Frankreichs dar. Und obwohldie auf das gesamte Gebiet verstreuten burgundischen Städte, diedurch landwirtschaftliche Nutzflächen und Waldgebiete voneinan-der getrennt werden, durchschnittlich 60 Kilometer auseinanderlie-gen, ist Dijon das Zentrum einer Konzentration von Kommunen, diesich entlang der Achse Paris-Lyon erstreckt. Ungeachtet der zweifel-los idealen strategischen Lage Burgunds auf den Handels- und Wirt-schaftsachsen bemühte sich Dijon – bis in die 1990er Jahre – darum,abseits von den großen Autobahn-, Schienenverbindungen undSchifffahrtswegen zu bleiben. Man wollte die Weinanbaugebieteschützen und eine gewisse Lebensqualität bewahren.Doch trotz des Strebens nach einer Außenseiterposition wird dieburgundische Hauptstadt immer attraktiver, da sie in wirtschaftli-cher Hinsicht eine immer stärkere Dynamik entwickelt, was zu einerallmählichen Verbesserung der Anbindung an die großen Verkehrs-netze (Schiene, Straße und Autobahn) führt (Dokumentation derCommunauté d’agglomération Grand Dijon, 2008). Die Inbetrieb-nahme der östlichen TGV-Strecke Rhein-Rhône im Jahr 2011/2012erleichtert den Zugang zum Großraum, und die Zusammenarbeitzwischen den Städten der Metropolregion Rhein-Rhône in den Be-reichen Hochschulwesen, Kultur, Wirtschaft und Gesundheit undschafft einen neuen Bedarf an Personenbeförderung innerhalb desGroßraums. Aus der Dokumentation der Communautéd’agglomération Grand Dijon (2008) geht außerdem hervor, dass die

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gute Straßenanbindung der Umgebung des Großraums die Bevöl-kerung zugleich ermutigt, immer weiter entfernt von ihrem Arbeits-ort zu wohnen, was die Phänomene der Periurbanisierung (Lärmbe-lastung, Störung des Landschaftsbildes, Luftverschmutzung undGesundheitsrisiken), die hohe Umweltkosten verursacht, verstärkt.In diesem Sinne sind mehr als 40 % der Arbeitsplätze innerhalb desGroßraums mit Personen besetzt, die außerhalb des Großraumswohnen, und seit zehn Jahren ist eine Verlängerung der Streckenzwischen Wohnung und Arbeitsplatz, die mehrheitlich mit dem Autozurückgelegt werden, zu verzeichnen (Dokumentation der Commu-nauté d’agglomération Grand Dijon, 2008).Dies versetzt Dijon in den folgenden Zwiespalt: Einerseits möchtedie Stadt ihre Lebensqualität, ihr Kulturerbe, ihre Traditionen sowiedas Gleichgewicht zwischen ihren Gebieten bewahren, andererseitserfreut sie sich einer besonderen Attraktivität, die nicht nur ihrerRolle als Hauptstadt einer Region, sondern auch ihrem wirtschaftli-chen und touristischen Potenzial, ihrem Beschäftigungsangebotund ihren Möglichkeiten der Verkehrsentwicklung zu verdanken ist.Die Beliebtheit der Stadt und des Großraums Dijon erhöht den Mo-bilitätsbedarf massiv, was mit einer Gefährdung des kulturellen undhistorischen Erbes und mit einer Verringerung der Umweltqualitäteinhergeht. Die Herausforderung des städtischen Wandels vonDijon besteht in der Entwicklung des einen Ziels, ohne dabei dieVerwirklichung des anderen zu gefährden.Diese verspätete allgemeine Bewusstwerdung ihres ökonomischen,touristischen, historischen und landschaftlichen Potenzials sowievor allem die Zunahme ihrer Attraktivität und des damit einherge-henden wachsenden und dringenden Mobilitätsbedarfs wird dieStadt veranlassen, sich der Ökomobilität zuzuwenden. Diese er-scheint als alternative Lösung, um den Charme der Stadt und dieallgemeine Lebensqualität zu bewahren. Deshalb wird sich einschneller Strategiewechsel vollziehen, um die territoriale Vernet-zung den neuen Perspektiven und Chancen der Region als Wirt-schafts- und Wissenschaftsstandort bzw. als touristisches Ziel anzu-

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passen. Die Kommunalverwaltung erhebt Umweltfreundlichkeitzum Maßstab aller ihrer politischen Maßnahmen. Ihr Bestreben istdie Bewahrung der Umwelt, den wirtschaftlichen Aufschwung undden sozialen Zusammenhalt bei der Entwicklung des Großraums zuvereinbaren. Hierbei spielt der Aufbau einer nachhaltigen Mobilitäteine Schlüsselrolle (Dokumentation der Communautéd’agglomération Grand Dijon, 2008).Im Lauf dieses Kapitels befassen wir uns mit drei verschiedenenVerkehrsarten, um die Wandlungsdynamik zu veranschaulichen, mitder Dijon auf die Herausforderungen der Mobilität reagiert sowiedie Initiativen zur Entwicklung einer zukunftsorientierten Elektro-mobilität darzulegen. Es soll aufgezeigt werden, dass Dijon es ver-standen hat, mithilfe einer städtischen Umgestaltung eine allgemeinzugängliche ökologische Mobilität zu fördern und einen neuen Wirt-schaftssektor aufzubauen: Elektromobile Dienstleistungen.

3. Die Straßenbahn – Auslöser der städte-baulichen Umgestaltung

Zwar ist das Bustransportangebot von Dijon seit Oktober 2004 sehrhochwertig und leistungsstark (sehr umfassendes Serviceangebotmit häufigen Fahrten, erhöhter Kapazität dank der Einführung grö-ßerer Fahrzeuge und Verwirklichung eigener Busspuren), doch eshat mittlerweile den Höhepunkt seiner Entwicklungskapazität er-reicht und stagniert gewissermaßen. Die Buslinien können demwachsenden Mobilitätsbedarf nicht mehr gerecht werden, weil sieder Nachfrage nicht mehr genügen. Davon abgesehen empfindendie Einwohner die allgegenwärtigen Fahrzeuge als Störung inner-halb der Altstadt. Bei einer 90-Sekunden-Taktung während denHauptverkehrszeiten auf den Busachsen der Altstadt entgeht nie-mandem die Lärmbelastung und die Beeinträchtigung des Stadtbil-des (Dokumentation der Communauté d’agglomération GrandDijon, 2008).

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Die Straßenbahn erscheint angesichts der überlasteten Buslinien,der Unregelmäßigkeiten, des Zeitverlusts und der steigenden Be-triebskosten im Busverkehr als sinnvolle Lösung. In der Tat ist sie inder Lage, dem Beförderungsbedarf (90 000 Fahrgäste pro Tag) miteiner für den Betrieb und die Umwelt vertretbaren Fahrtenhäufig-keit gerecht zu werden (im Gegensatz zu den Bussen) und dies ineinem Umfang, der auch den Anstieg der Mobilitätsnachfrage imGroßraum auffängt. Darüber hinaus bietet sie eine interessantereFahrtdauer als der Bus, weil sie von dem erhöhten Stauaufkommenwährend der Hauptverkehrszeiten nicht tangiert wird. Außerdem istsie geräuschlos und geräumig, bietet einen gleichmäßigeren Fahrstilund eine bessere Zugänglichkeit für Personen mit eingeschränkterMobilität. Sie wird von den jungen Einwohnern von Dijon, die keinAuto besitzen, intensiv genutzt (rückläufige Anzahl der jungen Städ-ter, die den Führerschein machen) sowie von den zahlreichen Aus-ländern, die sich in Dijon aufhalten. (Doch das Auto ist unverzicht-bar, wenn man sich im Departement außerhalb des Stadtzentrumsfortbewegen möchte.) Schließlich lässt sie abwechslungsreicherestädtebauliche Methoden mit allen denkbaren Arten von Bodenbe-lägen zu, sodass eine Anpassung an die gewünschten Gegebenhei-ten in den durchfahrenen Gebieten möglich ist (z. B. Sand, Beton,Pflastersteine oder Rasen).Dijon setzt auf Elektromobilität, um den Herausforderungen seinerEntwicklung gerecht zu werden und führt zwei Straßenbahnlinienein. Für die aus Steingebäuden bestehende Stadt, in der eine Ände-rung der baulichen Gestaltung des Stadtgebiets schwierig erscheint,bedeutet dies einen „gewaltigen“ Wandel. Der Bau dieser beidenLinien in der Innenstadt, die im Jahr 2012 in Betrieb genommenwurden, hat im wahrsten Sinn des Wortes sowohl die Landschaftund die Architektur als auch die Funktionalität der Räume und dieGestaltungsprojekte revolutioniert. Da noch keine entsprechendeInfrastruktur vorhanden war, musste alles neu angelegt werden,und gleichzeitig musste die Stadt selbst und ihr Bebauungsplanüberarbeitet werden. Die Straßen und Plätze von Dijon sind von

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Alfred Peter, einem Straßburger Landschaftsarchitekten neu ent-worfen worden. Er überarbeitete den öffentlichen Raum, wobei erden Fußgängern und den umweltfreundlichen Beförderungsartenden Vorzug gab. Sowohl die Place Darcy und die Place de laRépublique sind an beide Straßenbahnlinien angeschlossen, waseine Taktung von zweieinhalb Minuten in beide Richtungen ermög-licht. Die Autos wurden aus der Innenstadt verbannt, und die Plätze,die bisher durch den Autoverkehr verunstaltet waren, wurden re-noviert und mit Bäumen und Grünflächen gesäumt. Die Hauptver-kehrsachsen wurden auf zwei reduziert. Die Rue de la Liberté, wel-che die Innenstadt durchquert, wurde wieder zur Fußgängerzone,neue Beläge wurden angebracht und zeitgemäße Brunnen ange-legt. Die gepflegte Beleuchtung und die Verbannung der Autosmachten aus den Plätzen einen hochwertigen öffentlichen Raum,der sich aufgrund seiner Attraktivität auch als Veranstaltungsorteignet. Die Begrünung hat den Straßenzügen der Innenstadt einenneuen Charme verliehen und die Entwicklung einer umweltfreundli-chen Mobilität gefördert. Die strategischen Orte der Stadt, wie z. B.die öffentlichen Gebäude (Krankenhaus, Universität, Hauptbahnhof,Einkaufszentren) wurden an das Straßenbahnnetz angeschlossen.Allerdings wird die Umgestaltung der städtischen Landschaft vonmanchen Einwohnern skeptisch betrachtet, weil sie einen Wandelihrer Mobilitätsgewohnheiten erfordert. Die neuen Zugänge zu denGeschäften und öffentlichen Gebäuden zwingen sie zum Umden-ken. Da zahlreiche Straßen zu Fußgängerzonen erklärt wurden,muss sich die Bevölkerung an neue Verkehrsrouten gewöhnen.Appelle an die Wachsamkeit und Aufmerksamkeit der Autofahrer inVerbindung mit einer umfassenden Beschilderung sind der ersteSchritt zur Lösung dieses Problems. Dasselbe gilt für die Park-and-Ride-Plätze, die auf der Wegstrecke von den Außenbezirken in dieInnenstadt den Übergang vom Auto zur Straßenbahn ermöglichen.Auch sie müssen in die Mobilitätsgewohnheiten der Bewohner desGroßraums integriert werden und bedeuten zunächst eine Umstel-lung. Darüber hinaus müssen die Einwohner von Dijon lernen, das

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neue Transportmittel Straßenbahn, mit dem sie weder vertraut sindund für dessen Nutzung sie nicht sensibilisiert sind, in ihren Alltagzu integrieren: Das Transportunternehmen Divia und die Stadt-dienste sahen sich aufgrund mangelnder Wachsamkeit beim Über-queren der Verkehrswege eines geräuschlosen Transportmittels mit73 Unfällen im Jahr 2013 konfrontiert, von denen einer tödlich en-dete. Eine Schockkampagne, die sich das Programm „Dumb WaysTo Die“ der U-Bahn von Melbourne zum Vorbild nahm, trug zurdeutlichen Senkung der Unfallrate bei (Dubois, 2015).Durch die Umgestaltung des Stadtbildes und durch die Unterstüt-zung der Bevölkerung im Wandel ihrer Mobilitätsgewohnheiten,gelingt es der Stadt Dijon die Umstellung des öffentlichen Trans-ports auf Ökomobilität zu meistern. Dijon hat nun die Aufgabe, sichmit den nächsten Schritten seiner nachhaltigen Entwicklung und mitden zukünftigen Herausforderungen zu befassen und den Groß-raum in den Blick zu nehmen. Unter Einbeziehung neuer technolo-gischer Entwicklungen muss Dijon die Mobilität in seinen Gemein-den gestalten und sein nachhaltiges Beförderungsangebot durchneue Linien, die weitere Gebiete anbinden, vervollständigen. Hiersteht allerdings das Phänomen der gesellschaftlichen Fragmentie-rung als Hemmnis im Weg. Die (soziale) Zersplitterung des Groß-raums Dijon hat dazu geführt, dass die beiden wichtigsten Vorstäd-te von Dijon trotz ihrer geographischen Nähe zur Innenstadt nichtüber die Straßenbahn an diese angeschlossen sind, da man eineAnbindung an die benachbarten Geschäftszentren priorisiert hat.Dies führt über kurz oder lang zu sozialer Ausgrenzung.

4. Individualfahrzeuge – Technologische In-novationen und Demokratisierung derElektromobilität

Nachdem Dijon mithilfe einer Umgestaltung seines Stadtbildes er-folgreich eine neue nachhaltige Form der öffentlichen Mobilität

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verwirklicht hat, gilt es die Herausforderungen der Individualmobili-tät zu meistern. Tatsächlich wird es schwierig, sich ohne Auto fort-zubewegen, sobald man sich von der Innenstadt entfernt, und an-gesichts der großen Entfernungen zwischen den burgundischenStädten ist es schlichtweg unmöglich, außerhalb von Dijon ohneAuto unterwegs zu sein. Das Quartier de la Fontaine d'Ouche stehtexemplarisch für die Stadtviertel, die trotz der Umbruchphase, diesie zwischen 2012 und 2014 durchlaufen haben, von der Innenstadtabgeschnitten bleiben. Der auf den Lac Kir ausgerichtete Stadtteil istein multikulturelles Viertel mit sehr urbanem Charakter, das allesozialen Schichten in sich vereint und mittlerweile die typischenEigenschaften einer „Dorfstadt“ aufweist: ein städtisches und ländli-ches Erscheinungsbild zugleich und das Potenzial, die „grüne“ Rü-ckendeckung des gesamten Großraums zu bilden. Doch im BereichMobilität sind die Einwohner von Fontaine d'Ouche durch einenGürtel aus Verkehrswegen vom Rest der Stadt abgeschnitten: DerLac Kir, der Canal de Bourgogne, der Fluss Ouche und Schnellstra-ßen ermutigen dazu, das Auto jedem anderen Transportmittel vor-zuziehen (Galibert et al., 2014). Die Kommunalverwaltung hat sichfür die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der öffentlichenTransportmittel gegenüber dem Auto eingesetzt, aber nicht alleStadtviertel sind an die neue Straßenbahn angeschlossen. Als Aus-gleich wird der Fahrplan einer Hybridbuslinie, welche die Verkehrs-teilnehmer über den Fernbahnhof mit der Straßenbahn verbindet,erweitert. Doch der Bus bleibt von den Verkehrsbedingungen ab-hängig und zieht nicht auf seiner gesamten Strecke dieselbe Anzahlvon Fahrgästen an. Außerdem nutzen die meisten Verkehrsteil-nehmer gewohnheitsmäßig lieber das Auto als den Zug oder die U-Bahn. Zwischen 1980 und 1998 beispielsweise erwarben vier Fünftelder europäischen Haushalte ein Auto (Dubois, 2013). Die Zeit, dietäglich der Fortbewegung gewidmet wird, scheint unverändert zubleiben, was vor allem der Tatsache geschuldet ist, dass im Alltagnicht beliebig viel Zeit für die Fortbewegung zur Verfügung steht.Doch nicht nur der Anspruch an die Geschwindigkeit, sondern auch

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die allgemeinen Erwartungen an die Fortbewegung steigen: Sie sollnicht nur schneller sein, sondern gleichzeitig größere Entfernungenbewerkstelligen und das Erreichen zahlreicher Zielorte ermöglichen.Diese Faktoren bewirken eine Bevorzugung des Individualverkehrs,selbst in den Großstädten. Da der bedarfsorientierte Verkehr vor-herrschend ist, muss es für Dijon ein Ziel sein, diese Beförderungs-art hin zu einer nachhaltigen Mobilität zu modifizieren.Als Fortsetzung der Demokratisierung der ökologi-schen/elektrischen Mobilität, die im öffentlichen Nahverkehr u. a.durch die Straßenbahn angelegt ist, scheint sich das Elektroauto,das von den Regierungen und Kommunalverwaltungen gefördertwird, auf dem Fahrzeugmarkt zu etablieren. Tatsächlich verzeichnetdie AVERE (Nationale Vereinigung für die Entwicklung von Elektro-mobilität) monatlich 1.600 Neuanmeldungen von Elektrofahrzeu-gen, seitdem die Regierung ihre Absicht zur Förderung der „saube-ren Mobilität“ verkündet hat9, was einen Anstieg um 55 % im Ver-gleich zu 2014 bedeutet. Der Marktanteil der Sparte Elektrofahrzeu-ge macht 0,6 % des Fahrzeuganteils auf nationaler Ebene aus. Einerder Gründe für den Anstieg der Verkaufszahlen von Elektroautos istin den Beschränkungen für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotorenauf bestimmten Strecken zu sehen (Dubois, 2015). Tatsächlich be-mühen sich die Kommunalverwaltungen, die für die Luftqualitätzuständig sind, die Einschränkungen für ihre Bürger möglichst ge-ring zu halten, und das Elektrofahrzeug stellt dabei eine ideale Lö-sung dar. Dazu gehört die Entwicklung eigener Parkflächen fürÖkofahrzeuge, die zum Abbau des Widerstands gegenüber demWandel beiträgt. Aus ökonomischen Gründen und dank des flexib-len Einsatzes haben Elektrofahrzeuge mithilfe von Carsharing-Diensten den Markt durchdrungen. Mit 700.000 Nutzern in ganzFrankreich tritt im Jahr 2013 die Demokratisierung dieses Wirt-schaftszweiges ein. In Burgund wird der Carsharing-Dienst Mobigo

9 Januar 2015, beim 16. Nationalen Energiekongress der ADEME inBordeaux: www.assises-energie.net

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am 30. September 2013 vom Regionalrat in Partnerschaft mit derADEME (Agence de l'Environnement et de la Maîtrise de l'Énergie[Agentur für Umwelt und Kontrolle des Energieverbrauchs]) ins Le-ben gerufen. Um die Entwicklung einer sozialen und solidarischenWirtschaft zu fördern, basiert Mobigo auf dem Modell einer ge-meinnützigen Genossenschaft (Scic). Er gehört ebenfalls zum Car-sharing-Genossenschaftsnetz Citiz, das 15 Anbieter mit 300 Statio-nen in 86 Städten im Westen und Osten des Landes umfasst. DasCarsharing-System kann als Lösung zur Amortisierung der finanziel-len Investition betrachtet werden, die der Kauf eines Elektroautosimmer noch darstellt.Doch diese Unterstützung allein reicht nicht aus, um eine vollstän-dige Demokratisierung zu erreichen. Um den Elektrofahrzeug-Sektor zu entwickeln bedarf es auch eines technologischen undtechnischen Fortschritts. Die Öffnung des Elektrizitätsmarktes fürden Wettbewerb im Jahr 2009 führte zu einer Kristallisation derAnbieter. Als Folge wurde die Chance zur Umstellung des Automo-bilsektors, welche die Umgestaltung der Tankstellen zur Anpassungan die Elektrosparte ermöglicht hätte, verpasst. Doch noch proble-matischer als der Mangel an Ladestationen, der derzeit eines derHindernisse in der Verbreitung von Individualfahrzeugen darstellt,ist die Ladedauer (durchschnittlich 10 Stunden pro Auto), die vonder erforderlichen Stromstärke abhängt. Eine Ladung mit einerStromstärke von 16 Ampere ist in acht Stunden abgeschlossen, be-nötigt aber, wenn sie zuhause vorgenommen werden soll, eine vo-rausgehende Diagnose, gegebenenfalls eine Umrüstung der Anlageund die Anbringung einer Ladestation an der Hauswand, was zu-sätzliche Kosten verursacht, die normalerweise nicht im Ausgangs-budget enthalten sind. Auf öffentlichen Plätzen kann das gleichzeiti-ge Aufladen von nebeneinander geparkten Elektrofahrzeugen einenBrand verursachen.Für Tiefgaragen besteht eine mögliche Lösung dieser Problemeentweder darin, die Fahrzeuge in einem Abstand von 15 m zu par-ken, oder auf jeder Ebene nur einen Ladeplatz anzubieten bzw.

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Feuerschutzwände anzubringen, um die auf derselben Ebene be-findlichen Fahrzeuge voneinander abzuschirmen und Sicherheit zugewährleisten (Dubois, 2015). Ein Zuwachs bei der Nutzung elekt-romobiler Individualfahrzeuge wird auf anderem Wege unterstützt.Seitdem der Staat Vorschriften und Sanktionen im Rahmen derStraßenverkehrsordnung verschärft hat, wurde beinahe 150.000Personen der Führerschein entzogen, sodass sie sich anderen Lö-sungen zugewandt haben, um mobil zu bleiben. Folglich verzeich-nen die führerscheinfreien Elektroautos, wie Aixam, Microcar oderNoun die bedeutendsten Verkaufsrekorde. Die Hersteller beginnenebenfalls, Autos mit neuem Design und innovativen Funktionen zueinem erschwinglicheren Preis, der dem Budget der Bevölkerungvon Dijon gerecht wird, anzubieten.Mit Blick auf die Zukunft ist festzustellen, dass zwar ein gewisserFortschritt erzielt wurde, aber immer noch Lösungen ausstehen, wiez. B. zur Weiterentwicklung der individuellen Ökomobilität, aberebenso zur Förderung der Mobilität alter Menschen, für die nur einpaar wenige Modelle des „Elektrorollers für Behinderte“ zur Verfü-gung stehen (Dubois, 2015). Die Ergonomie, das Design, die Ge-schwindigkeit (um mit herkömmlichen Fahrzeugen im Straßenver-kehr mithalten zu können), die Stabilität der Fahrzeuge sowie dieKonzeption des Parkens im Stadtgebiet müssen völlig neugestaltetwerden, um diesen neuen Fahrzeugtyp in den öffentlichen Raum zuintegrieren. Aus langfristiger Perspektive ist es durchaus denkbar,dass Dijon eines Tages die Chance hat, seine Fähigkeit zur Anpas-sung und zur städtebaulichen Umgestaltung im Rahmen des Auf-kommens autonomer Autos unter Beweis zu stellen, da die Stadt esversteht, ihre Infrastruktur in den Dienst der Ökomobilität zu stel-len.

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5. Das Beispiel des Zweirads10 – Das Attrak-tivitätspotenzial der Ökomobilität fördern

Weil in ganz Europa die Begeisterung für das Zufußgehen und dasRadfahren sowie das Interesse am Radtourismus wiederaufleben,muss Dijon die Herausforderung einer gründlichen Umgestaltungseiner Infrastrukturen meistern, um diese entsprechend anzupas-sen und die Nutzung von Fahrrädern und E-Bikes zu erleichtern. Inder Praxis wird die Umgestaltung darin bestehen, „den Raum aufzu-teilen, und dies nicht nur zum alleinigen Vorteil des Autos, sondernebenso zugunsten der anderen Transportarten. Folglich werdenGebiete geschaffen, die das gefahrlose Zufußgehen oder Radfahrenermöglichen“ (Dokumentation „Dijon se bouge“ des Gemeindever-bands Großraum Dijon, 2006). Doch stereotype Vorstellungen vomSport in der Stadt und vom allgemeinen Nutzen körperlicher Aktivi-tät ließen bei den Vertretern der Stadt Zweifel daran aufkommen,ob eine Verstärkung der Infrastruktur und eine städtebauliche Ge-staltung zur Anpassung an die sanfte Mobilität wirklich erforderlichsind. In dieser Hinsicht entstand eine widersprüchliche Situation imGroßraum Dijon. Es ist einerseits kompliziert, mit dem Auto in dieInnenstadt zu gelangen und es dort zu nutzen, andererseits ist esebenso kompliziert mit dem Fahrrad ein Naherholungsgebiet in derUmgebung zu erreichen. Für die Ausübung sportlicher Aktivitätenist die Stadt nicht geeignet. In den engen Straßen der Altstadt gilt es,im Zickzack den Autos und den Fußgängern auszuweichen. In denParks muss Rücksicht beispielsweise auf die Kinderwagen genom-men werden (Galibert et al., 2014). Im Jahr 2013 waren die Stadt-viertelverbände stolz darauf, eine Karte präsentieren zu können, diedas Netz der Radwege nachzeichnet und sämtlichen geplanten Do-kumentationen beigefügt wird. Seit dem Abschluss der Bau- undUmgestaltungsmaßnahmen an den Verkehrswegen im Jahr 2014 ist

10 Mit „Zweirad“ werden in diesem Kapitel alle zweirädrigen Transportmittelbezeichnet: Fahrräder, Motorräder, Roller...

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ein deutlicher Unterschied spürbar. Der Fortschritt besteht nichtallein darin, dass bestimmte Stadtviertel sichtbar Möglichkeiten zurAusübung sportlicher Aktivitäten anbieten, welche die Einwohnervon Dijon im Urlaub oder in der Freizeit nutzen können, sondernauch darin, dass die Stadt nunmehr durch die Neugestaltung ihresGeländes um die beiden Parks La Combe und Lac Kir ihre Aufnah-mekapazität erweitert hat (Galibert et al., 2014). Über den Aspektdes Sports hinaus hat sich Dijon in Zusammenarbeit mit den Hand-lungsträgern des öffentlichen Transports in seinem Stadtgebietaktiv für die Entwicklung der Intermodalität eingesetzt: Fahrräder,Divia Busse, Transco Reisebusse, Taxis und Autos vereinen sichnunmehr auf dem Bahnhofsvorplatz von Dijon, um eine schnellereund unkompliziertere Beförderung zu gewährleisten. Der GroßraumDijon verfolgte dasselbe Interesse, indem er sein Handeln schwer-punktmäßig auf die Förderung des Radfahrens ausrichtete. DieEntwicklung des Radwegenetzes wurde von der Kommunalverwal-tung einstimmig genehmigt, und das Netz umfasst heute Radwegevon insgesamt 153 km, mehr als 40 Straßen, die von Kraftfahrzeu-gen einspurig und von Radfahrern zweispurig genutzt werden kön-nen (in der 30-Zone), sowie 300 gesicherte Fahrradbügel (Dokumen-tation der Communauté d’agglomération Grand Dijon, 2008). DieVerwirklichung der Straßenbahnlinien bot Gelegenheit zur gleichzei-tigen Anlage sicherer Radwege.Doch trotz des Vorhandenseins neuer angepasster Infrastrukturenund eines wiederauflebenden Interesses für das Fahrrad mit Tret-hilfe seit 2000, sind die elektromobile Zweiräder weiterhin kaumerschwinglich und nicht besonders zweckmäßig. Was die E-Bikesanbelangt, so stellen insbesondere die Fahrradverleihstationen, diein den Großstädten florieren, eine ernst zu nehmende Konkurrenzdar. Für die elektromobilen Zweiräder müssen deshalb Verkaufsar-gumente gefunden werden, um die Einwohner von Dijon zu über-zeugen, dass es sich um eine attraktive Alternative handelt. Zualler-erst in Bezug auf den Komfort: Im Departement Côte d'Or und ins-besondere im Großraum Dijon ist das E-Bike besonders beliebt, um

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Strecken mit großen Höhenunterschieden zurückzulegen. Darüberhinaus stellt es eine gute Alternative für Personen dar, die sich beider Nutzung der Leihfahrräder eingeschränkt fühlen, zum Beispielin Bezug auf die Verfügbarkeit, die räumliche Begrenzung durch dieStationen, oder dadurch, dass es sich in den meisten Fällen nur umStandardräder handelt. Zur allgemeinen Überraschung erfreuensich Elektromotorräder ebenfalls einer großen Beliebtheit in ländli-chen Gegenden und Waldgebieten. Während das Elektromotorraddie akustischen Erwartungen der üblichen Motorradfahrer ent-täuscht, bietet es den Jägern die Möglichkeit, sich fortzubewegen,ohne das Wild aufzuschrecken. In Anbetracht der hohen Kosten derFahrzeuge entwickelten sich Lösungen zur Umwandlung herkömm-licher Motorroller, Rollstühle oder Fahrräder in ein Elektrofahrzeug,die der Vielfalt von elektromobilen Zweirad-Modellen Konkurrenzmachen: Ego-Kits, E-Nomaden, Invacare oder Rubbee. Die Umbaus-ätze zur Installation in einem Zweirad, die den Nutzern die Möglich-keit bieten, ihr eigenes Fahrzeug zu behalten, verzeichnen einenRiesenerfolg (Dubois, 2015). Was jüngere Personen anbelangt,scheint die Überzeugungsarbeit bereits gelungen zu sein, was durchstark steigende Verkaufszahlen von elektrischen Klapprollern undSkateboards deutlich wird. Der spielerische Charakter und der „Fun-Aspekt“ finden sich in der innovativen Initiative des TourismusbürosDijon wieder, die seit mehreren Jahren Führungen durch die Alt-stadt auf dem Segway anbietet. Nicht zuletzt muss darauf hingewie-sen werden, dass die „elektromobilen Zweiräder“ dem Bedarf anBeförderungshilfen älterer oder behinderter Menschen weitgehendgerecht werden.Die Vielzahl von Möglichkeiten, Formen und Funktionen der Zweirä-der sowie das entsprechende Dienstleistungsangebot, das sie ge-schaffen haben, stellen innerhalb der Entwicklung der nachhaltigenMobilität und ihrer Attraktivität einen bedeutenden Trumpf dar. Inder Tat handelt es sich um Beförderungsmittel, die generations-übergreifend eine praktische, innovative und attraktive Alternativedarstellen, da sie in technologischer Hinsicht eine große Flexibilität

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bieten, ausbaufähig sind und den unterschiedlichen Bedürfnissender verschiedenen Bevölkerungsgruppen gerecht werden.Da mittlerweile Werkstätten entstanden sind, welche die Fahrzeugedurch Tüfteln und Reparieren vor der Entsorgung retten und in in-dividuelle „Elektromobile“ umwandeln und da sich die Infrastrukturvon Dijon in dieselbe Richtung entwickelt, kann man mit ziemlicherSicherheit davon ausgehen, dass sich dieser Fahrzeugtyp in derStadt etablieren kann. Die „elektromobilen Zweiräder“ entsprecheneiner Verhaltensänderung der Verbraucher, insbesondere der jun-gen Verbraucher, die in ihrem Verbrauch mehr Verantwortungsbe-wusstsein anstreben, sich gegen das Phänomen der geplanten Ob-soleszenz wehren und denen ihr Einfluss auf die Umwelt keines-wegs gleichgültig ist. Dijon ist eine bürgerliche Stadt mit einer eherwohlhabenden Bevölkerung (Aubert & Hilal, 2014), die auf die Be-wahrung ihres Kulturerbes und ihrer Umgebung Wert legt und im-mer mehr Geschäfte hervorbringt, welche den biologischen Anbau,alternative Lebensweisen und den alternativen Konsum fördern.Diese Gegebenheiten scheinen die besten Voraussetzungen für dieNutzung von Elektrofahrzeugen im Lauf der kommenden Jahre zubieten, da sie einen sinnvollen und attraktiven Konsens als Reaktionauf das in Dijon angetroffene Paradox darstellen.

6. Fazit

In Dijon zeigt sich, wie anderswo in Frankreich und auf der Welt,dass sich ein Übergang vollzogen hat, der von dem Anspruch, stra-tegische Ressourcen zu schützen und die Natur zu bewahren zuraktiven Förderung einer nachhaltigen Entwicklung der Gebiete ge-führt hat, die unverzichtbar ist, um die qualitative Aufrechterhaltungdes Kultur- und Naturerbes zu gewährleisten. Die Konfrontation derUmweltkosten mit unzureichenden Budgets, die Übertragungen derZuständigkeiten und die Verstöße gegen den Grundsatz der Ver-antwortlichkeit führen zu Konflikten, die sich an der Frage „Was

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tun?“ entzünden. Um mit unrealistischen Theorien und dem Defizitan konkretem und pragmatischem Handeln keine Zeit mehr zu ver-lieren, löste ein Bürgeraufruf eine Dynamik aus, die zu mehr Mitbe-stimmung führte. Die öffentlichen Handlungsträger auf regionalerEbene, die sich der Tatsache bewusst waren, dass Burgund vor demZusammenschluss mit der Region Franche-Comté innerhalb desStaates nicht an Bedeutung gewinnen konnte, strebten danach, einEntwicklungsmodell zu fördern, das auf die Aufwertung des Kultur-und Naturerbes ausgerichtet ist. In diesem Sinne setzten sichKommunalverwaltungen gemeinsam mit ihren Bürgern für einegezieltere Förderung ihrer Wohngegenden ein. Nach einer gebiets-bezogenen Bestandsaufnahme wurden die Einwohner aufgefordert,sich über die möglichen zukünftigen Entwicklungen ihrer GemeindeGedanken zu machen. Zur Erarbeitung einer Methodologie undeines Erfahrungshorizonts anhand von praktischen Fällen und Situ-ationsbeispielen wurden partizipative Workshops eingeführt, derenZiel im Entwurf einer gemeinsamen Zukunftsvision für das Gebietbesteht. Die Analyse simulierter Szenarien in partizipativen Work-shops11 zeigt den Bürgern die Notwendigkeit der Anpassung vonidealen Vorstellungen an das Mögliche bei einer rationalen Nutzungder Mittel und im Bemühen, die Kapazitäten zu optimieren bzw. dienegativen Auswirkungen zu verringern und eine öffentliche Aus-tauschplattform im Alltag zu etablieren. Ein dynamisches Kollektiv,das sich um die Partnerschaft zwischen dem Regionalrat und derVereinigung 27eme Région gebildet hatte, setzte sich sogar für eineUmgestaltung der öffentlichen politischen Strukturen zugunstender ländlichen Gebiete und für eine Stärkung der lokalen Dynamikzugunsten derer, die die Stadt- und Landgebiete von morgen bevöl-kern werden, ein. Wie sähen die Archetypen der burgundischen

11 Workshops zur Verwaltung des Raumes und der Raumplanung; zu denkurzen und verbrauchernahen Versorgungswegen; zur innovativen wirt-schaftlichen Entwicklung; Workshops zu den Dienstleistungen für die Be-völkerung; Workshops zur Festlegung und Umsetzung eines Handlungs-plans zur Kapazität und Attraktivität der Gemeinden.

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Stadt aus? Ist es möglich, „Extremstädte“ zu erkennen? Könnenneue Porträts der Städte und Stadtviertel entwickelt werden? Ist eserforderlich, die gesamte Bevölkerung einzubeziehen, um einensolchen Prozess im gesamten Gebiet in Gang zu bringen? Wie kön-nen die lokalen Ressourcen nachhaltig und wettbewerbsorientiertaufgewertet werden? Wie können junge und alte Menschen ge-meinsam die lokale Wirtschaft erneuern? Wie können Mobilität undZugang zu Dienstleistungen umgestaltet werden? Die sozialen Am-bitionen und Ideale innerhalb eines Stadtviertels sind dennoch nichtfrei von Konflikten zwischen dem Wunsch Lebensqualität zu ge-währleisten und dem Wunsch Nachhaltigkeit zu etablieren. Die Su-che nach Hebeln, um die touristische Attraktivität zu steigern, diesich auf die Bewertung der Gebiete auswirken, die Notwendigkeit,die Haushalte zu entlasten, um Einsparungen auf der Ebene dergesamten Gebietskörperschaft zu erzielen, führt nach und nach zueinem Ausprobieren, Vorantasten und zu einem Wandel des Mo-dells, der normativen Vorgaben, der Verhaltensweisen, des Be-wusstseins und der Lebensweise. Nur eine Entwicklung auf all die-sen Ebenen führt zur Stabilität des neuen Wachstumsmodells unddazu, dass auch die staatliche Ebene zu einer Einhaltung verbindli-cher Regelungen und zur Unterstützung neuer Arten des Zusam-menlebens verpflichtet wird.

7. Grenzen und Perspektiven

Was die konkrete Umsetzung der Elektromobilität anbelangt, soführen die Vielseitigkeit und die Zersplitterung des öffentlichen,privaten oder genossenschaftlichen Angebots sowie seine Be-schränkung auf einen Fahrzeugtyp oder auf eine Marke zu Unent-schlossenheit bei den Nutzern. Davon abgesehen prägt die Furchtvor einem Einbruch des (französischen) Automobilmarktes, sowohldes Neuwagen- als auch des Gebrauchtwagenmarktes, immer nochdas Denken, vergleichbar mit der Bedrohung, die im Jahr 1990 das

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Vereinigte Königreich beunruhigte, als der Industrieverband in Er-wägung zog, den gesamten Automobilbestand in der Nordsee zuversenken (vor dem Einbruch von Rover). Außerdem muss auf diefehlenden Qualifikationen des Personals der Kommunalverwaltun-gen hingewiesen werden, ein Umstand, der die Entwicklungsinitiati-ven ausbremst. Davon abgesehen wird der Regionalrat aber imHinblick auf Schwertransporte aktiv. Der Regionalrat von Burgundwill umweltschädliche Fahrzeuge im Warentransport auf den Stra-ßen und Schifffahrtswegen durch elektromobile Fahrzeuge erset-zen.In Dijon im Besonderen und in Frankreich im Allgemeinen beginntdie Regierung die Elektromobilität in die Zukunftsszenarien zu in-tegrieren: Mithilfe von Verbotsmaßnahmen möchte das Ministeriumfür Ökologie, Energie und nachhaltige Entwicklung erreichen, dassdie Städte ab 2020 nur noch elektrische Busse und Taxis zulassen.Dies soll mithilfe von Plänen zum In-den-Verkehr-bringen von Fahr-zeugen ohne CO2-Ausstoß (entweder rein elektrische Fahrzeugeoder aufladbare Hybridfahrzeuge) erfolgen, sowie vor allem mithilfeeines Plans zur Umgestaltung der Stadtgebiete (400.000 Ladestatio-nen in öffentlichen Einrichtungen und auf Parkplätzen für Elektro-fahrzeuge). Eine große Herausforderung der nachhaltigen Mobilitätwird darin bestehen zu gewährleisten, dass der Aufladestrom fürElektrofahrzeuge größtenteils aus nichtfossilen Energiequellenstammt, um zu garantieren, dass die Elektrofahrzeuge eine optima-le Ökobilanz aufweisen. Schließlich muss darauf hingewiesen wer-den, dass die Möglichkeit zum Ausprobieren von Initiativen nichtmehr allein dem Elsass (als Entschädigung für die drei Konflikte mitDeutschland) oder der Hauptstadt vorbehalten ist. Die Region Bur-gund-Franche-Comté ist auf dem besten Weg, sich zu einem Vorbildfür die Bewahrung des ökologischen Erbes zu entwickeln.Die ökologischen Vorteile der Elektromobilität werden von nun ansichtbar und nachvollziehbar sein. Frankreichs Regionen, insbeson-dere die ländlichen Gegenden, verfügen über starke Potenziale, und

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die öffentlichen Schaltstellen haben die Aufgabe, das Wachstuminnovativer Initiativen und Lösungen zu begleiten und zu fördern.

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Geräuscharme Nachtlogistik – Elektro-mobiler Wirtschaftsverkehr im urbanenRaum

Cornelius Moll, Daniela Kirsch, Arnd Bernsmann

1. Beschreibung des ForschungsvorhabensGeNaLog

Der zunehmende Trend zur Re-Urbanisierung in Deutschland, diedemografische Entwicklung und ein Wandel von Lebensstilen füh-ren dazu, dass sich der Konsum zunehmend im urbanen Raum bzw.im lokalen Umfeld abspielt (Kulke 2014). Anwachsende Versor-gungsverkehre und überlastete städtische Verkehrsinfrastrukturenführen zu Engpässen in den Anlieferprozessen (Gleißner und Wolf2011). Die immer strengeren gesetzliche Regularien hinsichtlichLärm- und Schadstoffemissionen und (Nacht-)Fahrverbote für Lkwauf bestimmten Strecken, insbesondere im urbanen Raum, stellendie Distributionslogistik vor weitere Herausforderungen (Clausenund Thaller 2013; Lehmacher 2013).Bei der Belieferung von Handelsfilialen gelten für den Umwelt-schadstoff Lärm die Richtwerte der Technischen Anleitung zumSchutz gegen Lärm (TA Lärm 1998). Diese dient dem Schutz derAllgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umweltein-wirkungen durch Geräusche. Tab. 2 führt die Immissionsrichtwerteauf, die bei einer Belieferung eingehalten werden müssen. Einzelnekurzzeitige Geräuschspitzen dürfen diese Richtwerte in der Nachtum nicht mehr als 20 dB(A) überschreiten.

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Tab. 2: Immissionsrichtwerte nach (TA Lärm 1998):Tag dB(A)06:00-22:00 Uhr

Nacht dB(A)22:00-06:00 Uhr

Industriegebiet 70 70

Gewerbegebiet 65 50

Kerngebiet, Dorfgebiet,Mischgebiet

60 45

Allgemeine Wohngebieteund Kleinsiedlungsgebiete 55 40

Reine Wohngebiete 50 35

Kurgebiete, Krankenhäuserund Pflegeanstalten 45 35

Um auch zukünftig eine wirtschaftliche aber stadtverträgliche Ver-sorgung des urbanen Raums zu ermöglichen, ist der Einsatz neuerTechnologien in der Leistungserstellung essenziell. So besteht durchelektrische Lkw (E-Lkw) die Möglichkeit, sowohl Lärm als auch lokalEmissionen zu verringern (Meißner 2011) oder durch Nutzung vonInformations- und Kommunikationstechnologien eine bessere Ver-netzung der Akteure einer Lieferkette zu erreichen, wodurch dieEffizienz verbessert werden kann (Hausladen 2014). Die Anwendunginnovativer Technologien ist jedoch stets mit zusätzlichem Risikound Unsicherheiten verbunden, weswegen deren Einsatz detailliertanalysiert, bewertet und geplant werden muss.

1.1 Projektziele und Partner

Ziel des vom BMBF geförderten Projektes „Geräuscharme Logistik-dienstleitungen für Innenstädte durch den Einsatz von Elektromobi-lität“ (GeNaLog) ist es, ein dienstleistungsbasiertes Logistikkonzept„Geräuscharme Nachtlogistik“ zur Reduzierung der Lärm- undSchadstoffbelastung und der Verkehrsüberlastung in urbanen Ge-

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bieten zu entwickeln und dieses in Pilotversuchen zu erproben. Zudiesem Zweck werden bestehende Konzepte mit dem Ziel verän-dert, E-Lkw nachhaltig in die urbane Logistikkette zu integrieren.Dies erfolgt schwerpunktmäßig auf vier Ebenen: dem Distributions-konzept, Fahrzeugeinsatz, Technologieeinsatz und einer Akzeptan-zuntersuchung. Neben der Anpassung des Distributionskonzeptsauf die nächtlichen Anforderungen und dem Einsatz eines E-Lkwspielen vor allem die verwendeten Technologien zur Be- und Entla-dung (Förder- und Ladehilfsmittel) eine entscheidende Rolle zurVermeidung von Geräuschemissionen. Ziel ist es, leise Technologienauszuwählen und so einzusetzen, dass der Gesamtprozess den An-forderungen der TA Lärm entspricht. Um den Schutz der Anwohnervor zusätzlichen Belastungen zu gewährleisten, sind die Einbindungvon Akteuren der Städte und Akzeptanzuntersuchungen von großerBedeutung.Durch die enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis wer-den die Erkenntnisse direkt von den Projektpartnern in eine pilot-hafte Umsetzung überführt. Neben der REWE Group aus Köln betei-ligen sich die DOEGO Fruchthandel und Import eG und die DLGDortmunder Logistik Gesellschaft mbH (ehemals: TEDi LogistikGmbH) an dem Projekt. Die beiden Fraunhofer-Institute für Materi-alfluss und Logistik IML und für System- und InnovationsforschungISI sorgen für die wissenschaftliche Begleitung und die Übertrag-barkeit der Projektergebnisse. Als Umsetzungspartner engagierensich die Firma LOGIBALL sowie die Städte Dortmund, Karlsruhe undKöln.

1.2 Aktuelle Projektergebnisse

Ziel der Ist-Aufnahme der aktuellen Belieferungsprozesse bei denPraxispartnern vor Ort, aufgeteilt in die drei Teilbereiche Lager-,Transport- und Filialprozesse, war es auf der einen Seite die Pro-zessschritte zu ermitteln, die bei der Anlieferung Lärm verursachenund auf der anderen Seite die Identifikation der Prozessschritte, die

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für eine Nachtanlieferung angepasst werden müssen (vgl. Abb. 7).Auf Basis dieser identifizierten Prozessschritte wurden die Soll-Prozesse und die zu berücksichtigenden geräuschrelevanten Tätig-keiten an den Filialen definiert. Diese Tätigkeiten reichen von derAn- und Abfahrt der E-Lkw bis zur Entladung der Waren und Bela-dung der E-Lkw mit Leergut an den Filialen:

An- und Abfahrt der E-Lkw an den Filialen

Rangieren auf dem Filialgelände

Öffnen und Schließen der Fahrertür

Öffnen und Schließen der Lagerräume der Filiale

Öffnen, Heben und Senken der Ladebordwand

Aufsetzen der Ladebordwand auf dem Untergrund

Überfahren der Ladebordwand

Rollgeräusche der Transporthilfsmittel

Abb. 7: Anzupassende Prozesse

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Für die meisten dieser Tätigkeiten existieren aktuell bereits ge-räuschmindernde technologische Lösungen. So werden beispiels-weise für die Verbringung der Paletten geräuscharme elektrischeHandhubwagen und Rollcontainer bzw. Gitterrollwagen mit Lei-selaufrollen eingesetzt. Ebenso sind technische Modifikationen amE-Lkw je nach Notwendigkeit realisierbar, bspw. der Einbau einesAbluftschalldämpfers für den Kompressor, Auftragen einer ge-räuschmindernden Beschichtung auf der Ladebordwand und imLaderaum oder eine zusätzliche Gummibeschichtung zum leisenSchließen der Heckklappe. Hinzu kommen lärmmindernde Maß-nahmen je nach Beschaffenheit der Filiale, wie z. B. Anpassung desBodenbelags vor der Filiale oder Maßnahmen zum leisen Öffnenund Schließen der notwendigen Türen und Tore. Einzig für das ge-räuscharme Schließen der Fahrertür des E-Lkw gibt es zum heutigenZeitpunkt keine technische Lösung. Somit bleibt nur, diese Lärm-quelle durch eine Schulung der Fahrer in Verbindung mit einer Ar-beitsanweisung so weit wie möglich zu eliminieren.Darüber hinaus wurde der gesetzliche Rahmen vor allem in Bezugauf Vorgaben zu Lärmemissionen (z. B. TA Lärm) detailliert unter-sucht und Ansätze zur Steigerung der Mitarbeiter- und Anwohner-akzeptanz entwickelt. Die beteiligten Städte wurden von Beginn anin das Projekt eingebunden und regelmäßig informiert und konsul-tiert. In mehreren Lärmmessungen mit einem Sachverständigen fürSchallimmissionsschutz auf dem Firmengelände und unter Realbe-dingungen an einer ausgewählten Filiale wurden die jeweiligen Wir-kungen der lärmreduzierenden Maßnahmen getestet, so dass ineiner der letzten Lärmmessungen die Anforderungen der TA Lärmfür ein Wohn- und Mischgebiet bereits nahezu erreicht wurden.Der Startpunkt der Testphasen hängt von dem vorgelagerten Ge-nehmigungsverfahren ab. Nach der gründlichen Analyse relevanterMärkte in den gesamten Einzugsgebieten in Dortmund und Köln,sind die Testfilialen innerhalb der jeweiligen Städte ausgewählt.Kriterien hierfür waren die Entfernung zum Lager aufgrund derReichweitenbeschränkung des E-Lkw sowie die Restriktionen der

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internen Tourenplanung und der Anliefer- und Lagersituation in derjeweiligen Filiale. Während der Testphasen werden im Rahmen ei-nes Monitoring-Konzepts ausgewählte Anliefertouren begleitet.Zusätzlich wird jede Nachtanlieferung durch den für diesen Prozessspeziell geschulten Fahrer dokumentiert. Weitere Daten, wie z. B.Fahrzeiten, Dauer und Uhrzeit des Anliefervorgangs zur wissen-schaftlichen Auswertung der Testphase werden über das Fuhr-parkmanagement-System erhoben. So wird eine transparente undlückenlose Dokumentation sichergestellt. Zudem werden die Datenkonventioneller Fahrzeuge erhoben, um auf diese Weise einen Ver-gleich zwischen den E-Lkw und den konventionellen Fahrzeugen zurDarstellung der potenziellen Einsparmöglichkeiten in Bezug aufLuftschadstoffe und Ressourceneinsparungen zu ermitteln.Parallel zu diesen Vorbereitungen der Testphasen wurden zusam-men mit den Praxispartnern Anforderungen und Hemmnisse für dieImplementierung einer Geräuscharmen Nachtlogistik identifiziert.Hierzu wurde ein systematischer Rahmen verwendet, welcher aufdas konzeptionelle Grundverständnis einer geräuscharmen Nacht-logistik zurückgreift und technische, logistische, rechtliche und sozi-ale Herausforderungen berücksichtigt und somit eine ganzheitlicheBetrachtung des internen und externen Umfelds von Logistikunter-nehmen ermöglicht. Dadurch konnte ein umfassendes Anforde-rungskonzept erstellt werden. Dieses Dokument wird zum Ende desProjekts als eine Art Handlungsleitfaden veröffentlicht und soll Un-ternehmen die Anforderungen und Hemmnisse bei der Realisierungnächtlicher Logistikdienstleistungen aufzeigen, ihnen die kritischenFaktoren bei der Umsetzung darstellen und ein mögliches, schritt-weises Vorgehen zur Implementierung auf Betriebsebene vorschla-gen.

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2. Auswirkung des Forschungsvorhabensauf das Jahr 2030 im Rahmen eines Zu-kunftsszenarios

Die potenziellen Auswirkungen der Nachtlogistik auf das Jahr 2030sind vielfältig, weswegen zunächst Ziele und Auswirkungen aus demBlickwinkel unterschiedlicher Anspruchsgruppen beleuchtet wer-den, bevor die wichtigsten Aspekte herausgegriffen und quantifi-ziert werden.

2.1 Ziele und Auswirkungen in Bezug auf einzelneStakeholder

Das Dienstleistungssystem Nachtlogistik umfasst zahlreiche Akteu-re, die unterschiedliche Interessen verfolgen, u. a. Anwohner, Kun-den, Bürger, die Politik bzw. Städte und Kommunen, Logistikdienst-leister, Filialen und deren Mitarbeiter. Diese können zu Stakehol-dern zusammengefasst werden, die ähnliche Interessen verfolgen(Hungenberg 2012). Anwohner, Kunden, Bürger sowie die Politik alsderen Interessenvertretung können als „Gesellschaft“ zusammenge-fasst werden. Die Logistikdienstleister, Filialen und Mitarbeiter las-sen sich als „Unternehmen“ zusammenfassen.Die Ziele und Auswirkungen mit Blick auf die Gesellschaft wurdenim Projekt im Rahmen eines Workshops erarbeitet und mit denUmsetzungspartnern und Städten validiert (vgl.Abb. 8). Die wichtigsten Bereiche in denen ein Nutzen durch dieNachtlogistik erzielt werden kann sind demnach Lärm, Verkehr,Umwelt, Versorgungs- und Wohnqualität. Zunächst ermöglicht derEinsatz von geräuscharmen E-Lkw sowie Förder- und Ladehilfsmit-teln in der Nachtlogistik eine Reduktion der Geräuschemissionengegenüber einer Standardbelieferung. Da Lärm eine gesundheits-schädigende Wirkung hat, stellt dies einen großen Nutzen für dieGesellschaft dar. Es ist überdies denkbar, dass die eingesetztentechnischen Lösungen sich in Zukunft als Standard in der Logistik-

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branche etablieren und so diese Emissionen weiter verringern. Dar-über hinaus sind durch die Nachtlogistik Vorteile für den Straßen-verkehr zu erwarten. So kommt es zu einer Verlagerung von Beliefe-rungsfahrten in die Tagesrand- und Nachtzeiten, wodurch das Ver-kehrsaufkommen tagsüber, vor allem während der Stoßzeiten, ver-ringert werden kann. Zudem ergibt sich eine Erhöhung der Ver-kehrssicherheit, da weniger Lkw bei der Anlieferung in der zweitenReihe parken. Umfassende Auswirkungen hat die Nachtlogistik auchauf die Umwelt. Zum einen haben E-Lkw generell einen geringerenEnergieverbrauch als Diesel-Lkw und zum anderen verringert sichaufgrund des besseren Verkehrsflusses während der Nachtfahrtender Energieverbrauch. Dadurch, dass die E-Lkw zusätzlich nachtseingesetzt werden können, sind mehr Touren mit einem Lkw durch-führbar. Dies führt dazu, dass in Summe Fahrzeuge eingespart unddie Fuhrparks reduziert werden können. Im Weiteren verbessertsich durch die Nachtlogistik die Versorgungsqualität für die Anwoh-ner bzw. Kunden. Weil die Nachtlogistik flexiblere Belieferungenund das Verräumen der Waren vor Ladenöffnung ermöglichen, ver-bessern sich Frische und Verfügbarkeit der Waren. Ebenso verbes-sert sich die Wohnqualität für die Anwohner, da durch die nächtli-chen Belieferungen die Lkw zunehmend aus der Wahrnehmungverschwinden.

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Abb. 8: Ziele und Auswirkungen der Nachtlogistik in Bezug auf die Gesell-schaft

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Die Ziele und Auswirkungen einer Nachtlogistik aus Sicht der Unter-nehmen lassen sich in strategische, ökonomische, soziale und öko-logische Aspekte aufteilen (vgl. Tab. 3) (Albers 2014). Als Basiskate-gorien (in Anlehnung an Ulrich und Fluri 1995) können aus Unter-nehmenssicht weiter strategische Ziele, Rentabilitätsziele, Marktleis-tungsziele, soziale Ziele in Bezug auf Mitarbeiter sowie gesell-schaftsbezogene Ziele unterschieden werden. Ein wichtiger Aspektfür die Unternehmen ist die Risikominderung. Je höher die Anzahlan E-Lkw im Fuhrpark, desto höher ist die Anzahl an täglich durch-führbaren „elektrischen“ Touren. Diese hohe Servicekapazität er-möglicht es dem Logistikdienstleister im Falle von regulatorischenÄnderungen (Sperrung der Innenstädte für Diesel-Lkw) oder wirt-schaftlichen Veränderungen (Erhöhung des Dieselpreises) flexibelzu reagieren und die Filialen weiterhin effizient beliefern zu können.Zusätzlich erhöht er mit jeder durchgeführten elektrischen Liefe-rung und Nachtlieferung seinen Erfahrungsvorsprung, was langfris-tig zu einem Wettbewerbsvorteil werden kann. Ebenso sind Produk-tivitätssteigerungen möglich. Im Zusammenhang mit der verbesser-ten Versorgungsqualität streben Unternehmen einen verbessertenKundenservice sowie erhöhte Kundenzufriedenheit und -bindungan, welche sich in Umsatzsteigerungen niederschlagen kann. Gro-ßen Wert legen die Unternehmen zudem auf eine hohe Mitarbeiter-zufriedenheit in Bezug auf die Nachtlogistik, um Mitarbeitermotiva-tion und -bindung auf einem hohen Niveau halten zu können. Dar-über hinaus ist die ökologische Nachhaltigkeit ein aus Unterneh-menssicht sehr wichtiger Aspekt. Zudem ist es Ziel der Unterneh-men durch die Nachtlogistik einen Beitrag zur Entlastung der Ver-kehrsinfrastruktur vor allem in den überlasteten Innenstädten zuleisten, um Belieferungszeiten verkürzen zu können.

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Tab. 3: Ziele und Auswirkungen der Nachtlogistik in Bezug auf Unterneh-menÜbergeordneteKategorie Basiskategorie Ziele und Auswirkungen

StrategischRisikominderung

Erfahrungsvorsprung

ÖkonomischRentabilitätsziele

Kosteneinsparungen

Produktivitätssteigerungen

Marktleistungsziele Umsatzsteigerung

SozialSoziale Ziele in Bezug aufMitarbeiter

Mitarbeiterzufriedenheit

ÖkologischGesellschaftsbezogeneZiele

Ökologische Nachhaltigkeit

Geräuschemissionen

Entlastung der Infrastruk-tur

Es zeigt sich, dass vor allem die ökologischen aber auch ökonomi-schen Ziele der Unternehmen mit den Zielen der Gesellschaft über-einstimmen. Deswegen werden diese Aspekte im Weiteren beson-ders betrachtet.

2.2 Quantitative Abschätzung der Auswirkungen

Die im folgenden Abschnitt dargestellten Zukunftsszenarien stellenProjektionen dar, die sich im Gegensatz zu Vorhersagen oder Prog-nosen dadurch auszeichnen, dass den denkbaren Szenarien auf-grund der hohen Ungewissheit keine Eintrittswahrscheinlichkeitzugeordnet werden kann (Gausemeier et al. 1996). Der Grund hier-für liegt in der Vielzahl an Einflussfaktoren, die die Diffusion derNachtlogistik und somit die möglichen Zukunftssituationen beein-flussen können. Typischerweise lassen sich wissenschaftliche, tech-nische, wirtschaftliche, soziale sowie politische Einflussfaktorenunterscheiden, wenngleich viele Faktoren nicht trennscharf einer

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Kategorie zuzuordnen sind (Müller und Müller-Stewens 2009). DieDiffusion der Nachtlogistik ist wesentlich von der Diffusion des E-Lkw abhängig. Daher werden die Treiber und Hemmnisse für dieDiffusion von E-Lkw anhand der genannten Kategorien vorgestellt.Auf wissenschaftlich-technischer Seite ist die künftige Entwicklungder Batterietechnologie als wichtigster Einflussfaktor zu nennen.Diese spielt in Bezug auf eine Veränderung der Batteriekosten undin Bezug auf eine Verbesserung der technischen Parameter eineRolle. Aktuell sind die Investitionen für E-Lkw in etwa dreimal sohoch wie bei Diesel-Lkw. Wesentliche Treiber sind die Batteriekos-ten, welche einen Anteil von bis zu 50 % ausmachen können (E-FORCE 2015). Bis 2030 ist von einer Halbierung der Batteriekostenund einer Verdoppelung der Energiedichte von Lithium-Ionen-Batterien (LIB) auszugehen (Thielmann et al. 2015), was die Batterie-und somit Fahrzeugkosten von E-Lkw deutlich verringern würde.Gerade in der Logistik spielt auch die Verbesserung technischerParameter und vor allem der Energiedichte eine wichtige Rolle, daBatterien aufgrund ihres hohen Gewichts zu Nutzlastverlusten füh-ren und somit die Belieferungskosten erhöhen. Sinkende Batterie-kosten und eine zunehmende Energiedichte beeinflusst die Diffusi-on von E-Lkw folglich positiv.Ein wichtiger Einflussfaktor aus wirtschaftlicher Sicht ist das be-schränkte Angebot an geeigneten E-Lkw. So gibt es keinen namhaf-ten Automobilhersteller, der E-Lkw ab 3,5 t zulässigem Gesamtge-wicht (zGG) in Serie fertigt. Zwar hat beispielsweise Daimler einen E-Lkw mit bis zu 8,55 t zGG (Daimler AG 2016a) im Kundentest und für2016 einen 26 t Lkw angekündigt (Daimler AG 2016b), mit einerzeitnahen Markteinführung ist jedoch nicht zu rechnen. So sind fürdie Nachtlogistik erforderliche reinelektrische 12 t oder 18 t Lkwaktuell nur über kleinere Unternehmen beziehbar, die konventionel-le Lkw kundenindividuell und bestenfalls in Kleinserie umrüsten,wie beispielsweise E-FORCE, EMOSS oder ORTEN. Da momentan nurgeringe Aktivitäten der großen Automobilhersteller bezüglich derEntwicklung von E-Lkw zu verzeichnen sind, ist dies als ein großes

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Hemmnis für die Diffusion der Nachtlogistik bis 2030 zu betrachten.Ein weiterer wirtschaftlicher Einflussfaktor ist die Entwicklung beiden Strom- und Dieselpreisen. Da die Total Cost of Ownership (TCO)von Lkw im Wesentlichen von den Kraftstoffkosten bestimmt wer-den, haben Veränderungen dieser Preise einen großen Einfluss aufdie Wirtschaftlichkeit der beiden Antriebsarten. Sollte der Strom-preis durch höhere Abgaben zur Förderung von erneuerbarenEnergien oder durch höhere Stromerzeugungskosten steigen, wäredies ein Nachteil für E-Lkw und somit für die Nachtlogistik. Ein stei-gender Dieselpreis hingegen könnte die Diffusion der Nachtlogistikbeschleunigen.Soziale Einflussfaktoren beziehen sich auf die Gesellschaft und aufdie Mitarbeiter des Logistikdienstleisters. Da in den letzten JahrenNachhaltigkeit und Ressourcenschonung an Bedeutung gewonnenhaben ist vorstellbar, dass Logistikdienstleister in Zukunft nochstärker auf ihren ökologischen Fußabdruck achten um keine Image-schäden befürchten zu müssen. Weiterhin ist denkbar, dass fürnachhaltige Lieferungen eine Mehrpreisbereitschaft beim Endver-braucher besteht, was die Attraktivität von E-Lkw aus Sicht des Lo-gistikdienstleisters erhöht. Ein weiterer sozialer Einflussfaktor istüberdies die Akzeptanz der Mitarbeiter, die die Nachtlogistik durch-führen. Sowohl für die Mitarbeiter im Lager als auch für die Fahrerwerden Nachtschichten erforderlich sein, was Akzeptanzproblemezur Folge haben und ein wichtiger Faktor bei der Diffusion derNachtlogistik sein kann.Zahlreiche Einflussfaktoren bestehen auch im Hinblick auf die Poli-tik. Ein großes Hemmnis sind die derzeitigen Regularien bezüglichdes Lärmschutzes. Da der Schutz vor Geräuschemissionen in derPolitik zunehmend an Bedeutung gewinnt, ergeben sich hier künftigmöglicherweise noch größere Herausforderungen für die Nachtlo-gistik, auch vor dem Hintergrund, dass die Anwohner von Handelsfi-lialen möglicherweise eine geringe Akzeptanz für die Nachtlogistikbesitzen. Andererseits sind in Zukunft auch gesetzliche Regelungendenkbar, die die Diffusion der Nachtlogistik positiv beeinflussen

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können. So hätte eine Ausweitung von CO2-Flottenemissionsgrenzwerten auf Fahrzeuge über 3,5 t oder dieVerschärfung der EURO-Abgasnorm zur Folge, dass die Automobil-hersteller gezwungen wären vermehrt E-Lkw in ihr Portfolio aufzu-nehmen. Dies würde einen erheblichen Beitrag zur Senkung derCO2-Emissionen im Verkehrssektor leisten (Kirchner und Matthes2009) und wäre ein Treiber für die Nachtlogistik. Nicht zuletzt wür-den Sonderrechte für E-Lkw wie die Erlaubnis zur Nutzung von Bus-und Taxispuren sowie zur Nutzung von Straßen die ansonsten fürden Schwerlastverkehr gesperrt, wie beispielsweise Einfahrverbotefür Lkw in Innenstädte, die Attraktivität von E-Lkw erheblich stei-gern.

2.2.1 Szenarien für das Jahr 2030

Da die künftige Entwicklung der Einflussfaktoren jedoch völlig un-gewiss ist, werden drei mögliche Zukunftsszenarien skizziert, welcheunterschiedliche Diffusionsgrade von Nachtlogistik, dargestellt alsAnteil von E-Lkw am gesamten Fuhrpark, repräsentieren.Der Fokus im Rahmen dieses Beitrags liegt auf dem Lebensmitte-leinzelhandel (LEH), da dieser zum einen mit 172 Mrd. Nettoumsatzdie größte Branche im Einzelhandel darstellt (statista 2016b) undzum anderen auch im Projekt einen Schwerpunkt bildet. Aktuellexistieren in Deutschland 35.731 Filialen im Lebensmitteleinzelhan-del (statista 2016a), die für die weiteren Betrachtungen den poten-ziellen Kundenkreis für die Nachtlogistik darstellen. Grundsätzlichist aber auch eine Ausweitung der Nachtbelieferung auf den gesam-ten Einzelhandel denkbar. Es wird davon ausgegangen, dass eineNachtbelieferung grundsätzlich bei allen Filialen technisch und or-ganisatorisch durchführbar ist. Die durchschnittliche Länge einerTour wird mit 150 km angenommen, wobei pro Tour 2,5 Filialen mitdurchschnittlich zwei täglichen Belieferungen angefahren werden.Für die Belieferung des LEH im urbanen Raum wird ein 18 t Lkw, derin konventioneller Ausführung als Diesel-Lkw und in alternativerAusführung als reinelektrischer E-Lkw betrachtet wird, als Beispiel-

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fahrzeug herangezogen. Beim E-Lkw wird angenommen, dass er2030 in Verbindung mit zusätzlichen geräuschreduzierenden tech-nischen Lösungen, auch in Bezug auf die Förder- und Ladehilfsmit-tel sowie die Schließeinrichtungen an den Filialen, nachts und somitaußerhalb der regulären Belieferungszeiten (Annahme: 6 – 20 Uhr)eingesetzt werden kann. Voraussetzung ist, dass während des Belie-ferungsvorgangs die Grenzwerte der TA-Lärm eingehalten werden.Das erweiterte Belieferungszeitfenster für den E-Lkw wird zwischen6 und 24 Uhr angenommen (vgl. Tab. 4), sodass nachts ein ausrei-chend langer Zeitraum zum Aufladen des E-Lkw verfügbar ist. Hier-durch kann der E-Lkw täglich eine Tour mehr durchführen als derDiesel-Lkw. Es wird weiterhin angenommen, dass für das Jahr 2030beim E-Lkw keine Nutzlast- oder Nutzvolumenverluste gegenüberdem Diesel-Lkw zu berücksichtigen sind (Wietschel et al. o.V.).Grund für diese Annahme bildet die voraussichtliche Verdopplungder Energiedichte von LIB bis 2030 (Thielmann et al. 2015). Auf-grund der positiven Entwicklung bei Preis und Leistungsdichte vonLIB erscheint 2030 eine Reichweite von 400 km pro Batterieladungwirtschaftlich, technisch und logistisch sinnvoll und umsetzbar. Eswerden deshalb keine Reichweiten-Restriktionen beim E-Lkw be-rücksichtigt, da er jeweils am Lager während der Ent- und Belade-vorgänge (zwischen 15 und 45 min) mit hoher Ladeleistung zwi-schengeladen und in der Nacht wieder komplett aufgeladen werdenkann. Aus den bisherigen Annahmen folgt, dass beide Lkw-Typengrundsätzlich die gleichen Belieferungstouren bezüglich Tourlängeund der Anzahl belieferter Filialen pro Tour durchführen können.Aufgrund der zusätzlich durchführbaren Nachttour beim E-Lkwkann dieser allerdings 7,5 statt 5 Filialen täglich beliefern.Des Weiteren wird der Verbrauch des E-Lkw für 2030 mit 1,0kWh/km angenommen, wohingegen der Diesel-Lkw mit 1,9 kWh/kmfast den doppelten Verbrauch aufweist (Wietschel et al. o.V.). Dawährend der Nachtbelieferung das Verkehrsaufkommen deutlichgeringer ist als während der Belieferung tagsüber wird angenom-men, dass der durchschnittliche Energieverbrauch bei der Nachtbe-

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lieferung aufgrund einer geringeren Anzahl an Brems- und Be-schleunigungsvorgängen geringer ausfällt. Zum aktuellen Standliegen im Projekt noch keine Messwerte vor, weshalb eine Redukti-on des Verbrauchs beim E-Lkw um 20 % auf 0,8 kWh/km ange-nommen wird. Nach Hacker (Hacker et al. 2015) beträgt der Emissi-onsfaktor berechnet in CO2-Äquivalent Dieselkraftstoff 0,315kg/kWh. Dabei wird eine Well-to-Wheel-Betrachtung unterstellt undweitere Treibhausgasemissionen als CO2-Äquivalent ebenfalls in-kludiert. Unter der Annahme, dass der E-Lkw mit Strom entspre-chend des voraussichtlichen Energieträgermixes in Deutschland imJahr 2030 geladen wird, ist ein Emissionsfaktor von 0,25 kg/kWhheranzuziehen (Hacker et al. 2015). Für den Fall einer Ladung mitStrom aus regenerativen Energieträgern wird vereinfacht ein Emis-sionsfaktor von 0 kg/kWh unterstellt.

Tab. 4: Logistische und technische Rahmendaten zu den LkwDiesel-Lkw E-Lkw

Bezeichnung Einheit Wert

Belieferungszeitfenster - 6-20 Uhr 6-24 Uhr

Touren/Tag # 2 3

Filialen/Tag # 5 7,5

Verbrauch Tagfahrt kWh/km 1,9 1,0

Verbrauch Nachtfahrt kWh/km - 0,8

Emissionsfaktor Kraftstoff kg/kWh 0,315 0,25 0,00

Szenario 1: Der Dieselpreis geht stark zurück und vergünstigt so dievariablen Kosten des Diesel-Lkw. Der Strompreis nimmt zu auf-grund hoher Abgaben zum weiteren Ausbau der erneuerbarenEnergien. Die immer noch hohen Kosten für LIB und fehlende An-reize zur Nutzung von E-Lkw haben eine geringe Nachfrage zur Fol-ge, weswegen das Herstellerangebot sehr gering ist. Zusätzlich sindsowohl Politik als auch Gesellschaft sehr sensibel gegenüber dem

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Thema Lärm eingestellt, weswegen für eine Nachtlogistik keine Un-terstützung gefunden werden kann. Die Logistikdienstleister ent-scheiden sich gegen die Nutzung von E-Lkw und damit gegen eineNachtlogistik. aufgrund der hohen Kosten für E-Lkw und derschlechten regulatorischen Rahmenbedingungen bzw. der man-gelnden Akzeptanz von Nachtlogistik Der Anteil an E-Lkw liegt bei0 %.Szenario 2: Hohe Akzeptanz von Politik und Gesellschaft in Bezugauf E-Lkw und Nachtlogistik führen dazu, dass sich die Rahmenbe-dingungen verbessern. So werden einerseits E-Lkw Sonderrechtewie die Nutzung von Bus- und Taxispuren eingeräumt und zahlrei-che für Lkw gesperrte Strecken freigegeben, andererseits wird einestaatliche Zertifizierung für geräuscharme E-Lkw sowie Förder- undLadehilfsmittel eingeführt. Hinzu kommt, dass der Preis für Diesel-kraftstoff deutlich zunimmt, wohingegen der Strompreis sinkt. Da-mit ergibt sich ein Anteil von 50 % E-Lkw.Szenario 3: Neben den Rahmenbedingungen aus Szenario 2 führenstark sinkende Batteriekosten, eine verbesserte Energiedichte sowiedie Ausweitung der CO2-Flottenemissionsgrenzwerte auf Lkw zueinem rasch wachsenden Angebot an E-Lkw, die überdies immergünstiger werden. Zusätzlich wird das Gewerbe verpflichtet, amCO2-Emissionshandel teilzunehmen. Dies hat zur Folge, dass dieLogistikdienstleister ihre Flotte komplett auf E-Lkw umstellen.

2.2.2 Quantifizierung der Auswirkungen

Auf Basis der dargestellten Annahmen werden die Auswirkungender einzelnen Szenarien berechnet (vgl. Tab. 5). Dabei wird berech-net, welche Anzahl an Diesel- bzw. E-Lkw in den Szenarien erforder-lich ist, um die Gesamtheit aller Filialen im LEH zu beliefern. Aus derFlottenzusammensetzung lässt sich wiederum ableiten, welche An-zahl an Tages- und Nachttouren durchführbar ist. Schließlich wer-den der Gesamtenergieverbrauch sowie die damit verbundenenCO2-Emissionen berechnet. Zusätzlich werden die durch die Nacht-logistik eingesparten Lkw und Tagestouren sowie Energie- und CO2-

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Einsparungen berechnet. Es zeigt sich, dass mit zunehmendem An-teil an E-Lkw auch die Gesamtzahl der erforderlichen Lkw sinkt. Solassen sich in Szenario 3 4.764 konventionelle Diesel-Lkw einsparen,was einer Einsparung von 33 % entspricht. Die Logistikdienstleisterkönnen ihre Fuhrparks also deutlich reduzieren und trotzdem diegleiche Anzahl an Filialen beliefern. Deutlich interessanter sind je-doch die Einsparungen an Tagestouren. Jede eingesparte Tagestourführt zu einer Verringerung des täglichen Verkehrsaufkommens.Lassen sich im 2. Szenario 5.717 Tagestouren einsparen, sind diesim 3. Szenario 9.528 Tagestouren.

Tab. 5: Auswirkungen der Nachtlogistik in den drei SzenarienSzenario 1 2 3

Anteil E-Lkw 0% 50% 100%

Bezeichnung Einheit Wert

erforderliche Diesel-Lkw # 14.292 5.717 0

erforderliche E-Lkw # 0 5.717 9.528

Tagestouren # 28.585 22.868 19.057

Nachttouren # 0 5.717 9.528

Eingesparte Lkw # - 2.858 4.764

Eingesparte Tagestouren # - 5.717 9.528

Gesamtenergieverbrauch kWh 8.146.668 5.659.790 4.001.872

CO2-Emissionen Strommix t 2.566 1.627 1.000

CO2-Emissionen Ökostrom t 2.566 1.026 0

Energieeinsparung kWh - 2.486.878 4.144.796

CO2-Einsparung Strommix t - 939 1.566

CO2-Einsparung Ökostrom t - 1.540 2.566

Bedeutend ist auch die Entwicklung beim Energieverbrauch undden CO2-Emissionen. Da der E-Lkw deutlich weniger Energie ver-braucht als der Diesel-Lkw sind in Szenario 3 Energieeinsparungenvon bis zu 50 % möglich. Selbst in Szenario 2 können 30 % Energieeingespart werden. Aufgrund des geringeren Emissionsfaktors von

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Strom sind die Auswirkungen auf die CO2-Einsparungen sogar nochdeutlicher. Im 2. Szenario bei Verwendung von Strom aus demdeutschen Strommix 2030 können 939 t CO2 eingespart werden,was bereits 37 % entspricht, während im 3. Szenario 61 % CO2-Einsparungen möglich sind. Wird die Verwendung von Ökostromunterstellt, liegen die Einsparungen in Szenario 2 bei 60 % und imSzenario 3 bei 100 %.In Summe kann festgehalten werden, dass durch Nachtlogistik eingroßes Potenzial zur Reduzierung des täglichen Verkehrsaufkom-mens besteht. 33 % des Lieferverkehrs könnten in die spätenAbendstunden verlagert werden. Am größten ist das Einsparpoten-zial beim Energiebedarf und CO2-Ausstoß.

3. Zusammenfassung und Ausblick

Die Geräuscharme Nachtlogistik hat das Potenzial sowohl für dieGesellschaft als auch für die Unternehmen einen umfassendenNutzen zu generieren. So sind auf Seiten der Gesellschaft in denBereichen Lärm, Verkehr, Versorgungs- und Wohnqualität deutlicheVerbesserungen möglich, wohingegen auf Seiten der Unternehmenstrategische, ökonomische, soziale aber auch ökologische Ziele er-reicht werden können. Als wichtigste Aspekte sind die Verringerungdes Verkehrsaufkommens am Tag durch Verlagerung von Beliefe-rungstouren in Tagesrandzeiten sowie die Energie- und letztlichCO2-Einsparungen durch die Nutzung von E-Lkw zu nennen. Dieerzielbaren CO2-Einsparungen belaufen sich auf 2.566 t pro Jahr.Nicht zu vergessen sind außerdem die geringeren Lärmemissionen,die von einer Nachtlogistik ausgehen.Damit die möglichen Vorteile realisiert werden können, müssenjedoch die erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden,damit die Nachtlogistik für die Unternehmen an Attraktivität ge-winnt. Einflussfaktoren wie beispielsweise die Entwicklungen derBatterietechnologie oder der Diesel- und Strompreise lassen sich

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nur schwer beeinflussen. Auch das Angebot an E-Lkw durch dieHersteller ist nur indirekt beeinflussbar. Bezüglich der rechtlichenRahmenbedingungen hat die Politik jedoch Spielraum. Sowohl Son-derrechte für E-Lkw, als auch staatlich anerkannte Zertifizierungenfür geräuscharme Fahrzeuge und Equipment (z. B. Etablierung einesGütesiegels „Leise Logistik“), die in Sachen Lärm Rechtssicherheitschaffen könnten, wären mögliche Stellhebel um die Nachtlogistikfür Unternehmen attraktiver zu machen. Die im Projekt geplanteTestphase dient dazu weitere kritische Aspekte in Bezug auf Lärm-und Akzeptanzfragen aufzudecken und Klarheit über erzielbareEinsparungen zu schaffen.

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Autorenverzeichnis

Bernsmann, Arnd ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhof-er-Institut für Materialfluss und Logistik IML in der Abteilung Ver-kehrslogistik. Als Stadt- und Raumplaner liegt der Schwerpunkt sei-ner Tätigkeiten auf Potenzialanalysen und logistischer Standortent-wicklung. Als Teil des Kompetenzteams „Urbane Logistik“ steht derEinsatz von Elektromobilität bei Belieferungskonzepten im Fokus.

Bruckmann, Peter ist seit seiner Jugend begeisterter Fahrradfah-rer. Im Jahr 2005 trat er dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclubbei. Seit 2009 ist er Vorsitzender in seinem Kreisverband und arbei-tet seitdem mit verschiedenen Institutionen zusammen, mit demZiel verschiedene Mobilitätsformen sinnvoll zu verknüpfen. Aucharbeitete er an verschieden Buchprojekten mit dem agenda21-Bürozusammen. Sein Ziel für die Zukunft ist die Minimierung des Ver-kehrs und die sinnvolle Nutzung von alternativen Mobilitätsformen.

Dr. Dubois, Franck ist Stadtplaner und Historiker. Er verantwortetfür die Universität Burgund und die Stadt Dijon nationale und inter-nationale Projekte im Bereich nachhaltige städtische Entwicklung.Seine Tätigkeit liegt insbesondere an der Schnittstelle von For-schung, Wirtschaft und kommunalen Institutionen.

Hawig, David ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungs-institut für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention (FIAP) e.V.Sein Arbeitsschwerpunkt im Projekt KIE-Lab ist die kundenintegrier-te Geschäftsmodellentwicklung von elektromobilen Brückendienst-leistungen.

Edingloh, Lars ist verantwortet für das Produktmanagement neuerund innovativer Geschäftsfelder bei der Dortmunder Energie- undWasserversorgung GmbH (DEW21).

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Jégu, Marie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinsti-tut für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention (FIAP) e.V. undDoktorandin an dem Institut für Sozialpsychologie und Sportma-nagement der Université de Bourgogne.

Kirsch, Daniela ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleite-rin am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in derAbteilung Verkehrslogistik. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in derErstellung von Marktstudien, Planung von multimodalen Hinter-landverkehren und dem Einsatz alternativer Antriebe, wobei derEinsatz alternativer Antriebe zur Versorgung urbaner Räume imVordergrund steht.

Dr. Klatt, Rüdiger ist seit 2010 Institutsleiter des FIAP (Gelsenkir-chen), forscht und publiziert seit den 90er Jahren zu Fragen der in-novativen Arbeitsgestaltung und Prävention, zur Digitalisierung derArbeitswelt, zu Dienstleistungsentwicklung und zum Berufsbil-dungsexport.

Lamberth-Cocca, Sabrina ist wissenschaftliche Mitarbeiterin amFraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO inStuttgart. Im Competence Team „Dienstleistungsentwicklung“ be-schäftigt sie sich mit Vorgehensweisen und Methoden zur nutzer-orientierten Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen. AlsLeiterin des Projekts „Dienstleistungen für Elektromobilität – Förde-rung von Innovation und Nutzerorientierung (DELFIN)“, Teilprojekt„Innovations- und Geschäftsmodelle“, fokussiert sie sich auf dieagile Dienstleistungsentwicklung, Design Thinking und innovativeMethoden der Kundeneinbindung.

Michiels-Corsten, Michel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter amLehrstuhl für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Be-rufspädagogik der RWTH Aachen University. Er forscht und lehrt im

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Bereich der Berufsbildungsforschung sowie zum Wandel von Er-werbsarbeit. Mail: [email protected]

Moll, Cornelius ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI im CompetenceCenter Energietechnologien und Energiesysteme. Er beschäftigt sichmit der Erforschung und Entwicklung von Dienstleistungsinnovatio-nen im Bereich der Elektromobilität und der industriellen Produkti-on.

Moser, Sabine ist wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Dokto-randinnen am Lehrstuhl für Marketing und Innovation der Universi-tät Passau. Im Rahmen des Konsortialprojekts BeEmobil beschäfti-gen sich Frau Moser mit der Identifizierung von kundenseitigenBarrieren bei der Adoption von diskontinuierlichen Innovationenund dem Abbau dieser Barrieren durch die Einführung von erfah-rungsspezifischen Elektromobilitätsdienstleistungen.

Pinske, Mirco leitet den Bereich Vertrieb und Marketing bei derDortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH (DEW21).

Schmitz, Clarissa ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhlund Institut für Arbeitswissenschaft der RWTH Aachen University inder Abteilung Bildung für technische Berufe. Hier beschäftigt siesich mit der Entwicklung, Umsetzung und Evaluation von kompe-tenzorientierten Aus- und Weiterbildungskonzepten für gewerblich-technische Domänen. Mail: [email protected]

Selzer, Veronika ist wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Dokto-randinnen am Lehrstuhl für Marketing und Innovation der Universi-tät Passau. Im Rahmen des Konsortialprojekts BeEmobil beschäfti-gen sich Frau Selzer mit der Identifizierung von kundenseitigen Bar-rieren bei der Adoption von diskontinuierlichen Innovationen und

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dem Abbau dieser Barrieren durch die Einführung von erfahrungs-spezifischen Elektromobilitätsdienstleistungen.

Steinberg, Silke ist Gründungsmitglied des FIAP und seit 2013 Mit-glied der Geschäftsführung. Sie arbeitet an internationalen For-schungsprojekten zum Thema Transkulturalität. Seit 2010 koordi-niert sie am FIAP den Bereich Kompetenzentwicklung, internationa-le Zusammenarbeit, Bildungsexport und Migration.

Wendt, Romina ist seit April 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterinam Forschungsinstitut für innovative Arbeitsgestaltung und Präven-tion (FIAP) e.V. in Gelsenkirchen. Sie studierte Wirtschaftspsycholo-gie an der Ruhr-Universität Bochum. Im Rahmen des Projektes KIE-Lab setzte sie Ihren Arbeitsschwerpunkt in die empirische Bedarfs-analyse elektromobiler Brückendienstleistungen sowie die Konzep-tion von Handlungsempfehlungen für Carbon freiere Mobilität inStädten.